Trauma und Coaching - Dagmar Härle - E-Book

Trauma und Coaching E-Book

Dagmar Härle

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Beschreibung

Was Coaches zum Thema Trauma wissen sollten Körperliche Gewalt, Vernachlässigung in der Kindheit, eine lebensbedrohliche Erkrankung oder ein Unfall: Nicht selten zeigen sich die Folgen schwer zu bewältigender, traumatisierender Lebensereignisse auch im Coaching. Wie aber können Sie als Coach Ihre Klienten in solchen Situationen professionell abholen? Welche Ziele können Sie mit Ihren Methoden verfolgen und wann ist eine (Trauma-)Therapie angezeigt? Dieses Buch vermittelt Ihnen das nötige Wissen über biologische, neurophysiologische, bindungsspezifische und entwicklungstheoretische Zusammenhänge, um Trauma-Signale und -Symptome zu erkennen und richtig zu deuten. So ausgestattet können Sie psychoedukativ tätig werden, Ihren Klienten die oft unerklärlichen Symptome und Reaktionen näherbringen, ihn von Scham- und Schuldgefühlen entlasten und dem Grübeln über die Symptomatik entgegenwirken. Außerdem kann ein psychotraumatologisches Wissen Ihnen helfen, betroffene Klienten von der Notwendigkeit einer traumaspezifischen Behandlung zu überzeugen.

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Seitenzahl: 361

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Dagmar HärleTrauma und CoachingTrauma-Signale erkennen und professionell handeln

Über dieses Buch

Was Coaches zum Thema Trauma wissen sollten

Körperliche Gewalt, Vernachlässigung in der Kindheit, eine lebensbedrohliche Erkrankung oder ein Unfall: Nicht selten zeigen sich die Folgen schwer zu bewältigender, traumatisierender Lebensereignisse auch im Coaching. Wie aber können Sie als Coach Ihre Klienten in solchen Situationen professionell abholen? Welche Ziele können Sie mit Ihren Methoden verfolgen und wann ist eine (Trauma-)Therapie angezeigt? 

Dieses Buch vermittelt Ihnen das nötige Wissen über biologische, neurophysiologische, bindungsspezifische und entwicklungstheoretische Zusammenhänge, um Trauma-Signale und -Symptome zu erkennen und richtig zu deuten. So ausgestattet können Sie psychoedukativ tätig werden, Ihren Klienten die oft unerklärlichen Symptome und Reaktionen näherbringen, ihn von Scham- und Schuldgefühlen entlasten und dem Grübeln über die Symptomatik entgegenwirken. Außerdem kann ein psychotraumatologisches Wissen Ihnen helfen, betroffene Klienten von der Notwendigkeit einer traumaspezifischen Behandlung zu überzeugen.

Dagmar Härle, Master of Psychotraumatologie, Somatic Experiencing (SE), EMDR, cert. Fach­supervisorin Traumatherapie (GPTG), cert. Facilitator traumasensitives Yoga (TSY), DVNLP Lehr­trainerin und Lehrcoach. Langjährige Tätigkeit als Coach und Traumatherapeutin in eigener Praxis in Basel. www.trauma-institut.eu

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2018

Coverfoto: © INDARS GRASBERGS – iStock

Fotos im Buch: Sabine Tröndle

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2018

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-677-6

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-696-7 (EPUB), 978-3-95571-698-1 (PDF), 978-3-95571-697-4 (MOBI).

Einleitung

Ein zentraler Lebensbereich des Menschen ist, neben Familie und Freundschaften, die Arbeit. Sie erfüllt wichtige Funktionen: Sie strukturiert unseren Alltag, schenkt uns Anerkennung, schafft sozialen Status und trägt durch die Entlohnung zum Autonomieerleben bei. Sie fördert den sozialen Austausch und erzeugt Aktivität im Leben. Seine Arbeit zu verlieren oder nicht mehr arbeitsfähig zu sein ist ein schwerwiegender Lebenseinschnitt. Neben äußeren, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren, wie betrieblicher Restrukturierung und Neuausrichtung sowie politisch unsichere Verhältnisse, können psychische und physische Erkrankungen zum Verlust der Arbeit führen. Und hier ist gerade im Bereich der psychischen Erkrankungen eine alarmierende Entwicklung zu beobachten: Die Fehlzeiten am Arbeitsplatz sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Bis zu knapp einem Drittel aller krankheitsbedingten Fehltage gehen in Deutschland mittlerweile auf psychische Erkrankungen zurück.

Das vorliegende Buch widmet sich einem speziellen Thema im Bereich psychischer Erkrankungen: dem der Traumafolgestörungen. Die intensive Forschung der letzten Jahrzehnte hat die Bedeutung von Traumata und deren Folgeerscheinungen in das allgemeine Bewusstsein gerückt. Neben den klassischen Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann sich die Nachwirkung von Trauma in Depressionen, Angsterkrankungen, Zwangserkrankungen oder Suchtmittelmissbrauch wie auch in einer verminderten Stressresistenz, erhöhtem Burnoutrisiko und mangelnder Beziehungsfähigkeit zeigen. Man weiß heute um die weitreichenden Folgen frühkindlicher Traumatisierung, die eine erhöhte Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigung bergen. Oft gelingt es betroffenen Menschen zwar, diesen Einfluss bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren, doch können eine Lebenskrise, eine berufliche Veränderung, ein Todesfall oder eine schwere Erkrankung die Bewältigungsmöglichkeiten des Einzelnen übersteigen.

Vermutlich haben Sie zu diesem Buch gegriffen, weil Sie sich als verantwortungsbewusster Coach über Trauma, traumatischen Stress und dessen Folgen im Alltags- und Berufsleben informieren möchten. Sie sind bemüht, Ihre Klienten zu verstehen, und wollen sie besser unterstützen und begleiten können. Verwandte Themen wie Stressmangement, Burnoutprophylaxe oder Resilienz sind Ihnen vertraut und Sie haben bereits zahlreiche Klienten im Umgang mit diesen Themenfeldern beraten und begleitet. Die Frage, warum manche Menschen stressresistenter sind als andere, warum einige oft mehr als einmal Burnout erleiden, andere jedoch scheinbar selbst stärksten Belastungen trotzen können, drängt sich an dieser Stelle förmlich auf. Sicher sind Sie bei Ihren zahlreichen Gesprächen mit Klienten auch auf für die Betroffenen schwer zu bewältigende Ereignisse gestoßen, beispielsweise einen Unfall, körperliche Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch in der Kindheit, eine lebensbedrohliche Erkrankung oder andere traumatische Erlebnisse, die einen nachhaltigen Einfluss auf das psychische Befinden und die Stressverarbeitung eines Menschen ausüben. Wie geht man als Coach mit solchen Informationen um? Wie gehen Sie damit um?

Setzen wir uns mit Trauma auseinander, stellt sich die Frage, welche Art Auftrag ein Coach in Abgrenzung zur Psychotherapie annehmen und welche Ziele er mit seinen Methoden verfolgen kann. Da Sie als Coach eine vertrauensvolle Beziehung zu Ihrem Klienten aufbauen, werden Sie, vielleicht noch eher als ein Psychotherapeut (den mancher Klient niemals aufsuchen würde), sehr persönliche Informationen erhalten. Manches davon können Sie leicht in Verbindung mit den Problemen des Klienten und damit dem aktuellen Coachingauftrag bringen. Auf potenziell traumatische Ereignisse einzugehen und eine Traumaverarbeitung anzustreben sprengt den Rahmen Ihres Auftrags, denn diese erfordert neben einem ausgedehnten Zeitrahmen eine fundierte Ausbildung und Erfahrung. In diesem Buch gehe ich deshalb der Frage nach, welche Rolle ein professioneller Coach in solchen Fällen einnehmen kann, um dem Anliegen des Klienten gerecht zu werden.

Betrachten wir, was Coaching ausmacht, kommen Ihnen sicher Begriffe wie „Auftrags- und Zielklärung“, „zeitlich begrenzter Dialog“, „Erhalt bzw. Steigerung der Leistungsfähigkeit“ und „Unterstützung zur eigenständigen Problemlösung“ in den Sinn. Die Zielgruppe sind „gesunde“ Menschen, die eine definierte Verbesserung im Umgang mit ihren spezifischen Problemen anstreben. Im Gegensatz zur Psychotherapie geht es beim Coaching nicht um die „Heilung“ erkrankter Menschen.

