Total überfordert, total kaputt, total wichtig - Lennart-Elias Seimetz - E-Book

Total überfordert, total kaputt, total wichtig E-Book

Lennart-Elias Seimetz

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Beschreibung

Schüler*innen sind die „Überhörten“, wenn es um ihre eigene Bildung geht und sind gleichzeitig am meisten von den Fehlentscheidungen betroffen. Aus Sicht vieler Schüler*innen verfehlt Schule schon lange ihr Ziel und ist schon gar nicht zukunftsfähig, sagt der 19-jährige Landesschülersprecher Lennart Seimetz. Und darüber will der engagierte Abiturient endlich reden. Was also braucht es aus Sicht von Schüler*innen, um sie auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten? Als Schüler*innenvertreter hat er es oft erlebt: geht es um Schule, kommen „Experten“ zu Wort, die selber seit Jahrzehnten keine solche mehr von innen gesehen haben. Das Ergebnis sind realitätsferne Entscheidungen, zu denen die größte betroffene Gruppe, die Schüler*innen, zuvor nicht gefragt worden ist. Die verschiedensten Interessen, vor allem aber die der Ministerialmitarbeiter*innen, Didaktiker*innen und Eltern sowie fehlende Investitionen verhindern vielerorts eine Modernisierung des Bildungssystems. Seimetz macht klar welche Probleme es gibt, welche Lösungsansätze und welche Methoden sich Schüler*innen für mehr demokratische Teilhabe, Bildungsgerechtigkeit, Inklusion und psychische Gesundheit wünschen.

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Seitenzahl: 132

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8012-7052-0 [E-Book]

ISBN 978-3-8012-0668-0 [Printausgabe]

Copyright © 2023 by

Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH

Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn

Umschlag: Petra Bähner, Köln

Umschlagbild/Foto: Lennart-Elias Seimetz

Satz: Jens Marquardt, Bonn

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2023

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de

INHALT

Vorwort

Das System Schule – eine kurze Bestandsaufnahme zu Beginn

Ziel von Schule

Schule im Wandel der Zeit

Lebensort Schule

Bildungsgerechtigkeit

Inklusion

Lehrkräftemangel

Mehr Praxisnähe bitte!

Mehr Wahlmöglichkeiten

Digitalisierung

Leistung und Notengebung in der Schule

Demokratie und Schule I: Der Politikunterricht

Demokratie und Schule II: Schülervertretung und Mitbestimmung

Hate Speech

Bildung im föderalen System

Gesunde Schule

Schulaufsicht

Psychische Gesundheit

Diversität

Religionsunterricht

Gewalt und Extremismus

Schluss

VORWORT

Sie werden sich wahrscheinlich die Frage stellen: Warum sollte ich das Buch eines 19-jährigen Schülers kaufen? Die Antwort ist einfach: Müssen Sie nicht. Es freut mich jedoch umso mehr, dass Sie diese Zeilen jetzt lesen. Denn bei mir erfahren Sie aus erster Hand, wie Schüler*innen heute über Schule denken, was wir von Schule wollen, was Schule aus unserer Sicht kann und auch, was sie nicht kann. Die Stimme derer, die zur Schule gehen, ist in der ganzen Bildungsdiskussion praktisch ungehört. Finden Sie nicht, dass das ein Mangel ist?

Mein Name ist Lennart-Elias Seimetz. Abiturient aus dem wunderschönen und überschaubar großen Saarland. Seit über vier Jahren bin ich als Lobbyist für die »Überhörten« im Schulsystem unterwegs – die Schüler*innen. Drei Jahre davon als Landesschüler*innensprecher des Saarlandes, seit über vier Jahren auf Bundesebene und nun auch als Generalreferent der Bundesschülerkonferenz. All dies sind demokratisch legitimierte und auf Landesebene gesetzlich verankerte Gremien zur Vertretung der Rechte und Interessen von Schüler*innen. In den vergangenen Jahren habe ich mich mit dem durch die Schüler*innenschaft verliehenen Mandat für deren Rechte stark gemacht. Ich kenne den Apparat und die Menschen darin bestens, war bei zahlreichen Gesetzesänderungen aktiv dabei und versuchte, die Interessen der Schüler*innen nach bestem Wissen und Gewissen einzubringen. Dabei lernte ich aber auch die Abgründe, die geringe Wertschätzung und die riesigen Hürden kennen, die einem in der Schul- und Bildungspolitik oft entgegenschlagen – und die es zu überwinden gilt.

