Traitor – Der Verräter. Jemand hat gelogen, jemand wird sterben! - Tom Wood - E-Book

Traitor – Der Verräter. Jemand hat gelogen, jemand wird sterben! E-Book

Tom Wood

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Beschreibung

Der neue hochgelobte Victor-Thriller - actiongeladen, fesselnd und wendungsreich  Vertrauen ist ein Fehler, der sonst nur anderen passiert ... jetzt muss er dafür büßen. Als der Auftragskiller Victor für einen Mord verhaftet wird, den er ausnahmsweise nicht begangen hat, ist die Flucht für ihn natürlich unausweichlich. Er muss einfach fliehen, auch damit seine wahren Absichten verborgen bleiben.  Doch irgendjemand will Victor unbedingt im Gefängnis sehen. Und so findet es sich doch hinter Gittern wieder- in einem Low-Security Gefängnis. Umgeben von Polizisten, die keine Ahnung haben, welches Monster sie eingefangen haben!  Und auch den anderen Insassen ist nicht klar: Sie befinden sich in einem Käfig mit dem kaltblütigsten Auftragsmörder der Staaten. Und der gibt nicht auf, bis er den Verräter gefunden hat, die ihn überhaupt in diese Lage gebracht hat...  Jemand hat gelogen, jemand wird sterben!  In dem absolut spannenden und unvorhersehbaren Victor-Thriller von Bestsellerautor Tom Wood wird sein Antiheld Victor ins Gefängnis gesteckt für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat und das liest sich wie ein Tanz auf Messers Schneide. "Was für eine fantastische Achterbahn der Gefühle. Einfach genial." Goodreads-Rezension  "Ein spannungsgeladener Thriller, der sich wie ein Kugelhagel entlädt." Peterborough Telegraph  " Echter Nervenkitzel auf höchstem Niveau." HEAT

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Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Traitor« bei Sphere, einem Imprint der Little, Brown Book Group, London.

Dies ist ein fiktives Werk. Alle in diesem Roman dargestellten Personen, Organisationen und Ereignisse sind entweder ein Produkt der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet.

Der Inhalt dieses Buchs/E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtlich Sanktionen nach sich ziehen. Sollte dieser Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Unsere Bücher können in großen Mengen für Werbe-, Bildungs oder Geschäftszwecke gekauft werden. Bitte wende dich an deinen Buchhändler vor Ort oder an [email protected]

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe 2024

Copyright der Originalausgabe Copyright © 2022 by Tom Hinshelwood.

All rights reserved.

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe: Ronin Hörverlag,

Heusteg 47, 91056 Erlangen

Übersetzung: Noah Sievernich und Gerrit Gebauer

Umschlaggestaltung: by wayan-design unter Verwendung

von Motiven von Shutterstock © Aastels

Satz und E-Book-Konvertierung: wayan-design.de

Druck und Bindung: siblog Gmbh, Körnerstraße 68, 04107 Leipzig

Printed in Germany

ISBN: 978-3-98955-523-5 (Printausgabe)

ISBN: 978-3-98955-024-7 (E-Book)

Für Informationen wende dich an Ronin Hörverlag, Heusteg 47,

91056 Erlangen

www.ronin-hoerverlag.de

TRAITOR – DER VERRÄTER

Tom Wood

Aus dem Englischen von Noah Sievernich und Gerrit Gebauer

INHALT

TRAITOR – DER VERRÄTER

ERSTER TEIL – KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

TEIL ZWEI – KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

TEIL DREI – KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

TEIL VIER – KAPITEL 44

KAPITEL 45

KAPITEL 46

KAPITEL 47

KAPITEL 48

KAPITEL 49

KAPITEL 50

KAPITEL 51

KAPITEL 52

KAPITEL 53

KAPITEL 54

KAPITEL 55

KAPITEL 56

KAPITEL 57

KAPITEL 58

KAPITEL 59

KAPITEL 60

KAPITEL 61

KAPITEL 62

KAPITEL 63

KAPITEL 64

KAPITEL 65

KAPITEL 66

KAPITEL 67

KAPITEL 68

KAPITEL 69

KAPITEL 70

KAPITEL 71

KAPITEL 72

KAPITEL 73

KAPITEL 74

KAPITEL 75

KAPITEL 76

KAPITEL 77

KAPITEL 78

KAPITEL 79

KAPITEL 80

KAPITEL 81

KAPITEL 82

KAPITEL 83

TEIL FÜNF – KAPITEL 84

KAPITEL 85

KAPITEL 86

DANKSAGUNGEN

ENTDECKE DEN MANN HINTER DER ACTION

ERSTER TEIL – KAPITEL 1

Treppen sind gefährlich. Sie töten mehr Menschen pro Jahr, als Victor in zehn Leben. Wenn eine Person durch einen Unfall in ihrem Haus stirbt, ist es mit großer Wahrscheinlichkeit die Treppe, die sie tötet. Doch obwohl Victor schon lange im Geschäft tätig war, hatte er noch nie ein Ziel ermordet, indem er es die Treppe hinuntergestoßen hatte. Aktuell wartete diese Methode also auf ihre Premiere. Die Treppe vor ihm war gefährlicher als die meisten anderen. Nicht wegen der Möglichkeit eines Sturzes. Sondern wegen der Angreifbarkeit, der er sich aussetzte.

Wenn seine Feinde etwas taugten, würde mindestens einer von ihnen sie bewachen.

Die erste Treppe stieg nur zehn Stufen an und endete im Flur eines Zwischengeschosses, der in zwei Richtungen verlief. Eine längere Treppe war parallel zur ersten, bis zu einem kahlen Treppenabsatz, von dem aus man in das nächste Stockwerk gelangen konnte. Victor beugte sich über das Geländer, um einen Blick nach oben zu werfen – waghalsig in dem Fall, dass ein Angreifer von einem höheren Stockwerk aus nach unten zielte.

Niemand zu sehen.

Nur Treppen und Geländer, die nach oben führten und sich bis zu einem Punkt jenseits der obersten Decke erstreckten.

All diese Treppen waren darauf ausgelegt, dass sie von vielen Menschen gleichzeitig benutzt werden konnten. Breite Stufen – fast zwei Meter von der Wand bis zum Geländer, dessen Eisen unter einer dicken Schicht aus grünem Lack lag. Auf der rechten Seite, zum Geländer hin, waren die vormals harten Kanten der Stufen abgerundet. Die Sohlen hunderter Menschen hatten sie Tag für Tag abgeschliffen.

An dieser Stelle, nahe am Geländer, stieg Victor hinauf. Er wusste, dass die stärkere Erosion des Steins eine rauere Oberfläche und somit eine verstärkte Absorption der Energie seiner Schritte bedeutete. Für ihn war das eine unmerkliche Geräuschminderung. Doch ein Schütze im Stockwerk darüber könnte Victors Position allein aufgrund des geminderten Geräuschs weniger genau einschätzen und seinen Angriff eine Sekunde später bemerken, als er es sonst getan hätte. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass eine einzige Sekunde über Leben und Tod entscheiden konnte.

Er stieg langsam und bedächtig eine Stufe nach der anderen hinauf, denn er wusste, dass jeder, der im Gang vor ihm lauerte, jedes leise Klopfen seiner Sohlen auf den Steinstufen hören und erahnen würde, dass er immer näherkam. Der Korridor, der sich sowohl nach links als auch nach rechts erstreckte, bot zwei mögliche Positionen für einen Hinterhalt. Allerdings konnten sie nicht gleichzeitig genutzt werden. Schützen in beiden Gängen könnten sich gegenseitig töten, wenn sie beide auf einen Feind feuerten, der zwischen ihnen auftauchte.

Wenn es einen Angreifer gab, dann würde er sich im Flur rechts von Victor befinden. Dieser Flur bot einem Schützen eine größere Chance, das Ziel von hinten zu erwischen, während es die nächste Treppe hinaufging. Ein Schütze, der sich im linken Gang aufhielt, gab sich einem Duell preis, von Angesicht zu Angesicht, und Attentäter waren nicht gerade dafür bekannt, fair zu spielen.

Sie waren auch nicht für ihre schlechte taktische Positionierung bekannt. Sie würden nicht mitten im Flur stehen, so ungeschützt und verwundbar wie an dem Tag ihrer Geburt. Sie würden nahe an einer Wand stehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schütze Rechtshänder ist, liegt bei neun zu zehn, und ein Rechtshänder wird seine linke Schulter in der Nähe einer Wand haben wollen, damit seine Waffe nicht dadurch behindert wird. Die Wände im Treppenhaus hatten alle einen zweifarbigen Anstrich. Das untere Drittel hatte ein künstlich verwaschenes Grün, während die oberen zwei Drittel in einem warmen Beigeton gehalten waren.

Als Victor die achte der zehn Stufen erreichte, hielt er inne und unterbrach den Rhythmus seiner Schritte – gerade lange genug, um das Abschätzen seiner Bewegung und Position durch einen potenziellen Angreifer zu erschweren –, bevor er die Waffe in die linke Hand nahm und die letzten beiden Stufen in einem Satz hochsprang, wobei er sich auf die Höhe des grünen Wandteils duckte und um die Ecke lugte, um den rechten Gang hinuntersehen zu können.

Der erste Feind versteckte sich dort, wo Victor ihn erwartet hatte.

