Transnationale Vergesellschaftung - Steffen Mau - E-Book

Transnationale Vergesellschaftung E-Book

Steffen Mau

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Beschreibung

Nationale Gesellschaften sind heute keine abgeschlossenen Gebilde mehr. Die Prozesse der Globalisierung und Transnationalisierung erfassen dabei mehr und mehr die Lebenswelt jedes Einzelnen. Erfahrungen der Grenzüberschreitung in Form von Migration, Mobilität und neuen transnationalen Netzwerken veralltäglichen sich. Steffen Mau zeigt diese Entwicklungen auf, benennt ihre sozialen Brüche und fragt, ob die wachsende Entgrenzung Einstellungen, Vorurteile und Wertvorstellungen der Bürger verändert. Nicht zuletzt zeigt er, inwieweit die Bevölkerung die Globalisierung als Bedrohung oder Chance wahrnimmt.

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Mau, Steffen

Transnationale Vergesellschaftung

Die Entgrenzung sozialer Lebenswelten

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2007. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40386-1

|7|1. Einleitung

»Vom beziehungswissenschaftlichen Standpunkte aus könnte man den größten Teil der Geschichte der objektiven Kultur als einen stattlichen Beitrag zur Lehre von den Fernkontakten bezeichnen. Handelt es sich doch um eine Verminderung der durch Zeit und Raum geschaffenen Entfernungen, um eine Wandlung des Fernen in das Nahe. Das, was sich nicht physisch berührt, soll in eine enge Verbindung gebracht werden, als ob nicht Zeit oder Raum zwischen den Dingen läge. Die Verkehrsmittel von Pferd und Wagen bis zum Flugzeug, Post, Telegraphie, Telephonie und dem modernen Radioverkehr, Zeitung und Kino, Handel und Schiffahrt, Buchdruck und Photographie, Geld und Kredite sind wirksame Mittel der Fernkontakte. Immer wieder wird unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, welche Bedeutung die Entwicklung eines solchen Riesenapparates des Verkehrs für die Vergesellschaftungsprozesse hat.«

Leopold von Wiese (1933: 233)1

Das Thema der Soziologie ist das der Gesellschaft, während sich die Geographie mit dem Raum beschäftigt. Allerdings ist unverkennbar, dass beide Disziplinen miteinander etwas zu verhandeln und auszutauschen haben, weil das Denken und Forschen über Gesellschaft einen Raumbezug braucht, wie auch die Humangeographie das Verhältnis zwischen Territorium und Bevölkerung zu klären versucht. Aufgrund dieser inhärenten Bezogenheit der Zentralthemen von Soziologie und Geographie ist es verwunderlich, dass es in der Geschichte beider Disziplinen kaum zu Berührungen oder gar einer gemeinsamen Perspektivfindung gekommen ist (Stichweh 2003). Gesellschaft, soziologisch gedacht, braucht zwar den Raum, um sich überhaupt ausdehnen zu können, aber definiert wird sie durch das Soziale. Daher wird der Raumbezug bis zur Unkenntlichkeit in den Hintergrund gedrängt. Die Geographie hat zwar den Begriff der Gesellschaft in die eigenen Arbeiten eingebaut und auch seine sozialen Qualitäten durchmessen, aber kaum mit gesellschaftstheoretischen Ambitionen.

Diese wechselseitige Wahrnehmungsarmut ist in jüngster Zeit verstärkt kritisiert worden, vor allem deshalb, weil sich gesellschaftlicher Wandel mehr und mehr in einer veränderten »Räumlichkeit« der Gesellschaft niederzuschlagen scheint (Berking 1998). Zentrales Signum des Zeitalters der |8|Globalisierung ist die weltumspannende Ausdehnung von Transaktionen und Kommunikationsbeziehungen, welche den soziologischen Fokus auf räumlich nahe oder zumindest räumlich integrierte Lebenszusammenhänge zunehmend herausfordert. Man muss nicht in Marshall McLuhans (McLuhan/Powers 1989) Prophetie des global village einstimmen, um der Diagnose etwas abzugewinnen, dass mit der Entstehung von Weltmärkten, der neuen Flut von medialen Bildern und Botschaften und den technologischen Revolutionen in Transport und Kommunikation das, was früher fern und unerreichbar war, jetzt in greifbare Nähe gerückt ist. Die soziologisch so lange vorausgesetzte und auch konzeptionell präjudizierte Einheit von Sozialität, Anwesenheit und Raum ist durch solche Entwicklungen aufgebrochen worden. Wo sich das Verhältnis von lokal und global zugunsten des Letzteren verschiebt, ist auch die Ortsgebundenheit von Sozialbeziehungen immer weniger als selbstverständlich anzunehmen. Globalisierung kann, wenn die dieses Theorem tragenden Annahmen denn stimmen, auch als eine Art Freisetzung beschrieben werden – als »zunehmende Emanzipation vom Raum« (Schroer 2006: 27) oder sogar als »Deterritorialisierung« (Appadurai 1996).

Emanzipation vom Raum bedeutet allerdings nicht, dass der Raum als Ordnungs- und Strukturprinzip an Relevanz verliert, weil alles an jedem Ort stattfinden kann und kaum noch Barrieren für Mobilität und Kommunikation gesetzt sind. Im Gegenteil, es bedeutet die Aufladung der räumlichen Dimension, weil für alle Arten von sozialen Beziehungen und Interaktionen ganz entscheidend ist, welchen Raumbezug sie letztlich haben. Dies muss in die theoretischen Konzepte gesellschaftlicher Strukturiertheit einbezogen und letztendlich empirisch erkundet werden. Die zentrale Herausforderung für die Soziologie besteht darin, einen Begriff und ein Konzept von Gesellschaftlichkeit zu entwickeln, welche keine »Präsenzpflicht« sozialer Interaktionspartner in einem gemeinsamen sozialen und geographischen Raum mehr voraussetzt. Sie muss ihren Horizont dahingehend erweitern, dass sie soziale Beziehungen verorten kann und dabei die Beweglichkeit im Raum, die geographische Distanz und die Möglichkeit der Grenzüberschreitung systematisch einbezieht. In einer solchen Konzeptionalisierung stellen sozialräumliche Nahverhältnisse tatsächlich nur eine Ebene des individuellen Eingebundenseins dar, welche dann durch die soziographische Erfassung vielfältiger Distanzbeziehungen zu ergänzen wäre.

Die Brisanz einer solchen Perspektiverweiterung wird noch erhöht, wenn man einbezieht, dass die räumliche Ausweitung sozialer Beziehungen |9|häufig so weit geht, dass nationalstaatliche Grenzen überschritten werden. In der »postnationalen Konstellation« (Habermas 1998) sind die nationalstaatlichen Grenzen immer weniger als die natürlichen Grenzen sozialer Interaktionszusammenhänge anzunehmen. Vielfach wird deshalb auch angenommen, wir hätten es heute mit Bewegungen »unentwegter Grenzüberschreitung« (Beck/Grande 2004: 153) zu tun. Damit sind Gefahren des Auseinanderfallens und Zerfaserns der Gesellschaft verbunden. So steht die Behauptung im Raum, dass die Gesellschaft sich »den Zumutungen des raum- und zeitkompakten Globus nicht beugen (kann), ohne das innere Band des Zusammenhalts zu zerschneiden« (Altvater/Mahnkopf 1996: 62).

Dieses Buch untersucht die Frage nach der Gestalt und Ausdehnung transnationaler Sozialformen. Es vertritt die These, dass wir in den vergangenen Dekaden eine massive Veränderung gesellschaftlicher Interaktionsstrukturen und Vernetzungen erfahren haben, welche die nationalstaatliche Binnenkommunikation relativiert und das Ausmaß der Außenkommunikation erhöht haben. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von konzeptionellen Anläufen, um diesen neuen Entwicklungen gerecht zu werden, so die Konzepte der Globalisierung, der Weltgesellschaft, der Denationalisierung und die Arbeiten zur Herausbildung von transnationalen sozialen Räumen. Insbesondere der Transnationalismusansatz legt sein Hauptaugenmerk auf soziale, kulturelle und ökonomische Praktiken von Individuen, welche ganz zentral für das Entstehen globaler Handlungszusammenhänge sind. Märkte, Informationsflüsse und globale Netzwerke entstehen nicht im Selbstlauf, sondern ihre Entwicklung und Reproduktion hängen an sozialen Formen und individuellen Handlungsstrategien. Diese sind dabei nicht reine Anhängsel marktförmiger Transaktionen oder systemischer Rationalitäten, sondern gewinnen in Auseinandersetzung mit ihren Umwelten ein Konstitutionsgewicht, welches durchaus eigensinnigen Logiken folgt.

Sieht man mal von der Migrationsforschung und einzelnen Studien zu Transnationalisierungseliten ab, so gibt es allerdings kaum systematische Versuche, die individuelle Einbindung in transnationale soziale Netzwerke umfassend zu beschreiben. Dabei wäre dies ein wichtiger Anknüpfungspunkt um tatsächlich abschätzen zu können, ob wir uns auf dem Weg in eine Weltgesellschaft befinden und inwieweit dieser Prozess auch eine Transnationalisierung von Interaktionsstrukturen beinhaltet. John W. Burton (1972) hat nachdrücklich die auch hier eingenommene Position vertreten, dass sich erst durch die Erfassung von Transaktionen ein realistisches Abbild der Welt ergeben würde:

|10|»Which is the more representative model of the world – the world of continents, islands and states or the world of transactions? (…) If we adopt the nation state we will use the language of relations between states and their relevant power, and have one set of solutions to the problems of conflict and world organization. If we adopt the transaction one, we will use a different language to describe the world society, and have a different set of solutions to world problems.« (43)

Die bisherigen Forschungen zum Zusammenhang von transnationalen sozialen Räumen und Migration stellen sich diesem Problem oft nicht, da sie zuvorderst nach dem Wie und weniger dem Wieviel schauen. Ihr Hauptinteresse bezieht sich auf sehr spezielle Praktiken, Netzwerke und Symbolsysteme, die einen grenzüberschreitenden Bezug haben und somit zur Etablierung transnationaler Sozialräume beitragen, nicht auf die Breite dieser Entwicklungen und die Rückwirkungen auf Vergesellschaftung insgesamt. So bleiben ihre Aussagen auf die jeweilig untersuchte Gruppe beschränkt und lassen Rückschlüsse auf die Gesamtgesellschaft nicht zu.