Der Beruf des Coachs ist kein Heilberuf, die Behandlung psychischer Störungen somit ausdrücklich ausgeschlossen. Auch bei Burnout im fortgeschrittenen Stadium, wenn psychische und psychosomatische Beschwerden auftreten, ist die Behandlung ausgebildeten Fachkräften zu überlassen (vgl. Möller & Kotte 2013, S. 224). Dasselbe gilt für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Eine qualifizierte Diagnose einer PTBS sowie sogenannter komorbider Störungen (Begleiterkrankungen) wie Depression, Angst- oder Zwangserkrankungen kann nur von einer spezialisierten Fachkraft, also Ärzten, Psychiatern oder psychologischen Psychotherapeuten mit spezieller Ausbildung vorgenommen werden.

Bleibt die Frage: Welche Funktion kann und soll ein Coach im Bereich psychischer Erkrankungen und Traumafolgestörungen erfüllen?

Eine wichtige Aufgabe liegt im Erkennen von Signalen bzw. Symptomen, deren richtige Deutung ein frustrierendes, weil erfolgloses bzw. nur kurzfristig wirksames Coaching verhindern kann. Diese Erfahrung kann bei einem vulnerablen Klienten zu Ohnmachts- und Versagensgefühlen und, im schlimmsten Fall, zu einer Verschlechterung seiner psychischen Stabilität führen. Doch Symptome einer einfachen bzw. komplexen Traumafolgestörung erkennen und verstehen kann aus meiner Sicht nur, wer ein fundiertes Wissen über biologische, neurophysiologische, bindungsspezifische, entwicklungstheoretische und therapeutische Zusammenhänge besitzt. Ausgestattet mit diesen Erkenntnissen kann ein Coach psychoedukativ tätig werden, seinem Klienten die ihm oft unerklärlichen Symptome und Reaktionen näherbringen und ihn zunächst von Scham- und Schuldgefühlen entlasten. Die professionelle und fundierte Psychoedukation hat zudem die Funktion, den Klienten von der Notwendigkeit einer Behandlung zu überzeugen, die ihm hilft, seine traumatische Vergangenheit zu verarbeiten und zu integrieren.

Der Aufbau eines Netzwerks traumabehandelnder Fachkräfte versetzt den Coach in die Lage, professionell und vertrauenswürdig zu handeln, indem er seinem Klienten Hinweise gibt, an wen er sich wenden kann. Der Professionalität dient es auch, wenn ein Coach über die gängigen Fachbegriffe verfügt, die ich an den jeweiligen Stellen erklärt habe. In Zusammenarbeit mit der jeweiligen Fachkraft, die Ausschlussdiagnosen stellen und psychische Störungen behandeln kann, kommt dem Coach die Begleitung aktueller, beruflicher Themen zu. Wo z. B. eine zeitweise Arbeitsunfähigkeit durch zu große Belastungen vorliegt, fällt dem Coach eine wichtige Rolle bei der Wiedereingliederung des Betroffenen zu, da er der Spezialist für berufliche Fragestellungen ist.

Eine weitere, wichtige Rolle kommt dem Coach dort zu, wo im Coaching Themen angeschnitten wurden, die an eine traumatische Situation erinnern und akute Symptome wie ungewollt eindringende (intrusive) Erinnerungen oder dissoziative Zustände auslösen, von denen der Klient entweder von Gefühlen überwältigt wird oder auf „Autopilot“ schaltet. Er ist dann zwar körperlich anwesend, hat sich jedoch von seinen Gefühlen abgespalten. Hier verfügt ein traumainformierter Coach über diverse Stabilisierungstechniken und verhilft dem Klienten neben der Beruhigung in der aktuellen Situation zu Skills, die er im Alltag anwenden kann.

Traumainformiertes Coaching befähigt Sie zudem, Ihre Klienten in akuten Belastungssituationen und bei drohendem Burnout professionell abzuholen, da Sie aufgrund Ihrer neurophysiologischen Kenntnisse um die Bedeutung zwischenmenschlicher Bindung für die kindliche Entwicklung wissen. Ihnen ist dadurch bewusst, auch, was der Erwachsene im Hier und Jetzt braucht, um Vertrauen zu Ihnen aufbauen zu können. Dieses Wissen hilft Ihnen, die Beziehung zum Ihrem Klienten so zu gestalten, dass er sich bei Ihnen sicher fühlt und so eine fruchtbare Arbeitsbeziehung entstehen kann. Im Bereich der Psychoedukation können Sie Ihren Klienten entlasten, weil Sie in der Lage sind, ihm zu erklären, warum auch kleinere Kränkungen und Zurückweisungen so belastend sind und zu Stresssymptomen führen können.

Zum Aufbau dieses Buches

Im traumainformierten Coaching ist die Frage nach der Abgrenzung zwischen Coaching und Psychotherapie von zentraler Bedeutung, sind doch in der Kombination aus „Trauma“ und „Coaching“ beide Disziplinen angesprochen. Auch wenn es hierzu keine abschließenden Antworten geben wird, empfinde ich es als besonders wichtig, so genau wie möglich zu klären, worin sich das Arbeitsfeld des Coachs von dem eines Psychotherapeuten unterscheidet. Kapitel 1 befasst sich daher mit der Erkundung, was man unter Coaching versteht und welche Ziele mit welchen Methoden angestrebt werden. Im zweiten Kapitel gehe ich der Frage nach, wie Psychotherapie definiert wird; Kapitel 3 widmet sich der Psychotraumatologie. Hier beschäftigen wir uns umfassend mit einfachen und komplexen Traumafolgestörungen, den neurophysiologischen Zusammenhängen, den Komorbiditäten und setzen uns mit der Rolle des Coachs auseinander. Im vierten Kapitel stelle ich Ihnen erste Maßnahmen für Akutintervention vor.

Kapitel 5 behandelt Bindungs- und Entwicklungstraumata, also Traumafolgestörungen, die nicht so offensichtlich sind, jedoch zu Störungen im Bereich Affekt- und Selbstregulation sowie zu eingeschränkter Stresstoleranz führen können – Themenbereiche, die zum Coachingalltag gehören. Stressbewältigung und Burnoutprophylaxe sind elementare Coachingthemen, denen wir in den Kapiteln 6 bis 8 nachgehen, verbunden mit der Frage, wie sich Stress, Burnout und traumatischer Stress unterscheiden. Kapitel 9 schließlich vermittelt Ihnen Handwerkszeug. Selbstfürsorge und Selbstschutz sind wichtige Themenfelder für Berater, mit denen wir uns in den Kapiteln 10 und 11 befassen. Ausgestattet mit dem Wissen über Trauma und Traumafolgestörungen widmen wir uns abschließend den Themen der beruflichen Wiedereingliederung nach traumatischen Vorfällen wie auch dem Coaching von Führungskräften und Teams nach einem Ereignis. Im Anhang finden Sie Fragebögen und Arbeitsblätter.

Der Lesbarkeit und sprachlichen Einfachheit halber habe ich mich dafür entschieden, personenbezogene Bezeichnungen (Therapeut, Klient) verallgemeinernd zu gebrauchen, sie beziehen sich in der Folge auf beide Geschlechter (generisches Maskulinum).

1. Coaching

1.1 Was ist Coaching?

Aus dem Englischen entlehnt, wo es im Bereich des Sports angewendet wird, hat sich Coaching inzwischen als wirksames Verfahren etabliert, mit dem – unter Einbeziehung von Erkenntnissen der Psychologie – eine Person unterstützt wird, einschränkende Einstellungen und Verhaltensweise nachhaltig zu verändern. Das Angebot reicht von Ernährungs-, Gesundheits-, Fitness- und Entspannungscoaching bis hin zur Arbeit an Wachstum und Entwicklung, um nur einige Anwendungsgebiete zu nennen. Ein breites Arbeitsfeld für Coaching bieten die Anforderungen des modernen Berufslebens, seien es individuelles berufliches Weiterkommen in Form eines Karrierecoachings, die Bewältigung von Blockaden und Problemen wie Auftrittsangst, mangelndes Selbstbewusstsein oder auch Coaching für Führungskräfte, um den Führungsalltag und die damit verbundenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu reflektieren. Im Teamcoaching werden Themen wie Kooperation, Kommunikation, Team- und Konfliktkultur unter die Lupe genommen. Der Schwerpunkt des vorliegenden Buches ist das Einzelcoaching im Businessbereich.

