Traumprinz, Ahoi! - Runnah von Spielfeldt - E-Book

Traumprinz, Ahoi! E-Book

Runnah von Spielfeldt

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Beschreibung

Jude ist glücklich. Sie lebt im schönen Hamburg, sie ist jung, sie ist hübsch, sie hat einen tollen Job, tolle Freunde und eine tolle Familie. Ihr Singledasein hat sie bislang nie gestört. Erst als sie erfährt, dass sie nicht zur Hochzeit ihres besten Freundes eingeladen werden soll, weil seine durchgeknallte Verlobte ihr unterstellt, es auf ihn abgesehen zu haben, sieht sie Handlungsbedarf. Sie erfindet kurzerhand einen steinreichen, attraktiven Liebhaber, und gibt ihm den herrlich mondänen Namen Ryan Corvera-Fabergé, frei nach dem Bruder einer ehemaligen Schulkameradin. Alles wäre gut gegangen, stünde der echte Ryan Corvera-Fabergé nicht zwei Tage vor der Hochzeit auf einmal neben Jude in einem Fünf-Sterne-Hotel, schön wie eh und je. Und es kommt noch schlimmer, denn Jude fliegt auf und der smarte Milliardär entpuppt sich als echte Herausforderung für ihr Herz, ihr Hirn und, sagen wir mal, andere Körperteile. Aber lasst Euch doch die Geschichte von Jude selbst erzählen. Ihr werdet mit ihr lachen, mit ihr weinen und... na, mehr wird nicht verraten. Soviel sei nur gesagt: Ein echtes Jet Set Feuerwerk wartet auf Euch. Viel Spaß auf dieser feuchtfröhlichen Reise voller Leidenschaft, Spaß und Glamour, Glamour, Glamour, zu den schönsten High Society Hot Spots des Mittelmeers.

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Traumprinz, Ahoi!

Runnah von Spielfeldt

Inhalt

Schauplätze

I. Teil Eins - Ein Milliardär hat es schwer

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

II. Teil Zwei - Mit Myrtle durchs Mittelmeer

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Schauplätze

Antigua and Barbuda:

Zwillingsinseln in der östlichen Karibik. Eine ehemals britische Kronkolonie und heute ein Kleinstaat mit 81.000 Einwohnern. Wer hier Anker legt, hat keine Sorgen.

Capri:

Eine hinreißend schöne Insel im Mittelmeer, westlich von Neapel gelegen. Berühmt für seine gewaltigen Klippen und seinen eleganten Yachthafen. Hier tummeln Oligarchen sich mit Filmstars, und hoffen, dabei gesehen zu werden.

Porto Cervo:

Eine in den sechziger Jahren von Prinz Aga Khan als Rückzugsort für das Jet Set entworfene Kleinstadt auf Sardinien, an der sogenannten Smaragd-Küste gelegen.

Portofino:

Ein italienisches Fischerdorf in Ligurien, in dem heute vor allem nach Milliardären geangelt wird.

Zermatt:

Ein berühmter Skiort im schweizerischen Kanton Wallis, in dem die Reichen und Schönen sich zu Füßen des atemberaubenden Matterhorns langweilen dürfen.

Außerdem:

Barcelona, Buenos Aires, Cambridge, Cannes, Hamburg, Harvard, Ibiza, La Coruña, London, Mallorca, Mogadishu, Monte Carlo, New York City, Nice, Saint-Tropez, Tokyo.

I

Teil Eins - Ein Milliardär hat es schwer

Kapitel Eins

"Herzlichen Glückwunsch, du hast geheiratet!"

"Ähm, ja."

"Wow, endlich hast du ihr die Fragen aller Fragen gestellt, was?"

"Ja."

"Wie nett von dir, es deiner ältesten Freundin vorher zu erzählen …"

Christian hustete in den Hörer. "Tut mir leid, Jude, du weißt doch, wie Corinna über dich denkt und—."

"Tja, und du weißt genau, wie ich über Corinna denke. Ihre Eifersucht ist ja sowas von albern. Besonders jetzt, wo sie dich an die Kette gelegt hat. Sie sollte mal zum Therapeuten gehen."

"Sie ist Therapeutin."

"Deswegen ist sie ja auch verrückt. Aber egal. Stell dir mal vor, was ich für ein Gesicht gemacht habe, als deine Mutter uns am zweiten Weihnachtstag eröffnete, du hättest geheiratet. Mama, Papa … ja sogar Marianne konnte ihren Ohren nicht trauen."

"Marianne ist ein Hund."

"Das stimmt. Aber sie kennt dich länger, als du Corinna kennst."

"Das stimmt doch gar nicht. — Ach komm, mach nicht so ein Fass auf, es war doch nur das Standesamt. Wir mussten das wegen der Steuer noch in diesem Jahr erledigen. Zur richtigen Feier bist du natürlich eingeladen. Nach der kirchlichen Trauung feiern wir im Tennisklub. Am 3. Mai."

Ich musste lachen. "Kirche? Seit wann bist du denn religiös?"

"Sie will nun mal die Nummer mit dem weißen Kleid."

