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Zwanzig Jahre nach der blutigsten Schlacht, die die Welt je gesehen hatte, jagen "Sammler" noch immer die Reste der Menschheit und verschleppen sie in die eisigen Kammern der Nahrungsgrotte von Trong. Erneut schließt Sartos ein Bündnis mit der abtrünnigen Fee Dalia, die den Ring der Ewigkeit gegen die Elemente des Lebens einsetzen will. Doch es formiert sich Widerstand. Atragon erwacht zu neuer Größe und eine Gruppe von Menschen dringt in Sartos Felsenburg ein. Als man zwei von ihnen gefangen nimmt und grausam foltert, entschließt sich die Fee Adinofis zu handeln. Sie weiß, ihr Kampf ist voller Gefahren und ein Sieg gegen Sartos und Dalia ungewiss. Der zweite Band der Trilogie erzählt von Liebe, Verrat und Intrigen, von Heldentum und blutigen Schlachten. Von etwas, das so alt ist wie die Menschheit selbst - dem ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Fiebern sie um das Geschehen mit, bei dem es um nichts Geringeres geht als um das Überleben des Lebenswerten.
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Seitenzahl: 271
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Berühre die Herzen der Menschen und du gewinnst ihren Verstand.
Anja: Tochter der alten Seherin Meriste
Adinofis: Halbfee, Hüterin der Menschen
Cenotes: Sohn von König Argonat und Königin Terofem,
das von Adinofis gesegnete Kind
Centuren: Generäle der Streitkräfte von Atragon
Dalia: Verbündete von Sartos, ehemalige Hohepriostine von Atragon
Die alte Frau
Der Mann der alten Frau
Delf: Sohn der alten Frau
Ensine: Tochter der Seherin Anja
Gill: Gehilfe und Ratgeber von Adinofis und ehemaliger
Gehilfe der Feenkönigin Nora
Hesaret: Sohn von Reimer, dem ehemaligen Heerführer von Tauron
Isonde: Kriegerfee, Priostine im Rat der Feen
Krygon: Priostin und Hüter des Volkes der Seher
Loke: Vater von Adinofis
Meriste: Anjas Mutter, Oberhaupt des Volkes der Seher
Nora: Feenkönigin von Atragon, Mutter von Adinofis
Piecock: Sammler und Geschöpf von Sartos, der mit mächtigen Schwingen ausgestattet Menschen sammelt
Reimer: General der Armee des Königreiches Targona
Rona: Tochter der alten Frau
Setre: Befehlshaber des Heeres der Sammler
Sartos: Herrscher der inneren Erdwelt
Sidonis: Amme des Kronprinzen Cenotes und Ziehmutter von Hesaret und Cenotes
Salina: Priostine und Hüterin des Volkes der Waldfaunen
Terofem: Mutter von Cenotes und Königin von Targona
Thyra: Waldfaune und Adinofis' Kampfgefährtin
Wrong: General des Heeres der Wächter
Prolog
Kapitel 1
Der Sammler
Spurensuche
Kapitel 2
Die Elemente
Kapitel 3
Begegnung in Saragon
Das Familiengeheimnis
Kapitel 4
Flucht nach Gefos
Kapitel 5
Der schwarze Berg
Kapitel 6
Am Feuer vereint
In Gewölben dunkler Macht
Auf dem Weg nach Atragon
Kapitel 7
In der Burg des Feindes
Atragon erwacht
Kapitel 8
Die Eiskammern
In den Katakomben von Trong
Verhört und gefoltert
Kapitel 9
Tod dem Tyrannen
Gequälte Seelen
Zwanzig Jahre tobten Sartos' Heerscharen, grausam und gnadenlos. Sein unbändiges Verlangen, die Hüter allen Seins zu vernichten und sich selbst allmächtig über das Leben zu erheben, erschuf ein Meer von Blut, in das die Welt von einst versank.