Sehen wir uns zwei Definitionen für professionelles Coaching im Businessbereich an:

Definition 1

„Als ergebnis- und lösungsorientierte Beratungsform dient Coaching der Steigerung und dem Erhalt der Leistungsfähigkeit. Als ein auf individuelle Bedürfnisse abgestimmter Beratungsprozess unterstützt ein Coaching die Verbesserung der beruflichen Situation und das Gestalten von Rollen unter anspruchsvollen Bedingungen. Durch die Optimierung der menschlichen Potenziale soll die wertschöpfende und in die Zukunft gerichtete Entwicklung des Unternehmens / der Organisation gefördert werden.

Inhaltlich ist Coaching eine Kombination aus individueller Unterstützung zur Bewältigung verschiedener Anliegen und persönlicher Beratung. In einer solchen Beratung wird der Klient angeregt, eigene Lösungen zu entwickeln. Der Coach ermöglicht das Erkennen von Problemursachen und dient daher zur Identifikation und Lösung der zum Problem führenden Prozesse. Der Klient lernt so im Idealfall, seine Probleme eigenständig zu lösen, sein Verhalten / seine Einstellungen weiterzuentwickeln und effektive Ergebnisse zu erreichen. Ein grundsätzliches Merkmal des professionellen Coachings ist die Förderung der Selbstreflexion und -wahrnehmung und die selbst gesteuerte Erweiterung bzw. Verbesserung der Möglichkeiten des Klienten bzgl. Wahrnehmung, Erleben und Verhalten.“

Auszug aus der Definition des DBVC (2016)

Definition 2

„Coaching ist eine auf den Leistungs- und Handlungsprozess von Personen bezogene Form der Beratung“ (Wegener, Fritze, Loebbert 2014). Coaching betrifft erfolgreiches, intentionales Handeln von Klienten, nicht ausschließlich, jedoch primär im beruflichen Kontext. Ob der „Handlungserfolg“ als Führungskraft zum Erhalt der Work-Life-Balance angestrebt wird oder zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation, aufgrund der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz oder wegen der Verbesserung der beruflichen Leistungsfähigkeit: Im Mittelpunkt steht immer das Anliegen des Klienten.

Der Erfolg wird vom Klienten selbst definiert und bezieht sich auf den Kontext, in dem er einen Handlungserfolg erzielen möchte, was eine Auseinandersetzung mit den Werten und Maßstäben des Klienten erfordert, ebenso wie die Reflexion darüber, was der Zweck der erfolgreichen Handlung sein soll. Es geht also darum, etwas zu verbessern, zu erreichen, zu ermöglichen oder anders ausgedrückt, der Zweck steht im Vordergrund. Erfolg bzw. Nicht-Erfolg des Handelns des Klienten wird vom Klienten selbst (bzw. gemeinsam mit dem Auftraggeber [DH]) definiert. „Coaching ist eine intensive und systematische Förderung ergebnisorientierter Problem- und Selbstreflexion sowie Beratung von Personen oder Gruppen zur Verbesserung der Erreichung selbstkongruenter Ziele oder zur bewussten Selbstveränderung und Selbstentwicklung“ (Wegener, Fritze, Loebbert 2014).

Betrachten wir die Definitionen näher, so geht es um Themen wie:

Leistungssteigerung bzw. Erhalt der Leistungsfähigkeit

Zweckgebundenheit – wertschöpfende Entwicklung des Unternehmens

Problem- und Selbstreflexion

Optimierung menschlicher Potenziale

Selbststeuerung, Selbstveränderung, Selbstentwicklung

Erreichung selbstkongruenter und selbstbestimmter Ziele

Im beruflichen Coaching sollen also persönliche Verhaltensweisen verbessert bzw. Kompetenzen vermittelt werden und dies in einem definierten Feld zu einem festgelegten Zweck – der positiven Entwicklung des Unternehmens. Anhand des selbstbestimmten Ziels sollen eigene Lösungen zur Selbstveränderung entwickelt werden. Mittels der Förderung von Problem- und Selbstreflexion soll der Klient in seiner selbstständigen Problemlösefähigkeit und Zielerreichung unterstützt werden.

Ein Klient entschließt sich für ein Coaching oder ihm wird ein Coaching angeraten, wenn er vom gegenwärtigen „Ist“, das heißt von seiner aktuellen Situation oder Problematik, nicht aus eigenen Stücken ins gewünschte „Soll“ (oder sollte man besser sagen, „Wollen“?) kommen kann. Die Themenfelder, in denen der Wunsch nach begleiteter Veränderung auftritt, können verschiedene Lebensbereiche betreffen, in denen Coachs ihre Expertise und ihre Erfahrung anbieten.

In welchen Feldern wird Coaching eingesetzt?

In den folgenden Aufzählungen der Coachingfelder (vgl. Böning 2015) finden Sie beispielhaft Themenbereiche, die Auslöser für einen Veränderungswunsch sein können.

Life-Coaching

Business-Coaching

Gesundheits-Coaching

Selbstwertgefühl

Selbstbewusstsein

soziale Kompetenz

Beziehungen – beruflich / privat

Standortbestimmung

emotionales Wohlbefinden

Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen / Krisen

Persönlichkeitsentwicklung

Selbstmanagement

Affektregulation

persönliches Wachstum

Blockaden überwinden

Führungskompetenz

Managementkompetenz

Kommunikation

Konfliktlösungsfähigkeit

Verhandlungskompetenz

Entscheidungskompetenz

Change-Management-Begleitung

neue Aufgabe / Rolle

Potenzialentwicklung

Motivation Mitarbeitende

Teambuilding und -effektivität

öffentliches Auftreten

Präsentations- und Rhetorik Skills

Work-Life-Balance

Stress

Burnout

Resilienz

psychische Gesundheit

Krisen als Auslöser für z. B. Depression, Ängste

Zwänge

körperliche Gesundheit, z. B. Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht

Lebensstil

Diese exemplarischen Themenfelder können sich überlappen, da „Lebensthemen“ oder „Gesundheitsthemen“ ins Business-Coaching einfließen können und umgekehrt. Unabdingbar ist daher eine klare Auftrags- und Zielklärung bzw. eine „Neuklärung“, sobald sich weitere Themen auftun. Für eine erfolgreiche Veränderung, egal in welchem Feld, braucht es, neben dem klar umrissenen Ziel, die Fähigkeit und den Willen zur Selbstreflexion und Problemreflexion sowie den Wunsch nach Veränderung.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Veränderung / Zielerreichung1

Zielklarheit – Was will ich?

Motivklarheit – Warum will ich es?

Zielplanung – notwendige Schritte zur Problemlösung

Emotionale Klarheit – Welche Emotionen sind vorherrschend, welche sind förderlich, welche hinderlich?

Wille und Fähigkeit zur Selbstreflexion und Problemreflexion – kritische wie auch liebevolle Sicht auf sich selbst einnehmen (können)

Selbsterkenntnis – sollte aus der Selbstreflexion entstehen

Selbstbeobachtungsfähigkeit – Betrachtung, Beschreibung und Analyse des eigenen Erlebens und Verhaltens durch nach innen gerichtete Beobachtung. Sie ist die Voraussetzung für Selbst- und Problemreflexion sowie für Selbsterkenntnis.