"Rein wie eine Jungfrau … wer’s glaubt … Also, ich komme nicht darüber hinweg. Du sagst mir nicht, dass du geheiratet hast, weil deine Freundin, nein, deine Frau der Meinung ist, ich würde auf dich stehen?"

"Und umgekehrt."

"Chrischi, ich kannte dich schon, bevor ich laufen konnte. Wäre da jemals irgendeine Anziehungskraft zwischen uns gewesen, wäre das in den letzten sechsundzwanzig Jahren vermutlich ans Tageslicht gekommen. Immerhin warst du mein Babysitter und hast mir Horrorfilme vorgesetzt, damit du in Ruhe in deinen Pornoheftchen blättern konntest. Wo ist Corinnas Problem?"

Er war einen Moment still. "Am sechzigsten Geburtstag deines Vaters …"

"Nicht schon wieder", seufzte ich. "Das ist hundert Jahre her. Meine Mutter hat mich gebeten, Leute zum Tanzen aufzufordern, und ich musste irgendwen unter fünfzig bitten."

"Sie fand es zum Kotzen."

"Ich weiß, sie hat die ganze Nacht an Deck vom Partyschiff geheult und Lilly musste sie trösten. Meine beste Freundin hat eine Januarnacht in der Kälte verbracht, weil deine irre Psychotante einen Anfall bekommen hat."

"Du warst eben total aufgetakelt."

"Was glaubst du denn, dass ich in Latzhosen bei der Geburtstagsfeier erscheine?"

"Wenn du wenigstens einen Freund hättest! Dann wäre es was anderes. Sie ist der festen Überzeugung, du bist nur Single, weil ich der einzige Mann bin, den du willst."

Ich bekam einen Kicherkrampf. "Du hast meine Austauschschülerin auf der Couch meiner Eltern gebumst."

"Ja, ich weiß."

"Während deine Schulter in einem Gips steckte und deine Hand vorne an der Brust rausguckte. — Wie könnte ich jemals mit dir ins Bett gehen wollen?"

"Ich weiß. Mann, war ich besoffen."

Wir grölten eine Runde in unsere Telefone.

"Jude, ich kann sie bestimmt dazu überreden, dich zur Feier einzuladen, wenn du einen Mann mitbringst. Ich weiß, du bist der Typ 'einsamer Wolf', aber es kann doch für ein hübsches Mädchen wie dich nicht schwer sein, irgendeinen ansehnlichen Kerl an Land zu ziehen, oder?"

"Sag ihr doch, dass ich lesbisch bin."

"Geht nicht, ich habe ihr erzählt, du hattest eine heiße Affäre mit einem Typen, als du in Cambridge warst."

"Hatte ich nicht."

"Habe ich mir ausgedacht. Siehst du, genau das ist dein Problem. Du hast kein ernstes Interesse an Männern."

"Ich finde einfach die Wenigsten von ihnen attraktiv. Ich mag keine One-Night-Stands mit Fremden und ich will nicht in irgendeine todlangweilige Beziehung reingezogen werden, in einer Dreizimmerwohnung voller Ikeamöbel und mit Sex einmal die Woche nach dem Dschungelcamp."

"Hmpf."

"Kommt dir das bekannt vor?"

In meinem Ohr tutete es.

"Ich habe einen anderen Anruf. Das ist Arbeit, da muss ich rangehen."

"Okay, Tschüss."

Mein Display sagte: "Hamburg Cruise Center - Andy."

"Hallo Andy."

"Hallo Jude. Wie waren die Feiertage?"

"Ganz gut, bis auf die Episode, wo ich meine Mutter mit einem Lebkuchen beworfen habe, weil sie nicht aufhören konnte, mich anzumeckern, da ich angeblich den Tisch so schlecht gedeckt hatte."

"Das Übliche. Ich verstehe. Bei uns hat die Katze den Weihnachtsbaum angezündet."

"Same procedure … — Also, was gibt es?"

"Hast du heute Nachmittag Zeit? Ich habe eine Gruppe von Franzosen auf der Queen Elizabeth, die eine private Tour wollen. Drei Stunden, vierzehn Personen. Ist ne Familie. Um 14 Uhr soll es losgehen."

"Geht klar. Ich versinke nicht gerade in Arbeit im Moment." Ich notierte die Informationen auf einer Cornflakesschachtel. Ich bin eben top organisiert. Während meines Telefonats mit Christian wollte ich eigentlich nebenher die Küche aufräumen.

"Was macht die Doktorarbeit?", fragte Andy.

"Mäh."

"Ich verstehe und werde nicht noch einmal fragen. Gut. Der Name deiner Kontaktperson ist Monsieur Parriaux."

"Spitze, danke Andy."

Ich legte auf und betrachtete meine kleine Küche eindringlich. Ich entschied, dass sie sich in einem annehmbaren Zustand befand, immerhin hatte ich sie in der letzten Woche kaum benutzt, weil ich mich über die Feiertage bei meinen Eltern eingenistet hatte.

Wir hatten Weihnachten wie üblich verbracht. Das heißt, in einem Zustand dauerhafter Berieselung mit Champagner, Wein, Eierlikör und so weiter, hauptsächlich mit meiner Mutter und meinem Hund auf dem Sofa zusammengekuschelt, von wo aus wir meinen Vater im Verdacht hatten, ein verkappter Homosexueller zu sein, weil er nur Filme mit Don Johnson und Hugh Grant angucken wollte. Es wurde auch gegessen. Viel zu viel gegessen.

