Tokyo Sins - Sarah Schwartz - E-Book

Tokyo Sins E-Book

Sarah Schwartz

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Beschreibung

Mega-City Tokio - Konsum, Sex und ausschweifendes Nachtleben. In diese pulsierende Metropole verschlägt es Laura, die ihre Zwillingsschwester Jessica in Japan besucht. In Tokio angekommen stellt die zurückhaltende Laura zu ihrem Entsetzen fest, dass Jessica Inhaberin des "Palastes der Wünsche" ist - einem exklusiven Etablissement, das die sexuellen Wünsche der reichen und schönen Frauen Tokios stillt. Abgestoßen und gleichermaßen fasziniert beobachtet Laura, wie die Gäste zusammen mit den heißen Gigolos des Clubs die zügellosesten Fantasien ausleben. Lauras Gefühle geraten endgültig in Verwirrung, als sie sich in Jessicas hinreißend schönen Mitarbeiter Takeo verliebt, der jedoch kein Interesse an einer festen Beziehung hat. Als Jessica bei einem Unfall verletzt wird, soll ausgerechnet Laura sie bei einem Millionärspaar vertreten, das Jessicas Liebesdienste für eine Nacht ersteigert hat. Damit der Schwindel nicht auffliegt, muss Laura sexuell aus der Reserve gelockt werden. Unter Takeos Anleitung beginnt für Laura eine Schule der Lust in den Armen der aufregenden Hosts des "Palastes der Wünsche" ... Neuauflage

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Sarah Schwartz

Tokyo Sins

Erotischer Roman

© 2007/2018 Plaisir d’Amour Verlag, D-Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Coverfoto: © Sabrina Dahlenburg (www.art-for-your-book.weebly.com)

Illustration: © Lena Ulrich

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-316-3

ISBN eBook: 978-3-86495-317-0

Quelleangabe der im Text zitierten Auszüge aus „Romeo und Julia“:

Shakespeare, William: Romeo und Julia. Sämtliche Worte, Bd. 3. Lambert Schneider, Heidelberg o.J.

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Glossar

Denk nicht!

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Denk nicht!

Glossar

Anrede: Die Benutzung des Vornamens im Japanischen deutet auf Nähe zum Angesprochenen hin, nur enge Freunde/Vertraute sprechen sich mit Vornamen an, sonst spricht man sich mit Nachnamen an. In der japanischen Sprache wird außerdem der Nachname vor dem Vornamen verwendet.

Boutique-Hotel/Image-Club: Stundenhotel mit thematisiert eingerichteten Zimmern.

-chan: Suffix; Verniedlichungsform für kleine Kinder; wird aber auch von engen Freundinnen (bis ins hohe Alter) verwendet.

Dōjō: Kampfschule / Kampfsportverein / Übungshalle

Geta: Holzsandalen mit Zehenriemen und hohen Sohlen.

Ginza: Hauptgeschäftsviertel Tokios.

Host-Club: Hostessen-Bar mit männlichen „Hosts“ für die weiblichen Gäste.

Japanische Mövchen: Domestizierter Prachtfink.

Kabuki: Traditionelles japanisches Theater der Edo-Zeit, das sich auch heute noch großer Beliebtheit in Japan erfreut. Kabuki besteht aus Gesang, Tanz und Pantomime. Die Darsteller tragen farbenfrohe Kostüme und traditionelles Make-up.

Kapselhotel: Besondere Hotelform, entstanden durch Platzmangel und Sparsamkeit. Der Gast übernachtet in Kabinen von etwa 2 m² Bodenfläche und ca. 1 m Höhe. In den Kapseln befinden sich meist Radio und Fernseher.

Katana: Japanisches Langschwert; „Daitō“.

-kun: Suffix; Anredeform unter männlichen Jugendlichen.

Love-Hotel: Japanische Bezeichnung für ein Stundenhotel. Jedoch sind die Stundenhotels in Japan nicht mit deutschen Stundenhotels zu vergleichen, sondern sind oftmals an die Bedürfnisse von Paaren angepasst, die der heimischen Enge für ein paar Stunden der ungestörten Zweisamkeit entfliehen möchten.

Maiko: Bezeichnung für eine Geisha-Auszubildende.

Manga: Japanische Bezeichnung für alle Arten von Comics und Zeichentrickfilmen. Im Westen unterscheidet man „Manga“ (Comics im japanischen Zeichenstil) und „Anime“ (japanische Zeichentrickfilme).

Obi: Schärpe des Kimonos.

Onsen: Heiße Quelle. Meist öffentliche Bäder, die von heißen Quellen gespeist werden.

Roppongi: Teil des Tokioter Stadtbezirks Minato. Ein Bezirk mit regem Nachtleben und der größten Dichte an Bars und Diskotheken in Tokio.

-san: Suffix; wird in Verbindung mit dem Nachnamen verwendet und bedeutet Frau/Herr.

-sensei:

Denk nicht!

Lass dich lieben. Öffne deine Augen und sieh in mein Gesicht, während es sich dir nähert. Lade mich ein mit einem Lächeln, neben deinem Körper Platz zu nehmen. Öffne deine Hände und strecke dich mir entgegen, wenn meine Arme verlangend zu dir eilen.

Lass dich berühren. Fühle meine Fingerkuppen auf deiner Haut, wenn ich dich erkunde. Ermuntere mich mit deinem hörbaren Atem, fortzufahren. Fühle meine Neugier und das Innehalten meiner Bewegungen, wenn ich staunend erkenne, dass dein Körper ein Wunder ist.

Lass dich gehen. Genieße meine feuchte Zunge, die vollen Lippen, die der Spur meines Fingers folgen. Gib deiner Lust Laute, wenn meine Zungenspitze von Brust, zu Bauch, zu Schambein wandert, mein Hauch auf dir. Genieße das fordernde Ziehen in deinem Innern, wenn mein Mund deine Nässe kostet.

Lass dich nehmen. Spüre meinen Flaum auf deinem, wenn meine Schenkel deine grüßen, ungestüm und froh. Zeig mir dein Vertrauen und deine Freude, indem du dich meinen Stößen anpasst, dein Innerstes bereitwillig teilst. Spüre meine Wärme in dir, mein Leben, das Leben schenken kann.