Motivation – wissen und spüren, wozu man die Anstrengung unternimmt

Selbstwirksamkeitserwartung – Glaube bzw. das Wissen, dass man Dinge beeinflussen kann

Selbstverantwortung – Bereitschaft, für das eigene Handeln und Unterlassen Verantwortung zu übernehmen

Lösungskompetenz – Ideen entwickeln können, wie das Ziel erreichbar ist

Nicht jeder Klient verfügt über die aufgelisteten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Veränderung im Coaching. Häufig müssen Kompetenzen erst noch erarbeitet oder gestärkt werden. Ich möchte an dieser Stelle bereits zu bedenken geben, dass Menschen, die unter den Folgen einer Traumatisierung leiden, noch weniger selbstverständlich auf diese Fähigkeiten zurückgreifen können. Wer beständig von Angst, Wut oder Hilflosigkeit überwältigt wird oder permanent auf der Hut ist, dem erscheinen viele dieser aufgelisteten Kompetenzen schier unerreichbar. Die Betroffenen brauchen zunächst Hilfe, ihre überwältigenden Erinnerungen hinter sich zu lassen. Erst dann wird es möglich, mit ausreichendem Abstand über eine Situation zu reflektieren, sich der Zukunft positiv zuzuwenden, an seine eigene Kraft und Wirksamkeit zu glauben, Ziele festzulegen und die notwendigen Schritte zu planen. Im Zustand der Übererregung sind, wie wir sehen werden, die kognitiven Funktionen reduziert.

Unterstützende und nährende Bedingungen in der Kindheit legen einen guten Grundstock dafür, dass eine große Anzahl von den gelisteten Kompetenzen wachsen und gedeihen kann. Traumata und komplexe Traumatisierungen verhindern oder erschweren die gesunde Entfaltung dieser Fähigkeiten. Aber auch wenn die Kindheit ohne traumatisches Geschehen verlief, bedeutet das noch lange nicht, dass wir in jeder Situation über diese Kompetenzen verfügen. Permanenter Druck und Überlastung oder Mobbing und Ausgrenzung können dies vereiteln. Um sich dieser Fähigkeiten in der Gegenwart bedienen zu können, braucht es einen handhabbaren Stresslevel, der es dem Betroffenen erlaubt, sich der Funktion seines Frontalhirns zu bedienen.

   Ein Beispiel

Ein Klient möchte an der Verbesserung seines Selbstwertgefühls arbeiten, um seine Ängste bei Präsentationen vor Publikum in den Griff zu bekommen. Durch das gestärkte Selbstbewusstsein will er, positiv formuliert, Sicherheit, Ruhe und Kompetenz ausstrahlen. Sein Ziel scheint klar, Wille und Motivation zur Veränderung sind groß, Selbsterkenntnis und Problemreflexion sind vorhanden. Schnell wird jedoch deutlich, dass es ihm an Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstbeobachtungsfähigkeit und emotionaler Klarheit mangelt. Anders ausgedrückt: Er glaubt nicht, dass er Einfluss auf sein Verhalten nehmen kann, ist ungeübt, sich selbst zu beobachten, sodass er weder den Anfang noch den Verlauf seiner Aufregung mitbekommt und seine Gefühle kaum differenziert.

Im ersten Gespräch schildert er eine Situation, die er „vergessen“ hatte. Als Schüler musste er vor der Klasse ein Gedicht aufsagen. Nach der dritten Zeile verlor er den Faden, begann sich zu verheddern und verstummte beschämt. Der Lehrer demütigte ihn vor allen Mitschülern, warf ihm vor, nicht gelernt zu haben, dumm zu sein, und vertiefte die schreckliche Erfahrung damit, dass er ihn für den Rest der Stunde in die Ecke schickte. Ein paar Tage später scheiterte „eine zweite Chance“, so der Lehrer, ebenso wie ein erzwungener dritter Versuch. Die empfundene Schande und Scham saßen so tief, dass sich seine Noten verschlechterten und er die Klasse wiederholen musste. Sein strenges Elternhaus gab dem Lehrer recht, sodass er auch hier nur Häme, Demütigung und Bestrafung erfuhr.

Übersehen wir eine solche aus der Kindheit herrührende mangelnde Selbstwirksamkeitserwartung, kann das Coaching erfolglos bleiben oder nur zu einem geringen Erfolg führen. Wenn wir jedoch verstehen, welcher Teil des Nervensystems die Hilflosigkeit innerviert, können wir dem Klienten gezielter helfen.

Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass aktuelle Probleme, die ihren Ursprung in der Kindheit haben, nicht nur gelöst werden können, indem wir mit unseren Klienten in ihre Kindheit „zurückgehen“; das würde auch meinem Verständnis von Coaching widersprechen. Der Blick in die Vergangenheit kann uns selbstverständlich wertvolle Informationen darüber liefern, welche Kompetenzen nicht entwickelt werden konnten. Mit diesem Wissen werden im Coaching Problemstellungen in der Gegenwart bearbeitet, sodass der Klient neue und positive Erfahrungen machen kann. Meiner Beobachtung nach stellt sich durch dieses Vorgehen allmählich eine Distanz zu den belastenden Erfahrungen in der Vergangenheit ein. Im obigen Beispiel ging es also vorrangig darum, das Selbstwirksamkeitserleben zu stärken und durch Selbstberuhigung die Selbstbeobachtungsfähigkeit zu verbessern sowie sich mit befürchteten Gefühlen von Scham und Demütigung auseinanderzusetzen.

Neben der psychoedukativen Erläuterung kann über die Schulung von Achtsamkeit die Selbstbeobachtungsfähigkeit gestärkt werden. Der Klient erhält so Aufschluss darüber, auf welche Weise sich die Ohnmacht und Angst breitmachen und was ihm helfen kann, dieser Gefühlslage zu entrinnen. Zur Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung und emotionaler Klarheit kann als anschließende Coachingintervention ein Selbstbeobachtungsbogen dienen, in dem geglückte und weniger gelungene Alltagssituationen erfasst werden. Dies wirkt Generalisierungen entgegen und hilft, Gefühle besser differenzieren zu lernen.

1.2 Arbeitsweise im Coaching

Das Handeln des Coachs wird aus systemischer Sicht als „Intervention“ bezeichnet. Demnach kann jede absichtsvolle Handlung des Coachs, egal ob Frage, Aussage oder Coachingtechnik, als Intervention gelten (Loebbert 2014). Als „Techniken“ gelten: ein System aufstellen / aufzeichnen, Beobachtungsaufgaben, das bewusste Auffinden von Ressourcen, Kreativitätstechniken oder eine Stressorenanalyse, um nur einige Beispiele zu nennen. Aus meiner Sicht gehören zu den Interventionen aber auch unsere aufmerksame Art des Zuhörens, unser Beziehungsaufbau oder unsere sichtbare und erfahrbare Empathie. Entscheidend ist, dass Interventionen den Klienten hin zu einer größeren Flexibilität im Denken, Fühlen und Handeln führen und ihm durch neue Erfahrungen zu einer Erweiterung seiner Perspektiven verhelfen. Sein Spektrum an Verhaltens- und Handlungsoptionen wird damit variantenreicher.

Welche Art der Intervention hilfreich ist, darüber gehen die Meinungen auseinander: Interventionen, die die Selbststeuerung des Klienten unterstützen, stehen Interventionen gegenüber, die in Form von Ratschlägen einer besseren Bewältigung der Situation dienen.

Die „reine“ Prozessbegleitung und Prozesssteuerung sowie „Spiegelfunktion“ entstammen der Psychotherapie. Laut Dehner (2009) haben es Therapeuten jedoch mit Patienten zu tun, und dieser Zielgruppe sei es nicht wichtig, in welche Richtung sie gehen; für sie zähle, dass sie überhaupt eine Richtung haben. Bei Klienten, die einen Coach aufsuchen, ist dies selten der Fall, da es sich bei ihnen laut Dehner für gewöhnlich um selbstbewusste und selbstbestimmte Menschen handele. Für Letztere können auch Ratschläge und konkrete Stellungnahmen, die der Klient zurückweisen kann, durchaus angemessen sein. Konkrete Lösungsvorschläge, die außerhalb des Bezugsrahmens des Klienten liegen, werden schwerlich durch Reflexion gefunden. Die Auseinandersetzung mit Ideen und Lösungen kann daher einen erheblichen Zeitgewinn darstellen.

