Trends 2015 - Gerd Gerken - E-Book

Trends 2015 E-Book

Gerd Gerken

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Beschreibung

Diese Zukunftsprognose wurde 1995 von Gerd Gerken und Michael-A. Konitzer erstellt. Die bekannten Trendforscher haben Hunderttausende von Fakten und Daten analysiert, weltweite Entwicklungen und lokale Trends ausgewertet. Nun ist es an der Zeit zu prüfen, mit welchen Vorhersagen sie richtig lagen und welche Entwicklungen noch auf sich warten lassen. Es ging ihnen um die Zukunft des Denkens, der Liebe, des Sex, der Arbeit, des Autos, der Demokratie …

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Seitenzahl: 380

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Gerd Gerken | Michael A. Konitzer

Trends 2015

Ideen, Fakten, Perspektiven

FISCHER E-Books

Inhalt

I Schöne neue Welt – Einleitung für die Zukunft1. Merksatz: Die Zukunft ist kein Schicksal2. Merksatz: Die Zukunft ist nicht beherrschbar3. Merksatz: Zukunft heißt stets Abschied nehmen4. Merksatz: Die Zukunft ist komplex5. Merksatz: Die Zukunft ist bipolar6. Merksatz: Zukunft ist Werden7. Merksatz: Begegne der Zukunft «gleich-gültig»8. Merksatz: Zukunft ist immer auch das Gegenteil9. Merksatz: Zukunft ist Verantwortung10. Merksatz: Die Zukunft ist anstrengend11. Merksatz: Zukunft braucht Energie12. Merksatz: Zukunft ist TranceII Die telematische Gesellschaft – Zukunft der TrendsDer neue NarzißmusDer neue Gesellschafts-TypDer telematische Prozeß von 1989Die gesellschaftliche ZerebralisierungTrend schlägt TrendDer langsame deutsche WegDie Probleme der TelematikIII New Edge – Zukunft des DenkensFaszinosum 1: Realität entsteht aus dem NichtsFaszinosum 2: Die Fantasy-Bank ist weltweit vernetztFaszinosum 3: Absichtslos wird man zum SchöpferFaszinosum 4: Die grenzenlose Freiheit des ChaosFaszinosum 5: New Edge schafft eine neue RomantikFaszinosum 6: Das neue Denken siegtFaszinosum 7: Die Wirksamkeit von GlamourFaszinosum 8: Die neue Pop-Edge-KulturFaszinosum 9: Das offene Staunen der GegnerIV Die Hyperrealisten kommen – Zukunft des MindsDas Ende der PsychologieZukunftskonzept Multi-MindDie Realität der HyperrealistenBefriedung durch «Gleich-Gültigkeit»Der große deutsche WertewandelDer Kampf um ein starkes IchWege zu einem starken IchDie Chancen der HyperrealistenV Die Generation von morgen – Zukunft der Generation XDer Machtkampf der GenerationenLeben im ZukunftspessimismusPragmatisch und mediensüchtigFit for funVI Die Liebe auf Probe – Zukunft der LiebeDie drei LiebesphasenDie materielle LiebeDie romantische LiebeDie evolutionäre LiebeDie evolutionären Programme1. Programm: Das neue Liebes-Ideal2. Programm: Die neue Partnerschaft3. Programm: Der neue Sex4. Programm: Liebe auf ZeitDie Basis der evolutionären LiebeBeispiele für evolutionäre LiebeDie Kinder der evolutionären LiebeDie Perspektive der evolutionären LiebeVII Cybersex und Sexpeace – Zukunft des SexDie Kultivierung des Perversen1. Trend: Sex ohne Liebe2. Trend: Professionalisierung des Sex3. Trend: Neue monströse Sexideale4. Trend: Pluralisierung der Intimbiographien5. Trend: Das Spiel der Geschlechter6. Trend: Sexualisierung des Feminismus7. Trend: Recht auf Leidenschaft8. Trend: Sexpeace statt Greenpeace9. Trend: Eskalation der Sexsüchte10. Trend: Genußvoller AlterssexHyper-Sex und Do-it-yourselfFlucht vor dem SexVIII Das große Nagual – Zukunft der FreizeitDie Befreiung vom IchJe enger, desto besserDas Hohelied der AnimationDie vier Megatrends der Freizeit-ZukunftDer neue Urlaub zu HauseDie Hotels der ZukunftUrlaub von der EheReisen in die Cyber-WeltKultische Aggressions-SpektakelDie ewige SozialisationIX Media goes Multimedia – Zukunft der MedienDas Multimedia-SzenarioDie News-ProviderDie globale Netzwerk-WeltDas Ende des gedruckten WortesSoziales Leben ohne WagnisLebenslanges LernenNachricht der ZukunftMedienmoden und -hysterienDas Ende der KritikDas TV der ZukunftAngst vor der MedienzukunftX Bewußtsein durch Cyber – Zukunft der KunstDie Überwindung der klassischen KunstDie Entmaterialisierung der KunstMalereien mit luminösem LichtKunst-Netzwerke der HypermedienDer Künstler schafft BewußtseinDer Vermittler des ErhabenenDer Bereiter der EkstaseComputation und ErfindungDie Brücke zur Gaia-KulturKunst schafft den Kitsch des LebensKunst als RauschmittelDie Kunst der SelbstprovokationIntelligente KunstXI The Body Show – Zukunft des SportsRekordsuchtPsychodopingProblemfall DopingSchleichende KriminalisierungNeuer Ultra-TeamsportSport als SeifenoperDie neuen SpeedwettkämpfeDie Sport-Robotic-ClownsDer erotische Pin-up-SportSport ohne SportVirtuelle Cyber-SportsSport als MedikamentSport fürs Psycho-DesignXII Spaß muß sein – Zukunft der ArbeitDas SzenarioDas wahre ArbeitspensumFleiß als ZüchtigungsmittelWork smarter, not harder!Virtuelle Arbeit für virtuelles GeldArbeit als SpiritualitätInflation der ArbeitszeitDas Elend der Junk-FreizeitDie 168-Stunden-WocheErste Kategorie: Die ProduktionsarbeiterZweite Kategorie: Das Challenge-SystemDritte Kategorie: Die EdeljobberZurück ins ParadiesXIII Family Busineß – Zukunft der FirmenDie positiven BeispieleSozio-Sound und PartizipationDer steigende Bedarf an FamilyJede Familie ist andersDie GlaubensgemeinschaftenDas Frauen-KonzeptHelles ManagementDas Partizipations-ModellDer Entrepreneur-TrendXIV Interfusion – Zukunft des MarketingsZur Geschichte des MarketingsMultioptionale GesellschaftDas Zeitalter des IndividualismusDie neue Kommunikation mit SzenenDie Symbiose von Konsument und ProduzentBeispiele für InterfusionDie Produktion von ZeitgeistEine dauerhafte BeziehungDie ZukunftsperspektiveXV Ode an den Code – Zukunft der WerbungDer Konsument als ProduzentDie Anti-Werbungs-AllergienDie Evolution der WerbungDas Instrumentarium der ZukunftBeziehungskulteTrendproduktionSelfwareSyncodingDie Epoche nach dem Tod der Werbung1. Das Ende der Schleichwerbung2. Der Boom der Pay-Medien3. Datenräume als Medium4. Datenräume als Dienstleistung – Augmented Reality (AR)5. SzenensponsoringDie Märkte der Werbung der ZukunftDie Zukunft der AgenturenXVI Der Stoff, aus dem Gefühle sind – Zukunft der ModeDie virtuelle ModeVirtuelle EkstaseFetisch & TotemIch-DesignDie neue GefühlsmodeMode der Zukunft – weitere Trends1. Trend: Mode codiert den öffentlichen Diskurs2. Trend: Mode als Akt der Selbsterfindung3. Trend: Totem der Selbstliebe4. Trend: Mittel zur Selbstverzauberung5. Trend: Neue Exklusivität der Luxus-Avantgarde6. Trend: Das Ende der Designer-Macht7. Trend: Die Safety- und Nimbus-Mode8. Trend: Die immergültige Perma-ModeLangfristige Vision: Cyber-ModeXVII Faster times, faster food? – Zukunft der Ernährung1. Trend: Synthetic-Food2. Trend: Narzißmus-Food3. Trend: Vegetarismus4. Trend: Grazing5. Trend: Konsumenten-Macht6. Trend: Neue Ehrlichkeit7. Trend: Brainfood8. Trend: Neo-Rohkost9. Trend: High-Tech-Natürlichkeit10. Trend: Pop-EssenXVIII Der Fetisch der Mobilität – Zukunft des AutosDie technische Evolution1. Das automatisierte Auto2. Die Energie-Intelligenz des Autos3. Das Multioptions-Car4. Das Unikat-Auto5. Die Entmachtung des FahrersDer soziale Sprengstoff1. Der Null-Tote-Boom2. Pay-Traffic3. Die Wiedergeburt der StraßeDer neue MarktXIX Der Mythos des Homunculus – Zukunft der GentechnologieDer ZukunftsmythosDie Einflugschneisen1. Genetische Krebstherapien2. Welthunger3. Die Sucht nach Schönheit4. Der Kampf gegen das Alter5. Gentechnische Arzneimittel6. Gen-Tech als ökologisches Hilfsmittel7. Genetisch erzeugte EnergieträgerDie Ängste1. Der Gen-GAU2. Gene als Waffe3. Die Monopolisierung des Saatgutes4. Der Rückgang der Artenvielfalt5. Die Macht der Gen-Elite6. Der Homunculus7. Der gläserne Mensch8. Die Drohung der EugenikDie genetische VerantwortungDer neue Homo Super SapiensXX Schluß mit Bambi – Zukunft der ÖkologieDie Ein-Prozent-NaturDie kosmische AbsichtDer achte SchöpfungstagDas Elend des VerzichtsDie Man-made-NatureDie integrative DemutDie Überwindung des SchuldsyndromsDer ökologische GenerationenkonfliktXXI Mülltopia – Zukunft der EntsorgungZukunftsszenarium EinkaufDer drohende Müll-KollapsDie abfallfreie GesellschaftXXII Die freie Spiritualität – Zukunft der ReligionenDie drei Dilemmas des Christentums1. Dilemma: Der Glaube macht nicht selig2. Dilemma: Macht euch das Paradies untertan!3. Dilemma: Ihr Kinderlein kommet!Jeder ist sein eigener GottMichael Jackson SuperstarDas Ende der KonfessionenDas Instrumentarium der freien SpiritualitätDie neuen ReligionenDie Chaos-GruppeDie heiligen NarrenReligion der SelbsterleuchtetenEklektizistikerChanneling-CirclesXXIII Das Ideal und der Ekel – Zukunft der DemokratieDie BestandsaufnahmeDie Macht der StraßeDas Worst-Case-SzenariumDie Demokratie nach der DemokratieDie partizipative DemokratieDie kreative DemokratieFazitXXIV Neuentwürfe einer Ideologie – Zukunft der IdeologienDie Systemfehler des KommunismusDie Kraft der amerikanischen MythenweltDie Ideologie der ZukunftThese 1: Es wird wieder zu einer Ideologisierung kommenThese 2: Diese neue Ideologie wird der Optionalismus seinDie Welt des OptionalismusDie Simuli-KulturDer Streß des OptionalismusOptionalismus kontra KommunismusXXV Wir werden Schamanen, die träumen – Zukunft der Zukunft1. Das öffentliche Bildungswesen stirbt, damit wir besser lernen können2. Spontane Gemeinschaften lösen die Massengesellschaft auf3. Die Ära der zentralen Steuerung wird endgültig zu Ende sein4. Neue Formen des Konsenses beenden das leere Palaver der Politik5. Die Büros der Unternehmen sind dort, wo die Angestellten wohnen6. Netzwerke erzeugen virtuelle Familien7. Das Sterben der Massenmedien beginnt8. Neue Technologien sind wichtiger als grüne Ideale9. Das gläserne Leben führt zur positiven Anarchie10. Der Friede wird sich langsam, aber deutlich ausbreiten11. Eine kulturelle Renaissance liegt vor uns: Leben wird zur KunstDie Essenz der PrognosenEine neue Vergangenheit, Gegenwart und ZukunftDie unseriösen ModenDas Verschwinden der ÖffentlichkeitDie virtuellen NebenweltenDer Mensch als Song-LineDas pralle Leben im CyberspaceVirtualität als Sucht