Prolog

Fünfundzwanzig geladene Gäste saßen oder standen in dem teuer eingerichteten japanischen Clubhaus. Die Halle hatte den Charakter eines orientalischen Empfangssaales. Schwere Säulen stützten die bemalte Decke. Ein buntes Mosaik belebte den Boden. In einer riesigen Voliere zwitscherten Pracht- und Schmetterlingsfinken. Es roch nach Zigarrenrauch und schwerem Räucherwerk.

Am Empfang des Saales stand eine schlanke Japanerin mit milchig weißer Haut. Sie trug einen beigefarbenen Hosenanzug und nahm geschäftig die Briefumschläge entgegen, die ihr gereicht wurden. Sie zählte sie nach. Das letzte Gebot war gekommen. Sie gab die Umschläge einem feminin wirkenden Mann im dunklen Anzug mit violetter Krawatte, dessen linkes Auge von seinem langen Pony verdeckt wurde.

Zwischen den Menschen – vorwiegend Männern – bewegte sich eine langhaarige blonde Frau mit silbernen Haarsträhnen, die jeden zu kennen schien. Sie trug ein hochgeschlossenes schwarzes Satinkleid, das ihrem Körper schmeichelte. Immer wieder folgten ihr die Blicke der Menschen – heimlich, lüstern. Es wirkte nicht so, als würde es sie bekümmern. Ihr Lächeln war so souverän wie ihre Art sich zu bewegen. Aus jeder Handbewegung sprach Überlegenheit und Anmut. Ihr helles Lachen war lauter als die gedämpften Stimmen. Das Glas Champagner in ihren mit Ringen besetzten Händen schien für sie gerade gut genug zu sein.

Die schlanke Japanerin am Empfang spielte nervös mit ihrer silbernen Halskette, deren Anhänger einen Schwan aus glitzernden Steinen zeigte. Möglichst unbeteiligt ging sie durch eine Tür in die Küche des Clubs und blickte auf den Mann im Anzug, der die Umschläge geöffnet hatte. Er lehnte schwer an der Tür des großen silbernen Kühlschranks. Sein Gesicht war kreidebleich.

Die Frau fasste seinen Arm. „Kazuya? Alles in Ordnung?“

Fassungslos reichte er ihr einen der Briefe. Das höchste Angebot. Seine Mundwinkel zuckten, er presste die Hand an die Lippen.

Die schwarzhaarige Frau sah mit großen Augen auf den notierten Betrag. Sie musste ihn dreimal lesen. Musste dreimal schauen, was dort stand.

„Das bietet sie? Wen hat sie geschickt?“

Kazuya grinste. „Einen Typen, der aussieht, als habe man ihn gerade aus dem Fitnessstudio oder dem Solarium gezerrt. Er soll wohl auch teilnehmen. Hast du die Bedingung gelesen?“

„Die Zeit der Kirschblüte. Aber da haben wir Besuch ...“ Die Frau senkte den Brief. „So viele Zahlen habe ich noch nie hintereinander gesehen, nicht in Bezug auf Geld für zwei Stunden.“

Kapitel 1

Laura saß im Terminal Zwei der Ankunftshalle und wartete, die weiße Handtasche eng an sich gedrückt. Schon als sie aus dem Flugzeug gestiegen und in das von Glas blitzende Gebäude getreten war, strömte ihr zwischen Souvenirläden, Restaurants und Duty Free Shops der typisch süßliche japanische Geruch entgegen – eine Mischung aus asiatischen Gewürzen und Soja, den sie nie recht einordnen konnte, aber schon seit ihrer Kindheit mit Japan verband. Nachdem sie ihr Gepäck geholt und die lästige Passkontrolle hinter sich gebracht hatte, ging sie zu dem vereinbarten Treffpunkt an der blaugrünen Mosaiksäule und eroberte sich dort einen der bequemen schwarzen Schalensitze. Aus den unsichtbaren Lautsprechern hallten immer wieder Flugnummern und Aufrufe in japanisch und englisch. Ihre Blicke wanderten durch die Halle, musterten die schicke Ordnung und die wohltuende Atmosphäre aus Sauberkeit und Modernität. Um sie herum kamen und gingen Menschen, viele Japaner, aber auch viele Europäer, die hier in Narita, sechzig Kilometer außerhalb von Tokio, gelandet waren.

Fröstelnd beobachtete Laura eine japanische Familie, die ihren Sohn begrüßte. Herzhaft schloss die Mutter den jungen Mann in ihre Arme, ihre braunen Knopfaugen strahlten.

Laura fühlte sich in all dem Lärm und der aufgeregten Stimmung fehl am Platz. In ihr war mehr Furcht als Vorfreude und allmählich kam Ärger hinzu, denn ihre Schwester Jessica war bereits zwanzig Minuten zu spät. Hoffentlich lag es nur am Verkehr in Tokio, der standardgemäß eine Katastrophe war. Laura sah auf die riesige digitale Uhr an der Wand gegenüber. Mit jeder weiteren Minute wuchs ihre Ungeduld. Sie fühlte sich verloren in der Menschenmenge. Durch das Fenster sah sie, dass das Flugzeug, mit dem sie gekommen war, sich wieder in Bewegung setzte. Feiner Sprühregen hüllte es ein. Die letzte Verbindung nach Deutschland verschwand aus ihrem Blick.

Seufzend schaute Laura auf die beiden Koffer neben sich. Sie bereute jetzt schon, auf Jessicas Einladung eingegangen zu sein. Obwohl Jessica und sie eineiige Zwillinge waren, verband sie nichts – bis auf ihr Spiegelbild. Jessica war ungestüm, draufgängerisch, die Katze, die ihre Pfoten neugierig in jeden Winkel steckte, der flatterhafte Schmetterling, der andere bezauberte und – wie hatte sie das vergessen können – unzuverlässig.

Sie dagegen war besonnen, auf Sicherheit bedacht, die Maus, die sich in einer Ritze versteckte und ganz offensichtlich ziemlich dumm, da sie sich zu sechs Wochen Urlaub in Japan bei ihrer Schwester überreden ließ.

