Too late to love - L. Mattis - E-Book

Too late to love E-Book

L. Mattis

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Beschreibung

Deine Party-Aufgabe: Gestehe dem Bräutigam deine Liebe. Vernünftig, verlässlich und verlobt mit einer Frau – kurz: Noah ist definitiv nicht Kians Typ. Und das ist auch gut so, denn Gefühle für den besten Freund sind tabu, das haben die beiden vor langer Zeit vereinbart. Als Kian auf der Verlobungsparty zu einem falschen Liebesgeständnis überredet wird, denkt er sich deshalb nicht viel dabei, immerhin ist es nur ein dummer Scherz zwischen Bräutigam und Trauzeuge. Doch warum lacht Noah nicht? Gibt es Geheimnisse, die selbst beste Freunde nicht teilen? Und wieso weiß Kian plötzlich nicht mehr, ob er die Hochzeit weiter unterstützen oder lieber sabotieren soll? Zwischen Zweifeln und Hoffnung brennt bald nur noch eine Frage in Kians Herz: Hat er den Mann fürs Leben vielleicht schon verpasst? Zwei beste Freunde. Eine Hochzeit. Und die Frage nach der ganz großen Liebe.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Epilog
Lauri Mattis

 

 

WELTENBAUM VERLAG

Vollständige Taschenbuchausgabe

12/2024 1. Auflage

 

Too late to love – Nur sein Trauzeuge

 

© by L. Mattis

© by Weltenbaum Verlag

Egerten Straße 42

79400 Kandern

 

Umschlaggestaltung: © 2023 by Magicalcover

Lektorat: Sarah Di Fabio Zeilensucht

Korrektorat: Andrea Zimmermann / Petra Schütze

Buchsatz: Giusy Amé

Autorenfoto: Privat

 

ISBN 978-3-949640-89-6

 

www.weltenbaumverlag.com

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

L. MATTIS

 

 

 

 

 

 

Too late to love

Nur sein Trauzeuge

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Romance

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für A.

Hättest du nicht gesucht,

hätte ich nicht gefunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

 

Deine Party-Aufgabe: Gestehe dem Bräutigam deine Liebe. Beende die flammende Rede mit einem überraschten Blick in sein Gesicht und der Entschuldigung, du hättest ihn mit jemandem verwechselt, der ihm sehr ähnlich sieht.»Nicht im Ernst«, brummte ich.

Dani lachte. Über meine Schulter hinweg hatte sie einen Blick auf die gelbe Spielkarte in meinen Händen erhascht und offenbar gefiel ihr, was sie dort las. »Kian, das ist genial! Das ist einfach ge-ni-al. Ich muss unbedingt dabei sein, wenn du das machst.« Sie konnte sich kaum auf dem Stuhl halten vor zappelnder Begeisterung. »Ich will Noahs Gesicht sehen. Der wird so verwirrt sein.«

Ich schnippte die Karte auf den Tisch. »Das mach ich nicht.«

»Hey, sei kein Spielverderber. Wir spielen alle mit und meine Aufgabe ist viel schlimmer.« Dani hielt mir ihre Karte so nah vor die Nase, dass ich den Kopf nach hinten lehnen musste, um den Text darauf zu lesen: Stürme das Parkett mit einem wilden Tanz, der in eine Polonaise mit der gesamten Hochzeitsgesellschaft übergeht. Klatsche dabei in die Hände und singe ein Kinderlied.

»Was ist das für ein Unsinn?«

Dani verdrehte die Augen und zog die Karte wieder weg. »Mann, du stellst dich an. Ist doch nur Fun. Das sind nicht umsonst Chaoskarten. Die sorgen mit lustigen Aufgaben für ein bisschen Chaos auf einer Feier.« Dann stieß sie die junge Frau an, die zu ihrer Rechten saß. »Schau mal, Ingrid.« Sie winkelte die schlanken Arme an, als wäre ihr Oberkörper muskelbepackt, senkte das Kinn und fuhr mit übertrieben tiefer Stimme fort: »Hallo Schnecke, ich bin Kian. Ich hab Muskeln, aber keinen Humor. Siehst du das? Mein mega Bizeps. Stehst du drauf, was? Wenn du männlich wärst, würde ich dich gleich hier vernaschen. Pech für dich.« Die beiden brachen in gackerndes Gelächter aus.

Jetzt war es an mir, mit den Augen zu rollen. Ich hatte Humor. Und das nicht zu knapp. Ich konnte nur nichts mit albernen Witzen anfangen, insbesondere, wenn sie aus dem Mund von Danielle Sophie von Genshagen kamen und auf meine Kosten gingen.

Zum wiederholten Mal an diesem Abend fragte ich mich, welcher Wahnsinn meinen besten Freund befallen hatte, Danielle auf seiner Verlobungsfeier ausgerechnet neben mir zu platzieren. Hatte Noahs Verlobte Jeanette nicht genug oberflächliche Social-Media-Freunde, in deren Kreis Dani sich ausgezeichnet über Likes, Shares und Community Building hätte auslassen können? Außerdem saßen am anderen Ende der festlich gedeckten Tafel einige Cousins und Onkel des Brautpaares, mit denen ich deutlich lieber gefüßelt hätte, als meine Zeit hier mit Smalltalk totzuschlagen und mich nebenbei filmen zu lassen. Danis Instagram-Account musste inzwischen vor lauter Storys überquellen.

»Ich mache ein paar Videos mit dir«, hatte sie bei unserer Begrüßung verkündet und mir ein strahlendes Lächeln geschenkt. »Stört dich doch nicht, oder? Ich verlinke dich da auch nicht, außer du willst das.« Keine fünf Minuten später klebte ihre Handykamera in meinem Gesicht.

Im Land der Schönen und Reichen und ganz schön Reichen war es wohl schick, alles in Bild und Ton festzuhalten – egal, ob Trüffelpastete, Tischdeko oder ansehnliche Sitznachbarn, deren Verhalten sie mit Worten kommentierte wie »Dreh dich mal da hin. Jaaa, sexy«, gefolgt von »Sag irgendwas« und »Hör auf, so böse zu gucken, Kian! Ich hab dir gar nichts getan«.

Sehnsüchtig warf ich einen Blick zu Noah hinüber, der gerade in ein Gespräch mit seiner zukünftigen Schwiegermutter vertieft war. Wieso konnte ich nicht dort sitzen? Ich war sein bester Freund und Trauzeuge. Gab es nicht irgendeine Regel, die besagte, dass die Trauzeugen bei Braut und Bräutigam sitzen mussten?

Leider kannte ich mich nicht gut genug mit Hochzeitsbräuchen und Verlobungspartys aus, um mich darauf berufen zu können. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Noah bei der Planung überhaupt hatte mitreden dürfen, war gering. Bestimmt hatte Jeanette ihren Willen durchgesetzt. Die Rollenverteilung der beiden war leicht zu durchschauen. Auch jetzt. Während Noah zuhörte, lächelte und nickte, schallte Jeanettes lautes Lachen durch den ganzen Raum. Ihre gestikulierenden Hände wirbelten durch die Luft und hielten nur inne, um ab und an eine Strähne des goldblonden Haares zurückzustreichen, die sich aus dem lockeren Knoten in ihrem Nacken gelöst hatte. Ich kannte sie nun seit drei Jahren und hatte sie nie bedrückt oder schlecht gelaunt erlebt.

»Willst du noch was von der Knoblauchbutter?«

Widerwillig lenkte ich meine Aufmerksamkeit zurück zu Dani. In der einen Hand schwenkte sie ein Schälchen mit einem mickrigen Krümel Butter, in der anderen hielt sie eins der kleinen Brötchen, die als Fingerfood auf den Tischen standen und die Zeit zwischen Sektempfang und Abendessen überbrücken sollten.

»Nein, iss ruhig.«

»Oh, gut. Das Zeug ist übertrieben lecker.« Sie strich den Butterrest aufs Brötchen, biss herzhaft zu und schloss genießerisch die Augen. Knoblauchbutter verteilte sich um beide Mundwinkel.

Schade, dass es zu spät war, um den Moment mit der Kamera festzuhalten. Einen solch perfekt unperfekten Schnappschuss hätte ich gut als Revanche auf meinem eigenen Account posten können. Allerdings wäre dann die Gefahr groß, meine treuen Follower zu verschrecken, die mir nur wegen der Fitness-Bilder folgten. Definierte Brust- und Bauchmuskeln waren eventuell heißer als eine Dani mit Knoblauchbutter im Gesicht.

Möglichst unauffällig linste ich auf meine Armbanduhr und schnaubte frustriert. Erst halb sieben. War es egoistisch, dass ich mir als Trauzeuge gerade nichts Schöneres vorstellen konnte, als mich von dieser nervtötenden Feier zu verdrücken?

Vielleicht schon. Immerhin war ich für ihn hier. Mein Blick wanderte wieder zu Noah und Jeanette, die angeregt miteinander tuschelten. Sie rückte seine Krawatte zurecht, er strich ihr beiläufig über den Arm. Wenn ich eines nicht erwartet hätte, dann meinen besten Freund so früh als Ehemann in spe mit Anzug und Schlips zu sehen. Noah, der es bis zur Oberstufe nicht geschafft hatte, mit Mädchen zu reden, ohne bis in die Haarspitzen rot anzulaufen. Noah, der erst mit Anfang neunzehn mit einer Frau im Bett gelandet war. Und ebendieser Noah würde bald verheiratet sein? Ziemlich surreal.

