Tote brauchen kein Shampoo - Eva Link - E-Book
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Eva Link

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Drei Krimis in einem eBook

Klare Luft, hohe Berge und blauer Himmel - im kleinen Örtchen Obertanndorf im beschaulichen Allgäu ist die Welt noch in Ordnung. Das denkt sich zumindest Friseurmeisterin Luisa Schneider, als sie den Salon ihrer Tante Martha für ein Jahr übernimmt. Aber bald findet sie heraus, dass der idyllische Schein trügt und selbst am schönsten Ort der Welt gemordet wird! Und ehe Luisa sichs versieht, schneidet sie nicht mehr nur Haare, sondern jagt auch Verbrecher ...

Dieses eBook enthält die Krimis:

Mord in Obertanndorf

Die letzte Brezel

Der Hahn kräht Mord



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Seitenzahl: 446

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

TOTE BRAUCHEN KEIN SHAMPOO – Die Serie

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Folge 1: Mord in Obertanndorf

Prolog Katzengejammer

1. Ein unverhofftes Wiedersehen

2. Es ist doch nicht alles so rosig in Obertanndorf

3. Dating will gelernt sein

4. Warum Lou besser nicht im Wald joggen gehen sollte ...

5. Ein alter Bekannter taucht auf

6. Als Lou zur Verdächtigen wurde und die Kunden zurückkamen

7. Viele wirre Theorien

8. Eine Trauerfeier mit Folgen

9. Erste Ermittlungen

10. Neue Erkenntnisse

11. Ob man das Haus eines Toten betreten sollte? Besser nicht ...

12. Lous Lage wird ernst ...

13. »Hey, Siri! Es gibt keinen Ausweg, oder?«

14. Weiter geht’s ...

Folge 2: Die letzte Brezel

Prolog – Ein Dackel riecht mehr

1. Don't worry. Bifteki!

2. Ein Brezelkönig bleibt nicht lang gekrönt

3. Wiedersehen im Salon

4. Meet the Kegel Brothers ... and Sisters

5. Mary-Ann im Fokus

6. Das geheime Treffen

7. Cop ist Cop

8. Es knistert gewaltig

9. Intime Geständnisse

10. Geheimnisse wollen ans Licht

11. E 920

12. Dunkle Geheimnisse holen jeden ein

13. Was hält eine Freundschaft aus?

14. Sonntagseskalation

15. Tödliche Kombi

Folge 3: Der Hahn kräht Mord

Prolog – Bevor der Hahn kräht

1. Eine ungewöhnliche Beerdigung

2. Maultaschen helfen immer

3. Im Salon brodeln die Gerüchte

4. Die Ermittlungen beginnen

5. Ermittlungen mal anders ...

6. Zwischen Hühnerkonzert und neuen Ideen

7. Organhandel ausgeschlossen?

8. Mord im TV

9. Der tote Gast

10. Die Hände zum Himmel

11. Wie sich das Blatt wendet

12. Ab wann ist ein Einbruch ein Einbruch?

13. Ein mysteriöser Fund

14. So läuft der Hase also

15. Die Schmitz'

16. Opfer oder Täter?

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

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TOTE BRAUCHEN KEIN SHAMPOO – Die Serie

Klare Luft, hohe Berge und blauer Himmel - im kleinen Örtchen Obertanndorf im beschaulichen Allgäu ist die Welt noch in Ordnung - das denkt sich zumindest Friseurmeisterin Luisa Schneider, als sie den Salon ihrer Tante Martha für ein Jahr übernimmt. Aber bald findet sie heraus, dass der idyllische Schein trügt und selbst am schönsten Ort der Welt gemordet wird! Und ehe Luisa sichs versieht, schneidet sie nicht nur Haare, sondern jagt auch Verbrecher ...

Über dieses Buch

Folge 1 – Mord in Obertanndorf

Obertanndorf im Allgäu: Friseurin Luisa Schneider traut ihren Augen nicht, als sie den beliebten Ex-Bürgermeister Erich Niedegger tot im Wald findet. Als sich dann auch noch der ermittelnde Kommissar als ihr missglücktes Online-Date herausstellt und sie die Person ist, die den Toten zuletzt lebend gesehen hat, ist für Luisa klar: Sie ermittelt selbst!

Folge 2 – Die letzte Brezel

Obertanndorf ist in Festtagsstimmung! Heute findet der große Brezelwettbewerb statt und als die örtliche Bäckerei ”Brezelinchen” gewinnt, ist der Jubel groß. Aber bei der Siegerehrung bricht der Bäckermeister Rüdiger Vogel plötzlich zusammen. Hatte er einen Herzinfarkt? Oder hat da etwa die Brezel-Konkurrenz ihre Finger im Spiel? Der fesche Kommissar Raphael glaubt nicht an ein Verbrechen, doch Luisa und Mary-Ann haben einen schrecklichen Verdacht und beginnen zu ermitteln ...

Folge 3 – Der Hahn kräht Mord

Mary-Anns beste Freundin Beatrice ist tot. Nachdem die Rentnerin friedlich eingeschlafen ist, wird nun ihr letzter Wunsch umgesetzt – ein Begräbnis inmitten all ihrer Liebsten, inklusive der Verabschiedung am offenen Sarg. Doch auf der Beerdigung kommt es zum Schock: Im Sarg liegt nicht Beatrice, sondern ein unbekannter junger Mann! Wer ist der Fremde? Und was ist mit Beatrice passiert? Der attraktive Kommissar Raphael Weber tappt auch in diesem Fall im Dunkeln, daher beschließen Luisa und Mary-Ann, die Ermittlungen selbst in die Hand zu nehmen ...

EVA LINK

Totebrauchen keinShampoo

Luisa Schneider ermittelt

Mord in Obertanndorf

Die letzte Brezel

Der Hahn kräht Mord

Für Matthias.

Mit dir würde ich sogar meine letzte Brezel teilen. Viel‍leicht.

EVA LINK

Totebrauchen keinShampoo

Prolog Katzengejammer   

Noch einmal weiter links. Ja, genau da, hinter meinem linken Ohr.

»Schnurrrrrr.« Das tut gut.

Aber nein, was ist das denn jetzt? Dieses Geklingel schon wieder. Er wird doch nicht an sein Telefon gehen?

»Hallo?«, fragt er in die Stille hinein, nachdem mein Schnurren verstummt ist. Die Stimme, die ich gedämpft aus dem kleinen Gerät höre, stellt mir alle Haare auf. Auch ihm scheint die Situation nicht ganz zu behagen. »Im Wald, aber warum?«, fragt er, und ich merke, dass sich seine Stimmung verändert.

In meinem Inneren schrillen sämtliche Alarmglocken. Wald? Nein!

Was ist denn mit meiner Streicheleinheit? Und bald gibt es doch auch noch Abendessen. Nicht, dass er mich mal wieder vergisst und ich mit knurrendem Magen einschlafen muss ... Ich muss etwas tun.

»Okay, dann sehen wir uns gleich.« Er beendet das Gespräch und steckt das Handy in seine Hosentasche.

Ich springe auf.

Phase 1: Ich streiche um seine Beine, auch wenn ich weiß, dass es ihn ärgern wird.

Er mag es überhaupt nicht, meine flauschigen Haare an seiner Hose zu haben. Doch ich habe keine andere Wahl. Mein Gefühl sagt mir, dass mir nicht nur das Abendessen entgeht, wenn er sich nun entschließt, in den Wald zu gehen.

»Du bist aber ganz schön in Schmuselaune, meine Kleine«, flüstert er und lächelt. Er beugt sich zu mir herunter und krault mich unter dem Kinn.

Ich schnurre, was das Zeug hält – mein Plan scheint aufzugehen.

Abrupt löst er sich von mir und steht auf. »Ich muss noch einmal kurz los, bin aber gleich zurück.«

Mein Schnurren verstummt erneut.

Was jetzt? Diese Stimme, diese Person ... Gefahr, möchte ich brüllen.

»Miau«, kommt stattdessen aus meiner Kehle.

Er ist bereits an der Tür angekommen und nimmt den Mantel vom Haken.

Panisch hechte ich hinterher.

Phase 2: »Miauuuuuu, Miauuuuu.« Dieses Mal drücke ich meinen Kopf energischer gegen sein Schienbein. Ich schnurre nicht. Ich maunze, als ginge es um mein Leben.

»Ich verstehe, du hast Hunger«, sagt er schließlich. Doch er versteht gar nichts.

