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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress
Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing
sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Grausame Rache
Thriller von Alfred Bekker (Henry Rohmer)
Der Umfang dieses Ebook entspricht 114
Taschenbuchseiten.
Einige Männer, die allesamt in dunkle Geschäfte verwickelt
sind, werden grausam zu Tode gefoltert. Erst glauben die Ermittler
an Machtkämpfe innerhalb des organisierten Verbrechens. Aber
schließlich wird klar, dass hier ein persönliches Motiv vorliegen
muss.
Es geht um ein grausames Verbrechen aus der Vergangenheit -
und die ebenso grausame Rache dafür.
Ein Thriller von Henry Rohmer.
HENRY ROHMER ist das Pseudonym des Schriftstellers ALFRED
BEKKER, der vor allem durch seine Fantasy-Romane und Jugendbücher
einem großen Publikum bekannt wurde. Daneben schrieb er Krimis und
historische Romane und war Mitautor zahlreicher Spannungsserien wie
Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und
Kommissar X.
1
In der Fabrikhalle herrschte Halbdunkel. Nur durch eine hohe
Fensterreihe fiel etwas Licht herein. Der Geruch von Altöl hing in
der Luft.
Es war kühl.
John Delgrew fröstelte in seinem dünnen Cool-Wool-Anzug.
Er blickte sich um. Mit der Linken trug er einen
Diplomatenkoffer, die Rechte war immer in der Nähe der Beretta, die
in seinem Quick-Draw-Holster steckte.
"Hey, Menendez, wo steckst du?", rief er. In einer vom Licht
beschienen Zone bemerkte er einen dunkelroten Fleck auf dem
Betonboden. Frisches Blut...
Ein surrendes Geräusch ließ Delgrew zusammenzucken. Er riss
die Waffe hervor. Jemand hatte einen Hebekran aktiviert.
Ein nur als Schattenriss sichtbares Bündel hing am
Haken.
Langsam wurde es herabgelassen.
Als das Licht darauf fiel, erstarrte Delgrews Gesicht zur
Maske.
"Menendez!"
2
Die Leiche war blutüberströmt. Dutzende von Einschüssen hatten
Menendez' Kleidung zerfetzt. Das Gesicht war jedoch unverletzt. Aus
diesem Grund hatte Delgrew es auch sofort erkannt.
"Scheiße", flüsterte er, wich einen Schritt zurück.
"Die Waffe weg!", brüllte eine Stimme von hinten. Delgrew
wirbelte herum, blickte in die Schattenzone auf der anderen Seite
der Halle. Panik keimte in ihm auf. Delgrew schoss seine Waffe ab,
zog immer wieder den Stecher durch. Er feuerte blindlings drauflos
und hielt dabei in die Schattenzone oben auf der Balustrade.
Der Puls schlug ihm bis zum Hals.
Sekundenbruchteile später wurde von der anderen Seite auf ihn
gefeuert.
Auch dort gab es eine Zone, die im Schatten lag.
Eine MPi ratterte los.
Das Mündungsfeuer blitzte in der Dunkelheit auf.
Die Kugeln schlugen dicht rechts und links neben Delgrew in
den Betonboden, sprengten kleine Stücke heraus.
Delgrew dachte einen Augenblick lang daran, zurück bis zum
Eingangstor zu laufen. Aber seine Angst war zu groß. Etwa zwanzig
Meter lagen zwischen ihm und dem Tor. Zwanzig Meter, auf denen er
eine leicht zu treffende Zielscheibe gewesen wäre. Delgrew ließ die
Waffe fallen.
"Nicht schießen!", kreischte er.
"Stell den Koffer hin!", wies ihn eine andere Stimme an.
Eine weibliche Stimme.
Delgrew schluckte, ließ den Blick schweifen und versuchte in
den dunklen Schatten etwas zu sehen.
Vergebens.
"Ihr seid scharf auf das Geld, ja?", rief er und hielt den
Koffer empor. "Hier ist es! Nehmt es euch! Ich habe nichts dagegen!
Aber lasst mich..."
Eine weitere MPi-Salve wurde abgefeuert.
Die Projektile zischten über Delgrews Kopf hinweg und
perforierten das Hallentor.
Delgrew zitterte. Er stellte den Koffer auf den Boden und hob
die Hände.
Eine halbe Million Dollar, ging es ihm durch den Kopf. Wenn
ich diese Schweinehunde mal in die Finger kriege, haben die nichts
zu lachen!
Erneut ertönte jetzt ein surrendes Geräusch. Ein zweiter
Hebekran war aktiviert worden. Er bewegte sich auf den unter der
Decke befestigten Schienen und positionierte sich so, dass er
ziemlich genau über Delgrews Kopf zum Stillstand kam. Der Haken
wurde herabgelassen. Es hing etwas daran. Delgrew sah im Licht kurz
etwas Metallisches funkeln.
Handschellen!
Der Haken senkte sich etwa bis auf Delgrews Augenhöhe.
"Nimm die Handschellen!", kam die Anweisung, diesmal wieder
von der männlichen Stimme.
Delgrew gehorchte. Er dachte an Menendez, der tot an dem
anderen Haken baumelte. Panik lähmte ihn.
Du hast keine Chance, durchzuckte es ihn.
Er zermarterte sich das Hirn darüber, wem er in letzter Zeit
wohl dermaßen auf die Füße getreten war, dass er sich eine so
grausame Rache ausgedacht hatte. Delgrew ließ die Handschellen
einrasten.