Während ich dem merkwürdigen Gedanken nachhing, machte sich unter dem Partyvolk Unruhe breit. Stühle scharrten übers Parkett, ein paar Leute standen auf, andere bahnten sich den Weg zurück zu ihren Sitzplätzen.

»Zeit für Spiele!«, rief jemand.

Wilder Applaus brach aus.

»Brautpaar! Brautpaar!«, skandierte die Menge im Chor.

Ich gab mir Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen. Anstandshalber klopfte ich zweimal mit der Faust auf den Tisch.

Mit einem verlegenen Lächeln schälte sich Noah aus seiner Anzugjacke. Jeanette sprang an ihm vorbei, packte seine Hand und zog ihn hinter sich her zur freien Fläche vor dem DJ-Pult. Energisch drückte sie ihn auf einen der beiden Stühle nieder, die dort mit der Rückenlehne zueinander platziert waren, bevor sie sich selbst auf den zweiten setzte. Auf Geheiß eines Mannes mit dunklem Vollbart, der sich als Thomas vorstellte und vermutlich zu Jeanettes Familienseite gehörte, zogen sie sich die Schuhe von den Füßen.

»Als Nächstes tauscht ihr den rechten Schuh«, fuhr er fort. »Ja, genau so. Moment, stopp, du sollst Jeanettes Sandale nicht anziehen, Noah, nur in der Hand halten. Ich werde euch gleich Fragen vorlesen und ihr hebt immer den Schuh desjenigen, auf den die Behauptung am ehesten zutrifft. Alles verstanden? Dann kann’s losgehen.« Sich übertrieben räuspernd entfaltete er eine Liste. »Wie es sich gehört, starten wir ganz vorn – mit dem Anfang eurer Liebesgeschichte. Wer hat den ersten Schritt gemacht?«

Jeanettes weiße Riemchensandale schoss auf beiden Seiten in die Höhe. Vereinzelte Lacher waren zu hören.

Ich kannte die Geschichte natürlich. Jeanette hatte als Eventmanagerin eine Lehrerfortbildung organisiert, zu der Noah als Teilnehmer gekommen war, und während der Abendveranstaltung so offensiv mit ihm geflirtet, dass er mir noch in derselben Nacht von ihr vorgeschwärmt hatte. Damit, dass die »hübsche Blonde mit den blauen Augen« ein paar Jahre später seine Frau werden würde, hatte ich allerdings nicht gerechnet.

»Wer hat in eurer Beziehung das letzte Wort?«

Wieder fuhr die Sandale himmelwärts.

Jetzt wurde schon offener gelacht. Noahs Wangen nahmen eine mehr als gesunde Röte an. Ich verkniff mir ein Grinsen. So sehr er es auch hasste, ich mochte, wie schnell er sich in eine verlegene Tomate verwandelte.

»Wer legt mehr Wert auf Romantik?«

Jeanette reckte den polierten Anzugschuh nach oben. Auf Noahs Seite passierte nichts.

»Noah!«, kam es aus dem Publikum.

Jeanette blickte hoch, runzelte die Stirn und stieß ihren Verlobten an. Er zischte ihr etwas zu. Sie zischte zurück. Zögerlich hob auch er seinen Schuh.

Verdammt, das ist göttlich. Das Grinsen ließ sich nicht mehr zurückhalten und eroberte mein Gesicht von einem Ohr zum anderen. Das war schlichtweg fantastisch. Dermaßen fantastisch, dass ich nicht widerstehen konnte, mein Handy zu zücken und über die Köpfe der Sitzenden hinweg die Kamera auf ihn zu richten. Das musste ich für die Nachwelt festhalten. Oder für mich, um Noah bei Gelegenheit mit seiner Reaktion aufzuziehen.

Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Innerhalb der nächsten Minuten erfuhren alle Anwesenden nicht nur, dass Mr. Tomatengesicht chronisch unpünktlich, chaotisch und unordentlich war, sondern auch, dass er weder mit Geld umgehen noch etwas Genießbares kochen konnte. Einzig und allein die Frage danach, wer mehr Zeit und Energie in seine Arbeit investierte, fiel günstig für ihn aus – wenn man es denn günstig nennen wollte.

Man sah Noah die Erleichterung an, als die Tortur endlich vorbei war. Rasch schlüpfte er in seine Schuhe.

Zwischendurch war sein Blick mehrmals zu mir herübergehuscht und ich hatte mich köstlich über die Empörung in seiner Miene amüsiert, als er das Handy in meiner Hand entdeckte.

»Moooment«, hielt Thomas die beiden zurück, als sie aufstehen wollten. »Nicht so schnell, ihr zwei Hübschen. Wir sind noch nicht fertig.«

Ich schnaubte. Mit Heiraten hatte ich ohnehin nicht viel am Hut, aber wenn es bedeutete, diesen Quatsch mitmachen zu müssen, würde ich erst recht dankend verzichten.

Kapitel 2

 

 

 

Als Noah von Spiel Nummer 287 zurückkam, hing seine Krawatte schief und seine braunen Augen waren glasig. Ich konnte ihn gerade noch am Arm packen und in eine ruhige Ecke ziehen, bevor er mit einem der schicken Blumengestecke kollidierte, die überall im Raum standen.

»Alles im Lot?«, fragte ich, während er sich darum bemühte, das Gleichgewicht wiederzufinden.

Seine Antwort war kaum mehr als ein Röcheln. »Rette mich ...«

»Wovor? Deiner Hochzeit? Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass nur Masochisten und Leute mit Schulden heiraten sollten. Hast du das endlich gemerkt?«

Empört zog er die Augenbrauen zusammen. »Nein, Mann. Ich meine, vor ...« Er warf einen verzweifelten Blick über seine Schulter in Richtung der plappernden Menge und schien alles, was in den vergangenen drei Stunden passiert war, noch einmal Revue passieren zu lassen. »Ist das normal? Muss das so sein? Warum musste ich meine Schuhe ausziehen? Irgendjemand hat mir was mit Permanentmarker auf den Unterschenkel gemalt.« Nervös biss er sich auf die Unterlippe. »Shit, ich hab mich total blamiert, oder?«

»Quatsch«, knurrte ich. Jedem anderen hätte ich die harte Wahrheit ins Gesicht geknallt, bei Noah brachte ich es nicht über mich. Stattdessen griff ich nach seiner Krawatte, um sie zu richten. »Alles okay. So bist du einfach. Du bist ... du.« Der helle Stoff des Hemdkragens glitt mir durch die Finger.

»So funktionieren Komplimente nicht, Kian.«

»Ich hab’s nicht mit Worten. Bin ja kein Lehrer. Außerdem war das kein Kompliment.«

»Sondern?«

»Ich sage nur, dass du dir keine Gedanken machen musst. Die Feier läuft prima.« Und irgendein Teil von mir meinte es sogar ernst. Dass ich an allem etwas auszusetzen hatte, hieß nicht, dass der Abend schlecht war. Die meisten amüsierten sich prächtig.

»Ja?« Hoffnungsvoll sah Noah zu mir hoch.

»Ja.«

Ein tiefes Seufzen hob seine Brust. »Okay. Okay, das ist gut.«

»Die Leute sind nett, gleich gibt’s Essen und danach Alkohol. Was will man mehr?«

Seine Mundwinkel bewegten sich, als kämpfte er gegen den Drang, zu lächeln. »Es gibt Lachs. Ich hab den teuersten Fisch ausgesucht, den sie hatten. Jeanettes Eltern übernehmen die Kosten und da dachte ich ...« Er zuckte mit den Schultern.

»Genau richtig. Und sobald du Teil ihrer Familie bist, gehen unsere Stammtischabende selbstverständlich auf deine Rechnung.«

»Äh, Moment. Wer von uns beiden ist derjenige mit den stinkreichen Eltern? Hilf mir auf die Sprünge, ist mir kurz entfallen.«

»Ich bin nur ein armer Student.«

Nun ließ Noah das Lächeln zu. »Ja ja, schon klar. Aber im Ernst ... Danke. Ich weiß, dass du das alles bescheuert findest, aber mit dir, Erik und Pinar in meiner Nähe geht’s mir besser.«

»Es ist nicht alles bescheuert. Ich kann kostenlos essen und saufen und dir dabei zusehen, wie du dich zum Affen machst.« Gekonnt wich ich seiner Hand aus, mit der er versuchte, mir einen Schlag gegen den Oberarm zu verpassen. »Außerdem hab ich inzwischen Übung darin, mich durch Hochzeiten zu quälen.«

Nach Eriks Trauung im vorletzten Jahr war Noah schon der Zweite aus unserem Freundeskreis, der unter die Haube verduftete, also war ich mit dem Prozedere zumindest einigermaßen vertraut. Nur das Trauzeugending war neu, aber auch das würde ich schaffen.

»Noah?«, übertönte Jeanettes Ruf das Stimmengewirr, und sein Kopf zuckte nach hinten.

»Oh, ich ... äh ... Bestimmt kommt jetzt das Essen.« Er wandte sich noch einmal zu mir um. »Wie seh ich aus? Kann ich so gehen? Ich musste gerade über den Boden robben.«

Ich setzte eine kritische Miene auf, woraufhin Noahs unsicherer Blick noch unsicherer wurde, und musterte ihn von den zahllosen Sommersprossen in seinem Gesicht bis zu den mittlerweile nicht mehr ganz so sauberen Anzugschuhen. »Du bist staubig«, stellte ich dann fest. »Und zerzaust.« Dass er sofort begann, an seinem Haar zu zupfen, ließ es noch wilder in alle Richtungen abstehen. »Und zum Sterben schön, wie immer. Neun von zehn Leuten auf der Straße würden dich heiraten.«

»Arsch.«

»Noah!«, kam es ein weiteres Mal. Diesmal deutlich ungeduldiger.