"Zeit fürs Fitnessstudio."

Die Uhr informierte mich, es wäre Viertel nach elf. Da ich meine eigene Trödelei nur zu gut kannte, zwang ich mich ins Badezimmer. Ich sah in den Spiegel.

"Ich weiß, du bist der Typ 'einsamer Wolf', aber es kann doch für ein hübsches Mädchen wie dich nicht schwer sein, irgendeinen ansehnlichen Kerl an Land zu ziehen, oder?"

Hübsch? Gut, okay, wahrscheinlich war ich das schon, die Beweise waren ja da, aber wie jedes Mädchen war ich nicht unbedingt zufrieden mit meinem Aussehen. Mein Problem: Ich war zu blond und zu stupsnasig, um bei den Intellektuellen mithalten zu können und zu intellektuell, um den Stupsnasen-Freunden zu gefallen. Die Männer, die mich von Anfang an attraktiv fanden, hörten damit auf, kaum dass sie mein Gehirn entdeckten, während die Männer, die ich interessant fand, meistens mit kultiviert aussehenden, flachbrüstigen Brünetten endeten, die nicht unbedingt über ein Gehirn verfügten.

Diese Stadt war Schuld, beschloss ich. Dieser Hamburger Hanseaten Wahnsinn, wo alle gleich aussahen.

"Warum kann ich nicht in Paris leben? Oder in London? Oder in Los Angeles?", fragte ich mein Spiegelbild, während ich mir die Zähne putzte.

Konnte ich aber nicht, jedenfalls erstmal nicht. Vorher musste ich noch meine Doktorarbeit fertig schreiben und es fiel mir außerdem schwer, mir vorzustellen, so weit von meinen Eltern entfernt zu leben, jetzt, da sie älter wurden.

Ich hatte als Kind viel im Ausland gewohnt und als Studentin ebenfalls. Ich musste mal wieder eine Weile an einer Stelle fest verankert sein, um herauszufinden, was ich eigentlich vom Leben wollte. Außerdem musste ich etwas Geld sparen. Gott sei Dank konnte ich für die Stadtführungsagentur meiner Mutter arbeiten.

Meine Mutter ist Britin, aus Oxford und hat in Verhaltensforschung promoviert (was nicht bedeutet, dass sie weiß, wie man sich benehmen muss …). Irgendwie ist sie während ihres Studiums an meinen deutschen Vater geraten, der heutzutage an der Uni Hamburg Geologie lehrt. Früher einmal hatte er eine Menge Gastprofessuren im Ausland innegehabt. Wir waren zwei Jahre in Paris, zwei Jahre in Bologna und drei Jahre in Madrid. Für meine Sprachkenntnisse war das natürlich hervorragend. Allerdings ist es mir immer peinlich, wenn mich jemand deswegen lobt, als hätte ich irgendwas geleistet. Andere Leute können Häuser bauen und Krebs heilen. Ich kann einfach nur Fremdsprachen sprechen. Aber das war natürlich einst hilfreich, um ein Stipendium für Cambridge zu kriegen (meine Mutter wird nie darüber hinwegkommen, dass es nicht Oxford war …). Allerdings wäre ich deshalb auch beinahe von meinem englischen Internat geflogen, denn ich wurde dabei erwischt, wie ich mit dem französischen Hilfslehrer Michel aus Nantes schmutzige Filmchen angesehen habe. Hätten die gewusst, dass ich sogar meine Unschuld an ihn verloren hatte, wäre ich bestimmt rausgeflogen.

Der Gedanke an Michel brachte mich in die Gegenwart zurück. In meiner Jugend war mein Liebesleben noch sehr abwechslungsreich gewesen, in den letzten paar Jahren war mir allerdings kaum noch ein Kerl begegnet, der meine Aufmerksamkeit hätte erhaschen können. Um die Wahrheit zu sagen: Ich lebte wie eine Nonne. So schlecht war das eigentlich nicht und ich war im Grunde ein glücklicher Single. Bis jetzt.

Lodernde Wut stieg in mir hoch.

Corinna, diese blöde Kuh!

Ich nahm mein Handy in die Hand und schrieb Christian einen Text.

"Sorry, ich wollte dir das gerade erzählen, aber da kam der Anruf dazwischen: Ich habe jetzt einen Freund. Er sieht sehr gut aus, ist sehr vermögend und wir sind sehr verliebt. Sag bitte deiner Mutter nichts davon, es ist alles noch geheim. Ich bringe ihn zur Hochzeit mit, also kann Corinna sich beruhigen. Sein Name ist …"

Ich knobelte einige Namen zusammen, aber keiner wollte mir so richtig gefallen. Da tauchte im Nebel der Vergangenheit eine Erinnerung auf. Ich tippte: "Ryan Corvera-Fabergé."

Ich steckte die Zahnbürste zurück in den Zahnputzbecher und spuckte den Schaum ins Waschbecken. "Das geschieht dir recht, du blöde Ziege."

Dann runzelte ich die Stirn.

