Triff mich auf der letzten Seite - Mary Ann Marlowe - E-Book
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Triff mich auf der letzten Seite E-Book

Mary Ann Marlowe

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Beschreibung

Seit Schriftstellerin und Buchhändlerin Maddie von ihrem Verlobten verlassen wurde, will sie von Romantik nichts mehr wissen. Doch dann werden ausgerechnet die gefühlvollen Passagen ihres gerade veröffentlichten Romans von einem Blogger namens Silver Fox zerrissen. Maddy, die eigentlich genug damit zu tun hat, die Menschen in ihrem Heimatort zum Lesen zu animieren, muss ihrem anonymen Kritiker recht geben, und will ihre Kenntnisse in Sachen Romantik auffrischen. Doch wie jede gute Geschichte nimmt auch das Leben oft unvorhergesehene Wendungen. Und die Liebe hat ihre eigenen Regeln ...

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Für die Lektoren: weil sie unseren Texten den letzten Schliff verleihenFür die Buch-Blogger: weil sie unsere Werke bekannt machenFür die Leser: weil sie unsere Welten bewohnen

Aus dem Amerikanischen von Babette Schröder

© Mary Ann Marlowe 2019Titel der amerikanischen Originalausgabe:»Dating by the book«, Kensington Books 2019© der deutschsprachigen Ausgabe:Piper Verlag GmbH, München 2020Vermittelt durch Kensington Publishing Corp.,New York, NY 10018, USALektorat: Kerstin von DobschützCovergestaltung: FAVORITBUERO, MünchenCovermotiv: shutterstock.com/Verock

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Inhalt

Cover & Impressum

1 – Die Vandalen hatten …

2 – Komisch, dass so …

3 – Dylan wurde sofort …

4 – Das Morgenlicht …

5 – Kurz nachdem die …

6 – Am Sonntag nach …

7 – Die Woche war …

8 – Nach diesem verrückten, …

9 – Am Freitagabend …

10 – Am Samstagmorgen …

11 – Am darauffolgenden …

12 – Weil Gentry hart…

13 – Als ich die eine …

14 – Als ich am Montag …

15 – Ich kam nicht dazu, …

16 – Ganz Orion hatte …

17 – Bei den Vorbereitungen …

18 – Ich wachte davon …

19 – Mein Kopf pochte, …

20 – Der Freitag kam, …

21 – Am Samstagmorgen …

22 – Nachdem die Leute …

23 – Ich deutete es als …

24 – Ich war mir nicht …

25 – Sosehr es mich …

26 – Es war spät, als …

27 – Am frühen Abend …

28 – Ehe ich in den …

29 – Nachdem der letzte …

Dank

1 – Die Vandalen hatten …

Die Vandalen hatten wieder zugeschlagen. Mit einem großen K und einem S hatten sie den Namen meines Buchladens, der auf der Scheibe stand, von Orion Bookstore in Orion Koks Store verwandelt.

Sehr komisch.

So etwas hatte es in der Weltstadt Orion früher nicht gegeben – »der kleinen Stadt mit dem großen Herzen«. Doch in den letzten Monaten hatte ich dreimal Farbe vom Fenster gekratzt, die dort nicht hingehörte. Der letzte Versuch war wenigstens pfiffig gewesen. Da waren alle O zu Fratzengesichtern verschandelt. Wie Kürbisse zu Halloween. Kinder.

Ich zog die Visakarte hervor, deren Kreditrahmen ausgereizt war, und schabte an der Schmiererei herum. Zum Glück hatten sie nur die Scheibe besudelt. Wenn sie auf das Holz gemalt hätten, hätte ich gnadenlos Jagd auf die armseligen Knalltüten gemacht.

Nachdem ich das Problem mehr oder weniger beseitigt hatte, angelte ich die Schlüssel aus der Tasche, doch die Eingangstür ließ sich nicht öffnen, auch nicht, als ich mit der Schulter dagegendrückte. Na toll! Noch ein Problem, das ich lösen musste.

Ich stieß beherzt mit der Hüfte gegen die Tür, und endlich konnte ich eintreten. Sofort überkam mich ein heimeliges Gefühl. Andächtig atmete ich die friedliche Atmosphäre ein.

Jeden Morgen, wenn ich die Schwelle zu meinem Heiligtum überschritt, sprach ich zwei Gebete. Als Erstes dankte ich den Göttern für den Buchladen, der jetzt (größtenteils) mir gehörte. Anschließend bat ich das Universum um Kunden, damit ich den Laden halten konnte. Ich hatte schon so viel für meinen Traum geopfert, dass es mir nicht nur das Herz brechen würde, wenn ich scheiterte. Es würde mich ganz und gar vernichten.

Vor sechs Monaten hatte mich mein Verlobter gebeten, meinen Laden in der Kleinstadt aufzugeben und ihm in die Großstadt zu folgen, wo er gern leben wollte. Wie immer blieb ich stur und entschied mich zu bleiben. Seit sich unsere Wege getrennt hatten, befand ich mich in einer merkwürdigen Situation: Ich konnte die eine Hälfte meiner Träume verwirklichen, allerdings nur, wenn ich auf die andere Hälfte verzichtete. Es war wie eine ironische Wendung in einer Kurzgeschichte von O’Henry. Ja, ich hatte einen Buchladen, doch genau deshalb hatte ich einen Ehemann verloren. Dabei war ich noch nicht einmal Witwe, ich war noch nie verheiratet gewesen. Ich hätte Mrs Peter Mercer sein sollen. Stattdessen war ich immer noch Miss Madeleine Hanson.

Nachdem ich die Tische mit den Angeboten draußen aufgebaut hatte, stellte ich die Tafel auf den Bürgersteig, ging in die Hocke und notierte das heutige Angebot.

Zusätzliche 15 % auf reduzierte Ware

Sosehr es mir auch widerstrebte, Bücher praktisch umsonst wegzugeben, meine Regale platzten aus allen Nähten.

Es ging ein sanfter Wind, und ich schloss die Augen, um die wärmende Morgensonne zu genießen, doch dann zog der Duft frisch gebackener Croissants von Gentry’s französischem Bistro herüber, und ich rümpfte die Nase. Das zweifellos köstliche Gebäck hatte für mich einen üblen Beigeschmack, denn es stahl meinem armen Café den ganzen Vormittag die Kundschaft.

Als ob ich ihn mit meinen Gedanken heraufbeschworen hätte, parkte ein weißer Kastenwagen am Straßenrand. Ich hielt mir gegen die blendende Sonne die Hand über die Augen und sah Max Beckett herausspringen. Er winkte, tänzelte zum Laderaum und rief: »Hilfst du mir mal kurz?«

Als ich zu ihm schlenderte, packte er mir zwei Kartons auf die Arme und holte noch drei weitere heraus. Fast ließ ich sie fallen, als ich die Tür aufstieß. Max folgte mir zum Tresen, wo er den Inhalt prüfte. Der Großteil bestand aus Muffins, Croissants und anderem Gebäck. Die Kartons, die ich getragen hatte, enthielten zwei ganze Kuchen, Marmor- und Schokoladenkuchen.

»Wie viel schulde ich dir?«

Er holte die Rechnung hervor, und während ich sie durchsah, beugte er sich gegen die Kühltheke und fragte: »Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«

Ich sah schnaubend auf. »Nicht wirklich.«

Er nagte kurz an der Innenseite seiner Wange.

»Das wäre gut fürs Geschäft, Maddie. Für unser beider Geschäft.«

Von seinem unschuldigen Getue ließ ich mich nicht täuschen.

Er wollte das Catering-Geschäft, das er zusammen mit seiner Mutter führte, in meinen Buchladen integrieren, um in der Stadt einen Standort zu haben. Er behauptete, es werde auch meinen Umsatz ankurbeln. Und vielleicht stimmte das, aber es machte mich verrückt, dass er stets glaubte, alles zu wissen. Ständig gab er mir ungebeten Ratschläge. Wie letztes Jahr, als er seine Sorge über meine bevorstehende Hochzeit zum Ausdruck gebracht hatte.

Wenn sich herausstellte, dass er recht hatte, ärgerte es mich nur umso mehr. Manchmal – im Grunde meistens – unterstellte ich ihm unwillkürlich niedere Motive.