Meiner Einschätzung nach fehlt es sowohl auf der deskriptiven wie auch auf der erklärenden Ebene an Wissen über die Breite und Tiefe der Transnationalisierung. Konkret wären das Wissensbestände darüber, wer, in welcher Form und mit welchem Raumbezug in transnationale soziale Beziehungen eingebunden ist und welches die zentralen Determinanten solcher Interaktionen sind. Zugleich stellt sich die Frage, ob die Entgrenzung des Nationalstaates und die Steigerung grenzüberschreitender Interaktionen die enge Bindung an die nationalstaatliche Form aufheben und wir im Zuge von Transnationalisierung auch eine Zunahme an transnationalen oder kosmopolitischen Orientierungen erwarten können. Dies liefe darauf hinaus, dass sich Identitätskonzepte vom Nationalstaat lösen und es zu globalen Verantwortungszuschreibungen kommt.

Die in diesem Buch vertretene These der Transnationalisierung der Gesellschaft berührt mittelbar Fragen, die in den vergangenen Jahren in der öffentlichen Debatte einen immer größeren Stellenwert eingenommen haben. Dies sind die Problemkreise von Ausländerintegration, Leitkultur und Mehrheitsgesellschaft. Das vorliegende Buch soll deutlich machen, dass die Annahme gesellschaftlicher Geschlossenheit und Homogenität, die vielen Beiträgen zu Assimilation und Integration zugrunde liegt, nicht mehr trägt. Ebenso enthält ein essentialistisch daherkommender Multikulturalismus zentrale Irrtümer. Seit den 50er Jahren hat es auch auf der sozialen und lebensweltlichen Ebene einen massiven Denationalisierungsschub gegeben. Dieser wird beispielsweise indiziert durch die starke Zunahme binationaler Ehen in Deutschland, die Transnationalisierung sozialer Handlungs- und |11|Erfahrungsräume durch permanente Grenzüberschreitung, die stetige Vergrößerung der Interaktionsfelder zwischen Deutschen und Ausländern – sei es innerhalb oder außerhalb der Grenzen des Landes – und das Aufbrechen des nationalstaatlichen Identitätskonzepts. Mit solchen Veränderungen erhöht sich die Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge, und eine Rückkehr zu den geordneten Verhältnissen der nationalstaatlichen Ordnung scheint unmöglich, da sie weniger globale Verflechtung, weniger Supranationalisierung und weniger Entgrenzung bedeuten würde – eine alles in allem unrealistische Perspektive.

Der Nationalstaat des alten Typus beruhte auf territorialer und sozialer Grenzziehung – also einer Art gesellschaftlicher Selbstisolation. In der post-nationalen Ära wird dieses Gesellschaftsmodell zunehmend verworfen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf Formen des Regierens oder ökonomische Globalisierung, sondern auch im Hinblick auf soziale Integration, Zugehörigkeit und die Einbindung in transnationale Netzwerke. Konzepte der postnationalen Mitgliedschaft (Soysal 1994), der transnationalen sozialen Räume (Portes et al. 1999; Pries 1999a), der transstaatlichen Räume (Faist 2000a) oder des neuen Kosmopolitismus (Beck 2004) werfen erste Schlaglichter auf die Transformation der gesellschaftlichen Ordnung und einige ihrer möglichen Implikationen. Für die Individuen beinhaltet die gesellschaftlich-nationalstaatliche Öffnungstendenz eine »zweideutige Erfahrung zunehmender Kontingenz« (Habermas 1998: 126). Werden sie aus den integrierten Lebenswelten entlassen, so bedeutet dies einerseits die Steigerung von Freiheitsgraden und die Optionsvermehrung, andererseits eine Verabschiedung aus übersichtlichen und institutionell geschützten Sozialverhältnissen. Damit verbunden sind Chancen des Eigenentwurfs individueller Lebensverhältnisse wie auch Risiken der Desintegration und des Aufbrechens von Konflikten, wenn diese Liberalisierung als Bedrohung wahrgenommen wird.

Vor dem Hintergrund dieser weit ausgreifenden Problematik adressiert das Buch die Transnationalisierung individueller Lebenswelten als einen Teilaspekt der Transformation der nationalgesellschaftlichen Sozialstruktur. Statt sich auf recht allgemeine und damit pauschale Aussagen zu stützen, wird die Fragestellung empirisch gewendet und aufbereitet. Erst dadurch ergibt sich die Chance, genauer zu bestimmen, wie umfassend und schließlich mit welchen spezifischen Folgen Transnationalisierung Platz greift. Kommt es in Wechselwirkung mit ökonomischen, technologischen |12|und politischen Veränderungen auch zu einem »Einschleifen transnationaler Denk-, Handelns- und Lebensformen« (Beck 1997: 191)?

Die vorliegende Studie erstellt zum ersten Mal eine umfassende Kartographie darüber, inwieweit die Bevölkerung in Transnationalisierungsschübe einbezogen ist. Dabei wird sowohl auf eigene empirische Arbeiten, aber auch auf Daten der amtlichen Statistik und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zurückgegriffen. Zentrale Informationsquelle ist ein im März und April 2006 durchgeführter repräsentativer Survey (Survey »Transnationalisierung«). Darin wurden insgesamt 2700 in der Bundesrepublik lebende Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit (ab 16 Jahre) zu ihren transnationalen sozialen Kontakten und grenzüberschreitenden Aktivitäten befragt.2 Weiterhin wurden Migrations- und Mobilitätserfahrungen und -praxen erfasst. In einem abschließenden Teil der Befragung ging es schließlich um Einstellungen zu verschiedenen Komplexen, so der Globalisierung, politischer Kompetenzzuschreibung und der Inklusionsbereitschaft gegenüber Ausländern. Die Befragung wurde im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojektes »Transnationalisierung sozialer Beziehungen« durchgeführt. Eine genauere Beschreibung des Datensatzes findet sich im Appendix.

Nach einer Einführung in die recht umfangreiche sozialwissenschaftliche Diskussion der Prozesse der gesellschaftlichen Entgrenzung und der Erarbeitung eines Rahmens zum konzeptionellen Verständnis der Prozesse der Transnationalisierung, insbesondere der »Transnationalisierung von unten«, gliedert sich der empirische Teil in drei größere Bereiche. Zunächst geht es darum, eine Kartographie der transnationalen Interaktionsbeziehungen zu erstellen und ein genaues Bild der Art, Dichte und Häufigkeit dieser Austausche und Interaktionen zu zeichnen. Weiterhin werden Hypothesen zur Struktur, Lebensbereichsspezifik und zu den generativen |13|Mechanismen dieser Kontakte geprüft. Im Fokus stehen Bekanntschafts- und Freundschaftsnetzwerke, familiäre Beziehungen, Migration, Studentenmobilität, Tourismus und binnennationale Kontakte zu Ausländern. Zweitens interessiert, ob diese Art der ›objektiven‹ Transnationalisierung auch in den kognitiven und normativen Horizonten bzw. Perspektiven der individuellen Akteure ihren Niederschlag findet. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Einbindung in grenzüberschreitende Zusammenhänge und der »Kosmopolitisierung« politischer und sozialer Orientierungen? Im dritten empirischen Teil wird schließlich die von Hannerz (1996: 29) aufgeworfene Frage »(W)ho are the globalizers?« aufgegriffen. Oft wird zum Beispiel unterstellt, dass Transnationalisierung vor allem durch Eliten getragen wird, die durch ihr berufliches Engagement viel stärker auf ›Langstreckenkommunikationen‹ angewiesen sind (Sauvant 1976; Konrad 1984). Daher gilt es zu fragen, inwieweit die Gesamtheit der Bevölkerung heute in transnationale Zusammenhänge eingebunden ist oder welche Brüche und Fragmentierungen sich ergeben. Dies wird anhand der sozialstrukturellen Strukturierungsdimensionen Bildung, Ost/ West, Stadt/Land, Alter und Geschlecht untersucht.

Die Studie stützt sich in der Hauptsache auf quantitative Befunde, sie ist aber eng mit qualitativ gewonnenen Informationen verknüpft. Zum einen werden die qualitativ ausgerichteten soziologischen und anthropologischen Studien zur Transnationalisierung umfangreich rezipiert und eingearbeitet, um die Befunde zu unterfüttern, andererseits stützt sich diese Studie auf eigene qualitative Forschungen. So wird auf Ergebnisse des im Rahmen des gemeinsam mit Roland Verwiebe von der Universität Hamburg geleiteten und von der Fritz-Thyssen Stiftung finanzierten Forschungsprojekts »Arbeitsmigration deutscher Facharbeiter innerhalb Europas« zurückgegriffen. Dieses Projekt untersucht die transnationalen sozialen Netzwerke von deutschen Facharbeitern unmittelbar vor und dann ein Jahr nach dem Wanderungsereignis und ermöglicht tiefere Einblicke in die soziale Formation und die Dynamik grenzüberschreitender Beziehungsnetzwerke.