Die Stimmen - hast du sie schon einmal gehört?, fragte Delgrew
sich. An die der Frau konnte er sich nicht erinnern, aber an die
Männliche. Verdammt, wenn ich nur wüsste, wo und in welchem
Zusammenhang, durchzuckte es ihn. Muss wohl schon länger her
sein...
Die nächste Anweisung folgte. Wieder von der männlichen
Stimme. "Leg...das...Zwischenstück...der Handschellen...in den
Haken!"
Die abgehackte Sprechweise fiel Delgrew auf.
"Verdammt, was soll das denn?", zeterte er. "Im Koffer ist
eine halbe Million Dollar! Ihr könnt die Greenbucks haben!"
Die MPi knatterte wieder los. Delgrew zuckte zusammen.
Haarscharf neben ihm schlugen die Projektile ein. Keines hatte ihn
jedoch getroffen. Offenbar wollen sie mich nicht töten, ging es ihm
durch den Kopf. Noch nicht...
Er gehorchte, legte das Zwischenstück der Handschellen in den
Haken. Mit einem Surren wurde der Haken empor gezogen.
"Was soll das denn, was habt ihr vor?", rief er.
Sekunden später hatte er den festen Boden unter den Füßen
verloren und hing mit zusammengeketteten Händen am Haken. Er
schrie. Die Handschellen schnitten sich in seine Arme hinein. Es
tat höllisch weh.
Als Delgrew etwa zwei Meter über dem Boden hing, stoppte der
Kran die Aufwärtsfahrt.
Einige Augenblicke lang geschah nichts.
"Hey, ihr wollt mich doch so nicht hängen lassen, oder?",
kreischte Delgrew.
Keine Antwort. Er hörte Schritte.
Eine Frau mit weißblonden Haaren trat aus dem Schatten heraus.
Sie näherte sich Delgrew.
Ihre Schritte hallten auf dem kahlen Betonboden wider. Sie
trug einen knappen Ledermantel, der so gut wie alles von den
langen, wohlgeformten Beinen freiließ. Mit der Linken hielt sie
eine kurzläufige MPi vom Typ Uzi.
Sie trat ins Licht, sodass John Delgrew sie sehr genau sehen
konnte. Mit einem kalten Lächeln musterte sie ihn.
"Erkennst du mich nicht?", fragte sie.
Schweißperlen standen auf Delgrews Stirn. "Nein, keine Ahnung,
wer du bist!"
"Ich bin Candy! Und jetzt behaupte nicht, dass du dich nicht
an mehr an mich erinnerst..."
"Verdammt, lass mich hier runter! Meine Hände sterben
ab!"
"Hat man dir nie erzählt, dass man für seine Sünden ins
Fegefeuer kommt, John Delgrew?"
"Hey, woher kennst du meinen Namen?"
"Du bist jetzt schon in der Hölle angekommen, John!"
"Was?"
"Du weißt es nur noch nicht. Ich habe dir übrigens in dieser
Beziehung etwas voraus. Ich war nämlich schon dort..."
"Scheiße, wovon redest du eigentlich?"
"Von der Hölle!"
Die Frau, die sich Candy genannt hatte, riss ihre MPi empor
und feuerte.
Sie hielt in Delgrews Richtung.
Dutzende von Kugeln ließen seinen Körper zucken und sich
winden. Sein Todesschrei erstarb rasch.
Candys hübsches Gesicht wurde zu einer hassverzerrten Maske.
Sie feuerte, bis die letzte Kugel ihres Magazins verschossen
war.
Dann herrschte Stille.
John Delgrews Leiche baumelte leicht hin und her.
3
Milo blickte auf die Uhr.
Ich wurde auch langsam ungeduldig.
"John Delgrew scheint es sich anders überlegt zu haben",
meinte mein Kollege.
Ich zuckte die Achseln, ließ dabei den Blick schweifen.
Wir saßen in einem Straßencafé in Greenwich Village. Delgrew
hatte diesen Treffpunkt vorgeschlagen.
Er war Teilhaber einer Nobeldiskothek mit dem Namen "Bailando"
in Spanish Harlem. Trotz seines englisch klingenden Namens war
Delgrew alles andere als ein gewöhnlicher "Anglo-White American".
Seine Mutter stammte aus Puerto Rico, sein Vater aus
Argentinien.
Wir waren auf das "Bailando" im Zuge der Ermittlungen gegen
einige Bosse des organisierten Verbrechens aufmerksam geworden, die
den Latino-Glitzerladen offenbar bevorzugt zur Geldwäsche nutzten.
Außerdem diente die Diskothek als Drogenumschlagplatz. Neben dem
unvermeidlichen Kokain gab es vor allem sogenannte Designer-Drogen.
Künstlich hergestellte und gewissermaßen für den Konsumenten
chemisch maßgeschneiderte Substanzen, von denen die meisten illegal
waren.
Allerdings hinkt die Justiz beim Verbot derartiger Stoffe
erheblich hinterher, da laufend neue Chemikalien auf den wachsenden
Markt geworfen werden.
Meistens werden sie in Form von Tabletten verkauft.
"Ecstasy" ist das bekannteste Beispiel dafür.