Ärgerlich zog Laura ihr Handy aus ihrer weißen Lederjacke, steckte es dann jedoch zurück. Sie würde der Schwester nicht bereits bei ihrer Ankunft hinterhertelefonieren. Wenn es hart auf hart kam, konnte sie ja die Nacht in einem der futuristischen Kapselhotels verbringen. Aber so weit würde es wohl nicht kommen, denn Jessica hatte ihr noch gestern am Telefon zugesichert sie abzuholen, da Laura noch nie in der Wohnung der Schwester gewesen war und nicht einmal wusste, in welchem Viertel der achteinhalb Millionenstadt sich diese Wohnung befand. Immerhin war es fünf Jahre her, dass die beiden Schwestern sich gesehen hatten. Jessica war zu der Beerdigung ihres Vaters nach Deutschland gekommen. Sie lebte bereits seit sechs Jahren in Japan und lag in den Endzügen ihres Studiums.

Laura versuchte vergeblich, einige Falten der beigefarbenen Leinenhose zu glätten, die durch das lange Sitzen im Flugzeug entstanden waren. Dann nahm sie einen hellen Lippenstift mit dem vielversprechenden Namen „Exotic Romance“ aus ihrer Handtasche, sowie einen kleinen silbernen Spiegel und zog sich mit zur Seite geneigtem Kopf die Lippen nach. Ihre Oberlippe bekam ein wenig mehr Farbe, um sie noch voller aussehen zu lassen. Im Spiegel begutachtete Laura ihren Schmollmund. Sie war eigentlich gar nicht eitel, aber sie wollte sich vor der sicherlich exquisit gestylten Schwester nicht blamieren. Jessica ging nie ungeschminkt aus dem Haus.

Laura hob den Blick, da sie fühlte, wie sie jemand anstarrte. Aus dem Augenwinkel nahm sie einen schwarzhaarigen Mann in Lederkleidung wahr. Er stand zwei Meter neben ihr an der Mosaiksäule und starrte unverwandt in ihr Gesicht. Es war unverkennbar, dass er Japaner war. Feine schwarze Haare rahmten sein Gesicht ein. Sie waren kurz und modern geschnitten. Seine Augen waren ungewöhnlich groß und tiefschwarz wie ein unergründlicher See. Er hatte ein rassiges, ausdrucksstarkes Gesicht, das Laura jedoch kaum wahrnehmen konnte, denn sie musste all ihre Kraft aufbieten, um diesem Blick standzuhalten, der sie voll und ganz erfasste, und ihr das Gefühl gab, nackt zu sein. Ohne Zweifel war er Schauspieler oder Model. Sein Körper war kräftig wie der eines Kriegers. Er trug zwei Jethelme, ebenso schwarz wie seine Motorradkluft, in der Hand. Ohne den Blick abzuwenden ging er auf sie zu. Seine Schritte waren voll versteckter Kraft. Unnachgiebig hielt sein Blick sie fest, während ein freundliches Lächeln sich um seine schönen Lippen legte. Laura schaffte es nicht einmal zu blinzeln. Einen Moment fragte sie sich, ob der Fremde wirklich existierte, oder ob sie wegen der Müdigkeit aufgrund des langen Fluges halluzinierte. Vielleicht war er der Prinz ihrer vergessenen Träume.

„Laura Parker.“ Es war keine Frage. „Ich bin gekommen, um dich abzuholen.“ Seine Stimme war angenehm tief und weich wie schwarzer Samt. Er verbeugte sich leicht und streckte ihr die freie Hand hin.

Laura erhob sich verwirrt. Zwei Gefühle stritten in ihr: Einerseits wollte sie unbedingt von diesem unverschämt gut aussehenden Mann mitgenommen werden, der die Ausstrahlung eines Filmstars besaß, andererseits kam der vertraute Groll auf Jessica in ihr hoch.

„Hat meine Schwester keine Zeit mich selbst abzuholen?“, fragte sie weit unsicherer, als ihr lieb war.

„Nein.“ Er ließ die dargebotene Hand sinken. Laura bedauerte es, sie nicht genommen zu haben, aber sein intensives Starren hatte sie ganz durcheinandergebracht. Er deutete erneut eine leichte Verneigung an. „Mein Name ist Takeo Tanaka. Ich wohne gemeinsam mit deiner Schwester auf einem Grundstück.“

Laura wollte den Kopf schütteln, unterdrückte die Reaktion aber. Diese Sahneschnitte war einer von Jessicas Lovern? Unglaublich. Sie starrte ein wenig hilflos auf die beiden Helme in seiner linken Hand.

„Du bist mit dem Motorrad da?“

„Mein Wagen ist kaputt.“

„Es sind zwei Stunden Fahrt!“

„Zweieinhalb.“

Laura wollte gerade fragen, warum zur Hölle sie nicht den Zug oder einen der Airport Limousinen Busse nehmen sollte – schließlich hatte sie gerade einen Zwölfstundenflug hinter sich – als ihr wieder einfiel, dass sie nun in Japan war. Eine solche Frage war beleidigend oder zumindest grob unhöflich. Immerhin befand sie sich in einem Land, in dessen Sprache es nicht einmal möglich war, vernünftig zu fluchen.

„Und mein Gepäck?“ Laura wies auf ihre beiden Koffer.

Takeo drückte ihr die Helme in die Hand und hob die beiden schweren Taschen so spielend auf, als seien sie mit Watte gefüllt, statt mit Kleidern und Büchern.

„Ich lasse es zum Anwesen bringen. Warte hier.“

Anwesen? Der gesprächigste Typ schien Takeo nicht zu sein. Er benutzte Worte, als könnte man andere mit ihrem übermäßigen Gebrauch töten. Laura sah ihm nach, wie er zu einem chromblitzenden Schalter ging. Merkwürdigerweise ging er nicht in der Menge unter. Er ragte aus ihr heraus. Sie konnte seinen schwarzen Haarschopf auch noch sehen, als eine wild schnatternde Touristinnenschar vorbeizog. Es lag daran, dass er für einen Japaner sehr groß war. Fast einen Meter achtzig, schätzte Laura.

Was zur Hölle hatte Takeo mit einem Anwesen gemeint? Sollte sie mit ihm fahren? Zum Glück hatte Jessica ihr einmal von einem Takeo erzählt. Außerdem hatte der Fremde sie auf Anhieb erkannt, was dafür sprach, dass er ihre Schwester kannte. Sie ähnelten einander noch immer sehr. Laura seufzte. So wie es aussah, hatte sie gar keine andere Wahl. Ihr Gepäck verschwand gerade im Nirwana, und sie hatte nicht einmal die genaue Adresse der Schwester.