Ohne den Mantel noch einmal auszuziehen, geht er in die Küche und füllt den Napf mit meinem Lieblingsfutter.

Thunfischduft erfüllt die Küche, und unwillkürlich muss ich schlucken. Mein Kopf scheint wie leergefegt. Was wollte ich gerade noch einmal?

Thunfisch, Thunfisch! Aber es war doch noch irgendwas? Egal ...

Erfüllt von Glückseligkeit stecke ich den Kopf in die volle Schüssel.

Er krault mich ein letztes Mal im Nacken. »Ich bin gleich wieder zurück, Lady.«

Doch genau wie ich erwartet hatte, bleibt mein Napf am nächsten Morgen leer.

1. Ein unverhofftes Wiedersehen   

Mit einem gekonnten Sprung schwang sich Lou auf ihr mintgrünes Hollandrad und trat fest in die Pedale. Das war nun schon der dritte Tag in Folge, an dem sie es geschafft hatte, früh aufzustehen, um eine Runde laufen zu gehen. Nun würde sie sich ein wohlverdientes Croissant gönnen, bevor der Arbeitstag starten konnte.

Eine sanfte Frühlingsbrise kitzelte ihre Wangen und bescherte ihr eine Gänsehaut. Für einen Augenblick hielt sie inne und war dankbar für diesen klitzekleinen Moment, der nur ihr gehörte. Wie hatten ihr solche Morgen im hektischen, immer lauten Frankfurt gefehlt.

Sie strampelte weiter und ließ die dunkelrote Fassade der ortsansässigen Postfiliale hinter sich, die lediglich einen einzigen Schalter besaß, der nur zu absolut unmenschlichen Zeiten besetzt war. Aber immerhin gab es eine Post. Für ein Örtchen in der Größe von Obertanndorf keine Selbstverständlichkeit.

Das morgendliche Panorama des Dorfes versetzte Lou in eine nostalgische Stimmung. Bis auf ein paar wenige Neubauten und kleinere Geschäfte hatte sich hier seit ihrer Kindheit nichts verändert, wodurch sie sich immer wieder in ihre zahlreichen Sommerurlaube zurückversetzt fühlte.

Direkt vor ihr ragten die Allgäuer Alpen gen Himmel. Sie erinnerte sich an die zahlreichen Ausflüge mit ihrer Tante.

Ganz genau hatte sie ihre Stimme im Ohr. »Nur noch ein paar Meter. Und ganz oben, da gönnen wir uns was richtig Leckeres.«

Marthas üppige Vesper-Snacks waren die weite Wanderung wert, dennoch hatte ihr zehnjähriges Ich aufgestöhnt, sich aber weitergeschleppt. Und es hatte sich gelohnt, jedes Mal.

Niemals würde Lou vergessen, was sie dort oben erwartet hatte. Eine atemberaubende Aussicht über die kleinen Örtchen, schöner als jedes Hochglanzfoto eines Wandermagazins, und das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Sie hatte endlose Freiheit verspürt.

»Siehst du, meine liebe Lou. Für das richtige Ziel lohnt es sich, jede Anstrengung in Kauf zu nehmen. Auch wenn man manchmal nicht genau weiß, was das Ziel mit sich bringt – man muss mutig sein, weitergehen und hat so die Chance, positiv überrascht zu werden.«

Das war typisch Tante Martha. Sie war ein Mensch, der nie bloß schwarz oder weiß sah. Ihre Welt war bunt – und voller Lebensfreude.

Lou betrachtete die geliebten Berge, und ihr Herz schien unwillkürlich schneller zu klopfen. Wie mächtige Wächter erstreckten sie sich vor dem Ort. Sie waren ein beliebtes Wanderziel, auch wenn Obertanndorf, ganz im Gegensatz zu seinem Nachbardorf Flörich, alles andere als ein Touristenörtchen war.

Lou brauste um die nächste Kurve und entdeckte Frau Bernhard, die wie jeden Morgen mit ihrem Dackel Poldi die erste Runde lief.

»Guten Morgen.«

»Guten Morgen Luisa, du bist ja ganz schön früh dran heute.«

Die ältere Dame war erst bei der Metzgerei an der Ecke der Einkaufsstraße angekommen und wartete nicht wie sonst vor Lou in der Schlange beim Bäcker. Sie kannten sich schon, seitdem Lou das erste Mal bei Tante Martha ihre Ferien verbracht hatte, deshalb hatte sich Frau Bernhard das Du nie abgewöhnt. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal Lous Nachnamen.

»Soll ich Ihnen was mitbringen?« fragte Lou und wurde langsamer. »Dann müssen Sie nicht extra anstehen.«

»Das ist sehr lieb von dir, aber Poldi und mir tut es gut, ein wenig an der frischen Luft zu sein. Wir haben ja Zeit. Stimmt’s, Poldi?«

Der bestätigte die Aussage seines Frauchens mit einem zufriedenen »Wuff«.

»Bis morgen dann, einen schönen Tag noch.«

Lou parkte ihr Rad im Fahrradständer vor der Bäckerei.

Obwohl sie heute früher dort war, drängten sich die Leute bereits bis auf den Bürgersteig. Brezelinchen war nicht nur die einzige Bäckerei im Ort, sie war auch die beste Bäckerei des ganzen Bezirks und nicht von ungefähr mit dem Baden-Württembergischen Brezel-Preis ausgezeichnet worden.

Während sie wartete, sah Lou auf ihr Handy. Sie hatte einen verpassten Anruf und eine Nachricht auf der Mailbox.

Die Stimme von Simon Fischer ertönte, Lous erstem Kunden an diesem Tag: »Servus. Ich schaff es heute nicht zum Termin. Anni liegt in den Wehen.« Im Hintergrund hörte sie ein Stöhnen. Simon hatte wohl die Hand vor die Sprechmuschel gelegt, und Lou hörte Geraschel. »Sorry, aber das müssen wir verschieben. Ich melde mich die Tage für einen neuen Termin.«

Na klasse. Super für Anni und Simon, schlecht für Lou.

»Was schaust du denn so miesepetrig?«

Lou, die mittlerweile am Tresen angekommen war, hob den Blick und steckte das Handy zurück in die Tasche ihrer Jeansjacke.

»Morgen Oskar, nichts Wichtiges. Mein erster Kunde hat abgesagt.«

»Läuft es nicht so gut?«, nuschelte Oskar über den Tresen, damit die anderen Kunden nichts davon mitbekamen.

Lou zuckte mit den Schultern. Sollte sie ehrlich sein? Warum nicht? Schließlich kannte sie Oskar schon ihr halbes Leben. Als Kinder hatten sie miteinander Ball gespielt. Mittlerweile hatte er die Leitung der familienbetriebenen Bäckerei übernommen.

»Wie immer?«

Lou nickte.

Oskar packte zwei Croissants in eine Tüte und schob sie ihr entgegen.

»Geht aufs Haus. Cappuccino?«

Lou nickte erleichtert. »Gern doch.«

»Mama, machst du weiter?«, rief er nach hinten in die angrenzende Backstube. »Ich mach’ kurz Pause.«

Sie setzten sich an eine der gemütlichen Sitzgruppen vor der Bäckerei. Da es bei Brezelinchen zum laufenden Bäckerei- und Cafébetrieb einen wechselnden Mittagstisch gab, hatte die Bäckerei einen liebevoll gestalteten Außenbereich, der ein beliebter Treffpunkt des Dorfes war.

»Also, was ist los?«, fragte Oskar und nippte an seiner heißen Schokolade.

Lou grinste in sich hinein. Noch so ein nostalgischer Moment. Oskar hatte sich die morgendliche heiße Schokolade scheinbar nie abgewöhnt.

»Wenn das so weitergeht, muss Martha bald zurückkommen.«

»Ist sie nicht erst seit Anfang des Monats weg?«

»Das ist es ja gerade«, erwiderte Lou. »Ich habe den Salon erst vor zwei Wochen übernommen, damit sie ihre Weltreise machen kann, und seitdem hatte ich gerade einmal fünfzehn Kunden. Das sind nur zwei bis drei pro Tag. Mit so wenig Umsatz wird sich die Glückssträhne kaum halten können.«

»Was denkst du denn, woran es liegt?«, hakte Oskar nach.

Lou rührte in ihrem Cappuccino. Das hatte sie sich auch schon gefragt.

