Tom 1 - Sigrid Schmidt - E-Book

Tom 1 E-Book

Sigrid Schmidt

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Beschreibung

"Thomas",Tom, ist ein Engel. Kein gemessen schreitender Herr mit Rauschebart , langer Toga und Wallelocken, sondern ein hart arbeitender Mann, der gerne Billard spielt, Jeans und Hemd trägt, dunklen Tabak raucht und gerne einen, oder auch zwei, hebt. Er schwitzt viel, was er auf die Prämisse der Unsichtbarkeit schiebt, genauso, wie seinen inneren Zwiespalt mit den üblichen Regeln, "...keiner darf dich sehen, ...keiner sich erinnern, ...keiner wissen, dass...!" I Im Regeln einhalten war er sowieso noch nie besonders.......! Das ist auch bei Rolf ,seiner Frau und dem toten Baby nicht anders. Und bei Frau Schubert hat er arge Mühe. Selbstmörder ! Eine sehr eigene Spezies Mensch.........

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Prolog

Möchten Sie gerne ein Engel sein?

Als Belohnung für viele, mühsam erbrachte, tapfere Leben?

Dauerdienst schieben?

Keinen Urlaub, keine Sonntage, keine Feiertage?

Im Gegenteil, an diesen Tagen ist es besonders anstrengend.

Sicher, es ist eine Auszeichnung vom Big Boss.

Zukünftige Erdenleben mit all dem Mist wie, Pubertät, Krankheiten, Schmerzen, Ehe, inklusive Familie, bleiben einem erspart.

Die ersten hundert Jahre macht es auch noch Spaß.

Meistens jedenfalls.

Da achtete ich noch auf ein weißes Hemd, einen leuchtenden Glorienschein, wenn angebracht.

Freute mich über die verdutzten Gesichter der Unfallopfer.

Führte, die mir Anvertrauten, angemessen schreitend, an die

Himmelspforte, oder begleitete sie bei ihren Abschiedsgängen.

Irgendwann lässt es nach.

Bei Jedem.

Anfangs genießt du es, durch einen Gedanken zu reisen, die Hitze der Wüste nicht zu spüren, die Kälte des Polareises. Unangetastet durch einen Orkan zu gehen.

Nichts rührt dich an. Keine Schneelawinen, keine Lavaströme.

Nichts berührt deine Haut!

Nicht der Tau der Morgenwiesen unter deinen nackten Füßen,

nicht warmer Sommerregen auf deinem schweißnassen Gesicht.

Du hast keinen Hunger, keinen Durst, keine Notwendigkeit zu atmen.

So fängt es an.

Bei den meisten fängt es so an.

Bei mir fing es so an.

Ich wollte ein schönes Glas kalte Limonade, ein Billardspiel

dazu und danach eine schöne Zigarette.

Ich wollte eine Jeans, ein, auf der Haut kühles, Hemd. Einen,

vor Ketchup triefenden, Hamburger.

Ich wollte unter ihnen sein.

Wollte sie riechen, mit ihnen reden, mit ihnen streiten, gesehen werden.

Unerkannt! Anfangs jedenfalls.

Es ist verboten!

Es verstößt gegen die Regeln!

Kein Lebender darf dich sehen, keiner wissen wer du bist!

Niemand fragt einen Engel, wie es ihm geht.

Niemand fragt mich, wie es mir geht.

Niemals!

Niemand tröstet mich, niemand streicht mir übers Haar, oder übers Gesicht.

Gott!

Du hast keine Ahnung, wie sehr einem das fehlen kann!

Diese Hoffnung, auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Denn was bleibt, wenn du nichts mehr fühlst?

Wir Engel haben vielleicht keine großen Gefühle mehr.

Warum auch? Wenn der Tod seinen Schrecken verliert, wenn die Wiedergeburt zur nervenden Gewohnheit wird.

Aber die Stelle, an der sie einst waren, im Bauch und im Brustkorb, die ist leer.

Eine Öde. Ein leerer, verlassener, gefühlloser Ort.

Eine Geisterstadt, ein vertrockneter Garten, ein Rahmen ohne

Bild, ein Korb ohne Hund.