Die Wenigsten wissen, was für Nebenwirkungen sie sich bei dem
Konsum dieser Drogen einhandeln können. Dauerhafte Hirnschäden,
Realitätsverfall oder Veränderungen der Persönlichkeit sind keine
Seltenheit.
Leider wussten wir nicht, wer der große Lieferant war, der das
"Bailando" und ein paar Dutzend anderer Diskotheken mit den
gefährlichen Pillen belieferte.
Angeblich kannte John Delgrew auch nur die kleinen Dealer,
jedoch nicht die Hintermänner. Aber er hatte sich bereit erklärt,
für uns als V-Mann zu fungieren. Wahrscheinlich hegte er die
Hoffnung, dass die Justiz ihm bei seinen Geldwäschegeschäften freie
Hand lassen würde. Da erhoffte er sich allerdings wohl etwas zu
viel. Außerdem gab es da noch Lester Reyes und Paco Garcia, seine
Teilhaber. Nach Delgrews Angaben steckten beide bis zum Hals in den
Drogengeschäften mit drin. Offenbar wollte Delgrew seine Partner
lieber heute als morgen aus dem Weg geräumt haben und erhoffte sich
dabei die Mithilfe des FBI.
Bis jetzt war Delgrew während unserer Zusammenarbeit immer
zuverlässig gewesen. Heute allerdings hatte er sich bereits eine
Viertelstunde verspätet.
Milo trank seinen Milchkaffee aus. "Vielleicht hat Delgrew es
sich anders überlegt!"
Ich hob die Augenbrauen. "Fragt sich nur, wer ihn dazu
überredet hat!"
"Ich verstehe das nicht..."
"Er wäre nicht der Erste, der plötzlich kalte Füße
bekommt..."
Der Kellner kam plötzlich an unseren Tisch heran.
"Sie wollten sich mit Mister Delgrew treffen?", fragte
er.
"Das ist richtig", nickte ich.
"Uns erreichte gerade ein Anruf. Sie sollen sich in die
Subway-Station an der nächsten Ecke begeben."
Der Kellner deutete mit der Hand. Das Subway-Schild war
deutlich zu sehen.
"Mister Delgrew erwartet Sie an Bahnsteig 2."
Milo und ich wechselten einen kurzen Blick.
"Mir scheint, Delgrew dreht jetzt vollkommen durch", meinte
Milo.
"Sie müssen sich allerdings beeilen", erklärte der Kellner.
"Mister Delgrew sagte mir, dass er den Zug um 13.57 Uhr Richtung
Midtown Manhattan nehmen wollte. Er wartet jetzt auf dem
Bahnsteig."
Es blieben uns keine fünf Minuten. Ich bezahlte unsere
Rechnung. Wir liefen die wenigen Schritte zur Subway-Station. Die
Rolltreppe war uns zu langsam. Wir nahmen immer mehrere Stufen mit
einem Schritt, drängten uns zwischen den Passanten hindurch.
Wenig später hatten wir Bahnsteig 2 erreicht. Hunderte von
Menschen warteten darauf, Richtung Midtown Manhattan mitgenommen zu
werden.
Wir blickten uns um.
"Wäre ein Kunststück, ihn hier, in diesem Gewimmel zu finden",
rief ich Milo zu.
Irgendetwas war faul an der Sache. Das hatte ich im
Gefühl.
Der Zug lief ein. Die Menschen drängten zu den Schiebetüren
der Subway-Waggons.
Ich blickte auf die Uhr. Exakt eine Minute und dreißig
Sekunden lang würde der Zug im Bahnhof halten, bevor er seinen Weg
planmäßig fortsetzte.
"Jesse, da hat uns einer aufs Kreuz gelegt", raunte Milo mir
zu.
Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit einer Zeitung
fiel mir auf. Er hielt die Zeitung so, dass man die rechte Hand
nicht sehen konnte. Die Augenpartie wurde durch eine Sonnenbrille
mit Spiegelgläsern verdeckt. Das Haar war grau und kurzgeschoren.
Die muskulöse Bodybuilderfigur drohte den 500-Dollar-Anzug beinahe
zu sprengen.
Der Grauhaarige blickte kurz zur Seite. Dort befand sich ein
zweiter Mann, schwarzhaarig, mit dünnem Oberlippenbart und dunklem
Teint. Unter dem engsitzenden Jackett malte sich ein
Schulterholster ab. Der Mann mit dem Oberlippenbart nickte dem
Grauhaarigen zu. Beide Männer fielen schon dadurch auf, dass sie
außer uns so ziemlich die Einzigen auf dem Bahnsteig waren, die
nicht im Strom Richtung der Subway-Waggons mitschwammen.
Ein älterer Herr mit dicker Brille rempelte den Grauhaarigen
aus Versehen an. Für Sekundenbruchteile sah ich etwas Dunkles,
Metallisches unter der Zeitung hervortauchen.
Die Mündung einer Waffe oder ein Schalldämpfer...
"Vorsicht Milo!", rief ich, griff unter meine Jacke und riss
die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P226 hervor.
Der Grauhaarige ließ die Zeitung zur Seite gleiten, richtete
eine Automatik mit aufgeschraubtem Schalldämpfer in meine Richtung
und feuerte. Das Schussgeräusch war nicht zu hören.
Milo und ich duckten uns. Die erste Kugel zischte dicht über
unsere Köpfe hinweg, ließ eines der Kunstglasfenster des
Subway-Triebwagens zerspringen. Passanten stießen entsetzte Schreie
aus.