»Vielleicht daran, dass ich die Neue bin?« Mit den Fingern malte sie Anführungszeichen in die Luft.

»Du bist doch nicht die Neue. Die meisten hier im Dorf kennen dich doch schon seit du ein kleines Mädchen bist.«

»Aber scheinbar nicht so gut, dass sie sich von mir die Haare schneiden lassen wollen.«

»Verstehe ich überhaupt nicht. Ich bin mit meinem Haarschnitt sehr zufrieden. Ich finde ihn sogar noch besser als den von Martha. Aber pst, sag es ihr bitte nicht.« Er lachte, und Lou musste grinsen.

»Ich habe schon über Rabattaktionen nachgedacht.«

»Das brauchst du gar nicht. Ich bin mir sicher, wenn dich alle ein bisschen besser kennen, wird es bei dir summen wie im Bienenstock. Die werden eh bald merken, dass die Moni aus Flörich nicht ansatzweise so gut schneidet wie du. Und dazu verlangt sie fast das Doppelte. Da sieht man mal, was es ausmacht, wenn man in einem Touristenort wohnt.«

»Wahnsinn«, sagte Lou und dachte an die Preise in Frankfurt. Dort hätte sie in manchen Stadtteilen für ihre Leistung nicht nur das Doppelte, sondern sogar das Dreifache verlangen können.

»Ich muss leider wieder rein«, sagte Oskar und trank den letzten Schluck seines Kakaos. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann oder du mit jemandem reden willst, meld’ dich. Ich erzähle jetzt einfach jedem Kunden von meinem super Haarschnitt. Ob er will oder nicht.«

Zwei Croissants später kam Lou vor der Glückssträhne an. Ein Motorrad parkte auffällig zwischen den Fahrradständern, direkt vor der Tür. War das ein Fall für das Ordnungsamt? Gab es in diesem Dorf so etwas überhaupt? Musste es doch eigentlich, oder wer verteilte sonst die Knöllchen?

Lou kramte den Schlüssel aus der Tasche ... Moment einmal. Die Tür stand einen Spaltbreit offen.

Panisch sprang Lou einen Satz nach hinten. Sie sah nach links und rechts, doch die Straße war leer. Keine Menschenseele war zu sehen. Alles schien wie immer.

Habe ich vielleicht nicht abgeschlossen? Könnte es ein Einbrecher sein? Sollte ich besser direkt die Polizei rufen? Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Immer langsam, Lou, wir sind hier in Obertanndorf, nicht in Detroit.

Sie entschied sich dafür, erst einmal selbst nachzusehen. Vielleicht nicht die logischste Entscheidung, aber so konnte sie sich zunächst einen Überblick verschaffen.

Sie fummelte in ihrer Tasche herum. Endlich fand sie, was sie suchte – Pfefferspray. Es war unverzichtbar, wenn man an einem sozialen Brennpunkt in einer Großstadt wie Frankfurt lebte. Jedoch hätte sie nicht damit gerechnet, dass es in einem Örtchen wie Obertanndorf zum Einsatz kommen würde.

Mit der kleinen schwarzen Dose bewaffnet ging sie langsam vorwärts. Sollte sie »Hallo« rufen? Vielleicht war das keine so gute Idee. Zumindest in Horrorfilmen nahm spätestens dann das ganze Drama seinen Lauf.

Um die Türglocke nicht zu betätigen, schob sie die Tür mit der Fußspitze millimeterweise auf – gerade so weit, dass sie den Kopf durch den Spalt stecken konnte. Das Pfefferspray fest umklammert, spähte sie in den noch dunklen Friseursalon.

Erst einmal kam ihr nichts verdächtig vor. Doch dann sah sie eine Frau. Lou erkannte die Gestalt nur schemenhaft. Die Frau hatte ihr den Rücken zugewandt. Sie saß am anderen Ende des Salons auf einem der dunklen Sessel der Wartelounge und blätterte in einer Zeitschrift. Die roten Locken kamen Lou jedoch mehr als bekannt vor ...

»Marianne?«, fragte Lou verwundert.

Die Frau drehte sich um. Die rotgeschminkten Lippen formten sich zu einem breiten Lächeln.

»Da bist du ja, Liebes.« Die Rothaarige erhob sich, ging auf Lou zu und hauchte ihr zwei Luftküsse links und rechts entgegen. »Aber bitte nenn’ mich Mary-Ann. Marianne steht nur noch auf meinem Ausweis. Das macht mich älter, als ich bin. Lass dich mal ansehen, Kindchen. Das muss Jahre her sein. Gut siehst du aus!«

Lou stand immer noch perplex vor ihr, während sie die Frau musterte und sich durch die schokobraunen welligen Haare fuhr. Sie hätte mit allem gerechnet – Einbrechern, verrückten Kunden, die sich lieber selbst die Haare färben wollten ... aber nicht mit dem Auftauchen von Marianne, der besten Freundin ihrer Tante.

»Was machst du denn hier? Und wie bist du reingekommen?«

»Mit meinem Schlüssel.« Sie schwenkte einen vollen Schlüsselbund. »Martha hat mir schon vor Ewigkeiten einen gegeben, falls sie sich mal wieder aussperrt oder sonst einmal Hilfe braucht.«

»Und du wolltest hier ...?«

»Na, dich unterstützen.«

»Unterstützen?« Sämtliche Alarmglocken schrillten in Lous Kopf. »Wobei denn unterstützen?«

»Na, mit den Kunden. Ich habe gestern noch einmal mit deiner Tante gesprochen, bevor sie ihr Handy auf Flugmodus geschaltet hat. Sie meinte, dass du überhaupt keine Dauerwelle anbietest. Und da dachten wir, dass ich dir helfen könnte. Was ist denn das für ein Salon, der keine Dauerwelle anbietet?«

»Ein ... moderner Salon?«

»Schwachsinn. Hier auf dem Land sind mindestens siebzig Prozent deiner Kundinnen über fünfundsiebzig Jahre alt, meine liebe Lou. Die wollen eine Dauerwelle und ein bisschen über das Wetter reden. Da kommst du mit deinen modernen Techniken wie Balayage, Ombré und wie sie nicht alle heißen ganz bestimmt nicht weit.«

Lou dachte an ihr leeres Terminbuch, und ihr schlechtes Gewissen klopfte wieder an. Sie wollte den Friseursalon ihrer Tante auf keinen Fall in den Ruin treiben, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, auch nur einen Tag mit Marianne, Mary-Ann – oder wie sie sich auch nennen mochte – zusammenzuarbeiten.

»Wir wuppen das schon, mach dir keine Sorgen.« Mary-Ann strahlte.

Lou versuchte die Sache abzuwenden: »Du hast doch bestimmt einen Job, bei dem du dringend gebraucht wirst.«

»Darüber musst du dir gar keine Sorgen machen, Liebes. Du weißt doch, ich habe die Arbeit als Friseurin schon vor Jahren an den Nagel gehängt. Ich arbeite jetzt Vollzeit als Astrologin und bin flexibel. Da arbeite ich meist abends. Daher helfe ich deiner Tante immer wieder gern aus. Gerade in den Sommermonaten, wenn die Leute wieder mehr nach draußen gehen und sich schön machen wollen. Da boomt das Geschäft.«

Lou gab sich geschlagen. Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, war sie in ihrer momentanen Lage auf Mary-Ann angewiesen. Schlimmer würde es wahrscheinlich nicht werden können.

2. Es ist doch nicht alles so rosig in Obertanndorf   

Kikeriki. Das Krähen der Türglocke ertönte. Mittlerweile hatte sich Lou an dieses ungewöhnliche Klingelgeräusch gewöhnt und zuckte nicht mehr jedes Mal zusammen, wenn jemand den Salon betrat.

Nachdem dunkle Wolken aufgezogen waren und es verdächtig nach Gewitter gerochen hatte, hatte sich Mary-Ann auf ihr Motorrad geschwungen und sich für diesen Tag verabschiedet. Was eine gute Entscheidung gewesen war – mittlerweile schüttete es nämlich wie aus Kübeln.

»Guten Morgen, alles gut bei dir?«

Lous Miene hellte sich auf.

Der Mann, der den Friseursalon betrat, brachte jeden Morgen ein wenig Sonne mit. Egal, welches Wetter vorherrschte, Franz Bierbaum – Obertanndorfs Postbote, seit Lou denken konnte – hatte ein breites Lächeln auf dem Gesicht.