Längst war die Flamme von Atragon erloschen, das Reich der Feen verstummt und das mächtige Tauron, die letzte Bastion der Menschen, ein Skelett seiner selbst. Und dort, wo der Tod seine Sichel geschwungen hatte, vergiftete nun widerlicher Leichendunst die Luft, dass einem der Atem stockte und der Pulsschlag für einen Moment zum Stillstand kam. Es war eine Welt des Schreckens, die zahllose mit stinkendem Wasser gefüllte Lehmgruben aufwies, nur von weiten schlammigen Flächen unterbrochen und wo das Krächzen der Krähen über alte morsche Baumkadaver zog, die mit ihren tiefen Wurzeln gerade noch der Erdschwere widerstanden. Darüber eine undurchdringliche Nebelbank, die jenen Geschöpfen den Blick auf die endlose Weite des Himmels verwehrte, die von Angst und Schmerz getrieben nach jedem Erdloch Ausschau hielten, um sich vor den Sammlern zu verbergen. Doch die Häscher von Sartos trieben lautlos im dunstigen Wind und waren vom Boden kaum zu entdecken. Erst ihr pfeilschneller Anflug brachte den Himmel in Aufruhr, und manchmal waren die Menschenbündel so schwer, dass sie kaum vom Boden abheben konnten. So verging Jahr um Jahr. Die Bündel der Sammler wurden kleiner und ihre Flüge länger. Menschen gab es kaum noch. Ihre Art hatte verloren. Zehntausende lagen zu Eis gefroren in Sartos Nahrungskammern – unfähig, sich gegen den letzten und furchtbarsten Akt ihres Daseins zu wehren. Jene aber, die im Fluchtgetümmel den Sammlern entkamen, die ängstlich und frierend das einzige Schlupfloch durch den Nebel fanden, um im Gebirge von Saragon die schützenden Höhlen des schwarzen Berges Gefos zu erreichen, sie rochen das Blut im Wind, der von Norden kam, aus der Schlachtgrotte von Trong. Verzweifelt wandten sie ihre müden mit Schlamm und Blut verkrusteten Gesichter nach Süden, nach Atragon – ein Ort, um den sich Legenden rankten und der ihren Herzen neue Hoffnung gab.
Unmerklich begann der Tag. In Piecock kam Bewegung. Seine mächtigen Schwingen ausbreitend hob der Sammler den Kopf und sah in die stets bewegungslose Nebelbank am Himmel. Er suchte das Licht der Sonne, um sich zu wärmen und die Kälte der Nacht zu vertreiben.
Seine kleinen Menschenfüße gingen steif und plump. Er schwankte durch stinkende, mit schwarzem Schlamm gefüllte Kloaken, stieg über Geröll und zerfetzte Strohdächer, umging wuchtige Steinblöcke und blieb schließlich an den Überresten einer ehemals mächtigen Mauer stehen. Einst schützte sie Tauron, jetzt diente sie ihm gegen die kalten Nordwinde, die fast täglich das menschenleere Land peitschten und den widerlichen Geruch des Todes mit sich führten.
Wieder sah er in den Himmel, der inzwischen von seinen Artgenossen angefüllt war. Sollte er ihnen folgen? Er, Piecock, der Kleinste unter ihnen, der Schwächste, der um jeden Fang verbissen kämpfen musste? Oft genug hatten sie ihm schon die Beute abgenommen – streunende Menschen, denen die Wächter nicht habhaft wurden, die sich in jedem Loch verkrochen, war es nur halbwegs groß genug. Oder sollte er nach jenem Ort suchen, über den seine Artgenossen so häufig sprachen, den sie selbst aber noch nie gesehen hatten? Ein Ort, an dem es Menschen in Fülle geben soll und Licht, die andere Seite dieser dunklen Welt. Dort wollte er Beute machen, sich den erhofften Respekt verschaffen und die Quote seines eiterbeuligen Herrn erfüllen – jenes allmächtigen Sartos, dessen Geschöpf er war.
Gereizt kroch Piecock hinter die Mauerreste in eine schützende Nische und schlang seine Schwingen gedankenverloren um den nackten Körper: Damals vor zwanzig Jahren, als seine Art in den dunklen Grotten von Trong erwachte, waren noch Tausende dieser zweibeinigen Wesen vor den Wächtern auf der Flucht. Da war es leicht, sie ausfindig zu machen und einzusammeln. Da gab es noch Licht und Wärme. Doch heute? – Die Zeit der Menschen geht zu Ende. Zu Eis gefroren liegen sie als Futter für die Wächter in Sartos’ Kammern. Geblieben ist nicht mehr als diese stinkende Finsternis, die tagsüber leicht ergraut.