»Beeil dich, die Chefin ruft. Lass sie nicht länger warten, sonst gibt’s für den Rest der Woche Sexentzug«, stichelte ich weiter.

»Im Gegensatz zu dir würde ich das sogar überleben.«

»Hey, ich bin heute völlig sexlos hier und nicht im Club, oder?«

»Was für ein Opfer. Ich fühle mich geehrt.«

»Solltest du auch sein. Das mach ich nicht für jeden.«

Er verdrehte nur die Augen, bevor er bemüht energisch von dannen marschierte.

 

»Ein Traum!«, verkündete Dani und summte vor sich hin. »Mmmh. Oder was meinst du? Der Lachs ist herrlich. Ist das Trüffel auf den Tomaten? Trüffeltomaten? Unglaublich. Warum hast du dir nichts von der Spinatlasagne genommen? Die musst du probieren, die ist toll.«

Ich schob mir eine Gabel Salat in den Mund.

»Isst du gar nichts vom Fleisch oder Fisch, Kian? Bist du Vegetarier?«

Ich kaute lange und bedächtig, damit Dani irgendwann das Interesse an meiner Antwort verlor, aber nach dem Schlucken sah sie mich immer noch auffordernd an.

»Ich bin kein Vegetarier«, gab ich knapp zurück.

»Sondern?«

»Ich esse nur nicht alles. Training und so.«

Sie stieß einen pikierten Laut aus. »Ich achte auch auf meinen Körper. Aber man darf ja wohl gutes Essen genießen, wenn man etwas zu feiern hat.«

»Klar, darfst du.«

»Und ich werde nicht fett, weil ich einmal Tomaten mit Trüffel esse.«

»Hat niemand behauptet.«

»Übrigens ist das sehr fettarm. Siehst du das? Wenn man mit der Gabel darauf drückt, kommt kein Fett.«

Kurz überlegte ich, ob ich ihr erklären sollte, dass man den Fettgehalt von Lebensmitteln nicht daran erkannte, dass man es aus ihnen herauspressen konnte, sparte mir die Diskussion aber.

»Ich hab doch Fleisch auf dem Teller. Hähnchen.« Ich deutete auf das Stück Hähnchenbrustfilet, das neben dem Berg Salat und Gemüse lag. »Viele Proteine.«

»Das war ja klar.« Dani wandte sich wieder ihrem eigenen Teller zu, griff aber nicht nach dem Besteck. Man konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.

Bitte nicht. Bitte erspar mir das.

Doch da lehnte sie sich schon verschwörerisch zu mir hin und raunte: »Weißt du, worin auch viele Proteine sind?«

Jackpot. Genervt verzog ich das Gesicht. »Ach nein, worin denn?«

»In Sperma.«

»Wirklich?«

»Ja!«

»Verrückt. Und weißt du was?«

»Was?«

»Wenn du jeden Morgen einen Sperma-Shake trinkst, bekommst du reine Haut und glänzende Haare. Ich mach das manchmal.«

Dani starrte mich mit offenem Mund an. Zwischen ihren oberen Schneidezähnen hing ein Spinatfaden. »Echt jetzt?«

Bevor ich erfahren konnte, woran genau sie zweifelte – am Sperma-Shake oder den glänzenden Haaren –, legte sich eine Hand auf meine Schulter. »Kian, ich muss dich mal ausleihen.«

Pinar stand hinter mir, ein wissendes Lächeln auf den Lippen.

»Aber Kian isst noch.« Dani deutete auf meinen vollen Teller.

»Ja, ich weiß«, versicherte Pinar. »Er kann gleich weiteressen. Dauert nur eine Sekunde.«

»Kein Problem.« Rasch erhob ich mich und folgte ihr Richtung Bar.

Sobald wir außer Hörweite waren, stieß ich ein lautes Seufzen aus. »Fuck, du hast gerade tausend Zellen in meinem Hirn davon abgehalten, einen qualvollen Tod durch Verdummung zu sterben.«

Pinar lachte. »Das habe ich mir schon gedacht.« Verschmitzt grinste sie mich an. »Dich neben Dani zu setzen, ist so morbid witzig, dass es fast kein Zufall sein kann.«

»Ja. Heute gönne ich Noah noch eine Schonfrist, aber morgen wird er was erleben.«

»Als ob er ein Mitspracherecht hatte. Die Sitzordnung hast du garantiert Jeanette zu verdanken und die kennt dich offenbar nicht gut genug.«

Natürlich hatte sie recht. Pinar hatte immer recht, wenn es darum ging, Noah, Erik oder mich zu durchschauen, und im Gegensatz zu Jeanette kannte sie mich verdammt gut. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass unser letztes Treffen Jahre her war. Bis zum Abitur waren wir vier ein eingeschworenes Team gewesen, danach hatte sie Regensfeld verlassen, um in einer anderen Stadt ihre Ausbildung zu beginnen. Der Kontakt war eingeschlafen, die Freundschaft auch. Zumindest hatte ich das geglaubt. Jetzt neben ihr zu stehen und ihr vertrautes Lächeln zu sehen, fühlte sich jedoch an, als wären seit unserer Schulzeit nur Minuten vergangen. Sie hatte mir wohl mehr gefehlt als gedacht.

»Ich muss zugeben, ich bin nicht zu dir gekommen, um dich zu retten«, fuhr sie fort. »Das war nur der praktische Nebeneffekt. Ich brauche wirklich deine Hilfe.« Diesmal war sie es, die tief seufzte. »Georg weigert sich zu tanzen.«

»Und?« Ihren Freund Georg hatte sie mir bei unserer Begrüßung schon vorgestellt. Er war deutlich älter, schien aber ein netter Kerl zu sein.

»Ich habe Noah versprochen, dass er und Jeanette später nicht als einziges Paar auf der Tanzfläche starten müssen. Wenn die beiden allein tanzen, wirkt es wie ein Hochzeitstanz, und das will er nicht. Ihm ist das Ganze hier ein bisschen viel.« Die letzten Worte sprach sie im Flüsterton.

Was für eine Überraschung. »Ach, keine Sorge, Danielle wird ebenfalls tanzen. Sie hat mir schon gesteckt, dass sie etwas Tolles einstudiert hat. Ich soll das aber niemandem verraten.« Ich bedeutete Pinar mit Gesten, dass sie es möglichst vielen Leuten weitererzählen sollte.

Wieder schenkte sie mir ein breites Grinsen. In ihrem Fall frei von Spinatfäden. »Bitte, Kian. Es ist ein langsamer Walzer und du bist einer der besten Tänzer, die ich kenne. Wir haben doch immer miteinander getanzt. Und für irgendetwas müssen sich die Tanzschulkurse in der Oberstufe gelohnt haben.« Zu meinem Pech hatte sie mit allem recht.

»Warum will Georg nicht?«, versuchte ich, einen anderen Ausweg zu finden.

Nun huschte zum ersten Mal ein Schatten über ihre Züge. »Keine Ahnung. Vorhin war das kein Problem, jetzt plötzlich doch. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns gestritten haben. Nur kurz. War nicht der Rede wert, also frag nicht.«

Sie wich meinem Blick aus und ich bohrte nicht nach. Ich wusste nicht, was in ihrem Leben passiert war, seit wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, geschweige denn, welche Last sie mittlerweile mit sich herumtrug. Ihre Schultern wirkten schmal und zerbrechlich in den Falten des weiten, grünen Kleids. War sie überhaupt noch das unbeschwerte Mädchen von damals?

Mein Gott, warum eigentlich nicht? Warum sollte ich nicht mit ihr tanzen? Mir war völlig egal, was die Leute von mir dachten. Und wenn ich damit nicht nur Pinar, sondern auch Noah einen Gefallen tat ...

»Ich bin dabei.«

Ein Strahlen flutete ihr Gesicht, bevor sie mir die Arme um die Brust schlang und mich an sich zog. »Oh, du bist ein Schatz!«

Ihr Kopf reichte mir bis zum Kinn, und als das weiche Haar meine Haut streifte, roch ich fruchtiges Shampoo. Im Teenageralter hatte ich überlegt, auf welchen Typ Frau ich stehen würde, wenn ich nicht schwul wäre, und augenblicklich an Pinar gedacht. Mit ihrem dunklen Haar, dem olivfarbenen Teint und den vor Freude sprühenden, mandelförmigen Augen war sie eine der attraktivsten Frauen, die ich kannte, und eine der klügsten noch dazu. Ich war mir sicher, dass Erik irgendwann in sie verliebt gewesen war, vielleicht auch Noah. Man musste sie vergöttern.

»Sag mal, wie breit willst du noch werden?«, gluckste sie von unten herauf. »Langsam reicht es doch.«

»Man kann nie breit genug sein.« Ich drückte sie ein wenig fester, woraufhin sie ein ersticktes Quietschen ausstieß.

»Mach das nochmal und du darfst später ohne Partnerin Walzer tanzen!«

»Du meinst wohl, dann muss ich gar nicht tanzen.« Ich drückte ein weiteres Mal zu.