In der Darstellung der quantitativen Befunde in diesem Buch ist auf die vollständige Präsentation des sehr umfangreichen Datenmaterials verzichtet worden. Im Interesse der Lesbarkeit werden die Ergebnisse in einfacher Tabellen- und Graphikform dargestellt. Zugleich sind nicht alle Daten explizit und tabellarisch ausgewiesen. Sie bilden vielmehr die Basis und den Hintergrund für den gesamten Argumentationsgang. Da dieses Buch ein |14|erstes Publikationsresultat des genannten Projekts darstellt, verweisen wir auf zukünftige Veröffentlichungen, die einzelne, hier angerissene Themen und Fragestellungen vertiefend bearbeiten werden. Mit Abschluss des Projektes wird der Datensatz auch für die wissenschaftliche Öffentlichkeit zugänglich gemacht und im Zentralarchiv für empirische Sozialforschung an der Universität Köln (ZA) archiviert werden.

Diese Arbeit ist in einem kooperativen Zusammenhang entstanden. Jan Mewes hat als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt an der Gestaltung der Studie ganz zentral mitgewirkt und dabei seine eigene Handschrift eingebracht. Ohne seine unermüdliche und kenntnisreiche Auseinandersetzung mit der Materie und ihren empirischen Kniffligkeiten hätten sich viele der theoretisch interessanten Fragen empirisch nicht umsetzen lassen. Lena Laube und Niels Winkler haben als studentische Hilfskräfte des Projekts große Kreativität und Engagement an den Tag gelegt und einen wesentlichen Anteil an der Umsetzung der Studie beigetragen. Als Lehrstuhlmitarbeiterin war Ann Zimmermann direkt und indirekt an den verschiedenen Stufen der Arbeit beteiligt und hat ihr Wissen eingebracht. Susanna Kowaliks genauer Blick für die sprachlichen Untiefen wissenschaftlicher Texte hat entscheidend geholfen, das Manuskript in ein Buch zu verwandeln. Monika Sniegs hat dafür gesorgt, dass der Text eine Form und Formatierung erhält.

Diese Studie ist im Kontext der Bremer sozialwissenschaftlichen Landschaft angesiedelt und hat umfangreich davon profitiert. Nicht zuletzt Michael Zürns Bremer Arbeiten zur Denationalisierung sind eine wichtige Inspirationsquelle gewesen und haben die grundlegende Perspektive dieser Studie angeregt. Im Rahmen des in Bremen angesiedelten Sonderforschungsbereichs »Staatlichkeit im Wandel« (Sfb 597) habe ich zudem umfangreiche Einsichten in die Veränderungen des Charakters von Staatlichkeit und die Prozesse von Supra- und Internationalisierung erhalten. Mein eigenes im Januar 2007 begonnenes Sfb-Projekt mit dem Titel »Vom Container zum offenen Staat? Grenzregimewandel und Personenmobilität« knüpft unmittelbar an die hier aufgeworfenen Fragestellungen an. Ziel ist die Beantwortung der Frage, ob wir es in den OECD-Ländern während der letzten 30 Jahre mit einem Trend hin zu einer größeren Permeabilität von nationalstaatlichen Grenzen zu tun haben oder nur mit selektiven Öffnungstendenzen – mit größeren Bewegungsfreiheiten für einige und erheblichen Mobilitätsbarrieren für andere Gruppen. Weiterhin wird untersucht, inwieweit sich durch den Zusammenschluss mehrerer Länder Makroterritorien |15|herausbilden, welche im Inneren eine große Durchlässigkeit aufweisen und im Gegenzug die Außengrenzen aufwerten. Im Zusammenhang damit interessiert, ob sich eine Internationalisierung von nationalstaatlichen Grenzregimen feststellen lässt, mit einem Mehr an multi- und bilateraler Kooperation sowohl auf der institutionellen und rechtlichen Ebene wie auch auf der Ebene des Grenzmanagements. Die Forschungsperspektive des Projekts knüpft unmittelbar an die in diesem Buch fokussierte Fragestellung an, nämlich inwieweit Grenzen als Unterbrecher von Interdependenzen und Interaktion strukturierende Wirkung entfalten (und entfalten können) und erweitert sie um den genauen und vergleichenden Blick auf die Institution der Grenze.

Stephan Leibfried und Dieter Wolf vom Bremer Sfb haben die Entstehung dieses Buches ein wichtiges Stück begleitet und unterstützt. Frank Adloff und Kathrin Leuze haben durch umfangreiches Feedback nötige Korrekturen und Verbesserungen angemahnt. Weiterhin bin ich einem anonymen Gutachter zu Dank verpflichtet. Zahlreiche weitere Kollegen aus dem In-und Ausland haben in verschiedenster Form auf die Thesen dieser Studie eingewirkt, entweder direkt durch Lektüre von Teilen des Manuskripts oder indirekt durch Gespräche oder einschlägige Publikationen im Kontext des Themas. Ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Weiterhin danke ich dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), welches mir vom Sommer bis zum Herbst 2006 im Rahmen der Karl W. Deutsch Gastprofessur einen anregenden und produktiven Aufenthalt in Berlin ermöglichte. Die dort gewonnenen Freiräume haben mich in die Lage versetzt, dieses Buch rasch fertig zu stellen und einem wissenschaftlichen Publikum zugänglich zu machen. Zuletzt gilt mein Dank Susanne Balthasar als meiner kritischsten Leserin. Aus Gründen, die weit darüber hinausgehen, ist ihr dieses Buch gewidmet.

|17|Raumordnungen: Vom Containermodell zu transnationalen sozialen Räumen

|19|Ausgangspunkt der Analysen in diesem Buch ist der idealtypische Nationalstaat in seinem »goldenen Zeitalter«, den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts (Leibfried/Zürn 2005). Aus soziologischer Perspektive und in stilisierender Absicht lässt sich dieser als »Container« mit einer relativ großen Abgeschlossenheit nach außen und einer weitgehenden Deckungsgleichheit von staatlichen Räumen und Formen der Vergesellschaftung charakterisieren (Agnew/Corbridge 1995). Dieses Modell ist mit der zunehmenden Dynamik grenzüberschreitender Prozesse grundlegenden Veränderungen unterworfen. Die Wände des nationalstaatlichen Containers werden porös und es kommt zu einer Rekonfiguration politischer, ökonomischer und sozialer Handlungsräume, welche die Vorstellung weitgehend voneinander isolierter gesellschaftlicher und politischer Einheiten in Frage stellt. In der wissenschaftlichen Literatur haben diese Entwicklungen ein breites Echo gefunden und zu sehr verschiedenen konzeptionellen und theoretischen Angeboten geführt, die auf die Veränderungen der nationalstaatlichen Ordnung Bezug nehmen. Einige von ihnen setzen am Nationalstaat und seiner schleichenden Erosion an, andere gruppieren sich um die Begriffe der Globalität und Globalisierung und wieder andere sprechen von der Weltgesellschaft als einem neuen Relevanzhorizont, der den des Nationalstaates abgelöst hat. Das Konzept der Transnationalisierung nimmt dagegen eine handlungs- und subjektbezogene Perspektive ein, welche zu zeigen vermag, wie soziale Akteure an der Transformation der nationalstaatlichen Ordnung ihren Anteil haben, und dass diese Prozesse nicht nur auf anonyme Marktkräfte oder subsystemspezifische Rationalitäten zurückzuführen sind.

In den nachfolgenden Kapiteln soll zunächst noch einmal eine Beschreibung des klassischen nationalstaatlichen Modells mit seiner weitgehenden Deckungsgleichheit zwischen Staatlichkeit und Gesellschaftlichkeit vorgenommen werden. Diese dient als Ausgangpunkt und Kontrastfolie |20|für die Beobachtung von sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Prozessen der Entgrenzung. Es soll dann genauer diskutiert werden, welche Entwicklungen maßgeblich dafür sind, dass die mit dem Containermodell verbundene Vorstellung einer relativ großen Außenabschließung und dichten Binnenintegration nationalstaatlicher Gesellschaften herausgefordert wird. Im Anschluss werden verschiedene Theorien und theoretische Versatzstücke vorgestellt, die sich den neueren Entwicklungen widmen. Dann wenden wir uns dem Konzept der Transnationalisierung zu, auf welchem diese Arbeit aufbaut. Im Vergleich zu anderen Konzepten ermöglicht diese Perspektive eine mikrosoziologische Fundierung gemeinhin als global angenommener Prozess und lässt einen genauen Blick auf die generativen Mechanismen grenzüberschreitenden Handelns zu. Damit eignet es sich in besonderer Weise dafür, gesellschaftliche Formen der Grenzüberschreitung systematisch zu erfassen, und sie in ihren Rückwirkungen auf den Prozess der nationalstaatlichen Vergesellschaftung zu beurteilen.

|21|2. Der Nationalstaat als Container?

Mit ihrer Entstehung und institutionellen Ausformung wurden die Nationalstaaten die zentralen Einheiten sozialer und politischer Regulierung und Integration. Voraussetzung dafür waren die Herausbildung von Territorialherrschaft und eines Gewaltmonopols, die Formung einer souveränen und geeinten Nation, die kulturelle und rechtliche Durchdringung verschiedenster Lebensbereiche und Kollektivierung sozialer Risiken durch wohlfahrtsstaatliche Versorgung (Münch 2001). Diese Formierung von Nationalstaaten war mit Inklusionen nach innen und Abschließungsprozessen nach außen verbunden. In deren Folge entstanden nationale Gesellschaften mit den ihnen eigenen Solidaritätsverhältnissen, Sozialstrukturen, politischen Institutionen, Formen politischer und sozialer Einbeziehung und Partizipation und Ideen der nationalen Zugehörigkeit und Identität (Taylor 1996; Smith 1998). Giddens (1995: 24/25) macht die Abgegrenztheit sogar zum Markenzeichen moderner staatlicher Formationen: »Moderne Gesellschaften (oder Nationalstaaten) weisen zumindest in mancher Hinsicht eine deutlich bestimmte Abgegrenztheit auf. (...) Es hat praktisch keine vormodernen Gesellschaften gegeben, die ebenso deutlich abgegrenzt waren wie die Nationalstaaten der Moderne.«

Man kann die Herausbildung von Nationalstaaten als doppelten Schließungsprozess verstehen: als Schließung des geographischen Raumes durch Grenzkontrolle und als Schließung des Mitgliedschaftsraumes durch die Codierung von Zugehörigkeit (vgl. Rokkan 2000). In der Regel werden diese beiden Aspekte unabhängig voneinander betrachtet, aber es scheint sinnvoll, ihr Verhältnis als einen dialektischen Prozess der wechselseitigen Bedingung und Verstärkung zu verstehen. Mobilitätskontrollen der Ein und Ausreise kommt die Funktion einer äußeren Hülle zu, die den Zugang zu Territorien reguliert. Darin eingebettet ist der Mitgliedschaftsraum, durch den der Zugang zu kollektiven Wohlfahrtsgütern gesteuert wird. Im historischen Rückblick kann man zeigen, dass der territorialen Kontrolle |22|und Umschließung einer ansässigen Bevölkerung eine nicht unwesentliche Rolle bei der Konstruktion des Verhältnisses von Staat und Bevölkerung bzw. Bürgern zukommt.