Die Reaktion ist immer langsamer als die Aktion, also hatte Victor den Sekundenbruchteil Vorsprung, den er brauchte, um sein Ziel zu finden, denn der Bewaffnete hatte Deckung im Türrahmen zu einem Nebenraum bezogen. Der größte Teil seiner Person war außer Sichtweite, nur sein Kopf, seine Arme und seine Schulter waren durch die Türöffnung zu sehen.

Sie schossen gleichzeitig, wobei der Schütze durch das plötzliche Auftauchen von Victor überrascht wurde und bloß einen panischen Schuss ins obere Drittel der Wand abfeuerte.

Einen aufrechten Mann erwartend, hatte der Mann zu hoch gezielt, um ihn zu treffen.

Victors erster Schuss verfehlte die anvisierte Stelle nur knapp und streifte den Schädel seines Ziels, worauf Blut aus dessen äußeren Schläfenarterien spritzte. Der zweite Schuss schlug in seine Brust ein, als er vom Streifschuss aufgeschreckt aus der Deckung der Tür taumelte.

Sein Gegner stand komplett aufrecht, jedoch starr vom Schock der plötzlichen Verletzung, so dass Victor einen kurzen Augenblick innehielt, bevor er ein drittes Mal abdrückte und die Kugel zwischen den Augen des Mannes versenkte. Augenblicklich fiel er zu Boden.

Ein junger Mann, 22, vielleicht ein Jahr älter oder jünger.

Nach Victors Definition sah er nicht wie ein Profi aus. Zweifellos war er ein Ex-Militär und hatte wahrscheinlich schon gegen Bezahlung ein paar Ziele erledigt, aber das eben könnte die erste richtige Schießerei für den Jungen gewesen sein, definitiv aber die letzte. Das Blut floss weiterhin aus dem Loch in seiner Stirn und bildete eine glänzende Lache auf dem Fußboden. Kleine Klumpen Gehirn wurden von der Strömung mitgerissen und füllten die Fugen im Parkettboden. Ein chaotisches Ende, aber immerhin ein schnelles. Innerhalb von zwei Sekunden war alles vorbei gewesen. Wie auch immer der Junge sich auf den Überfall eingestellt hatte, es war anders gekommen. Victor konnte das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Auch er war so gewesen. Aber er hatte schnell gelernt. Schnell genug.

Er hielt seine Pistole auf den Korridor gerichtet, falls ein anderer Feind, von den Schüssen aufgeschreckt, durch eine der vielen Türen stürmen würde.

Die Wände des Raumes, in dem die Leiche lag, waren mit derselben grünen Farbe gestrichen wie das untere Drittel im Flur, wirkten aber etwas heller und sauberer. Nur an wenigen Stellen war die Farbe abgeplatzt. Die Morgensonne erhellte die Stellen vor den wenigen geöffneten Türen und ließ schattige Abschnitte dazwischen.

Mehrere Büros. Zu viele Räume, sie alle zu sichern.

Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass er beim Aufstieg ungesicherte Räume hinter sich lassen würde, aber er wusste mit Sicherheit, dass es weiter oben im Gebäude noch mehr Feinde gab. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich diejenigen, die sich bereits hier unten aufhielten, in eines der Büros tiefer im Gebäude zurückziehen würden. Und wenn doch, bedeutete das, dass sie Angst hatten und sich nicht trauten, ihm entgegenzutreten, was für den Moment ausreichend war. Victor feuerte eine Kugel in den leeren Flur ab, sowohl für den Fall, dass sich dort jemand versteckte und um ihn zu ermutigen, dortzubleiben, als auch um seinen Feinden weiter oben im Gebäude zu suggerieren, dass sein Fokus woanders lag. Er eilte ein paar Schritte vorwärts und schoss auf die Leiche des jungen Mannes und erzählte dadurch den Leuten in den Stockwerken über ihm laut hörbar die Geschichte eines fortdauernden Gefechts. Die Akustik war anders als bei der vorherigen Salve. Vielleicht wurde es als eine ausgedehnte Schießerei zwischen ihm und dem noch lebenden Gegner interpretiert, vielleicht aber auch als ein tieferes Eindringen in das Gebäude, um einen fliehenden Feind zu verfolgen oder einen verwundeten zu erledigen. In jedem Fall wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um Victors vermeintliche Abgelenktheit auszunutzen.

Er ließ ihnen ein paar Sekunden Zeit, um zu ihm zukommen, und flitzte dann zurück ins Treppenhaus. Wieder überraschte er den Feind, nur dass sich der Schütze auf der Treppe über ihm befand, ohne dass er durch eine Tür geschützt werden konnte.

So brauchte Victor keinen Sekundenbruchteil, um sein Ziel zu finden.

Er traf den Mann auf der Treppe zweimal, wobei beide Kugeln blutige Löcher in sein T-Shirt schlugen, bevor eine dritte ihn in die Stirn traf und die zweifarbige Wand dahinter mit einem einzigen Farbton übertünchte. Der Söldner hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und war die Treppe hinuntergestiegen. Durch den Vorwärtsschwung kippte er um und stürzte die restlichen Stufen hinunter, wobei er sie mit Blut und Hirnmasse beschmierte, bevor er am Fuß der Treppe zum Liegen kam.

Muskelkrämpfe fixierten die Pistole in seiner Hand. Victor riss sie aus der steifen Faust und steckte sie in den hinteren Teil seines Hosenbundes. Es war zwar nicht die beste Pistole der Welt, aber es war immer gut, eine Reserve mit einem vollen Magazin zu haben.

Im Augenwinkel bemerkte er einen Aufzug im Flur links vom Treppenhaus. Er vergewisserte sich kurz, dass niemand die Treppe herunterkam, und drückte dann mit einem Fingerknöchel den Rufknopf. Nach einer kurzen Verzögerung verschwand die Stahltür in der Wand, und er betrat das Innere der Kabine. Die Wände waren aus blankem Stahl, abgerieben und gezeichnet, an der Rückwand glattpoliert von den Mänteln müder Arbeitnehmer. Wieder tippte er mit seinem Fingerknöchel auf die Knöpfe für jedes Stockwerk in aufsteigender Reihenfolge. Sie leuchteten alle nacheinander in einem schwachen gelben Licht auf.

Er stieg wieder aus, bevor sich die Stahltür in Bewegung setzte, um die Kabine zu schließen. Ein langsamer Vorgang. Er hörte das Brummen und Wimmern der alten Winden und schlich bereits die erste Treppe hinauf, als sich der Aufzug in Bewegung setzte.

Nicht gerade die einfallsreichste Finte. Doch kein kompetentes Killerkommando bestand nur aus zwei Schützen. Wenn der Aufzug bei all seinen Stopps also auch nur einen einzigen Feind für einen kurzen Moment ablenkte, bedeutete das einen großen Vorteil für Victor.

Und er konnte jeden Vorteil gebrauchen.

Er könnte natürlich fliehen, aber das würde das Problem nicht lösen, sondern nur verzögern. Sie würden es erneut versuchen, vielleicht in größerer Zahl und mit einer besseren Kenntnis ihres Ziels. Womöglich würde er sie beim nächsten Mal nicht kommen sehen, und gerade hatte er den Vorteil auf seiner Seite. Sie hatten damit gerechnet, dass sie ihn aus dem Hinterhalt angreifen könnten, und nicht, dass er sie flankieren würde, noch bevor sie selbst zum Handeln bereit waren. Victor war auf keinen Fall bereit, diesen Trumpf zu vergeuden und es für heute gut sein zu lassen. Wenn er die Wahl hatte, griff er immer an.

KAPITEL 2

Der Aufzug kam mit einem Klingeln im ersten Stock an. Victor hockte auf halber Höhe der Zwischentreppe und wartete. Die Schulterblätter drückten gegen die zweifarbige Wand, das half ihm, sauber zu zielen.

Sollten einer oder mehrere auf ihn warten, würden sie zumindest einen Blick in Richtung Aufzug werfen, wenn sich die Tür öffnete. Wenn sie die Treppe bewachten, konnten sie nicht riskieren, dass eine Bedrohung hinter ihnen auftauchte. Und wenn sie den Aufzug selbst bewachten – in dem Glauben, Victor sei selbstmörderisch genug, sich freiwillig in eine Falle zu begeben –, waren sie bereits in die falsche Richtung unterwegs. Beides war ihm recht. Es gab noch andere mögliche Szenarien, über die Victor jedoch nicht nachdachte. Nach so vielen Jahren im gefährlichsten Beruf der Welt hielt er sich für ziemlich talentiert darin, wahrscheinliche Eventualitäten zu erkennen.

Immerhin war er noch am Leben.

Er stellte sich immer vor, was er tun würde, wenn die Rollen vertauscht wären. Auf diese Weise hatte er bereits einen Vorsprung, wenn sich das Worst-Case-Szenario bewahrheitete. Und wenn er einmal die Fähigkeiten seines Gegners überschätzte, spielte es kaum eine Rolle, dass er inkompetenten Leuten zu viel zutraute. In diesem Fall war seine Prognose ziemlich präzise gewesen. Jemand hatte den Aufzug bewacht, denn einen Augenblick nach dem Klingeln dröhnte automatisches Feuer – noch bevor sich die Türen vollständig geöffnet hatten, um die Kabine und die darin befindlichen Personen zu enthüllen. Das bedeutete, dass der Wächter nervös war.