»Was?« Lachend hämmerte sie mir die Fäuste auf den Rücken. »Hilfe! Stopp, Auszeit!« Sobald ich gehorchte, ließ ihr Zappeln nach, stattdessen schmiegte sie seufzend die Wange an meine Brust. »Manche Dinge ändern sich nie«, hörte ich sie undeutlich murmeln. »Ich freue mich so, dich wiederzusehen. Setz dich später zu uns.«

 

Kapitel 3

 

 

 

Konnte man eine Feier bis ins letzte Detail planen? Jeanette konnte und hatte. Unsere Teller waren kaum geleert, da klingelte sie in der Mitte der Tafel mit einem verdammten Glöckchen und bat um Ruhe. Es blieb nicht einmal genug Zeit, um an Langeweile zu denken.

»Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid und heute mit uns feiert«, rief sie. Ihre Wangen waren vom Essen und der Hitze gerötet. »Das bedeutet Noah und mir viel. Damit uns die gemeinsame Zeit in guter Erinnerung bleibt, darf der passende Durstlöscher nicht fehlen. Ihr seid deshalb herzlich eingeladen, euch ab jetzt mit Spirituosen aller Art einzudecken. Alternativ könnt ihr auch auf unseren hübschen Kellner warten, der euch einen Cocktail mixt. Die Karten bringt er gleich. Dort hinten ...« Sie deutete auf den Tisch neben dem DJ-Pult. »... findet ihr außerdem ein paar Süßigkeiten als Dessert.«

Sogar die Cocktailkarte, die sie durch die Luft schwenkte, war farblich auf die Dekoration der Tische abgestimmt: verschiedene Grüntöne mit goldenen Sprenkeln. Schwer vorstellbar, dass sie den Aufwand am Hochzeitstag noch toppen konnte.

Statt mir vom Kellner einen Tequila Sunrise, Bahama Mama oder Frozen Strawberry Daiquiri mischen zu lassen, bediente ich mich lieber selbst an den Flaschen. Sie standen im Halbkreis auf einem Tisch; in ihrer Mitte hatte man vorsorglich einen Stapel Shotgläser platziert. Natürlich stilecht aus Glas und nicht aus Plastik.

Ich nippte am Rum, testete den Tequila. Langsam rann mir die brennende Flüssigkeit den Rachen hinab. Ich trank einen zweiten Shot Tequila mit Noahs Vater und stieß mit Pinar und Georg an, die in Richtung Süßigkeiten weiterzogen. Dann lehnte ich mich mit verschränkten Armen an die Wand, froh darüber, einen Moment meine Ruhe zu haben.

Menschen waren anstrengend, laut und lästig, weshalb ich große Massen gewöhnlich mied. Im Universitätshörsaal setzte ich mich stets an den Rand der Sitzreihen, sodass ich als Letzter kommen und als Erster verschwinden konnte.

In die Mensa ging ich am liebsten vor oder nach den Stoßzeiten. Nur abends warf ich meine Abneigung über Bord und stürzte mich ins Partygetümmel. Nicht ohne Hintergedanken, denn an den meisten Abenden, an denen ich tanzte und trank, kam ich allein und verließ den Club in Begleitung. Um dann noch einmal zu kommen – gründlich und ausführlich und gern auch mehrmals hintereinander. Noah hatte mit seiner Behauptung nicht unrecht. Meine letzte wilde Nacht war schon eine Woche her und es wurde Zeit für Nachschub.

Nachdenklich musterte ich die Umstehenden. Bis auf unsere Clique, Noahs Eltern und eine Handvoll von Jeanettes Freunden kannte ich niemanden. Was nicht heißen sollte, dass ich etwas dagegen hätte, den ein oder anderen näher kennenzulernen. Ein paar Meter entfernt stand ein junger Mann mit Seitenscheitel. Den konnte ich mir sehr gut auf meiner Bettkante vorstellen. Gerade kratzte er sich am Kinn, das ein akkurat gestutzter dunkler Bart zierte. Einer von Jeanettes Cousins? Noah hatte erzählt, dass sie ein halbes Dutzend davon besaß, alle jünger. Wie alt er wohl war? Vielleicht zwanzig, vielleicht neunzehn.

Ich ließ den Blick über seinen Körper schweifen, von den Schuhen hinauf über die sauberen Bügelfalten seiner schwarzen Hose bis zu den schmalen Hüften. Das Hemd saß eng, aber nicht eng genug, um die Bauchmuskeln beurteilen zu können. Da der Stoff an seinen Oberarmen spannte, war allerdings davon auszugehen, dass er auch die anderen – schlechter einsehbaren – Körperpartien trainierte. Wenn er sich jetzt ein kleines Stück umdrehte, hätte ich die perfekte Sicht auf seinen Hintern. Nur noch ein klitzekleines–

»Checkst du die Kerle ab?«

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Oh, Hölle.

Dani kicherte und stützte sich mit einer Hand auf der Tischkante neben mir ab. Ihr war anzusehen, dass bereits eine Piña Colada zu viel ihre Speiseröhre hinabgeschlittert war.

»Das ist Raoul«, verriet sie und deutete auf den jungen Mann, den ich taxiert hatte. »Hat leider eine Freundin, die heute nicht mitkommen konnte, weil sie krank ist. Rate mal, warum ich das weiß.« Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr. »Weil ich den auch ziemlich heiß finde. Ich glaube, wir haben denselben Männergeschmack.« Aus ihrem Mund klang das nach einer großartigen Neuigkeit, in meinen Ohren wie eine Beleidigung.

Trotzdem verkniff ich mir den Konter und fragte stattdessen: »Was ist mit den anderen?« Wenn Dani sich schon nach Singles auf der Feier erkundigt hatte, konnte ich ihr Wissen für meine Zwecke nutzen.

»Hm.« Sie schaute sich ebenfalls um. »Siehst du den Blonden mit dem Bierglas in der Hand? Da hinten neben Noahs Oma.«

»Ja.«

»Der ist zu haben. Mit ihm wollte Jeanette mich verkuppeln. Ist aber nicht mein Fall. Stehst du auf Männer mit Pausbacken? Also ich nicht.« Nachdenklich schürzte sie die Lippen. »Wie alt dürfen sie denn maximal sein?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Dreißig?« Fünf Jahre älter als ich war in Ordnung. Solange ein Typ gut in Form war, durfte er sogar knapp darüber sein. Das war aber die Grenze.

»Der Große im dunkelblauen Hemd ist Raouls Vater. Sieht ihm ähnlich, was? Den würde ich ja sofort –«

»Ernsthaft, Dani? Du machst dich an verheiratete Männer ran?«

Hastig verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Das habe ich nicht gesagt. Nur, dass er alt ist und gut aussieht. Und er hat keine Frau dabei.« Offensichtlich hatte sie ihn länger beobachtet, als sie zugeben wollte. »Vielleicht ist er geschieden.«

»Ja. Vielleicht. Ist auch egal.« Ich hatte keine Lust mehr auf dieses Gespräch. »Kennst du den Spruch: Man soll nicht scheißen, wo man isst? Am Ende müssen wir uns auf der Hochzeit und jeder zukünftigen Familienfeier von Noah und Jeanette mit angefressenen Ex-Lovern rumärgern. Danke, kein Bedarf.«

»Wer sagt, dass nichts Festes daraus werden könnte?« Ein verträumter Ausdruck legte sich auf Danis Gesicht und für ein paar Sekunden glaubte ich, unter all dem Lidschatten und Mattierpuder etwas Sympathisches erhaschen zu können. Bis sie die Lippen wieder öffnete und meinte: »Außerdem gibt es Mittel und Wege, um Stress mit dem Ex zu verhindern. Ich hab mal einem erzählt, ich hätte Bindungsängste, weil ich als Kind schlecht behandelt worden wäre. Er hatte sogar Mitleid mit mir.«

Okay, das war’s. Ich stieß mich von der Wand ab. »Ich geh zu Erik. Viel Spaß noch.«

»Hast du nicht was vergessen, Kian?«

»Hm?«

»Die Kaaarte«, flötete sie.

»Vergiss es.«

»No way. Das kannst du nicht bringen. Die anderen erfüllen ihre Aufgaben auch. Jens hat Ingrid, Thomas und sogar dem Kellner mit Sonjas Lippenstift Schnurrbärte gemalt. Deine Aufgabe ist viel unauffälliger. Eigentlich erfährt außer mir und Noah gar niemand davon. Und er wird es dir bestimmt nicht übelnehmen, ihr seid doch beste Freunde. Das macht es ja so witzig! Du als sein bester und schwuler Freund? Wie die Faust aufs Auge. Komm, gib zu, das passt verdammt gut«, ergoss sich ihr Redeschwall über mich.

Zugegeben, die Konstellation war tatsächlich witzig und ich glaubte auch nicht, dass sich Noah nachhaltig ärgern würde. Zum einen war es nicht seine Art, zum anderen ging er entspannt damit um, dass ich auf Männer stand. Er hatte sogar selbst ein bisschen am anderen Ufer gefischt und war irgendwo auf dem Spektrum der Bisexualität kleben geblieben. Doch zu behaupten, ich wäre in ihn verliebt? Der Gedanke fühlte sich taktlos an.

Als Teenager hatten wir ein einziges Mal über die Grenzen zwischen uns gesprochen, seitdem existierte eine stille Übereinkunft. Natürlich küsste ich ihn ab und zu auf die Wange, aber abgesehen davon war Noah tabu, genau wie Erik. Für mich war das kein Problem, die beiden passten sowieso nicht in mein Beuteschema. Der blonde Erik war ein bärtiger Wikinger mit einem beachtlichen Bauchumfang, Noah hingegen auf eine gewisse Art ... verletzlich. Ich bevorzugte Männer mit harten Kanten und Muskeln, die mir etwas entgegenzusetzen hatten. Verbal und körperlich.