John Torpey (1998: 256) geht so weit zu sagen, dass die Aneignung der Kontrolle über die Bewegung von Personen mittels Grenzkontrollen und Pass- und Visasystemen eine grundlegende Transformation der sozialen Ordnung zur Folge hatte, die nicht weniger bedeutsam war, als die von Marx beschriebene Monopolisierung der Produktionsmittel durch die Klasse der Kapitalisten und die von Weber beschriebene Schaffung des staatlichen Gewaltmonopols:

»To these two, we must add a third type of ›expropriation‹ in order to make sense of the modern world – the monopolization of the legitimate means of movement by modern states and the international state system more broadly. While hardly seamless, this monopolization has been extremely successful in regulating population movements and sorting out who belongs where.«3

So ist staatliche Entwicklung eben nicht nur mit der Durchdringung der Gesellschaft verbunden, sondern auch mit einer Umschließung im weitesten Sinne. So auch Torpey (1998: 244):

»In order to extract resources and implement policies, states must be in a position to locate and lay claim to people and goods. (…) I believe we would do well to regard states as seeking not simply to penetrate but also to embrace societies, ›surrounding‹ and ›taking hold‹ of them – individually and collectively – as those states grow larger and more administratively adept.«

In enger Verkopplung mit diesem geographischen Raum hat sich der Mitgliedschaftsraum entwickelt, welcher es Staaten ermöglicht, unterschiedliche auf dem Territorium befindliche Personengruppen unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, ob sie Staatsbürger sind oder nicht. Der Nationalstaat aquirierte »staatsbürgerliche Inklusionsexklusivität« (Halfmann 1998: |23|555), das heißt, er konnte die Einbeziehung von Menschen in verschiedene gesellschaftliche Funktionssysteme und damit auch das Verhältnis von Binnen- und Außenkommunikation maßgeblich steuern. Das inzwischen weithin geteilte Verständnis von Staatsbürgerschaft als »Instrument sozialer Schließung« (Brubaker 1992) hebt in diesem Sinne den Aspekt der sozialen Exklusion hervor. Staatsbürgerschaftliche Inklusion dient der »Bewältigung der Konfusion von Zugehörigkeiten« (Halfmann 1998: 554), welche durch Wanderungsbewegungen oder grenzüberschreitende Mobilität entstehen können. Für Personen ohne die Staatsbürgerschaft des Staates, in dem sie leben, gelten Sonderregelungen, welche die Aufenthaltsdauer und den Aufenthaltsstatus sowie die damit verbundenen Rechte regeln.

Soziologisch entscheidend für den letztendlichen Erfolg der Nationalstaaten war, dass sie durch das Zusammenlaufen von territorialer Herrschaft und die Bindung und Umgrenzung eines Staatsvolkes in der Lage waren, ein auf Schließung aufbauendes Integrationskonzept zu entwickeln. Dies beinhaltete aber nicht nur Elemente der äußeren Abgrenzung, sondern auch der inneren Homogenisierung, wie die Etablierung eines Bildungskanons, Sprachvereinheitlichung, rechtliche und administrative Verregelung, Massenkommunikation und die Gewährung von Leistungen der Daseinsvorsorge (Münch 2001: 272). Als Konsequenz dieser politischen Organisationsleistungen vollzog sich im Inneren von Nationalstaaten eine Verdichtung von kommunikativen und normativen Beziehungen. Binnenkommunikationen, also Austausche und Bezüge zwischen den Mitgliedern eines Nationalstaates, wurden sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gemeinschaft insgesamt weit wichtiger als Außenkommunikationen. Auch auf der normativen Ebene entstanden Zusammengehörigkeits- und Gegenseitigkeitsverhältnisse, welche die Trennung zwischen innen und außen, zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern verstärkten. Dies ist auch der Grund, warum man von soziologischer Seite unhinterfragt von einer Deckungsgleichheit von Staatlichkeit und Gesellschaftlichkeit ausging (McCrone 1998).

Seit den frühen 70er Jahren gibt es wachsende Kritik an Ansätzen, welche die Nationalstaaten als geschlossene und sich selbst genügende Einheiten zur Grundlage nehmen. Mit dem Fortschreiten weltweiter Verflechtungsprozesse ist jenen Forschern, die den Nationalstaat immer noch für die einzig relevante Bezugseinheit sozialwissenschaftlicher Analysen halten, vorgeworfen worden, sie würden einem »methodologischen Nationalismus«|24|4 anheim fallen. Es ist vor allem angezweifelt worden, ob die darin enthaltene Vorstellung vom ›Container Nationalstaat‹ (Agnew/Corbridge 1995: 84) empirisch noch zutreffend ist. Eine wachsende Zahl von Autoren argumentiert, dass globale und internationale Austausche und Vernetzungen das Containermodell zunehmend erodieren lassen und globale und transnationale Aspekte an Gewicht gewinnen (Rosenau/Czempiel 1992; Beck 1998; Zürn 1998; Albrow 1998a; Cerny 1999; Held et al. 1999; Rosecrance 1999; Sassen 2003). Ein zentraler Einwand besagt, dass der Nationalstaat als historisch wie sozialräumlich begrenztes Phänomen anzusehen ist, weshalb er auch als analytische Kategorie nur bedingt trägt. Anhaltspunkte für eine Relativierung der nationalstaatlichen Vergesellschaftungsform sind die massive Zunahme grenzüberschreitender Transaktionen (Handel, Kapitaltransfers, Mobilität, Kommunikation, Migration, sozialer Austausch), internationale Kooperationsformen (WTO, Weltbank, UN) oder auch supranationale Gemeinschaftsbildungen (Europäische Union, NAFTA, Mercosur). Diese Phänomene lassen darauf schließen, dass nationale Grenzen immer weniger als Interdependenzunterbrecher für soziale Interaktionen, Kommunikation und Institutionalisierungsprozesse gelten können. Nationalstaaten in einer globalisierten Welt sind diesen Thesen zufolge durch ein geringeres Maß an Außenabschließung und Binnenintegration gekennzeichnet.

Im Zuge dieser Debatten ist die Auffassung von der zunehmenden Entgrenzung staatlicher Räume vertreten worden, welche besagt, dass Grenzen für die Strukturierung sozialer, politischer und ökonomischer Transaktionen keine entscheidende Rolle mehr spielen (vgl. Mau et al. 2006). Verschiedene Autoren konstatieren »vanishing borders« (French 2000) und eine »borderless« oder »seamless world« (Ohmae 1990; Krugman/Venables 1995) und unterstellen, dass neuartige Interdependenzstrukturen entstanden sind, welche quer zu den nationalstaatlichen Containern verlaufen und durch sie auch nicht mehr kontrolliert werden können. Besonders augenscheinlich ist dies im Bereich des Informationsflusses über nationalstaatliche Grenzen hinweg, welcher im Zeitalter von Internet und Fernsehen kaum noch staatlich reguliert werden kann. Staatliche Autoritäten haben in den meisten Ländern der Welt das Monopol über Informationen verloren und müssen akzeptieren, dass ihre Bevölkerungen von |25|Medien, die an anderen Orten produziert und inhaltlich gefüllt werden, beeinflusst werden können. Ebenso einschneidend sind die Kontrollverluste im Bereich des internationalen Warenverkehrs und der globalen Finanzmärkte, von denen nationale Volkswirtschaften zunehmend abhängen. Manche Forscher gehen deshalb davon aus, dass Staaten langfristig zu untergeordneten Subjekten eines transnationalen Liberalismus werden. Dieser beruht zunächst auf einer politisch gewollten Verdichtung wirtschaftlicher Austauschbeziehungen, führt aber letztlich dazu, dass Staaten in ihren Handlungsmöglichkeiten – vor allem was die protektionistische Abgrenzung gegenüber dem Welthandel angeht – stark eingeschränkt werden (vgl. Cerny 1999; Rosecrance 1999).