Nur der Bruchteil einer Sekunde blieb mir, um abzuwägen, ob
ich zurückfeuern sollte. Normalerweise verbot sich ein
Schusswaffengebrauch unter diesen Bedingungen. Schließlich waren
wir von viel zu vielen Passanten umgeben. Andererseits nahm dieser
Killer darauf keinerlei Rücksicht.
Wenn er ein zweites oder gar drittes Mal zum Schuss kam, war
die Gefährdung der Passanten vielleicht noch viel größer.
Ich schoss.
Meine Kugel traf den Grauhaarigen am Oberkörper, schleuderte
ihn zurück. Die Waffe meines Gegners wurde dadurch nach oben
gerissen. Seine Hand krampfte sich zusammen. Ein Schuss löste sich,
ging aber weit über die Köpfe der Passanten hinweg. Die
Anzeigetafel wurde getroffen.
Ein zischendes Geräusch ließ viele der Fahrgäste verwundert
aufsehen. Offenbar wurde durch diesen Treffer ein Kurzschluss
verursacht. Ein Teil der Beleuchtung fiel aus.
Der grauhaarige Killer stürzte rückwärts zu Boden. Ich
schnellte hinterher.
Die Türen der Waggons schlossen inzwischen selbsttätig. Der
Zug fuhr ab.
Milo richtete seine Waffe auf den Mann mit dem Oberlippenbart,
der eine Beretta aus dem Schulterholster gerissen hatte.
"Machen Sie Platz, FBI!", rief Milo.
Passanten stoben auseinander.
Milo feuerte einen Warnschuss ab.
Der Mann mit dem Oberlippenbart rannte davon. Er rempelte
rücksichtslos Passanten beiseite und strebte in Richtung der
Rolltreppen.
Milo setzte nach.
"Waffe weg!", sagte ich inzwischen zu dem Grauhaarigen.
Er lag auf dem Rücken, seine Brust war rot. Ein röchelnder
Laut kam ihm über die Lippen. Die Rechte hielt noch immer die
Schalldämpfer-Automatik umklammert. Sein Arm zuckte. Offenbar hatte
er immer noch nicht aufgegeben.
Ich kickte ihm die Waffe aus der Hand. Sie rutschte über den
Boden. Der Lauf meiner SIG zeigte auf sein Gesicht.
Mit der freien Hand griff ich zum Handy. Der grauhaarige
Killer brauchte dringend einen Notarzt.
Milo hetzte inzwischen hinter dem Komplizen her, drängte sich
durch die Passanten, die die Rolltreppe verstopften. Der Mann mit
dem Oberlippenbart sprintete in Richtung des Straßencafés, in dem
wir auf Delgrew gewartet hatten. Milo folgte ihm. Vierzig, fünfzig
Meter lagen zwischen ihnen. Der Killer hatte ein Handy am Ohr, nahm
den Apparat jetzt herunter. Er drehte sich herum und bemerkte
Milo.
Der Killer feuerte sofort. Milo duckte sich hinter einem
parkenden Fahrzeug. Zurückzuschießen war unmöglich. Mindesten
dreißig Personen hatten in dem Straßencafé Platz genommen und auf
diese Entfernung war es nicht so leicht einen Gegner mit einem
exakten Treffer auszuschalten.
Ein metallicfarbener Chevrolet hielt ganz in der Nähe. Der
Killer spurtete auf diesen Wagen zu. Augenblicke später erreichte
er ihn. Er riss die Tür hinten rechts auf und hechtete sich
förmlich ins Wageninnere. Mit quietschenden Reifen fuhr der Chevy
davon.
Milo setzte noch zu einem Spurt an. Als er für einen Moment
freies Schussfeld hatte, zielte er mit der SIG auf die Reifen. Sein
Schuss stanzte ein Loch in die Stoßstange hinein.
Der Wagen bog quietschend in die nächste Einfahrt.
"Verdammt", murmelte Milo vor sich hin. Der Kerl war ihm erst
einmal durch die Lappen gegangen.
4
Wir standen immer noch auf dem Subway-Bahnsteig. Inzwischen
waren die Kollegen der City Police eingetroffen und sperrten das
gesamte Gelände weiträumig ab. Es ging darum, eventuell vorhandene
Spuren zu sichern. Verschossene Projektile und dazugehörige
Patronenhülsen zum Beispiel. Die Beamten der Scientific Research
Division waren unterwegs. Sie würden die Feinarbeit leisten müssen.
Milo hatte sich die Nummer des Chevy gemerkt, mit dem der zweite
Killer geflohen war. Leider ergab eine entsprechende Halterabfrage
wenig später, dass das Nummernschild offenbar falsch war. Der
Emergency Service brachte den Grauhaarigen in das nur ein paar
Straßen entfernte Bethesda Hospital. Bei ihm kam jede Hilfe zu
spät. Nur etwa eine halbe Stunde später erreichte uns die
Nachricht, dass er bei der Notoperation verstorben war.
Ich hatte offenbar zu gut getroffen.
Andererseits war ich in der Situation dazu gezwungen gewesen,
den Grauhaarigen mit nur einem einzigen Schuss wirkungsvoll
auszuschalten.