Der Wächter, weil dünnhäutige Revolverhelden nach Victors Erfahrung immer Kerle waren.

Die starke Wirkung von Testosteron auf die subkortikale Signalgebung hatte er erwartet. Sie fördert die Impulsivität in Stresssituationen. Er wusste, dass Instinkte nicht außer Kraft gesetzt werden konnten, sondern nur unterdrückt. Bestenfalls konnte man sie nach endlosem Üben verzögern. Nach ein paar Sekunden panischen Feuerns war die Waffe des Mannes leer. Er hatte nicht geübt.

Victor hatte unterdessen das wütende Brüllen des Wächters genutzt – trotz Schalldämpfer so laut wie Donner – um seine prasselnden Schritte auf der Steintreppe zu verbergen. Als er das Stockwerk erreichte, sah er, wie der Bewaffnete in der Nähe des Aufzugs damit beschäftigt war, seine Maschinenpistole nachzuladen. Ein zweiter Mann – ebenfalls mit einer Maschinenpistole bewaffnet – der die Treppe bewachen sollte, vernachlässigte seine Aufgabe und glotzte seinen Kollegen und das entleerte Magazin auf dem Boden an. Der kurze Hagelsturm von 32 Kugeln hatte seine Aufmerksamkeit länger von der Treppe abgelenkt als das bloße Klingeln des Aufzugs. Ganz gleich, wie gelassen er war, niemand kann solchen Lärm in der Nähe ignorieren.

Missbilligend schüttelte er den Kopf, um seinem schießwütigen Kollegen nochmal zu verdeutlichen, dass der Aufzug leer und die ganzen Kugeln umsonst waren.

Für sie jedenfalls, nicht für Victor.

Er schoss auf den Kerl, der die Treppe hatte sichern sollen, bevor der seine überraschte Drehung beendet hatte, sodass er mit einer spiralförmigen Bewegung in sich zusammensackte.

Victors plötzliches Auftauchen und der unerwartete Tod seines Kollegen, erschreckten den nervösen Schützen so sehr, dass er sein Ersatzmagazin fallen ließ. Zweimal Abdrücken, und der Wächter fiel durch die offene Tür des Aufzugs und landete mit dem Gesicht nach unten in der Kabine, die Beine im Gang. Bevor er nachlud, verpasste Victor dem ersten Wächter eine zweite Kugel, als ein zischendes Stöhnen ertönte. Vielleicht war es der letzte Atemzug des Mannes oder der erste Atemzug seines wiedererlangten Bewusstseins. Es spielte keine Rolle mehr.

Victor hatte noch ein paar Patronen im Magazin, aber das reichte bei weitem nicht aus, wenn sich noch vier weitere Männer im Gebäude befanden – womit er mindestens rechnete, eher noch mehr. Seine Pistole war eine Five-Seven der belgischen Fabrique Nationale: seine bevorzugte Waffe in den meisten Situationen auf kurze Distanz. Es war ihm gelungen, sich zwei der 20 schüssigen Magazine zu besorgen, die normalerweise nur Militär und Polizei zugänglich waren. Victor arbeitete nicht für den Staat, doch er kannte eine deutsche Fixerin mit dem Decknamen Georg, der Mittel und Wege zur Verfügung standen, die die meisten anderen nicht hatten. Zwar betonte sie jedes Mal, dass der Waffenhandel nicht ihr eigentliches Geschäft sei und dass dies das letzte Mal wäre, dass sie ihm einen Gefallen tat. Im Laufe der Jahre hatte es viele solcher letzten Gefallen gegeben. Mehr als Ersatzmagazin war trotzdem nicht drin gewesen. Sie konnte eben keine Wunder vollbringen, wie sie ihm oft genug sagte. Immerhin hatte er die aufgesammelte Pistole in seinem Hosenbund. Er ignorierte die SMG, die der Schütze vor dem Aufzug hatte fallen lassen. Eine 9-Millimeter-Ingram. Unglaubliche Feuerrate, wie der nervöse Wächter demonstriert hatte, aber Victor würde in fast jeder Situation Genauigkeit und Kontrolle über rohe Feuerkraft stellen. Alle ihre Waffen waren schallgedämpft, genauso wie seine eigene.

In Kombination mit Unterschallmunition wurden die erzeugten Dezibel stark reduziert. Dennoch waren sie nicht annähernd lautlos. Mehr als laut genug, um sich nähernde Schritte zu verbergen.

Ein ruhiger Sonntagmorgen in der Altstadt von Nizza. Es war nicht so viel los wie an einem Wochentag, obwohl das Café auf der anderen Straßenseite mit drei Gästen besetzt war, die frühstückten oder schon beim Mittagskaffee waren. Victor war nur wenige Momente zuvor selbst dort gewesen und an einem der besten Espressi genippt, die er je außerhalb Italiens getrunken hatte. Spätestens nach diesem Gefecht war die Polizei wohl schon gerufen worden, deshalb verschwendete er keine weitere Zeit bei seinem Angriff.

Victor hatte vielleicht vier Minuten, um den Rest von Phoenix' Team zu töten und ein paar Antworten zu bekommen, bevor er fliehen musste. Er wollte beides, aber er begnügte sich mit dem Ersten. Antworten allein konnten niemanden erschießen.

Hinter ihm versuchte die Aufzugstür, sich zu schließen. Immerzu stoppte sie bei der Berührung mit den Beinen des Toten, öffnete sich wieder und versuchte es erneut. Dieser Vorgang würde sich noch lange nach Victors Abreise wiederholen, da war er sich sicher. Es würde nur dann aufhören, wenn irgendein Beamter, der die Szene untersuchte, von dem Lärm genervt und frustriert war und einem Untergebenen befahl, den Aufzug abzuschalten. Der linke Fuß des Wächters zuckte nervös.

KAPITEL 3

Nur der triumphierende Schrei eines weiteren übereifrigen Revolverhelden lenkte Victor von dem Rest der Mission zwei Stockwerke weiter oben ab. Der Bewaffnete stieg die Treppe hinter ihm hinauf. Er hatte gewartet, bis Victor vorbeigegangen war. Ein kluger Schachzug, denn jetzt hatte Victor Feinde über und unter sich.

Er reagierte, indem er einen der Gänge, die vom Treppenhaus abgingen, entlangrannte und sich in die Deckung der nächsten offenen Tür stürzte, verfolgt von Kugeln, die der Bewaffnete in einer kurzen Salve aus seiner MP5 entlud. Das Holz des Rahmens zerbarst den Bruchteil einer Sekunde, nachdem Victor daran vorbeigehechtet war. Der Bewaffnete rief erneut, diesmal mit mehr Kontrolle in der Stimme, während er die restlichen Stufen hinaufrannte.

»Beeilung, Beeilung«, rief er. Englisch, grober britischer Akzent. »Ich habe ihn.«

Nicht ganz richtig, aber Victor korrigierte den Mann nicht. Das würde er in ein paar Augenblicken ohne Worte tun.

Als er wieder aus seiner Deckung hervorkam, lieferten sie sich einen Schusswechsel auf dem Flur, wobei der Abstand zwischen ihnen durch den Höhenunterschied vielleicht zehn Meter betrug. Der Mann nutzte die Treppe als Deckung, denn der Winkel verdeckte mindestens die Hälfte seiner Silhouette. Victor schoss nach unten, während der Schütze nach oben zielte.

Das automatische Feuer aus der MP5 musste nicht genau sein, um ihn zu erwischen, während Victor präziser zielen musste, um seinen Gegner zu treffen. Eine seiner Kugeln schlug nur wenige Zentimeter vor dem Angreifer auf dem Boden ein und nachdem er eine weitere Salve in Victors Richtung abgefeuert hatte, duckte er sich eilig. Victor hörte eifrige Schritte auf der Betontreppe, ein weiterer Mann – von unten oder oben –, der dem bereits anwesenden zu Hilfe eilte. Also wechselte Victor die Position.

Die Kugeln verfolgten ihn, als er weiter den Gang hinunterrannte, bis er außer Sichtweite war. Er ging an der Ecke zweier sich kreuzender Korridore in Deckung, wartete ein paar Sekunden, um sie zu ermutigen, das Treppenhaus zu verlassen und die Verfolgung aufzunehmen, und lehnte sich dann hinaus, um sie zu erwischen, während sie verwundbar waren.

Sie hatten mit einer solchen Taktik gerechnet und ihre SMGs feuerten so erbarmungslos auf ihn, dass er sich zurückziehen musste, bevor er auch nur einmal abdrücken konnte. Kugeln sprengten den Putz und schickten Staubwolken in die Luft, als die Ecke der Wand zerfiel.

Mauerfragmente prasselten auf den Boden zu Victors Füßen. Als er ihre Position besser einschätzen konnte, versuchte er es erneut, obwohl er sich nicht traute, länger als eine Sekunde aus der Deckung zu kommen und sofort ein paar Schüsse in ihre Richtung abzufeuern. Sie stürmten vorwärts, das Feuer erwidernd, jeder von ihnen nun nahe an jeweils einer der Korridorwände. Das machte es ihm deutlich schwerer, seine Position zu nutzen. Schüsse auf den einen Mann verlangsamten zwar dessen Vormarsch, ließen den anderen aber näher herankommen. Wenn Victor zwischen den beiden Zielen wechselte, war sein Feuer nicht genau genug, um beide aufzuhalten. Ihm wurde bewusst, dass er dieses Gefecht nicht gewinnen würde. Diese Jungs waren eine Stufe besser als die vorherigen vier. Sie hatten die Initiative ergriffen und er war dieses Mal derjenige, der reagierte.