Er schüttelte sich den Regen von seiner Wind- und Wetterjacke. Die Schuhe trat er sich am innen liegenden Fußabtreter ab, bevor er die paar Schritte zu Lou an den Tresen ging. Franz kramte in seiner Tasche und hielt ihr schließlich ein kleines Bündel Briefe hin.

»Alles wunderbar, und bei dir, Franz?«

»Ich kann nicht klagen, alles bestens.«

»Also so wie immer«, stellte Lou fest und schmunzelte. »Sonst auch alles gut? Wie geht es Lydie?«

Lou hatte sich fest vorgenommen, ein wenig mehr über die Dorfbewohner zu erfahren. Je mehr Kontakte sie knüpfte, desto wohler würde sie sich fühlen, und dann würden ihr sicher auch mehr Menschen als Friseurin vertrauen.

»Seit wir in unser kleines Häuschen gezogen sind, ist es für uns alle entspannter. Die Kinder haben endlich eigene Zimmer, und seit letztem Monat geht Lydie auch wieder arbeiten. Bei Ullrichs Schneiderei.«

Sabine Ullrich war Lou ein Begriff. Sie wusste zu jedem Thema etwas zu sagen und war quasi als örtliche Boulevardpresse bekannt. Eine richtige Tratschkachel, wie Martha sagen würde.

»Das tut uns allen gut. Dieses Jahr geht es dann auch endlich wieder in den Urlaub.«

»Wie schön. Wohin?«

»Mallorca. Wir dürfen noch einmal in die Finca vom Rüdiger. Du weißt schon, Rüdiger Vogel, der Seniorchef vom Brezelinchen.«

»Der hat dort eine Finca?«

Franz Bierbaum nickte. »Ja, eine ziemlich große sogar. Mit Pool und allem, was dazu gehört.«

Das passte. Die Dorfbewohner folgten gewissen Regeln und schätzten das Altbekannte, ob es nun um den jährlichen Urlaub auf Mallorca oder die immer gleiche Friseurin ging. Lous Übernahme des Salons hatte die unausgesprochenen Regeln des Dorfes gewissermaßen gesprengt, und so blieb mancher Obertanndorfer weiterhin skeptisch.

Deshalb wunderte sich Lou auch nicht weiter, als sie Frau Schmitz mit ihrem giftgrünen Regenschirm entdeckte, die vorgeblich vor dem Salon die Preisliste begutachtete, nur um immer wieder mit einem Auge ins Ladeninnere zu spähen und sie und Franz zu beobachten.

Lou wusste genau, dass Frau Schmitz Stammkundin ihrer Tante gewesen war und sich nun nicht mehr im Salon blicken ließ, seit Lou ihn übernommen hatte.

Als sich ihre Blicke trafen, winkte ihr Lou zu.

Doch die ältere Dame schüttelte nur den Kopf und nestelte an ihrer Tasche herum.

Lou verabschiedete sich von Franz, und als sie das nächste Mal nach draußen sah, war die ältere Frau verschwunden.

Lou seufzte und blätterte durch das Terminbuch. Nachdem Simon abgesagt hatte, würde der nächste Kunde erst um halb elf kommen. Somit hatte sie noch eine halbe Stunde Zeit.

Sie beschloss, sich zunächst der Post zu widmen. Mit dem Stapel Briefe in der Hand ging sie durch den Salon bis nach hinten in die kleine Lounge, in der vorhin Mary-Ann auf sie gewartet hatte. Lou fühlte sich rundum wohl an ihrem neuen Arbeitsplatz, auch wenn es ohne Tante Martha etwas einsam war.

Ihre Tante hatte wirklich Geschmack bewiesen. Die Sitzplätze der Kunden befanden sich an der Wand gegenüber dem Tresen. Jeder der drei Stühle aus cognacfarbenem Leder stand vor einem riesigen kreisrunden Spiegel. Hinter den Spiegeln waren Lampen angebracht, sodass die Ränder leuchteten und den Salon in ein sanftes, indirektes Licht tauchten. Auch die schlichte Holzplatte, die darunter an der Wand befestigt war, schenkte dem Raum ein gemütliches, aber dennoch modernes Flair.

Lou setzte sich auf die Ledercouch des Wartebereichs und breitete die Post vor sich auf dem Beistelltisch aus. Ganz unten versteckte sich eine Postkarte, auf deren Vorderseite in großen Buchstaben København prangte. Sie zeigte die farbenfrohen Häuserfassaden des bekannten Hafens Nyhavn.

Lou drehte die Karte um und freute sich auf die kurze Geschichte, die ihr Martha über jeden ihrer Aufenthaltsorte schickte. Meist waren es lokale Sagen oder Gerüchte, die spannend, lustig oder skurril waren.

Meine liebe Lou,

ich kann mir vorstellen, dass du noch immer mit den Dorfbewohnern zu kämpfen hast. Sie sind manchmal etwas eigen, aber ich bin mir sicher, dass du sie mit deiner charmanten Art früher oder später weichklopfen wirst.

Ich hingegen kämpfe in Kopenhagen mit meinem schlechten Englisch und merke immer mehr, dass mein Onlinekurs wahrscheinlich nicht der Beste war.

Gestern habe ich die Brauerei Carlsberg besichtigt. Keine Ahnung, was mich dazu getrieben hat, zumal ich ja eigentlich gar kein Bier trinke. Allerdings hat es so gut geschmeckt, dass ich mich nach einigen Flaschen an nicht mehr viele Details der Führung erinnern kann. Nur noch daran, dass sie 1847 in Kopenhagen gegründet wurde. Das ist ganz schön lange her, findest du nicht?

Bis ganz bald. Ich drücke dich fest. Deine Martha.

Vor ein paar Monaten hatte Martha Lou in Frankfurt besucht und sie gefragt, ob sie sich zutraute, die Glückssträhne für ein Jahr zu übernehmen, sodass sie auf Weltreise gehen konnte.

Lou wusste, dass dies schon lange Marthas Traum gewesen war, sie sich aber nie getraut hatte – wegen des Salons und ihres grummeligen Mannes Eberhard. Nach der Scheidung war sie regelrecht aufgeblüht. Von ihrem angesparten Geld hatte sie den Salon renoviert und sich selbst neu erfunden. Doch das hatte für ihr vollkommenes Glück noch nicht ausgereicht. Sie wollte weg. Weg aus dem Allgäu, weg aus Obertanndorf.

Für Lou war es eine klare Bauchentscheidung gewesen, den Salon zu übernehmen. Frankfurt zu verlassen war ihr nicht leichtgefallen. Doch da sie an ihrem vorherigen Arbeitsplatz überaus unzufrieden gewesen war, glaubte sie daran, dass sie das Schicksal nach Obertanndorf führte.

Zurück an den Ort, an dem sie als Kind am liebsten ihre Ferien verbracht hatte. Während ihre Tante arbeiten musste, hatte Lou unzähligen Puppen, inmitten Dauerwellen-geschwängerter Luft, die Haare frisiert.

Genau diese Besuche waren es gewesen, die in ihr den Wunsch wachsen ließen, selbst einmal Friseurin zu werden. Ein Beruf, in dem sie allerdings erst über Umwege gelandet war. Nach der Schule entschied sie sich zunächst für ein Psychologiestudium. Doch bereits nach vier Semestern war klar: Sie würde das Studium schmeißen und sich Scheren und Farben widmen.

Sie drehte die Karte noch einmal um und begutachtete das Bild des dänischen Hafens im rötlichen Licht des Sonnenuntergangs.

Dann stand sie auf und hängte sie zu den anderen Postkarten, die sie innerhalb der letzten Wochen an der Lichterkette über der Couch befestigt hatte. Wenn das so weiterging und Martha zwei Karten pro Woche verschickte, würde der Platz bald ziemlich knapp werden.

Kikeriki. Das schrille Krähen riss sie wenig später aus ihrem Brüten über Rechnungen und Werbung. Sie sah auf die Uhr. Zehn Uhr fünfzehn. Hier waren die Menschen mehr als pünktlich.

»Hallo, Herr Niedegger. Schön, dass Sie da sind.«

Lou schob die Post zusammen, erhob sich vom Sofa und streckte den Arm aus, um dem Herrn mittleren Alters die Hand zu schütteln.

Erich Niedegger erwiderte ihren festen Händedruck und lächelte sie zurückhaltend an.