Treten wir einen Schritt zurück und betrachten beide Vorgehensweisen unter dem Gesichtspunkt, dass wir es mit einem Menschen mit einer traumatischen Vergangenheit zu tun haben: Erhöhte Wachsamkeit ist angesagt, wenn wir bemerken, dass ein Klient nicht in der Lage ist, eigene Ideen oder Lösungen zu präsentieren, sich auf unsere „Rat- oder Vorschläge“ blind verlässt, diese „einfordert“ und womöglich buchstabengetreu ausführt. Dort, wo wenig Selbstwirksamkeitserwartung und Lösungskompetenz vorhanden sind, können „Ratschläge“ auch „Schläge“ sein. Hier gilt es zunächst, diese Fähigkeiten zu entwickeln, statt Lösungen zu präsentieren.

Trotzdem sollten wir im Auge behalten, dass vor allem komplex traumatisierte Menschen, die unter der Herrschaft anderer gelitten haben, die Möglichkeit des Widerspruchs erst gar nicht in Betracht ziehen; eine Kritik oder Ablehnung unserer Ideen ist für sie unvorstellbar. Möglicherweise kommt es durch das Setting im Coaching bei Ihrem Klienten zum Wiederaufleben seiner Vergangenheit und Ihr Gegenüber ist viel zu eingeschüchtert, um einen Ihrer Vorschläge zurückzuweisen. Bemerken Sie dieses Muster, ist es an der Zeit, über Ihre Beziehung zu sprechen, darüber, was Ihr Klient denkt, antizipiert und fühlt, wenn er Ihre Ratschläge hört. Es gilt zu ergründen, was aus seiner Sicht passieren würde, wenn er sich verweigert.

Bei solchen Verweisen auf die Vergangenheit, die Eltern oder die Kindheit sehe ich es als Aufgabe des Coachs, die Grenzen zwischen Therapie und Coaching klar abzustecken, eventuell das Coachingziel zu überprüfen und erneut die Rolle des Coachs sowie die Erwartungen des Klienten zu besprechen. Über eine offene und ehrliche Gesprächshaltung, bei denen der Coach in Kontakt bleibt und die gegenwärtige Beziehung zum Gegenstand der Reflexion macht, können in dieser Situation wertvolle Einsichten und neue Erfahrungen gewonnen werden.

Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass Ideen und Lösungsmöglichkeiten, die als Angebot formuliert werden, Halt und Sicherheit geben. Sie können einen ersten Schritt aus dem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit darstellen, weil, wie oben formuliert, die vorgeschlagenen Lösungen außerhalb des Bezugsrahmens des Klienten liegen. Werden Sie jedoch zum „Lösungsautomaten“, weil Ihr Klient auf Fragen nach Ideen oder Handlungsvarianten hilflos reagiert, sprechen Sie Ihre Beobachtungen an und klären Sie mit ihm, in welcher Form ein Coaching sinnvoll sein kann und wo therapeutische Unterstützung, eventuell als zusätzliche Option, eine Ergänzung wäre.

1.3 Phasen im Coaching

Das Coaching wird klassischerweise in Phasen (vgl. Loebbert 2014) eingeteilt. Diese bestehen aus:

Kontakt – Beziehungsaufnahme

Vertrag – Leistungsziele – Auftrag

Hypothesen – Exploration – Einschätzung

Interventionen – Beratungshandlung – Innovationen

Evaluation – Resultate

1.3.1 Kontaktaufnahme, Beziehung, Ziel- und Auftragsklärung

Kontaktaktaufnahme und Gestaltung der Beziehung sowie die Klärung von Auftrag und Ziel des Coachings sind in der einschlägigen Fachliteratur ausführlich beschrieben. Ich gehe nur insoweit darauf ein, als bereits in dieser ersten Phase Probleme deutlich werden können.

Für einen Menschen, der unter den Folgen von Traumata leidet, sind Beziehungsgestaltung und Auftragsklärung oft problematisch. Wenn überwältigende Gefühle von Angst, Wut, Hilflosigkeit und Überforderung den Alltag bestimmen, ist es gar nicht so einfach, ein klares Ziel zu formulieren. Ja, oft sind (herausfordernde) Ziele oder gar das Coaching selbst Trigger. Dem Betroffenen wird sein Versagen einmal mehr verdeutlicht, was wiederum Scham- und Schuldgefühle heraufbeschwören kann. Dies wiederum wird sich entweder in übermäßiger, beinahe devoter Anpassung und Selbstbeschuldigung oder in einem Widerstand gegen das Coaching zeigen.

Mit Ersteren ist es scheinbar „einfacher“ zu arbeiten, da ja eine Einsicht in den Verbesserungsbedarf besteht. Häufig stellt sich jedoch heraus, dass hinter der „Selbsterkenntnis“ Angst steckt, die den Betroffenen lähmt. Bemerken wir dies nicht in der Anfangsphase, kann sich eine Dynamik entwickeln, in der wir eine Retterfunktion übernehmen und das Verhalten zementieren. Ist unser Klient hingegen im Widerstand und mangelt es ihm an der Fähigkeit zur Selbst- und Problemreflexion, geraten wir womöglich in einen Kampf, den wir nicht gewinnen können. Vielleicht geben wir auch auf und bezeichnen den Klienten als nicht „coachingfähig“.

In beiden Fällen kann sich das Gefühl einschleichen, „einfach nicht an den Menschen heranzukommen“. Sehen wir jedoch die durch Scham, Überforderung, Angst oder Wut hervorgerufene Belastung, erhalten wir leichter Zugang zu unserem Gegenüber. In Kapitel 5 zum Thema komplexer Traumatisierung finden Sie hierzu ausführliche Beispiele. Kommen Sie als Beratungs- und Kommunikationsprofi zu der Überzeugung, mit dem Klienten schwerlich einen tragfähigen Kontakt aufbauen zu können, dürfen Sie davon ausgehen, dass dies einen Teil seiner Problematik ausmacht. Damit will ich nicht andeuten, dass alle Menschen, die sich mit Kontakt schwertun, eine traumatische Vergangenheit haben; dennoch lohnen sich Fragen nach dem familiären Hintergrund, die sie unter Kapitel 1.3.3 finden.

Zurück zur Auftragsklärung: In der Regel analysiert der Coach gemeinsam mit seinem Klienten zu Beginn des Coachingprozesses den Auftrag. Thema sind also Voraussetzungen, Einschränkungen, Auftraggeber, Umfang und Ausgangslage. Unabdingbar ist die Klärung des angestrebten Cochingziels und zu erforschen, woran sich Ergebnisse und Erfolge messen lassen. Dabei sind Fragen nach der Ausgangslage, den vermuteten Ursachen des Problems, den Situationen, in denen das unerwünschte Verhalten auftritt, ebenso gängig wie Fragen nach einer positiven Zielformulierung, nach den Kriterien der Messbarkeit des Ziels, dem Zeitrahmen wie auch nach den bereits vorhandenen Ressourcen, nach Lösungsversuchen und deren Ergebnis. Gerade bei Trauma-Betroffenen können Fähigkeiten wie Selbst- und Problemreflexion, Selbstbeobachtung oder emotionale Klarheit eine Grundvoraussetzung dafür sein, die eigentlich angesteuerten Coachingziele zu erreichen. Darüber, wie Ziele und Zielkriterien formuliert werden, möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Als erfahrener Coach ist Ihnen dies geläufig.

1.3.2 Hypothesen – Exploration und Einschätzung

Eine klassische Diagnostik, wie sie in der Psychotherapie angewandt wird, ist im Coaching nicht üblich, geht es doch nicht wie beim Arzt oder Psychiater um Krankheiten. Und wie verfahren Coachs in dieser Phase im Prozess? Nach meiner Erfahrung gibt es eine große Bandbreite von „Ich diagnostiziere nicht“ bis hin zu „ich verwende ein Testverfahren oder einen Fragebogen“.

Das Wort „Diagnostik“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt Unterscheidung, Entscheidung, Erkenntnis und Urteil. Wenn wir diagnostizieren, ist es also unsere Aufgabe, zu differenzieren, zu entscheiden und aufgrund unserer Erkenntnisse zu einem Urteil, einer Einschätzung zu gelangen. Hierfür wägen wir jeweils einzelne „Befunde“ ab. Ein Befund wiederum ist laut DUDEN ein „nach einer Untersuchung, Prüfung festgestelltes Ergebnis, festgestellter Zustand“.