»Wenn man vom Teufel spricht!«, stieß Dani aus.

Noah kam auf uns zu. Rechts hielt er ein Sektglas, links einen Butterkeks. Er torkelte leicht, als hätte er bereits mit der gesamten Verlobungsgesellschaft inklusive Küchenpersonal angestoßen.

»Neuer Zwischenstand?« Ich nahm ihm das Glas aus der Hand und leerte es in einem Zug.

»Ich sterbe.«

»Jetzt sofort? Willst du nicht bis nach der Hochzeit warten? Sonst war der ganze Mist umsonst.«

Seine Antwort bestand aus einem Kopfschütteln. »Ich mache das lieber gleich. Wer weiß, was die noch vorhaben.« Ruhelos blickte er zwischen den Gästen hin und her, trat von einem Fuß auf den anderen. Dani schien er nicht einmal wahrzunehmen.

»Okay, aber schreib mich vor deinem Tod noch schnell ins Testament, damit ich nicht leer ausgehe. Oder heirate mich statt Jeanette, dann erbe ich automatisch. Spielt doch keine Rolle, wer dir einen Ring ansteckt, wenn du kurz danach den Löffel abgibst.«

Ein überraschtes Lachen scheuchte den unglücklichen Ausdruck von seinem Gesicht. »Du kriegst maximal meinen Keks.« Er hielt ihn mir entgegen.

»Nee, danke.«

Zack, landete der Keks in seinem eigenen Mund. »Dein Pech.«

Dani räusperte sich.

Ich hatte ganz vergessen, dass sie neben uns stand. Was für eine Nervensäge. Ob sie mich in Ruhe lassen würde, wenn ich tat, was sie wollte? Sollte ich mich weiterhin weigern, würde sie mir wahrscheinlich den Rest des Abends auf die Eier gehen. Außerdem wirkte Noah schon viel besser gelaunt als zuvor. Ich schien ihn aufgeheitert und beruhigt zu haben. Gut möglich, dass Danis Karten-Aktion ihn erneut zum Lachen brachte. Und eventuell war ich irgendwo in einem betrunkenen Areal meines Hinterkopfs auch neugierig darauf, wie er reagieren würde. Ach, was soll’s.

»Gut, dass du zu meinem Antrag nicht Ja gesagt hast«, kam es aus meinem Mund, ehe ich länger darüber nachdenken konnte. »Sonst hätte ich dich vielleicht beim Wort genommen und wäre mit dir durchgebrannt.« Aus dem Augenwinkel registrierte ich, wie Dani ihr Gewicht euphorisch von den Fersen auf die Zehenspitzen verlagerte.

»Was? Wieso?«, fragte er.

»Weil ich in dich verliebt bin. Seit Jahren.« Es gelang mir nicht, meiner Stimme absolute Ernsthaftigkeit zu verpassen, aber das musste ich gar nicht. Die Worte entfalteten trotzdem ihre volle Wirkung.

Noah starrte mich an. Es dauerte, bis die Botschaft in sein benebeltes Hirn sickerte, dann lief es wie eine Schockwelle über sein Gesicht. Die Augenbrauen zuckten nach oben, seine Augen weiteten sich. Er öffnete den Mund, schloss ihn und öffnete ihn wieder, doch kein Laut drang über seine Lippen.

Wie ein Karpfen auf dem Trockenen, schoss es mir durch den Kopf und die Situation hätte mich amüsiert, wenn sie nicht so skurril gewesen wäre. Stattdessen wurde mir heiß und kalt zur gleichen Zeit. Er glaubt mir. Er glaubt mir wirklich.

Nicht eine Sekunde lang hatte ich damit gerechnet, mein bester Freund könnte auf diesen Unsinn hereinfallen. Und hätte ich es in Betracht gezogen, hätte ich mich definitiv dagegen entschieden. Ich war mir sicher gewesen, dass er den Witz sofort durchschaute. Mir dann gegen die Schulter boxte. Lachend.

Doch Noah lachte nicht. Er blickte nur aus großen, braunen und zutiefst erschrockenen Augen zu mir herauf und wirkte in seinem schicken, aber gnadenlos zerknitterten Anzug mehr fehl am Platz denn je.

Ein unterdrücktes Prusten erklang neben mir. Dani presste sich die Hand auf den Mund und schien mühsam die Luft anzuhalten. Vermutlich erstickte sie ihr wildes Lachen.

Ich seufzte.

Okay, sie hatte ihren Spaß gehabt. Gerade als ich »Sorry, Scherz« hinzufügen wollte, zog mich jemand energisch zur Seite.

»Kian, da bist du ja! Ich muss dir unbedingt einen Freund vorstellen.« Jeanettes Griff widerstand jeglicher Gegenwehr. Ich schaffte es nur noch, Noah einen entschuldigenden Blick zuzuwerfen, da hatte sie mich bereits mit sich gezogen.

 

Kapitel 4

 

 

 

Jeanette schleppte mich quer durch das Restaurant und lockerte den Schraubstock erst, als wir am Tresen ankamen. Der junge Kellner, der zuvor die Cocktails gemixt hatte, war gerade dabei, Bier in Weizengläser zu zapfen. Er hielt in der Bewegung inne und musterte uns neugierig.

»Hey Süße.« Sein schiefes Lächeln galt Jeanette, offenbar kannten die beiden sich.

»Das ist Max«, verkündete sie an mich gewandt. »Er ist ein super Typ.«

Für einen Moment wirkte der Kellner verwirrt. Was auch immer sie hier tat, sie hatte es nicht mit ihm abgesprochen. Dann aber setzte wohl die Erkenntnis ein, denn er stieß ein gedehntes »Ooh« aus und ließ seinen Blick zu mir zurückwandern. Ein Blick, der drei Dinge verriet: Er war schwul, er fand mich scharf und die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Feier allein verlassen musste, war soeben drastisch gesunken. »Hi. Und du bist?«

»Das ist Kian«, kam Jeanette mir zuvor. »Noahs Trauzeuge.«

»Hallo, Kian.« Max trocknete sich die Hände an einem Spültuch ab und streckte mir seine Rechte entgegen. »Freut mich.« Ohne zu zögern, ergriff ich sie. Sein Händedruck war fest.

»Ich lass euch mal in Ruhe«, kam es von Jeanette, doch weder Max noch ich schenkten ihrem Abgang Aufmerksamkeit. Wir nutzten die Gelegenheit, um uns eingehend zu taxieren.

Eigentlich hatte ich sofort verschwinden wollen, um Noah alles zu erklären, aber ... konnte das noch fünf Minuten warten? Dani hatte die Verwirrung über meinen Scherz bestimmt längst aufgelöst. Für irgendetwas musste sie ja gut sein.

Max gefiel mir. Zwar war er zur Hälfte vom Tresen verdeckt, aber er wirkte sportlich, und die Kellneruniform – ein weißes Hemd kombiniert mit einer schwarzen Weste – stand ihm ausgezeichnet. Nach einer ausgiebigen Analyse der fein geschnittenen Gesichtszüge und dunkelblonden Locken beendete ich die Musterung an seinen vollen Lippen. Zwischen Nase und Oberlippe deuteten Lippenstiftflecken darauf hin, dass er derjenige war, der sich von Jens mit einem roten Schnurrbart hatte verzieren lassen. Offenbar war er nicht nur attraktiv, sondern hatte auch Humor. Letzteres war keine Voraussetzung, um bei mir zu landen, aber nice to have, wenn man sich vor oder nach dem Sex ein bisschen unterhalten wollte.

Dass Max weiterhin Bierglas Bierglas sein ließ und sich nun mit beiden Armen auf der Holzplatte abstützte, gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich seine optische Prüfung gleichermaßen bestanden hatte.

»Du bist also Noahs Trauzeuge«, wiederholte er Jeanettes Worte.

»Ja. Und du kennst Jeanette?«

»Gemeinsames Studium.«

»Eventmanagement?«

»Genau.«

»Was machst du dann hier?« Je nach Antwort war die Frage vielleicht taktlos, doch das war mir egal. Dieglückliche Henne war zwar ein gutes Restaurant, aber einen Eventmanager hätte ich nicht hinter dem Tresen erwartet.

Max störte sich nicht daran. »Das ist nur ein Nebenjob. Ich orientiere mich neu und da kommt der Zusatzverdienst ganz recht. Als Jeanette meinte, sie würde hier ihre Verlobung feiern, war direkt klar, dass ich das Kellnern übernehme. Ich arbeite sonst auch ab und zu im Pink Peach.«

Von den Schwulenbars der Stadt war das Pink Peach eine meiner liebsten. Die Preise waren in Ordnung, die Musik gut und im hinteren Bereich des Clubs standen zwei Tischkicker. Ich war dort regelmäßig unterwegs, hatte Max jedoch nie gesehen. Möglicherweise lag das daran, dass ich ungern mit Barkeepern flirtete. Da sie sowieso ständig angebaggert wurden, kostete es meiner Erfahrung nach deutlich mehr Mühe, sie von einer heißen Nacht zu überzeugen als andere.