Er ist doch Gott!

Er hätte, für sein Heer der Engel, doch eine eigene Spezies schaffen können! Aber, nein!

Ein paar ausgeschlachtete Seelen tun´s ja auch!

Für den natürlichen Effekt, denke ich mal.

Überhaupt, wird man in diesem Job erst gut, wenn man begriffen hat, dass es nicht das ist, was einem genommen, sondern das, was einem gegeben wurde.

Das dauert lange.

Sehr lange!

Bei den Klugen geht es schneller.

Ich bin da eher blöde.

Oder vielleicht hat man bei mir nicht richtig gearbeitet. Irgendwas ist hängen geblieben.

Die Stelle schmerzt wenn es traurig wird und juckt wenn es zum Lachen ist.

Im Innersten, weit unten, in den Stollen meiner Seele.

Ich rede mit den anderen nicht darüber.

Sie spüren sowieso mehr, als ich ihnen je sagen könnte. Vielleicht aber, weil auch ich ihre Gedanken höre, ihre Zweifel spüre, ihre Qual?

Manchmal.

Weil ich mich dann einen Moment in ihrer Nähe herumdrücke, herumdruckse, mich albern benehme, sie in den Arm schließe, immer in der Angst, jemand könnte meinen Gefühls-Makel entdecken.

Keine Ahnung warum sie mich respektieren und in ihrer Mitte dulden.

Wegen des Poker Spielens vielleicht?

4

Immerhin weiß der Big Boss wie ich bin.

In meinem Innersten.

Tief innen.

Und er behält mich trotzdem. Oder gerade darum.

Vielleicht mag er die Besonderen, die schiefen, die hässlichen, die dummen.

Würde ihm ähnlich sehen!

Nur einige Male war ich in seiner Nähe und wäre er nicht abgelenkt gewesen, denn er gibt gerne mal den schwachen Menschen; Ich wäre an seiner Reinheit verbrannt, wie Dädalus, im Licht der Sonne.

5

Seit ein paar hundert Jahren mache ich jetzt diesen Job

Und wenn sie jetzt den Kopf schütteln; die Zeit verging wie im Flug!

Denken sie doch mal daran, wie schnell Ihre Lebensjahre vorbei fliegen!

Wie alt sind Sie denn jetzt?

Sehen sie!

6

Ich brauche nicht zu essen, nicht zu trinken, nicht zu atmen.

Ich tue es, damit ich nicht auffalle, aber mir fehlt die Freude, der Geschmack, die Wohltat, daran.

Ich brauche nicht zu schlafen, trotzdem ruhe ich, wenn ich Gelegenheit dazu habe.

Ich weiß intuitiv, welche Wohnung für mich frei ist, wohin ich mich zurückziehen kann und wie lange.

Ich brauche keine Schlüssel, eigentlich nicht mal eine Tür.

Ich liebe es fern zu sehen, eine dolle Erfindung, und ich esse gerne Chips und anderes Knabberzeug, dazu.

Manchmal bekomme ich so meinen Auftrag, während eines Filmes, oder der Werbung.

Die, von der Zentrale, lassen sich da richtig was einfallen.

Erst erscheinen die rotierenden Sonnenstrahlen von irgendeiner alten Filmfirma, dann wird getanzt, oder gesungen, oder es steht einfach da.

2.34 Uhr, XY- Straße, schrecke den Fahrer des weißen BMW auf!

Zur Sicherheit brennt sich der Auftrag tief in mein Gedächtnis, damit ich nicht „verschlafe„; Und die Wegbeschreibung ist auch gleich dabei.

Brauche ich Fahrkarten, oder irgendwelche Papiere, erscheinen diese genau vor meiner Nase und, wenn ein Lebender in meiner Nähe ist, in einem Pub zum Beispiel, findet sich alles in meiner Hosen, oder Jackentasche, oder es findet sich eine Tasche, oder einen Rucksack, der plötzlich mir gehört, den man mir, oft genug, nachtrug.