Takeo kam zurück und führte sie aus dem lauten, überfüllten Gebäude. Er nahm ihr einen Helm ab und ging vor ihr her. Laura musste sich Mühe geben, um mit seinen langen Schritten mitzuhalten, dabei war sie höchstens zehn Zentimeter kleiner als er. Draußen setzte sich der feine Nieselregen auf ihre Haut, der aber nicht kalt war, sondern angenehm kühl. In Japan herrschte auch im April ein mildes Klima.

Nicht das beste Wetter für eine Fahrt auf einem Motorrad. Unbehaglich presste Laura den Helm gegen ihren Bauch.

„Vielleicht ... sollte ich ein Taxi nehmen?“

Takeo wies stolz auf seine Maschine, die zwischen zwei Autos stand. „Ich bin dein Taxi, Parker.“ Er schwang sich geschmeidig auf das Motorrad. Laura schloss kurz die Augen. Bilder von Verkehrsunfällen mit verstümmelten Leichen zogen an ihrem inneren Auge vorüber. Sie krampfte ihre Hände um den Helm. Es würde schon nichts passieren.

Die reizvolle Landschaft aus grünen Reisfeldern, Mühlen und vereinzelt knospenden Kirschbäumen wirkte beruhigend auf sie.

Dennoch dauerte es eine Weile, bis sie sich auf der großen Maschine entspannen konnte. Der Nieselregen hatte aufgehört, und der Wind riss gierig an ihrer Leinenhose, obwohl Takeo aufgrund des regen Verkehrs langsam fuhr. Für Laura war er noch immer viel zu schnell. Ihr Körper war steif und verkrampft, sie genoss aber trotzdem die Nähe von Takeos kräftigem Körper, der aufregend nah an ihrem war.

Sie musste an Stefan denken, der sie vor vier Monaten verlassen hatte. Es sprach also überhaupt nichts dagegen, den Körper des jungen Mannes vor sich zu genießen. Das war zumindest eine kleine Entschädigung für die Zumutung, sie mit einem Motorrad abholen zu lassen. Jessica musste doch wissen, wie fertig man sich nach zwölf Stunden Flug fühlte. Laura hielt die Augen geschlossen und atmete den Duft nach Leder und herbem Parfüm ein. Ihre Arme umschlossen seine Hüften, ihr Kopf sank gegen seine Schulter, und sie wünschte sich, den Helm abnehmen zu können, um sich noch dichter an ihn kuscheln zu können. Sie fühlte sich überraschend sicher. Es war gut, dass der Wind an ihren Beinen so kalt war, denn er war das Einzige, das sie am Einschlafen und Träumen hinderte.

Die Felder wichen zurück vor dem Meer aus Stein, in das sie nun eintauchten. Äste aus Kabeln begleiteten sie allgegenwärtig, und der braune Dunst über der Stadt weckte viele Erinnerungen in Laura. Schon als Kind hatte sie ihn verabscheut, weil er ihr die Sicht auf die Sterne nahm.

Es dauerte nicht lange, bis sie das Gefühl hatte, mitten in Tokio zu sein, auch wenn die eigentliche Stadt noch gar nicht begonnen hatte. Laura blinzelte und bestaunte die vielen Hochhäuser, die bunten Neonschilder und die mannigfachen Farben, die sie mit marktschreierischer Aufmerksamkeit umfluteten. Überall standen Kirschbäume, und Laura glaubte die frohe Stimmung zu fühlen, die der Zeit der Kirschblüte vorausging. Es dauerte nur noch wenige Tage, bis überall zwischen den Betonwänden das Hanami-Fest zelebriert werden würde – das Fest der Blütenbetrachtung, das die knapp zwei Wochen blühenden Bäume gebührend feierte.

Laura hatte fast vergessen, wie voll Tokio von Autos, Menschen, Gerüchen und Geräuschen war. Sie war zuletzt im Alter von sechs Jahren hier gewesen. Damals hatten sie und ihre Eltern hier gelebt. Zwei ganze Jahre war ihr Vater fest in Tokio beauftragt gewesen. Erst mit der Schulpflicht kehrte die Familie Parker nach Deutschland zurück, und so war Jessica und Laura die strenge Schule in Japan erspart geblieben.

Laura hatte immer wieder von anderen gehört, dass ihnen die Orte ihrer Kindheit im Laufe der Jahre kleiner vorkamen. Laura ging es nicht so. Tokio war so groß, abenteuerlich und farbenprächtig, wie sie es in Erinnerung hatte. Im Gegenteil, die riesige Stadt aus Stein, Glas und Menschenmassen hatte sich in den vergangenen achtzehn Jahren weiter vergrößert und war bis über die Grenzen des Horizonts gewachsen.

Takeo hielt an einem bunten Stand mit Satay-Spießen. Laura wankte zögernd vom Motorrad und sah sich um. Die Gegend war viel zu heruntergekommen, als dass sie sich Jessica hier vorstellen konnte. Immerhin hatten beide Mädchen vom Vater fast eine Million geerbt.

Falls Jessica sie noch hat, lästerte Laura gedanklich. Sie kam einfach nicht gegen ihren Ärger an. Sie hatte es Jessica übel genommen, mit achtzehn Jahren fortgegangen zu sein und mit einem Lächeln aus ihrem Leben nach Japan zu verschwinden. Jessica war mutig, stark und schön. Alles, was Laura nicht sein konnte.

Takeo hielt ihr einen Yakitori-Spieß hin. Sie sah auf und griff mit ungelenken Fingern nach dem Hähnchenspieß mit der süßen, glänzenden Marinade. Ihre Hände waren noch ganz kalt von der Fahrt, obwohl sie sie in die Ärmel ihrer Jacke geschoben hatte.

„Danke.“ Erst jetzt merkte sie, wie hungrig sie nach dem langen Flug war. Sie biss einen großen Happen Fleisch ab und schloss genießerisch die Augen. Sofort fühlte sie sich besser. Das waren richtige Yakitori-Spieße, nicht die deutsche Sparversion, die nur allzu oft auf Shichimi Togarashi, Sansho Pfeffer oder Furikake verzichtete. Dabei war es genau diese Würzmischung, die mit Reiswein, Ingwer, Sake und Zucker den süßen, exotischen Geschmack ausmachte.