Etwas anders liegen normative Denkmodelle, die von einer veränderten Rolle und Relativierung des staatlichen Containermodells angesichts neuer globaler Herausforderungen ausgehen. Sie entwerfen eine globale Verantwortungsgemeinschaft, welche in der Lage ist, den beschränkten Handlungshorizont des nationalstaatlichen Ordnungsmodells zu übersteigen. In Absetzung zum ökonomisch angebahnten Weltmarktmodell, welches die neoliberale Selbstabwicklung des Staates propagiert, aber auch in Ablehnung von neonationalem Protektionismus setzt Habermas (1998) in seiner »postnationalen Konstellation« beispielsweise auf ein wachsendes kosmopolitisches Bewusstsein, welches das Fundament für eine Weltinnenpolitik legen soll. Dies beinhaltet, dass Personen einer globalen Zivilgesellschaft zugeordnet werden, in welcher Staatsbürgerschaft durch Weltbürgerschaft substituiert wird. Noch weiter ausgreifend sind Projektionen in Richtung eines Weltstaates oder eines globalen Staates, welche die Möglichkeit der Herausbildung staatlicher Institutionen und Organisationen oberhalb der klassischen Nationalstaaten avisieren. Albrow (1998a: 268) zufolge » (…) ist [dieser] Staat dezentriert, überschreitet nationale Grenzen und durchdringt die Alltagsroutinen der Menschen, in denen er sich realisiert. Auf diese Weise entwickelt sich parallel zum Wachstum der Weltgesellschaft ein Weltstaat.«

Allerdings ist die Annahme eines uni-linearen Entgrenzungsprozesses des nationalstaatlichen Ordnungsmodells eine durchaus problematische Stilisierung ablaufender Entwicklung. Speziell was die Rolle von Abgrenzung und Grenzen angeht, gibt es Stimmen, die behaupten, dass man von »stubborn particularities of borders and their adaptability to wider forms of social change, including globalisation« (Anderson/O’Dowd 1999: 599) ausgehen kann. Das heißt nicht, dass Grenzen in ihrer Gestalt, Funktion |26|und Wirkung unverändert bleiben, sondern dass auch sie Veränderungen und Anpassungen unterliegen. So können wir für viele Grenzen zwar Abbau oder gar Auflösung konstatieren, aber gleichzeitig finden sich Anhaltspunkte für Prozesse der Transformation oder Verschiebung von Grenzen (Mau 2006a). Weiterhin kann für viele Grenzen festgestellt werden, dass sie zwar für bestimmte Personengruppen kein Mobilitätshindernis mehr darstellen, aber für andere nach wie vor eine unüberwindbare Barriere bilden. So auch Schroer (2006: 207): »Globalisierung als zunehmenden Abbau althergebrachter Grenzen zu verstehen ist nur eine Seite der Medaille. Mit gesehen werden muss, dass der Abbau der Grenzen an einer Stelle das Errichten der Grenzen an anderer Stelle nach sich zieht. Durch diesen Prozess werden zwar alte Räume abgebaut, aber auch neue errichtet. Es kommt zu einer Reorganisation des Raumes und einer Diversifizierung politischer Räume, die sich neben, unter und über dem Nationalstaat bilden.«

Diese beiden Prozesse, Wachstum des grenzüberschreitenden Austausches und Reorganisation des Raumes, sind verantwortlich dafür, dass die mit dem Containermodell eingeführte Beschreibung nationalstaatlicher Ordnungen nur noch bedingt tragfähig ist. Um die Begriffe und Konzepte, die angemessen sind, den neuen räumlichen Bezügen und ihren sozialen, politischen und ökonomischen Implikationen gerecht zu werden, sind in der wissenschaftlichen Diskussion heftige Auseinandersetzungen entbrannt. In ihnen geht es darum, festzustellen, wie tiefgreifend die Durchlöcherung des Behälters Nationalstaat schon fortgeschritten ist, welche neuen Raumbezüge sich ergeben und in welchem Umfang sich weltumspannende Kommunikationen, Transaktionen und Mobilitätsformen entwickeln. Dies beinhaltet auch grundsätzliche Aussagen dazu, welche neuen Strukturmuster die Vervielfältigung und Ausdehnung von Raumbezügen sozialen Handelns über nationalstaatliche Grenzen hinweg hervorgebracht hat, oder ob es sich dabei um eine gleichzeitige Mobilisierung und Einbeziehung aller in ein globales Interaktions- und Kommunikationssystem handelt. Im Folgenden sollen verschiedene konzeptionelle Ansätze vorgestellt werden, die sich diesen Veränderungen widmen. Hauptperspektive ist dabei die Frage, inwieweit diese Ansätze in der Lage sind, die spezifischen sozialen und individuellen Formen der Grenzüberschreitung angemessen darzustellen und zu verstehen.

|27|3. Syndrome der Globalisierung und der Globalität

Das prominenteste Konzept in der gegenwärtigen Debatte um Entgrenzung und Internationalisierung ist das der Globalisierung. Unter ›Globalisierung‹ wird i.d.R. ein weltumspannender Prozess der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Internationalisierung verstanden, der die Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen relativiert und zu einer (fast unbegrenzten) Ausweitung von Handlungsräumen führt (Giddens 1995; Albrow 1996; Held, McGrew et al. 1999). Albrow (1993: 248f.) beschreibt Globalisierung als »the process whereby the population of the world is increasingly bound into a single society.« Globalisierung kann als einzigartiges Zusammentreffen sozialer, politischer, ökonomischer und technologischer Entwicklungen verstanden werden, die historisch bisher unbekannte Formen von Netzwerkstrukturen und Transaktionen hervorbringt. Hinter diesem Sammelbegriff verbergen sich recht unterschiedliche Einzelbefunde wie die Herausbildung von Weltmärkten, der von ökonomischen Interessen angestoßene politisch initiierte Prozess der globalen Marktschaffung, technologische Entwicklungen, die die Erreichbarkeit und kommunikative Vernetzung erhöhen, mediale und digitale Informationsflüsse mit globaler Dimension oder auch die weltweite Verbreitung kultureller Güter, Bilder und Zeichen. Sie alle haben damit zu tun, dass auf einem gedachten Kontinuum zwischen lokaler und nationaler Verortung von sozialen Interaktionen und Austauschprozessen einerseits und einer globalen Reichweite dieser Transaktionen andererseits sich die relative Bedeutung der globalen Ebene signifikant erhöht. Globalisierung steht damit in erster Linie für die räumliche Expansion aller Arten von sozialem Austausch und Interaktion mit dem Zusatz, dass dabei die nationalstaatlichen Behältergrenzen überwunden werden, und dass diese Ausdehnung – zumindest in der Tendenz – einen globalen Charakter annimmt.

In dem einflussreichen Band von Held et al. (1999: 16) wird Globalisierung wie folgt definiert. »(A) process (or set of processes) which embodies |28|a transformation in the spatial organization of social relations and transactions – assessed in terms of extensity, intensity, velocity and impact – generating transcontinental or interregional flows and networks of activity, interaction, and the exercise of power.« Mit der Globalisierung gehen auch Veränderungen der Kommunikations- und Interaktionsstrukturen einher. Manuel Castells (1989) identifiziert weltumspannende Netzwerkstrukturen als neues Paradigma sozialer Organisation, welche die materiellen Grundlagen der Gesellschaft und deren Raum- und Zeitkoordinaten transformieren. Mit der Entstehung computerisierter Kommunikationsnetzwerke kommt es zu einer massiven Diversifizierung, Dezentralisierung und auch Fragmentierung von sozialen Strukturen, die dann nicht mehr durch Anwesenheit und Territorialität, sondern durch offene Netzwerke und Virtualität zu charakterisieren sind. Es sind vor allem diese technologisch gestützten Kommunikationskanäle, welche dazu beitragen, die Grenzen des Nationalstaates zu unterminieren und eine globale Netzwerkgesellschaft hervorbringen.

In zahlreichen Lesarten der Globalisierung dominiert die Vorstellung der Entgrenzung von nationalen Märkten, die sich in der Zunahme von Waren und Kapitalströmen widerspiegelt und der eine Tendenz zur ökonomischen Vereinheitlichung innewohnt (Altvater/Mahnkopf 1996). Auf der materiellen Seite sind außerdem Weltmarktprozesse gemeint, welche spezifische Interdependenzlogiken (also wechselseitige Abhängigkeiten innerhalb eines international arbeitsteiligen ökonomischen Regimes) zwischen verschiedenen Teilen der Welt hervorgebracht haben (Wallerstein 1974). Statt sich gegen global wirkende Kräfte immunisieren zu können (zum Beispiel durch Maßnahmen des Wirtschaftsprotektionismus oder Abschottung gegen grenzüberschreitende Informationsflüsse), sind Nationalstaaten heute allenfalls in der Lage, diese Kräfte einzuhegen – vollständig kontrollieren können sie sie nicht mehr. In der ökonomischen Diskussion hat sich inzwischen eine sehr plastische (wenn auch umstrittene) Gegenüberstellung des alten nationalstaatlichen Marktmodells und des neuen Weltmarktmodells popularisiert, welche besagt, dass früher Märkte in Nationalstaaten eingebettet waren, während es heute so ist, dass Nationalstaaten dem Markt untergeordnet sind, der Staat also sein Primat an den Markt verloren hat. Globalisierung hat aber auch eine kulturelle Dimension. Im Zuge des rasanten Wachstums internationaler Austauschprozesse, so wird vielfach argumentiert, kommt es zu einer Verringerung der Autonomie von Nationalstaaten in kultureller Hinsicht und zu einer größeren Abhängigkeit |29|von äußeren Einflüssen. Lokale und nationale Traditionen werden von kulturellen Massengütern beiseite geschoben (Barber 1992). Damit unterstellt dieser Globalisierungsbegriff weltweite Homogenisierung kultureller Zeichen und Inhalte (Ritzer 1993; Latouche 1996).

