"Etti" - Sigrid Schmidt - E-Book

"Etti" E-Book

Sigrid Schmidt

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Beschreibung

Etti wächst in den Bergen auf. Sie liebt ihr Dorf, die Menschen dort und Sie wird von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, geliebt und behütet. Alles wird anders, als Sie von Vincenz zur Ehe erpresst wird, von ihm vergewaltigt wird, als er ihre Eltern ermordet. Etti flieht, weil es ihr Innerstes verlangt, dorthin wo ihr Vater gefallen ist. Trifft dort Pierre und Madame und Christine. Sie bekommt ein Kind, wird inhaftiert, lernt Solidarität kennen. Aber noch ist das Buch nicht zu Ende, noch lange nicht! Und auch wenn, bleibt eine Frage: Ist Rache und Gerechtigkeit dasselbe?

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Vorher, auf ein Wort

Lieber Leser!

Ich freue mich, dass Sie hier sind!

Aber bevor Sie mit dem lesen beginnen, bitte ich Sie um Eines;

Sehen Sie großmütig über meine Fehler, bei den Kommata und der Rechtschreibung hinweg, es sei denn, es bereitet ihnen Freude, diese zu finden.

Jetzt aber!

1

Margarete Brandner saß auf dem dicken, breiten Brett, vor dem Haus.

Ihr Mann Toni hatte es, mit zwei mächtigen Nägeln, dorthin genagelt.

Auf den Stumpf, des schiefen Baumes, der zwischen den Wegsteinen und der Hauswand, aus dem Ritz, mit nur wenig trockenem Sand darin, heraus gewachsen war und, in seiner Lebenszeit, bedrohlich die Wand angehoben hatte. Auf der anderen Seite lag es auf der runden, glatten Glatze eines Felsens auf, der, an der Ecke des Hauses, aus dem Grasland heraus schaute, das sich hinter dem Haus bergan schob, bis weit hinauf, zur Baumgrenze, unter die kahlen Gipfel der Granitberge.

Der hölzerne Keil, zwischen Fels und Brett, dehnte sich mit der Nässe des Spätjahres, des Nebels und des Schnees und schrumpfte mit der Trockenheit des Sommers.

Das Brett wackelte also. Von Anfang an.

Das letzte Mal, als sie hier gemeinsam saßen, der letzte Tag, vor seinem Marschbefehl, hatte er einen Stein in den Hohlraum zwischen Fels und Brett geklemmt. Fürsorglich, um seiner schwangeren Frau den Schrecken des Wacklers zu ersparen.

Sie saßen, hielten sich an den Händen, schauten auf die Dächer der Gutshäuser und Katen unter sich, die schmalen Rauchsäulen aus den Kaminen, sahen die Sonne untergehen und schwiegen, Hand in Hand.

Saßen noch, schwiegen noch, als die ersten Sterne zu sehen waren. Schwiegen, als der Mond, halbvoll, an den Himmel stieg.

Jetzt ahnte sie ihn mehr, als sie ihn sah, umklammerte seine Hand, wie ein einzig rettendes Seil.

„Du wirst sehen, bald ist dieser elende Krieg vorbei, dann komm´ ich wieder nach Hause! Dann bin ich wieder da und alles ist gut! Und solange hilft dir die Mutter! “ Mehr traute er sich nicht zu sagen.

Er liebte sie noch einmal, vorsichtig, auf dem sanften Hang, neben dem Felsen, in der Schwärze der Nacht. Lag danach in ihren Armen, streichelte ihren runden, prallen Bauch, küsste ihn.

Hätte sie sonst seine Torheit schelmisch gerügt, wäre, lächelnd, durch sein kurzes, blondes, struppiges, Haar gefahren, lies sie ihn jetzt, wortlos, gewähren.

Bei Anbruch der Dämmerung zwängte er sich in die grüngraue Uniform, zog den Tornister, mit dem Bajonett und dem Essgeschirr darüber; Nahm sie jede seiner Bewegungen in sich auf, wollte sie bewahren, keine Einzelheit vergessen, oder übersehen.

Sie hatte anschreiben lassen, für die Wolle, hatte ihm noch zwei Paar neue Socken gestrickt. Hoffte, sie würden ausreichen, seine Zehen vor dem wundscheuern zu schützen. Vor der Kälte, dem marschieren, dem Krieg.