„Köstlich.“ Laura lächelte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wo sie war: In Japan, in Tokio, der flimmernden Stadt aus Stahlbeton und Lichtern, und sie hatte Urlaub. „Ich habe vergessen wie gut diese Spieße sind.“

Takeo hielt im Essen inne. „Du bist schön wie Jessica, wenn du lächelst. Und du fährst nicht gerne Motorrad.“

War das eben ein Kompliment? Aber warum verglich er sie mit Jessica? Hoffentlich waren die beiden nicht zusammen.

„Ich bin nicht richtig gekleidet“, wich Laura aus. Dieser gut aussehende Typ sollte sie nicht für feige halten.

„Keine Angst. Ich passe auf. Es ist höchsten noch eine Stunde bis zum Anwesen. Du hast es bald geschafft.“

„Anwesen?“ Das Wort hatte Laura bereits im Flughafengebäude irritiert. „Welches Anwesen?“

„Jessicas Haus“, entgegnete Takeo ruhig.

Aha! Laura triumphierte innerlich. Sie hat ihr Erbe also tatsächlich verprasst! Typisch Jessi.

„Sie hat mir gar nichts von einem Anwesen erzählt.“

„Es wird dir gefallen.“

„Warum?“ Laura fragte sich, was für Geheimnisse Jessica vor ihr hatte. Aber wenn sie alle so aufregend und anziehend waren wie Takeo, dann versprach dieser Urlaub trotz aller Hindernisse großartig zu werden.

„Weil es jedem gefällt.“

Er brachte die beiden Holzschalen an den Imbisstand zurück und zog sich wieder seinen Helm über. Mit selbstverständlicher Anmut schwang er sich auf den Sattel der Maschine. Sie versuchte es ihm nachzutun. Schade, dass er nicht gesprächiger war. Er war der typische Krieger, der nach der Schlacht in die Flammen des Lagerfeuers starrte. Wie er wohl ohne diese Lederkluft aussah? Sie hatte unter der Jacke seinen trainierten Körper gefühlt. Ein Körper zum Träumen. Laura spürte ein ganz ungewohntes Kribbeln im Bauch, als sie sich nun – satt und entspannt – gegen seinen breiten Rücken lehnte. Sie betete in den nächsten sechzig Minuten zu allen ihr bekannten Göttern, dass Takeo nicht der Freund ihrer Schwester sein möge.

Kapitel 2

Es roch nach Meer. Das Zentrum der Stadt lag weit hinter ihnen. Laura öffnete die Augen, als der Lärm des Motors abgewürgt wurde, und das Motorrad zum Stillstand kam. Vor ihnen erhob sich ein Drachentor, dessen rote Schindeldächer mit goldenem Dekor geschmückt waren. Das Tor war in eine rotweiße Mauer eingelassen, die ein beachtliches Grundstück umschließen musste. Vermutlich war das Tor mit seinen drei abgeschrägten, turmartigen Vordächern eine Sehenswürdigkeit in der Gegend.

Laura seufzte. Sie wollte endlich duschen und sich ausruhen. Für Sightseeing war morgen noch immer genug Zeit. Gerade wollte sie Takeo bitten weiterzufahren, als sie die Fernbedienung in seiner Hand sah. Das hölzerne Tor fuhr seitlich in die rotweiße Wand hinein, und Laura erhaschte einen Blick über den breiten Sandweg hinweg auf eine eigenwillige architektonische Mischung aus Palais und Pagode. Vor dem Haus befand sich ein großer, fast leerer Sandparkplatz, eingefasst mit hellgrünem Rasen.

Mit einem Schlag war sie hellwach. Sie starrte auf den Rasen neben dem Parkplatz.

„War ... war das da eben ein Pfau?“

„Das war Rosenblüte, Buntauge ist wahrscheinlich hinten im Garten.“

„Es war ein Pfau.“ Laura schüttelte den Kopf.

Er startete wieder den Motor, und sie fuhren langsam auf das zweigeschossige Haus zu, das zentriert hinter dem Parkplatz lag und weit über die Parkplatzlänge hinausreichte. Eigentlich waren es drei Gebäude, die links und rechts durch zwei Garagen verbunden waren. Takeo fuhr mit ihr zur linken Garage und bedeutete ihr abzusteigen.

Fassungslos drehte Laura sich im Kreis. Das war unglaublich. Nie im Leben hatte Jessica das mit nur einer Million bezahlen können. Sie blickte zurück zum Drachentor, das den Lärm der Stadt aussperrte, dann wieder zum Haupthaus, das sich herrschaftlich vor ihr erhob. Der Eingangsbereich war überdacht und wurde von zwei roten Säulen getragen, an denen Rosen emporrankten. Das ganze Gebäude besaß hohe, blitzende Fenster ohne Vorhänge. Laura versuchte etwas dahinter zu sehen, aber sie konnte nichts erkennen. Noch waren die Räume unbeleuchtet.

Takeo schloss gerade die Garage, als sich die hohe Tür des Hauses öffnete und Jessica hervortrat wie eine Königin, die ihren Hofstaat willkommen hieß.

Laura schluckte. Jessica war wunderschön. Sie trug ein fließendes, langes Kleid in einem glänzenden Schwarz. Der Ausschnitt war gerade tief genug, um verführerisch zu sein ohne zu offen zu wirken. Um ihren Hals lag eine schmale Kette aus Platin. Wie immer war ihr Schmuck dezent, aber teuer. Laura griff unwillkürlich an den halb aufgelösten Zopf auf ihrem Hinterkopf. Ihre Haare waren durch das Auf- und Abziehen des Helms durcheinandergeraten.

Jessica trug ihre langen blonden Haare offen, hatte silberblonde Strähnen, die sie wie einen Popstar aussehen ließen.

„Laura! Herzlich willkommen in Tokio!“ Sie ging gemessenen Schrittes auf die Schwester zu, nicht zu schnell, nicht zu langsam, und schloss sie in die Arme. Laura roch ihr leichtes Parfüm, das nach Sonne und Strand duftete.