Als Coach müssen Sie sich aus den Informationen Ihres Auftraggebers zunächst ein Bild machen und dann entscheiden, mit welchen Mitteln Sie den Klienten am besten beim Erreichen seiner Ziele unterstützen. Insofern stimmt es nicht ganz, wenn ein Coach sagt: „Ich diagnostiziere nicht.“ Eine Einschätzung der Ausgangssituation nimmt wohl jeder Coach vor. Möchten Sie diesen Prozess systematischer gestalten, um relevante Informationen zu erhalten, können Sie, ähnlich einem Anamnese-Bogen in der Psychotherapie, einen Leitfaden nutzen, beispielsweise das „Kasseler Coaching Inventar“ (Möller & Kotte 2013) oder zur Erfassung der Erschöpfungssituation das „Hamburger Burnout Inventory“ bzw. das „Maslach Burnout Inventory“. Ein systematisches Vorgehen erleichtert nicht nur die Auftragsklärung, es berücksichtigt auch biografische Ereignisse. Diese Informationen helfen, den Coachingprozess zielgerichtet zu steuern, denn so lassen sich wiederholt auftretende Muster und Zusammenhänge leichter erkennen. Gestalten sich bereits die Kontaktaufnahme, die Auftragsklärung oder Zielfindung schwierig, sind Informationen aus einem strukturierten Interview für eine realistische Einschätzung der Gesamtproblematik und das Erkennen von tiefer liegenden Problemen unabdingbar.

Ein „diagnostischer“ Fragebogen erleichtert Ihnen, sich einen ersten Eindruck zu machen. Sie erhalten Informationen bereits zu Beginn des Coachings und können diese in Ihre Hypothesen einfließen lassen. Im Folgenden finden Sie einen Vorschlag für eine Eingangsbefragung.

Fragebogen

1. Coachinghintergrund

Name:

Alter:

Coachinganlass und Ausgangssituation:

Zeitpunkt der Anfrage (Warum gerade jetzt?):

Falls der Anlass ein Problem bzw. eine Krise ist, eine Beschreibung des Problems bzw. der Krise:

Wer sieht den Coachinganlass als Problem?

Eigene bisherige Lösungsversuche und Ergebnisse:

Vorerfahrungen mit Coaching:

Coachingziel(e):

Positiv formulierte/s, selbst erreichbare/s Ziel/e:

Motiv bzw. Motivation für das Ziel / die Ziele:

Vermutete Ursachen und Zusammenhänge:

Häufigkeit der Problematik:

Zeitraum der Problematik: Wann hat es begonnen, wann ist es schlimmer geworden?

Messbarkeit der Zielerreichung:

Woran würde der Coach merken, dass das Coaching erfolgreich war?

Woran würde der Klient merken, dass das Coaching erfolgreich war?

Woran würden die Organisation, Vorgesetzte, Mitarbeiter und Kollegen merken, dass das Coaching erfolgreich war?

2. Beruflicher Werdegang und organisationale Stellung

Aus- und Weiterbildungen, berufliche Stationen:

Aktuelle berufliche Situation:

Organisationstyp / eventuell Organigramm:

Team- und Organisationsklima:

3. Persönliche Biografie und Situation

Informationen zur Herkunftsfamilie:

Bedeutsame Lebensereignisse:

Aktuelle Lebenssituation:

Werte, Stärken und Schwächen:

Lebensträume, Lebensziele:

Gesundheitliche Situation:

Ressourcen und Kraftquellen:

4. Beziehungsaufbau und Voraussetzungen für die Zielerreichung

Erster Eindruck: Wie wirkt der Klient auf mich?

Z. B. Selbstwertstabilität, Leidensdruck, Reflexionsfähigkeit, Selbsterkenntnis, Veränderungswille, Ziel- und Motivklarheit, emotionale Klarheit, Selbstbeobachtungsfähigkeit, Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstverantwortung, Lösungskompetenz

Welche einschränkenden Beliefs und / oder Muster werden bereits im Erstgespräch deutlich?

Wie gestaltet der Klient den Kontakt zu mir?

Gegenübertragung: Welche Gedanken, Körperempfindungen und Gefühle kommen in mir auf?

Einstellungen zum Coaching und Erwartungen an das Coaching:

Fragebogen in Anlehnung an den Fragebogen von Möller & Kotte (2013), ergänzt durch DH

Das strukturierte Vorgehen, bei dem Sie den Schwerpunkt der Fragen je nach Auftrag und Ziel des Coachings variieren können, kann Ihnen Aufschluss über Fakten und Themen geben, die sonst nie oder erst nach einigen Sitzungen zum Vorschein kommen und die, wenn der Prozess ins Stocken gerät, auf mögliche Ursachen der Problematik hinweisen. Die Klärung zu Beginn kann Sie für bestimmte Themenfelder sensibilisieren. Gerade die Frage nach bedeutsamen Lebensereignissen können sowohl Ressourcen wie auch Traumata aufdecken. Nicht jeder, der ein Trauma erlitten hat, entwickelt, wie wir später sehen werden, eine Traumafolgestörung, aber wenn Sie davon wissen, hilft es, mögliche Reaktionen des Klienten im Coaching richtig einzuordnen. Für mich gehört es auch zur „diagnostischen“ Verantwortung eines Coachs, Störungen zu erkennen und, wo nötig, durch eine professionelle und fundierte Rückmeldung dem Klienten den Weg für zusätzliche therapeutische Hilfe zu ebnen.

1.3.3 Interventionen

In der Phase der Intervention, Beratungshandlung und Innovation soll Veränderung passieren, sodass der Klient seinen Zielen näher kommt bzw. sie erreicht. Die Interventionsmöglichkeiten sind je nach „Schule“ vielfältig und wahrscheinlich verfügen Sie bereits über ein großes Spektrum an Interventionen. Ziel des Buches ist, Ihren Blickwinkel und damit Ihr Repertoire dort zu erweitern, wo Traumata und Traumafolgestörungen ursächlich für die aktuelle Problematik verantwortlich sind. Anders ausgedrückt: Sie betrachten künftig die Befindlichkeit des Klienten unter dem Aspekt des Nervensystems, der biologischen Stressreaktion und den Folgen von (komplexen) Traumata und berücksichtigen dieses Wissen bei Ihren Zielformulierungen wie auch bei Ihren Interventionen.

1.3.4 Evaluation

In der Phase der Evaluation wird gemessen, bis zu welchem Grad die vereinbarten Ziele erreicht werden sollen. Dafür müssen in der Zielvereinbarung möglichst konkrete Kriterien festgelegt werden. Neben der subjektiven Einschätzung des Klienten wie auch des Coachs spielt die Sichtweise des Vorgesetzten / Auftraggebers eine entscheidende Rolle. Wichtig ist hierbei Transparenz, das heißt, während des Prozesses müssen geänderte Coachingziele mit dem Auftraggeber abgesprochen, zu hochgesteckte Ziele korrigiert und bei zu zahlreichen Zielen Prioritäten gesetzt werden. Wie wir bereits gesehen haben, kann ein erster Zwischenschritt die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Veränderung schaffen. Auch diese muss offen kommuniziert und besprochen werden. Transparenz und Klarheit schaffen Sicherheit, die nicht nur für traumatisierte Menschen existenziell ist, um sich auf eine Beziehung und einen gemeinsamen Weg einzulassen und Veränderung zu ermöglichen.

1.4 Welche Anlässe führen zu einem Business-Coaching?

Laut Böning sind aus Sicht des Coachs neben der Bearbeitung persönlicher oder beruflicher Probleme Karriereplanung, Neuorientierung und Weiterentwicklung am häufigsten die Triebfedern, ein Coaching zu beanspruchen. Beinahe genauso häufig ist es aber auch der Wunsch nach Persönlichkeits- und Potenzialentfaltung. Weitere Themen können sein: neue Aufgabe / Funktion / Rolle / Position, Erweiterung der Führungskompetenz, Konfliktbewältigung, Zusammenarbeit, Veränderung im Betrieb, Rückmeldungen aus Analysen und Führungsinstrumenten, Kommunikation / Sozialkompetenz, Reflexion und Outplacement (vgl. Böning 2005).