Wo, um Himmels willen, sollte ich einen superheißen, superreichen Mann herbekommen, der sich bereiterklären würde, als mein Wedding Date zu posieren?

Kapitel Zwei

Am 1. Mai hatte ich immer noch keinen superheißen, superreichen Freund, den ich zu einer Hochzeit mitbringen konnte, die in achtundvierzig Stunden stattfinden sollte.

Das Problem war allerdings, dass jeder glaubte, ich hätte einen! Christian, dieser unzuverlässige Idiot, hat natürlich seiner Mutter davon erzählt, die wiederum meiner Mutter davon erzählt hat, die total ausgeflippt ist, weil ich ihr nichts von Ryan Corvera-Fabergé erzählt habe, diesem attraktiven und wohlhabenden Diplomatensohn, den ich bei meinem letzten Besuch in Cambridge kennenlernte, der mich regelmäßig in meiner Einzimmerwohnung besuchte, und von dem eigenartigerweise keine Fotografie existierte.

Ich konnte es einfach nicht übers Herz bringen, meiner Mutter zu gestehen, dass der Mann nur erfunden war, das wäre einfach zu erniedrigend gewesen. Sie war so aufgeregt deswegen. Der einzige Weg, aus der Nummer wieder herauszukommen, war, dass Ryan Corvera-Fabergé bankrottging und eine entstellende Krankheit entwickelte. Das würde er in den nächsten sechs Monaten tun.

Meine zwei besten Freundinnen, Lilly und Tina, wussten selbstverständlich von meiner albernen Erfindung — es brachte nichts, diese beiden anzulügen — und sie schickten mir andauernd gefälschte Liebesnachrichten aufs Telefon, die mit "in ewiger Liebe, Ryan", unterzeichnet waren. Es war ein echter Running Gag.

Je näher die Hochzeit kam, desto anstrengender wurde die Sache für mich. Ich hatte eigentlich gar keine Lust mehr, auf die bekloppte Hochzeit zu gehen, aber meine eigene Blödheit hatte mich kompromittiert.

Die Idee, als totale Versagerin dort zu erscheinen, war natürlich undenkbar, deswegen war ich mittlerweile fest entschlossen, einfach nicht hinzugehen. Ich würde in letzter Sekunde absagen, weil Ryan Corvera-Fabergé bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war und ich zu seiner Beerdigung musste. Oder ein Erdbeben hatte sein Schloss zerstört. Höhere Gewalt! Tut mir leid, Leute!

"Ist das der Michel?", hauchte eine Frau hinter mir.

"Das ist die Katharinenkirche."

"Oh, ich dachte, es wäre der Michel." Sie hatte das schon beim Anblick der Petrikirche, der Jakobikirche, der Nikolaikirche und der Davidwache gehaucht.

"Nein, der Michel war die Kirche, in der wir eben das Orgelkonzert gehört haben."

"Ach, richtig."

Ich verdrehte die Augen und entdeckte mich dabei im Rückspiegel des Reisebusses, auf dessen Beifahrersitz ich saß. Blonder Pferdeschwanz, Sonnenbrille, Mikrophon in der Hand. Ich fand, ich sah ganz apart aus, für eine Stadtführerin.

"So eine schöne Stadt", hauchte die Frau nun wieder und ich vergab ihr innerlich.

Ja, es ist eine schöne Stadt, eine sehr schöne sogar.

Viele Ausländer stellen sich Hamburg als graue Hafenstadt vor, mit einem bekannten Rotlichtviertel und viel Industrie. Dabei ist es eine unheimlich grüne Stadt, voller glitzernder Flüsse und Seen, mit eleganten Villen und moderner Architektur, mit schönen Kirchen, gewaltigen Ozeandampfern und weißen Segelbooten. Es ist sauber, elegant und reich. Wer an einem sonnigen Tag um die Alster streift, wenn die Blumen in voller Blüte stehen und die attraktiven, wohlhabenden Menschen ihre attraktiven, wohlhabenden Hunde spazieren führen (oder ihre Kinder), der kann schon glauben, dass Hamburg die schönste Stadt der Welt ist. Was sie schließlich ist, jedenfalls, wenn man die Hamburger fragt — die Menschen, nicht die Brötchen (Brötchen sollten eigentlich keine Meinung haben). Das einzige Problem ist, dass es nicht besonders viel Abwechslung gibt, wenn es um Männer geht. Die sehen alle gleich aus. Wie aus einer Tommy Hilfiger Reklame. Groß, blond, mit Polohemden und an mir nicht interessiert. Oder ich an ihnen. Sie sind alle Anwälte, Banker, Makler oder … tja, eigentlich nichts. Sie sind alle Anwälte, Banker, Makler, Punkt.

Aber zurück zu meiner Geschichte.

Wir fuhren um die Außenalster, den großen See in der Innenstadt, danach über eine der fast dreitausend Brücken der Stadt, an den kleineren See, die Binnenalster, die sich direkt neben dem Rathaus befindet. Dort liegt auch das Hotel Hanseatischer Hof, an dem wir unsere Tour beendeten. Dieses Hotel ist eines der besonders traditionsreichen und wird oft in einem Atemzug mit dem Raffles oder dem Ritz genannt. Früher einmal hatte der Hanseatische Hof den adligen Passagieren der ersten Klasse gedient, die mit den Lloyd Schiffen nach Amerika übersetzten und in Hamburg auf ihre Überfahrt warteten. Nach den Kriegen war es der Spielplatz von Playboys und Hollywood-Stars geworden, während es heutzutage eher Scheichs und Oligarchen bedient, die sich in den Hamburger Werften neue Megajachten bauen lassen.