„Jessi. Es ist lange her. Du siehst toll aus.“

Jessica lachte. „Lob dich nicht selbst, Liebes.“ Sie hielt Laura an den Schultern fest und drückte sie ein Stück von sich fort. „Aber du siehst müde aus. Eine heiße Dusche wird dir gut tun. Es tut mir leid, dass ich dich nicht abholen konnte. Ich habe keinen eigenen Wagen und Sakura, meine Freundin, mit der ich mir das Auto teile, hat es unbedingt gebraucht, um zu einem Vorstellungsgespräch zu fahren.“

Laura sah unverwandt in Jessicas meergrüne Augen. Egal, wie ähnlich sie sich sahen, doch diese Augen sahen ihr nicht ähnlich! Sie mochten die gleiche Farbe haben, aber in Jessicas Blick lag ein Versprechen nach Leben, ein Ausdruck von Lust und Freude, der Laura auch jetzt wieder sprachlos machte. Ein wenig benommen sah sie zu, wie ihre Schwester kurz von ihr abließ und dem herangetretenen Takeo einen flüchtigen Kuss auf die Wange gab. Obwohl es lächerlich war, fühlte Laura einen Stich. Was, wenn die beiden ein Paar waren?

„Danke, Takeo. Du bist großartig.“

Er lächelte und wandte sich zum Gehen.

„Bis später“, brachte Laura heraus. Ihr Hals war rau. Er deutete im Laufen eine leichte Verneigung an.

Jessica hängte sich bei Laura ein. „Ich zeige dir dein Zimmer und das Bad. Es wird noch etwa eine Stunde bis zum Essen dauern.“

Sie gingen die Stufen zum Eingang hinauf. Laura fühlte sich wie eine Prinzessin im Märchen. Wie kam Jessica dazu in einer solchen Villa zu leben? Als sie die Eingangshalle betraten, meinte Laura in einem Schloss zu sein. Ihr Weg wurde flankiert von weißen Blumentöpfen, in denen Azaleen wuchsen. Die gut einen Meter fünfzig hohen Pflanzen sahen aus wie Miniaturbäume, deren Kronen aus Blüten bestanden. Zwischen den rosafarbenen „Bäumchen“ standen Replikate klassischer Statuen. Es war fast, als befände Laura sich in einer Kunstausstellung und nicht in einem Wohnhaus. An der Decke prangte ein Bild im Stil des Rokokos. Ein Mädchen in einem bauschigen Kleid schaukelte hoch über ihren Köpfen. Der Rock ihres Kleides wurde vom Luftzug hochgewirbelt und gab die Sicht auf lange weiße Beine frei.

Laura konnte sich noch gut an das Interesse ihrer Schwester am französischen Rokoko erinnern. Schon mit zwölf Jahren hatte Jessica darauf bestanden, ein solches Kleid aus Taftseide zu bekommen, und ihr Vater hatte ihr eines zum Geburtstag nähen lassen.

Mit Scham dachte Laura an ihre Zweizimmerwohnung in Deutschland, dann schüttelte sie verärgert den Kopf. Seit wann störte es sie, von Luxus umgeben zu sein? Es gab weit wichtigere Dinge im Leben.

Vor ihnen stand eine weiß lackierte Flügeltür weit offen. Laura blickte in einen großen Parkettsaal mit einer breiten Fensterfront, die einen Ausblick auf eine von Kiefern und Ahorn eingerahmte hölzerne Terrasse gewährte. In der rechten Hälfte des Raumes stand eine lange Tafel, umgeben von zehn hellgrünen Polsterstühlen. Ein kristallener Leuchter hing von der Decke herab, die Wände waren mit blassgelber Seide bespannt, und an der Wand ragte eine jahrhundertealte Schrankreihe auf, die weiß lackiert worden war. Eine Standuhr mit goldenem Pendel stand ein Stück von ihr abgesetzt in einer Ecke. Auf der linken Seite befand sich eine elegante blassgrüne Couch mit hoher Rückenlehne, die ebenfalls aus einem vergangenen Jahrhundert zu stammen schien. Ihre Rückwand unterteilte den Saal. Hinter ihr sah Laura an der Wand einen weißen Kamin.

„Hier treffen wir uns zum Essen“, erklärte Jessica mit funkelnden Augen. „Gefällt es dir?“

„Es ... ist zauberhaft. Wie kannst du dir das leisten?“

„Ich wohne nicht alleine hier.“ Jessica machte eine ausschweifende Geste mit dem Arm. „Das alles, das Haus und das Grundstück teile ich mir mit Takeo, Kazuya, Sakura und Yukiko. Sie sind wie eine Familie für mich.“

Laura verkniff sich einen bissigen Kommentar. Immerhin war Jessi aus Deutschland fortgegangen und hatte ihre Familie verlassen. „Du lebst in einer WG?“

„So kann man es nennen.“ Jessica führte sie eine weite, elegante Treppe zum zweiten Stock hinauf. An den Wänden auch hier wieder Replikate bekannter Gemälde. Die meisten waren französisch. Die verputzte Wand war in einem cremefarbenen Ton gestrichen, der Laura an Lachscreme denken ließ. Sie grinste. Sie hatte schon wieder Hunger, trotz der Yakitori-Spieße.

Sie gelangten in einen langen Flur, der sich nach beiden Seiten erstreckte. Der Boden war mit einem schweren Teppich belegt. Auch hier war die Wand cremefarben und mit einigen ausgewählten Bildern bestückt. Jessica zeigte auf eine Tür nahe der Treppe. „Dort ist mein Zimmer. Die Bäder sind unten, gleich neben der Eingangshalle. Frische Kleider liegen auf deinem Bett. Ich habe dir etwas von mir herausgesucht, weil ich mir schon dachte, dass dein Gepäck nachkommt.“ Sie ging an der Tür vorüber und öffnete eine andere Tür auf derselben Seite des Flures. „Das hier ist das Gästezimmer. Dein Reich.“ Sie lächelte. Laura bemerkte zum ersten Mal die kleine Falte, die auf der Stirn der Schwester saß. Für einen Moment wich die Kraft in ihrem Blick, und eine tiefe Erschöpfung wurde sichtbar. „Ich bin froh, dass du da bist, Liebes. Wir haben viel nachzuholen.“