Lassen Sie es mich Ihnen bitte einen Aspekt meines Themas verdeutlichen, der mir sehr wichtig ist. Haben Sie Fragen zur Biologie, dann gehen Sie zu einem Biologen. Sind Sie krank, gehen Sie zu einer Ärztin. Haben Sie Fragen zum Thema Dinosaurier, dann gehen Sie zu einem Paläontologen. Doch wenn Menschen Fragen zur Schule haben, hören die meisten auf »Experten«, die seit 20, 30 oder 40 Jahren keine Schule mehr von innen gesehen haben. Kaum zu glauben, aber wahr! Warum diese dennoch in vielen Punkten mitreden können, weil sich vieles seit ihrer Schulzeit nicht geändert hat, ist ein Problem, auf das ich später noch eingehen werde. Was ich sagen möchte, ist, dass wir Schüler*innen die größte in der Schule vertretene Gruppe sind. Wir sind diejenigen, die am meisten von realitätsfernen Entscheidungen betroffen sind und trotzdem am wenigsten in diese Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Sicherlich gibt es auch positive Gegenbeispiele, doch im Durchschnitt ist dies die Realität, die gerade wir als Interessenvertreter*innen immer wieder erleben.

Einige der Themen, wie die demokratische Teilhabe von Schüler*innen oder das Thema Schulreform, begleiten mich seit Beginn meiner Zeit in diesen Funktionen. Andere, wie das Scheitern von Inklusion, musste ich zum Ende meiner Schulzeit leider am eigenen Leib erfahren. Vor allem eines hat mich nachhaltig geprägt und schockiert: der Hass, der jungen engagierten Menschen entgegengebracht wird, schon bei kleinsten »Fehlern«. Und zwar von denen, die uns zuhören sollten, den Erwachsenen. Es ist spannend zu sehen, wie manche sich Toleranz gegenüber eigenen Fehlern wünschen, aber gleichzeitig kleinste Verfehlungen nutzen, um Schüler*innenvertreter anzuprangern, wenn nicht sogar zu beleidigen. Dazu werden wir später noch einmal kommen, und ich habe dem, was ich bis hierhin erleben durfte und immer noch erlebe, ein eigenes kleines Kapitel gewidmet.

Ich freue mich über jeden und jede, der oder die nicht meiner Meinung ist und konstruktiv mit mir über die Themen debattieren möchte. Gerade der Bereich Bildung ist durch den Föderalismus so vielfältig, dass uns jeder Austausch weiterbringt. Das Ziel des Buches ist, aus der Sicht von Schüler*innen zu schildern: Was läuft falsch in der Schule? Wie kann sie besser werden? Aber auch, Räume zu schaffen, um über die Probleme im Bildungssystem aus Sicht von Schüler*innen mit der Öffentlichkeit und der Politik ins Gespräch zu kommen. Es geht um Zukunft, gelingende Berufskarrieren, um Gesellschaftsvorstellungen einer neuen Generation. Über Schule und ihre Defizite wird in der Öffentlichkeit meistens ohne die Schüler*innen gesprochen. Man spricht über uns, selten mit uns. Wir Schüler*innensprecher wollen der Debatte einen anderen Blickwinkel und den »Überhörten« eine lautere Stimme verleihen. Es ist nicht möglich, allgemeingültige Thesen aufzustellen, dazu ist der Bildungssektor zu divers. Aber gerade deshalb ist der Diskurs umso wichtiger.

Interessenvertretung ist jedoch nicht alles. Der schönste Teil meiner Arbeit als Schüler*innenvertreter sind für mich Seminare, Workshops und Vorträge für Schüler*innen und Fachkräfte über das Thema Demokratie in der Schule. Es ist toll, anderen etwas zu vermitteln, das direkte Auswirkungen auf ihr Leben haben kann und somit Erfolge greifbar werden lässt. Mich spornen das Interesse und die Freude von Schüler*innen an, wenn sie erfahren, welche Rechte und Möglichkeiten sie haben, ihre Schule und ihr Umfeld mitzugestalten. Es ist aber auch großartig, superengagierte Pädagog*innen zu erleben, denen wirklich etwas daran liegt, Schule nicht nur als Ort der Wissensvermittlung, sondern als Gemeinschaft zu sehen.