Brauche ich Geld, habe ich es schon in der Tasche, oder im Portemonaie, oder wo auch immer. Ich muss nur daran denken.

Dazu habe ich ein klingeln im Ohr, das niemand überhören könnte.

Irgendwann fragte mich einer meiner, wohl akustisch empfindlichen Mitspieler, zwischen zwei Billard Stößen, „…. hören Sie das auch? Dieses nervige klingeln ….?“ Erst da haben sie meine Einwände ernst genommen und es ein wenig leiser gestellt.

Auf mich hört da oben ja sonst keiner!

Jedenfalls ist es nicht so einfach, einen Fahrer „nur“ zu erschrecken.

Sicher, ich mache mich gut als Stuntman, kann mich doch nichts verletzen, aber es muss schon echt aussehen, er darf sich dabei aber auch nicht zu sehr schrecken.

Keinen Schock bekommen, oder so.

Er darf mich aber auch nicht überfahren, wie sollte ich ihm denn meine Unversehrtheit erklären.

Eventuell würde er gar, vom Plötzlichen überfordert, Fahrerflucht begehen, so im ersten Gedanken, in der ersten Verwirrtheit, im Halbschlaf.

Also, am besten nur den Daumen raus und dann kurz vor dem Touché, schreiend und zeternd, vor dem Kotflügel flüchten.

Sich in den Graben, oder ins Gebüsch stürzen.

Nicht ganz so einfach wie es sich anhört.

Klar könnte ich mich auf „Durchgang“ schalten, damit er mich nicht trifft, aber stellen Sie sich vor, er führe durch mich hindurch?

Sicher, am einfachsten wäre es, ich stelle mich einfach auf die Straße, halte ihn an, weil der Wagen mir sowieso gehorcht wenn ich es möchte und erkläre ihm, dass ich ein Engel bin, der ihn, für einige Sekunden, aufhalten soll.

Er hätte mich, nach einer kleinen Weile, wieder vergessen.

Wäre da nicht der Umstand, dass nicht alle Gehirne gleich funktionieren.

Manche behalten die Erinnerung, auch wenn sie uns vergessen sollten.

Deshalb ist es uns streng untersagt, uns zu erkennen zu geben.

Also, einfache Regel; Je kleiner die Aufgabe, desto schwieriger!

7

Richtig lustig sind eigentlich nur die Aufgaben, bei denen wir uns präsentieren dürfen.

Jedenfalls für mich!

Wenn ich mal wieder meine Flügel auspacken darf und einem Widerling, einem Drecksack, einem Menschenschinder, richtig in den Hintern treten darf!

Schade nur, dass die Hölle eine Erfindung der römischkatholischen Kirche ist und der Fiesling, stattdessen, vor derselben gütigen Gerichtsbarkeit landet, wie der Gerechte.

Aber das urteilen ist, Gott-sei-Dank, nicht mehr meine Sache!

8

Irgendwas sagt mir, dass es eine Frau ist, die mir meine Aufgaben schickt.

Sie ist dabei äußerst kreativ.

Textpassagen in Büchern, die ich gerade lese.

Inhalte auf einem Werbeflyer.

Werbetext auf einer Plakatwand. Zahnpasta, mit einem grinsenden Foto von mir.

Nachrichten auf dem Einwickelpapier einer Mandarine, oder eines Räucherfisches.

Der Aufdruck auf einem Bierdeckel.

Ein Kinoplakat, mit mir und Meg Ryan.

Ansichtskarten, Eintrittskarten. Restaurantrechnungen.

Und noch während ich ihr ein lobendes Lächeln dafür zuschicke, fühle ich ihre zufriedene Wärme.

Ich stelle Sie mir vor, wie Sie da in ihrem Büro für Aufgabenverteilung sitzt und sich neue Tricks für mich ausdenkt, oder den Knopf, fürs klingeln, drückt.

9

Einen kleinen Knack, im Regelwerk für den „Umgang zwischen Mensch und Engel“, gibt es dann doch.

Alle Kinder können uns sehen. Immer und überall wissen sie, wer wir sind, auch wenn wir keine Flügel sehen lassen.

Warum das so ist?