Sein Abschiedskuss war nicht mehr als ein stummes, flüchtiges, vorbeiwischen an ihrer Wange, bevor er sich umdrehte und ging.

Sie wollte schreien. Ihn aufhalten. Festhalten. Zumindest ihm folgen. Oder auch nur hinter ihm hergehen, nur in seiner Nähe sein, solange es noch ging.

Schließlich war sie ihm den ganzen Weg gefolgt, in der Dunkelheit, schwer atmend, ihm keuchend gefolgt, um auch nur das kleinste Stückchen seiner Ansicht fest zu halten, den Fetzen seines Jackenärmels, bevor er hinter der Mauer des Bahnhofes verschwand, in den Wirren der andern Uniformen, der anderen Ärmel, dem stampfen der Dampflok, den tanzenden Bajonetten.

Ihre Augen hatten die seinen nicht mehr gefunden, in den überfüllten Wagen, in der Masse der Menschen und der Tränen. So war der Zug gefahren.

Seltsam stumm war es geworden.

Stumm standen die Frauen, die Kinder, die Mütter und Väter. Ein jeder für sich, auf den Punkt am Horizont starrend, an dem der Zug verschwunden war. Jeder entschied für sich, und allein, wann es Zeit war zu gehen. In der neuen Dämmerung traten die Umrisse einer Frau zu Margarete.

“ Geh´!“ Befahl sie. „Geh´ heim! Denk´ doch an dein Kind, dummes Ding!“

Margarete fand den Weg zurück ganz leicht, war es doch der erste, den sie gegangen war. Der Fußweg, zwischen Hof und Dorf.

Mit dem Aufgang des hellen Mondes, gegenüber der Sonne, traf sie wieder zuhause ein. Setzte sich auf das Brett und wartete.

2

Toni wäre liebend gerne zu Hause geblieben. Was galten ihm die Streitereien der Politiker, der Militärs? Was gingen sie ihn an, die, die sich nicht um ihn scherten?

Was wissen die feinen Herren, in den feinen Häusern, schon von Kühen? Was, vom buttern und käsen, oder dem mähen und dem einbringen vom Grasland, vom Winterfutter für das Vieh.

Sie wussten auch nicht, wie schwer ein Kübel Milch für ein Schwangere, oder eine Alte waren.

Toni fluchte, mit allen Leibeskräften, dann fasste er nach der blechernen Medaille des heiligen Antonius, die ihm um den Hals hing und betete inbrünstig und mit gesenktem Kopf.

3

Die Luft in den Waggons wurde mit jedem Halt dicker, von denen, vor Angst, kotzenden Jungen und den dauerrauchenden Alten.

Er suchte in den mitreisenden Gesichtern, welcher wohl der wäre, der mit ihm in die Schlacht musste, wenn es denn dazu käme.

Mit etwas Glück bliebe es bei der Zugfahrt.

4

Er schlief kaum, in der überfüllten Kaserne, auf der harten Pritsche, nach dem kriechen im Staub und im Schlamm, den schmutzigen Übungen, dem militärischem Drill und dem schlechten Essen und der Tatsache, dass es zu wenig Waschräume und Toiletten gab. Er weinte und er schämte sich nicht, konnte ihn doch niemand dabei sehen.

Mit jedem Mal, mit jedem antreten auf dem Exerzierplatz, war er jetzt wütender, wurde es ihm darum leichter das Bajonett brüllend in den Strohsack zu stoßen. Die Hoffnung, dies nie einem Menschen antun zu müssen, blieb.

5

Seine Uniform stank nach seinem Schweiß der letzten Tage. Sein Geruch puffte ihm entgegen, als sie sich in die Viehwaggons ziehen mussten.

Sie ließen die Waggontür offen, waren doch alle dankbar, für jeden Schwall frische Luft, der nach Baum, oder Gras, nach dem Dampf der Lokomotive, oder nach gar nichts, roch.

Sie fuhren zwei Tage und Nächte, leerten ihre Blasen an der halboffenen Tür, für alle anderen Bedürfnisse gab es einen Eimer mit einem schiefen Deckel, in der Ecke und man bedauerte jeden, der ihn benutzen musste.