Ich musste nur noch herausfinden, warum er sich in mein Geschäft einschleichen wollte. »Wie soll mir das helfen?«

»Wenn wir hier eine richtige Bäckerei eröffnen, könntest du mehr Kunden anziehen.«

»Ich verkaufe doch schon deine Backwaren. Denk dir was anderes aus.«

Er seufzte. »Maddie, ich habe Marketing studiert. Sieh dir doch an, was ich aus dem Geschäft meiner Mutter gemacht habe.«

Das stimmte. Bis er mit neuen Ideen eingestiegen war, hatte seine Mutter ab und an Hochzeitstorten gebacken, jetzt produzierten sie am laufenden Band für örtliche Restaurants und besondere Ereignisse im Ort.

»Ich verstehe nicht, was das mit meiner Situation zu tun hat.«

»Ich habe gute Ideen, wie man deinen Laden besser nutzen und deinen Kundenstamm erweitern könnte.«

Genau wie er es mit dem Geschäft seiner Mutter gemacht hatte. Ich kniff ein Auge zusammen. Mein argwöhnisches Auge. »Eigentlich willst du meinen Laden doch übernehmen, stimmt’s?«

Er musste bis zehn gezählt haben, bevor er antwortete. »Es geht nicht um eine Übernahme. Wir würden eine Partnerschaft eingehen.«

Eine Partnerschaft bedeutete eine Beziehung auf Augenhöhe, doch seit der Highschool bevormundete Max mich mit ungewollten Ratschlägen oder wollte besser sein als ich. Schließlich hatte ich ebenfalls Marketing studiert, ich wollte das Geschäft auf meine Weise führen.

»Ich bin mit der jetzigen Regelung sehr zufrieden.«

Die sah so aus, dass ich täglich meine Bestellungen durchgab, woraufhin Max und seine Mom die Sachen in ihrer Küche backten und Max sie anschließend in den Laden lieferte. Ich verkaufte ihre Backwaren mit einem leichten Aufpreis und musste Max keine Kontrolle überlassen.

»Na komm. Die tolle Küche, die zu deinem Laden gehört, ist völlig verschwendet. Stell dir vor, ich würde nachts kommen und dort backen. Dann könnte ich den Laden schon früh öffnen und noch mehr morgendliche Kunden abgreifen.«

Ich musste weiß Gott einen Weg finden, den Umsatz zu steigern, aber sein Vorschlag klang, als wollte er mich vertreiben. »Es läuft prima, danke.«

Auf seinen Wangen erschienen rote Flecken, und ich wusste, dass mein Widerstand ihn genauso ärgerte wie mich sein Drängen. »Es ist fast, als hättest du völlig vergessen, was du eigentlich wolltest.« Seine Stimme wurde sanfter. »Maddie, du hast einen Verlobten verloren, aber nicht dein Geschäft. Noch nicht.«

Bei dieser Spitze legte ich den Kopf schief. »Denkst du etwa, ich schaffe das nicht?«

Er biss sich auf die Lippe, und seine Brust hob und senkte sich, als würde er eine neue Atemtechnik testen. Es nervte mich, dass er seine Gefühle besser unter Kontrolle hatte als ich. Ein Punkt für Max.

Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf, und jede Spur von Ärger war wie weggewischt. »Ach, Mom wollte, dass ich dir das hier gebe.« Er öffnete eine Gebäckschachtel, holte einen kleinen Cupcake mit cremefarbener Glasur heraus und hielt ihn hoch – er sah aus wie ein wundersamer Talisman aus einem anderen Reich. »Probier mal.« Er zog eine Augenbraue nach oben, ob heraus- oder nur auffordernd, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen.

Ich sah ihn wütend an und schob mir den ganzen Cupcake auf einmal in den Mund. Als ob ich plötzlich nachgeben würde, nur weil er …

»O mein Gott!«

Seine grünen Augen leuchteten wie Smaragde. »Schmeckt er dir?«

Es war geradezu eine Geschmacksexplosion und Erdbeer-fluffig-leicht. »Was ist das?«

»Ein Mini-Erdbeer-Shortbread-Cupcake. Mom hat experimentiert.« Ein Lächeln erschien in seinen Mundwinkeln.

Ich zuckte die Schultern. »Ist ganz okay.«

»Aha.« Er kniff die Augen zusammen. »Ich habe gesehen, wie du wie ein streunender Hund vor unserer Hintertür herumgelungert und um Reste gebettelt hast, wenn Mom früher Erdbeeren gepflückt hat.«

Ich verstand nicht, wie er es immer wieder schaffte, meine Abwehr zum Einsturz und mich zum Lachen zu bringen. Das war schon so, als wir noch Kinder waren. Doch er hatte recht. Ich war verrückt nach den Shortbreads seiner Mom.

Er lachte, denn er wusste, dass er einen winzigen Sieg errungen hatte. Missbilligend schnalzte ich mit der Zunge.

»Hast du was dagegen, wenn ich heute Abend welche zu deinem Buchclub mitbringe und sie deinem gebannt lauschenden Publikum vorsetze? Werbung.«

Stets die eigenen Interessen im Blick. »Klar. Von mir aus.«

Als ich ihn nach draußen begleitete, stieß ich die Tür auf, um ein bisschen Luft hereinzulassen und den Kunden den Eintritt durch die klemmende Tür zu erleichtern. Max drehte sich um: »Hast du mal versucht, die Scharniere zu ölen?«

Er benahm sich, als wäre er mein Vater. Oder mein älterer Bruder, dabei waren wir ungefähr gleich alt.

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte vergeblich, seine neue Atemtechnik zu imitieren. »Danke! Das probier ich später.«

Bei dem schönen Wetter währte mein Missmut nicht lange. Ich stellte im Radio einen Musiksender ein und füllte vor mich hin summend die Muffins aus Max’ Lieferung in die Kühltheke. Dann lehnte ich mich zurück und wartete, dass die Kunden hereinströmten.

Der Orion Bookstore stand seit siebenunddreißig Jahren an dieser baumgesäumten Straße, schon lange bevor meine Eltern mich adoptiert und in das Zweitausend-Seelen-Städtchen Orion gebracht hatten. Hier hatte ich schon als Jugendliche meine Bücher gekauft, und ich wollte, dass der Laden so lange wie möglich weiterbestand.

Von daher war die Betriebswirtschaftlerin in mir etwas beunruhigt über die derzeitige Leere. Die Buchfreundin wollte allerdings, dass es für immer ruhig blieb, damit ich mich wie als Kind in eine Ecke verkrümeln und jedes Buch im Regal lesen konnte.

Meine Liebe zu Büchern wurde geboren, als ich hier im Schneidersitz auf dem Boden gesessen hatte und Mrs Moore, die ursprüngliche Besitzerin, einen Finger anleckte und eine Seite in Die Zeitfalte oder Der Indianer im Küchenschrank umblätterte.

Als ich alt genug war, um selbst zu lesen, ging meine Mom mit mir in die kleine Bücherei oben an der Straße, doch die war so gut bestückt wie eine Cocktail-Bar während der Prohibition, und ich war eine unersättliche Leserin. Und so erlaubte mir Mom, mir jede Woche ein Buch im Orion Bookstore zu kaufen.

Ich genoss den Geruch von dem Holz des alten Raums und den Büchern und wärmte mich im Sonnenlicht, das milde durch die alten Fenster hereinschien und Geister heraufbeschwor. Zwischen den hohen Dachsparren tanzte Staub, und in der Krimi-Ecke quietschten die Holzdielen und verbreiteten eine leicht gruselige Atmosphäre. Für eine extra Kinder-Ecke war nicht genügend Platz, da das Café ein gutes Drittel des Ladens einnahm – und zwei Drittel meines Umsatzes ausmachte –, doch die gemütliche Ecke mit den einladenden Sesseln war ein Relikt aus meiner Jugend.