I Schöne neue Welt – Einleitung für die Zukunft

Dieses Buch hätte ebensogut «Brave New World» oder «Schöne neue Welt» heißen können. Leider sind diese Titel bereits an Aldous Huxleys zukunftskritischen Roman vergeben.

«Schöne neue Welt» klingt positiv und gerade deshalb provozierend, denn gemeinhin – und besonders hierzulande – werden mit der Zukunft eher Adjektive wie «unsicher, unwägbar, risikoreich und gefährlich» in Verbindung gebracht. Schließlich bedeutet die deutsche Volksweisheit «Früher war alles besser» in ihrer Umkehrung nichts anderes als «In Zukunft wird alles schlechter».

Hätten wir die freie Wahl, würden wir uns aber letztlich für den englischen Titel «Brave New World» entscheiden, der die Intention des vorliegenden Buches über die Zukunft noch genauer trifft. «Brave» heißt wörtlich übersetzt nicht «schön», sondern «tapfer, mutig, unerschrocken», außerdem «stattlich, ansehnlich» – und Mut und Unerschrockenheit sind zwei Zukunftstugenden, die wir mit diesem Buch vermitteln wollen. Durch sie kann die Zukunft durchaus «ansehnlich» oder gar «stattlich» werden.

Denn Zukunft will gestaltet werden. Nicht nur von Machern, sogenannten Entscheidern oder selbsternannten Verantwortlichen. Nein, sie ist die Sache eines jeden einzelnen. Und damit sind wir in unserem Einführungskurs «Zukunft für Anfänger» beim ersten wichtigen Merksatz angelangt:

1. Merksatz: Die Zukunft ist kein Schicksal

Zukunft ist nicht vorgegeben, sie wird gemacht – von jedem einzelnen Menschen. Als Slogan formuliert: «Die Zukunft sind wir!»

Natürlich kann man die Welt nicht stets neu erfinden, natürlich gibt es Prämissen und Konstanten. Aber die Zukunft bietet immense Freiräume, die – unter Berücksichtigung der Gegebenheiten – sehr unterschiedlich gestaltet werden können. Positiver oder negativer. Schöner oder häßlicher. Sympathischer oder widriger. Aggressiver oder friedlicher. Angenehmer oder anstrengender. Farbiger oder eintöniger. Lebendiger oder langweiliger.

Um Zukunft kompetent (mit)gestalten zu können, braucht man Informationen über Möglichkeiten, Vorbedingungen und Optionen, damit man Alternativen und Konsequenzen künftiger Entwicklungen ausloten kann.