Gegen Nachmittag wurde es lauter und es roch nach verbrannter Erde, nach Blut, rohem Fleisch und nach Pulverfeuer und Bomben.

Der Krieg stank erbärmlich, genau wie die Idee dazu.

Jemand verteilte Brot und es kam ihm in den Sinn, ob dies wohl, für viele von Ihnen, eine Henkersmahlzeit sei.

Er wollte nicht mitmachen. Er wollte leben!

Zurück nach Hause, zu Marga und dem Baby. Zu seiner Mutter und seinen Feldern, seinem Vieh und seinen Bergen.

Er würde sich, bei der ersten Gelegenheit, zurückfallen lassen, die Uniform, gegen ein Hemd und eine Hose tauschen und sich nach Hause durch schlagen!

6

Der Leutnant schrie, trieb sie zur Eile an, während sie, Einer um den Anderen, mitten auf der Strecke, aus dem, noch rollenden, Wagen sprangen.

Verborgen hinter den Resten eines Hofmauer, ein paar rauchenden Trümmern, kokelnden Balken, rohen Ziegelsteinen, vom Tod aufgeblähten Viehleibern, konnte er die Erde, nach dem Einschlagen der Granaten, in den Himmel aufschießen sehen.

Prasselnd fiel sie zurück auf hunderte Helme, auf tote, stöhnende, gesichtslose Köpfe.

Rennend folgte er den Rücken der Anderen, in den Schutz, der wenigen Mauerreste.

Etwas unter seinen Knien war weich und wabbelig und im aufgeweichten Schlamm, konnte er die Hand, mit den wenigen Fetzen Sehnen daran, deutlich erkennen, trug sie doch einen Ehering.

Erst dann sah er die Reste des Kameraden, sah in dessen ungläubig geweitete Augen, seinen unnatürlich abgewinkelten Unterleib, sah dass er in dessen Eingeweide kniete. Würgend und keuchend, erbrach er sich darüber.

Jemand zerrte ihn an seinem Kragen weiter, rechtzeitig, bevor die Eisenteile der getroffenen Waggons auch schon, sirrend, hinter ihnen, in die Ziegelsteine schlugen. Er hörte das schreien, das brüllen derjenigen, die eben noch neben ihm im gewesen waren.

Er rannte, wollte nur möglichst weit fort von den pfeifenden Schüssen, den dumpfen Einschlägen, dem Kreischen und Bluten, weg vom rosigen, rohen, lebenden Menschenfleisch und dessen Exkrementen.

7

Er rannte, bis es stiller wurde.

Der Wald, das Holz, der Boden hier, waren hart und trocken und die Bäume nur wenig belaubt, ganz anders als zuhause.

Er suchte sich ein halbwegs dichtes Bäumchen und schob sich an dessen Wurzeln, zwängte sich dicht unter die stacheligen Zweige, krümmte sich um den dünnen Stamm.

Er atmete den fremden Duft, mit geschlossenen Augen, fast döste er ein wenig.

8

Die fremden Soldaten schlichen, leise klappernd, durch das trockene Wäldchen.

Toni fixierte fest einen Punkt auf der Erde. Bewegte sich nicht.

Eine große Ameise trug einen Zweig auf ihrem Rücken, beständig voran, den anderen in der Serie folgend, vollkommen unberührt von den Dingen, die über ihr vorgingen.

Er verstand keines der geflüsterten Worte, fixierte, flach atmend, die Ameise.

Diese Sorte Angst kannte er nicht. Sie kam aus seinem fremden Inneren und er hatte das dringende Bedürfnis, aus seinem Versteck zu springen, nur um diese Angst zu beenden. Selbst sein Atmen schien ihm zu laut, verräterisch. Was konnte er tun?

Margas Gesicht. Wie sie lächelte, als er ihr diese Blume ins Haar steckte, damals. Ihre Silhouette gegen den leuchtenden Himmel. Wie sie duftete, nachts, wenn sie alleine waren.

Ob es wohl ein Junge, oder ein Mädchen werden wird? Ob es schon da war?

Wie würde Marga es nennen?

Wie lange würde er wohl, zu Fuß, nach Hause brauchen?

Längst war es still um ihn, aber er blieb liegen, entschlossen auf den Einbruch der Dunkelheit zu warten und dann ein Dorf zu suchen, um seine Uniform gegen Alltagskleidung zu wechseln.