Ich liebe dieses Hotel. Die weiße Fassade, der rote Teppich, der Portier in Livree, der freundliche Concierge … Man tritt durch die Tür hinein in eine Welt des guten Geschmacks. Alles, aber auch einfach alles, hat Stil. Das Personal ist so gut geschult, man glaubt, es macht ihnen Spaß einen zu bedienen.

Ich war für die Tour vom Marketing Direktor des Hotels gebucht worden, einem Herrn Schiedemöller. Er erwartete mich in der Lobby und strahlte vor Dankbarkeit, so glücklich schien er darüber zu sein, dass ich diese Tour hatte übernehmen können — die mir 200 Euro Honorar und 50 Euro Trinkgeld einbrachte — und er fragte, ob er mich nicht noch auf ein Glas Champagner und ein paar Knabbereien einladen konnte. Einen Teller Avocado-Thunfisch-Saffran-Crisps? Hummer Chops, vielleicht? Da musste er mich nicht zweimal fragen.

Also dackelten Herr Schiedemöller, seine Assistentin, der Assistent seiner Assistentin und ich in das hoteleigene Deli, wo unsere Häppchen schon appetitanregend auf uns warteten. Es war Kaffeezeit und eine Menge gutbetuchter Hamburger hatten sich nach einem Spaziergang im Deli eingefunden, um sich mit einem heißen Getränk zu stärken, während die Kellnerinnen voller Begeisterung Bestellungen entgegennahmen, mit strahlendem Lächeln den Kuchen servierten und hingebungsvoll abkassierten.

Ich kaute hingebungsvoll auf meinen Hummer Chops und schlürfte meinen Champagner. Gerade eben unterhielt sich unser Grüppchen recht schadenfroh über die neueste Bauverzögerung der Elbphilharmonie, als die Bardame hinter mir etwas sagte, was mich beinahe in mein Glas beißen ließ: "Thank you, Mr. Corvera-Fabergé."

Ich drehte mich um und starrte. Nein, ich glotzte. Ich stierte!

Ryan Corvera-Fabergé gab es wirklich!

Also, natürlich gab es ihn wirklich und das war mir auch völlig klar, schließlich hatte ich ihn vor zwölf Jahren einmal für ungefähr fünfzehn Sekunden gesehen, auf dem Vorplatz meines Internats in England. Dort hatte er seine Schwester, Laetitia Corvera-Fabergé abgesetzt, die eine Stufe unter mir gewesen war und mit der ich in zwei Jahren kein einziges Wort gewechselt hatte. Sie hatte einfach nur "Bye, Ryan!", gerufen, als sie aus seinem Mercedes Cabrio gestiegen war.

Er war das Schönste, was ich je gesehen hatte. Und nun stand er hier, direkt neben mir. War das ein Zeichen? War hier meine Rettung? Oder war hier die Strafe für meine Hybris? Weil ich behauptet hatte, er wäre mein Freund, wobei er in Wahrheit nicht einmal von meiner Existenz wusste? Ich wusste schließlich auch nichts von ihm, außer, dass er unglaublich gut aussah, wahrscheinlich eine Menge Kohle hatte und eine Schwester namens Laetitia. Die Sache mit dem Diplomatensohn dagegen war eine reine Erfindung meinerseits. Ich hatte einfach nur seinen Namen benutzt, weil der so unglaublich nach Jetset klang. Immerhin hatte ich ihn — ein wenig verspätet — sogar gegoogelt, aber außer ein paar uralten Sportergebnissen war nichts dabei herausgekommen.

"Kennen wir uns?", sprach er in elegantestem Britisch Englisch, als wäre er direkt vom königlichen Poloturnier gekommen.

"Ach, Mr. Corvera-Fabergé!", ging Herr Schiedemöller dazwischen, mit der ganzen Grazie seiner Profession. "Miss Jansen hier ist Ihre erste Wahl, wenn Sie eine Führung durch die Stadt wünschen. Ich hoffe, Sie waren mit unserem Espresso zufrieden, er wird aus semi-fermentierten Blue Mountain Bohnen aus Java gemacht, den wir hier vor Ort in unserer eigenen Rösterei toasten."

"Aha … faszinierend, Mr …?"

"Schiedemöller. Ich bin der Marketing Direktor."

"Ah ja." Er nickte und drehte sich wieder um.

"Ich glaub, ich spinne!", japste ich.