»Heute bin ich bis mindestens drei Uhr hier und muss früh raus«, fuhr Max bedauernd fort. »Aber morgen Abend ist im Pink wieder Havana Night.« Er befeuchtete seine Oberlippe mit der Zunge. »Sehen wir uns da?«

»Warum nicht.«

»Falls wir uns nicht finden, hier ist meine Nummer.« Rasch kritzelte er ein paar Zahlen auf einen Zettel und steckte ihn mir zu.

Bevor er seine Hand zurückziehen konnte, packte ich ihn am Arm. »Da ist noch Lippenstift. Komm mal her.«

»Wo denn?« Gehorsam lehnte er sich zu mir vor.

Ich griff nach seinem Kinn, zog seinen Kopf nach oben und fuhr mit dem Daumen fest über die rote Farbe.

Danach verharrte mein Finger einen Tick zu lange auf seiner Haut. Oder exakt lange genug, um einen Ausdruck in seinen Augen zu erzeugen, der verriet, dass er sich mir am liebsten sofort zu Füßen werfen wollte. Lust prickelte durch meine Lenden.

»So ist es besser«, sagte ich und ließ ihn los.

 

Als ich Noah fand, war er in ein Gespräch mit seinen Eltern vertieft. Im Hintergrund stand mittlerweile der DJ an seinem Pult, schraubte hier und da an den Geräten und kontrollierte das Equipment. Der musikalische Part des Abends würde bald beginnen.

Jetzt angekrochen zu kommen und mich nachträglich zu entschuldigen, fühlte sich mies an. Warum hatte ich mich auf diesen Mist eingelassen? Jemandem aus Spaß ein Liebesgeständnis machen – darauf kamen nur Sadisten oder Betrunkene. Angetrunken war ich zwar, aber ich wollte Noah nicht verletzen. Er hatte schockiert ausgesehen. So schockiert, dass ich den Scherz auf der Stelle hätte auflösen müssen. Kein Wunder, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte.

Die Wurzel allen Übels war diese beschissene Dani mit ihren albernen Ideen. Oder Jeanette, die komische Aufgabenkarten gekauft, mich neben Dani platziert, und schließlich davon abgehalten hatte, Noah direkt die Wahrheit zu sagen. Nun konnte ich es nicht mehr ändern, nur noch den Schaden begrenzen.

Zwei Minuten später standen wir ein weiteres Mal abseits der Tische. Die Konstellation war dieselbe, die Stimmung eine andere. Noah hatte die Hände tief in die Taschen seiner Anzughose geschoben und blickte Richtung DJ, als gäbe es nichts Spannenderes, als den Typ dabei zu beobachten, wie er auf seinem Laptop herumtippte. Bildete ich mir das ein, oder hatte er mich, wenn überhaupt, nur flüchtig angesehen?

»Das vorhin war ein blöder Witz«, brummte ich. »Ich wollte gar nicht ... Dani hat mir diese Bullshit-Karte mit der Aufgabe gegeben und mich unfassbar damit genervt. Mir war nicht klar, dass du ...« Ich brach ab, um zum Punkt zu kommen. »Sorry, war ’ne dämliche Aktion.«

»Ziemlich dämlich«, bestätigte Noah und sah mich endlich an.

Gewöhnlich konnte ich in seinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch, aber gerade ließ er sich nicht anmerken, was in ihm vorging. Nur die kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen verriet Verärgerung.

»Kommt nie wieder vor.« Ich hob meine Hand zum Schwur.

Er runzelte die Stirn. »Was? Dass du mir deine Liebe gestehst?«

»Genau. Oder ich warne dich vor.«

»Aha.« Jetzt glitt doch ein Lächeln über seine Lippen, das ich sofort erwiderte.

»Ja. Du hast überrascht ausgesehen.«

»Das kam auch ... überraschend.«

»Aber du hast mir nicht wirklich geglaubt, oder?«

»Was? Nein, natürlich nicht.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Nicht das angenehme Schweigen, mit dem wir sonst minutenlang nebeneinandersitzen und ins Nichts blicken konnten, sondern eine andere Art. Eine Stille, die gefüllt werden musste, weil sie schwer zu ertragen war.

Noah schien sie ebenfalls zu spüren, denn ein nervöses Lachen verließ seinen Mund. »Übrigens starrt dich der Kellner übertrieben offensichtlich an. Hattest du mal was mit dem?«

Ich blickte mich um, erspähte Max zwischen den Tischen und wechselte ein beiläufiges Grinsen mit ihm. »Noch nicht.« Auf Noahs fragenden Blick hin fügte ich hinzu: »Wenn nichts dazwischenkommt, werde ich ihn morgen vögeln.«

»Oh, okay.« Er stand wohl immer noch neben sich. Seine übliche Reaktion auf meine Affären – ein Schnauben und Augenrollen, manchmal ergänzt durch ein ungläubiges Kopfschütteln – blieb aus. Heute beschränkte er sich darauf, Max hinterherzusehen, der mit einem Tablett voller Gläser in den Nebenraum verschwand. »Ich ... äh ... ich glaub, ich muss wieder zu Jeanette«, meinte er dann. »Wir tanzen gleich.«

»Ah, mein Stichwort.«

»Was? Warum?«

»Wirst du schon sehen.«

 

Mein letzter Standardtanz war fünf Jahre her, aber als die ersten Töne der Musik erklangen, setzte sich mein Körper mit einem Ruck in Bewegung. Meine Füße wussten instinktiv, was zu tun war. Ich musste mich nur dem Takt hingeben.

Der langsame Tanz führte Pinar und mich in wiegenden Schritten im Kreis, wieder und wieder rundherum, und sie lag in meinen Armen, lachend, mit vor Freude leuchtenden Augen. Für unser Publikum, das sich am Rand der Tanzfläche aufgestellt hatte, gaben wir ein tolles Paar ab: sie, die dunkle Schönheit, und ich, ihr großer Prinz, der sie übers Parkett wirbelte wie eine schwerelose Fee. Neben uns tanzten Noah und Jeanette. Zweimal kreuzte ich im Vorbeiwirbeln Noahs Blick, beide Male sah er rasch in eine andere Richtung.

Es dauerte nicht lange und weitere Tänzer gesellten sich zu uns. Die Musik wurde schneller, Popsongs aus den 80ern wechselten sich mit 90er-Hits ab, Rocksongs ließen den Boden erbeben. Je ausgelassener die Stimmung wurde, desto öfter schob der DJ einen Schlager zum Mitsingen ein.

Zwischen Deine Augen sind so grün und Dance upside down stürmte Dani das Parkett und gab eine beeindruckende Performance aus sehr viel Gewackel und Kusshänden zum Besten. Ihre energischen Bemühungen, der Gruppe im Anschluss eine Polonaise schmackhaft zu machen, erstarben jedoch in den Anfangszügen.

Wenige Meter neben mir versuchten sich Erik und seine Frau Jasmin an einem Foxtrott. Leider passte der so schlecht zum aktuellen Song, dass sie wiederholt aus dem Takt kamen und in albernes Kichern ausbrachen. Kaum zu glauben, dass die beiden schon dreizehn Jahre ein Paar waren. Dreizehn verdammte Jahre und damit exakt die Hälfte von Eriks Leben, ohne dass es ihnen langweilig wurde. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, zwei Monate neben demselben Typ aufzuwachen.

Raoul erschien in meinem Blickfeld. Auch er tanzte und er tanzte gut. Seine Hüften bewegten sich so verlockend, dass ich mir lebhaft ausmalte, wie er sich unter mir räkeln würde. Wenn da nicht diese angebliche Freundin gewesen wäre, hätte ich vielleicht doch einen Angriff gewagt.

Nach einer Weile legte ich eine Pause vom Tanzen ein und beobachtete das Treiben von meinem Platz aus. Sogar Georg schunkelte mittlerweile mit Pinar im Arm, beendete den mehr schlecht als recht angedeuteten Tanz aber direkt, sobald der DJ eine romantische Ballade startete. Öffentliche Liebesbekundungen waren wohl nicht sein Ding.

Pinar wirkte dennoch, als schwebte sie auf Wolke sieben, als sie an meine Seite zurückkehrte.

»Wie lange bist du in der Gegend?«, fragte ich und stupste sie an. »Lust auf ein Revival alter Zeiten?«

»Mit dir?«

»Mit mir, Noah und Erik. Am Freitag ist Stammtisch, es gibt Bier und Pizza. Die beiden freuen sich sicher, wenn du auch kommst.«

Ihre Augen leuchteten auf. »Ist das in Ordnung?«

»Warum nicht? Früher waren wir immer zu viert.«

»Ja, aber das ist eine Weile her.« Ihre Schultern sackten ein merkliches Stück nach unten. »Tut mir leid, dass ich einfach von der Bildfläche verschwunden bin. Eigentlich wollte ich regelmäßig schreiben, aber dann kamen die Ausbildung und meine Familie und ... na ja ... ich hatte Pech mit meinem Ex und so.«

»Ein Grund mehr, uns am Freitag zu treffen und alles im Detail zu erzählen.«

Sie lächelte. »Okay. Umgekehrt natürlich auch.«

»Ach, hier in Regensfeld passiert doch nichts.«

»Nach nichts sieht das nicht aus.« Pinar deutete auf das letzte Paar, das auf der Tanzfläche zurückgeblieben war und sich zu Light of my life bewegte.

Noahs Arme waren eng um Jeanettes Taille geschlungen, ihre überkreuzten sich in seinem Nacken. Mit Nasenspitzen, die nur Zentimeter voneinander entfernt waren, versanken sie im Blick des jeweils anderen.