Welche Arten von Versäumnissen sind es, über die ich hier sprechen möchte? Es geht um veraltete Methoden, Mängel bei der Infrastruktur, weil dringend benötigte Modernisierungsmaßnahmen jahrelang aufgeschoben wurden, um den Mangel an Lehrkräften sowie deren schlechte Aus- und Fortbildung, um verpasste inhaltliche Novellierungen zum Beispiel bei den Themen Religionsunterricht, Diversität, Psyche, gesunde Schule und die Vorbereitung auf die Welt nach der Schule als selbständiger junger Mensch. Auch um Schule als sozialen Raum, in dem die Schüler*innen die meiste Zeit ihres Tages verbringen – gerade auch unter dem Gesichtspunkt des kommenden verpflichtenden Ganztags.

Das Thema mangelnder Inklusion ist eines, das ich zum Ende meiner Schulzeit am eigenen Leib erfahren musste. Durch den Rollstuhl und, damit verbunden, eine völlig andere Sicht auf die Welt wurde mir erst klar, dass in Deutschland Inklusion oft Exklusion bedeutet. Ich werde darüber berichten, welche Probleme es in der Bildung für körperlich eingeschränkte Menschen gibt. Über andere Formen der Marginalisierung und Diskriminierung schreibe ich nicht, denn mir ist klar, dass ich sie weder erlebt habe noch Experte darin bin. Im Gegenteil, als weißer Cis-Mann gehöre ich zu einer sehr privilegierten Gruppe. Daher möchte ich in meinem Buch zwar auf diese Menschen aufmerksam machen, doch jenen das Wort überlassen, die wirklich wissen, wovon sie reden. Denn ansonsten wäre weder den Betroffenen noch Ihnen als Leser, geschweige denn mir, geholfen.

Schauen wir vor allem auf das demokratische Zusammenleben. Schule ist, das wird keiner bestreiten, die »Wiege der Demokratie«, denn nie wieder erreichen wir eine so breite gesellschaftliche Schicht wie in der Schule. Welche positiven Auswirkungen gelebte Demokratie und Beteiligung auch für das außerschulische Engagement haben können, beziehungsweise für das Leben nach der Schule (auch negativ, wenn Demokratie eben nicht gelebt wird), ist vielen gar nicht bewusst. Deshalb werde ich in diesem Buch darauf eingehen, wie demokratische Beteiligung inner- und außerschulisch gestaltet werden kann, aber auch darauf, welche Hindernisse einen erwarten und was es bedeuten kann, sich als junger Mensch in der Öffentlichkeit für ein bestimmtes Ziel einzusetzen.

Demokratie ist und bleibt nun mal die einzige Staatsform, die man lernen muss. Warum beginnen wir damit nicht in der Schule? Bildung ist die wichtigste Ressource, die wir auf der Erde haben. Auch wenn wir Schüler*innen nur wenige Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind wir doch 100 Prozent Ihrer und unserer Zukunft.

DAS SYSTEM SCHULE – EINE KURZE BESTANDSAUFNAHME ZU BEGINN

Was macht Schule heute aus? Lassen Sie uns die Probleme im Bildungswesen erst mal sammeln und einordnen, um sie später genauer beleuchten zu können. Beginnen wir damit, was überhaupt das Ziel von Schule ist. Bis heute habe ich das Gefühl, dass man sich darüber nicht sonderlich einig ist. Denn fragt man unterschiedliche Interessensgruppen in der Schule, erhält man sehr verschiedene Antworten. Eltern sehen Schule oft unter dem Aspekt Unterbringung und Schutz ihrer Kinder, wohingegen Pädagog*innen möglichst viel Wissen vermitteln wollen, während es den Schüler*innen darum geht, eine breite Grundlage für ihr späteres Leben zu bekommen. Eigentlich stehen diese Wünsche ja nicht im Widerspruch zueinander, aber es ist in der Praxis oft schwer, sie in Einklang zu bringen. Vielleicht auch deshalb, weil gerade den Schüler*innen die Lobby fehlt. In der Summe hat sich in den vergangenen Jahrzehnten trotz einer Welt, die sich wahnsinnig schnell verändert, im Bildungssystem nicht viel getan, zumindest nichts Grundlegendes. Viele Entwicklungen in der Realität wurden und werden verschlafen. Was heißt das für uns Schüler*innen?

Auch die hochgehaltene Bildungsgerechtigkeit und die Inklusion sind praktisch kaum vorhanden. Auf dem Papier werden sie schön beschrieben, aber in der Praxis verpuffen diese Schlagwörter, ohne konkret in der pädagogischen Wirklichkeit anzukommen. Die Politik setzt Inklusion oft nur als Segregation oder, im schlimmsten Fall, als Form der Exklusion um.