Ryan Corvera-Fabergé wand sich erneut um und zog leicht die perfekt geschwungenen Augenbrauen zusammen. Überhaupt war alles an ihm perfekt. Er war sonnengebräunt und sein Haar war dunkel und glänzend, und seitlich gescheitelt nach hinten gekämmt, wie man es aus Modemagazinen kennt, oder wie bei Rudolph Valentino und Cary Grant, aber überhaupt nicht schmierig dabei. Sein Gesicht war aristokratisch, mit hohen Wangenknochen, einer idealen Nase (vielleicht einen Hauch gebogen), einem glattrasierten, herrlich markanten, aber auch nicht zu grobem Kiefer, einem eleganten Mund und sehr dunklen Augen, die mich unverwandt musterten. Er war groß und schlank, seine Beine waren lang, seine Hüften schmal, seine Schultern breit. Er war einer Giorgio Armani Fantasie entsprungen. Passend dazu trug er einen exquisit geschnittenen Anzug, vermutlich von einem italienischen Herrenschneider, möglicherweise Ferragamo oder Ermenegildo Zegna (das waren die einzigen, die ich kannte). Der Anzug war dunkelblau, dazu trug er ein weißes Hemd, eine bronzefarbene Krawatte und braune Schuhe, von der Art, die solche Typen immer tragen. Ihr wisst schon, die mit den Löchern drin.

"Wie meinen Sie?", knurrte er.

"N-nichts …", flüsterte ich, völlig erschlagen und unfähig, mich abzuwenden.

"Sind Sie krank?"

"Alles in Ordnung, Frau Jansen", fragte Herr Schiedemöller peinlich berührt.

Ich stand allerdings unter Schock aufgrund der Erscheinung und konnte nicht antworten. Der Gesichtsausdruck selbiger Erscheinung veränderte sich nun und zum ersten Mal schien er mich wirklich wahrzunehmen, als Person. Er lehnte sich vor. "Oh je, hatten wir etwa Sex und ich erinnere mich nicht an dich?"

Alles in mir zog sich zusammen. Es gelang mir, meinen Kopf zu schütteln und irgendwas hervorzupressen, das so ähnlich wie "nein" klang.

"Konnte ich mir auch nicht vorstellen."

Na, vielen Dank! Ich hatte mich, trotz meiner Verwirrung, für einen Augenblick geschmeichelt gefühlt, weil er die Option in Erwägung gezogen hatte.

Aber was sollte er schon von mir denken? Ich sah dermaßen spießig aus, in meinem blauen Polohemd und der dazu passenden Hose, mit Segelschuhen und einem kleinen Halstuch mit dem Hamburger Stadtwappen darauf. Außerdem war ich fast gar nicht geschminkt und meine Haare waren zu dem vorhin beschriebenen, unschuldigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Es war mein Arbeitsoutfit. Ordentlich, maritim und alles andere als sexy. Ich sah einfach nur total langweilig aus.

"Entschuldigen Sie, ich dachte, Sie wären jemand anderes", konnte ich schließlich stottern.

"Tatsächlich? Ihrem Akzent nach könnten sie durchaus jemand sein, den ich kenne."

"Ah." Er meinte mein Englisch. (Ich werde schon gelegentlich beschuldigt, ein wenig sehr "posh", also etepetete, zu klingen. Das liegt an meiner Mutter, die nun mal aus Oxford stammt.)

"Ich habe schon das Gefühl, dass wir—", begann er wieder.

"Ihre Rechnung, Mr. Corvera-Fabergé." Die Bardame reichte ihm einen Beleg.

Dann — es musste einer dieser schrecklichen Tage sein, an dem sich alle Planeten in einer Reihe aufstellten — geschah etwas viel weniger Wunderbares, dafür umso Unpraktischeres. Gott und alle seine Engel mussten einen Clown gefrühstückt haben.

"Also wirklich, Poppy Jude!" Die Stimme meiner Mutter klingelte in meinen Ohren. "Da ist Ryan schon lange in der Stadt und du hast es nicht für nötig gehalten, mir davon zu erzählen. — Hallo, ich bin Poppy Judes Mutter, Imogen Jansen."

"Mama, nenn mich nicht so", sagte ich reflexartig, noch bevor das Ausmaß des Geschehens mein Bewusstsein erreicht hatte.

"Nun, Darling, es ist dein Name und ich finde, weder deine Großmutter, noch Paul McCartney haben es verdient, dass du sie so ablehnst. Paul ist übrigens Stammgast hier."

"Hätte ich es nicht gewusst, ich hätte es erraten. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Wie geht es Ihnen, Mrs. Jansen?" Ryan Corvera-Fabergé nahm die Hand meiner Mutter.

Ich sah mich um. Irgendwo mussten hier versteckte Kameras sein, das war die einzige Erklärung.

"Ach, nenn mich Mo", bat meine Mutter. "Kein Grund für Formalitäten. Wohnst du hier? Oder bist du nur hergekommen, um Poppy Jude von der Arbeit abzuholen? Deswegen bin ich nämlich hier. Ich dachte, vielleicht hat Herr Schiedemöller mal wieder Schampus übrig."

"Ich wohne hier."

"Sieh mal einer an …" Meine Mutter rammte vermeintlich unauffällig ihren Ellenbogen in meine Seite. "Ich fürchte, das Hochzeitslokal kann da nicht mithalten. Corinnas Familie ist nun mal nicht besonders … na gut, das sagt man nicht. Aber meine Freundin Sybille und ihr Mann tragen den Hauptteil der Kosten. Poppy Jude hat dir das sicher schon alles erzählt. Auf jeden Fall freut es mich sehr, dich endlich kennenzulernen."