In der vorderen Wand zwischen den Neuerscheinungen hatte ich eine Lücke gelassen, dort wollte ich meinen eigenen Roman präsentieren. Die vielen Stunden zwischen den Büchern waren nicht spurlos an mir vorbeigegangen, und wie so viele andere hatte ich mich selbst im Schreiben versucht. Zum Glück war es mir gelungen, einen Buchvertrag von einem Verlag zu bekommen, doch meine Identität als Autorin war noch geheim. Ob ich sie öffentlich machen würde, wollte ich entscheiden, wenn der Roman in einigen Wochen erschienen war. Und zwar nur, wenn er gut ankam. Bei diesem Gedanken flatterten vor Aufregung Schmetterlinge in meinem Bauch auf.

Doch das war Zukunftsmusik. Heute war ein ganz normaler Geschäftstag.

Schon bald schlenderte einer meiner Stammkunden herein, Charlie Hamilton, er winkte und setzte sich an seinen Lieblingstisch am Fenster. Dort würde er eine Weile bleiben, vielleicht Hausarbeiten korrigieren, am Laptop arbeiten und dazwischen immer wieder längere Zeit das Kinn in die Hände stützen und draußen Passanten beobachten.

Ach, das Leben.

»Das Übliche?«, rief ich ihm zu.

Er sah kurz auf, während er das Computerkabel einstöpselte. »Danke!«

Ich beobachtete ihn, während ich Kaffee in den Filter drückte.

Charlie war der Inbegriff eines Collegeprofessors, seine dunkelblonden Locken waren ständig in wirrer Auflösung begriffen. Er trug einen kurz getrimmten Bart und ein schwarzes Brillengestell mit runden Gläsern, das einen an den Begriff Augengläser denken ließ. Er erinnerte mich etwas an Indiana Jones zu Beginn von Jäger des verlorenen Schatzes, süß auf eine extrem schräge Art. Doch es würde mich überraschen, wenn er sich tatsächlich in irgendwelche Abenteuer stürzen würde. Außer in seinem Kopf. Wie ich lebte er einen Großteil seiner Zeit in den Fantasiewelten, von denen er gelesen hatte. Wir fanden das Leben beide erträglicher, wenn wir fließend zwischen Realität und Fantasie hin- und herwandern konnten.

Wäre Charlie ein Charakter aus meinem Fantasy-Roman, wäre er entweder der Schreiber oder eine komische Nebenfigur. Ich bezeichnete ihn für mich als Charlie, den Chronisten.

Als ich ihm einen Latte macchiato zwischen Notizblock und Handy stellte, schob er mit dem Fuß einen Stuhl heraus. »Ich glaube nicht, dass die Liebesgeschichte in Stolz und Vorurteil in der Realität funktionieren würde. Zumindest nicht in der modernen Welt.«

Das war typisch für Charlie. Er hielt nicht viel von Small Talk und setzte mitten im Gespräch an. Er stammte nicht aus Orion, sondern war hergezogen, weil er an der DePauw-Uni unterrichtete. Ich hatte ihn lieb gewonnen und freute mich, mit ihm über Literatur und seinen Englischunterricht zu sprechen.

»Warum nicht?« Ich setzte mich und legte die Ellbogen auf den Tisch. Das könnte ein gutes Thema für den heutigen Buchclub-Abend sein.

»Sie knistert nicht gerade vor Energie.«

Ich lachte. »Du machst Witze. Ich finde, gerade Hassliebe-Geschichten sind doch besonders prickelnd. Du musst ja wohl zugeben, dass so etwas ziemlich scharf ist.«

Er verdrehte die Augen. »Wenn du meinst. Ich finde, da fehlt was.«

Ich wollte ihm gerade vorwerfen, dass er ein Roboter sei, als mein Smartphone auf der anderen Seite des Raums den Eingang einer E-Mail auf meinem Autoren-Konto verkündete: Sie haben Post!

»Entschuldige mich.« Ich stand auf, und er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Papieren zu.

Beklommen duckte ich mich hinter die Kasse, um meine E-Mails zu checken. Eine E-Mail in meinem Autoren-Postfach konnte großartige Neuigkeiten bedeuten wie: Glückwunsch! Wir bringen ein Hörbuch heraus! Oder auch anstrengende Arbeit: Sie müssen das letzte Drittel des Romans noch mal umschreiben.

Diese E-Mail war weder das eine noch das andere – nur eine Meldung von Google. Junk.

Ich hatte auf Google einen Alert mit meinem Autorennamen und dem Titel meines noch nicht veröffentlichten Romans eingerichtet, damit mir nichts entging, was dazu geschrieben wurde. Diese Meldung bezog sich jedoch auf eine Seite, die vorgab, eine Raubkopie von meinem Buch anzubieten. Ich leitete sie an meine Lektorin weiter. Irgendwelche Idioten, die andere Leute übers Ohr hauen wollten und dazu meine kreative Leistung als Köder benutzten, waren mir zuwider.

Dann bemerkte ich unter dem ersten Link einen zweiten. Ich klickte ihn an, ohne zu ahnen, dass drei harmlose Wörter meine Welt auf den Kopf stellen sollten.

2 – Komisch, dass so …

Komisch, dass so viele lebensverändernde Momente mit drei Wörtern beginnen.

Ich liebe dich.

Küss die Braut.

Trink ein Bier.

Die drei Worte, die meine Lektorin meinen ersten Leseexemplaren als Ratschlag beigefügt hatte, lauteten: Lies keine Kritiken. Dennoch ließ ich mich auf dem Stuhl hinter der Kasse nieder, um die Kritik auf einem Bücherblog zu studieren. Ich hoffte auf die Worte »großartiger Debütroman« und ein Lob, das meinem Ego schmeichelte. Die wenigen Vorabkritiken, die ich bereits gelesen hatte, waren recht enthusiastisch gewesen, sodass ich mich der Warnung zum Trotz auf die fremde Beurteilung freute.

Der Text in der E-Mail lautete: »Kritik von Claire Kincaids Lehrling des Schattens« und führte zu einer Seite mit dem Titel Die Buchbrigade. Von denen hatte ich noch nie gehört, doch die letzten Blogs, auf die ich gestoßen war, hatte ich auch nicht gekannt. Das Autorendasein war völliges Neuland für mich. Ich musste noch viel lernen.

Mein Englischlehrer auf der Highschool hatte immer gesagt, der Autor ist tot, was im Literaturunterricht für gewöhnlich wörtlich zu nehmen war. Darum hatte ich nie groß darüber nachgedacht, dass zeitgenössische Autoren lebten, atmeten und echte Menschen mit Gefühlen waren, die möglicherweise eine sehr klare Meinung zu falschen Interpretationen ihrer Werke hatten. Vermutlich hatte J. K. Rowling Besseres zu tun, als eine Vorlesung über das Oberthema in Harry Potter und der Gefangene von Askaban zu hören.

Das war, bevor ich den Rubikon vom Leser zum Autor überschritten hatte. Jetzt fand ich Kritiken seltsam aufregend. Wenn jemand dort draußen mein Buch las, musste ich unbedingt wissen, wie er es fand.

Jetzt kam also der Moment der Abrechnung.

Ich überflog die Kritik, und als ich die Bewertung am Ende entdeckte, blieb mir das Herz stehen: drei ganze Sterne.

Objektiv gesehen war mir klar, dass die meisten Leute drei Sterne als gut genug erachteten, und ich versuchte, mir zu sagen, dass es nur eine entmutigende Kritik und nicht der Untergang war. Doch ich hatte voller Stolz und anscheinend unberechtigterweise literarisches Lob, Preise und eine Einladung in die berühmte Radiosendung von Terry Gross erwartet. Meine Karriere war vorbei, ehe sie richtig begonnen hatte.

Ruhe in Frieden.

Wie ein Musterschüler, der eine schlechte Note bekommt, stellte ich die Urteilskraft des Lehrers infrage.

Meine erste Reaktion lautete: Das lese ich nicht.

Ich bemerkte kaum, dass Charlie seine Sachen einsammelte und zum Tresen kam, um den Kaffee zu bezahlen. Ich wischte mir über die Augen und atmete tief durch. Ich konnte es mir nicht erlauben, mich lange im Elend zu suhlen, ich hatte ein Geschäft zu führen.

Er zögerte und räusperte sich. »Ist alles in Ordnung?«

Ich nahm mir ein Beispiel an der sturen, unverwüstlichen Anne Shirley und straffte die Schultern. »Alles okay«, log ich.