Immerhin hatten wir ihm noch am Tatort das Handy abnehmen
können. Bevor sich die Kollegen der Scientific Research Division,
des Zentralen Erkennungsdienstes aller New Yorker Polizeieinheiten,
mit dem Ding eingehend befassen würden, nahm ich es mir erst einmal
vor.
Natürlich zog ich mir Latexhandschuhe dafür an.
Ich durchsuchte das Menü nach bekannten Nummern in den
Anruflisten. Eine einfache aber sehr wirkungsvolle
Fahndungsmethode.
Ich wurde auch fündig.
"Bingo!", sagte ich an Milo gerichtet.
"Was hast du ausgegraben?"
"Der grauhaarige Killer wurde etwa zehn Minuten, bevor hier
die Schießerei losging, von einer Nummer angerufen, die mir bekannt
vorkommt."
Ich nahm mein eigenes Handy hervor, tippte mit dem Daumen
etwas darauf herum. Und siehe da, mein Erinnerungsvermögen hatte
mich nicht getrogen. "Es ist die Nummer des Bailando, Milo!"
"Wir schauen dort am Besten so schnell wie möglich vorbei",
schlug Milo vor. "Dieser Delgrew kann was erleben, wenn wir ihn in
die Finger kriegen."
"Du meinst, er hat diese beiden Killer auf uns
angesetzt?"
"Wieso nicht?"
"Und aus welchem Grund?"
"Vielleicht wurde ihm die Zusammenarbeit mit uns einfach zu
heiß."
Ich schüttelte den Kopf.
"Das gibt doch alles keinen Sinn."
"Und was glaubst du?"
Ich zuckte die Achseln. "Vielleicht war Delgrew nicht
vorsichtig genug und jemand hat herausgekriegt, dass er für uns als
Informant tätig ist."
"In dem Fall sollten wir uns schleunigst darum kümmern, ob
Mister Delgrew noch lebt."
5
Wir erreichten etwa eine Stunde später das "Bailando",
Hausnummer 489 in der 86. Straße. Den Sportwagen, den uns die
Fahrbereitschaft des FBI Field Office New York zur Verfügung
stellte, parkte ich ein paar Meter vom Eingang der Latino-Diskothek
entfernt.
Es war früher Nachmittag.
Das bedeutete, dass hier um diese Zeit noch kein Betrieb war.
Allerdings hoffte ich, trotzdem jemanden anzutreffen. Im
günstigsten Fall Delgrew selbst, ansonsten einen seiner Partner,
mit denen er zusammen das "Bailando" betrieb. Neben der Tür war
eine Klingel mit Gegensprechanlage. Noch bevor ich auf den Knopf
gedrückt hatte, hörten wir von drinnen einen ziemlich abgedämpften
Schrei. Milo und ich wechselten einen schnellen Blick.
"Hast du das auch gehört?", fragte ich.
"Ich hoffe, da zieht sich nur jemand ein Video rein!"
Ein weiterer Schrei folgte. Durch die dicken Isolierschichten
der Wände wurde das meiste davon geschluckt. Eine Sekunde später
schaltete innen jemand die Musikanlage ein. Draußen kam davon kaum
mehr als ein dumpfes Vibrieren der Bässe an.
"Los, rein!", forderte ich.
Milo und ich hatten denselben Gedanken. Dort drinnen wurde
vermutlich gerade jemand grob in die Mangel genommen und die
musikalische Untermalung sollte verhindern, dass man außerhalb des
"Bailando" davon etwas mitbekam.
Milo riss an der Tür.
Sie war abgeschlossen.
Es war nicht möglich, sie einzutreten, da sie wie alle
Außentüren in öffentlich zugänglichen Gebäuden aus
Feuerschutzgründen nach außen zu öffnen war.
Ich zog die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P226 aus dem
Quick-Draw-Holster an meinem Gürtel und öffnete das Schloss mit
einem gezielten Schuss.
Mit einer ruckartigen Bewegung riss ich sie auf. Wir stürmten
vorwärts in einen halbdunklen Vorraum, wo wohl normalerweise ein
Türsteher postiert war. Im Augenblick befand sich hier niemand. Der
Eingang zur eigentlichen Diskothek stand halb offen. Im Profil war
zu sehen, dass diese zweite Tür mit dicken Schichten aus Styropor
und Schaumstoff abgedämmt war.
Wäre sie geschlossen gewesen, hätten wir draußen
wahrscheinlich nichts von den Schreien gehört.
Die Musik hämmerte stampfend im monotonen Rhythmus.
Es war ohrenbetäubend. Selbst unseren Schuss hatte man bei
dieser Geräuschkulisse vermutlich überhört.
Ich stürzte zuerst in den Tanzsaal, die SIG im beidhändigen
Anschlag.
Das Laserlicht flackerte.
Die eigentliche Tanzfläche befand sich auf einer Art Podest.
Davor gab es ein paar Tische, auf der linken Seite eine Bar. Auf
einem der Tische lag ein Mann. Ich erkannte ihn von Fotos wieder,
die unsere Kollegen gemacht hatten. Es handelte sich um Paco
Garcia, einen der Partner, mit denen John Delgrew das "Bailando"
betrieb.
Er wurde von vier Kerlen an Armen und Beinen gehalten.
Ein fünfter hielt einen Elektroschocker in der Hand. Der
Folterer wandte den vollkommen haarlosen Kopf in unsere Richtung.
Mitten auf seinem Schädel trug er eine Tätowierung in Form eines
Blitzes.