9

Entgegen seiner Angst kroch er unter den Zweigen hervor, robbte bis zum Rand der Baumstämme. Stundenlang beobachtete er reglos die Umgebung, wartete auf den Mond, hielt dabei Ausschau, nach einem dieser leisen Schleicher.

Er fragte sich, wieso es hier keinen Kanonendonner, kein Gewehrfeuer gab.

Im Schutz des Mondlichtes schob er sich weiter vor, bis ans Ende der Wurzeln und da war es. Das Meer! Unendlich weit, unendlich groß, von einem dunklen Blau, von dem er nicht einmal wusste, das Wasser so blau sein konnte.

Fasziniert sah er diesen Wellen zu. Es schien, als wollte, eine jede dieser einzelnen Schaumperlen, an Land kommen und wurde doch immer zurückgerissen.

Nicht weit, schmiegten sich ein paar Häuser an hoch aufragende Felsen.

Von weitem konnte man das winkende flattern des gestreiften Hemdes, der Wäsche, auf der Leine, nahe des Hauses sehen.

Er legte sein Gewehr unter die nächsten Zweige, hatte er doch nie vorgehabt auf einen Fremden zu schießen, legte alles was klimpern, oder blitzen konnte ab. Schlich sich, in Unterhemd und Unterhose, barfuß, die wenigen Meter zur Leine.

Alles war dunkel. Alles schlief.

Er dankte Gott, dass sie keinen Hund hatten, und wand sich auch ein wenig verlegen, war es doch das erste Mal, dass er etwas stahl.

Die neue Kleidung roch seltsam, nach Salz und Fisch, aber das brachte ihn auf die Idee, in eines der Ruderboote zu steigen und an der Küste entlang zu rudern, bis er weit weg vom Donnern und Kriegen war.

Viele Stunden ruderte er am Rand der Küste entlang, fast konnte er den Strand schon nicht mehr sehen. Dann wurde er zum Land zurück getrieben, so sehr er sich auch mühte, kam er dem Hafen, den Menschen dort, immer näher.

Nur noch zwanzig Meter zum, noch menschenleeren, Strand.

Mit letzter Kraft umrundete er einen der Felsen, um sich, aus dem in der aufsteigenden Morgensonne bald weithin sichtbaren Bootes, auf die Felsen zu retten.

Die scharfen Felsen schnitten schmerzhaft in seine mageren Fußsohlen.

Zu spät. Das Boot schaukelte längst ohne ihn davon. Er würde, dicht an die Felsen gepresst, warten bis es wieder dunkel wurde, sich zum Sand vortasten, weitergehen, am Strand entlang, bis zu den Bäumen und dann darin verschwinden.

Falls er jemanden treffen würde, wäre er nur ein stummer Fischer, dem sein Boot abhanden gekommen war.

10

Die Kinder spielten am Strand, bis einer das gestreifte Hemd, das sich an die Felsen klammerte, entdeckte.

Etienne lief, nach Hilfe, nach seinem Vater schreiend, davon.

In Minuten hatten sie sich um den scharfkantigen Felsen versammelt. Sie warfen dem barfüßigen Fremden Schuhe zu, damit er auf den Felsen klettern konnte.

Es dauerte fast eine Stunde, dann endlich war Toni, von den Kindern und den Frauen des Dorfes umringt, herunter geklettert.

Er lächelte und nickte, zu den Fragen, den Reden, die auf ihn eindrangen.

Er deutete auf seinen Mund und schüttelte dabei entschuldigend den Kopf.

11

Der alte Bouvier war einer, den man nicht so schnell täuschen konnte, waren ihm doch die Begegnungen, mit dem ersten Krieg, allzeit gegenwärtig.

Und er wusste um die Sehnsucht, die, selbst ihn, beinahe, zu einem Abtrünnigen gemacht hätte.

Zu schmalen Schlitzen hatten sich seine Augen gezogen, sein Mund, spitz wie ein Pfeil.

Seine verbrauchten Muskeln hoben, mit aller Kraft seines Alters, eines der Ruder aus dem kleinen Boot. Krumm schlich er sich von hinten heran, und drosch, zweimal, mit dem Riemen, auf den Fremden, mit der so verräterisch weißen Haut, ein.