Nicht ganz überzeugt kniff er die Augen zusammen. »Ich muss jetzt unterrichten, aber zum Buchclub komme ich wieder.«

Nachdem sein Körper schon durch die Tür verschwunden war, hing sein Schatten noch im Torbogen und wurde auf einmal wieder länger. Ich rechnete damit, dass Charlie zurückkam und etwas vergessen hatte, doch stattdessen trat Layla Beckett durch die Tür, was selten passierte, weil sie so gut wie nie unsere Wohnung verließ.

Gott sei Dank!

Layla, meine beste Freundin, Mitbewohnerin und Vertraute, war der einzige Mensch in der Stadt, der abgesehen von meiner Mutter von meinen zaghaften Anfängen als Autorin wusste. Ich hatte es ihr irgendwann anvertraut und sie unter Androhung der Todesstrafe zum Schweigen verpflichtet, weil ich ihre außerordentlichen Fähigkeiten beim Aufbau meiner Website brauchte. Außerdem musste sie mir zeigen, wie ich zu gegebener Zeit auf Twitter für mich werben konnte. Bei ihr konnte ich sicher sein, dass sie frühe Fassungen las und mir vorsichtige Verbesserungsvorschläge machte, ohne mein Selbstbewusstsein zu zerstören. Was nicht bei jedem der Fall war. Auf der Highschool hatte ich Max einmal eine lustige Kurzgeschichte von mir zu lesen gegeben. Ich wollte ihn nur zum Lachen bringen, doch er nutzte die Gelegenheit, mich zu belehren, und erteilte mir ungefragt Ratschläge, wie ich meinen Stil verbessern konnte. Ich schwor mir, ihm nie wieder etwas von mir zum Lesen zu geben. Daher war mir Laylas Diskretion so wichtig.

Layla starrte den Großteil des Tages auf ihren Computerbildschirm, managte das inoffizielle Fan-Forum einer Band und schrieb Blogbeiträge. Sie verstand den Vorteil einer zweiten Identität, obwohl sie ihre Anonymität umgekehrt nutzte. In der Stadt hatte sie nie ein Hehl aus der Leidenschaft für ihre Lieblingsband gemacht, doch vor den Fremden, denen sie im Forum begegnete, hielt sie ihre wahre Identität streng geheim. Dabei waren es für sie keine Fremden, sondern Freunde. Nichtsdestotrotz nutzte sie ein Alias und gab niemals Hinweise auf ihre Identität. Ich verstand nicht, wie man sich mit jemandem anfreunden konnte, der sich hinter einem Tarnnamen versteckte.

»Kannst du mir einen Gefallen tun?«, rief ich, als sie auf die Kasse zukam, und öffnete die Seite der Buchbrigade. »Irgendein Fremder, der sich hinter einem Alias verbirgt, hat eine Kritik über mein Buch geschrieben. Würdest du sie lesen und mir sagen, was du davon hältst?«

Ich reichte ihr mein Smartphone, und sie entzifferte blinzelnd die winzige Schrift auf dem Display. »Wer ist Silberfuchs? Mann oder Frau?«

»Keine Ahnung.«

»Sekunde.« Sie klickte auf Username und ging zur Biografie-Seite. »Er.« Sie klickte zurück zur Kritik. »Soll ich sie laut vorlesen?«

Ich schlug die Hände vors Gesicht und linste zwischen den Fingern hindurch. »Klar.«

»Also los.« Sie wackelte mit den Augenbrauen, als würde sie etwas Lustiges oder Verruchtes tun, wie zum Beispiel, sich mitten in der Nacht aus dem Haus schleichen. Vermutlich ist es immer lustiger, wenn jemand anders hingerichtet wird. »›Kritik von Claire Kincaids Lehrling des Schattens.‹« Layla legte die Hand auf mein Handgelenk. »Ich finde es immer noch wunderbar, dass du den Vornamen deiner leiblichen Mutter als Pseudonym gewählt hast.«

Dass ich auch den Mädchennamen meiner Adoptivmutter benutzt hatte, schien sie weniger zu beeindrucken.

»Du machst mich fertig, Layla.« Wenn sie jede Aussage kommentierte, würde ich das nicht überleben. »Kannst du bitte einfach vorlesen?«

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Telefon zu. »›Mir wurde ein Leseexemplar dieses Buches zugeschickt, damit ich eine ehrliche Kritik darüber schreibe.‹« Sie sah zu mir hoch. »Wer hat das Leseexemplar geschickt?«

Ich knurrte. »Keine Ahnung. Vermutlich wollte meine Presseagentin schon vor der Veröffentlichung auf das Buch aufmerksam machen.«

»Okay. Sehen wir, was dieser Fuchs zu sagen hat.« Sie räusperte sich. »›Lehrling des Schattens ist eine Fantasy-Heldenreise, gepaart mit einer Liebesgeschichte. Zunächst dachte ich, es handelt sich um eine billige Tolkien-Kopie, denn der Roman beginnt damit, dass ein geheimnisvoller, verhutzelter alter Mann einen treuen Assistenten sucht, der mit ihm durchs Land reist und in der Ferne einen Feind überwältigt. Doch die Autorin nutzt Bezüge zu anderen Heldenreisen dazu, mit gewohnten Bildern zu spielen und sie umzudrehen, was zu überraschenden und amüsanten Wendungen führt. Der Lehrling, der erwählt wird, dem alten Mann zu folgen, ist eine einfache Bürgerin, eine Frau namens Lela, die einen guten Sinn für Humor besitzt. Ihr Selbstbewusstsein und ihre Macht gewinnen mit der Zeit an Kraft.‹«

Wieder hielt sie inne. »Lela? Das klingt ja fast wie Layla.«

»Ja, er hat den Namen falsch zitiert. Lies weiter!«

»›Es wird eine Liebesgeschichte eingeführt, doch der Versuch, mit allen Mitteln noch etwas Romantik in der Geschichte unterzubringen, ist bestenfalls ein blasser Ansatz. Die hölzerne Beziehung zwischen Dane und Lela …‹«, sie kicherte, »›hat mich nicht überzeugt. Da knistert es zwischen meinen Küchengeräten mehr. Sie wirkt derart künstlich, dass man meinen könnte, die Autorin habe keinerlei Erfahrung in Sachen Romantik. Der Weltenbau – obwohl vollgestopft mit Informationen und einer schwerfälligen Exposition – ist der stärkste Aspekt des Buches. Kincaid gelingt es für eine Debütautorin sehr gut, eine eigene überzeugende Kultur und Geografie zu schaffen. Zeitweise wirkte es, als hätte sie eine echte Wikipedia-Seite über einen Brauch gelesen und wollte ihre Recherchen einfließen lassen. Dass diese Teile erfunden waren, hat mich auf intellektueller Ebene beeindruckt, andererseits bin ich an diesen Stellen jedoch aus der Geschichte ausgestiegen. Ich hätte mir gewünscht, weniger über die Religion zu erfahren und mehr darüber, was Dane und Lela auf ihrer Reise antreibt.

Insgesamt ein vielversprechendes Debüt, obwohl es meiner Ansicht nach etwas missglückt ist. Drei ganze Sterne.‹«

»Hm.« Layla sah mich mit schief gelegtem Kopf an. »Gar nicht schlecht.«

Ich nahm eine Serviette und drehte sie in den Händen. »Er findet es schrecklich.«

»Da bin ich anderer Meinung. Hast du die ganzen positiven Sachen nicht gehört? Ein vielversprechendes Debüt, Maddie.«

»Es ist missglückt.« Am Ende des Tages würde ich vermutlich die ganze Kritik auswendig kennen, als wäre es Per Anhalter durch die Galaxis. Wenn sie bloß auch so witzig gewesen wäre.