Victor verließ den bröckelnden Schutz der Ecke und zog sich tiefer in das Gebäude zurück. Er brauchte einen besser zu verteidigenden Ort, um sich zu behaupten, oder, noch besser, ein ganz anderes Schlachtfeld, das ihre Überzahl und Feuerkraft ausglich.

Er eilte den Korridor hinunter und probierte die Türklinken aus, während er vorbeirannte. Jede Tür verschlossen. Es blieb nicht genug Zeit, eine aufzutreten, falls der erste Tritt nicht ausreichte, wäre der Minimalvorsprung verloren. Wenn die beiden Typen mit den Maschinenpistolen um die Ecke kamen, durfte er nicht ohne Deckung sein. Sie würden ihn zerfetzen, bevor ein zweiter Tritt seine Wirkung zeigen würde. Er musste darauf setzen, dass eine der Türen nicht verschlossen war.

Dann das verräterische Klicken eines sich zurückziehenden Riegels, und Victor stieß die Tür auf und warf sich hindurch, gerade als er in seinem Blickfeld die beiden Angreifer auftauchen sah. Kugeln zischten in seine Richtung. Einige trafen den Türrahmen, andere die Wände ringsherum.

Sein Fehler war sofort offensichtlich. Der Grund für die Zugänglichkeit des Büros war, dass es nicht besetzt war. Entweder hatte es niemand gemietet oder es gab aktuelle keinen Nutzen für diesen Raum. Er war zwar nicht vollkommen leer – es gab ein paar Schreibtische und Stühle –, aber er sah nichts, was er zu seinem Vorteil hätte nutzen können, und keinen Platz, an dem er sich effektiv positionieren konnte. Er hatte sich selbst eine Falle gestellt.

Ohne zu zögern, stürzte er zum nächstgelegenen Fenster und spähte durch das staubige Glas, doch er sah weder eine Feuerleiter noch eine Terrasse. Er hätte ein Abflussrohr genommen, wenn es eines gegeben hätte, egal wie dünn. Zu weit zum Springen. Es mussten zehn Meter bis zum Haus auf der anderen Straßenseite sein. Er war schon zu viele Stockwerke hochgeklettert, um auch nur daran zu denken, sich aus dem Fenster fallen zu lassen. Er würde nicht bloß einen umgeknickten Knöchel riskieren; und er war nicht so scharf darauf, sich das Genick zu brechen.

Die beiden Typen mit den MP5s hatten es nicht eilig. Sie wussten zwar nicht, dass Victor keine andere Wahl hatte, aber ihr Instinkt sagte ihnen, dass er nirgendwo hingehen würde. Sie blieben vorsichtig. Sie waren zahlenmäßig überlegen und hatten einen beträchtlichen Vorteil bei der Feuerkraft. Keiner von ihnen wollte unnötig in den unvermeidlichen Weg seiner Kugeln rennen. Er stellte sich vor, wie sie flüsterten und gestikulierten, vielleicht drängte jeder den anderen, als Erster durch die Tür zu gehen. In seiner Eile, aus dem Flur zu entkommen, hatte er keine Zeit gehabt, die Tür wieder zu schließen, ohne in ihre Schusslinie zu geraten. Aus diesem Grund hielten sie sich zurück. Er schätzte, dass sie vielleicht ein oder zwei Meter von der Tür entfernt warteten und davon ausgingen, dass Victor seine Waffe auf den offenen Flur gerichtet hatte.

Das war auch richtig so, denn während er mögliche Positionen in Gedanken testete, hielt er die Mündung der Pistole immer auf die Tür gerichtet. Es wäre ideal gewesen, wenn sie ihn mit mehr Rücksichtslosigkeit verfolgt hätten und kurz nach ihm in das leere Büro gestürzt wären. Er hätte den ersten zu Boden geschickt, und es hätte eine kleine Chance bestanden, den zweiten an einer verletzlichen Stelle zu treffen, bevor dessen Waffe in seine Richtung schwang. Überlebenschance eins zu zehn. Das war bei weitem nicht gut genug, um darauf zu setzen, zumindest wenn man die Wahl hatte.

Er brauchte einen Vorteil. Doch ihm fiel einfach nichts ein.

KAPITEL 4

Victors einziger Vorteil war, dass sie nicht wissen konnten, wo im Büro er stehen würde, während er genau wusste, dass sie durch die Tür kommen mussten. Hätten sie die Rollen getauscht, hätte er die Innenwand zwischen ihnen abgeklopft, um zu prüfen, ob sie tragfähig war und aus Ziegeln bestand, oder ob es sich um eine ergänzende Konstruktion handelte, die nur aus Gipskartonplatten mit Aluminiumrahmen zusammengebastelt war, und so gestrichen war, dass sie mit den ursprünglichen Elementen verschmolz. Das Gebäude war alt und war im Laufe der Jahre immer wieder umgebaut und renoviert worden. Zu diesem Schluss kamen sie ein paar Augenblicke später selbst. Nur wussten sie nicht, wie sie die Mauer allein durch Klopfen testen konnten und benutzten stattdessen Kugeln.

Gipsstaub sprühte in dichten, heftigen Wolken von der Wand. Die MP5s waren keine Ingrams. Sie konnten etwa 800 Schuss pro Minute abfeuern, die Ingrams dagegen 1200.mDoch auch Ersteres war aus Victors Sicht immer noch eine unglaubliche Feuerrate. Dutzende von Einschusslöchern malten krakelige Linien auf seine Seite der Wand.

Er ließ sich in Bauchlage auf den dünnen Teppich fallen und wartete. Ihm blieb nicht viel anderes übrig, als die Munition zu verschwenden, die er nicht entbehren konnte, um zurückzuschießen. Aus dem Muster der zufälligen Einschusslöcher konnte er nicht genau auf ihre Position schließen. Er vermutete, dass sie nicht stillstanden, während sie feuerten, sondern an der Wand entlang hin und her liefen, um einen möglichst großen Bereich im Büro abzudecken. Allerdings zielten sie in einem zu steilen Winkel, sie erkannten nicht, wie groß der Raum war, in dem sich Victor aufhielt. Nachdem sie die Trennwand durchschlagen hatten, vergruben sich die meisten Kugeln im Boden in der Mitte des Raums. Victor, der sich in der Nähe der Außenwand befand, wurde nicht getroffen, nur von einem Abpraller aufgewirbelt prasselten Putz und Ziegelstaub von oben auf ihn nieder.

Das Feuer dauerte nur ein paar Sekunden. Kontrollierte Salven, jede jeweils drei oder vier Kugeln auf einmal. Victor versuchte zwar, ihre Kugeln zu zählen, aber die hohe Schussfrequenz und die sich überschneidenden Salven machten das unmöglich. Er wollte es so timen, dass er genau in dem Moment aufsprang, in dem die Magazine leer waren, um aus der Tür zu stürmen und beide zu töten, während sie nachluden. Vielleicht waren sie sich dieser Möglichkeit bewusst, denn sie luden nicht gleichzeitig nach. Als die Schießerei aufhörte, konnte er hören, wie ein neues Magazin eingesetzt wurde. Sie waren schlau, also gab Victor diesen Plan auf. Stattdessen folgte er einer Vermutung und rollte seitlich über den Boden des Büros, während der zweite Schütze nachlud. Der Kerl war kompetent, wenn auch kein Experte, und er brauchte ein paar Sekunden länger als nötig, um das leere Magazin zu entsorgen und ein neues hineinzuschieben. Victor hatte genug Zeit, das Büro zu durchqueren und parallel zur Trennwand zum Halten zu kommen.

Der Teppich war dünn, genauso wie die Wand, aber er machte deutlich weniger Geräusche beim Rollen, als er mit Schritten gemacht hätte. Während der Mann nachlud, lauschte der andere Schütze auf jede Bewegung, um Victors Position abzuschätzen.

Victor wusste besser als jeder andere, dass Reaktion langsamer ist als Aktion. Wenn sie in das Büro stürmten – selbst, wenn sie ihn nicht sofort bemerkten –, würde er ihren Aktivitätsvorsprung aufholen müssen. Er hatte keinen Grund, anzunehmen, dass sie eine abnorme Trägheit besaßen, und da sie auf Gewalt vorbereitet waren und mit Widerstand rechneten, erhöhten die Stresshormone ihre Geschwindigkeit und Reaktionszeit. Wenn er an der Wand auf dem Boden lag, konnte er sich in ihrem toten Winkel befinden, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Doch wenn er nicht schnell genug auf ihre Anwesenheit reagierte und sie beide tötete, wäre er das einfachste Ziel für ein automatisches Feuergefecht. Victor gefiele auch dieses Szenario nicht.

In Ermangelung einer besseren Option nahm er die Ersatzpistole aus seinem Hosenbund in seine linke Hand. Vielleicht konnte er mit zwei Pistolen das Defizit in seinem Plan ausgleichen. Als der zweite Mann mit dem Nachladen fertig war, herrschte Stille. In dieser Stille wusste Victor, dass sie sich darauf vorbereiteten, einzutreten. Ob in zwei oder neun Sekunden konnte er nicht mit Sicherheit wissen. Selbst seine Vorhersagen hatten Grenzen.