»Kann ich Ihnen den Mantel abnehmen?«, fragte Lou höflich, fröstelte aber beim Gedanken, den nassen Cordstoff zu berühren. Nasse Haare anzufassen war überhaupt kein Problem für sie. Aber wenn es um andere Dinge ging, wie bestimmte Stoffe oder Holz, stellten sich bei ihr bereits beim bloßen Gedanken daran die Nackenhaare auf.

Der Mann reichte ihr den Mantel.

Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich und nahm ihn mit der ganzen Hand, anstatt nur mit Daumen und Zeigefinger, wie sie es lieber getan hätte.

»Freie Platzwahl«, sagte Lou und zeigte auf die drei leeren Stühle.

Erich Niedegger entschied sich für den Stuhl am Fenster und legte seine Brille auf dem Holzbrett vor ihm ab.

Lou setzte sich neben ihn auf einen Drehhocker und sah ihm mit einem zarten Lächeln auf den Lippen im Spiegel in die Augen. »Was kann ich für Sie tun?«

Sie wusste, dass der ehemalige Bürgermeister Obertanndorfs ein treuer Kunde ihrer Tante war, dennoch kannte sie weder ihn noch seine Haarstruktur.

»Die Seiten bitte mit der Maschine schneiden. Ich glaube vier Millimeter macht Martha immer. Und oben auch etwas kürzer.«

Lou nickte. »Wunderbar. Dann dürfen Sie mir gern einmal folgen. Ich wasche Ihnen zuerst die Haare.«

Der Mann erhob sich und nahm auf dem Sessel vor dem Waschbecken Platz. Während sie ihm die Haare schamponierte, rutschte er unruhig auf seinem Sitz hin und her. Fast so, als hätte er kaum Zeit und die Kopfmassage, die bei ihren Kunden sonst sehr beliebt war, würde ihn nur aufhalten.

Lou überlegte kurz, ihn zu fragen, ob sie sich beeilen sollte, entschied sich aber dagegen. Er war bereits fünfzehn Minuten früher zu seinem Termin erschienen. Ein wenig Zeit musste er schließlich für seinen Friseurbesuch eingeplant haben.

Zurück an seinem Fensterplatz wippte Erich Niedegger weiterhin mit den Füßen auf den Fliesen herum. Er schien zudem etwas blass um die Nase zu sein.

»Alles in Ordnung? Hätten sie gern einen Kaffee?«, fragte Lou besorgt. Wobei das Koffein ihn möglicherweise in einen noch hibbeligeren Zustand katapultieren würde.

»Später vielleicht, aber ein Glas Mineralwasser wäre wunderbar.« Seine Stimme klang belegt.

Lou ging zu der schmalen Theke, auf der sich Wasserflaschen und ein Kaffeeautomat befanden. Sie füllte eines der Gläser mit Mineralwasser und brachte es dem Mann.

Gierig nahm er ein paar große Schlucke und stellte das Glas vor sich ab. »Wir können loslegen«, sagte Niedegger und nickte Lou zu.

»Ist wirklich alles in Ordnung?«

Sie wusste genau, dass viele Menschen einen Friseurbesuch einer therapeutischen Sitzung gleichsetzten. Sie hatte in den acht Jahren ihres Arbeitslebens schon einige intime Geständnisse zu hören bekommen. Männer oder Frauen, die ihren Partner betrogen, waren dabei noch die harmloseste Variante.

Sie konnte nicht erklären, woran es lag, aber sobald jemand auf dem Stuhl vor dem Spiegel Platz nahm, war es, als wiegte er sich in Sicherheit. Als sei der Salon ein kuscheliger Kokon und alles, was die Person hier erzählte, würde niemals durch diese schützende Hülle nach außen dringen.

Lou setzte die Schere an, als eine Melodie ertönte.

»Entschuldigung«, sagte Erich Niedegger und ging zu seinem Mantel. Er starrte auf das Display und schien in sich zusammenzusacken. »Da muss ich kurz rangehen.«

»Kein Problem«, sagte Lou verständnisvoll. »Ich mache Ihnen in der Zeit doch einen Kaffee, in Ordnung?«

Niedegger nickte und entfernte sich ein paar Schritte. »Udo?«

Der Anrufer schien viel zu sagen, während Erich Niedegger lange still blieb.

»Was ist denn jetzt schon wieder mit dem Haus?«

Lou ermahnte sich selbst, nicht zu lauschen, jedoch hallte jedes Wort in der sonst leeren Glückssträhne wider.

»Ich werde es nicht verkaufen. Auch nicht zu diesem Preis.«

Im Augenwinkel sah Lou, wie traurig und kraftlos er wirkte.

»Ich möchte nicht umziehen, und Mariella werde ich bestimmt auch nicht auf die Straße setzen, nur weil du das Haus verkaufen möchtest. Ich muss jetzt auflegen. Ich bin beim Friseur. Wir hören uns später.«

Lou stellte den Kaffee an seinen Platz.

»Na, dann wollen wir mal«, sagte sie und nahm die Schere aus der Gürteltasche.

»Danke für den Kaffee«, erwiderte Erich Niedegger. »Ein Schnaps wäre mir lieber, aber für den Anfang ...« Er verzog den Mund zu einem schiefen, freudlosen Grinsen. Dennoch nahm er einen großen Schluck der heißen dunklen Brühe. Dass er sich dabei nicht den Mund verbrannte ...

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

»Wohl eher nicht, nein ... es sei denn, Sie haben Erfahrung mit liebesdusseligen Söhnen?«

»Bisher noch nicht, aber ich habe ein offenes Ohr und vielleicht trotzdem eine gute Idee.«

Sie dachte an ihr Psychologiestudium und die praktischen Kurse, in denen immer wieder gepredigt worden war, dass nicht sie die Impulse setzen sollte, sondern der Klient von selbst auf Lösungen kommen musste. Das war etwas, für das sie in ihrem Beruf oftmals keine Zeit hatte. Da mussten schnelle Lösungen her.

»Mein Sohn hat eine neue Freundin, und seitdem hat er sich komplett verändert.«

»Woran merken Sie das?«

»Na, er isst seit neuestem Kaviar und geht in teure Restaurants. Sogar einen Porsche hat er sich für ein Wochenende gemietet, um sie zu beeindrucken.«

»Denken Sie nicht, dass er selbst Freude daran hat?«

»Nein, so ist er nicht. Er war bisher immer bodenständig und hat keinerlei Wert auf Luxus gelegt. Aber Melanie hat ihm völlig den Kopf verdreht. Die ist eine Heilerin, eine Osteo-pathin oder so was. Scheinbar hat sie sämtliche Techniken an ihm angewendet, und er ist gar nicht mehr Herr seiner Sinne.«

Lou schmunzelte. Das klang fast, als hätte diese Melanie Udo Niedegger gegen seinen Willen hypnotisiert.

»Und die Krönung ist nun, dass er unser Haus verkaufen will. Dieses Haus haben meine Eltern nach dem Krieg selbst erbaut. Nicht nur ich bin dort geboren, er auch. Dazu kommt, dass Mariella im Untergeschoss wohnt und ich ihr nicht so einfach kündigen kann und will. Frau Moretti ... Mariella ist meine Haushaltshilfe, wissen Sie.« Er sah zu Lou, die ihm zunickte. »Das ist ihm aber völlig egal. Er möchte, dass ich ihn ausbezahle oder das Haus verkaufe, um sich davon eine große Wohnung in Lindau zu kaufen. Er will zu seiner Freundin ziehen und spricht dauernd von Familie.«

»Das tut mir leid. Das klingt auf jeden Fall sehr kompliziert.« Sie machte eine kurze Pause. »Aber dass er sich eine Familie wünscht ist doch erst einmal etwas Positives, oder? Sie konnten doch immer gut mit Kindern.«

Lou erinnerte sich an die legendären Sommerfeste in Obertanndorf mit einem riesigen Maislabyrinth für die Kinder. Erich Niedegger war als Bürgermeister stets mitten im Geschehen und sich nie zu schade gewesen, mit den Kindern zu toben und zu spielen.

»Grundsätzlich ja. Ich wünsche mir auch Enkel, aber ich traue dem Ganzen nicht. Das geht mir einfach zu schnell.«

»Vielleicht können Sie noch einmal ganz in Ruhe mit Ihrem Sohn sprechen? Ohne Melanie.«

Er schüttelte resigniert den Kopf. »Keine Chance. Allein haben wir uns das letzte Mal vor bestimmt drei Monaten gesehen. Aber lassen wir das Thema.« Er machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. »Wie haben Sie sich hier bisher eingelebt? Gefällt es Ihnen hier in Obertanndorf?«

Lou beschloss, nicht mehr weiter nachzuhaken. Sie war sehr neugierig, jedoch machte Erich Niedegger deutlich, dass er nicht mehr weiter über das Thema sprechen wollte.