Genau das ist das Anliegen dieses Buches. In den folgenden Kapiteln werden Prognosen zu den unterschiedlichsten Themen und Fachgebieten gewagt, Optionen geschildert und verschiedene Wahlmöglichkeiten aufgezeigt.

Wer wirklich offen sein will für die Zukunft, sollte bestimmte mentale Voraussetzungen erfüllen. Man sollte eine echte Bereitschaft mitbringen, sich auf die Zukunft einzulassen. Man braucht Toleranz, um absehbare Entwicklungen und feste Gegebenheiten zu akzeptieren. Man muß lernen, die Optionen zu sehen und seine eigene Rolle in diesem Spiel mit der Zukunft zu definieren. Und man muß mental fit für die Zukunft sein. Wie ein Weg zur richtigen mentalen Disposition aussehen, wie man sich wirklich offen auf die Zukunft einlassen kann, das wollen wir an dieser Stelle kurz skizzieren.

Gerade wir Deutsche tun uns mit dem Thema «Zukunft» besonders schwer. Ohnehin ist weltweit kaum eine andere Kultur derart vergangenheitsfixiert wie die christlich-europäische, und die Deutschen sind auch in dieser Disziplin die Musterknaben. Kein anderes Land ist so geschichtsfixiert. Kein anderes Land hat im Verhältnis so viele und eifrige Archäologen hervorgebracht. Kaum ein anderes Land stellt so viele Kulturdenkmäler unter Denkmalschutz wie wir. Welcher Raum für Zukunft wird so (buchstäblich) verstellt!

Wie es anders geht, machen die asiatischen Kulturen vor: Dort pflegt man lieber Traditionen, anstatt frühere Epochen in Bauwerken und Museen zu konservieren. Das überlieferte Wissen – zum Beispiel um alte Bautraditionen und Handwerkskunst – wird dort von Generation zu Generation weitergegeben und lebendig erhalten, während wir meist nur die versteinerten Relikte früherer Denk- und Lebensweisen mühsam (und manchmal nur dank modernster Bautechnik) bewahren.

Zur deutschen Geschichtsfixierung kommt erschwerend der Hang zur Vergangenheitsverklärung hinzu – die eher allgemeinmenschliche Neigung, alle unangenehmen Dinge wie Blamagen, Peinlichkeiten, Enttäuschungen und Probleme aus dem Bewußtsein zu verdrängen. Dieser lebensrettende Mechanismus schützt uns vor Depressionen und Verzweiflung, indem er uns die Gnade des Vergessens und Verdrängens zuteil werden läßt, doch er hat eine unangenehme Nebenwirkung: die chronische Verklärung alles Vergangenen, die uns die Zukunft in einem eher düsteren Licht erscheinen läßt.

Wir haben es nicht gelernt, in die Zukunft mit einer ähnlich positiven mentalen Einstellung zu blicken wie in die Vergangenheit. Unsere Psyche hat hierfür nie einen Mechanismus entwickeln müssen, da «Zukunft» in den Generationen vor uns kaum erlebbar war. Zu gleichförmig war der Lebenslauf – Moral und Werte, Religionen und Gebote, Traditionen und Standesregeln machten die Gesellschaft so starr, daß der einzelne in seinem Leben kaum einen Wandel spürte. Zukunft fand schleichend, in Superzeitlupe, statt.

Wir sind nun die erste Generation, die nicht nur einen Wandel in ihrem Leben erlebt, sondern für die der stete Wandel zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Als erste Menschheitsgeneration haben wir die Chance, mehrere Leben nacheinander, ja sogar nebeneinander zu leben. Viele ächzen unter diesem Privileg. Wer es aber zu genießen versteht, wird diese Chance als Gnade erleben.

Der Grund für diese Entwicklung: Alle Werte sind – oder werden – verbannt, alle Regeln aufgehoben. In Deutschland ist dieser Prozeß so weit fortgeschritten wie in kaum einem anderen Land. An die Stelle der Werte ist der stete Wandel, eine ununterbrochene, immer schneller fließende Kaskade von Trends, Innovationen – technischen und sozialen – und gesellschaftlichen (Mikro-) Hysterien getreten.

Wir erleben nicht nur Zukunft, sondern überdies ihre Beschleunigung und Zersplitterung. Das verwirrt, irritiert und macht angst, weil nichts mehr überschaubar, geschweige denn beherrschbar ist. Um diese Angst zu überwinden, müssen wir lernen, eine positive mentale Einstellung zu unserer Zukunft zu entwickeln. Der erste große Lernschritt in diesem Prozeß läßt sich im folgenden Merksatz zusammenfassen:

2. Merksatz: Die Zukunft ist nicht beherrschbar

Zukunft kann allenfalls beeinflußt und minimal gesteuert werden, und auch das nur, wenn man sich von der Illusion verabschiedet hat, die Zukunft beherrschen zu können. Die Zukunft ist immer nur das Konglomerat unterschiedlichster Entwicklungen, Bedürfnisse, Zusammenhänge, Zielvorstellungen und Ereignisse. Nicht zufällig sind in den letzten Jahren etliche Ideologien, die die Welt erklären und aufgrund dieser Erkenntnisse steuern wollten, gescheitert und untergegangen. Weitere werden folgen. Der französische Diplomat und Politologe Jean-Marie Gu’henno erregte mit seinem Buch «Das Ende der Demokratie» großes Aufsehen – und erntete für seine Thesen nur lahmen Widerspruch. Selbst ein Heiligtum wie die Demokratie ist in die Diskussion geraten. Was uns zu einem weiteren Lernschritt führt:

3. Merksatz: Zukunft heißt stets Abschied nehmen

Wir müssen uns nicht nur von Vergangenheit und Gegenwart, sondern damit auch von vielen liebgewonnenen Gewohnheiten verabschieden. Im Gegenzug werden wir so aber auch von vielen negativen Erscheinungen befreit. Trennen müssen wir uns vor allem von jeder Linearität, von allen geradlinigen, logischen, schlüssigen Entwicklungen und Plänen. Unsere Welt ist längst so komplex, so widersprüchlich, so sehr international vernetzt, daß kein einzelner mehr seinen Willen oder seine Ideen durchsetzen kann.

Doch wir sollten den festen Werten, Normen und Traditionen nicht nachweinen, da die vermeintliche Sicherheit, die sie boten, auf Denkverboten und Unfreiheit basierte.

4. Merksatz: Die Zukunft ist komplex

Daher gibt es kein absolutes «Richtig» und kein absolutes «Falsch» mehr, kein eindeutiges «Gut» oder «Böse», kein einfarbiges «Schwarz» oder «Weiß». Alles ist komplex.

Gern wird in diesem Zusammenhang das «Chaos» beschworen, eines der schlimmsten Wörter in unserer so sehr die «Ordnung» liebenden Kultur. Fast wird das Chaos mit dem biblischen Fegefeuer oder Dantes «Inferno» gleichgesetzt und folglich mit Verdammung und Untergang. Doch das ist falsch. Chaos ist nichts anderes als eine «Ordnung, die wir noch nicht verstehen». So jedenfalls definiert die Chaosforschung diesen Begriff – und erklärt damit das Chaos zu einem der spannendsten Bezugspunkte der Zukunft. Denn deren Geheimnisse gilt es zu enträtseln. Das wiederum setzt voraus, daß man sich – auch persönlich – darauf einläßt.

Die Zukunft ist komplex. Das heißt auch, daß es keine (eindeutige) Wahrheit mehr gibt, sondern nur noch (viele verschiedene) Wahrheiten – kurzfristige Wahrheiten, die jeweils nur für den Moment, die jeweilige Situation und die daran Beteiligten gültig sind. Diese Wahrheiten schweben irgendwo in dem weiten Feld zwischen den jeweils möglichen Wertextremen. Denn unsere Wirklichkeit fluktuiert immer zwischen zwei möglichen Polen.