Meine persönliche Beobachtung wie auch die vieler Kollegen zeigt, dass die Zahl derer, die mit den Belastungen des beruflichen und privaten Alltags nicht mehr fertigwerden, sich ausgebrannt und leer fühlen oder unter den Folgen von Mobbing leiden und Beratungsbedarf anmelden, in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Wir sehen also neben „Verbesserungswünschen“ auch krisenhafte Auslöser. Betrachten wir die beiden Varianten unter dem Aspekt der „Bewegungsrichtung“, so können wir vereinfacht sagen, dass die einen „hin zu“ einer positiven Zukunftsvision, die anderen „weg von“ einer negativen Gegenwart wollen. Beide Ausgangspunkte beinhalten einen unbefriedigenden „Istzustand“, der mithilfe eines Coachings in einen befriedigenden „Sollzustand“ zu überführen ist, die „emotionale Färbung“ unterscheidet sich jedoch stark. Krisenhaften Auslösern geht nicht selten ein langer Leidensweg des Betroffenen voraus, beherrscht von Trauer, Wut, Angst, Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und / oder depressiver Verstimmung, während individuelle Verbesserungswünsche meist weniger negativ gefärbt sind und eher von Hoffnung und An- bzw. Auftrieb begleitet werden. Ihre Rolle als Coach ist daher der jeweiligen emotionalen Gestimmtheit anzupassen, ebenso wie Ihr Vorgehen.

Suche nach Verbesserung

Individuelle Krisen

Individuelle Verbesserung

Krisen im Beruf

Flexibilisierung des Coping

berufliche Deformation

Kompetenzerweiterung

Jobstress

Karriereberatung

Burnout

Rollenberatung

Mobbing

Tabelle 1.1: Häufige individuelle Coachinganlässe im Berufsleben (vgl. Schreyögg 2011)

Oft werden Coachs und Psychotherapeuten erst dann hinzugezogen, wenn die Probleme eine gewisse Tragweite aufweisen bzw. die Ratsuchenden unter einem entsprechenden Leidensdruck stehen. Hingegen kann Coaching auch präventiv auf persönliches Wachstum und Entwicklung ausgerichtet sein. So kann es sich beispielsweise zur Verbesserung des Stressmanagements, der Problemlösefähigkeit oder der Kommunikation und Zusammenarbeit sowie bei kulturellen Veränderungen als sinnvoll erweisen, schon im Vorfeld aktiv zu werden. Je nach Schweregrad der Problemstellung wird zwischen präventiven Interventionen, Coaching und Therapie unterschieden:

Abbildung 1.1: Schweregrad der Problemstellung (vgl. Rauen 2005)

Nach diesem Schaubild zu urteilen, wäre der Coach für die Prävention sowie für die weniger belastenden Probleme zuständig, während der Psychotherapeut sich um die gravierenden Probleme kümmert. Betrachten wir die Tabelle der Coachinganlässe, geht diese These jedoch nicht auf. Persönliche Krisen wie Burnout oder Mobbing fallen gemäß dieser Übersicht in den Themenbereich des Coachings, dennoch können die Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit tief greifend und folgenschwer sein.

Die Abgrenzung, wann ein Coaching „noch“ angesagt ist und wo genau die Grenze zur Psychotherapie ist, wird in jeder Coachingausbildung diskutiert und in Coachinghandbüchern ausführlich behandelt. Ich zitiere hier einen Coach: „Es wurde uns in der Ausbildung ständig gesagt, dass wir nicht in der Vergangenheit arbeiten sollen, und wenn der Klient einen Bezug zur Vergangenheit herstellt, beispielsweise seine Ängste vor dem Chef mit seinem überstrengen Vater in Verbindung bringt, sollten wir darauf nicht eingehen. Aber so fühlt sich der Klient doch total im Stich gelassen!“

Dem kann ich nur zustimmen! Leidet ein Klient unter den Folgen einer komplexen Traumatisierung aus der Kindheit und berücksichtigen wir, dass komplexe Traumata immer Beziehungs- bzw. Bindungstraumata sind, kann das Ignorieren einer solchen Offenbarung gegenüber einem so verletzlichen Klienten einen Vertrauensbruch darstellen, der schwer zu kitten ist. Statt zu sagen, dass der Coach dort nichts verloren hat, sollten wir uns besser über eine fundierte Ausbildung von Coachs bemühen, die therapeutisches Wissen vermittelt. Ziel ist nicht, dass jeder Coach therapieren soll, jedoch werden Chancen verpasst, die dem Klienten Hinweise auf die möglichen Ursachen und die Behandlungsmöglichkeiten seiner Problematik geben und den Leidensweg unnötig verlängern. Wir müssen uns ein- und zugestehen, dass wir als Coachs nicht nur mit „rein“ beruflichen oder gesundheitlichen Fragestellungen konfrontiert werden, sondern mit Menschen, deren Vergangenheit die Entstehung des Problems wie auch dessen Lösung beeinflusst. Der Mehrheit gelingt es zum Glück, ihr Leben trotz widriger Umstände in der Vergangenheit zu meistern. Eine aktuelle Krise kann das scheinbar stabile Gefüge jedoch erschüttern, mit oder ohne traumatische Vorgeschichte.

Wenn Coachs besser verstehen, was in einem überlasteten Menschen neurophysiologisch und emotional passiert, können sie ihn auch in Krisensituationen besser unterstützen, ihm durch Psychoedukation die Ursachen seiner Symptome erklären, diese normalisieren und ihm empfehlen, sich neben der beruflichen eine therapeutische Begleitung zu suchen.

1.5 Persönliche Krisen als Anlass für ein Coaching

Private Krisen werden meist durch einschneidende Ereignisse ausgelöst, etwa durch den Tod eines Familienangehörigen, eine Scheidung oder einen Unfall. Solche Vorkommnisse können die Existenz bedrohende Ausmaße annehmen; sie können traumatisieren und Traumafolgesymptome nach sich ziehen. Sie können aber auch alte Wunden wieder aufreißen (eventuell ein Trauma reaktivieren) und zu für alle Beteiligten unverständlichen Symptomen führen.

Die Ursache beruflicher Krisen sind situative Faktoren, beispielsweise Pensionierung, Arbeitsplatzverlust, Arbeitsplatzwechsel, Umstrukturierung und damit verbundene Veränderungen, ein neuer Vorgesetzter etc. Umstände dieser Art vermögen ein oft nur mühsam aufrechterhaltenes Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu beeinträchtigen. Insbesondere wenn der Beruf der stabilisierende Faktor im Leben eines Betroffenen ist, können erhebliche Veränderungen einen traumareaktivierenden Charakter haben und dysfunktionale Überzeugungen, wie „keinen Platz im Leben zu haben“, „nicht gewollt zu sein“ etc., triggern und zu schwerwiegenden Krisen führen. Nicht selten entstehen kritische Situationen im Beruf aus einer Kombination aus persönlichen und beruflichen Faktoren. Kommt zu einer schwierigen persönlichen Situation eine nicht selbst gesuchte berufliche Herausforderung hinzu, kann diese Kumulierung der Ereignisse in der Überforderung gipfeln. Je nach Vorgeschichte und Lebenserfahrung ist die sogenannte „allostatic load“ zu groß, das Maß des Erträglichen ist überschritten.

Die Forschung zeigt, dass es nicht die Schwachen sind, die zusammenbrechen. Hat ein Betroffener mehr als vier traumatische Ereignisse erlitten, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass er unter den Folgen leiden und Symptome entwickeln wird, bei nahezu 100 %. Das auslösende Ereignis muss nicht zwingend ein weiteres Trauma sein. Ein neuer Vorgesetzter beispielsweise kann alte Wunden aufreißen, wenn sein Verhalten an den gewalttätigen Vater erinnert; ein neues Team, in dem man sich ausgeschlossen fühlt, mag die Kränkungen aus einer schwierigen Schulzeit wachrufen. Auch kann individuelle Vulnerabilität – beispielsweise Überempfindlichkeit, Angst, Misstrauen oder mangelhafte Affektregulation – in Situationen beruflicher Anspannung weniger gut kompensiert werden. Aber auch bisher gut kompensierte Traumata können wieder aufflammen, wenn positive Lebensereignisse wie eine Heirat oder die Geburt eines Kindes Ängste vor erneutem Verlust, vor zu viel Nähe und Verantwortung auslösen.