»Bisher gefällt es mir ganz gut. Mein Start ist zwar noch ein wenig holprig. Es sind nicht alle so aufgeschlossen wie Sie und lassen sich direkt von der Neuen die Haare schneiden.« Sie lachte und begann, die Seiten mit der Schneidemaschine zu kürzen.

Der Mann schloss die Augen und entspannte sich zum ersten Mal ein wenig.

»Fertig«, sagte Lou einige Augenblicke später, steckte die Maschine zurück in ihr Etui und nahm das Handtuch von Niedeggers Schultern.

Da klopfte jemand gegen die Fensterscheibe. Die Frau auf der anderen Seite winkte heftig. Sie trug Jeans und darüber einen gelben Friesennerz, womit sie in Obertanndorf definitiv auffiel. Schwarze Locken kringelten sich aus der Kapuze, die sie sich weit in das Gesicht gezogen hatte. Sie lächelte.

Auch Erich Niedeggers Mundwinkel bogen sich nach oben, als er zurückwinkte.

»Da ist ja Mariella. Pünktlich wie immer. Samstags gehen wir oft gemeinsam auf den Markt.«

»Das nenne ich Timing.« Lou lächelte die Frau an und ging los, um Herrn Niedeggers Mantel zu holen. Nach allem, was der Mann ihr in der letzten halben Stunde erzählt hatte, beruhigte es sie ein wenig, dass er nicht allein war und jemanden hatte, der ihn unterstützte.

Nachdem der Nachmittag eher schleppend verlaufen und der letzte Kunde an diesem Tag gegangen war, schnappte sich Lou den Wischmopp und putzte den Salon. Sie war froh, dass nun zwei freie Tage vor ihr lagen. Tage, an denen sie nicht in ein nahezu leeres Terminbuch starren und sich den Kopf über den Salon zerbrechen musste.

Obwohl sie inzwischen viele andere Geschichten und Wehwehchen gehört hatte, ging ihr das Gespräch mit Erich Niedegger nicht aus dem Kopf. So viel Traurigkeit hatte in seinen Augen gelegen. Als hätte der Mann den Glauben an das Gute in seinem Sohn verloren. Und das alles wegen einer Frau?

Solche Veränderungen kannte Lou nur aus Filmen. Menschen, die sich um hundertachtzig Grad drehten, nur weil sie sich in die falsche Person verliebt hatten. So etwas gehörte doch nach Hollywood, nicht nach Obertanndorf. Vielleicht war das Örtchen nicht ganz so verschlafen und unschuldig, wie Lou immer geglaubt hatte ...

3. Dating will gelernt sein   

Lou hob ihren Fuß aus der mittlerweile ausgekühlten Wanne, um noch etwas warmes Wasser nachzulassen. Mit einer gekonnten Bewegung schob sie den Griff der Armatur mit dem großen Zeh nach oben, sodass ein warmer Strahl frischen Wassers in die Badewanne sprudelte.

Sie seufzte glücklich. Was konnte es Schöneres geben, als nach einem Arbeitstag bei einem heißen Bad zu entspannen?

Der intensive Geruch von Eukalyptus hatte mittlerweile den gesamten Raum geflutet. Lou schwor darauf, dass ein frühzeitiges Bad mit Eukalyptus jegliche Keime besiegte und sie deswegen so selten krank wurde.

Ein penetrantes, jedoch gedämpftes Piepen riss sie aus ihrer Entspannung.

Sie richtete sich auf, nahm das Handtuch von der Ablage und wischte sich den Arm trocken, bevor sie nach dem Handy tastete, welches sie zuvor auf dem Badteppich neben der Wanne abgelegt hatte. Doch – nanu! – ihr Handy war verschwunden.

Sie sah über den Wannenrand. Sammy, der rot getigerte Kater ihrer Tante, hatte es sich auf dem Smartphone gemütlich gemacht und schnurrte zufrieden.

»Sammy, runter da! Das ist doch kein Katzensofa.«

Vorsichtig schob Lou den rundlichen Kater zur Seite und angelte sich das Handy. Doch sie war zu langsam. Sie erkannte den Namen ihrer Kindheitsfreundin auf dem Display, deren Anruf bereits auf die Mailbox umgeleitet worden war. Sie berührte den Bildschirm, um sie zurückzurufen, und stellte den Lautsprecher an.

Bevor sie etwas sagen konnte, plapperte Mona direkt los. »Lou meine Süße, wie geht es dir? Klappt es langsam besser mit den Dörflern?«

Lou war erleichtert, die Stimme ihrer besten Freundin zu hören. Seitdem sie nicht mehr in derselben Stadt wohnten, versuchten sie, regelmäßig zu telefonieren. Was allerdings wegen Monas Kinder nicht ganz so regelmäßig funktionierte, wie sie sich das vorgenommen hatten. Dann blieben oft nur Sprachnachrichten.

»Du wirst es nicht glauben. Meine Tante hat mir ihre Freundin geschickt, Marianne. Erinnerst du dich?«

»Marianne?« Es wurde ruhig. Sie schien zu überlegen. »Diese Esoteriktante? Warum das denn? Wenn jemand den Salon rocken kann, dann du.«

»Das dachte ich auch, aber ... ach, ich weiß auch nicht ...« Lou seufzte. »Es gibt hier wirklich viele ältere Leute, die etwas anderes wollen, als ich bieten kann.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Dauerwellen«, zitierte Lou Mary-Ann.

»Oh«, erwiderte Mona, und es herrschte einen Moment Stille. »Das leuchtet ein. Wahrscheinlich ist es wirklich das Beste, wenn du es einfach auf dich zukommen lässt.« Mona schlug einen unbeschwerten Ton an. »Und was machen deine sozialen Kontakte?«

»Null Komma nichts.«

Der Morgen mit Oskar war das einzige Zusammentreffen mit anderen Leuten außerhalb ihrer Arbeitszeit in der gesamten letzten Woche gewesen. Viele junge Menschen gab es in Obertanndorf nicht. Und die, die es gab, hatten entweder Familie oder feste Freundeskreise, die sich schon ewig kannten und in die es Lou selbst als junges Mädchen nicht hineingeschafft hatte.

»Mensch, du versauerst ja noch in den Bergen. Es würde dir bestimmt guttun, wenn du mehr unter Leute gehst.«

Das sagte sie so einfach.

»Mache ich doch. Ich gehe jeden Morgen zum Bäcker, ich habe Kunden im Salon und gehe regelmäßig einkaufen. Das sind mehr soziale Kontakte, als manch anderer hat.«

»Das stimmt schon, aber du wirst ja mindestens ein Jahr in Obertanndorf bleiben. Da wären Freunde vor Ort auf jeden Fall schön. Oder vielleicht sogar ein netter Mann?«

Lou konnte sich Mona vorstellen, wie diese eine Augenbraue hob und sie breit angrinste. Doch sie wusste genau, dass Lous letzte Beziehung in einem Desaster geendet hatte und sie daher nicht scharf darauf war, sich schnellstmöglich wieder zu verlieben.

»Es sind nicht alle Männer wie Thorben«, tönte es aus dem Lautsprecher, als hätte Mona Lous Gedanken gehört. »Ich verstehe, dass es dir schwerfällt. Aber wenn du jeden Abend nur mit Sammy kuschelst und Netflix schaust, wird es auch nicht besser. Ich denke, es lohnt sich, noch einmal jemandem eine Chance zu geben ...«

Vielleicht hatte Mona recht. Lou hatte sich immer eine Beziehung wie die von Mona und Jens gewünscht. Die beiden waren ein perfektes Team. Sie kannte kein anderes Paar, das sich so liebevoll behandelte, so viel miteinander lachte und sich gegenseitig unterstützte, egal welche Flausen der andere im Kopf hatte. Es stimmte, auf dem Sofa würde sie niemanden kennenlernen.

»Du könntest WeDate noch einmal ausprobieren«, schlug Mona vor.

»Bloß nicht WeDate!« Bisher hatte sie zwar nur ein einziges Date gehabt, das über ein Match der Datingapp zustande gekommen war. Dieses war aber so langweilig gewesen, dass sie keinerlei Interesse daran hatte, diese Erfahrung noch einmal zu wiederholen.