Laura nickte zögerlich. Sie folgte Jessica in den hohen Raum mit der großen Fensterfront und dem glänzenden Parkettboden. Von dem Zimmer aus konnte man den Parkplatz sehen, sowie den grünen Rasen, auf dem der Pfau nun wieder stolzierte. Lauras Blicke erkundeten den Raum. Auch hier wirkten die Möbel wie exklusive Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit. Einer Zeit für Adelige und ihre Mätressen. Die zierlichen Möbel waren weiß oder hellbraun und wiesen filigrane Schnitzereien auf. Laura machte staunend einige Schritte in den Raum. Sie wollte am liebsten alles anfassen. Das weiße Bett mit dem Baldachin und der geschnitzten Wand am Kopfende, die Kommode auf ihren dünnen Beinen und die beiden wuchtigen Schränke, die mehrere Spiegel hatten. Auf einem Beistelltisch stand ein großer Strauß weißer Rosen. Laura warf der Schwester einen liebevollen Blick zu. Sie hat meine Lieblingsblumen nicht vergessen, dachte sie und war kurz bestürzt, wie sehr sie das berührte. Laura drehte sich im Kreis, nicht wissend, was sie zuerst bestaunen sollte. „Es ist großartig. Ziemlich abgedreht. Ein wenig wie ein Puppenhaus – aber wunderschön. Ein Mann würde vermutlich hier drin durchdrehen und Selbstmord begehen.“

Jessica lachte. „Schön, es gefällt dir. Wir sehen uns zum Abendessen. Mach dich hübsch, wir haben Besuch.“

Laura verzog das Gesicht. „Ich hoffe, ich muss keine verkrampfte Konversation führen. Der Flug steckt mir noch in den Knochen.“

„Überhaupt nicht. Es sind alles Freunde von mir. Und natürlich die, die sowieso hier wohnen. Wir essen selten zusammen, aber sie sind alle neugierig darauf, dich kennenzulernen.“

„Sag mal ...“ Laura musste das noch loswerden, ehe die Schwester ging. „Ist ... ist Takeo dein Freund?“

„Nein. Mein Verlobter.“

Laura spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Sie konnte sich gut vorstellen, wie schockiert sie in diesem Moment aussah und unterdrückte den Impuls, sich auf die Kommode zu stützen.

Jessica klatschte in die Hände. „Es hat dich erwischt! Ich wusste es! Es war absolut richtig, Takeo zum Flughafen zu schicken! Er ist genau dein Typ. Und wieder einmal hat mein Genie ...“

„Du hast mich angelogen!“

„Dein Gesichtsausdruck war das wert“, stellte Jessica ungerührt fest. „Aber zu deiner ungestellten Frage: Takeo ist so frei wie ein Vogel hoch oben in den Lüften. Keine Ehe, keine Beziehung, nicht einmal die Aussicht auf eine Beziehung ... bis heute zumindest.“ Sie zwinkerte Laura vielsagend zu. „Und jetzt entschuldige mich, ich muss Kazuya mit dem Nachtisch helfen.“ Sie ging vergnügt aus dem Zimmer, während Laura ihr einen wütenden Blick hinterherschickte. Allerdings nicht lange. Laura berührte die Lackvase mit den weißen Rosen. Takeo war zu haben und sie würde alles daran setzen, ihn für sich zu gewinnen.

Jessica war eine Hexe. Wütend riss sich Takeo die Lederjacke vom Körper und warf sie auf den Laminatboden. Das schwarze T-Shirt folgte. Er griff nach einem langen Bambusstock und hieb damit quer durch die Luft. Ein hohes, surrendes Geräusch zeigte an, wie gerade und exakt sein Schlag war. Es verriet die Schnelligkeit und die Kraft des Hiebes. Er nahm eine Kampfstellung und ging in die Kammerhaltung, einer bestimmten Position vor dem Schlag.

Sie hatte es geahnt. Sie hatte mit der tödlichen Sicherheit einer Königskobra vorausgeahnt, dass Laura genau sein Typ war. Dabei wollte er keine Beziehung, und Jessica wusste das. Zornig hieb er den Stock durch die Luft.

Laura.

Sie war schön. Und das Beste daran war, dass sie es nicht wusste. In ihr war keine Arroganz. Sie spielte keine dummen Spiele wie Sakura oder Jessica. In ihren Augen lag eine erschütternde Tiefe, ein Ausdruck, der ihn bereits auf dem Flughafen in seinen Bann gezogen hatte. Etwas an ihr weckte in ihm den Wunsch, sie zu beschützen – und das war gefährlich.

Er warf den Stock von sich und ließ sich auf das niedrige Futonbett sinken. Er durfte sich nicht zu einer Beziehung hinreißen lassen. Was war, wenn die sechs Wochen vorüber waren? Laura würde in ihre Welt zurückkehren, und er musste sie gehen lassen. Sicherer war es doch, erst gar nichts mit ihr anzufangen. Ihr klar zu machen, dass er nicht an ihr interessiert war. Das war der richtige Weg für sie beide. Jede Beziehung endete irgendwann – und zurück blieben nur Scherben. Das hatten seine Eltern ihn gelehrt. Sex war in Ordnung, aber Beziehungen brachten nur Schmerz. Er schloss die Augen und träumte von Lauras hüftlangem Haar, das die Sonne fing.

Laura wagte sich nicht auf das gemütliche Bett zu legen. Sie befürchtete sofort einzuschlafen, wenn sie lag. Zuerst schloss sie die Inspektion ihres Zimmers ab. Der große weiße Schrank quietschte leise, als sie die Tür öffnete. Er war geräumig und würde ihren Kleidern ein gutes zu Hause bieten.

Laura dachte über Jessica und das Anwesen nach, während sie zum Bett ging und das grünlich schimmernde Kleid aufhob, das Jessica ausgewählt hatte. Dieser Ort war verrückt. Fast surreal. Sicher, ihr Vater war nicht arm gewesen, und sie hatten nie schlecht gelebt. Aber mit diesem opulenten Luxus ließ es sich nicht vergleichen. Fast war sie froh, eins von Jessicas Kleidern anziehen zu können. Ihre eigenen waren weit preiswerter und schlichter.