Jede berufliche Rolle erfordert bestimmte Verhaltensweisen und birgt folglich die Gefahr einer beruflichen Deformierung. Als Jurist oder Polizist tätig zu sein prägt das Denken und Handeln auf andere Weise wie die Tätigkeit einer Pflegefachfrau oder eines Krebsspezialisten. Die Gründe hierfür können zum einen in der Organisationskultur zu finden sein – eine starke Überwachungs- und Misstrauenskultur lässt Mitarbeiter übervorsichtig und ängstlich werden. Besteht aufgrund widriger Umstände in der Kindheit eine Vorprägung, können Ängste und Unsicherheit in solcher Umgebung überhandnehmen und sich zu Panikattacken auswachsen. Zum anderen bewirken selbst auferlegte Einengungen, wie „immer stark und kompetent“ oder „extrem zuverlässig“ sein zu müssen, leicht große innere Konflikte und Belastungen. Auch festgelegte Rollenerwartungen, die eine bestimmte Gesinnung fordern – etwa im Polizeidienst, zu dessen Aufgaben es gehört, Todesnachrichten zu überbringen –, können abstumpfen und „gefühlskalt“ machen. Oder sie bringen ein übermäßig ängstliches und kontrollierendes Verhalten hervor und machen so der eigenen Familie und sich selbst das Leben zur Hölle.

Krisen können durch individuelle Persönlichkeitsmerkmale ausgelöst werden, die mit der eigenen Geschichte zu tun haben. So kann sich ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit, Struktur oder Klarheit, wenn es unreflektiert bleibt, in einem unsicheren, sich stetig wandelnden Umfeld als nachteilig erweisen. Auch der allgegenwärtige Anspruch, in einem Team funktionieren zu müssen, in enger Zusammenarbeit Austausch zu pflegen, wird bei Menschen, die aufgrund ihrer Beziehungstraumatisierung verschlossen und skeptisch sind, zu massiven Belastungen führen und im Gegenzug die Geduld von Vorgesetzten wie Teamkollegen auf eine harte Probe stellen. Andererseits können Menschen, die enge Beziehung und Nähe brauchen, sich unsicher fühlen, wenn die berufliche Situation dieses Bedürfnis nicht erfüllt, und in große Not geraten.

Ein typisches Beispiel ist die frisch gebackene Führungskraft, die die Nähe der „Teamkollegen“ sucht, jedoch auf Zurückhaltung bei den Mitarbeitenden stößt. Hier kann der Coach seinen Klienten dabei unterstützen, seinen verständlichen Wunsch nach Nähe und Zugehörigkeit beispielsweise im Kontakt mit Kollegen auf der gleichen Ebene zu befriedigen. Ein unstillbares Bedürfnis nach Nähe, das in Abhängigkeit mündet, sollte jedoch ebenso erkannt und hinterfragt werden wie das strikte Vermeiden von zwanglosen, freundschaftlichen Beziehungen. Ursache können nicht stabile Bindungen in der Kindheit sein.

Neben individuellen verursachen auch kontextbezogene Stressfaktoren das Gefühl totaler Überforderung. Dazu zählen beispielsweise eine objektiv zu große Arbeitslast aus Gründen einer längeren Krankheitsvertretung, Sparmaßnahmen, eine betriebliche Umstrukturierung oder die Übernahme einer neuen Funktion.

Der meist schleichende, in einen physischen und psychischen Erschöpfungszustand mündende Prozess wird als „Ausbrennen“ oder Burnout bezeichnet. Betroffen sind nicht nur Helferberufe wie Lehrer, Arzt, Sozialarbeiter – es kann jede Berufsgruppe treffen. Symptome sind beispielsweise eine negative Haltung gegenüber sich selbst und Gleichgültigkeit bis hin zur Feindseligkeit gegenüber der eigenen Arbeit; sie können sich in einer Vielzahl von somatischen Beschwerden äußern. Burnout wird heute auch als Erschöpfungsdepression charakterisiert, in der sich ein Gefühl der Macht- und Hoffnungslosigkeit breitmacht. Ist die Stresstoleranz durch eine aktuelle Traumafolgestörung bereits eingeschränkt, wächst die Gefahr, ein Burnout zu erleiden. Neben der aktuellen Situation sollte demzufolge auch die Vergangenheit beleuchtet werden, denn bleiben traumabezogene Reize und dysfunktionale Bewältigungsstrategien bestehen, wird ein Coaching auf Dauer nicht erfolgreich sein.

1.6 Mobbing

Mobbing wurde inzwischen in die Lehrbücher der Psychotraumatologie als Ursache psychischer Erkrankungen aufgenommen. Diagnosen wie Angsterkrankungen, Depressionen, Persönlichkeits- bzw. Anpassungsstörungen oder PTBS resultieren nicht selten aus Mobbing. Unfaire Angriffe und Attacken von „oben“ nach unten (Bossing), vonseiten der Arbeitskollegen (Mobbing) oder von „unten“ nach oben (Staffing) haben das Ziel, das Opfer zu schikanieren, einzuschüchtern, zu unterwerfen und / oder zu vertreiben. Nicht wenige Mobbingopfer tragen sich mit Suizidgedanken. Damit ein solcher Umgang mit einem Teammitglied überhaupt längerfristig möglich ist, muss das Mobbing vom Vorgesetzten geduldet oder gar unterstützt werden. Neben öffentlicher Demütigung und Kritik gehören das bewusste Ignorieren, Ausschließen und „Kaltstellen“ von Kollegen zu den tolerierten Mitteln. Die Zermürbungstaktik hat sowohl massive psychische als auch physische Auswirkungen.

Mobbing ist Gewalt, die einen Menschen (auch ohne „Vorgeschichte“) zermürben kann. Die Opfer leiden unter Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Scham; sie verlieren ihren Selbstwert und das Vertrauens in sich und andere. Diese Gefühle sind nicht „pathologisch“, sondern eine Folge des Mobbings. Oft unterstellen Außenstehende dem Betroffenen eine übermäßige Einbildungskraft, oder er gibt sich selbst die Schuld, der Situation nicht gewachsen zu sein bzw. die Situation selbst verursacht zu haben. Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Albträume, Symptome ähnlich der einer Posttraumatischen Belastungsstörung machen dem Betroffenen das Leben zur Hölle.

Berichtet Ihr Klient, dass er bereits häufiger das Opfer von Mobbing geworden ist, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Wurde er schon in der Schulzeit von Klassenkameraden ausgeschlossen, gehänselt, verprügelt, erniedrigt und bekam er keine oder zu wenig Unterstützung vom Elternhaus und der Lehrerschaft? Dann haben sich, wie oben beschrieben, Misstrauen und Unsicherheit in seinem Verhalten sukzessiv verfestigt. Dies soll nicht heißen, dass Mobbingopfer selbst schuld sind! Meine Erfahrungen im Coaching wie auch in der Traumatherapie zeigen mir immer wieder, dass manche Menschen, die in ihrer Kindheit keine stabilen Bindungen hatten, leichter zu Mobbingopfern werden, weil sie nicht gelernt haben, sich abzugrenzen, sich zur Wehr zu setzen und / oder sich im sozialen Kontakt schwertun. Ein wichtiges Instrument sind unsere Gedanken und Gefühle in Bezug auf den Klienten. Sicher kennen Sie bei der Reflexion ihrer Gegenübertragung, dass sich Irritation, Ärger oder Ungeduld aufdrängen und Gedanken wie: „Mit diesem Menschen zusammen zu arbeiten ist sicher nicht leicht“ oder: „Dieser Mensch hat kein gewinnendes Wesen“ einschleichen. Vielleicht weckt auch das Gegenüber Ihren Beschützerinstinkt und Sie finden sich unversehens in einer Retterrolle wieder.