»Ach, Lou. Gib dir einen Ruck. Du kannst es ja eine halbe Stunde testen, und wenn nichts dabei ist, kannst du dir immer noch einen gemütlichen Abend machen.«

Missmutig rutschte Lou ein Stück tiefer in die Wanne, pustete eine Schaumwolke von ihrem Gesicht.

»Komm schon. Was hast du denn schon zu verlieren?«

Lou seufzte. »Eine halbe Stunde.«

»Na also. Das klingt doch nach einem Plan. Ich muss jetzt zu Tom und Emma. Die beiden wollen unbedingt noch eine Runde Laufrad fahren vor dem Schlafengehen.«

»Alles klar. Ich melde mich.«

Nachdem Lou sich abgetrocknet hatte und in ihren Bademantel geschlüpft war, machte sie es sich vor dem Sofa auf dem Boden bequem. Das war ein Tick, den niemand verstehen konnte, aber sie liebte es, mit dem Rücken angelehnt vor dem Sofa zu sitzen.

Da ihr Account nicht mehr verfügbar war, legte sie sich bei WeDate ein neues Profil an und lud eine Handvoll datingtaugliche Fotos hoch. Sie scrollte durch die ihr vorgeschlagenen Profile. Lou wusste, dass beide Parteien sich gegenseitig liken mussten, damit sie sich dann auch schreiben konnten. Das war ein klein wenig wie bei Herzblatt früher, das sie als Kind so gerne mit Tante Martha angeschaut hatte.

Lou hatte genau die bekannte Stimme im Ohr: Hier ist Ihr Herzblatt!

Bei WeDate allerdings ging es nicht um charmante Antworten, sondern im ersten Schritt lediglich um das Aussehen der anderen Person. Das fand sie befremdlich. Anhand von ein paar Fotos und einem Text, der meist fernab jeder Realität war, zu entscheiden, ob man einen Menschen näher kennenlernen wollte, behagte ihr nicht. Dennoch wollte sie der App heute noch eine Chance geben. Vielleicht wurde sie tatsächlich überrascht ...

Lou beäugte den Mann auf dem Handydisplay genauer. Er war wirklich attraktiv. »Raphael, vierunddreißig, aus Lindau am Bodensee«, las Lou laut vor. »Was meinst du, Sammy?« Sie hielt dem Kater ihr Handy entgegen. Sammy hob kurz den Kopf, putzte sich dann jedoch völlig unbeeindruckt weiter.

»Lieber nicht ...«, murmelte Lou und war schon im Begriff, abzulehnen. Doch sie entschied sich dafür, Mona einen Screenshot zu schicken.

Lou: Na, was meinst du?

Mona: Wow, das ist ja ein Sahneschnittchen. Auf geht’s! Gib ihm ein Like. :)

Lou öffnete die App erneut und sah sich das Profil genauer an. »Also, Sammy, Raphael klettert und fährt gern Motorrad. Er liebt Sushi und kocht am liebsten selbst. Hmm.«

Sie rollte sich zu Sammy auf den flauschigen Teppich. Er machte noch immer keine Anstalten, sie in irgendeiner Form zu beraten. Also musste sie sich selbst entscheiden.

»Na gut, geben wir ihm ein Like«, sagte sie schließlich und war im nächsten Moment selbst überrascht, als ein riesiges Herz über den Bildschirm schwebte. »Scheint, als hätten wir ein Match.«

Sammy schnurrte, als Lous Postfach eine neue Nachricht anzeigte.

Wow, der war aber schnell.

Hallo Lou, wie geht’s dir?

»Na, sonderlich kreativ ist der ja nicht.« Sie legte ihr Handy zur Seite.

Der Kater hob den Kopf und sah Lou direkt in die Augen, als wolle er ihr sagen, dass sie nicht so streng mit dem armen Kerl sein sollte.

Das Klingeln ihres Handys riss sie aus den Gedanken.

»Mona?«

»Hast du etwa ein Match?«

Lou versuchte auszuweichen: »Wo sind die Kinder?«

»Die sind schon im Bett. Also?«

Widerwillig wiederholte Lou die kurze Nachricht, die sie vor wenigen Sekunden von Raphael erhalten hatte. »Was soll ich denn darauf antworten? Das ist schon etwas wenig Inhalt.«

»Die erste Nachricht ist bestimmt die Schwierigste. Ich wüsste auch nicht, was ich da schreiben sollte. Er hat keinen plumpen Anmachspruch gebracht, den er irgendwo rauskopiert hat. Das ist doch sehr gut.« Mona lachte. »Frag ihn doch einfach mal, was er heute Abend macht.«

Lou war noch immer unentschlossen, allerdings hatte sie nichts zu verlieren.

Nach etwa zehn Minuten – und viel Zuspruch von Mona – hatte sie sich tatsächlich mit Raphael verabredet.

»Das wird bestimmt ein schöner Abend. Ich bin stolz auf dich.«

»Bin ich nicht etwas zu alt, um eine Bar zu besuchen, die sich YOLO nennt?«

»Du bist echt eine Marke. Jetzt hör mal auf, so ein Griesgram zu sein, und freu dich. Wird schon schiefgehen.«

Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, freute sich Lou auf den Abend. Sich mal wieder herauszuputzen und unter Leute zu gehen fühlte sich gar nicht so schlecht an, wie sie zunächst angenommen hatte.

Völlig außer Atem erreichte Lou um kurz nach einundzwanzig Uhr die Bar in Lindau. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass ihr unbekanntes Date selbst noch nicht angekommen war. Es waren lediglich zwei der Tische besetzt. Ein Paar und eine Gruppe Mädels saßen direkt am Eingang.

Sie schälte sich aus ihrer Jacke und setzte sich an einen Tisch weiter hinten im Raum.

Zugegeben, die Bar war ganz anders, als Lou sich das YOLO vorgestellt hatte. Alles war sehr dunkel gehalten, schwarzes Ledermobiliar, schwarze Wände und Tische. Vereinzelt hingen ein paar Glühbirnen mit orange leuchtenden Drähten von der Decke. Auf jedem Tisch stand eine Kerze in einer alten Gin-Flasche, die komplett mit Wachs vollgetropft war.

Lou studierte die Karte. Sie würde erst bestellen, wenn Raphael angekommen war, aber es konnte bestimmt nicht schaden, sich schon mal einen Überblick zu verschaffen.

»Lou?« Eine dunkle Männerstimme riss sie aus den Gedanken.

»Ja?« Irritiert hob sie den Kopf und sah ihrem Date direkt in die Augen.

Doch anstatt sich ihr zu widmen, hielt er die Hand schützend vor das Mikrofon des Handys an seinem Ohr. Er streckte einen Finger nach oben, als wolle er ihr sagen, dass es nur noch einen Moment dauerte.

»Hi, Raphael«, sagte sie, nachdem er das Gespräch einen Augenblick später beendet hatte, und stand auf. Etwas ungeschickt schlängelte sie sich an den Stühlen des Nachbartisches vorbei und umarmte ihn zur Begrüßung.

Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber und legte sein Smartphone in die Mitte des Tisches, das Display nach oben gerichtet.

Normalerweise würde Lou das nicht stören, aber in dieser Situation hatte sie das Gefühl, als wäre das Handy ein unsichtbarer Timer, der jeden Moment klingeln und »Eure Zeit ist nun vorbei« rufen würde.

»Hast du denn gut hergefunden?«, fragte Raphael.

»Ich war schon mal hier.«

»Im YOLO?«

»Nein.« Lous Wangen glühten. »In Lindau, meinte ich.«

»Du bist nicht aus der Gegend, oder? Zumindest hört man bei dir kein Schwäbisch durch ...«

Lou schüttelte verkrampft den Kopf.

Das im Minutentakt aufleuchtende Display seines Handys zerrte an ihren Nerven.

Endlich schien auch Raphael genug zu haben und drehte das Display auf den Tisch. Doch auch das lockerte die Stimmung nicht merklich. Jetzt erfüllte eine unbequeme Stille die kleine Bar. Lediglich die sanfte Loungemusik dudelte im Hintergrund.

»Scheint, als würdest du auch nicht so regelmäßig zu solchen Dates gehen?« Raphael schmunzelte.