Ihre Finger glitten über das smaragdgrüne Tüllkleid mit dem glänzenden Unterstoff und den dünnen Trägern. Es betonte die Farbe ihrer Augen. Eine leichte Röte stieg in ihr Gesicht, als sie die beiliegende Unterwäsche betrachtete – obwohl sie sicher war, dass es das Züchtigste war, was Jessica in ihrem Schrank gefunden hatte. Sie wickelte die dunkelrote Reizwäsche zusammen mit der beigefarbenen Feinstrumpfhose in das Kleid und machte sich auf den Weg nach unten.

Es war ein merkwürdiges Gefühl über den weichen Teppich im Flur zu gehen, in den sie mit jedem Schritt leicht einsank. Sie war eine Adelige auf dem Weg zu ihrer Toilette. Laura musste kichern. Sie fragte sich, wie es Jessica in einer WG aushielt. Man kam sich doch ständig in den Weg.

Der Geruch nach gebratener Ente mit Gemüse zog durch den Gang und das Treppenhaus. Laura flüchtete sich ins Bad, ehe sie in Versuchung geriet, die Küche zu überfallen.

Sie öffnete die Tür zum linken Bad und blieb stehen.

Allein für dieses Bad kann man jemanden töten.

Ungläubig betrachtete Laura den Marmorfußboden, in den eine große weiße Wanne eingelassen war. Neben der Wanne stand eine knöchelhohe Ablage für Shampoo und Duschbad in teuren Glasflaschen. Alle Wasserhähne waren golden, und die Spiegel an den Wänden griffen das Muschelornament auf, das Laura schon öfter im Haus aufgefallen war. Zur Toilette führte eine weitere Tür, die offen stand. Laura legte ihre Sachen auf einen weißen Rokoko-Tisch, der dem in ihrem Zimmer ähnelte. Auch im Bad standen Blumen. Aus einer großen Vase auf einem niedrigen Mosaikschemel ragten drei Paradiesvogelblumen mit ihren orangeblauen Köpfen, die sich wie ein buntes Rad in die Breite entfalteten. Laura musterte die Badewanne und bedauerte, dass sie nur darin duschen würde. Nach und nach zog sie ihre Kleider aus und legte sie neben das dunkelgrüne Kleid. Sie blickte zum Fenster, das sehr weit oben lag und so vor neugierigen Blicken schützte. Vorsichtig entfernte sie das Gummiband auf dem Hinterkopf aus ihren Haaren. Ihre langen Haare hüllten ihren nackten Oberkörper ein.

Mit einem zufriedenen Lächeln griff sie nach dem Duschkopf und drehte das Wasser auf. Leise rauschend strömte es ihr entgegen. Sie fühlte mit der Hand die richtige Temperatur ab und hob den Duschkopf über ihren Körper. Das Wasser ließ ihre Haare zu einem schweren feuchten Vorhang werden. Es tat gut, das reinigende Wasser auf der Haut zu spüren. Warm und weich rann es an ihr hinab und spülte den anstrengenden Flug fort, der sie verschwitzt und müde zurückgelassen hatte. Sie strich sich mit den Fingern durch die langen blonden Haare, bis sie das Gefühl hatte, dass auf ihrem Kopf wieder Ordnung herrschte.

Takeo. Mit geschlossenen Augen dachte sie an die Fahrt auf dem Motorrad zurück. An seinen warmen, vertrauten Körper, der schützend und aufregend zugleich war. Wie schön wäre es, wenn er ihr jetzt zusehen könnte. Ob sie ihm gefallen würde? Laura strich ihre langen Haare zurück, wanderte mit ihren Fingern langsam vom Hals hinunter zu ihren vollen Brüsten und verharrte dort. Wie oft war sie um ihre Brüste von ihren Freundinnen beneidet worden. Aber ob sie schön genug waren für Takeo? Mit der Hand hob sie ihre Brust leicht an, fühlte das Gewicht und die Rundung. Ihr Daumen bewegte sich zögernd auf und ab.

Sie spürte ihre Brustspitze, streichelte sie liebevoll, ehe ihre Hand über den flachen Bauch in Richtung Oberschenkel noch tiefer glitt. Zaghaft rutschte ihre Hand weiter. Das Rauschen des Wassers lag in ihren Ohren und ließ sie an das Meer denken. Sie presste die Fingerkuppe ihres Zeigefingers fordernd auf ihre Klitoris.

„Süße, ich weiß nicht, ob du so viel Zeit hast.“

Laura fuhr erschrocken herum, der Duschkopf in ihrer linken Hand zuckte wild zur Seite und bedachte einen Großteil des Bades mit einer unverhofften Dusche.

Jessica wich zurück. „Du machst mein Kleid nass!“

„Was willst du hier?“ Laura spürte ihr Gesicht ebenso heiß wie ihre Schenkel. „Warum schleichst du dich hier rein?“

„Ich wollte bloß sehen, ob du zurecht kommst, aber anscheinend fühlst du dich schon wie zu Hause.“ Die Schwester grinste frech und legte zwei große weiße Handtücher auf dem Rokoko-Tisch ab. „Ich bin schon weg.“ Sie beeilte sich zur Tür zu kommen. „Und träum weiter von Takeo!“

Laura, die vor Scham nicht dazu gekommen war, ihr zu antworten, schnappte sich das Stück Seife vom Wannenrand und schleuderte es der Schwester nach. Sie erwischte nur die Tür, die Jessica lachend hinter sich schloss.

Verärgert griff Laura nach dem Shampoo. Das würde sie Jessica heimzahlen.

Als Laura das geräumige Wohnzimmer mit dem Kamin und dem altertümlichen Esstisch betrat, kam sie sich wie bei einem Casting vor. Acht Gesichter wandten sich zu ihr um, die sie neugierig musterten.

Jessica saß am Kopfende des Tisches und stand nun auf. „Laura! Schön.“ Sie lächelte betörend in die Runde. „Meine Zwillingsschwester Laura“, stellte sie vor. „Und das hier sind Takeo – den du ja schon kennst – Kazuya, Yori, André, Hiroki, Yukiko und Sakura.“ Ihr Lächeln wurde noch intensiver. „Setz dich, komm.“ Sie wies auf den leeren Platz neben Takeo.

Rot um die Nasenspitze ließ Laura sich auf den grün gepolsterten Stuhl sinken.