„Ich sollte diesen Ort suchen, dort über der Nebelbank“, flüsterte er mit krächzender Stimme und erhob sich. Er stellte seine Schwingen entschlossen in den Wind und verschwand wenig später im düsteren Grau des angebrochenen Tages. Doch es war nicht leicht, durch den tausend Meter dicken Nebel zu fliegen. Piecock hatte schwer zu kämpfen. Wie ein Spielball wurde er in der oberen Region zwischen heftigen Winden hin und her geworfen. Was er vom Boden aus gesehen hatte, entpuppte sich als ein dichtes Sturmgewölk. Jede Orientierung war dahin, selbst den Schlag seiner Schwingen konnte er nicht sehen. Er spürte ihn nur im Nacken, von wo die Kraft kam, wo der Schmerz ihn mit jeder Minute mehr quälte. Doch er war ein Geschöpf der Finsternis und wollte ins Licht. Nicht weil er Verbotenes gern tat oder, um die andere Seite der magischen Welt um Vergebung anzuflehen. Nein! Er hatte keine Skrupel, das Licht dieser anderen Welt zu verdunkeln. Er war ein Sammler und wollte Beute machen, nichts anderes als das. Und so ertrug er die Schmerzen und die heftigen Winde und die Atemnot. Und tief in seiner Magengrube auch die Angst vor dem Unbekannten, das ihn erwartete. Ein Gefühl, das er vor dem nicht kannte, das aber immer schwerer in ihm wog, je heller der Himmel wurde.
„Schneller“, ächzte Piecock im Takt seiner kräftigen Schwingen, die den Nebel peitschten. „Schneller, schneller, schneller!“ Sein Atem raste, das Blut hämmerte in seinem grauen, kahlköpfigen Schädel und auf seine dunklen ovalen Augen legte sich im heller werdenden Licht der oberen Luftschichten ein dünner Tränenfilm. Ein paar Mal schüttelte er den Kopf, um wieder klar sehen zu können, da durchstieß er plötzlich die äußere Grenze der Nebelbank. Erleichtert streckte er seinen kräftigen Körper, stellte die Schwungfedern gerade und trieb im Wind nach Osten.
Piecock sah sich um. Alles war ihm fremd. Die Luft, die schwer zu atmen war. Die Sonne, die in graue Düsternis getaucht und doch so helles Licht verstrahlte, dass seine Augen schmerzten. Und diese Stille ringsumher, auch die war neu. Doch nahm er all das hin und ließ seinen Blick bis an den Horizont schweifen, wo Berge hoch in den Himmel ragten und das Leuchten schneebedeckter Gipfel einladend ihm entgegenstrahlte.
„Das ist der Ort“, krächzte er und seine scharfen Augen wurden weit. „Das muss er sein.“ Der mühevolle Flug durch den Nebel war im Nu vergessen, auch der Schmerz und die Angst, dem neuen Ort hilflos ausgeliefert zu sein. Piecock dachte nur an die Beute, die er aufspüren, jagen und zur Strecke bringen würde, und an die neidischen Blicke seiner Artgenossen nach der Rückkehr. Sie alle würden seine Quote bestaunen. Und Sartos würde ihm zur Belohnung gewiss eine „Sammlerschaft“ geben. Was könnte ihm Besseres geschehen, als hundert seiner Artgenossen anzuführen? Schon lange träumte er von Macht und Anerkennung, und von Privilegien, die bisher nur wenigen seiner Mitstreiter zuteilwurde.
Während Piecock sich seine Zukunft bildgewaltig ausmalte, sah er plötzlich seltsame Gestalten aus dem Gebirge kommend auf sich zurasen. Noch waren es kleine dunkle Punkte am Horizont, doch ihre Fluggeschwindigkeit war sehr hoch. In dieser Hinsicht hatte er ihnen nur wenig entgegenzusetzen. Zudem flogen sie mit der Sonne im Rücken, und das beunruhigte ihn noch mehr.