Reaktion langsamer als Aktion, wiederholte er wie ein Mantra. Aktivitätsvorsprung aufholen.

Er blinzelte sich den Schweiß aus den Augen.

»Bist du genauso bereit wie ich?«, hörte er jemanden auf der anderen Seite der Mauer flüstern.

Der übereifrige Revolverheld, natürlich.

Das zurückkommende Flüstern: »Los gehts.« Victor freute sich über die Vorwarnung.

»Auf drei«, flüsterte der erste.

Victor lächelte fast. Es kam nicht oft vor, dass diejenigen, die ihn töten wollten, so rücksichtsvoll waren, ihn im Voraus zu warnen, geschweige denn ihren genauen Zeitplan mitzuteilen.

»Drei, zwei ...«

Wie aufs Stichwort stürmten sie herein.

Die offene Tür ermöglichte ihnen einen Blick in den Raum, so dass sie bereits erkannt hatten, dass die Tür ganz in der Ecke des Raumes lag und die linke Wand von der Tür geradewegs zu den Fenstern verlief. Sie wussten also, dass Victor nur rechts von ihnen sein konnte, als sie den Raum betraten, und stürmten deshalb in diese Richtung. Sie hielten ihre Waffen vor sich und ihre Blicke durch das eiserne Visier, um das Ziel schneller zu erfassen, allerdings auf Kosten der peripheren Sicht.

Um Platz für den zweiten Kerl zu schaffen, musste der erste ein paar Schritte mehr machen, wodurch er an Victors Position vorbeikam, ohne ihn zu bemerken, also schoss Victor ihm mit der Five-Seven in den Hinterkopf.

Er benutzte die Pistole in seiner anderen Hand, um auch den zweiten mit einem Kopfschuss zu töten, allerdings traf er nur die Seite des Schädels, da dieser Kerl nicht so weit vorstieß, zum einen, um dem Hauptschützen Platz zum Manövrieren zu geben, und zum anderen, weil der Kopf des ersten Kerls direkt vor ihm explodierte. Er hatte gerade noch genug Zeit, Victor aus dem Augenwinkel zu sehen, bevor die Wand über ihm und links von ihm mit tiefroten Flecken überzogen wurde. Die daraus resultierenden Muskelkrämpfe führten dazu, dass der Zeigefinger des Toten den Abzug der MP5 betätigte und die Waffe entlud, während die Leiche zu Boden stürzte und die Kugeln Löcher in Decke und Wand sprengten.

Die Waffe klickte trocken, als der Körper auf dem dünnen Teppich aufschlug und Victor starrte auf die schwarze Leere der rauchenden Mündung, die in seine Richtung zeigte. Er holte tief Luft und sprang auf die Füße.

Es schien sinnlos, sich bei zwei Leichen zu bedanken, und doch war er wirklich dankbar für ihre Hilfe. Und vor allem ihre Waffen, von denen eine ein frisches Magazin hatte.

Ausgezeichnete Waffen. Viel besser als die Ingram unten. Zwei MP5Ks. Die kompakte Version der Heckler & Koch-Maschinenpistole gab es schon seit Jahrzehnten, aber für viele Militärs, Polizeikräfte und Geheimdienste auf der ganzen Welt war sie immer noch die erste Wahl, wenn es um den Nahkampf ging. Er war generell kein großer Fan von Neun-Millimeter-Munition, da er etwas vorzog, das eher in der Lage war, Schutzwesten oder behelfsmäßige Deckungen zu durchdringen – daher die Five-Seven –, aber Feuerrate, Genauigkeit und Zielerfassung der MP5K waren über jeden Zweifel erhaben. Allerdings hatten sie auf Gurte verzichtet, so dass Victor nur eine der beiden Waffen mitnahm.

Die mit voller Munition, denn bedauerlicherweise trug keiner der Männer ein Ersatzmagazin bei sich. Er nahm an, dass jeder von ihnen drei eingepackt hatte, als sie ausgerückt waren. 180 Patronen, um einen Mann zu töten, schienen auf dem Papier genug zu sein, vor allem, wenn es noch andere Teamkollegen mit eigenen Waffen gab. Aber so war das eben. Bis man es auf dem Schlachtfeld plötzlich leergeschossen hatte, kam einem das eigene Magazin unendlich groß vor.

Er warf die geplünderte Pistole weg und ersetzte sie durch seine Five-Seven im Hosenbund, auch wenn sie fast leer war. Sie konnte nie zu ihm zurückverfolgt werden, obwohl es eine Chance gab, dass sie mit Georg in Verbindung gebracht werden konnte, und er wollte sie nicht unnötig dem Risiko von Unannehmlichkeiten aussetzen. Denn er könnte schon bald einen weiteren ihrer letzten Gefallen brauchen.

Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie viele noch zu dem Team gehörten oder ob Verstärkung unterwegs war. Die sechs könnten alle im Gebäude gewesen sein, aber weitere waren möglicherweise in der Nähe. Vielleicht standen sie in Fahrzeugen bereit, um nach dem Attentat die Flucht zu erleichtern, oder sie observierten und überwachten die Umgebung. Oder der Rest des Teams war noch über ihm, was er erwartete, weil sie nicht auf ihn vorbereitet waren. Unabhängig davon, wo sich die anderen Gegner aufhielten, musste er mit seiner Munition besser haushalten als diese beiden Typen, vor allem, weil er keine Ersatzmagazine hatte, also stellte er den Wähler an der MP5 auf Einzelschuss.

Wenn er mit seiner Vorhersage bezüglich der Position von Phoenix' Kommandos richtig gelegen hatte, gab es immer noch mindestens vier Feinde, die jetzt genug Zeit gehabt hatten, einen ordentlichen Widerstand zu organisieren. Aber mit sechs Toten und einem SMG in der Hand hatte Victor immer noch ein gutes Gefühl bei der Sache. Das einzige Problem war, dass er vielleicht nur noch drei Minuten Zeit hatte, bevor die Polizei eintraf.

Nach seinen jüngsten Treffen mit den US-Strafverfolgungsbehörden hatte Victor keine Lust auf eine weitere Begegnung mit der Polizei.

Das Protokoll schrieb vor, dass er sich aus einer unkontrollierbaren Situation zurückziehen sollte, sobald sich eine Gelegenheit bot. Das Protokoll besagte aber auch, dass Bedrohungen in unmittelbarer Nähe nie außer Acht gelassen werden durften.

Victor nahm die Treppe in den nächsten Stock.

KAPITEL 5

Er fand das Fenster mit den offenen Fensterläden, das auf die Straße hinausblickte. Von dieser Höhe aus wirkte das Café gegenüber harmlos, fast ruhig, und nicht wie eine von seiner Brokerin organisierte Falle. Ein so einfacher Hinterhalt, und doch wäre er beinahe mitten hineingelaufen.

Victor fühlte sich naiv. Von allen Fehlern schien dieser einem Mann, der nach beruflicher Perfektion strebte, am ungeheuerlichsten zu sein. Sie hatte ihn betrogen, ja, und doch hätte er es ihr nicht leichter machen können. Das Fenster befand sich in einem der großen Büros in der sechsten Etage. Ein weitläufiges Großraumbüro mit vielen Schreibtischen und Arbeitsplätzen, das auf drei Seiten von Konferenzräumen und Einzelbüros umgeben war. Nichts, was Victor sehen konnte, deutete auf die Art der Arbeit hin, die hier stattfand. Das bisschen Wandkunst, das die grauen und beigen Töne auflockerte, war abstrakt und verriet nichts. Es konnte eine Versicherungsgesellschaft sein. Oder der Knotenpunkt eines großangelegten Phishing-Netzwerks.

Die Männer hatte einen guten Beobachtungspunkt gewählt. Victor hätte sich allerdings ein Stockwerk tiefer positioniert, um den Blickwinkel auf das Café zu verbessern und einen klareren Blick auf den Angriffspunkt zu haben. Vielleicht war es ihnen lieber, mehr von der Straße selbst zu sehen, denn in der Altstadt waren die Straßen schmal und die Gebäude hoch. Vielleicht wollten sie sich selbst eine bessere Chance geben, ihr Ziel kommen zu sehen, anstatt es danach besser im Blick zu haben. Trotzdem hätte sich Victor nie dafür entschieden, in einem unbewohnten Gebäude wie diesem zu warten. Jede Aktivität, die dort stattfand, wo keiner sein sollte, war leichter zu erkennen als die, die sich in der Menge der alltäglichen Regelmäßigkeit versteckte. Dennoch, keine Position war jemals perfekt. Es gibt immer Kompromisse. Victor war sich sicher, dass sie, genau wie er, jede einzelne Facette ihrer Arbeit bis ins kleinste Detail geplant hatten. Egal, wie gut ein Plan auch sein mochte, bei manchen Dingen musste man einfach improvisieren.