"FBI! Hände hoch und Waffen weg!", rief ich und versuchte die
stampfende Musik zu übertönen.
Mit der Linken hielt ich die FBI-Marke hoch.
Die Mobster bemerkten mich.
Wirbelten herum.
Sie ließen Paco Garcia los, griffen sofort zu ihren
Waffen.
Ein großer Blonder ließ die Hand zum Griff der MPi vom Typ Uzi
gleiten, die ihm über der Schulter hing. Er feuerte aus der Hüfte
heraus. Milo traf ihn mit einer Kugel in die Schulter. Der Blonde
taumelte rückwärts zu Boden und riss ein paar Stühle mit sich. Die
ganze Zeit über schoss er wild um sich. Die Spiegel, die einen Teil
der Decke zierten, regneten in Scherben hernieder.
Die anderen Mobster zogen ihre Waffen, zumeist automatische
Pistolen.
Auch sie feuerten wild drauf los, sprangen in Deckung.
Milo gab mir von der Tür aus Feuerschutz.
Ich hechtete zu Boden, riss einen der Tische um.
Das Inventar des "Bailando" war größtenteils in einer Art
Metalloptik gehalten. Aber als Schutzschild gegen massives
Dauerfeuer taugte die Tischplatte nichts.
Mehrere Projektile schlugen hindurch, stanzten augengroße
Löcher hinein.
Ich tauchte hervor, feuerte zurück.
Einen der Kerle traf ich. Er sank schreiend zu Boden.
Die anderen befanden sich auf der Flucht.
Paco Garcia war inzwischen vom Tisch heruntergesprungen, hatte
sich zu Boden gehechtet und machte sich dort so klein wie möglich.
Er lag dicht an der untersten Stufe, die zu der auf einem Podest
gelegenen Tanzfläche führte. Auf diese Weise hatte er etwas
Deckung. Den Kopf verbarg er unter den Armen, während ein Regen aus
Scherben über ihm niederging.
Ein wahrer Geschosshagel prasselte in unsere Richtung.
Für Sekunden konnten Milo und ich uns nicht hervorwagen.
Ich versuchte es einmal, zuckte jedoch sofort wieder
zurück.
Der Kahlköpfige mit dem Blitz-Tattoo schoss in Paco Garcias
Richtung, traf ihn am Rücken. Anschließend rannte der Tätowierte
weiter in Richtung eines Nebenausgangs.
Ich tauchte aus der Deckung hervor, schickte dem Kerl mit dem
Blitz-Tattoo eine Kugel hinterher.
Das flackernde Licht verlosch auf einmal.
Die dröhnende Musik ebenfalls.
Einer der Mobster hatte offenbar mit seiner Ballerei dafür
gesorgt, dass der Strom in weiten Teilen des "Bailando" ausgefallen
war. Es herrschte jetzt Halbdunkel.
Die Gangster flohen durch einen Nebenausgang.
Nur noch der Uzi-Schütze befand sich im Raum.
Er war trotz des Treffers, den er erhalten hatte, wieder auf
die Beine gekommen, taumelte seinen Komplizen hinterher und
ballerte dabei wie ein Wahnsinniger durch die Gegend, bis sein
Magazin leergeschossen war.
Immer wieder leckte das Mündungsfeuer blutrot aus der kurzen
MPi-Mündung. Die Kugeln zischten über mich hinweg. Dann machte es
"klack!".
Das Magazin der MPi war leer geschossen.
"Stehenbleiben!", rief ich.
Der Kerl wankte. Einen Moment zögerte er. Vom Nebenausgang her
krachten Schüsse. Der MPi-Schütze sank getroffen zu Boden. Seine
beiden Komplizen hatten ihn kaltblütig hingestreckt, um zu
verhindern, dass er sie verraten konnte.
Ich erreichte Paco Garcia, kniete mich neben ihn. Milo war
hinter mir. Er hatte das Handy schon am Ohr, um Verstärkung zu
rufen. Ich drehte Garcia vorsichtig herum. Selbst im Halbdunkel war
zu sehen, dass sein gesamter Rücken blutig war.
Er stieß einen röchelnden Laut aus.
"Garcia lebt noch!", rief ich. "Aber er braucht dringend einen
Arzt!"
"Schon unterwegs!", meldete Milo.
Ich erhob mich, rannte in Richtung des Nebenausgangs, durch
die die Mobster geflüchtet waren.
Auch im sich anschließenden Korridor war der Strom
ausgefallen. Da hatte einer dieser schießwütigen Kerle offenbar
einen richtigen Volltreffer gelandet. Ich schnellte in geduckter
Haltung vorwärts, rannte bis zum Hinterausgang.
Die Tür stand offen.
Das hereinfallende Sonnenlicht wirkte grell, wenn man sich an
die Sichtverhältnisse im fensterlosen "Bailando" gewöhnt
hatte.
Ich stürzte ins Freie. Ein Van fuhr mit quietschenden Reifen
davon. Die seitliche Schiebetür stand noch offen. Einer der
Insassen richtete seine Waffe auf mich. Er feuerte mehrfach. Ich
duckte mich. Die Kugeln meines Gegners stanzten Löcher ins
Mauerwerk. Der Van brauste die Straße entlang. Ich setzte zu einem
Sprint an, blieb schließlich stehen und zielte. Auf die Reifen des
Vans hatte ich es abgesehen.