»Es ist nur eine Kritik. Und ehrlich gesagt, du hörst nur die kritischen Teile. Du weißt, wie subjektiv Meinungen sind.«

»Das weiß ich. Aber wie kann seine Kritik berechtigt sein, wenn er das Buch anscheinend gar nicht gelesen hat? Er hat die Namen falsch zitiert.«

»Vielleicht ist Fantasy nicht sein Ding.«

»Er hatte vor allem ein Problem mit der Liebesgeschichte.« Ich verzog das Gesicht, um die Tränen zurückzudrängen, und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. »Du hast es gelesen. Findest du die Liebesgeschichte glaubwürdig? Bin ich im Leben derart gescheitert, dass ich noch nicht einmal weiß, ob meine erfundene Liebesgeschichte glaubhaft klingt?«

»Hör auf, Maddie. Du wirst sehr wahrscheinlich noch mehr schonungslose Kritiken lesen, wenn das Buch erst draußen ist. Wenn du das Glück hast und es jemand liest.«

Ein Schlag in die Magengrube. »Autsch! Danke für deine Zuversicht!«

»Ich mein ja nur. Luxusprobleme. Das gehört dazu, Mads. Du solltest sehen, was die Leute in meinem Fan-Forum über Adams neue Musik sagen. Und das sind seine Fans.«

Ich fand es wundervoll, dass sie die Kritik an der Band persönlich nahm. »Es ärgert mich eben.«

»Denk dran. Du hast das freiwillig getan. Jetzt beklag dich nicht, dass deine diamantenbesetzten Schuhe zu eng sind.« Sie gab mir das Smartphone zurück.

»Kommst du heute Abend zum Buchclub?« Ich fragte sie schon ewig, aber ihr Bruder Max hatte all die Buchwurm-Gene der Familie Beckett abbekommen.

Sie rümpfte die Nase. »Nein. Ich bin nur vorbeigekommen, um mir bei dir einen Kaffee zu holen. Ich bin gerade erst aufgestanden.«

Ich rügte sie nicht, weil sie den ganzen Tag verschlief. Die Frau war eine Einsiedlerin und eine Nachteule, die nur gelegentlich den Kontakt mit dem Sonnenlicht riskierte. Ich machte ihr einen Coffee to go und reichte ihr einen übrig gebliebenen Apfel-Muffin.

Nachdem Layla gegangen war, fielen dunkle Gedanken wie eine Armee Orks über mich her. Das Geschäft lief schlechter als erhofft, doch immerhin kamen einige Stammkunden, bestellten Kaffee und setzten sich an die Tische, um sich zu unterhalten oder auf ihren Smartphones zu lesen. Bücher kauften sie nicht. Der Postbote kam und überreichte mir eine Stromrechnung, die in mir den Wunsch weckte, jeden Kunden auf Händen und Knien zu bitten, die DVD-Sammlung von Game of Thrones zu kaufen.

Und der Winter stand vor der Tür. Nun ja, irgendwann.

Im weiteren Verlauf des Tages kehrte ich zu der Kritik zurück wie eine Motte, die immer wieder gegen eine Neonröhre fliegt. Die Kritik eines Fremden hatte mich aufgewühlt, und die Worte hölzerne Beziehung gingen mir nicht aus dem Kopf, doch die Spitze, die mich wirklich umtrieb, war: Dass man vermuten könnte, die Autorin habe keinerlei Erfahrung in Sachen Romantik.

Ha! Hast du eine Ahnung, Silberfuchs.

Zugegeben, meine letzte tolle romantische Erfahrung hatte mit einer schrecklichen Demütigung geendet. Doch meine Hauptcharaktere Rane und Lira erlebten eine bessere Liebesgeschichte, als sie mir selbst jemals begegnet war. Nachdem meine eigene Beziehung gescheitert war, wurde ihre für mich zum Ersatz, bei der ich all meinen Frust ablud.

Ich hatte ihre gegenseitige Anziehung gefühlt. War es mir nicht gelungen, sie aufs Papier zu bannen?

Wenn ich an den bevorstehenden Buchclub dachte, überkam mich Panik. Wie sollte ich eine literarische Diskussion über einen Klassiker leiten, wenn ich in Gedanken mit meiner literarischen Unfähigkeit beschäftigt war?

Als sich die Sonne orange färbte und das Licht verblasste, suhlte ich mich in Selbstmitleid. Ich ging nach draußen, um die Tische mit den Angeboten hereinzuräumen, und bemerkte, was nun auf der Tafel stand:

Ich mag dicke Wälzer, und ich kann nicht lügen.

Ich gluckste. Hatte das da schon den ganzen Tag dort gestanden? Zumindest wusste ich, dass ich diesen kleinen Vandalismus Max zu verdanken hatte. Als Charlie wie ein Rammbock durch die Tür stürmte, klingelte die Türglocke. Er rieb sich die Schulter. »Das solltest du wirklich reparieren.«

Er lachte, um die Kritik zu überspielen, und ich bemühte mich, meine Verzweiflung zu verdrängen. Ich musste eine freundliche Miene für den Buchclub aufsetzen, der alle vierzehn Tage freitagabends stattfand.

Mit einem künstlichen, aber freundlichen Lächeln durchquerte ich den Raum. »Bereit für Stolz und Vorurteil?«

Ich war überaus erfreut, als Charlie sich dem Buchclub angeschlossen hatte, denn der einzige andere Mann, der jemals aufgetaucht war, war Max. Doch während Max das Treffen nutzte, um seine Waren zu bewerben, diskutierte Charlie wirklich gern über Bücher. Außerdem bot er mir eine Ausrede, um einen ausgedehnten Abstecher in die Klassiker der Literaturgeschichte zu machen.

Wir gingen zu dem Stuhlkreis, bei dem sich bald der Rest der Gruppe versammeln würde.

Charlie setzte sich und rückte seine Brille zurecht. »Ich freue mich, das Buch mit modernen Liebesgeschichten zu vergleichen.«

Würde Jane Austen Charlies Meinung interessieren, wenn sie noch lebte? Würde es ihr empfindliches Ego verletzen, wenn er sagte, ihr Buch enthalte eine zu ausführliche Exposition? Entwickelten echte Autoren irgendwann ein dickes Fell gegen Kritik? Oder gelang es ihnen einfach besser, eine Liebesgeschichte unterzubringen?

Charlie legte das Buch in den Schoß und tippte mit dem Zeigefinger auf den Einband. Normalerweise waren wir nicht zu zweit beim Buchclub, und ich fürchtete mich vor einem Vier-Augen-Gespräch mit einem echten Englischprofessor, nachdem ich all mein Selbstvertrauen verloren hatte. Ich kam mir wie eine Betrügerin vor, eine Diskussionsgruppe über Literatur zu leiten, wenn ich noch nicht einmal vier Sterne von einem drittklassigen Blog erhielt.

Ab und an war ich versucht gewesen, Charlie wegen meines Romans ins Vertrauen zu ziehen. Ich war so naiv zu glauben, mein Fell sei dick genug, seine Kritik auszuhalten – vielleicht war ich auch so arrogant zu meinen, er habe nichts zu kritisieren. Jetzt stellte ich mir vor, wie er mit einem Rotstift ganze Passagen anstrich und sagte: »Die Liebesgeschichte klingt unglaubwürdig. Streichen. Streichen. Streichen.«

Ich bezweifelte, dass ich dieses Geheimnis jemals mit ihm oder mit irgendjemand anders teilen wollte. Ich ertrug ja noch nicht einmal das Urteil eines völlig Fremden.

Dass ich mein Schicksal in der Hand hatte und einen eigenen Buchladen führte, gab mir wenigstens etwas Trost. Ich war nicht auf das Gütesiegel irgendeines Bloggers angewiesen oder auf fremde Hilfe in meinem Laden. Ich würde all den Zweiflern beweisen, wozu ich fähig war.

Ich war keine Maid, die von einem Helden gerettet werden musste.

Das sagte ich mir, damit ich es mir bis zu meinem richtigen Durchbruch zumindest einbilden konnte. Tief im Inneren war mein Selbstvertrauen heftig erschüttert.

Zum Glück klingelte die Türglocke erneut wie verrückt. Shawna Brooks, die Besitzerin einer teuren Boutique zwei Häuser weiter, stieß die Tür auf, dicht gefolgt von der kürzlich verwitweten Midge Long.

Ich sah auf die Uhr. »Wo ist Letitia?« Die Karate- und Tanzlehrerin der Stadt war normalerweise pünktlich.