Sie hatten, wie es aussah, ihr Bestes gegeben. Nur hatte das nicht ausgereicht. Victor bemerkte Kaffeebecher aus Wachskarton, als er sich durch den offenen Bereich schlich und die angrenzenden Räume sicherte. Insgesamt acht. Zweifellos aus dem Café auf der anderen Straßenseite, was ihm unnötig zynisch erschien, da sie vorhatten, es bald darauf mit Blei zu füllen. Der Becher, den er mit dem Handrücken berührte, hatte Zimmertemperatur, also waren sie schon eine Weile hier. Bedeutete die Anzahl der Tassen, dass sie zu acht waren oder hatte nicht alle von ihnen eine Vorliebe für Koffein? Das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, war, dass acht von ihnen in den letzten Stunden in diesem Büro zusammengekommen waren.

Er vermutete, dass sie vorgehabt hatten, noch einige Minuten mit dem Überfall zu warten. Das Café hätte genauso gut eine Schießbude sein können: klein, mit nur einem Ein- und Ausgang, denn die Personaltür im hinteren Teil des Lokals hatte ein Druckknopfschloss und für die Kundentoilette brauchte man einen Schlüssel, der hinter dem Tresen hing. Da einige von ihnen Maschinenpistolen hatten, hätten sie sich auf die Straße stellen und ihre Waffen durch die Glasfront des Cafés entladen können, um ihn und alle anderen innerhalb von Sekunden zu töten.

Weshalb also das Warten? Sie hatten ihm mehr als genug Zeit gelassen, sie zu ertappen. Vielleicht hatten sie aber auch nur darauf gehofft, dass er wieder wegging, um ihm zu folgen und ihn woanders mit etwas mehr Diskretion zu töten. Es spielte keine Rolle, obwohl er neugierig war, ob sie alle hier oben waren und ihre Vorbereitungen abgeschlossen hatten, als er die Straße überquert hatte, oder ob sie sich da bereits im Gebäude verteilt hatten. Der Trupp könnte aus mehreren kleineren Gruppen bestehen, die unter sich blieben, wenn sie nicht zusammenarbeiten mussten. Auftragskiller waren schließlich nicht für ihre sozialen Fähigkeiten bekannt.

Verteilt oder nicht, sie hätten ihre Verteidigung besser organisieren müssen. Die Anzahl der Gegner wiegt mehr als das Können, wenn diese auch strategisch genutzt werden. In der Defensive waren sie nicht in der Lage, sich zu koordinieren. Victor hatte ihnen keine Zeit gelassen, um ihren zahlenmäßigen Vorteil auszunutzen.

Allerdings ging er davon aus, dass die Übrigen die Lage inzwischen erfasst hatten. Die Feuergefechte in den unteren Etagen hatten vielleicht zwei Minuten gedauert, einschließlich des Treppenaufstiegs. Wenn der Rest des Killerkommandos sich nicht innerhalb von zwei Minuten zusammenraufen konnte, hätten sie gar nicht erst den Auftrag erhalten, ihn zu töten. Sie mussten ihre Kompetenz im Voraus unter Beweis gestellt haben. Phoenix wusste genau, was Victor tun würde, wenn sie scheiterten. Sie mussten sie also irgendwie überzeugt haben.

Er hatte keine Zeit mehr, zu spekulieren. Die Polizei war auf dem Weg und es waren noch mehr Bewaffnete in der Nähe.

Einer von ihnen, in Jogginghose und passendem Sweatshirt, tauchte aus einem toten Winkel im nächsten Büro auf.

Victor agierte als Erster, sein Schuss verfehlte ihn um Millimeter und riss ein Stück aus einem Türrahmen. Auch der zweite Schuss ging daneben, denn der Schütze wich zurück und fiel vor Panik fast um, als die Kugeln in seine Richtung flogen. Victor jagte ihm hinterher und ließ den Vordergriff der MP5 mit der linken Hand los, um den rechten Arm in voller Länge auszustrecken und ihn vor sich durch die Tür zu schwenken.

Er schoss dem Mann in den Rücken, als dieser versuchte, wegzurennen. In seiner Verzweiflung verlor er das Gleichgewicht und stützte sich an der Wand ab, um nicht zu fallen. Die Kugel traf ihn oberhalb der linken Seite und drang durch sein Schulterblatt in die Brusthöhle ein. Er schrie auf und drehte sich, glitt von der Wand ab und stürzte über einen Schreibtisch, wobei er eine Ablage umwarf und die darin gestapelten Papiere in die Luft wirbelten, bevor er auf dem Boden dahinter aufschlug.

Victor eilte nach vorne, umrundete den Schreibtisch und sah den Bewaffneten auf dem Rücken liegen, die Handflächen vor sich erhoben, entsetzter Gesichtsausdruck. Er schüttelte verzweifelt den Kopf. Eine winzige .22er Taschenpistole lag in der Nähe – nah genug, um sie zu erreichen und zu benutzen, aber der Mann hatte kein Interesse daran, sie zu ziehen. Auf der Vorderseite des Sweatshirts war kein Blut zu sehen, also war die Kugel nicht aus seiner Brust ausgetreten. Victor vermutete, dass sie in einer Rippe steckte.

Mit der Seite seines Fußes kickte er die .22er weg und sie glitt unter einen Schreibtisch. Der Mann auf dem Boden schien keine anderen Waffen zu haben und die Taschenpistole taugte nicht als Primärwaffe eines Auftragskillers, der es auf einen Berufskollegen abgesehen hatte. Sie diente zum Schutz, nicht zum Angriff. Dieser Typ hatte nicht damit gerechnet, überhaupt eine Waffe benutzen zu müssen.

»Du hast hier das Sagen«, stellte Victor fest.

Der Mann sagte nichts, sondern keuchte nur, als er nach Luft rang.

»Sag mir deinen Namen.«

»Walker«, sagte er mit schwacher Stimme.

Wieder britischer Akzent, also kein zusammengewürfelter Haufen von Phoenix-Auftragnehmern, sondern eine bewährte Einheit. Victor vermutete, dass es sich um den Ableger eines einzelnen privaten Sicherheitsunternehmens oder um eine loyale Gruppe von Soldaten handelte, die zu Söldnern und dann zu Killern geworden waren. Doch das war irrelevant, denn alles, was Victor im Moment wissen musste, war …

»Wie viele?«

Walker schüttelte den Kopf, als ob er nicht verstehen würde, und streckte seine erhobenen Hände nur weiter aus. Victor prüfte seine Flanken und schoss Walker dann in die Eingeweide. Die Kugel in seinem Rücken beeinträchtigte bereits seine Atmung, so dass Walkers Schreie zu einem erstickten Laut wurden. Er hielt sich eine Hand an das Loch in seinem Bauch. Es machte keinen wirklichen Unterschied in Bezug auf den Blutverlust, denn die Wunde war keine unmittelbare Bedrohung. Victor hatte darauf geachtet, die Bauchaorta und die lebenswichtigen Organe zu verfehlen. Er wollte nicht, dass Walker verblutete oder an einem Schock starb.

Er schaffte es, seinen Schmerz so weit unter Kontrolle zu bringen, dass er bloß noch ein kehliges Grunzen von sich gab, das entweder ein Versuch zu sprechen oder eine Vortäuschung von Stummheit war. Seine Augen flehten um Gnade.

Victor, dem solche Bitten nicht fremd waren, blieb ungerührt. Walker war das klar. Er schluckte und öffnete den Mund, um zu antworten … und stockte. Er brach den Blickkontakt ab und fixierte einen Punkt hinter Victor. Der warf sich auf den Boden, bevor Kugeln durch die Luft sausten, wo er eben noch gestanden hatte.

Automatisches Feuer. Mehr MP5s. Mindestens 2. Drei, wenn das heute wirklich nicht sein Tag war.

KAPITEL 6

Victor warf sich hinter einen Schreibtisch – und huschte dann zu einem anderen. 9-Millimeter Geschosse verfolgten ihn, rissen Löcher in Holz und Holzplatten, vergruben sich im Boden oder in der Wand.

Er erwiderte das Feuer, schoss blind in die Richtung der Schüsse und schaltete selbst auf Automatik, um die Chance zu erhöhen, dass eine seiner Kugeln ein Ziel traf, das er noch gar nicht gesehen hatte.

Auf dem Teppich liegend spähte er unter den Schreibtisch, der ihn abschirmte, und betrachtete einen schrägen Ausschnitt des Büros: Teppich, Stuhlrollen, Tischbeine … Beine.

Ein kurzer Druck auf den Abzug und er zerfetzte das Schienbein eines Angreifers.

Der Mann fiel geradewegs nach unten und damit in Victors Sichtlinie, sodass er dem Mann einen zweiten Schuss in sein verzogenes Gesicht versetzte. »Feigling«, schrie ein anderer Schütze als Antwort und gab selbst einen Schuss ab.

Er muss vergessen haben, dass sie sich selbst an keine einzige Regel halten, dachte Victor und nutzte den Schrei des Mannes, um dessen Position besser verorten zu können, bevor er aufsprang und in diese Richtung schoss.

Ein einzelner Bewaffneter pirschte sich heran. Victors plötzliches Auftauchen gab ihm den Bruchteil einer Sekunde, um zu schießen. Er hatte die genaue Position des Mannes nicht abschätzen können und musste sein Ziel justieren, bevor er eine Salve abgab. Eine der Kugeln traf den Kerl in die Schulter und er zuckte und stolperte, was die Präzision seines erwiderten Feuers zunichtemachte und Victor die perfekte Gelegenheit bot, ihn zu erledigen.