Er legte den Kopf ein wenig schräg und blinzelte in das ungewohnte Licht der Sonne, das obwohl dunstig und trüb wie Feuer in seinen Augen brannte. Er wusste, seine Position war denkbar schlecht. Das Fangnetz an seiner Hüfte schien ihm zur Verteidigung nicht geeignet. Es war für Menschen ausgelegt. Diese fünf Geschöpfe waren aber nicht von fester Art, so viel konnte er bereits erkennen. Außerdem war er allein und seine Kraft verbraucht.
Am Besten in der Nebelbank abtauchen und warten, was geschieht, überlegte er.
Kaum, dass er sich dazu entschlossen hatte, jagten die schleierartigen Gestalten mit hohem Tempo an ihm vorbei.
„He, ihr Tölpel!“, schrie Piecock wütend und flog eine steile Kurve, um dem gewaltigen Sog der anfliegenden Formation zu entkommen. Die Nebelbank kippte unter ihm weg und blieb zurück. Dann setzte er sich über sie. Ob sie es zuließen oder er nur geschickt geflogen war, um diese für einen Angriff günstige Position einzunehmen, war ihm egal. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte. Doch diese seltsamen Wesen taten nichts anderes, als langsam in Keilformation durch die Luft zu gleiten. Eine Gefahr war nicht zu erkennen.
Piecock wollte gerade abdrehen und weiterfliegen, als der führende Schleier plötzlich steil nach oben zog und haarscharf an seiner rechten Schwinge vorbeischoss, während die anderen auseinanderstoben und ihm folgten.
War das eine Warnung? Piecock drehte hektisch eine Rechtskurve und sah ihnen nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwanden. Jetzt spürte er das Zittern seines Körpers, das aber weniger dem kalten Wind als vielmehr der Erleichterung zuzuordnen war, ungeschoren davon gekommen zu sein. Seine Kehle war trocken, jeder Knochen tat ihm weh und seine Muskeln schienen allesamt zu erlahmen. Müde von all der Anstrengung warf er einen Blick auf die Berge von Saragon: Werde ich dort auf Menschen treffen, fragte er sich. Es müssten ja nicht gleich viele sein. Ein oder zwei würden vorerst genügen. In der neuen Umgebung könnte ich meine Fangtechnik an ihnen üben.
Da hüpfte sein kräftiges Herz in der breiten Brust vor Freude. Vergessen waren die seltsamen Gestalten von eben und die Angst vor dem Ungewissen. Er schlug seine Schwingen durch, mit Kraft und sauberer Luft in der Lunge. So verschwand allmählich sein Kopf im diffusen Licht der staubgrauen Sonne über Saragon, dann seine Hüften, seine Schwingen. Drei mannsgroße Federn blieben zurück und schwebten vom Himmel, bis die mächtige Nebelbank sie verschluckte.
Wrong, Heerführer von Sartos, lauschte mit gelangweilter Miene dem Aufruf der niederen Generalsränge durch den Protokollwächter.
Nicht, dass ihm diese Zeremonie gleichgültig gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Schließlich war es seine Idee gewesen, zur Thronrede anlässlich des 20. Jahrestages der Vernichtung des Feenreiches die Generäle des Heeres einzuladen. Aber ein allzu interessiertes Auftreten würde ihn schwach erscheinen lassen, und das wiederum könnte seine Widersacher leicht dazu bewegen, ihm seine Position streitig zu machen. Allerdings gab es niemanden, der sich im Kampf mit ihm messen konnte. Wrong war zwar ein Emporkömmling aus der niederen Soldatenkaste, hat aber mit seiner ungehemmten Brutalität auf sich aufmerksam gemacht. Zudem beeindruckte er mit seiner überragenden Größe und einer um ein Vielfaches ausgeprägteren Muskelmasse.