Als die Tür erneut aufging, war ich enttäuscht, dass es nur Max war, der den Buchclub für Werbezwecke nutzte. Wenn ich ehrlich war, hatte ich den Club ins Leben gerufen, um mein eigenes schleppendes Geschäft zu beleben.

Ich erhob gerade die Stimme, um den Abend zu eröffnen, als Max der plaudernden Truppe einen Teller mit Mini-Cupcakes anbot.

Midge folgte meinem Blick und rief: »Oh, Max. Sieh sich einer diese wunderbaren Kunstwerke an. Sind die für uns?«

Was auch immer ich gesagt hatte, es ging in der Freude über ein Dutzend besonders kleiner Cupcakes unter. Ich hätte eine Kita eröffnen sollen.

»Denkt dran«, sagte Max, »nächste Woche gibt es Erdbeer-Shortcakes. Bittet Maddie, genug für alle zu bestellen.«

Ich wusste, was er vorhatte. Er wollte ihnen weismachen, dass mein Buchladen und seine Bäckerei irgendwie zusammengehörten.

Mit schelmischem Grinsen sah er zu mir herüber und tat so, als hätten wir eine GmbH gegründet und er würde nur die Kunden an uns binden. Ich konnte nichts dagegen sagen, dass er die Werbetrommel rührte, denn wenn er Kunden anlockte, half er damit auch mir. Doch Zugang zu meinem Laden zu haben oder sein eigenes Geschäft aufzubauen, waren zwei unterschiedliche Dinge.

Kopfschüttelnd ging ich zum Stuhlkreis.

Um auf den Stolz von Elizabeth Bennet und die Selbstbestimmung von Jo March umzulenken, klatschte ich in die Hände. »Wollen wir loslegen? Wir können uns nach dem Buchclub noch unterhalten.«

Unsere bunte Truppe versammelte sich in dem Kreis aus zusammengewürfelten Stühlen. Während sich alle setzten und dabei mit den Stuhlbeinen über den Boden kratzten, nahm ich zwischen Midge und Shawna Platz und begann.

»Ihr habt hoffentlich alle Stolz und Vorurteil gelesen.« Fast alle nickten. Midge verzog das Gesicht, doch ich sprach sie nicht darauf an. Ich wusste, dass sie hauptsächlich der Gesellschaft wegen kam. Sehr wahrscheinlich hatte sie zumindest einen der Filme gesehen. Ich fuhr fort: »Wenn ihr einverstanden seid, möchte ich zuerst über den Titel sprechen. Was bedeuten Stolz und Vorurteil in diesem Roman für euch?«

Charlie, ganz Professor, hob die Hand und stellte weitschweifig eine Theorie über das individuelle Verlangen auf, das im Widerspruch zum Druck der Gesellschaft stehe. Er genoss die Rolle des Literaturexperten, darum ließ ich ihn einige Minuten dozieren. Gerade wollte ich das Gespräch wieder an mich ziehen, als Shawna sich einschaltete. »Sprechen wir über die guten Sachen. Wie stark funkt es zwischen Lizzie und Darcy?«

Sie versetzte mir einen Stich ins Herz, indem sie mich daran erinnerte, was Silberfuchs geschrieben hatte: »Da knistert es mehr zwischen meinen Küchengeräten.«

Die gemeine Kritik wurde in meiner Vorstellung noch gemeiner. Es war, als würde ich mit der Zunge nach einem schmerzhaften Fieberbläschen tasten und könnte nicht aufhören, mich selbst zu quälen.

Ich zog meinen langen geflochtenen Zopf nach vorn und wickelte ihn nervös um einen Finger. War ich genauso wahnhaft wie Professor Lockhart? War ich ein Schmierfink?

Es gab zwei deutlich getrennte Fraktionen – die einen hielten Verlangen und Sehnsucht in Austens Roman für glaubhaft, die anderen fanden die Liebesgeschichte eindimensional und wenig überzeugend. Dass sich selbst bei Jane Austen die Geister schieden, besserte meine Laune ein wenig. Vielleicht würde ich von einem weniger herzlosen Menschen eine bessere Kritik erhalten.

Das letzte Wort zum Thema hatte Max. »Wäre sie nicht so stolz gewesen, hätte er ihr vielleicht viel früher helfen können.«

Vermutlich wollte er die Diskussion nur dazu nutzen, mir Ratschläge für mein Leben zu erteilen. Er hatte noch nicht einmal die Frage beantwortet.

Anstatt auf ihn einzugehen, sah ich wieder auf mein Papier. Als ich gerade ein geeignetes Thema gefunden hatte, schwang die Tür auf, und alle drehten ruckartig die Köpfe, alle Augen leuchteten, und Shawna stand sogar auf. Ich drehte mich um und sah den Grund des Aufruhrs. Dylan Black, seinen Freunden aus Kindertagen als Dylan Ramirez bekannt, stand im Laden und sah mich aus seinen durchdringenden blaugrauen Augen an.

3 – Dylan wurde sofort …

Dylan wurde sofort von allen umringt, sie bedrängten ihn und wollten alles auf einmal von ihm wissen.

»Wann bist du gekommen?«

»Wie lange bleibst du?«

»Stimmen die Gerüchte?«

Grinsend beantwortete er ihre Fragen oder wich ihnen charmant aus. »Heute. Einen Monat. Welche Gerüchte?« Ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, bewegte er sich wie ein von Paparazzi umringter Popstar weiter in den Laden. Dieser Vergleich war ziemlich passend.

Er hatte rabenschwarzes Haar und glühende Augen, die von langen dunklen Wimpern gesäumt waren, und es war kein Wunder, dass die Plattenfirma ihn vermarktete, als hätte er sich kürzlich von einer Latino-Boygroup getrennt. Im Laufe der Jahre war er sogar noch attraktiver geworden, und die Fotografen wussten ihn als Objekt erotischer Fantasien in Szene zu setzen.

Trotz all des Rummels war er für mich einfach nur Dylan. Früher waren wir einmal zusammen gewesen, doch unser letzter Kuss lag Jahre zurück, und seitdem war viel passiert. Nachdem er wie das wandelnde Klischee eines Musikers mit der Gitarre auf dem Rücken in einen Greyhound-Bus nach New York City gestiegen war und seine Heimat mit dem Vorsatz verlassen hatte, nie mehr in die kleine Welt von Orion zurückzukehren, war es zwischen uns nicht mehr wie vorher gewesen.

Und trotzdem war er nun hier, und das nicht zum ersten Mal, doch seit Weihnachten hatte ich ihn nicht mehr gesehen.

Er kratzte sich am Kinn und lächelte. »Hey, Maddie!« Seine Stimme klang wie Sandpapier, als würde er sich von einer schweren Krankheit erholen. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Tut mir leid, dass ich deinen Buchclub störe, aber ich wusste, dass ich euch hier alle erwische.«

»Kein Problem. Wir haben nur gerade über Stolz und Vorurteil diskutiert. Vielleicht sagt dir das noch was?« Wir hatten das Buch im Kurs Weltliteratur durchgenommen. Ich wollte nicht wie eine strenge Lehrerin klingen, doch ich wusste nicht, wie ich auf sein plötzliches Eindringen reagieren sollte. Das letzte Mal, als er nach Hause gekommen war, wollte ich heiraten, und er war wie immer mit seiner Musik beschäftigt gewesen. War er hergekommen, um mich zu sehen oder um wieder mit den anderen in Kontakt zu kommen?

Dylan sagte: »Bitte. Ich würde gern dableiben. Lasst euch von mir nicht stören.«

Als wäre ein Kraftfeld gebrochen, kehrten die anderen langsam auf ihre Plätze im Stuhlkreis zurück, und ich nahm mit zitternder Hand meine Notizen auf.

»Wir haben gerade über die romantische Spannung zwischen den Hauptcharakteren gesprochen.« Ich gab ihnen die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, doch die Atmosphäre hatte sich verändert, sie war elektrisch aufgeladen. Ich las eine Frage aus meinen Notizen vor und tat, als wäre alles wie immer. »Es fällt auf, dass Lizzies Liebe zu Darcy wächst, obwohl sie über weite Strecken des Buches keinen direkten Kontakt zu ihm hat. Ist das realistisch? Worauf fußt ihre Liebe?«

»Auf seinen zehntausend Pfund im Jahr«, platzte Shawna mit hoher, verstellter Stimme hervor, und alle lachten.