Ein aktuell heiß diskutiertes Thema ist der Lehrkräftemangel, den ich hier aus Sicht der Schüler*innen behandeln will. Einerseits, um die Auswirkungen der jahrelangen Misswirtschaft auf uns Schüler*innen einmal klar zu benennen, andererseits, um zu zeigen, was aus unserer Sicht am Lehrberuf verbessert werden müsste.

Dass Schule oft weit entfernt von Spaß und praktischem Unterricht ist, wird niemanden überraschen. Dabei wäre es nicht besonders schwer, die Motivation anzukurbeln. Das würde jedoch mehr Wahlmöglichkeiten bei Fächern, höhere Ausstattung, mehr Personal etc. erfordern. Die Möglichkeit, sich in der Schule seinen Interessen und Stärken zu widmen, könnte sie deutlich interessanter machen.

Ebenso brisant wie der Lehrkräftemangel ist aktuell die Digitalisierung von Schule und Unterricht. Da mangelt es an allen Ecken und Enden. Es fehlen Konzepte in der Pädagogik und Methodik, Fachkräfte, Wissen, Hardware und die nötige Portion Realismus angesichts unserer digitalisierten Welt. Vor allem aber fehlt eine klare, einheitliche Linie, die andere Länder (nicht Bundesländer!) wie die Niederlande bereits für sich definiert haben.

Auch ungesunder Leistungsdruck und die falsche Herangehensweise an die Leistungsbewertung haben negative Auswirkungen auf die Schüler*innen. Zwar sind Themen wie psychische Gesundheit, Diversität und eine gesunde Schule teilweise in den Schulgesetzen verankert. Aber denken Sie bei Schule zuerst an Gesundheit, Nachhaltigkeit und Diversität? Ich nicht. Warum halten sich die Länder hier nicht an ihre selbst gesetzten Ziele, an Gesetze und bestehende Verträge?

Ähnlich schlecht sieht es bei der politischen Bildung und Beteiligung der Schüler*innen, bei der Durchsetzung ihrer Rechte und den Arbeitsmöglichkeiten ihrer Schüler*innenvertretung aus. Warum das so ist, können Sie die Schulaufsichtsbehörden oder den Gesetzgeber fragen – ach, stimmt, das ist ja dasselbe. »Gewaltenteilung« ist ein Wort, das in der Schule nicht existiert. Dazu später mehr.

Das Saarland, aus dem ich ja komme, ist das katholischste Bundesland Deutschlands. Wie steht es dort und anderswo eigentlich um den Religionsunterricht? Was sollte er können? Gerade in Zeiten der Abschottung, Radikalisierung und religiöser Konflikte trägt er in seiner derzeitigen Form nicht gerade zur Verbesserung eines toleranten Gesellschaftsklimas bei.

Apropos Radikalisierung: Diskriminierung und Rassismus in der Schule. Auch das sind Themen, die in letzter Zeit die Schlagzeilen beherrschen. Eigentlich überraschend, denn aus meiner praktischen Erfahrung gab es das schon immer. Schauen Sie sich doch einmal die Klassenchats egal welcher Schule an. Sie werden schockiert sein über die vielen rechten Parolen und Hitler-Gifs. Das fehlende Bewusstsein für die Tragweite von Grausamkeiten, der Drang, verbotene Dinge zu tun und Grenzen zu überschreiten, der Gruppenzwang und die Zugänglichkeit für rechte Parolen in jungen Jahren sind Dinge, die dieses Thema quasi natürlich beeinflussen, unabhängig von der individuellen Herkunft. Werden deshalb alle Schüler*innen rechtsradikal? Natürlich nicht. Aber warum nimmt die rechte Hetze an Schulen so stark zu? Weil die äußeren Einflüsse, sowohl aus der Öffentlichkeit als auch aus den sozialen Medien zugenommen haben und gleichzeitig der Umgang mit der Problematik und die Prävention vernachlässigt werden. Denn gefährlich wird es vor allem dann, wenn sich Radikalismus und pubertärer Spaß verbinden. Das gilt mindestens genauso bei allgemeiner und sexueller Gewalt an Schulen, Mobbing und Bullying. Vielen ist gar nicht bewusst, was da passiert. Hass und Hetze, denen engagierte Schüler*innen wie ich begegnen, bleiben uns nicht in den Klamotten hängen.