Mein erster Schuss brachte den Reifen hinten links zum
Platzen. Das Heck des Transporters brach aus, knallte in die Reihe
der parkenden Fahrzeuge hinein. Blech wurde eingedrückt.
In der Ferne waren schon die Sirenen unserer NYPD-Kollegen
sowie des Emergency Service zu hören.
Drei der Mobster befanden sich noch im Van.
Der Fahrer ließ den Motor aufheulen, trat das Gaspedal voll
durch. Der Wagen schrammte am Blech der parkenden Fahrzeuge
entlang. Das Geräusch, das dabei entstand, war geradezu
ohrenbetäubend. Der Geruch von verbranntem Gummi verbreitete
sich.
Innerhalb von Augenblicken war die Felge hinten links
vollkommen blank. Das Metall ratschte funkensprühend über den
Asphalt. Dem Fahrer gelang es trotzdem einigermaßen die Richtung zu
halten.
Aus der offenen Seitentür heraus wurde gefeuert.
Schüsse peitschten.
Ich suchte Deckung hinter den am Straßenrand parkenden
Fahrzeugen.
Etwa 50 Yards waren es noch bis zur nächsten Kreuzung. Wenn es
dem Kerl mit dem Blitz-Tattoo und seinen Komplizen gelang, sich
dort in den fließenden Verkehr einzufädeln, würde es schwer sein,
die Bande noch zu stellen.
Ich griff zum Handy, rief die Zentrale an.
Für die zu erwartende Verfolgungsjagd brauchten wir dringend
einen Hubschrauber, um das flüchtige Fahrzeug nicht zu verlieren.
Außerdem mussten die zur Verstärkung anrückenden Kollegen so
instruiert werden, dass weiträumig Straßensperren errichtet
wurden.
Ein Sattelschlepper mit dem Reklameaufdruck eines
Getränke-Großvertriebs bog von der Hauptstraße her ein.
Die Durchfahrt war dadurch versperrt. Der Fahrer des Vans trat
in die Bremse. Reifen quietschten.
Der Van brach erneut aus, setzte sich quer zur
Fahrbahnrichtung und krachte in die Vorderfront der Zugmaschine
hinein. Ich setzte nach. Der Mann mit dem Blitz-Tattoo und seine
beiden Komplizen stiegen aus. Einer der Mobster hatte offenbar bei
dem Aufprall etwas abgekriegt. Er blutete aus einer Platzwunde an
der Stirn.
Der Truck Driver hingegen schien unverletzt geblieben zu sein.
Er saß wie erstarrt hinter seinem Lenkrad. Als er merkte, in was
für eine Situation er geraten war, duckte er sich und verschwand
hinter dem Armaturenbrett. Die Gangster feuerten in meine Richtung.
Ich nahm hinter den parkenden Fahrzeugen Deckung, deren
Seitenscheiben eine nach der anderen zu Bruch gingen.
Nur einmal gelang es mir, hinter der Motorhaube eines Buick
hervorzutauchen und meinerseits einen Schuss abzugeben.
Der Typ mit dem Blitz-Tattoo schaffte es inzwischen, die Tür
zur Fahrerkabine des Trucks aufzureißen.
Er schwang sich hinauf.
Der Truck Driver richtete sich mit erhobenen Händen auf. Ein
Mann Mitte zwanzig mit Vollbart und gelocktem Haar. Sein Gesicht
wurde vollkommen blass, als ihm der Kahlköpfige mit dem
Blitz-Tattoo die Automatik an die Schläfe hielt.
Seine Komplizen stellten jetzt das Feuer ein. Im Gesicht des
Tattoo-Trägers erschien ein zynisches Grinsen. Ich konnte mir
denken, was er beabsichtigte. Der Truck Driver war jetzt seine
Geisel.
"Komm hervor, G-man!", rief der Tätowierte durch die
heruntergelassene Seitenscheibe. "Und wirf deine Waffe weg, sonst
ist der Mann hier keine zwei Sekunden mehr am Leben!"
Mir blieb keine andere Wahl. Ich erhob mich. Das Leben eines
völlig Unbeteiligten wollte ich nicht riskieren. Ich konnte nur
hoffen, dass die Kollegen früh genug eintrafen und die Lage sofort
erfassten.
Andernfalls sah es in Anbetracht der kalten Skrupellosigkeit,
die dieser Tattoo-Träger bislang an den Tag gelegt hatte, schlecht
für mich aus.
"Geben Sie auf!", rief ich. "Sie machen ja nur noch alles viel
schlimmer!"
"Auf deine guten Ratschläge scheiße ich, G-man!", höhnte er.
"Wirf dein Schießeisen zu uns 'rüber!"
Ich gehorchte. Die SIG landete auf dem Asphalt. Inzwischen
stieg auch der am Kopf verletzte Gangster in die Fahrerkabine. Der
dritte Mann lud zunächst seine Waffe nach, blieb dann auf der
Beifahrerseite des Trucks stehen und richtete seine Pistole in
meine Richtung. Er grinste zynisch. Eine Strähne seines gelockten
Haars fiel über die Stirn.
"Komm hinter dem Wagen hervor, damit ich dich besser sehen
kann!", rief er.
Ich gehorchte, umrundete langsam den Buick, hinter dem ich
mich zuvor verschanzt hatte, trat anschließend zur
Straßenmitte.
Der Tätowierte versetzte dem Truck Driver einen Stoß.