11

Lange Zeit war es totenstill, am Strand von °les briques°.

Man umstand den Fremden und wusste nicht so recht, was zu tun wäre, schaffte darum erst einmal die Kinder fort.

Die Alte Flambeaue kniete sich neben ihn.

Bouvier hatte dem Fremden den Schädel eingeschlagen, aber noch atmete er und lebte.

Das Medaillon des heiligen Antonius lag auf seiner Brust, dies war ihr genug Verpflichtung, also ließ sie ihn in ihren Stall schaffen.

Sie pflegte ihn, wusch ihn, gab ihm zu essen und, später, von der Schafsmilch zu trinken, die er so gerne mochte, und wartete, dass er anfinge zu reden.

12

Margarete tat, so gut sie konnte, aber der Bauch machte alles schwierig.

Das Melken der Kuh, der Ziege. Das Bücken, zum Eier aufsammeln. Das Wasser pumpen und tragen.

Sie hatte gehofft, Toni wäre wieder zuhause, wenn das Kind käme, aber die kleine Henriette wurde ohne ihn geboren und ohne ihn getauft.

Zum zweiten Mal war es, ohne Toni, Frühling geworden. Die Krokusse blühten. Und über die bunten Flecken hinweg, konnte sie den Postboten schon von weitem sehen, wie er den Weg herauf kam.

Die Mutter hatte sich neben sie gestellt und die Augen mit der Hand beschirmt, gegen das grelle Frühjahreslicht, bevor sie den Grund für Margaretes warten erkannte.

Ihr Arm sank müde herab und aller Lebensmut wich, mit ihrem Atem, aus ihrem Körper.

Mutlos, kraftlos, hoffnungslos, schlurfte sie zurück in den Stall.

Margarete stand, die kleine Henriette fest an der Hand, eine ganze Weile reglos, bis der Bote, immer langsamer werdend, die Wegsteine vor dem Haus erreichte. Sie musste sich ihm entgegen strecken; Reichte er ihr den Brief des Wehramtes, über die Spanne der Steine, als müsse er sich über eine tiefe Schlucht, über einen reißenden Bach, einen Höllenschlund, tief unten, dehnen.

Margarete reckte sich ihm entgegen, fasste den Brief, nur mit den Fingerspitzen, steckte ihn in die tiefe Tasche ihres Rockes, um ihn, später, ungeöffnet, ungelesen, in das kleine Holzkistchen, hinter den Stapel Betttücher, in ihrem Wäscheschrank, zu legen.

Eine Weile starrte der Bote stumm, schien, über das tosen der Höllenschlucht hinweg, Worte zu suchen, überlegte was er sagen konnte, war er sagen sollte.

Seine Kiefer mahlten stumm, dann salutierte er, drehte sich hastig um und rannte mehr, als er ging, davon.

Margarete setzte sich auf ihr Brett, nahm die kleine Henriette auf den Schoß, die müde ihr Köpfchen an sie legte, während sie die Tücken des Loches, eines Markknochen, mit den Fingerchen erkundete. Ihr Blick folgte ihrem Zeigefinger, der auf die Brust der Mutter deutete „Mama!“. „Ja! Und du bist die Hen-ri-et-te!“ „Etti?“ „Nein! Hen-ri-et-te!“

“Etti!“ „Na gut! Dann eben Etti! Auch ein schöner Name!“

13

Henriette stand regungslos in der Mitte der Großküche, tief in ihre stillen Gedanken versunken, wie unter einem dicken Glas. Niemand hätte gewagt, sie anzurempeln, trotz der immer gebotenen Eile, dem Lärm und der Hitze, huschten die Kellner, leise und vorsichtig um sie herum.

Ab und zu, blieb sie einfach stehen. Hielt inne. Mitten in der Bewegung stahl sie sich davon, in ihre Träume.

Man umrundete sie, wartete geduldig, bis sie zurück kam, die Teller entgegen nahm, den Köchen ein freundliches Wort schenkte, den Kollegen ein freundliches Lob, oder ein Lächeln.

Lief dann, wie alle anderen auch, mit den Tabletts, voller Teller und Gläser; Den ganzen Tag, die ganze Saison.