Keine Ahnung!

Vielleicht, weil Kinder noch keine Makel, keine Last, keine Verantwortung, in ihrem Gewissen, oder ihrer Seele tragen und darum nicht den Wunsch haben, es möge uns nicht geben.

Oder weil sie dem Himmel noch nicht so lange fern sind und keine Angst davor haben, dorthin, an den Ort aller Seelen, zurück zu kehren.

10

Ich habe, die letzten Tage, in einer kleinen Wohnung in der Rosenstraße verbracht.

Kinderbilder schmücken den Kühlschrank.

Die Vorhänge sind alt, aber sauber, genau wie die Möbel, die Wäsche und die Kleidung.

Ich generiere ein paar Hunderter und deponiere sie in der Kaffeedose. Wäre es falsch von mir, würden sie verschwinden, zusammen mit mir.

Seine Handlungsweise ist und war mir nie ersichtlich, aber ich verlasse mich blind auf seine Absichten.

Alles hat seinen Sinn, seine Ursache und Wirkung.

Ungeheuer große Wirkung.

Macht euch keine Mühe!

Ihr könnt es nicht überblicken. Euer Leben ist dafür einfach zu kurz.

11

Ich spüle gerade meine Tasse.

Kaffee!

Eines meiner Laster.

Es ist nicht sein Geschmack, sondern die Tiefenentspannung, die Konzentration auf den Genuss und das eigene Wohlbefinden.

Einfach herrlich, überhaupt mit geschlossenen Augen, auf einem Sonnengefluteten Balkon. Das Gesicht der Wärme hin gereckt, in der Stille des Morgens, die Gedanken bei den Menschen, die man liebt.

Das Radioprogramm spielt eine meiner Lieblingsmelodien und ich spitze die Ohren. „Achtung, Achtung. Und hier eine Sondermeldung für Herrn Tom Engel. Herr Tom Engel möchte sich bitte umgehend, bei seinem Arbeitgeber melden. Herr Tom Engel, bitte melden!“

Ich fühle ihre angespannte Erwartung, auf meine Überraschung und schicke ihr meine Hochachtung für ihre Idee.

Sie lächelt.

12

Jeden Tag verbringen wir unter euch.

Sitzen unerkannt neben euch in der Straßenbahn, beim Arzt, in der Kantine.

Wir bringen euch an den Rand des Lichtes, am Ende eures Lebens, halten eure Hand, flüstern euch Hilfe zu. Fangen Postboten ab, halten Busse auf, verstecken Schlüssel, lassen es regnen.

Die meisten treffen wir nur wenige Minuten, weil sie uns nur für Kleinigkeiten brauchen.

Einige Seelen begleiten wir ein ganzes Leben und sollen einfach nur da sein, sonst nichts.

So wie in diesem Fall ………..

1

Er lag neben ihr.

Rolf.

Sie betrachtet sein schlafendes Gesicht, zieht dabei, mit den Augen, die Linien der Lachfältchen nach, sieht ihm beim träumen zu.

Sie kennt seine Mimik.

Mal ein leises Lächeln; eine unwirsche Stirnfalte, weicht entspannter, leuchtender Freude.

Sie widersteht dem dringenden Verlangen, ihn auf seine warmen, weichen Lippen zu küssen. Widersteht, weil Sie weiß, er wird sie abwehren.

Sie möchte geküsst werden, aber er küsst sie nicht, nicht mehr.

Sie möchte gestreichelt werden, aber er streichelt sie nicht, nicht mehr.

Sie möchte in seinen Armen sein, aber er hält sie nicht mehr.

Sie dreht ihm den Rücken zu, kurz bevor er wach wird, bleibt liegen, bis er fort ist.

2

Es sind nur wenige Schritte bis zum Zebrastreifen.

Sie hört den Motor des LKWs ein wenig hinter sich.

Sieben Komma fünf Tonnen, gelb-grün.

Er kommt von rechts. Irgendeine Spedition von außerhalb.

Der hat die richtige Größe, das richtige Gewicht.

Energie, gleich Masse mal Geschwindigkeit.