5. Merksatz: Die Zukunft ist bipolar

Wir müssen Abschied nehmen von allen Analogien. Wir sind mittendrin im digitalen Zeitalter. Dort findet alle Wirklichkeit in einer fortwährend wechselnden Mischung statt, im unendlichen Mix aus binären Codes, die aus den Zahlen «0» und «1» bestehen. Plus und Minus existieren weiterhin, die Wirklichkeit aber ist ein fluktuierendes Konglomerat aus beiden Extremen. Die Welt pendelt stets und unabänderlich zwischen zwei Polen. Beide sind wichtig, aber keiner von beiden allein ist die Wahrheit. Ein Beispiel: Die Aussage «Die Zukunft wird schön!» stimmt nicht. Die Zukunft wird aber ebensowenig «schrecklich». Irgendwo zwischen diesen beiden Polen liegt die Wahrheit oder, genauer gesagt: Sie «liegt» nicht, sondern befindet sich ununterbrochen in Bewegung, sie fluktuiert. Es kommt eben ganz darauf an, was wir mit der Zukunft machen (und für sie tun).

Die Welt ist dual, sie ist bipolar. Daher müssen wir uns, wollen wir fit für die Zukunft sein, ein duales, bipolares Denken aneignen. Hat man diese Vorstellung erst einmal akzeptiert, erlebt man schnell ein schlimmes Dilemma. Was ist nun mit all dem, was man früher für gut oder für schlecht gehalten hat? Wertemäßig ist einem ab sofort der Boden unter den Füßen weggezogen. Alles ist im Fluß.

6. Merksatz: Zukunft ist Werden

Wer meint, irgend etwas in unserer Welt sei fix und habe Bestand, der macht einen Kardinalfehler. Unser gesamtes Universum ist niemals starr, es ist immer in Bewegung, seit jeher im Werden. Wer das nicht sehen will, der «verleugnet sich selbst», wie es der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Gerd Binnig in seinem Buch «Aus dem Nichts» ausdrückt. Seine Begründung: «Ohne Evolution gäbe es kein Leben und keine Menschheit»; ohne Evolution kein Urknall, keine Teile, keine Atome, keine Bakterien, keine Materie, keine Erde, kein Wasser, keine Gase, kein Sauerstoff, keine Atmosphäre, keine Pflanzen, keine Lebewesen, keine Tiere, keine Menschen. Und die Evolution hört nie auf, im Gegenteil – sie beschleunigt sich sogar. Wir können sie nicht stoppen. Wir können sie nicht einmal verlangsamen. Noch einmal Gerd Binnig: «Das Rad der Evolution generell oder partiell anzuhalten (…) läuft letztlich darauf hinaus, daß man den Leuten das Denken verbieten muß, ihnen zumindest verbieten muß, ihre Gedanken miteinander auszutauschen. Ich glaube, in solch einer Welt kann niemand leben.»

Wir müssen uns damit abfinden, daß diese Welt – und vor allem die Zukunft – ein Werden ist. Und das gilt auch für uns selbst. Wir können und müssen uns in unserer Lebensspanne weiterentwickeln, verschiedene «Leben» leben. Auch wir selbst sind im Werden.

Also müssen wir lernen, uns mit diesem Werden anzufreunden. Als hilfreiche Lektüre, um das Werden zu verstehen, seien unter anderem die Bücher «Vom Sein zum Werden» des russischen Physikers und Nobelpreisträgers Ilya Prigogine und «Der Baum der Erkenntnis» der beiden chilenischen Neurobiologen Humberto R. Maturana und Francisco Varela empfohlen.

7. Merksatz: Begegne der Zukunft «gleich-gültig»

Die stete Fluktuation, die absolute Ungewißheit bereitet den meisten Menschen Unbehagen, sie streßt und macht angst. Verständlicherweise. Doch hiergegen gibt es ein wirksames Hilfsmittel: Gleich-Gültigkeit – nicht zu verwechseln mit Gleichgültigkeit, vulgo Wurstigkeit. «Gleich-Gültigkeit» bedeutet, daß man allen Menschen, Dingen und Vorgängen von vornherein gleiche Gültigkeit, gleichen Rang einräumt. Das heißt, daß nie etwas per se positiv oder negativ ist, sondern alles in unserer Welt seine eigene Gültigkeit, somit auch seinen Sinn und seine Bestimmung hat. Manchmal bedarf es sehr viel kreativer Leistung, damit man diesen Sinn entdeckt. Aber das ist jedesmal eine sehr spannende und interessante Aufgabe – und es bringt einen selbst stets weiter, wenn man solche versteckten Werte und Bestimmungen für sich und die Welt entdeckt.

Noch mehr kreative Kraft braucht man, um die vielen in einem schlummernden Denk- und Wert-Selbstverständlichkeiten aufzudecken, in Frage zu stellen und zu entwerten, das heißt: sie gleichgültig zu machen. Wir alle – vielleicht als letzte Generationen – sind mit einem vorgegebenen, festen Wert- und Normensystem aufgewachsen. Dieses Denken ist fast schon genetisch fixiert. Um so schwerer ist es, dieses Denken aufzubrechen.

8. Merksatz: Zukunft ist immer auch das Gegenteil

Ein simpler, aber sehr wirksamer Trick, seine Denkverkrustungen und Wertfixierungen aufzuknacken, ist folgender: Wenn man sich einer Sache sehr sicher ist, stelle man sie probeweise einfach wertemäßig auf den Kopf. Kein allzu neuer Trick. Aristoteles ließ das schon seine Schüler üben, und auch die Jesuiten schätzen diesen Kniff.

Ein paar Beispiele gefällig? Nehmen wir einige der gängigsten Vorbehalte und Ängste, die mit der Zukunft verbunden werden:

Alles verflacht! Gegenargument: Nur so können breite Massen an Kultur und anderen schönen Dingen teilhaben.

Unsere Gesellschaft zersplittert! Gegenargument: Könnte man das nicht auch Öffnung nennen?

Die Risiken werden immer größer! Gegenargument: Auch die Chancen wachsen.

Die Leute werden zunehmend depressiv! Gegenargument: Solange diese Stimmung nicht krankhaft, sondern hysterisch ist, wird sie von positiven Hysterien, zum Beispiel von Euphorien, (mental, virtuell oder chemisch) ausgeglichen.

Die Realität wird immer weniger greifbar! Gegenargument: Die Virtualität wird greifbarer.

Wir werden vereinsamen und zur Singlegesellschaft verkümmern! Gegenargument: Wir bekommen adäquatere und mehr Partner über Computernetzwerke.

Die Gewalt nimmt zu! Gegenargument: Die Fülle und die Intensität des Erlebens nehmen zu.

Die Informationsflut überrollt uns! Gegenargument: Unsere Gesellschaft, unsere Welt als Ganzes wird intelligenter.

Die Multikulturalität überfordert uns! Gegenargument: Wir bekommen eine globale Kultur.

Es wird Chaos herrschen! Gegenargument: Wir werden das Chaos begreifen – und lieben lernen.

Wir werden zu Sklaven immer neuer Trends! Gegenargument: Jeder kann seine eigenen Trends initiieren.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt geht kaputt! Gegenargument: Die Freiheit – aber auch die Verantwortung – jedes einzelnen nimmt zu.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und wie gesagt: Jede dieser polaren Thesen stimmt – und stimmt damit zugleich auch wieder nicht.