"Oh, dito", schnurrte das schöne Geschöpf neben mir, eigenartig selbstzufrieden. "Ich kann es kaum erwarten, mit Poppy Jude durch den Saal zu schweben. Eigentlich wollten wir gerade in meine Suite schweben, aber nun, da du da bist, können wir das wohl nicht, oder Schätzchen?"

Schätzchen?

Was soll ich sagen, ich konnte weder atmen, noch denken, und sehen konnte ich eigentlich auch nichts mehr.

"Iwo! Kein Problem, meinetwegen nicht", widersprach meine Mutter fröhlich. "Ich habe in zehn Minuten den nächsten Termin. Ich wollte ja nur auf ein Glas vorbeischauen. Wir haben doch bei der Hochzeit alle Zeit der Welt, die Gesellschaft wird schon langweilig genug sein."

Herr Schiedemöller, der die Situation still und professionell beobachtet hatte, kam zu seiner eigenen Einschätzung der Lage.

"Hallo, Frau Jansen Senior. Haha, ich glaube, ihre Tochter hatte keine Ahnung, dass ihr Verlobter angereist ist. Sie war vollkommen überrumpelt."

"Eine Überraschung. Wie süß!"

Ryan Corvera-Fabergé lächelte gewinnend. "Ja, so bin ich. Was ich nicht für meine Poppy Jude tue … Sollen wir mal hochgehen, Honey?"

Er nahm mich beim Arm und manövrierte mich durch das Deli bis zum Fahrstuhl, während meine Mutter und Herr Schiedemöller vielsagend grinsten.

Die Türen des Fahrstuhls schlossen sich.

"Na also, Poppy Jude …"

"Ich— äh."

Ich konnte nichts weiter sagen, weil er einen Schritt auf mich zugemacht hatte und mich ohne weitere Umschweife gegen die Wand schob. Eine Hand packte mich am Kinn und hob mein Gesicht nach oben.

"Lassen Sie mich los!", kreischte ich und schlug mit den Fäusten gegen seine Brust.

Er ließ sofort von mir ab, grinste und spaltete damit den Himmel entzwei. "Was, Poppy Jude? Ist das nicht im Skript? Werde ich nicht für meine Kooperation belohnt? Oder öffnest du die Beine nur für dein Cello?"

"Sie wissen, wer ich bin!", bellte ich, nicht gerade ladylike.

"Nun, nicht gleich von Anfang an. Ohne Cello und Schuluniform habe ich dich nicht erkannt. Aber als ich deinen Namen hörte, wusste ich Bescheid. Was für ein Name für ein Mäuschen, das breitbeinig auf der Bühne sitzt. Poppy Jude Jansen spielt Beethoven. Jeder Mann im Publikum des St. Cecil Weihnachtskonzertes hat dein Instrument beneidet. Sogar Beethoven."

Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich wieder.

Die Kaisersuite.

"Komm mit."

"Bestimmt nicht!", rief ich.

"Jetzt hab’ dich nicht so, ich werde dich bestimmt nicht vernaschen. Ich will nur die Geschichte unserer Liebe hören."

Ich zögerte.

"Das schuldest du mir."

Ich nickte und watschelte in die Suite.

Kapitel Drei

Die Suite war enorm, aber ich kannte sie schon, da ich sie einmal mit einer Gruppe italienischer Reisejournalisten besichtigt hatte. Sie war ganz in mitternachtsblau, pastellgelb und Rosenholz gehalten.

Er führte mich in das Wohnzimmer.

"Bitte setz dich." Er deutete auf einen Sessel, der mit gestreifter Seide bezogen war, und ließ sich selbst auf der dazugehörigen Couch nieder, mit dem linken Arm über der Lehne und dem rechten Bein über das Linke gekreuzt.

Ich setzte mich hin und faltete die Hände im Schoß, um besonders seriös zu wirken. Schließlich würden gleich die Leute von "Verstehen Sie Spaß" um die Ecke kommen, mit Tina und Lilly im Schlepptau, die sich schlapp lachten.

Er lächelte nicht mehr. Stattdessen betrachtete er mich ruhig.

"So, Poppy Jude, dann erzähl mal. Haben wir hier einen ernsthaften Stalking-Fall vorliegen? Muss ich meine Anwälte anrufen?" Seine Zunge berührte ganz kurz seine Oberlippe und ein Blitzschlag durchfuhr mich.

"Nein, nein, nein, nein, nein. Ganz und gar nicht. Es ist eine total alberne Geschichte und es tut mir wirklich leid." Ich schlug die Hände vors Gesicht.

"Erzähl."

"Was?"

"Bitte klär mich doch darüber auf, wie du dazu gekommen bist, meinen Namen zu missbrauchen und zu behaupten, ich wäre dein Verlobter."

"Das nicht", sagte ich hastig. "Ich meine, keine Sorge, wir sind nicht verlobt."

"Jetzt bin ich aber erleichtert."

"Es ist alles Corinnas Schuld, wissen Sie?"

Er setzte sich so hin, dass er mir direkt gegenübersaß, lehnte sich nach vorn und stützte die Unterarme auf seinen Oberschenkeln ab. Seine funkelnden Augen bohrten sich in meine.