Liebe. Hochzeit. Ewigkeit. Ich kannte niemanden auf der Welt besser als Noah und doch schlug er einen Weg ein, der mir fremd war. Dort vorne auf der Tanzfläche stand nicht mehr der kleine Junge, den ich in der fünften Klasse kennengelernt hatte. Da stand ein Mann, der mit seiner Verlobten tanzte. Ein Mann, der Entscheidungen für den Rest seines Lebens traf.

Wirklich bewusst wurde mir das erst jetzt. Ich freute mich für ihn. Aber ... warum fühlte es sich an, als wäre er weitergegangen und ich stehengeblieben?

»Ich bin froh, dass Noah glücklich ist«, sagte Pinar leise.

Ich nickte. »Ja, ich auch.«

 

Kapitel 5

 

 

 

»Und das ist der Grund, weshalb man die elektromyographische Aktivität der Nackenmuskulatur, das Elektrookulogramm und natürlich das Elektroenzephalogramm zur Abgrenzung der einzelnen Schlafstadien nutzen kann.« Herr Professor Rettgenstein tippte auf seine kleine Fernbedienung und auf der Leinwand erschienen mehrere überdimensional große EEG-Wellen. »Hier ...« Er ließ den roten Laserpointer die zweite der sechs Wellen entlangflitzen und stoppte bei einem Abschnitt mit größerer Amplitude. »... kündigen Alpha-Wellen den Übergang zum ersten Schlafstadium an. Sehen Sie das? Darunter folgen die Stadien eins bis vier. Wie unschwer zu erkennen ist, nimmt die Amplitude weiter zu und die Frequenz ab. Ist der Zyklus einmal durchlaufen, beginnt er in umgekehrter Reihenfolge von neuem. Aber Achtung – mit ein paar Unterschieden, auf die wir gleich zu sprechen kommen. Hier noch einmal der typische Verlauf der Schlafstadien über den Zeitraum einer Nacht hinweg.« Das EEG verschwand, stattdessen erschien ein farbiges Diagramm.

Ich gähnte und kratzte mich an der Schläfe. Die Blockseite vor mir war vollständig bedeckt mit kritzeligen Notizen, Skizzen und Markierungen. Nach einer letzten Ergänzung am Rand blätterte ich um.

Von meiner Bewegung aufgeschreckt, zuckte die Studentin auf dem Sitz neben mir zusammen. Seit Beginn der Vorlesung gab sie sich passend zum Thema alle Mühe, nicht einzuschlafen. Besonders erfolgreich war sie nicht. Andauernd sank sie mit dem Kopf nach vorn, nur um rasch wieder hochzufahren. Einmal – vermutlich von einer dicken Alpha-Welle geschüttelt – hatte sie mir dabei den Ellbogen in die Seite gestoßen.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben, aber das musste nichts bedeuten. Meine Kommilitonen interessierten mich nicht. Lag es am Numerus clausus von 1,1, dass neunzig Prozent der hier sitzenden Psychologiestudenten leistungsfokussierte Lernbestien waren? Die meisten Gespräche drehten sich darum, wer in welcher Klausur welche Note hatte oder welche Möglichkeiten es gab, die Note im Ernstfall anzufechten. Ein beliebtes Thema war auch, wer abends wie lange in der Bibliothek lernte. Während Klausurenphasen schickten sie fleißig Fotos in Chatgruppen, auf denen sie mit möglichst tiefen Augenringen vor albern hohen Lehrbuchstapeln posierten und wacker die Daumen in die Luft reckten. Nicht meine Mentalität.

Als auf der Leinwand »Danke für Ihre Aufmerksamkeit« erschien, verschwand ich aus dem Hörsaal, bevor sich der Rest der Meute durch die Reihen quetschte und womöglich jemand auf die Idee kam, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Im Korridor schloss ich mich dem Strom der Studierenden an, der durch die weit geöffneten Flügeltüren des Seminargebäudes nach draußen strebte. Nebenbei kontrollierte ich die Nachrichten auf meinem Handy.

In der Party-Chatgruppe mit dem vielsagenden Namen CockTails war immer am meisten los. Kurz scrollte ich durch die irrelevanten Nachrichten und Memes von Katzen in Strapsen, dann wechselte ich den Chat. Pinar hatte geschrieben. Sie bedankte sich noch einmal überschwänglich für den Tanz und dafür, dass ich sie dem Stammtischgruppenchat von Noah, Erik und mir hinzugefügt hatte. In die Gruppe selbst hatte sie die Info geschickt, dass sie am Freitag zu unserem Treffen aufkreuzen würde. Erik hatte mit fünf roten Herz-Emojis reagiert, Noah hüllte sich in Schweigen. Nach dem anstrengenden Abend war er bestimmt nicht weniger erschöpft als die Apha-Wellen-Reiterin eben in der Vorlesung.

Ich schloss die Chats, tippte auf den Instagram-Button und blinzelte überrascht. Zweiundzwanzig neue Follower, ohne dass ich etwas Neues gepostet hatte. Ein Blick in die Benachrichtigungen lüftete das Geheimnis und bestätigte meine Vermutung: danielle_sophie_von_genshagen hat dich erwähnt. Der Satz wiederholte sich so oft, dass ich ihn nicht zählte.

Natürlich klickte ich mich durch alle ihre Videos. Da war sie. Dani, wie sie ihr Outfit of the Day präsentierte. Dani, wie sie davon schwärmte, was für ein tolles Paar ihre gute Freundin Jeanette und deren Verlobter Noah seien, gefolgt von einem Zoom auf die beiden am gedeckten Restauranttisch. Im wackeligen Bildausschnitt erschien Noah, der gerade versuchte, seine Serviette zum Schwan zu falten. Danach kamen diverse Schnipsel vom Abendessen, unter anderem Impressionen von mir, wie ich Dani konsequent ignorierte, mit angespannten Kiefermuskeln auf meinen Teller starrte und mir ein Stück Hähnchen in den Mund schob. Der Fokus der Kamera glitt an mir hinab und hinauf. Es dauerte peinlich lange, bis er sich von meinem voluminösen linken Bizeps löste und wieder auf das Gesicht richtete. Mein schwarzes Haar war an den Seiten noch ausreichend kurz rasiert, der Dreitagebart aber hart an der Grenze.

»Gut, was?«, kicherte sie zum Schluss ins Mikrophon. »Aber sorry, Kian lässt nur Jungs naschen.«

Okay, das erklärte die Nachrichten in meinem Postfach, wo BigCityBoi fragte: »Ich hab hier was zum Naschen. Interessiert?«, und Manuel_hot_89 sich die verbale Begrüßung gespart und mir lieber gleich ein Bild von seinem gestählten Oberkörper geschickt hatte. Ob ich einem von ihnen antworten würde? Eigentlich hatte ich durch meine Bars vor Ort und die Party-Touren in umliegende Städte genügend Auswahl.

Als ich das Handy wieder wegstecken wollte, vibrierte es. Henrik stand auf dem Display.

Widerwillig hob ich ab. »Was?«

»Gehst du noch einkaufen?«

»Wieso? Brauchst du was?«

»Ja. Butter ist leer. Und wenn du schon mal da bist, kannst du Bier mitbringen. Bier, Chips und diese Fertignudeln in der roten Packung. Die mit der Ente drauf. Weißt du, welche ich meine?«

»Ich kaufe das, was wir immer essen. Wenn du irgendwelchen Schnickschnack willst, geh selbst.«

»Ah, danke für nichts, Pisser.« Klick. Henrik hatte aufgelegt.

Wie jeden Tag fragte ich mich, warum ich mir das antat. Mein Bruder war achtzehn und eine verzogene Göre auf ganzer Linie. Warum zur Hölle wohnte ich mit ihm zusammen? Es war, als würde man sich langsam die Haut vom Körper ziehen: mühselig und masochistisch. Trotzdem war er vor einem halben Jahr in das freie Zimmer in meiner Wohnung gezogen. Ich hatte den Raum davor nicht genutzt und als Abstellkammer zweckentfremdet. Als meine Eltern dann gebettelt hatten, Henrik den Platz zu überlassen, und dafür sogar drei Viertel meiner Miete übernehmen wollten, hatte ich nicht Nein sagen können. Es war eher Schmerzensgeld als Miete. In der verklärten Welt meiner Familie machte Nesthäkchen Henrik brav das Abitur, führte seinen eigenen Haushalt und strebte ein Jura-Studium an. In der Realität gammelte die Sackratte im eigenen Dunst und vertrieb sich die Zeit mit Essen, Trinken und Konsolenspielen. Ich würde den Teufel tun, ihm jetzt Bier zu kaufen.

Inzwischen war ich fast auf Höhe der Mensa angekommen. Kurzerhand entschied ich mich, dem dortigen Büfett noch einen Besuch abzustatten, bevor ich mich auf den Weg nach Hause machte. Sollte Henrik sich doch Nudeln aus der Dose aufwärmen.

 

Die Bierflasche in meiner Hand war feucht, die Kanten des Etiketts lösten sich vom Glas. Ich strich mit dem Daumen über das aufgeweichte Papier und sofort bildete sich ein feiner Riss, der größer wurde, je fester ich rieb. Obwohl es erst die zweite Flasche war, pulsierte etwas in meinem Hinterkopf. Waren das noch die Nachwehen der Feier?

»Heeey, jemand zu Hause?«

Ich zuckte zusammen.