9. Merksatz: Zukunft ist Verantwortung

Wenn es keine gültigen Wahrheiten, keine wertemäßigen Fixpunkte mehr gibt, an denen man sich orientieren kann, dann heißt das auch, daß einem keine Entscheidung mehr abgenommen wird. Früher haben Gebote, Moral und strikte Gesetze uns diese Arbeit abgenommen. Jetzt hat man sie uns wieder übertragen. Das ist ein großes Stück Freiheit, aber zugleich auch Verantwortung: für einen selbst individuell; für das Zusammenleben in der Gesellschaft und auf unserem Planeten; vielleicht sogar für spirituelle Fragen, für unseren Anteil am gesamten Kosmos.

Diese Zunahme an Verantwortung erleben wir in kleinen, lapidaren Dingen längst jeden Tag. Wir müssen uns nicht mehr zwischen zwei oder drei Fernsehprogrammen entscheiden wie vor noch nicht allzulanger Zeit, sondern zwischen zwanzig bis dreißig TV-Kanälen, bald schon zwischen Hunderten von Sendern. Früher kam der Strom aus der Steckdose. Bald schon werden wir im Zeichen der Deregulierung, Europäisierung und Privatisierung von fünf, sechs, zehn verschiedenen Stromanbietern umworben werden; ebenso von einem halben Dutzend privater Telefongesellschaften oder mehr. Wir können unter verschiedenen Telekommunikationsanbietern wählen. Immer mehr Entscheidungen stürmen auf uns ein. Die Folge: immer mehr Verantwortung.

10. Merksatz: Die Zukunft ist anstrengend

Anstrengend wird die Zukunft auf alle Fälle. Sie kommt uns auch nicht recht gemütlich vor – zumindest nicht nach unserem bisherigen Verständnis.

Hier haben es die Anhänger asiatischer Religionen – die Taoisten, Buddhisten, Konfuzianer oder die Sufis – einfacher. Für sie ist die Vorstellung eines Lebens in steter Bewegung, im «Strom des Lebens» – mit all seinen Strudeln und Klippen – positiv besetzt, das Verharren im Festen dagegen negativ. Also genau umgekehrt wie bei uns. Für sie bedeutet Bewegung Leben, Erstarrung Tod.

Diese Umkehrung der «Gemütlichkeits-Sicht», das genüßliche Hineinlehnen in Wandel und Chaos, ist ein Weg, die Zukunft weniger «anstrengend» erscheinen zu lassen. Es ist daher wohl auch kein Zufall, daß uns die fernöstlichen Glaubenslehren so sehr faszinieren.

Da zumindest die Mehrzahl von uns kulturell noch anders strukturiert ist, wird uns die Zukunft mit all ihren Widersprüchen, ihrer Flüchtigkeit und ihrem Entscheidungsdruck nicht leichtfallen. Sie wird uns einiges an Energie kosten. Es drohen immer wieder Erschöpfung oder, noch schlimmer, ein Totstell-Reflex. Aus der Natur kennt man das Phänomen: Im schlimmsten Streß, in ärgster Gefahr tun viele Tiere, als seien sie tot. Sie rühren sich nicht, stehen oder liegen still und steif da und stellen jegliche Aktivität ein.

Dieser Reflex droht auch unserer Gesellschaft. Immer mehr Menschen, mit der Zukunft und all ihren Optionen überfordert, sind wie paralysiert, tun nichts mehr, stellen sich tot. «Ein Zuviel an Optionen lähmt die Entscheidung», schreibt der Philosoph und Medienwissenschaftler Norbert Bolz in seinem Buch «Das kontrollierte Chaos». Er nennt das – mit einem Begriff aus der Softwarebranche – «Overlinking», denn hier wie dort funktioniert bei einem Zuviel an Verbindungen irgendwann nichts mehr.

11. Merksatz: Zukunft braucht Energie

Gegen diese Überforderung hilft, wie oben beschrieben, eine mentale Öffnung. Dennoch braucht man für die Zukunft einiges an Energie.

Eine der natürlichsten und naheliegendsten Energiequellen – und damit einer der besten Motoren der Zukunft – ist die Neugier. Leider ist diese Eigenschaft nicht sehr gut beleumdet. Vor allem der Wortteil «-gier», Synonym für rücksichtsloses Begehren, irritiert. Statt von «Neugier» wollen wir daher lieber von der Bereitwilligkeit sprechen, sich auf Neues einzulassen. Eine legitime Deutung: «Gier» (giri) leitet sich im Althochdeutschen von «g’rn» her. Das heißt im heutigen Deutsch «gern», «bereitwillig» – und erst in seiner letzten Bedeutung auch «begierig».

Neugier, gepaart mit der Fähigkeit zu staunen und sich zu begeistern, ist einer der besten Wege, um Energie für die Zukunft zu bekommen und sich an dieser zu freuen.

12. Merksatz: Zukunft ist Trance

Es gibt aber noch einen anderen Weg, um sich mental sowie energetisch fit für die Zukunft zu machen – einen Weg, den alle Schamanen praktizieren: Trance.

Trance ist definiert als «Ausnahmezustand durch Aufgabe der Realitätsprüfung», als «Praktizieren von Mustern, die von der vorherrschenden ‹Gewohnheitswirklichkeit› abweichen». Sie setzt ungeheure Energien und Möglichkeiten frei. Das «Lexikon der Psychologie» stellt fest: Trance «ermöglicht es dem Betroffenen, sich von allem bisher Gelernten zu lösen, und erlaubt ihm – seelisch wie körperlich – Leistungen, an die er sich sonst nicht wagen würde».

In den USA wurde der esoterische Thriller «Die Prophezeiungen von Celestine» von James Redfield ein millionenfach verkaufter Bestseller. Im Gewand einer Crimestory beschreibt Redfield unter anderem die schamanistische Technik der Mayas, Energie aus dem meditativen Nichts zu schöpfen.

Doch nicht nur mit dieser – esoterisch konkreten – Trance können wir der Zukunft begegnen. Es kann auch eine Informations-Trance sein. Eine (möglichst bewußt und gewollt herbeigeführte) Überflutung mit gedruckten, gesendeten oder on line übermittelten Informationen beraubt uns der Chance zu linearem, absichtsgerichtetem Handeln und Denken – und eröffnet uns die Dimension der Trance.

Auch durch neue Computertechnologien wie etwa Cyber und Virtual Reality (künstliche, digital im Computer erzeugte Wirklichkeit) können wir Trance erleben. Wenn wir uns in virtuellen, das heißt von Menschen erfundenen und erdachten Welten bewegen können, andere Gedanken und Phantasien in Farbe und als Raumerlebnis erfahren, wenn wir auch eigene Ideen und Träume plastisch erlebbar machen können, nehmen diese Erfahrungen trancehaften Charakter an.

Trance kann aber auch eine generelle, offenherzige, neugierige, alltägliche Offenheit sein, die die Zukunft mit all ihren Neuerungen, Veränderungen und Brüchen nie als Problem sieht, sondern stets als Chance und Bereicherung. Das wäre das Ideal: eine Fitneß für die Zukunft, die nicht kopfgesteuert, sondern ganzheitlich und allgegenwärtig ist.

Das Ziel jeder Trance besteht für den einzelnen darin, sein menschliches Potential weiterzuentwickeln. Trance ist – auch das lehren die Schamanen – ein Mittel der persönlichen Evolution. Trance macht einen weicher, flexibler, offener und empfindsamer. Vielleicht auch liebevoller gegenüber der eigenen Person und seinen Mitmenschen. Es ist auf alle Fälle ein wundervoller Weg, um die Zukunft lieben zu lernen.