"Nein, weiß ich nicht. Warum fängst du nicht von vorne an?"

Ich schluckte und schloss die Augen.

Mein Bericht war zunächst stockend, aber nach einer Weile wurde es besser. Als ich fertig war, glaubte ich, einen Hauch von Verständnis in seinen regungslosen Zügen zu entdecken (irgendwann muss ich die Augen wohl wieder aufgemacht haben).

"Warst du damals in mich verknallt? Während der Schulzeit?"

Ich schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht. Ich habe Sie— ich habe dich doch nur ganz kurz gesehen und danach gleich wieder vergessen. Ich konnte mich nur noch an deinen Namen erinnern. Der ist nun mal sehr besonders."

Ich hatte nicht vor, ihm zu erzählen, dass er mich damals komplett umgehauen hatte, in den fünfzehn Sekunden vor zwölf Jahren.

"Ich verstehe. Du hast mich also nie bei den Weihnachtskonzerten gesehen? Meine Mutter hat mich immer gezwungen, hinzugehen. Für die Familie. Es war grauenhaft."

"Nein, ich war wahrscheinlich mit anderen Sachen beschäftigt."

"Womit?"

"Keine Ahnung. Mit Teenagerproblemen."

"Du sahst irgendwie anders aus. Ich glaube, da war mehr Lidschatten und Lippenstift im Spiel, kann das sein? Du hast damals älter ausgesehen, als jetzt."

"Ich war fünfzehn", erklärte ich. "Ich habe praktisch in Make-up gebadet."

Er hielt einen Moment inne. "Ich vermute, es ist ziemlich ungünstig, dass ich aufgetaucht und gleich noch deiner Mutter in die Arme gelaufen bin."

"Ziemlich."

Sein Mund zuckte. "Ich denke, es ist ein typischer Fall von einer Bestellung beim Universum. Man muss vorsichtig sein, was man so heraufbeschwört."

"Ich habe dich bestimmt nicht bestellt, das verspreche ich dir."

Er hob die Augenbrauen. "Wie wärst du mich denn wieder losgeworden? Ich meine, wie hättest du meine Abwesenheit erklärt?"

"Du wärst mit deinem Privatflugzeug abgestürzt."

"Sehr verlockend."

Ich verzog das Gesicht. "Tut mir leid."

"Verrate mir eins, Poppy Jude. Bist du in diesen Christian verliebt?"

"Grundgütiger, auf gar keinen Fall. Außerdem heiße ich Jude, einfach Jude. Niemand nennt mich Poppy Jude. Nur meine Mutter." (Ich überlegte, ob ich ihm die Bedeutung des deutschen Wortes "poppen" erklären sollte, aber ich entschied mich dagegen. Warum dürfte ja wohl klar sein …)

"Na gut, Jude. — Aber bist du dir sicher? Willst du ihn nicht davon überzeugen, dass eigentlich du die richtige Frau für ihn bist? Du weißt schon, wie in diesem Julia Roberts Film? Wo diese andere Schauspielerin ihren besten Freund heiratet?"

"Cameron Diaz. Nein, es ist nichts dergleichen."

"Gut. Denn ich bin nicht schwul."

"Das ist deine Sache."

"Ja, aber in dem Film überredet Julia Roberts ihren schwulen Kumpel dazu, sich als ihr Lover auszugeben."

"Ja, stimmt."

"Aber ich bin nicht schwul."

"Na und?"

"Immerhin komme ich ja als dein Date mit auf die Hochzeit, da dachte ich, ich kläre dich darüber auf."

"Wie bitte?" Ich sprang auf.

"Setz dich wieder hin. Natürlich komme ich mit. Ich stecke hier bis Montag fest und habe nichts zu tun. Du kommst mir gerade recht. Ich kann eine Hochzeit crashen, Kuchen, Alkohol, schlechte Musik …"

Ich starrte ihn mit offenem Mund an.

"Ich brauch einen Tux. Habe keinen mitgebracht."

Ich wusste nicht, was er meinte. War das irgendein Getränk? Dann klickerte es. Tuxedo. Smoking. "Nein, nein, ein normaler Anzug ist völlig ausreichend."

"Ich muss doch den Bräutigam übertrumpfen, oder nicht?"

Nun, da sollte er keine Schwierigkeiten haben. Überhaupt keine.

Etwas vibrierte.

Er fummelte in seiner Jackentasche und brachte ein Smartphone hervor. "Wie lustig …". Seine Augen blitzten. Er erhob sich und ging zum Fenster herüber. "Hola Hermana!"

Spanisch. Hallo, Schwester.

Okay, der Nachname hatte da schon sowas suggeriert, oder? Ich wusste ja nichts über seine Herkunft. Warum sollte ich? Seine Schwester war mir zu Schulzeiten völlig egal gewesen. Wer schert sich schon um Leute aus niedrigeren Stufen?

Da ich im Allgemeinen sehr scharfe Ohren habe, konnte ich durch den Hörer einige Wortfetzen mithören. Irgendwas mit einer Party und Sardinien. Aber sicher war ich nicht.

Dann sprach er.

Ich werde das mal direkt übersetzen und das einfügen, was ich von ihrer Seite noch verstehen konnte.

"Rate mal, wen ich gerade getroffen habe."