Nur, dass die MP5 leer war.

Victor ließ sie fallen und griff mit einer Hand nach hinten in seinen Hosenbund – um die Five-Seven zu ziehen, während der Typ noch verwundbar war –, aber seine Finger fanden nur das Leder seines Gürtels. Die Pistole muss sich gelöst haben, als er sich hingeworfen hatte.

Nicht gut.

Ohne Waffe und mit viel zu viel Abstand zwischen ihnen, um eine Chance zu haben, an ihn heranzukommen, rannte Victor zur nächstgelegenen Tür. Er stürmte in den angrenzenden Büroraum und schlug die Tür hinter sich zu. Ein kleiner quadratischer Raum, der genauso gut ein Sarg hätte sein können. Ein Schreibtisch und ein Stuhl, ein Aktenschrank. Sonst kaum etwas. Auf dem Schreibtisch befanden sich ein großer Monitor, eine Tastatur, eine Maus, Ein- und Ausgabeschächte, ein Haufen Stifte und ein Stück Obsidian als Briefbeschwerer. Nichts, was sich als improvisierte Waffe gegen einen Typen mit einer Maschinenpistole eignen würde.

Bis auf ein einziges Fenster gab es keinen Ausweg.

»Feigling«, schrie der Söldner wieder. Victor konnte ihm schlecht widersprechen.

Er ging am Schreibtisch vorbei und eilte zum Fenster, das auf eine schmale Seitenstraße blickte und keine Fensterläden hatte wie die an der Vorderseite des Gebäudes. Wie zuvor konnte er nirgendwo hin: kein Abflussrohr, keine Terrasse, nichts, was er mit einem Sprung hätte erreichen können.

Die Schritte des Schützen ertönten auf dem Boden hinter dem Zimmer und Victor rollte bereits über den Schreibtisch – wobei er alles außer dem Monitor abräumte – auf den Teppich, bevor die Kugeln durch die Tür schlugen.

Sie sprengten saubere Löcher durch den Computermonitor, die Wand dahinter, den Schreibtisch und den Boden, als der Söldner durch den Raum sägte. Victor rappelte sich auf, bevor die Schüsse aufhörten, und hielt sich außerhalb des Feuerkegels, der durch die Tür kam.

Als die Stille eintrat, stand er an der Wand und stützte sich mit der Schulter am Türrahmen ab.

Einen Moment lang schien es Victor, als würde der Söldner die MP5 laden, doch es gab kein plötzliches Klicken eines einrastenden Magazins. Er musste nachgeladen haben, bevor er Victor hierher verfolgt hatte.

Die Tür würde ihn abschirmen, wenn sie sich nach innen öffnete. Er könnte gerade lange genug ungesehen bleiben, um den Kerl zu überraschen. Es sei denn, er ahnte, dass dies Victors einzige wirkliche Option war, und schoss einfach durch die Tür, sobald sie offen war.

Wie auch immer, der Schütze stürmte nicht in den Raum. Er muss die Enge des Raumes auf der anderen Seite erkannt haben und war nicht bereit, seinen Vorsprung an Feuerkraft zu verschenken, indem er Victor die Möglichkeit gab, sich zu nähern. Victor nahm ihm das nicht übel.

Der Typ wollte nicht reinkommen und Victor wollte auf keinen Fall in die Schusslinie geraten. Eine vorübergehende Pattsituation. Nur konnte Victor in dem kleinen Büro nichts tun, um seine Chancen zu verbessern, während der Bewaffnete draußen Verstärkung rufen oder gar veranlassen konnte, das Gebäude in Brand zu setzen.

Innerhalb der nächsten Minute würden die Polizei kommen und das konnte Victor nicht zulassen.

Er hob den Obsidianstein vom Boden auf, wo es heruntergefallen war und schleuderte ihn so hart er konnte gegen das Fenster. Die Scheibe zersplitterte, als der Stein geradewegs durch sie hindurch ins Freie flog.

Unmittelbar darauf wurde die Tür aufgestoßen. Der Söldner stürzte in den Raum und zum Fenster, um den Fliehenden zu verfolgen.

Ein großer Kerl, schnell und wendig auf den Beinen, die MP5K fest an der Brust, um das Risiko zu minimieren, entwaffnet zu werden. Ein Profi. Er erkannte seinen Fehler, als er die zerbrochene Scheibe erreichte und die Scherben um den Rahmen herum bemerkte, die man hätte beseitigen müssen, bevor man hindurchklettern konnte.

Die Erkenntnis kam schnell, aber nicht schnell genug, um Victor davon abzuhalten, von hinten heranzustürmen, in die Hocke zu gehen, aus der er mit zwei offenen Handflächen gegen die Schulterblätter des Mannes schlug, um ihn durch das zerbrochene Fenster zu stoßen.

Da er die SMG mit beiden Händen umklammert hielt, konnte er nichts tun, um das zu verhindern.

Victor hätte die Waffe gerne an sich genommen, um sie zu benutzen, aber die Gelegenheit war zu günstig gewesen. Der überraschte und entsetzte Schrei des Mannes hatte auch etwas Befriedigendes.

KAPITEL 7

Nachdem er seine Five-Seven wiedergefunden hatte, stellte Victor fest, dass Walker jetzt schnell und unregelmäßig atmete. Er lag immer noch dort, wo Victor ihn zurückgelassen hatte, auf dem Rücken, und hielt sich den verwundeten Unterleib. Die Art und Weise, wie er atmete, verriet Victor, dass der Druck in seiner Brusthöhle durch den Treffer ins Schulterblatt gemindert worden war und es für seine Lungen immer schwieriger wurde, sich aufzublähen und wieder zu entleeren. Es half, dass er auf dem Rücken lag. Sonst wäre er vielleicht schon tot. Der Boden dichtete das Loch in seinem Schulterblatt gut ab, sodass nicht der gesamte innere Druck entweichen konnte. Wenn er sich auf die Seite rollen würde, würde der Druck in Sekundenschnelle aus ihm herauszischen und er würde nicht mehr atmen können.

Victor benutzte einen Fuß, um Walker auf die Seite zu rollen. Der Mann keuchte und rang vergeblich nach Atem, während Luft aus seinen durchlöcherten Lungen wich.

»Das macht mir keine Freude«, versicherte Victor. »Ich nehme an, du gehörst wie ich zu den Auftragnehmern von Phoenix. Das bedeutet, wir sind quasi Kollegen. In einer anderen Branche wären wir vielleicht zusammen im Bowlingteam der Firma.« Er wartete, bis Walkers Gesicht so blau wie sein Sweatshirt geworden war, bevor er ihn auf den Rücken rollte. Er gab ein scharfes, keuchendes Geräusch von sich, als sich das Loch in seinem Schulterblatt so weit schloss, dass der Innendruck auf ein Mindestmaß anstieg und seine Lungen sich mit Luft füllen konnten.

»Wo ist Phoenix?«

Walkers Gesicht rötete sich in Sekundenschnelle und er schnappte nach Luft.

»Das muss an den Ereignissen in den USA liegen«, begann Victor. »Die russischen Aufträge, natürlich. Aber war es Teil der Bedingungen, mich zu töten, oder ist das nur Phoenix' persönliche Art zu sagen, dass meine Dienste nicht mehr benötigt werden?«

Walker stieß hustende Atemzüge aus, die schaumiges Blut über sein Kinn und seine Brust schickten.

»Was auch immer sie dir erzählt hat, du musst es mir sagen. Jede Information, die du mitbekommen hast, alles, was du selbst herausgefunden hast, selbst Vermutungen … Du verstehst sicher, dass du mir etwas erzählen musst, wenn dir was am Atmen liegt.«

Victor war sich nicht sicher, ob Walker ihn hörte oder ob er ihn verstanden hatte. Er bemühte sich um jeden einzelnen, qualvollen Atemzug, der nicht annähernd ausreichte, um ihm das Gefühl des Erstickens zu nehmen. »Du bist Raucher, nicht wahr?«, fragte Victor mit einem Seufzer. »Das ist bedauerlich. Denn das bedeutet, dass deine Herz-Kreislauf-Gesundheit im Arsch ist und die Kapazität deiner Lungen schon ein Witz war, als sie sich noch ungehindert ausdehnen konnten. Ich habe früher auch geraucht, ich kann das gut nachempfinden. Er hielt inne und rieb seinen Zeigefinger an seinem Daumen. »Natürlich sage ich früher, aber das ist nicht ganz richtig, oder? Niemand hört mit dem Rauchen auf. Man legt eine Pause ein, mehr nicht.«

Walker keuchte.

»Das Problem ist«, fuhr Victor fort, »dass meine Sympathie für dich hier endet. Ich sehe zwar menschlich aus, aber ich könnte genauso gut eine ganz andere Spezies sein. Zu meinem Leidwesen bin ich ab und an zu Empathie fähig, aber man muss mich in der richtigen Stimmung erwischen.« Walker keuchte wieder.

»Sei ein Sportsmann und versuch wenigstens, mir etwas zu erzählen«, sagte Victor. »Denn wenn du einsiehst, dass diese Pattsituation nur aufgelöst werden kann, wenn du auf dem Operationstisch liegst, umgeben von talentierten Chirurgen, dann können wir zum Ende springen. Und wenn es sich um einen Bluff handelt, dann wäre jetzt der richtige Moment, mich in die Vorstellung einzuweihen, denn wir haben beide keine Zeit. Ich habe es zwar eilig, aber dein Leben hängt von meiner Gutmütigkeit ab.« Victor zuckte bedauernd mit den Schultern.