IIDie telematische Gesellschaft – Zukunft der Trends

Die neunziger Jahre sind das Jahrzehnt der Trends. Die Welt bewegt sich durch und in Trends, sie ist nur noch durch den steten Wechsel der Trends erlebbar. Trends sind das Lebenselixier, der Puls und das Charakteristikum der neunziger Jahre.

Die Fixierung der Menschen auf Trends ist die unmittelbare Folge der wachsenden Komplexität in unserer Welt und unserer Gesellschaft. Wir leben in einem Jahrzehnt, in dem der Geist anfängt, sich extrem auszudehnen, und mit dem wachsenden Output an Intelligenz nimmt die Komplexität exorbitant zu. Wir leben in einer Zeit, in der die Gesellschaft Spontaneität und Provokation verbindet, um so zu einem Wachstum von Optionen zu kommen. Die Gesellschaft wählt nicht mehr rational aus verschiedenen Alternativen, sondern provoziert permanent die Erfindung neuer Optionen. Die Konsequenz: Noch nie hat es so großen Orientierungsbedarf gegeben.

Fragt sich, woher man die Orientierung in solch einer komplexen Welt nehmen soll. Die alten Methoden versagen: Weder der (logische) Rationalismus noch die (intuitive) «Bauchweisheit» taugen zur Bewältigung von Komplexität. Rationalismus ist linear und eindimensional, die Intuition ist nur ein Hineintauchen in eine gestrige Welt. Beides hilft uns nicht, Komplexität genießen zu können und uns darin geborgen zu fühlen. Aber genau darum geht es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre.

Wir brauchen Trends, um die Komplexität zu verstehen, zu bewältigen, zu genießen. Trends sind die Orientierungspunkte in der Widersprüchlichkeit unserer Welt, sie sind die Zwischenetappen in der Zersplitterung, flüchtige Kristallisationen im steten Wandel. Trends sind wie ein Geländer, an dem wir uns festhalten – und gleichzeitig die Stufen, auf denen unser Geist aufwärts schreitet.

Die Trends und ihre (kurzlebigen) kleinen Welten sorgen nicht nur für zeitweilige Orientierung und Übersichtlichkeit – innerhalb der meist sehr jungen Trendszenen und Trendcliquen bewirken sie auch die heute so dringlich benötigten positiven sozialen Reaktionen.

Der neue Narzißmus

Jugendforscher sprechen seit einiger Zeit vom Entstehen eines neuen Narzißmus. Der alte Narzißmus war durch Ich-Verliebtheit gekennzeichnet und führte zu sozialer Isolation. Der neue Narzißmus, ein flächendeckendes Phänomen und heute bei über 80 Prozent der Jugendlichen anzutreffen, ist das Ergebnis einer Erziehungskonzeption, die in fast allen Familien zu finden ist.

Seit den sechziger Jahren hat sich die Erziehung drastisch verändert. Erziehung ist inzwischen ein Spiel, das darauf ausgerichtet ist, Erziehung möglichst zu vermeiden. Dadurch, daß Eltern und Kinder in den siebziger und achtziger Jahren «echte Erziehung» verhinderten, wurden die Jugendlichen von heute in der frühen Prägungsphase einseitig darauf ausgerichtet, sich selbst durch positive Reaktionen der Umwelt zu erleben. Ihre Identität wird umdressiert: vom Ich zum Beziehungs-Ich.

Dieses symbiotische Ich ist darauf eingestellt, möglichst viele positive Rückmeldungen aus dem sozialen Umfeld zu bekommen. Dadurch entsteht ein eigenartiger Effekt: Die jungen Erwachsenen sind nicht in ihr eigenes Ich verliebt, wie es beim alten Narzißmus der Fall war, sondern in die positiven Gefühle, die durch positive Reaktionen anderer Menschen verursacht werden. Pädagogen nennen dieses Phänomen «Gefühlsfundamentalismus».

Positive Gefühle von außen bekommen sie unter anderem, wenn sie sich in einer Trendszene heimisch fühlen, also durch Wiedererkennen von Trendlandschaften, die sie mitgestaltet haben, und als Zusammengehörigkeitsgefühl, das durch gemeinsame Outfits und Moden entsteht. Je mehr neue Trends es gibt, um so bereitwilliger machen sie mit, ja sie kreieren sogar neue Trends, um positive soziale Reaktionen zu sammeln.

Ein weiterer Faktor, der die neunziger Jahre zum Trendjahrzehnt macht, ist die Kinetik oder Selbstbeschleunigung. Die Kinetik hat ein neues Konzept von Zeit entwickelt: Evolution entsteht nicht mehr in der Zeit, sondern durch die Zeit. Zeit ist nicht mehr die Basis, sondern wird als Ursache angesehen. Deshalb ist die Beobachtung des Kommunikations-Philosophen Vilem Flusser richtig: «Die Zeit fließt nicht mehr, sie springt.»

Zeit wird nicht mehr als fließendes Kontinuum, sondern als springendes, spontanes Medium rezipiert. Das heißt auch, daß Zeit sich nur noch in einzelnen Trends manifestiert und der Zeitverlauf daher nur noch anhand von Trends erlebt werden kann.

Der neue Gesellschafts-Typ

Das Wachstum der Intelligenz, die Beschleunigung der Zeit und der neue Narzißmus definieren einen neuen Typ von Gesellschaft. Vilem Flusser hat sie «telematische Gesellschaft» getauft – eine Gesellschaft, die sich nur noch an Zielen (griech. telos) und Trends orientiert und durch diese definiert.

Die telematische Gesellschaft ist – laut Flusser – die Folge der Dominanz von Kommunikation in der heutigen Welt. Seine These besagt, daß die Kommunikationskanäle in Zukunft noch potenter werden, so daß die Qualität der Kommunikation zum wichtigsten Faktor für die Evolution der Menschheit wird. Durch das Wachstum der Kommunikationskanäle entsteht eine Gesellschaft, die durch Ideen, Bewußtsein und Kommunikationsvernetzung gekennzeichnet sein wird.

Und so könnte dieser neue Gesellschafts-Typ aussehen:

Es gibt keine echte Steuerung mehr, alle Menschen verhalten sich, wie sie es für richtig halten. Als Summe dieser Impulse entsteht eine Selbststeuerung der Gesellschaft: Die Evolution ist dann das Ergebnis der Aktivitäten aller Beteiligten.

Es gibt keine linearen Ursachen mehr und deshalb auch keine primäre Führung. Diese wandelt sich zur Verwaltung von Selbstführung.

Die telematische Gesellschaft liebt Überraschungen. Durch die Dynamik der vernetzten Impulse kommt es zur ungeplanten Selbsterzeugung von Prozessen. Deshalb wird Provokation zum zentralen Bewußtseinsinstrument der Gesellschaft.

Alle Pro- und Kontra-Impulse beginnen im Netzwerk zu tanzen. Wir werden Spiele mit Spielregeln spielen, die sich erst beim Spiel selbst erfinden. Alles wird zum Paradoxon: Das Richtige wird erst durch das Falsche richtig.

Das wichtigste Spiel wird das Spiel des Erfindens sein: Simulation wird zum bedeutsamsten Instrument des Lernens. Das Ur-Programm des «Aus-Schaden-wird-man-klug» wird ausgehebelt. Es entsteht die Evolution der Evolutionsfähigkeit.