Auf die soziologischen Aspekte bezogen hebt Giddens (1995) hervor, dass es im Gegensatz zu traditionalen Gesellschaften zu einem »›Herausheben‹ sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen kommt« (33) und sich Beziehungen und Interdependenzen über einen geographisch größeren Raum aufspannen.5 Er führt die Unterscheidung zwischen Raum und Ort ein, um den qualitativen Sprung dieser Entwicklung zu verdeutlichen. Den Ort beschreibt er als lokalen Schauplatz und seine Beziehung zu den physischen Umgebungsbedingungen gesellschaftlicher Aktivitäten. Raum dagegen kann prinzipiell von einem spezifischen Ort unabhängig gedacht werden:

»Mit Beginn der Moderne wird der Raum immer stärker vom Ort losgelöst, indem Beziehungen zwischen »Abwesenden« begünstigt werden, die von jeder gegebenen Interaktionssituation mit persönlichem Kontakt weit entfernt sind. Unter Modernitätsbedingungen wird der Ort in immer höherem Maße phantasmorgisch, das heißt: Schauplätze werden von entfernten sozialen Einflüssen gründlich geprägt und gestaltet. Der lokale Schauplatz wird nicht bloß durch Anwesendes strukturiert, denn die ›sichtbare Form‹ des Schauplatzes verbirgt die weit abgerückten Beziehungen, die sein Wesen bestimmen.« (30)

Giddens landet mit seiner Argumentation schließlich bei der These, dass mit einer Vergrößerung der Raum-Zeit-Ausdehnung sozialer Systeme individuelles Handeln immer weniger auf die Gestaltung des großen Ganzen Einfluss nehmen kann. Damit verändern sich auch die Parameter der raum-zeitlichen Koordination sozialen Handelns, das zunehmend aus lokalen Interaktionskontexten herausgelöst und über raum-zeitliche Distanzen gedehnt bzw. gestaucht wird. Um einer Entkopplung des Globalen entgegenzuwirken, empfiehlt er Rückbettungsanstrengungen, die das Globale in sozialen Nahbeziehungen verankern.6

|30|Für einen maßgeblich durch ideelle Faktoren hervorgebrachten Globalismus steht die These Robertsons (1992), dass die Welt ein Ort sei, also einen singulären Charakter hat. Er stellt nicht reale Prozesse der Globalisierung in den Vordergrund, sondern das Bewusstsein der Welt als einem singulären Platz. Der oft zitierte erste Satz seines Buches »Globalization«: »Globalization refers to both to the compression of the world and the intensification of consciousness of the world as a whole«(8) macht deutlich, dass er zwischen der ›objektiven‹ und der ›subjektiven‹ Globalisierung unterscheidet, wobei ihn Letzteres zentral interessiert. Globalisierung ist demnach ein »particular sense to coming into, often problematic, conjunction of different forms of life« (27), und zwar im globalen Maßstab. Perspektiven des lokalen und räumlich Begrenzten setzten sich im Zuge dessen verstärkt in Relation mit globalen (damit auch räumlich und sozial distanzierten) Prozessen. Diese Perspektive entspricht dem, was mit Globalität umschrieben werden kann (vgl. Beck 1997).7 Diese Hervorhebung der kognitiven Ebene grenzt sich von anderen Ansätzen dahingehend ab, dass es eben nicht mehr um tatsächliche Transaktionen oder gar individuelle Interaktionen geht, sondern um eine Horizonterweiterung in Richtung Weltgesellschaft.

Diese unterschiedlichen Diagnosen zur Globalisierung sind allesamt skeptisch, was die langfristige Prägekraft der nationalstaatlichen Ordnung angeht. Unabhängig von der Struktur der Argumente geht es im Wesentlichen um den Befund, dass ein neuer Typus von (sozialen, ökonomischen, kulturellen) Beziehungen entstanden ist, welche »nicht in nationalstaatliche Politik integriert oder durch sie bestimmt (bestimmbar) sind« (Beck 1997: 28). Damit einher geht die Annahme, dass es neuartige (globale) Logiken und Antriebskräfte sind, die die Dynamik des sozialen Wandels bestimmen. Innerhalb dieser ist Politik immer weniger die Spitze oder das Zentrum, sondern allenfalls eine Randbedingung mit sehr begrenzten Möglichkeiten der Steuerung und Einflussnahme. Auch die Chancen der nachholenden politischen Integration, so zum Beispiel durch supranationale Zusammenschlüsse und Regulierungsleistungen, werden eher skeptisch eingeschätzt.

|31|4. Weltgesellschaftliche Perspektiven

Schaut man sich in der Literatur um, welche weiteren Konzepte zur Verfügung stehen, um Phänomene der räumlichen Ausweitung sozialer Kommunikationen und Interdependenzen angemessen zu erfassen, dann stößt man auf den schillernden Begriff der Weltgesellschaft. Dieser hat seinen Ursprung ebenso in der Vorstellung, dass Nationalgesellschaften keine Isolate darstellen, sondern auf vielfältige Weise miteinander verflochten und verknüpft sind. Es gibt (mindestens8 ) drei, in ihrem Analyseansatz recht unterschiedliche Schulen, die sich dem Weltgesellschaftsbegriff verschrieben haben. Die Theorie von Immanuel Wallerstein steht in der Tradition der kritischen politischen Ökonomie und beleuchtet die Dynamik des kapitalistischen Weltsystems. Der Neoinstitutionalismus, welcher von dem Stanforder Soziologen John W. Meyer und seinen Mitstreitern entwickelt wurde, entwirft ein Erklärungsmodell zur weltweiten Verbreitung von kulturellen und normativen Standards. Die Bielefelder Systemtheorie in der Gestalt und Nachfolge Niklas Luhmanns hingegen behauptet die Existenz eines singulären weltweiten Gesellschaftssystems, welches sich über weltweite Kommunikationszusammenhänge und ausdifferenzierte Funktionssysteme konstituiert. Bei allen Unterschieden in der Anlage und der Erklärungsperspektive der Ansätze sind sie in der Behauptung geeint, dass der einzelstaatliche modus operandi nicht (mehr) greift und sich übergreifende Rationalitätslogiken der Entwicklung identifizieren lassen, die es erlauben, von einer Weltgesellschaft zu sprechen.

Im Vordergrund von Wallersteins Analysen steht die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems und der Ideologien, die seiner Stabilisierung |32|dienen (Wallerstein 1974; Wallerstein 1991). Er argumentiert, dass Staaten zwar politisch voneinander unabhängig sein können, sie aber ökonomisch interdependent sind, so dass man, will man die kapitalistische Dynamik verstehen, den Analyserahmen auf die Welt ausdehnen muss. Der Ansatz lehnt sich eng an die in der Dependenztheorie vertretene These an, dass es einen kausalen Nexus zwischen Phänomenen der Unterentwicklung und der »entwickelten« Welt gibt. Mit der ökonomischen und geopolitischen Unterscheidung von Zentrum, Peripherie und Semiperipherie versucht Wallerstein zu zeigen, dass die Stellung dieser einzelnen regionalen Einheiten sich aus der Stellung erklärt, die sie im Weltsystem einnehmen, und weniger aus endogenen Faktoren heraus. Im Zuge weltweiter Arbeitsteilung und existierender Machtungleichgewichte kommt es zu einer Verfestigung einer Hierarchie der Staaten hinsichtlich ökonomischer und politischer Herrschaft bzw. Unterlegenheit. Diesem Interdependenztheorem ist vorgeworfen worden, es gehe zu stark von einer Hegemonie einiger weniger Staaten aus und sei somit nicht in der Lage, Entwicklungsforschritte in einigen Teilen der Welt zu erklären. Auch die Kategorie der Semiperipherie sei im Grunde eine theoretische Verlegenheitslösung, weil sich zeigt, dass sich nicht alle Länder innerhalb eines Zentrum-Peripherie-Modells verorten lassen (Sklair 1991: 38ff.).

Ebenfalls mit der Begrifflichkeit der Weltgesellschaft operieren die institutionentheoretischen Ansätze der Forschungsgruppe um John W. Meyer9 (Meyer/Hannan 1979; 1980; Meyer 2005), die von einer Diffusion kultureller und sozialer Normen und institutioneller Isomorphie ausgehen. Meyers Arbeiten sind zunächst von sehr konkreten Problemstellungen der Bildungs- und Organisationssoziologie ausgegangen, indem sie die Frage aufgeworfen haben, wie sich institutionelle Normen und Strukturen verändern, und wodurch ihr Wandel beeinflusst ist. Ging komparative Forschung über lange Zeit davon aus, dass zwischen den jeweiligen Untersuchungseinheiten – seien es Schulen, Unternehmen oder Staaten – wenig wechselseitige Beeinflussung stattfindet, konnten Meyers Analysen zeigen, dass die Entwicklung einzelner Organisationen und Institutionen stark von verfügbaren Handlungsmodellen abhängig ist. Dabei ist es im Rückgriff auf Webers Vorstellung der Rationalisierung ganz entscheidend, dass Institutionen und in ihnen handelnde Akteure auf einheitliche und westlich geprägte Grundmodelle des Handelns zurückgreifen – und dies im Weltmaßstab. |33|Meyer interessiert sich für die Durchsetzung einer »world polity«, womit kulturelle Orientierungsmuster gemeint sind, die unmittelbar auf die sozialen Akteure und institutionellen Verfassungen einwirken. Diese Modelle sind nicht ideosynkratischer Natur, sondern reflektieren höchst rationale und grosso modo konsensuelle Ziele, Organisationsweisen und Praktiken. Unabhängig von unterschiedlichen lokalen Traditionen sind sie in der Lage, legitime Agenden und somit einen Prozess der weltweiten Standardisierung in Gang zu setzen. Dies gilt für den gesamten institutionellen Bestand von Nationalstaaten, seien es Verfassungen, Schulcurricula oder Umweltschutzrichtlinien: »Nation states derive from worldwide models constructed and propagated through global cultural associational processes.« (Meyer et al. 1997: 144/145) Der Begriff Weltgesellschaft bezieht sich dann darauf, wie die westlichen Prinzipien über Prozesse der kulturellen und normativen Diffusion die Welt durchdringen und entsprechende Standardisierungen von Institutionen und Handlungsmodellen hervorbringen (Meyer 2005).