»Nein«, gab Lou zu. »Es ist erst mein zweites. Und bei dir?«

Sie spielte nervös am Strohhalm ihres Pink Cinema herum. Ein alkoholfreier Cocktail, bei dem der Barkeeper Popcorn im Shaker geröstet hatte und der somit tatsächlich nach einem süßen Kinobesuch schmeckte.

»Ich habe aufgehört, zu zählen.«

Lous Augen wurden groß.

»Kleiner Scherz. Das ist mein erstes. Ich habe die App ganz neu.« Er lachte, und es bildeten sich kleine Grübchen auf den Wangen, welche ihn viel jünger wirken ließen.

»Was machst du denn so beruflich?«, fragte Lou in bemühter Lässigkeit.

Sein Blick verhärtete sich, was sie nicht deuten konnte. Er schien nachzudenken.

»Es wäre mir recht, wenn wir heute nicht über die Arbeit sprechen würden. Schließlich ist das gerade unsere Freizeit, was meinst du?«

Lou fühlte sich etwas vor den Kopf gestoßen. Bei ihren bisherigen Dates hatten die meisten Männer dieses Thema besonders genossen und angefangen, mit ihren beruflichen Erfolgen zu prahlen. Dies war oftmals so ausgeartet, dass ihr Gegenüber einen einstündigen Monolog gehalten hatte, bei dem sich Lou nach ein paar Minuten gedanklich ausgeklinkt hatte. Wer so mit sich selbst beschäftigt war und sich ausschließlich über seinen Beruf definierte, war nichts für sie.

Sie selbst liebte es, Friseurin zu sein und war ebenfalls stolz auf das, was sie bisher erreicht hatte, dennoch war das nicht alles, was sie ausmachte.

Es war zwar verwunderlich, dass Raphael nichts über seinen Beruf preisgeben wollte, aber auch erfrischend. Lou malte sich stattdessen aus, was er wohl machte.

Sie betrachtete seinen ernsten Gesichtsausdruck. Die feinen Linien, die seine Augen umspielten, ließen darauf schließen, dass er trotzdem auch gern mal lachte. Der Dreitagebart stand ihm gut, genauso wie die sportliche Kurzhaarfrisur. War er vielleicht ein Personal Trainer – oder möglicherweise doch eher ein Versicherungsvertreter?

»Reist du gern?«, fragte Lou und dachte an ihre Tante Martha.

»Wenn es die Arbeit zulässt, auf jeden Fall. Letztes Jahr haben zwei Freunde und ich eine Europarundreise mit dem Campingbus gemacht. Das war ziemlich cool.«

Campingbus klang nicht unbedingt nach Lous bevorzugter Schlafmöglichkeit, aber immerhin war er kein Stubenhocker.

»Das klingt wirklich interessant. Welcher Ort hat dir denn am besten gefallen?«

»Ich liebe Frankreich. Gerade die Côte d’Azur hat es mir angetan. Wenn ich könnte, würde ich mir eine kleine Wohnung in Nizza kaufen und den ganzen Sommer dort verbringen.«

Lou schmunzelte. Diesmal nicht Mallorca. »Kannst du denn Französisch?«

»Nein. Aber man kommt trotzdem irgendwie durch.«

»Ehrlich?« Lou wunderte sich. »Ich dachte, die Franzosen wären etwas eigen und sprechen nicht gern Englisch.«

»Das halte ich für ein Gerücht.« Raphael lachte erneut. »Generell empfinde ich die Franzosen als sehr gastfreundlich. Auch als ich vor ein paar Jahren in der Provence-«

Sein Handy klingelte. Scheinbar hatte er es für einige Anrufer selbst im Stummmodus auf laut gestellt.

Er drehte es um und zog eine Augenbraue nach oben. »Eine Minute«, sagte Raphael entschuldigend und entfernte sich vom Tisch.

Lou kramte ihr eigenes Smartphone aus der Tasche. Der Bildschirm zeigte ein paar ungelesene Nachrichten von Mona. Sie öffnete den Messenger und scrollte sich durch die Textnachrichten ihrer Freundin. Fast alle hatten nahezu dasselbe Thema, und sie stellte jede Frage, die einem zum ersten Date so einfallen konnte.

Ihr Blick wanderte nach draußen. Raphael stand noch immer vor der Bar und gestikulierte wild. Er schien sichtlich in sein Gespräch vertieft zu sein.

Lou sah auf die Uhr. Mittlerweile waren schon zehn Minuten vergangen.

»Hier ist Ihr Herzblatt«, sagte sie enttäuscht und entschied sich dafür, zur Toilette zu gehen und dann zu überlegen, wie der Abend für sie weitergehen sollte.

Nach weiteren zehn Minuten kam Raphael schließlich zurück zu seinem Platz.

Ihr zweiter Cocktail war längst leer und die Stimmung gekippt.

Zwar entschuldigte er sich für sein Verhalten, aber Lou war enttäuscht. Vor einer halben Stunde war sie sich sicher gewesen, dass sie Raphael fragen würde, ob sie noch weiterziehen würden. Doch jetzt wollte sie nur noch auf direktem Weg nach Hause.

»Raphael? Ich bin schon ziemlich müde. Ich würde gern zahlen.«

An seinem erschrockenen Gesichtsausdruck erkannte Lou, dass es ihm unangenehm war, dass er sie so lange hatte warten lassen. Nervös fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und nickte leicht betreten.

Lou winkte den Mann heran, der in dieser Bar sowohl für das Mixen der Cocktails als auch für das Servieren der Getränke zuständig war.

Raphael kam ihr zuvor: »Wir würden gern zahlen.«

Lou hatte bereits einen Geldschein aus ihrer Tasche befördert. »Ich hatte zwei Pink Cinema.«

»Ach Quatsch, das übernehme ich«, sagte Raphael, nun ganz der Gentleman. Er kramte in seiner Hosentasche herum und streckte dem Barkeeper einen Zwanzigeuroschein entgegen.

Der runzelte die Stirn. »Zwei Pink Cinema, eine große Flasche Wasser und ein alkoholfreier Mojito?«

Lou und Raphael nickten.

»Das macht fünfunddreißig fünfzig.«

Raphael kramte erneut in seiner Tasche. Langsam entglitten ihm sämtliche Gesichtszüge, und glitzernde Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.

Die Situation wurde immer unangenehmer.

»Kein Problem, ich übernehme das«, hörte Lou sich schneller sagen, als ihr lieb war. Sie steckte den Geldschein zurück und hielt dem Barkeeper stattdessen ihre Karte entgegen. »Neununddreißig, bitte.«

Nachdem sich Lou und Raphael mit einem Handschlag verabschiedet hatten, wusste sie, dass dieses Treffen eine einmalige Sache gewesen war. Das Date hatte recht vielversprechend begonnen, aber umso beschissener geendet.

Eigentlich entsprach Raphael genau ihrem Typ Mann, und er hatte nicht die ganze Zeit mit seinen beruflichen Erfolgen geprahlt, sondern bevorzugte andere Gesprächsthemen. Diese Handysache war allerdings mehr als unhöflich gewesen und hatte dem ganzen Abend einen faden Beigeschmack verpasst. Dazu kam die Sache mit dem Geld.

Lou hatte sowieso ihre Getränke selbst bezahlen wollen, aber er hätte ihr zumindest anbieten können, sein Wasser und den Mojito zu übernehmen. Ob er sich so sehr geschämt hatte, dass seine letzten Manieren flöten gegangen waren?

Egal, ihrem Bauchgefühl nach zu urteilen ließ sich das selbst durch eine Entschuldigung nicht mehr geradebiegen. Sie hatte sowieso genug zu tun mit dem Salon, den Kunden, Mary-Ann und Sammy – dem Kater, mit dem sie sowieso viel lieber das Bett teilte.

4. Warum Lou besser nicht im Wald joggen gehen sollte ...   

Das Zwitschern der Vögel auf dem Dach war so penetrant, dass Lou es keine Minute länger im Bett aushielt. Sie nahm das Kissen vom Kopf. Selbst das hatte nichts geholfen.

Völlig gerädert befreite sie sich von ihrer Bettdecke und stieg die schmale Leiter von der Schlafnische hinunter mitten ins Wohnzimmer.

Martha hatte aus der kleinen Zwei-Zimmer-Dachgeschosswohnung über dem Salon platztechnisch enorm viel herausgeholt, und durch die Schlafnische, die sie in dem größeren der beiden Räume direkt unter das Dach gebaut hatte, wirkte alles viel kuscheliger und gemütlicher.