Die Identität der Gesellschaft verlagert sich: Das historische Denken wird abgelöst durch futuristisches Denken. Gegenwart ist nur noch dort, wo Zukunft gemacht wird.

Wildes, konstellatives Denken tritt an die Stelle des rationalen und literalen Denkens. Der Wegwerfgeist entsteht.

Der bisherige Charakter von Kommunikation löst sich auf: Sender und Empfänger trennen sich von ihren Rollen. Alle nehmen teil «am Dialog über die Bedeutung der Welt» (Flusser).

Da dies alles recht theoretisch und abstrakt klingt, hier ein konkretes Beispiel praktizierter Telematik: die Revolution in der DDR.

Der telematische Prozeß von 1989

Die DDR-Revolution war eine spontane, sich selbst erzeugende Dynamik, in der sich viele unterschiedliche Parameter spontan vernetzten und unterstützten. Es gab keinen Plan und kein revolutionäres System, ganz im Gegenteil: Die DDR-Revolte war die erste Revolution, die ausschließlich durch spontane Selbststeuerung zum Ziel gelangte.

Wir erinnern uns: Immer wieder haben sich ohne Absprache Hunderttausende zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem Ort zusammengefunden. Und das, weil «jeder vermutete, daß der andere vermutet, daß jeder zu einem bestimmten Ort kommt». So definierte es der Hamburger Soziologe Professor Karl-Dieter Opp in einer Studie über die DDR-Revolution.

Und das genau ist das Kriterium der telematischen Gesellschaft: Sie lebt von wechselseitigen Annahmen und vernetzten Projektionen. Alle glauben das, von dem sie glauben, daß andere auch daran glauben. Eine telematische Gesellschaft ist immer eine Gesellschaft, die stark mit dem Self-fulfilling-Phänomen operiert und die ihre Identität immer an der vordersten Kante der Entwicklung plaziert hat und daher ungeheuer spontan ist.

Die kommende telematische Gesellschaft wird viel von dieser Spontaneität, die sich bei der DDR-Revolte gezeigt hat, für andere Anliegen und Ziele entwickeln. Man kann heute schon prognostizieren, daß unsere Gesellschaft in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren mehr und mehr in eine evolutionäre Instabilität gleiten wird, also in eine latent «vorrevolutionäre Stimmung».

Die gesellschaftliche Zerebralisierung

So wird es in Zukunft immer leichter möglich werden, ohne Terror und Gewalt tiefgreifende Änderungen einer Wirtschafts- und Sozialordnung zu erreichen, weil der Gesellschaftstyp der Zukunft mehr und mehr auf Selbststeuerung plus Spontaneität ausgerichtet sein wird.

Dadurch kommt es zu einem neuen Umgang mit Entscheidungen: Weil die Gesellschaft permanent offen ist, nimmt die Zahl der wichtigen und unwiderruflichen Weichenstellungen zu. Das wiederum wird einen ganz neuartigen Bedarf, ein neues Konsumgut schaffen: Orientierungen.

Vilem Flusser hat hierzu einmal formuliert: «Alle Menschen werden an einem Dialog über die Bedeutung der Welt und den Sinn des menschlichen Lebens beteiligt sein.» Dieser Dialog wird über die neu geschaffenen Kommunikationskanäle der Computernetzwerke stattfinden. Diese neuen Kommunikationsmöglichkeiten werden eine eminente Demokratisierung und Partizipation herbeiführen. Die üblichen Rollen von Sender und Empfänger, von Aktiven und Passiven und von Führenden und Geführten werden verschwinden. Jeder produziert Ideen, um die Evolution des Bewußtseins am Fließen zu halten. Aus all den (passiven) Trendsurfern werden (hochaktive) Trendsetter werden. Jeder wird sein eigener Produzent von Trends werden.

Flusser nennt diesen Prozeß die «Zerebralisierung der Gesellschaft». Das bedeutet, daß sich die Gesellschaft nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns umstrukturiert. Sie funktioniert dann nicht mehr linear, auch nicht intuitiv, sondern operiert chaotisch, per Zufall und permanente Dezentralisierung.

Trend schlägt Trend

Vorbedingung und zugleich typisch für die telematische Gesellschaft ist das sogenannte «kalkulatorische» beziehungsweise «konstellative Denken». Es ist das Denken, das man braucht, um sich vom (passiven) Trendsurfer zum (aktiven, kreativen) Trenderfinder entwickeln zu können. Dazu ist Meta- oder Multiphrenie – die Fähigkeit, verschiedene Wirklichkeiten nebeneinander denken und leben zu können – eine unabdingbare Voraussetzung.

Eines der besten Beispiele gelebter Telematik ist Barcelona. In dieser Stadt gibt es soviel optischen Zeitgeist und so viele kontroverse Stiltrends, daß man es nicht mehr wagen kann, von relevanten Trends zu sprechen. Das ist eine völlig neuartige Dimension, die dem Credo folgt: Zeitlichkeit schlägt Richtigkeit.

Damit ist Barcelona ganz nah dran an dem, was für eine telematische Gesellschaft typisch sein wird: Alle Trends werden durch viele Trends getötet. Das Paradoxon wird gelebt: Alles ist nur deshalb möglich, weil alles im Trend ist.

Es sind so viele unterschiedliche Trends zugleich «im Trend», daß dadurch Offenheit und Zeitlichkeit immer wieder neu entfaltet werden. Wenn eine Linie wirklich trendbestimmend wäre, würde sie die prinzipielle Offenheit zerstören, es würde wieder so etwas geben wie eine zwingende Richtigkeit.

Trends werden so in Zukunft zu tanzenden Präferenzen zwischen vielen Trendströmungen, die sich parallel aufeinander zu bewegen. Es kreuzen sich auf diese Weise viele kontroverse Trendlinien – und nur das erzeugt einen wahrnehmbaren Trend. Dann gibt es kein «in» und kein «out» mehr. Es gibt keine sukzessive Abfolge von Trends mehr, sondern permanente Parallelität. Fast alles ist im Trend, und zwar nebeneinander und übereinander. Kein Trend schlägt den anderen. Es gibt keine Rivalität mehr, sondern nur noch Wechselwirkung: Alle Trends sorgen dafür, daß alle Trends «hin und her tanzen».

Der langsame deutsche Weg

In Deutschland ging diese Entwicklung, im Vergleich zu London, Paris oder New York – oder eben Barcelona –, lange Zeit viel bedächtiger voran. Hier folgte Trend auf Trend, und das ziemlich gemächlich – eine Folge der deutschen Medienkultur. Die Mehrzahl der Zeitungen, Zeitschriften und elektronischen Medien konnte hierzulande in Sachen Trends immer nur sukzessiv denken. Die Journalisten arbeiteten zu langsam und zu selektiv, um die vielen kleinen Trends in Kontext und Szenen abzubilden. Es wurde in derart großen Abständen über Trends berichtet, daß es aussah, als gäbe es nur alle paar Monate einen neuen. Das hing mit dem eigenartigen Verständnis von Seriosität im deutschen Journalismus zusammen. Man wollte niemals Widersprüchlichkeit aufkommen lassen, man verkündete lieber große Wahrheiten statt komplexer Widersprüche. Man fürchtete, unseriös zu wirken, wenn man allzuoft von verschiedenen, vielleicht sogar gegensätzlichen Trends berichtete.

Damit ist es vorbei. Die Überhitzung des deutschen Medienmarktes mit immer neuen Magazinen und die Beschleunigung der Wahrnehmung – auch von Trends – durch Computernetzwerke und eine neue Generation von Trendforschern chaotisierten und vervielfältigten die Medienlandschaft und deren Berichterstattung. Auch hier in Deutschland sind wir nun voll auf dem Weg in die telematische Gesellschaft.