»Lustig«, sagte Max, ohne zu lachen. »Aber ich glaube, es hat sie verrückt gemacht, dass sie endlich jemandem begegnet ist, der es an Witz und Intelligenz mit ihr aufnehmen konnte.«

Er wollte mich ärgern, indem er mich daran erinnerte, wie wir auf der Highschool um den besten Notendurchschnitt gewetteifert hatten. Nebenbei ließ er noch eine Spitze gegen Dylan los, als hätte Intelligenz und Witz in unserer Beziehung keine Rolle gespielt. Diese Annahme war sowohl unverschämt als auch falsch. Er hatte sich nie Zeit genommen, Dylan kennenzulernen und still mit geistlos gleichgesetzt, doch ich wusste, wie tief stille Wasser waren.

Charlie atmete seufzend aus. »In praktischer Hinsicht ist Darcys sogenannte Liebe für sie über jeden Zweifel erhaben, schließlich rettet er die Ehre ihrer Familie.«

Ich musterte ihn skeptisch. »Seine sogenannte Liebe?« Charlie machte sich keine Hoffnung auf eine romantische Begegnung, doch manchmal übertrieb er es mit seinem Zynismus.

Dylan räusperte sich. »Vielleicht steht sie nicht immer in Kontakt zu Darcy, aber sie kennt ihn.«

Er strich sich über den sexy Bartschatten an seinem Kinn. Hatte er bei seinen zahlreichen Fotoshootings gelernt, diese Geste bewusst einzusetzen? Als Autorin und Kennerin von Dreitagebärten beklagte ich den Mangel an Worten, mit denen man die Schönheit männlicher Gesichtsbehaarung beschreiben konnte. Es juckte mich in den Fingern, ihn zu berühren.

Er bemerkte, dass ich ihn anstarrte, und schenkte mir ein professionelles Zahnpastalächeln. »Schließlich hat sie seinen Brief. Als sie seine Worte liest, merkt sie, dass ihre Seelen verwandt sind.«

Er hätte von uns sprechen können. Dylan und ich waren grundverschieden. Auf der Highschool war er Motorrad gefahren und hatte Gitarre gespielt. Ich war ein Bücherwurm gewesen, dem der Mut fehlte, sich mit echten Jungs auseinanderzusetzen. Doch ich lernte Dylan durch seine Worte kennen. Als Dylan mir seine Texte vorsang, war meine Jungfräulichkeit hoffnungslos verloren.

Ich bemerkte, dass Shawna Dylan und mich beobachtete. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt darüber spekulierte, dass mein Herz ihm gehörte. Doch ich war heute gefestigter als mit siebzehn, als es noch ganz neu für mich war, dass mein Körper männliche Blicke auf sich zog und ich diese Aufmerksamkeit genoss.

Midge seufzte. »Das ist einfach wunderschön, Dylan.« Ich riss meinen Blick von ihm los und richtete ihn wieder auf mein Diskussionspapier, doch Midge kam vom Thema ab. »Es ist so schön, dich wiederzusehen. Was führt dich nach Hause?«

Dylan besaß den Anstand, mir einen entschuldigenden Blick zuzuwerfen, aber am Ende drehte sich trotzdem alles um ihn. Er zog die Aufmerksamkeit auf sich, und dass er ein echter Star geworden war, hatte seine Eitelkeit noch weiter verstärkt. »Nun, Miss Long. Mir wurde eine Pause verordnet, etwas frische Luft und Hausmannskost.«

Bevor der Abend ganz zu Dylans Vorstellung wurde, sagte ich: »Du solltest in zwei Wochen wieder zum Buchclub kommen. Dann reden wir über Jane Eyre.«

Er presste die Lippen zusammen. »Mach ich … Wenn du mir versprichst, in ein paar Wochen zu meinem Auftritt in der Jukebox zu kommen.«

Seit wann wollten sich eigentlich alle nur noch selbst vermarkten?

Doch er erhielt die gewünschte Reaktion, Shawna und Midge löcherten ihn wegen seiner Musik. Ich stand auf und ging zur Kasse, als Zeichen, dass es Zeit war, das nächste Buch zu kaufen und sich zu verabschieden. Mein Trick funktionierte, und alle außer Dylan stellten sich an der Kasse an.

Dylan griff in seine Kuriertasche und holte einen Flyer für das bevorstehende Konzert heraus. »Hast du was dagegen, wenn ich den hier irgendwo aufhänge?«

War er deshalb vorbeigekommen?

Enttäuscht beobachtete ich, wie er sich zur Tür wandte. Ich dachte, er würde ein bisschen bleiben; dass er schon gehen wollte, schmerzte. Aber worüber sollten wir auch reden? Unsere gemeinsamen Tage gehörten der Vergangenheit an. Und ebenso die Nächte.

Er blieb stehen und sagte: »Ich komme morgen vorbei.«

Als ich Charlie abkassierte, stieß Shawna hervor: »Für diesen Typen könnte ich mir sogar vorstellen, Rebecca zu betrügen.« Als ich sie mit großen Augen ansah, fügte sie hinzu: »Tut mir leid, Maddie. Aber du hast ihn gehen lassen.«

Midge kam mit ihrer Ausgabe zur Kasse und sagte: »Es ist nie zu spät.« Dann fügte sie zu meinem Entsetzen hinzu: »Wenn ich fünfzig Jahre jünger wäre …«

Nachdem sie die Bücher gekauft hatten und gegangen waren, herrschte im Buchladen wieder vollkommene Stille.

Ich atmete aus. Das hatte mir in rasender Geschwindigkeit vor Augen geführt, warum ich nie mit einem Rockstar zusammen sein wollte.

Was allerdings nicht gegen meine heimlichen Gedanken half, die sich mit Shawnas deckten. Und ich würde Peter noch nicht einmal betrügen. Also, warum eilte ich nicht hinter ihm her?

Ich schüttelte den Kopf und erinnerte mich daran, was dieser Kritiker über meine fiktive Liebesgeschichte geschrieben hatte. »Sie ist so steif, dass man vermuten könnte, die Autorin habe keinerlei Erfahrung in Sachen Romantik.«

Mann, da täuschte er sich aber. Ich hatte zwei Beziehungen gehabt. Zählte das, wenn beide daran gescheitert waren, dass ich meine eigenen Träume nicht hatte aufgeben wollen, um ihren zu folgen?

Wenn das Liebe war, konnte Silberfuchs sie gern behalten.

Nachdem der Laden leer war, schloss ich die Kasse ab. Ich sammelte das Bargeld ein, packte es in den Transportbeutel der Bank, rieb mir die Augen und summte einen Beatles-Song. Als eine Stimme in meinen Gesang einfiel, fuhr ich vor Schreck zusammen.

»Mensch, Max. Du hast mich zu Tode erschreckt.«

Er hatte sich auf einen wackeligen Hocker gesetzt, der schon im Laden gestanden hatte, als wir Kinder gewesen waren. Auf seinen Knien lag eine Ausgabe von Huckleberry Finn mit zahlreichen Eselsohren, als würde er die Zeit totschlagen. Er streckte sich und drehte das aufgeschlagene Buch um, und ich verzog das Gesicht ob des schäbigen Buchrückens.

Er saß nur ein kleines Stück von der Kasse entfernt, und mir stieg der Duft von Zimt und braunem Zucker in die Nase, als ob sein kastanienbraunes Haar ebenfalls eine Nascherei aus seiner Küche wäre. Muffin-Kopf Max.

»War verrückt, Dylan heute Abend zu sehen, oder?«

Ich schloss die Kassenlade und nahm den Geldbeutel für die Bank und meine Handtasche. »Was machst du noch hier?« Er hatte noch nie einen Gedanken an Dylan verschwendet.

»Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf ein Stück Pizza.«

»Ich hab keinen Hunger«, log ich.