14

An einen freien Tag wollte Etti gar nicht erst denken. Schon allein die morgendliche Stille in der Küche bedrückte sie. Mit dem klappern der Töpfe und Pfannen kam ihre gute Laune. Sie liebte es. Die Geräusche, die Gerüche, die gezielten Bewegungen, den präzisen Ablauf.

In der Küche ist sie aufgewachsen. Stundenlang, tagelang, hat sie vor dem Fliegengitter des Küchenfensters gehockt, oder in der Nische unter der Spüle, und zugesehen und zugehört. Zuerst ihrer Mutter, dann dem Lenz, dann den Sous Köchen, dann den Lehrlingen.

Sie liebte die geheime Sprache, die kurz gebellten Antworten. Den Dampf, der unter den Deckeln hervorkroch, der nach Kräutern roch. Den Topfduft, den Geruch und Geschmack von frischem Rosmarin und Zitronenmelisse auf Vanilleeis.

15

Der liebe Gott habe sie alle am Leben erhalten, so sagte Mutter. Wie sie, damals, mit der kleinen Etti auf dem Schoß, auf dem Brett vor dem Haus gesessen hatte, kurz nach Kriegsende.

An dem Morgen, nach der Beerdigung der Schwiegermutter, mit der sie so lange gelebt und gewirtschaftet hatte.

Tonis Mutter war eine stille, fleißige Frau gewesen, die jeder Arg entbehrte, die nie Aufsehens um sich machte und die genauso gestorben war, wie sie gelebt hatte und die ihnen jetzt so sehr fehlte.

Zwei Herren, unverkennbar aus der Stadt, in dicken selbstgestrickten Socken, neuen, festen, derben Stiefeln. Mit Seilen und prallen Rucksäcken auf den Schultern, hatten gefragt, ob sie sich zu Ihnen auf die Bank setzen dürften.

Sie wussten wohl nichts von den Geboten, für die Menschen der Berge.

Sie hatte nach Gottes Gastgesetz gehandelt, die Männer hereingebeten in die gute Stube, die einzige Stube des Hauses, mit dem Herd darin, in dem immer ein Feuer brannte, immer Glut im Ofen war und einem gemauerten Spülbecken, um die Ecke.

Sie hatte frisches Wasser geholt und, mit dem letzten kostbaren Pulver, einen Kaffee gekocht. Frische Milch dazugestellt, das Brot aufgeschnitten, Speck und Käse zur Butter gestellt.

Die Fremden hatten eine Karte der Berge ausgebreitet, Aufstieg und Abstieg besprochen und ein rotes Kreuz dort eingezeichnet, wo der Brandner Hof lag.

Margarete hatte Ihnen einen guten Weg gewünscht und ein Bett für die Nacht, auf dem Rückweg, angeboten.

Dankbar hatte sie das Geld, das die Männer unter einen der Teller geschoben hatten, angenommen. Tags darauf, frisches Kaffeepulver beim Krämer davon gekauft und ein paar kleine Münzen davon zur Seite gelegt.

Nur einige Tage später waren die nächsten Kletterer gekommen. Richteten schöne Grüße von ihren Vorgängern aus und baten um Tisch und Brot. Sie bat sie herein.

Bald reichten die Münzen, um beim Schreiner eine Tafel zu bestellen.

„Brandnerhof“, „Jausen und Bett“.

16

Genau in dem Moment, als die Arbeit ihr über den Kopf zu wachsen drohte, als sie aufgeben wollte, kam Lenz.

Er trug einen hellgrauen, zweireihigen Anzug, polierte Schuhe und sein Haar war pomadiert. Sie wusste nicht, wo er herkam, hatte ihn auch später nie danach gefragt. Unter den braungebrannten, muskulösen Menschen der hiesigen Bergwelt, wirkte er einmalig, exotisch, blass und schmal.

Eine Weile saß er vor seinem schwarzen Kaffee, sah der Frau beim arbeiten zu.

Als vier weitere Bergsteiger, jovial lärmend, ihre Rucksäcke im Flur ablegten, mit den genagelten Schuhen die kleine Stube betraten und, die bereits sitzenden, zum zusammenrücken drängten, stand er auf, zog sein Jackett aus und krempelte die Ärmel hoch.

„Ich bin der Lenz. Ich bin Koch. Wenn sie es möchten, kann ich den Herd bedienen und sie schauen nach den Getränken und den kalten Speisen?“