Im Kern geht es darum, wie wir später leben wollen und wo und wie dafür die Grundlagen gelegt werden. Tja, das sind eine Menge kontroverser Themen, teilweise sehr komplex. Erwarten Sie bitte keine allgemeingültigen Lösungen. Was ich bieten kann, sind die Probleme und ein paar Ideen aus Schüler*innensicht, was man da tun könnte. Mein »Standortvorteil«: Ich war bis zum Sommer 2023 auch nur ein Schüler, aber einer, dem die Schüler*innenschaft fünf Jahre in Folge demokratisch ein Mandat erteilt hat. Ich habe nichts anderes gemacht und versucht, als die vielen Meinungen, Wünsche, Ideen und Forderungen der Schüler*innen zu sammeln, zu vertreten und hier aufzuzeigen.

ZIEL VON SCHULE

Was ist eigentlich unser Anspruch, den wir an die Schule haben? Das ist eine Frage, mit der wir uns gerade im Rahmen der G9-Reform im Saarland, also der Rückkehr von acht zu neun Gymnasialjahren, intensiv auseinandersetzen mussten. Wenn man hierzu unterschiedliche Interessensgruppen befragt, erhält man ganz verschiedene Antworten.

Fragt man die Didaktiker, welche die Lehrpläne erstellen (und jeder, der schon einmal in einer Lehrplankonferenz saß, kann ein Lied davon singen), dann ist das eigene Fach nicht nur das wichtigste, das in der Schule unterrichtet wird, sondern es bräuchte viel mehr Stunden, um mehr spezifisches Wissen vermitteln zu können.

Fragt man die Eltern, geht es vor allem um den Betreuungs- und Erziehungsauftrag der Schule. In manchen Diskussionen gewinnt man den Eindruck, dass Schule ein »All-Inclusive-Paket« sein sollte. Das beinhaltet über den Unterricht hinaus die Betreuung der Kinder bis zum Abend, Unterstützung beim Erledigen von Hausaufgaben, Verpflegung und Bespaßung. Dabei ist ganz wichtig: Alles soll kostenfrei sein und eine lebenslange Garantie bieten, damit das Kind so wird, wie man es sich gewünscht hat.

Fragt man nun die Schüler*innen selbst, dann geht es neben der natürlich unumgänglichen Vermittlung von Basiswissen um sozialen Austausch und, mit steigendem Alter, um die Vorbereitung auf das »Erwachsenwerden«, also um das, was unabhängig von der späteren Berufswahl Grundlagenwissen für das Leben sein wird. Vergleichen wir diese Wünsche doch einmal mit der Realität.

An dieser Stelle muss ich an Richard David Precht denken, der in einem seiner Vorträge einmal sehr anschaulich verdeutlichte, was ein ineffizientes Schulsystem bedeutet. Er fragte sein überwiegend studiertes Publikum etwas, dass sein Sohn in der Unterstufe gelernt hatte, nämlich: »Zu welcher Wortgruppe gehört das Wort ›manche‹?« Niemand im Publikum konnte diese Frage direkt beantworten. Um es aufzulösen: Es ist ein Pronomen. Nun zog er daraus meiner Meinung nach zwei wichtige Erkenntnisse. Erstens, wenn Sie diese Frage gestellt bekommen, werden Sie nach der Auflösung sehr wahrscheinlich denken: »Das habe ich schon mal gehört.« Doch »habe ich schon mal gehört« ist nicht »wissen«. Zweitens, weder Sie – und noch weniger ihre Kinder – werden das Wort »manche« richtiger verwenden, weil sie wissen, was für eine Wortgruppe das ist.

Stellen wir nun diese Erkenntnisse einmal der Realität gegenüber, dass viele Schüler*innen, wenn sie die Schule verlassen, total überfordert sind mit den plötzlich in ihr Leben einbrechenden Anforderungen der äußeren Welt, weil ihnen über Themen wie Steuern, die erste eigene Wohnung, Finanzen oder Versicherungen nie etwas beigebracht wurde. Das sind aber Dinge, die für ein selbstständiges Leben nunmal unerlässlich sind oder, anders gesagt, die Basiswissen für ein selbstbestimmtes Leben darstellen. Wenn die Schule also nicht darauf hinarbeitet, Basiswissen zu vermitteln, das Schüler*innen auf ein selbstständiges Leben vorbereitet, verfehlt sie dann in ihrer bisherigen Form nicht spätestens an dieser Stelle ihr Ziel?

SCHULE IM WANDEL DER ZEIT