Richard wedelte vor meinem Gesicht herum. Seine sorgfältig manikürten Fingernägel leuchteten in knalligem Gelb. »Du bist verdächtig ruhig, Hase.«

»Sorry. War in Gedanken.«

»Weniger denken, mehr trinken.« Carter hielt mir einen Shot vor die Nase.

»Bin bedient.«

»Das hier ist besser.«

»Es ist grün.«

»Ja eben.« Er schob das Glas vor mich hin. In seiner Pranke sah es aus wie Puppenzubehör.

Zu meinem Leidwesen verriet ein Blick in die Runde, dass jeder außer mir bereits mit einer Kostprobe des grünen Gifts versorgt war. Mir blieb keine Wahl.

Widerwillig griff ich zu und stieß zuerst mit Carter, dann mit Richard und Andi an, ehe ich mir das Zeug in den Rachen kippte.

Was es auch war, es ließ meinen Mund gleichzeitig brennen und vor Süße kribbeln. Der pure Widerspruch in einem Glas – genau wie die zwei parallelen Leben, die ich führte. Auf der einen Seite der ruhige Alltag mit Noah und Erik und der Uni, auf der anderen die wilden Nächte mit Richard, Andi und Carter. Mein zweites Leben, das begann, wenn ich den Tag abstreifte, um ins bunte Neonlicht einzutauchen.

»Ihr wollt mich umbringen«, stellte ich fest, sobald ich meine Zunge wieder spürte. »Gestern hatte ich schon Tequila-all-you-can-drink.«

»Oh, auf Noahs Party?« Richards Augen wurden groß. »Erzähl. Wie war es?«

Ich hob die Schultern. »Wir haben gefeiert. Leute, Essen, Alkohol. Fertig.«

»Ja, aber wie habt ihr gefeiert? Wer war da? Wie war die Deko? Was hast du gegessen?« Richard wackelte mit den gezupften Augenbrauen. »Gab es heiße Typen?«

Notgedrungen fasste ich den Abend in knappen Sätzen zusammen. Ich hatte nicht wirklich Lust, alles noch einmal aufzurollen, denn auch meine Mutter hatte mich am Telefon ausgefragt. Zuletzt berichtete ich von Max, dem Kellner, und erntete einen Pfiff von Carter.

»Respekt. Du schleppst echt überall jemanden ab. Kann man von mir nicht behaupten.« Bedauernd klopfte er sich auf den Bauch, der sich im Sitzen über seiner Jeans wölbte.

»Du bist der Hauptpreis, was den Charakter angeht«, gab ich zurück.

Er lachte. »Und mein Charakter ist zum Glück genau das, womit ich Mr. Right in einem Club voller Sixpacks anlocken kann.«

»Der wird dich finden. Wenn’s einer verdient hat, dann du.«

Ich meinte es ernst. Mit Carter verstand ich mich in unserer Gruppe am besten. Richard war laut, exzentrisch und die ideale Partybegleitung, solange man sich mit seinem gigantischen Ego abfand. Andi vergriff sich gern im Ton und ging mir mit seinen Launen tierisch auf die Eier. Carter hingegen war ruhiger, dafür aber umso herzlicher. Wenn jemanden etwas beschäftigte, war er der Erste, der einen packte, auf seiner Couch platzierte und sich ohne Murren notfalls die gesamte Lebensgeschichte anhörte.

»Wenn ich mal heirate, wird das die Party des Jahrtausends.« Richard sprach mehr zu sich selbst als zu uns und nuckelte gedankenverloren am Strohhalm seines Cocktails. »Ich werde euch zwingen, lachsfarbene Anzüge zu tragen. Und ich will Tauben. Hundert weiße Tauben.«

»Wer würde dich heiraten?«, feixte Andi.

»Das sagt der Richtige.« Richard schürzte die Lippen. »Du bist nur beleidigt, weil dein Ex-Vögelchen nun endgültig in einem fremden Nest angekommen ist.«

»Hm«, machte Andi. »Also überrascht war ich schon.«

»Worüber? Dass Noah heiratet?«, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich war mir bis zum Schluss nicht sicher, ob er nicht wieder zu mir zurückkommt.« Ein schiefes Grinsen begleitete seine Worte.

»Waren die zwei Mal mit dir so unvergesslich?«

»Drei Mal«, korrigierte er mich. »Und ja, ich fand mich ziemlich gut.« Einen Moment lang starrte er ins Nichts, bevor er mit Bedauern in der Stimme ergänzte: »Er ist süß. Ich versteh bis heute nicht, dass du dich nie an ihn rangemacht hast.«

»Noah ist mein bester Freund.«

»Na und? Carter und ich sind auch best buddies, und sobald klar war, dass wir beide schwul sind, sind wir für drei Wochen nicht aus dem Bett gekommen. Warum soll man keinen Spaß haben?«

Carter nickte zustimmend. »War ’ne wilde Zeit.«

»Ja. Nur ist Noah nicht schwul«, knurrte ich. Langsam nervte mich dieses Gespräch.

Andi verdrehte die Augen. »Von mir aus bi oder pan oder grün-blau gestreift. Auf jeden Fall war er scharf auf meinen Schwanz.«

»Für eineinhalb Wochen«, gluckste Carter.

»Zehn Tage können sehr intensiv sein!«

»Verkneif dir den Scheiß.« Ich warf Andi einen drohenden Blick zu. »Keiner will das hören.«

Sie zogen nicht zum ersten Mal über Noah her. Mit siebzehn, achtzehn Jahren war er regelmäßig in die Clubs mitgekommen und ich hatte mir ständig anhören müssen, was für ein treues Hündchen ich doch hätte. Nach seinem Intermezzo mit Andi waren die Sprüche noch schlimmer geworden. Kein Wunder, dass Noah irgendwann den Spaß verloren hatte. Dabei sah die Wahrheit wahrscheinlich ganz anders aus und Andi sehnte sich nur nach ihm zurück. Aber auch ein gebrochenes Herz gab ihm nicht das Recht, so herablassend zu sprechen.

»Außerdem ist Noah nicht mein Typ.« Damit war das Thema hoffentlich beendet.

Andi lachte. »Du hast doch gar keinen Typ. Du legst alles flach, was versehentlich in deine Richtung schaut.«

»Kian?«, fragte in diesem Moment eine Stimme von der Seite.

»Das ist mein Typ«, sagte ich, nahm meine Flasche und stand auf.

Max sah höllisch heiß aus. Er trug ein ärmelloses Oberteil aus silbrig glänzendem Stoff, durch den sich die Brustwarzen abzeichneten, seine Beine steckten in engen Jeans. Richard, Andi und Carter musterten ihn angetan.

Max schickte ein Lächeln in den Kreis. »Stör ich?«

»Nee, du kommst genau richtig.« Ich schnappte seine Hand und zog ihn weg von unserem Tisch, hinein in die wogende Masse aus Leibern.

»Viel Spaß«, blökte Carter uns hinterher.

Wieder tanzte ich. Wieder ließ ich mich im Takt treiben und meinen Körper die Kontrolle übernehmen. Doch diesmal war da kein sauberes Parkett unter meinen Füßen, kein Geruch nach Kerzenwachs und frischen Blumengestecken, keine zierlichen Frauenhände in meinen. Um mich herum wallte Hitze, an mich geschmiegt war der Rücken eines Mannes, dessen Locken mein Kinn streiften. Im aufflammenden Licht der Scheinwerfer leuchtete sein Haar hell, dann wurde es dunkel, dann wieder hell.

Max’ Hüften waren schmaler als erwartet, aber der verführerische Rhythmus, den sie mir vorgaben, ließ mich alles vergessen. Ich strich seine Seiten entlang, über den fließenden Stoff, schlang die Arme um ihn und zog ihn fest an mich. Er sollte spüren, was sich ihm in meiner Hose entgegenwölbte. Sofort glitten seine Finger über meine Haut, zeichneten glühende Linien. Ich drückte die Nase in seinen Nacken. Lange würde ich es nicht mehr aushalten. Ich will mehr.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, drehte Max sich in unserer Umarmung und blickte zu mir auf. Seine Lippen waren leicht geöffnet, voll und einladend, die Lider halb geschlossen. Aus seinem verhangenen Blick sprach pure Lust.

Ohne zu zögern, beugte ich mich hinab, presste meine Lippen auf seine. Er grub die Fingernägel in meine Schulterblätter. Der Kuss war hart und bestimmt. Forsch drang ich in seinen Mund, nahm mir, was ich wollte, und gab ihm einen Vorgeschmack auf das, was ihn erwartete, wenn er bereit war.

Und er war bereit. Als ich den Kuss löste, keuchte er schwer und das, was ich an meinem Oberschenkel spürte, bewies, dass auch er mit der Beherrschung kämpfte.

»Wir gehen«, raunte ich. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Max nickte hastig.

 

Wenig später stolperten wir in den dunklen Flur meiner Wohnung, streiften Schuhe und Jacken ab, ohne uns dabei voneinander zu lösen.

»Bin gleich da, geh schon mal vor. Das Zimmer hinten links ist meins«, flüsterte ich und huschte ins Badezimmer. Während ich zum Pinkeln an die Toilette trat, klapperte es im Flur.

»Hey«, hörte ich meinen Bruder sagen.

Shit. Augenblicklich verfluchte ich mich dafür, Max in meine Wohnung gebracht zu haben. Meistens schaffte ich es, meine Männer ungesehen an Henrik vorbeizuschleusen, aber Ausnahmen bestätigten die Regel.

»Ich bin Henrik.«