Nachdem ich das Licht ausgeschaltet hatte und zur Tür gegangen war, drehte ich mich um, stemmte die Hände in die Seiten und wartete, dass er den Hinweis verstand und ging. Er stand auf und durchquerte mit drei Schritten den Raum. Das Licht der Straßenlaternen warf Streifen auf sein Gesicht. Mein Blick verharrte auf dem leichten Bartschatten an seinem Kinn, meine größte Schwachstelle, wenn es um Männer ging. Er schloss die Lücke zwischen uns und sah mich mit einem Schlafzimmerblick aus seinen klaren grünen Augen an. Wenn ich ihn nicht schon von klein auf gekannt hätte, hätte ich ihn vielleicht für einen romantischen Helden aus einem Roman gehalten.

»Ah. Du bist sauer wegen heute Morgen.« Er seufzte. »Ich weiß, ich hab dich bedrängt. Das tut mir wirklich leid. Okay?«

Ich war nicht sauer. Ich war müde. Seit der Highschool war alles mit ihm ein Wettkampf. Schließlich konnte nur einer von uns Jahrgangsbester sein. Ich wollte nicht, dass mein Buchladen ein weiterer Preis in einem nicht zu gewinnenden Wettbewerb wurde.

»Ich bin nicht sauer, Max.«

»Wenn ich dir verspreche, dich heute Abend nicht damit zu belästigen, gehst du dann mit mir aus?«

Von dieser Strategieänderung ließ ich mich nicht in die Irre führen. Er dachte, er könne mich mürbemachen, aber ich würde ihm nicht die Schlüssel zu meinem Königreich übergeben.

»Komm.« Ich hielt die Tür auf. »Ich will nur nach Hause.«

Er trat vor mir in die Abendluft.

Eine Sache würde ich zu Max Beckett nicht so bald sagen: Wollen wir zusammenarbeiten?

Er begleitete mich bis zur Haustür, obwohl ich wahrlich keinen Beschützer brauchte. In Orion beschränkten sich die Verbrechen auf das Ignorieren roter Ampeln oder das Überfahren eines Stoppschildes. Oder neuerdings Graffiti. Wie dem auch sei, ich wohnte direkt gegenüber vom Buchladen, einen Block von seiner Wohnung entfernt. Es war nicht gerade ideal. Eigentlich hatte ich mich zu diesem Zeitpunkt mit Peter in meinem Traumhaus gesehen. Doch nachdem er mich gegen meinen Willen mit meiner Freiheit zurückgelassen hatte, musste ich allein klarkommen.

Layla war ebenfalls auf der Suche nach einer billigen Bleibe gewesen. Wir hatten auf dem College zusammengewohnt, doch während ich nach dem Abschluss nach Indianapolis gegangen war, war sie nach Hause zurückgezogen, geradewegs zurück in ihr Kinderzimmer. Um nicht dortzubleiben, hätte sie mit Max zusammenziehen müssen. Als ich obdachlos wurde, beschlossen sie und ich deshalb, uns eine Wohnung und die Kosten zu teilen.

Lieber hätte ich allein über dem Buchladen gewohnt. Ich hatte die erste Etage provisorisch als Büro eingerichtet, in das ich mich manchmal zum Schreiben zurückzog, doch ohne Dusche taugte der Raum nicht als Wohnung.

Zumindest zwang mich der kurze Spaziergang zum Buchladen und wieder zurück, mich etwas unter Leuten zu bewegen.

Max sprach von der Hochzeitsfeier, für die seine Mutter eine Torte backen würde. »Die heiraten an der alten überdachten Brücke an der Route 36. Kennst du die?«

»Hm.« Bei einem unserer Dates war ich mit Peter dort gewesen. Die Brücke führte nirgendwohin, war jedoch ein idyllisches Wahrzeichen, ein romantisches Ausflugsziel. Wir hatten neben dem Big Walnut Creek gepicknickt.

Ich wollte nicht über Peter reden. Nicht mit Max. Noch nicht. Wahrscheinlich nie.

Als ich die Haustür öffnete, wartete Max, als könnte im letzten Moment aus dem Nichts ein Verrückter auftauchen und mich überfallen.

»Sag Layla, sie soll mich anrufen. Vielleicht will sie ja mitkommen, wenn ich die Torte am Sonntag ausliefere, okay?«

»Mach ich.«

»Vielleicht willst du ja auch mitkommen?«

Wegen einer albernen Bestimmung der Stadt blieb der Buchladen sonntags geschlossen, sodass ich freihatte und wie in alten Zeiten mit Max und Layla abhängen konnte. Früher waren wir drei unzertrennlich gewesen. Doch ich würde einen Teufel tun und mich an meinem freien Tag von Max mit seinen Geschäftsideen nerven lassen. Wahrscheinlich würde er mit Whiteboard, Tortendiagrammen und Laserpointer anrücken. Vielen Dank!

»Sorry, nein. Ich unternehme was mit meiner Mom.« Was vermutlich stimmte.

»Bis morgen früh!« Er trat den Rückzug an.

Bevor ich die Tür schloss, warf ich ihm noch einen letzten Blick zu, und auf einmal sah ich ein Dutzend übereinandergelagerter jüngerer Versionen von ihm und verspürte eine derart heftige Sehnsucht, dass mir die Luft wegblieb. Warum war das Leben nur so kompliziert?

In Laylas Zimmer brannte Licht, also klopfte ich an und öffnete knarrend die Tür. Wie immer saß Layla mit dem Laptop auf den Knien auf ihrem Bett.

»Hey!« Sie packte den Laptop zur Seite und streckte sich.

Ich hätte nie gedacht, dass ein derartiger Musikfreak aus ihr werden würde. Als Kinder hatten wir erlebt, wie ihr Dad mit anderen Vätern zusammen in einer Band spielte, meist im Keller, manchmal auch im Pool-Clubhaus. Es war gleichermaßen demütigend und saukomisch gewesen. Natürlich spielte er Clapton – Layla hieß nicht zufällig so – und für Mrs Beckett ständig die Beatles. Jetzt trat er manchmal in meinem Café auf. Er war gut. Nicht so gut wie Dylan, aber ich hörte ihn gern spielen.

Erst als eines Abends eine neue Band in der Jukebox aufgetreten war, war Layla zum fanatischen Musikfan geworden und hatte sich der Sache mit Haut und Haaren verschrieben.

Nach der Highschool suchte sie sich keinen richtigen Job, sondern verfasste als freie Journalistin Artikel über Musik und verdiente an den Werbeeinnahmen der von ihr gegründeten Website. Wir gingen zusammen aufs College, wo wir auf Kosten unserer Eltern Wirtschaftswissenschaften studierten. Anschließend fand ich sofort einen Einstiegsjob in Indianapolis, doch zu Laylas Glück hatte die Band, für die sie schwärmte, in der Zwischenzeit einen meteoritenhaften Aufstieg hingelegt. Mittlerweile hatten sich ihre Artikel und der Verkehr auf ihrer Seite verdoppelt. Sie war ziemlich erfolgreich, doch allmählich holte die Realität sie ein, und für mich war klar, dass sie diesen Lebensstil nicht ewig beibehalten konnte.

Das musste ich gerade sagen. Ich hatte meine vielversprechende Karriere als Produktmanagerin aufgegeben, um mich in ein riskantes Abenteuer zu stürzen. Damals war ich davon ausgegangen, dass ich durch einen Ehemann mit Festanstellung abgesichert war, der mich unterstützte. Wie dumm von mir.

Layla zog die Füße an, um mir Platz auf dem Bett zu machen, ihre Knie bildeten unter der Decke ein Zelt. »Bist du hier, um dich über Peter auszulassen?«

Sie hatte geduldig zugehört, als ich nach Peters Weggang die fünf Stadien der Trauer durchlief. Sie hatte nie etwas gegen Peter gesagt, doch nachdem er jetzt von der Bildfläche verschwunden war, bemerkte sie andauernd halb scherzhaft, halb im Ernst, endlich werde ihr Traum wahr, mich mit ihrem Zwillingsbruder zu verkuppeln. Dann wären wir endlich Schwestern. Schon auf der Highschool hatte sie für uns den Hashtag #Team-MadMax erfunden, als würde aus uns jemals ein Paar werden.

Darum erwähnte ich lieber nicht, dass Dylan in der Stadt war.

Ende der Leseprobe