»Inzwischen hast du vielleicht gemerkt, dass ich heute nicht in der barmherzigen Stimmung bin, über die wir gesprochen haben.«

Walker versuchte wirklich, zu sprechen, das konnte Victor sehen, aber nur ein seltsamer, kehliger Laut quoll über seine Lippen. Fast wie ein Krächzen. Victor nahm dies als eindeutige Antwort. Er benutzte abermals den Fuß, um den Mann auf die Seite zu drehen und ihn auf den Bauch zu kippen.

»Ich bin nicht grausam«, versicherte Victor und wich zurück. „Ich habe nur wenig Munition und die Wahl deiner Waffe ist genauso schlecht wie dein Sinn für Mode.« Walker war zu schwach, um sich zurückzurollen, wie Victor wusste, aber er versuchte es trotzdem, schaffte es aber nur ein paar Sekunden lang, sich zu winden und zu zittern, bevor er nur noch von Krämpfen geschüttelt dalag, bis selbst das zu viel für ihn wurde.

Wenn Walker der letzte Überlebende war, dann hatte Phoenix insgesamt neun Killer auf Victor gehetzt.

Gerade von Phoenix hätte er nie ein einstelliges Todesschwadron erwartet und war ein wenig beleidigt. Hatte sie wirklich eine so schlechte Meinung von ihm? Er entschied sich, Phoenix selbst zu fragen, bevor er sie tötete.

Die von Sekunde zu Sekunde lauter werdenden Sirenen drängten Victor, unverzüglich aufzubrechen, und so eilte er die Treppe hinunter, wobei er die letzten vier oder fünf Stufen jeder Ebene übersprang. Obwohl er wusste, dass er zu lange mit Walker verbracht hatte, war es die beste und einzige Chance gewesen, die Antworten zu finden, die er brauchte, um Phoenix aufzuspüren. Wenn Victor schnell war, konnte er das Gebäude verlassen, bevor es die Einsatzkräfte erreicht hatten.

Er war nicht schnell genug.

Als er an den blutigen Leichen der ersten beiden Bewaffneten vorbeikam und nur noch eine Treppe vor sich hatte, schwang der Eingang des Gebäudes bereits auf und gab den Blick auf die hellblaue Uniform eines Mannes frei, der in das Gebäude stürmte.

Die Polizei war angekommen.

TEIL ZWEI – KAPITEL 8

EINE WOCHE ZUVOR

Der erste Polizist wirkte aus ein paar Metern Entfernung jung. Sein schmaler Kiefer und die saubere Rasur verliehen seinem Gesicht ein unreifes Aussehen. Die blauen Augen und die hellen Brauen verstärkten diesen jugendlichen Eindruck noch. Als er näherkam, schien er exponentiell zu altern. Das Blau der Augen verwischte und die Schatten unter ihnen wurden dunkler. Aus der Nähe wurden die Falten in den Augenwinkeln und um den Mund deutlich. Er wirkte nun ausgemergelt. Unter dem schwachen Kinn ragte sein Adamsapfel scharf hervor. Für Victor hätte er genauso gut eine blinkende Zielscheibe sein können, denn er schätzte jeden, der ihm begegnete, nach dem Grad seiner Bedrohung ein und überlegte dann, wie er ihn am effizientesten verkrüppeln oder töten konnte.

Er saß in der Nische, die am weitesten von der Tür entfernt war. Die Sportbar war eine einfache Kleinstadtkneipe, aber sie hatte einen gewissen Charme, den Victor neben ihrer Sauberkeit zu schätzen gelernt hatte. Er mochte es nie, sich an eine Routine zu halten – auch nicht in seiner Rolle –, aber in einer Stadt mit nur ein paar tausend Einwohnern waren seine Möglichkeiten begrenzt. Trotzdem hatte er hier noch nicht oft genug gegessen, um von den Bedienungen erkannt zu werden. Die großen Bildschirme halfen ihm in dieser Hinsicht. Er konnte so tun, als sei er vom Programm abgelenkt und brauchte keinen Smalltalk zu halten, obwohl auf den Bildschirmen während der Mittagszeit nur die Sportnachrichten liefen. Das bedeutete, dass die Bar voll mit Gästen war, die Burger und Chicken Wings aßen. Die Kellnerin, die seinen Bereich bediente, war ständig in Bewegung und wirkte dennoch nie gehetzt. Sie war ein eiskalter Profi. Niemand musste jemals länger als einen Moment auf sie warten. Keine Bestellung wurde falsch serviert. Kein Menü wurde auf dem Tresen kalt. Kein Kunde schaffte es über seinen ersten Kaffee hinaus, weil sich die Tasse ständig zu füllen schien. Victor war sich ziemlich sicher, dass er ihr gar nicht zu sagen brauchte, wie er sein Omelett am Liebsten aß; sie würde einfach seine Gedanken lesen.

Er legte Messer und Gabel weg. Nützliche Utensilien für alle möglichen Angriffe, aber er zog freie Hände vor, bis er sicher war, dass er Waffen brauchte. Vor allem, wenn man bedachte, dass seine Geschicklichkeit derzeit eingeschränkt war.

Der Polizist war vorerst keine Gefahr. Er trug seine Dienstwaffe an der Hüfte, außerdem einen Schlagstock und ein Pfefferspray – alles wirksame Waffen, auch wenn der Polizist nicht vorhatte, sie zu benutzen. Fäustlinge schützten seine Hände vor der Kälte in Minnesota. Sollte es nötig werden, könnte Victor die Waffe des Polizisten schneller greifen als der Polizist selbst.

Eine sichere Stadt. Niedrige Kriminalitätsrate. Ein Ort, an dem die Polizisten es nicht für nötig hielten, ihre Waffen bereitzuhalten. Die Art von Polizisten, die ihre Waffen nur auf dem Schießstand abfeuerten und nur, wenn es Teil der Beurteilung war.

Victor gefiel es hier. Keiner fluchte. Keiner lästerte. Sie sagten bloß: »Verflixt«, und: »Ach, verdammt«, und einige entschuldigten sich sogar noch dafür.

Außerdem war es kühl. Die Art von Temperatur, die ihn an Island und Saint-Maurice im Winter erinnerte. Victor war kein Fan der Sonne. Er mochte es lieber, wenn alle lange Mäntel und Hüte trugen, wenn es normal war, sich zu bedecken, wenn er in jeder Menge untertauchen konnte, ohne es überhaupt zu versuchen.

Er schätzte den Polizisten auf Mitte dreißig. Vielleicht siebzig Kilogramm schwer, wenn er jetzt in Uniform, Wintermantel und mit seiner ganzen Ausrüstung auf die Waage steigen würde. Mit seinen Schuhen war er 1,80 m groß.

Der zweite Polizist war etwas größer und viel schwerer – er wog bestimmt um die hundert Kilo. Das meiste davon um die Taille. Er hatte einen dicken Schnurrbart und einen Hauch von Bartstoppeln. Seine Augen schienen klein zu sein, im Schatten buschiger Brauen und halb verdeckt von runden Wangen, die von Kälte und hohem Blutdruck gerötet waren. Er sah müde aus, so, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen.

Seine Größe machte ihn zu einer kleinen Bedrohung. Aber hundert Kilo waren gleichzeitig auch eine Menge Trägheit. Als er näherkam, zog er seine Fäustlinge aus und steckte sie in eine Tasche seiner Dienstjacke. Er hatte dicke Finger, die nur mit viel Mühe zu brechen wären. Die Art von Händen, die eine Waffe nicht so einfach aufgeben würden. Wenn es dazu kommen sollte, würde Victor ihn zuerst angreifen. Er würde sich die Beine vornehmen – Knie oder Knöchel – und die hundert Kilo gegen den Polizisten einsetzen. Er würde sich auf dem Boden winden, bevor der dünne Polizist reagieren könnte. Victor war sich nicht sicher, ob er als Nächstes nach der Waffe greifen oder den dünnen Polizisten zuerst auf den Boden werfen sollte. Ein halbwegs anständiger Schlag würde genügen. Victor brauchte die Details nicht zu verkomplizieren.

Er würde sie nicht töten, egal was passiert. Das wusste er ganz genau.

Der dünne Polizist könnte mit einer Gehirnerschütterung davonkommen. Der große Polizist musste mit einem Gips und Krücken rechnen. Vielleicht sogar einem Rollstuhl. Aber erst nach der Operation, in der man die Knochen richtete und die Sehnen wieder annähte. Vielleicht wären auch mehrere Operationen nötig. So oder so würde er sich wochenlang erholen müssen. Möglicherweise monatelange Physiotherapie, damit er wieder laufen konnte. Und dann noch mehr, um den Muskelschwund und die Ungleichgewichte zu beheben. Gut möglich, dass er sich nie wieder ganz erholen würde. Gelenke sind nun mal kompliziert. In einem Jahr oder später könnte er weitere Operationen brauchen. Es war sehr wahrscheinlich, dass er humpeln und für den Rest seiner Karriere an den Schreibtisch gefesselt sein würde.

Ein hoher Preis für das Entfernen seiner Fäustlinge.