Daraufhin startete der Fahrer den Motor.
Der Motorblock der Zugmaschine befand sich unter den Sitzen.
Daher hatte er beim Aufprall des Transporters offenbar nichts
abbekommen.
Der Truck setzte ein Stück zurück. Der Tätowierte gab dem
Lockenkopf ein Zeichen. Er fuhr sich mit der flachen Hand wie mit
einer Messerklinge am Hals entlang. Eine Geste, deren Botschaft an
Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. "Kill den G-man, bevor
du einsteigst!", hieß das.
Mit erhobenen Händen stand ich da.
Unbewaffnet.
Ich erwartete meinen Tod.
6
Candy war nackt.
Nackt bis auf ein schwarzes, etwa fünf Zentimeter breites
Lederhalsband sowie breite, mit Nieten besetzte Manschetten, die
sie um die Hand- und Fußgelenke trug.
Sie stand vor dem Spiegel im Bad, betrachtete ihren
formvollendeten Oberkörper.
Die großen Brüste wogten bei der kleinsten Bewegung hin und
her. Ihre Lippen wirkten voll und weich. Aber das war eine
Illusion, die durch das Make-up bewirkt wurde. In Wahrheit waren
sie dünn wie Striche.
Ein kaltes Lächeln war jetzt in ihrem Gesicht zu sehen.
"Hey, Baby, komm unter die Dusche!", hörte sie eine männliche
Stimme wie aus weiter Ferne. "Na los, Candy, wo bleibst du?"
"Leck mich doch", murmelte sie.
"Ja, immer gerne, Baby!"
Sie schloss die Augen.
In ihrer Vorstellung sah sie ein Gesicht vor sich. John
Delgrews Gesicht. Ganz genau hatte sie sich dieses Gesicht
angesehen, als er da vor ihr am Haken hing und endlich begriff, was
mit ihm geschehen würde...
Namenloses Entsetzen hatte seine Züge in jenem Moment
gezeichnet.
Und du hast es genossen, ging es ihr durch den Kopf. Du kannst
es ruhig zugeben, Delgrew hatte es verdient, so wie all die
anderen... Sieh ihn dir an, Candy! Sieh genau hin...
Plötzlich veränderte sich das Gesicht, das die junge Frau vor
ihrem inneren Auge sah.
Seine Züge wurden weicher, weiblicher... Candy spürte, wie ihr
Puls zu rasen begann. Schweißperlen rannen ihr über die Stirn.
Delgrews Antlitz verwandelte sich in ihr eigenes, angstvoll
verzerrtes Gesicht.
"Nein!" Candy schrie es förmlich heraus, riss die Augen
auf.
Hände packten sie von hinten an die Schultern.
Sie schlug um sich.
"Nein, lass mich, du Schwein!"
"Hey, was ist denn los?"
"Lester!", stieß sie hervor und blickte in das Gesicht eines
etwa fünfundvierzigjährigen Mannes mit dunklen Haaren. Er trug
einen auf den Millimeter genau rasierten Knebelbart, hatte eine
hohe Stirn und war kräftig gebaut. Außer einem Handtuch um die
Hüften trug er nichts. Das Duschwasser perlte noch von seinem
Körper.
Jetzt erst begriff Candy, dass sie versucht hatte, ihn mit den
Fäusten zu schlagen.
Er umfasste ihre Handgelenke nun so fest, als ob sie in
Schraubstöcken steckten. Sie atmete tief durch, gab den Widerstand
auf.
"Es ist nichts", behauptete sie und schluckte. "Alles in
Ordnung."
"Wirklich?"
"Alles okay."
"Brauchst du etwas Kokain oder ein paar Pillen?"
"Nein."
"Du weißt, ich habe alles da, womit man sich gut und easy
fühlen kann."
"Ja, ja..."
Ihre Gedanken schienen meilenweit entfernt zu sein.
Sie blickte durch ihn hindurch. Lesters Hand glitt über ihre
Schulter, schließlich tiefer.
"Ich dachte, wir schieben noch eine schnelle Nummer, bevor ich
ins Bailando muss!", schlug Lester vor.
"Nichts dagegen", erwiderte sie ziemlich
leidenschaftslos.
"Hey, mehr Begeisterung, Baby!"
Candy zwang sich zu seinem Lächeln. "Klar, du bist der Größte,
Lester!"
Und außerdem wird es deine letzte, schnelle Nummer mit mir
sein, setzte sie noch in Gedanken hinzu.
In ihren Augen blitzte es kalt.
7
Der Lockenkopf feuerte zweimal kurz hintereinander.
Ich hechtete mich zu Boden. Die Kugeln pfiffen dicht an mir
vorbei. Hart kam ich zu Boden, rollte mich herum. Die SIG lag auf
dem Asphalt, war unerreichbar für mich.
Zum dritten Mal wollte der Lockenkopf den Stecher seiner Waffe
durchziehen. Aber er kam nicht mehr dazu. Ein Schuss krachte vom
Hintereingang des "Bailando" aus. Milo war dort aufgetaucht, hatte
seine Waffe in Anschlag gebracht. Milos Kugel traf den Lockenkopf
im Oberkörper, riss ihn nach hinten. Der Kerl taumelte zu
Boden.
Ich rappelte mich auf, rannte auf den am Boden liegenden Mann
zu. Milos Schuss hatte ihn übel erwischt.