Der Begriff der Weltgesellschaft der Systemtheorie ist in gewisser Weise noch radikaler. Er impliziert, dass nicht mehr verschiedene Gesellschaften koexistieren, sondern dass die Weltgesellschaft das einzige Gesellschaftssystem ist, das gegenwärtig noch existiert (Luhmann 1990; Luhmann 1997; Stichweh 2000; Willke 2001). Luhmann beschreibt die Weltgesellschaft als Gesellschaftstyp, der durch weltweite Kommunikationszusammenhänge und deren Ermöglichung von Anschlusskommunikationen charakterisiert werden kann und dadurch zu einer Vereinheitlichung des Welthorizontes beiträgt. Die Weltgesellschaft setzt sich über die Entstehung weltweiter Kommunikationszusammenhänge in einer Reihe von gesellschaftlichen Funktionsbereichen durch. Dabei geht es vor allem um kommunikative Erreichbarkeit, also darum, dass Interaktionen prinzipiell auf andere verweisen und nicht durch nationalstaatliche Grenzziehungen aufgehalten werden. So schreibt Luhmann den Funktionslogiken sozialer Subsysteme eine zentrale Bedeutung zu und illustriert dies anschaulich: »Ein Argentinier mag eine Abessinierin heiraten, wenn er sie liebt, ein Seeländer in Neuseeland Kredit aufnehmen, wenn dies wirtschaftlich rational ist, ein Berliner sich auf den Bahamas bräunen, wenn ihm dies ein Gefühl der Erholung vermittelt.« (Luhmann 1975: 53) Allerdings ist damit nicht gemeint, dass innerhalb einer Weltgesellschaft jeder mit jedem in einen Austausch treten muss, sondern allenfalls, dass es keine Gründe mehr gibt, warum die Interaktionen an den Grenzen des Nationalstaates |34|halt machen sollten. Vielmehr stellt sich die Welt als Einheit aller füreinander erreichbaren Kommunikationen dar (Greve/Heintz 2005).

Allerdings bleibt die neuere Systemtheorie nicht bei diesem Postulat stehen, sondern liefert auch empirische Belege. So kann die Extension, die Öffnung und die Delokalisierung von Beziehungsnetzwerken und kommunikativen Relationen beobachtet werden (siehe dazu auch die Überlegungen von Ahrens 2001). Es wird gesagt, dass heutige Netzwerkstrukturen ›welteröffnenden‹ Charakter haben und die Koordinaten (sozial) räumlicher Zuordnung so grundlegend verändern, dass wir es zunehmend mit einer ›ortlosen‹ (atopischen) Gesellschaft zu tun haben (Willke 2001).10 Dabei kann man davon ausgehen, dass technologischer Wandel, insbesondere die gesteigerten Möglichkeiten digitaler Transaktionen, maßgeblich für die Extension von Interaktion und Kommunikation sind, denn sie haben die Möglichkeiten für die Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen vergrößert. Ein prominentes Beispiel für derartige weltgesellschaftliche Globalisierungsmuster ist das Wissenschaftssystem, welches nationale Grenzen zunehmend unterläuft (Stichweh 1999). Der Begriff der Weltgesellschaft wird in der Systemtheorie weder makrosoziologisch im Sinne weltweiter Arbeitsteilung und Interdependenzen, noch im Sinne einer weltweiten Schicksalsgemeinschaft ausgedeutet. Auch geht es nicht um die globale Ausweitung interpersonaler Netzwerke, sondern um die projektive Konstitution von Welt. Weltgesellschaft ist demnach »ein Horizontbegriff, was impliziert, dass eine solche als Horizont verstandene Welt jedes Erleben und Handeln unablässig begleitet« (Stichweh 2000: 235/36).11

|35|5. Entgrenzung und Denationalisierung

Um bestimmten, verallgemeinernden Anklängen des Globalisierungs- und Weltgesellschaftsbegriffs hinsichtlich Tiefgang und Reichweite dieses Prozesses zu entgehen, haben andere Autoren es vorgezogen, von »Denationalisierung« (Zürn 1998) zu sprechen. Mit Denationalisierung ist angezeigt, dass viele soziale Prozesse zwar den nationalen Handlungszusammenhang überschreiten, aber nicht als wirklich global zu bezeichnen sind. In Absetzung zum recht unspezifischen Gebrauch des Globalisierungsbegriffs nimmt Denationalisierung an den Veränderungen des Nationalstaates ihren Ausgangspunkt.12 Michael Zürns definiert Denationalisierung als »relative Zunahme der Intensität und Reichweite grenzüberschreitender Austauschoder Produktionsprozesse in den Sachbereichen Wirtschaft, Umwelt, Gewalt, Mobilität sowie Kommunikation und Kultur« (Zürn 1998: 76).

Im Kontext dieser Konzeption der ›Denationalisierung‹ sind etliche empirische Evidenzen für die quantitative Bedeutung und die Entwicklungstrends dieser Prozesse erbracht worden (Zürn 1998; Beisheim et al. 1999; Held et al. 1999). Dazu zählen Wirtschaftsdaten wie die Größe und Zahl ausländischer Direktinvestitionen, der internationale Warenverkehr, die Rolle internationaler Kapitalmärkte und strategischer Allianzen, grenzüberschreitende Umweltrisiken, aber auch Indikatoren aus dem Bereich interpersonaler Kommunikation oder transnationaler Mobilität. Auch Indikatoren wie der Anteil des internationalen Postverkehrs, der Anteil an ausländischen Kulturprodukten oder die Abhängigkeit nationaler Medien von ausländischen Investoren werden angeführt, um die Zunahme internationaler Kommunikation zu belegen (Held et al. 1999). So zeigen die Daten von Beisheim et al. (1999) einen sprunghaften Anstieg von internationalen |36|Telefongesprächen. Hohe Steigerungsraten finden sich ebenfalls beim E-Mail-Verkehr und dem Import kultureller Güter wie Tonträger, Filme und Bücher. Außerdem hat die Zahl an kurzfristigen grenzüberschreitenden Personenbewegungen drastisch zugenommen. Neue Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten sind in diesem Zusammenhang wichtige Brücken, um die räumlichen und sozialen Begrenzungen nationaler gesellschaftlicher Zusammenhänge zu überwinden (Held et al. 1999: 433). Insgesamt weisen diese Forschungen aber darauf hin, dass die Zunahme grenzüberschreitender Austausche nicht überall und in gleichem Maße greift, sondern dass Denationalisierung als länder- und bereichsspezifischer Prozess angesehen werden muss (Zürn 1998). Es sind vor allem die OECD-Länder, für die sich dieser Trend am deutlichsten nachweisen lässt. Zugleich schreitet die gesellschaftliche Denationalisierung, also die Ausweitung grenzüberschreitender wirtschaftlicher, ökologischer, kultureller und militärischer Zusammenhänge schneller voran, als die politische Denationalisierung, wie der Aufbau von Regulierungskompetenz jenseits bzw. oberhalb des Nationalstaates, weshalb man von einer ungleichzeitigen Denationalisierung ausgehen muss.

Im Nachwort zur zweiten Auflage verweist Michael Zürn (2005) darauf, dass sich der Begriff der gesellschaftlichen Denationalisierung in der Debatte nicht durchgesetzt hat. Gleichwohl hebt er hervor, dass die theoretischen und empirischen Argumente, die ihn zu diesem Begriffsangebot geführt haben, durchaus gehört wurden. Es erscheint immer noch sinnvoll, sich für eine Betrachtung von internationaler Verflechtung auf den Ausgangspunkt, nämlich die relativ geschlossene nationale Gesellschaft, zu beziehen und von dort aus Öffnungsprozesse zu analysieren, als auf einen unbestimmten und auch diffusen Endpunkt mit Namen Globalisierung. Gleichwohl macht Zürn zwei Einschränkungen, die seine frühere Perspektive relativieren: Dies ist zum einen die Überbetonung der Kluft zwischen OECD-Ländern und dem »Rest der Welt«, weil sich zeigt, dass die Entwicklungen in den Regionen außerhalb der OECD immer weniger außen vor gehalten werden können. Zum anderen ist dies die Zentralität von ökonomischen und technologischen Triebkräften der Denationalisierung. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Staaten selbst zu einem nicht unerheblichen Teil diese Prozesse vorantreiben und gestalten, politische Denationalisierung also nicht der gesellschaftlichen Denationalisierung hinterherhinkt, sondern selbst Schubwirkung entfaltet.

|37|6. Transnationalisierung

Der in diesem Buch favorisierte Forschungsstrang der Untersuchung der Zunahme von grenzüberschreitenden Transaktionen arbeitet mit dem Begriff der Transnationalisierung (Pries 1996; Faist 2000b; Sklair 2001). Ebenso wie die bisher diskutierten Konzepte unterstellt Transnationalisierung den graduellen Bedeutungsverlust des Nationalstaates als zentralem Dreh- und Angelpunkt für gesellschaftliche Integration und politische Regulierung. Allerdings gibt es wichtige Unterschiede, insbesondere im Vergleich zum Konzept der Globalisierung. Während die Globalisierungsperspektive von einer Dezentrierung und Deterritorialisierung sozialer Prozesse ausgeht, bleiben diese aus der Sicht des Transnationalisierungsparadigmas territorial verankert (Smith 2001). Gleichzeitig legt dieser Forschungsansatz eine stärker subjekt- und handlungsorientierte Perspektive nahe. Transnationalisierung nimmt auf den relationalen und horizontalen Charakter der gegenwärtig stattfindenden politischen, ökonomischen und sozialen Prozesse Bezug und interessiert sich für soziale Handlungen und Transaktionen, die die Wände des Nationalstaates porös und zunehmend durchlässig erscheinen lassen.