Die Probleme der Telematik

Natürlich lauern in einer telematischen Gesellschaft auch Probleme und Gefahren. Wer sich in einer komplexen Welt nicht zurechtfinden kann und immer mehr verschiedene Lifestyle-Egos entwickelt, mag sehr bald den Eindruck gewinnen, daß sich seine eigene Identität in nichts auflöst. Er hat subjektiv das Gefühl, daß die Welt sich immer weiter von ihm wegbewege, für ihn wird die Welt kälter. Das neue Bewußtsein und die Multiphrenie sind also nicht jedermanns Sache. Wer da nicht mitkommt, erlebt das Leben als bunte Party, auf der man im Abseits steht. Keiner will mit einem zu tun haben, keiner spricht mit einem, keiner hört zu. Die Folge: ein totales Verlorenheitsgefühl und unendliche Einsamkeit. So können durchaus etliche Drop-outs der telematischen Gesellschaft entstehen, die dann in eine extreme gesellschaftliche und psychologische Isolation geraten.

Aus dieser Frustration heraus können schnell Forderungen etwa nach einer neuen rigiden Moral, nach strenger Ethik, klarer Ordnung und – folgerichtig – nach einem starken Mann aufkommen. Hier kann dann viel rechtskonservatives Gedankengut wuchern, hier haben neofaschistische Strömungen Konjunktur. Dennoch ist der Zug in die telematische Gesellschaft nicht mehr zu stoppen.

Aber auch die telematische Gesellschaft wird nur eine Durchgangsstation, ein Mittel der Transformation in Richtung einer neuen Gesellschaft sein – ein logischer Schritt, aber noch nicht das Ziel. Das Ziel ist ein globaler Interaktionismus. Dann werden alle Trends nebeneinander existieren, parallel und miteinander. Alle Trends sind dann «richtig», «stimmig» und trotzdem extrem «widersprüchlich». Dann wird keiner mehr Trends hinterherlaufen, sondern wir werden zu einer völlig neuen, offeneren Art der Steuerung kommen. Dann erst wird eine wahre gesellschaftliche Demokratie wirklich geworden sein.

IIINew Edge – Zukunft des Denkens

Unsere Welt wird immer schnellebiger. Jeder erfährt das im Alltag immer wieder. Die Informationsflut, die auf uns einstürzt, nimmt rasant zu, alles wird immer widersprüchlicher, immer verwirrender. Was heute wichtig ist, ist morgen vergessen. Was heute gilt, ist morgen verpönt. Ein Trend jagt den nächsten. Trends werden inzwischen, zum Beispiel in der Modebranche, ganz bewußt «verbrannt», ehe sie die breite Mehrheit erreichen. So wird Platz für neue Trends geschaffen.

Viele – wahrscheinlich die breite Mehrheit – beklagen die Beschleunigung unserer Welt und leiden unter der hektischen «Dromologie» (Vilem Flusser) unseres Lebens. Es gibt aber auch eine zunehmende Zahl von Menschen, die diese Beschleunigung genießen und sich in dem Informationsinferno so wohl wie der Fisch im Wasser fühlen. Das sind Menschen, die nach immer neuen Trends lechzen. Denn mit jedem neuen Trend, den sie erleben, transportieren oder gar (mit-)initiieren, erleben sie Kraft, Leben, Perspektive.

Es sind vor allem die Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die das wunderbare Chaos der sich überstürzenden Informationen, der brandneuen Ideen und die bizarre Welt der Trends und Strömungen genießen. Immer mehr Menschen erfahren und genießen Leben, Lebendigkeit und Wichtigkeit besonders dann, wenn neue Trends entstehen. Sie fühlen sich unwohl, wo Ruhe herrscht, sie leben auf, wo andauernd Neues passiert.

Der Grund dafür ist eine andere, neue Gehirnstruktur. Vor allem bei der Generation der Menschen unter 28 Jahren läßt sich ein anderes Denken nachweisen. Das Max-Planck-Institut für Neuroforschung hat in Untersuchungen ein sogenanntes «Erregungsgehirn der Jugend» ausgemacht. Die Forscher stellten fest, daß das Gehirn junger Menschen durch Informationsstreß nicht etwa gestört, sondern im Gegenteil aktiviert und sensibilisiert wird. Dieses Erregungsgehirn hat 25 Prozent mehr Wahrnehmungsvermögen, es kann schneller wahrnehmen als denken.

Die Folge: Wo Ruhe ist, sterben diese jungen Menschen gleichsam. Nur wo Erregung ist, wo etwas Neues passiert, leben sie auf. Dort können sie sich erfahren, nur dort fühlen sie sich gut. Ihr Motto heißt: New Edge.

New Edge ist ein wichtiger, ein typischer Begriff der neunziger Jahre. Er löst das New Age der achtziger Jahre ab. Damals war Meditation der Schlüssel zur Erregung des Gehirns, heute ist es der Informationsstreß – und das Leben am «Edge».

Der Begriff «New Edge» beschreibt das Lebensgefühl am «Leading Edge». So wurde in den USA die Bruchkante (engl. edge) zwischen Altem und Neuem getauft, an der die Trends und Innovationen entstehen.

Der Begriff des «Leading Edge» läßt sich im Bild einer hohen Klippe – zum Beispiel am Meer – verdeutlichen. Auf dem Festland ist das Leben sicher, gleichmäßig und langweilig. Je näher man der Klippe kommt, desto reizvoller wird die Landschaft, desto spannender wird es, abwechslungs- und risikoreich.

Dieses Bild paßt in unser heutiges Trenduniversum. Das Hinterland, der weite Bereich fernab der Klippen, das ist das riesige Feld des Althergebrachten, Gewohnten, das sind die moralinsauren Wüsten der Normen und Gebote. Je näher man aber den Klippen und ihren Bruchkanten kommt, an denen die Trends entstehen, desto spannender und kurzweiliger wird es. Dort kann man Zeuge des faszinierenden Aktes der Entstehung neuer Trends werden – oder gar Akteur und Trendstifter sein.

So wie heute immer mehr Menschen in risikoreichen und extremen Sportarten Thrill und Grenzerfahrungen suchen, rückt unsere gesamte Gesellschaft immer mehr in Richtung Leading Edge.

Viele Leute treffen sich an dieser Kante. Oft fast ungewollt. Oft unbewußt. Aber von Jahr zu Jahr werden es mehr, und sie alle sind von der Erfahrung, die sie dort erwartet, begeistert. Denn New Edge hält viele wunderbare Faszinosa bereit.

Faszinosum 1: Realität entsteht aus dem Nichts

Um zu verstehen, was am «Edge» passiert und was dessen besonderen Reiz ausmacht, muß man wissen, wie Trends entstehen. Sie werden nicht von irgendwelchen genialen Köpfen oder – in anderer ideologischer Lesart – böswilligen Kapitalisten zielsicher erdacht und verbreitet. Trends sind nie das Ergebnis von linearem, rationalem Denken – im Gegenteil. Auf den kürzesten Nenner gebracht: Trends entstehen, indem «Idealität» sich mit «Potentialität» kurzschließt. Daraus entsteht dann eine neue Realität. Verständlicher ausgedrückt: Trends entstehen, wenn sich die Felder des Wünschens (Idealität) mit denen der Möglichkeiten (Potentialität) überschneiden. Der Ort dafür ist eben die Leading Edge, die Bruchkante zwischen Sein und Möglichkeit, zwischen Sein und Trend.