Im klassischen Container-Modell waren soziale Beziehungen und Vergesellschaftung in »wechselseitiger Ausschließlichkeit an mehr oder weniger klar angebbare und bekannte geographische Räumlichkeiten gebunden« (Pries 1999a: 17). Mit der Transnationalisierung wird ein über die Zeit sich steigerndes Maß an grenzüberschreitender Interaktion unterstellt, welches die strukturierende und auch »unterbrechende« Wirkung von Grenzen zunehmend aufhebt. Darüber hinaus, und dies ist die zentrale konzeptionelle Innovation, nimmt Transnationalisierung auf die durch grenzüberschreitende Transaktionen und Austausche entstehenden Beziehungen, Netzwerke und Praktiken Bezug.13 Wie Saskia Sassen (2003: 15) hervorhebt: |38|»Transnational analysis (…) is a response to the fact that the nation as container category is inadequate given the proliferation of transboundary dynamics and formations.« Transnationalisierung verweist darauf, dass die Intensivierung von Austauschen zwischen nationalstaatlichen Gesellschaften zu verdichteten sozialen Räumen führen kann. Über den Aspekt der Denationalisierung hinaus interessiert, welche neuen Gemeinschaftsbildungen, Kommunikationen, Austauschformen und Interaktionen zwischen Nationalstaaten entstehen.

Das Adjektiv transnational ist zunächst in den Politikwissenschaften verwandt worden, um den Aufstieg neuer supra- oder zwischennationaler Regulierungsformen sowie die wachsende Bedeutung von politischen, sozialen und ökonomischen Akteuren und Organisationsformen, die den Rahmen des Nationalstaates verlassen haben, zu kennzeichnen. Dabei ging es in erster Linie um eine Kritik des staatszentrierten Modells internationaler Beziehungen, welches kaum Platz für neue Akteure und Typen transnationaler Beziehungen neben oder unterhalb der Regierungsebene ließ (Keohane/Nye 1973). Aufgenommen wurde das Konzept auch frühzeitig von den Wirtschaftswissenschaften und der Organisationsforschung, welche sich dem Problem gegenüber sahen, dass sich viele ihrer zentralen Akteure, die Unternehmen, längst nicht mehr als nationale Unternehmen beschreiben ließen, sondern zu multinationals geworden waren. Wenn korporative Akteure wie Unternehmen quer zum staatlichen Territorialprinzip organisiert sind, und firmeninterne Kommunikationsprozesse permanent auf nationalstaatliche Grenzüberschreitung angelegt sind, dann kann der Nationalstaat nicht mehr als Basiseinheit für entsprechende Analysen herhalten.

In der Soziologie sind die meisten Transnationalisierungsstudien auf spezifische Gruppen, Bereiche oder transnationale Aktivitäten gerichtet, so |39|Diasporagruppen und ethnische Minoritäten (Cohen 1997), Migranten14 (Grasmuck/Pessar 1991; Basch, Schiller et al. 1994; Pries 1996), transnationale soziale Bewegungen (Smith et al. 1997; Cohen/Rai 2000; Tarrow 2005), Business-Netzwerke (Yeung 1998), transnationales organisiertes Verbrechen (Williams/Vlassis 2001), globalisierte Erwerbsformen im Bereich von Haushaltsdienstleistungen, der sozialen Pflege (Anderson 2000; Ehrenreich/Hochschild 2003) oder die transnationale Kapitalistenklasse (Sklair 1991; Sklair 2001).15

Mit Pries (2002) lässt sich ein weiter und ein enger Begriff von transnationalism unterscheiden. Ein weites Verständnis bezieht sich auf alle Vergemeinschaftungsformen, Solidaritäten, Zusammengehörigkeitsgefühle, Arbeitszusammenhänge, Austausch- und Kommunikationsbeziehungen und Lebenspraxen, welche die Grenzen von Nationalstaaten überschreiten. Enger gefasst beschreibt der Begriff diejenigen grenzüberschreitenden Beziehungen und Austauschformen, die einen bestimmten Grad an Institutionalisierung und Dauerhaftigkeit erreicht haben, so dass durch sie strukturierte transnationale soziale Räume entstehen. In der engeren Lesart würde nicht jede Aktivität, wie zum Beispiel das einmalige Überschreiten einer Grenze, automatisch als Transnationalisierung gelten. Zusätzlich zum Kriterium der Grenzüberschreitung benötigt es Verdichtung, wie sie quantitativ durch eine bestimmte Frequenz oder qualitativ durch eine bestimmte Enge und Intensität gegeben wäre. Beck (1997: 63) definiert das Konzept der transnationalen sozialen Räume wie folgt:

»Die Konzeption transnationaler sozialer Räume ist eine Theorie mittlerer Reichweite. Hier wird die nationalstaatliche Sicht von Gesellschaft aufgebrochen, indem die Container-Theorie der Gesellschaft, die Vorstellung nationalstaatlich getrennter Lebenswelten, ersetzt wird durch dritte Lebensformen, d.h. transnational integrierte|40|, die unterstellten Grenzen unterlaufende, übergreifende Handlungsformen des Sozialen.«

Transnationale Handlungsformen unterliegen einer eigenen Logik, die nicht zulässt, dass man sie unter allgemeine ökonomische oder kulturelle Globalisierungsmodelle subsumiert. Vielmehr lässt sich zeigen, dass es nicht anonyme oder quasi-automatische Triebkräfte sind, welche die Öffnung von Nationalstaaten vorantreiben, sondern vielfach eigensinnige Leistungen, welche letztendlich »transnationale Soziallandschaften« (Beck 1997: 64) hervorbringen.

Allerdings ist die Frage nach der Transnationalisierung auch eine Frage nach den richtigen Indikatoren, die es erlauben, die Zunahme von grenzüberschreitenden Prozessen und Kommunikationsformen valide zu messen und abzubilden.16 Beck (2004) führt in seiner Diskussion des Kosmopolitismus eine ganze Liste von möglichen Indikatoren an, die auch für die komparative Transnationalisierungsforschung von Interesse sind, so den Import und Export kultureller Güter (Transnationalisierung des Buchwesens, Anzahl und Anteil ausländischer Filme, Im- und Exporte von Zeitschriften), rechtliche und politische Regelungen der Behandlung von Migranten, staatsbürgerschaftliche Inklusionsformen, politische Vertretung ethnischer Minderheiten, Verbreitung von Sprachkompetenz, Mobilität (permanente Zuwanderung, temporäre Zuwanderung, Entwicklung ausländischer Studierendenzahlen etc.), Kommunikationsströme (Briefsendungen, internationale Telefongespräche, Datenverkehr), Reisen (Tourismus, internationaler Flugverkehr), transnationale Initiativen und Organisationen, Entwicklung internationaler Kriminalität, transnationale Lebensformen (transnationale Familiennetzwerke, Ehen und Kinder), transnationale Berichterstattung, Identitäten und Indikatoren der ökologischen Globalisierung.

|41|Es ist darauf hingewiesen worden, dass absolute Messungen von Transnationalisierung nur beschränkte Aussagekraft haben, da die Erhöhung der transnationalen Kommunikation im Verhältnis mit der Binnenkommunikation betrachtet werden muss. Deshalb betonen Gerhards und Rössel (1999: 328), dass Transnationalisierung ein relationaler Begriff ist »der die Kommunikationen, Interaktionen und Transaktionen innerhalb eines Nationalstaates in das Verhältnis zu Kommunikationen, Interaktionen und Transaktionen mit außerhalb des Nationalstaates liegenden Einheiten setzt.« In ihrer Untersuchung zur Transnationalisierung von Wissenschaft zeigt sich, dass in den untersuchten Disziplinen unterschiedliche Grade und Steigerungsraten von Transnationalisierung zu finden sind. Auch in den Bereichen Kunst und Wirtschaft finden sich deutliche Tendenzen einer Zunahme transnationaler Interaktionen. Im Bereich der Wirtschaft zeigt sich allerdings, dass dabei die Finanzmärkte deutlich führen, gefolgt von den Märkten für Güter und Dienstleistungen, während Arbeitskraftmobilität und Standortwechsel von Firmen ganz unten rangieren. Dagegen attestieren sie dem Bereich von öffentlicher medialer Kommunikation ein hohes nationales Beharrungsvermögen.17 Auch diese Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass es markante bereichs- und sektorenspezifische Unterschiede hinsichtlich der Transnationalisierung gibt.

Das Präfix trans, so liest es zumindest die Anthropologin Aihwa Ong (2005: 11), bezeichnet sowohl Bewegungen über Grenzen hinweg sowie die Veränderung des Charakters einer Sache. So lässt sich neben dem sozio-territorialen Aspekt auch ein qualitativer Veränderungsaspekt hervorheben, welcher darauf hinweist, dass sich mit der Grenzüberschreitung auch die Natur und das Wesen von sozialen Beziehungen und Transaktionen ändern. Warum dies der Fall sein sollte, ist relativ einfach zu erschließen: Ungeachtet aller Prozesse nationalstaatlicher Entgrenzung handelt es sich um Beziehungen die unterschiedlichen staatlichen Jurisdiktionen und soziokulturellen Bedingungen unterworfen sind. Mit einem Bein in einem staatlichen Territorium und einem Bein in einem anderen staatlichen Territorium ist damit zu rechnen, dass sich Übersetzungs- und Vereinbarkeitsprobleme ergeben können. Zudem sind aufenthalts-, visa- und melderechtliche Vorschriften unmittelbar am Zustandekommen und der Aufrechterhaltung dieser Beziehungen beteiligt, weil sie einen Rahmen für die Möglichkeiten, die Dauer und die Form von Interaktionen setzen.

|42|Vor diesem Hintergrund hebt der von Faist (2000a) bevorzugte Begriff der transstaatlichen Räume stärker darauf ab, dass diese sozialen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen die Grenzen von souveränen Staaten überschreiten und somit neue Herausforderungen darstellen:

»Staatliche Grenzen werden traditionell als klare Demarkation gefasst und der exklusiven Kontrolle von Staaten entzogene grenzüberschreitende Bindungen oft als Bedrohung von Staaten angesehen. Und im Hinblick auf menschliche Bindungen und Handeln mündet die Behauptung der exklusiven Gebundenheit an einen homogen-abgeschotteten Raum in der Annahme, dass nur eine nationale Identität, gekoppelt mit der Loyalität zu einem Nationalstaat möglich sei.« (48)