Die Generäle brachten sich vor dem Thron des Herrschers halbkreisförmig in Position. Wrong stand vor dem Treppenabsatz des Throns und starrte nervös auf das hinter dem Herrschersitz befindliche Eisentor, das über einen schmalen Gang in die Privatgemächer von Sartos führte. Nur ihm war es erlaubt, dort unangemeldet zu erscheinen. Doch wenn möglich vermied er es, unangemeldet hinter diese Tür zu treten. Man konnte dort schneller sein Leben verlieren als einen Atemzug zu tun, selbst wenn der Grund eine noch so große Bedeutung hatte. Und dass der Herrscher noch nicht vor seine Generäle getreten war, hatte nur eine Bewandtnis: Für Sartos spielte es keine Rolle, wer all diese Speichellecker waren oder welchen Rang oder Einfluss sie in der Truppe hatten. Sie waren stumpfsinnige nützliche Werkzeuge, seine Ziele durchzusetzen und jederzeit entbehrlich.
Wrongs Blick schweifte über die Anwesenden, als er plötzlich eine Veränderung im Gesamtbild wahrnahm. Hinter der Reihe der Generäle stand Setre, der Befehlshaber der Sammler. Eine intrigante und machtbesessene Kreatur, die ihm aber bisher nicht in die Quere gekommen war – noch nicht. In seinem ausladenden grauen Gewand, aus dem sein kahlköpfiger Schädel hervorlugte, wirkte er wie eins der hässlichen Fledermäuse, die sich ungeachtet der ständig lärmenden Arbeitswächter massenhaft in den tiefen Gängen von Trong festgenistet hatten. Nichts war vor denen sicher. Selbst in der riesigen Nahrungsgrotte hingen sie zu Hunderten an der Decke.
Fragend sah Wrong zum Protokollwächter. Dessen hilfloses Schulterzucken verriet ihm, dass auch er nicht wusste, weshalb Setre auf der Gästeliste stand.
„Behalte ihn im Auge“, murmelte Wrong nur mit den Lippen. Und während er dem Sammler noch einen verachtenden Blick zuwarf, wurde hinter dem Thron die eiserne Tür aufgestoßen. Nervös sah sich Wrong um. Und als er zufrieden festgestellt hatte, dass alle eine kniende Haltung eingenommen hatten, sank auch er zu Boden, von demutsvoll grunzenden Lauten begleitet.
Zum gleichen Zeitpunkt betrat Sartos in Begleitung seiner zwei Lieblingsfrauen den Thronsaal. Er trug einen bodenlangen schwarzen Umhang mit hohem Kragensteg und goldfarbenen Schlangendekors an Saum und Hüfte. Seine aufragende Größe und die hüftlange wallende Löwenmähne ließen ihn majestätisch erscheinen. Im Gegensatz dazu waren seine Gespielinnen zwar schmal, aber wohlgeformt und trugen schlichte fast durchsichtige lange Kleider.
Wrong kniete wie alle anderen zu Füßen des Throns und der kalten bedrohlichen Macht seines Herrn. Er hielt seinen borstigen Schädel gesenkt und huldigte dieser Macht, indem er seine Exkremente fallen ließ und im weiten Rund des Thronsaales den beißenden Gestank seiner Demut verbreitete.
„Erhebt euch!“, dröhnte die Stimme von Sartos durch den Saal, während er Wrong mit einem wohlwollenden Blick bedachte. Dann aber verfinsterten sich seine kleinen glutroten Augen und ein stechender Blick traf den Befehlshaber der Sammler.
Sartos stieg die Stufen seines Throns hinab, seine Begleitung blieb aufreizend sich in Pose setzend zurück, während Generäle und Gäste ängstlich zurückwichen und ihm eine Gasse öffneten. Wie zur Begrüßung öffnete er seine Arme und ging freundlich lächelnd auf den Sammler zu: „Setre, mein Freund, sei gegrüßt. Warum bist du hier?“ Kaum, dass er den Satz beendet hatte, packte er den Sammler an der Kehle und zischte: „Seit wann dürfen Maden wie du den Thronsaal betreten?“
Ein amüsiertes Kichern fuhr durch die Anwesenden, war es doch ein erhebender Moment, die Macht des Herrschers hautnah zu erleben und seinem Angriff nicht selbst ausgeliefert zu sein.
„Antworte!“, schrie Sartos mit hochrotem Gesicht.
„Ich ..., ich bedaure, Gebieter. Ich muss ...“ Setre zappelte wie ein Fisch am Haken.
„Was musst du?“ Sartos schien amüsiert.
„Euch Wichtiges be ...“ Der Sammler rang nach Luft.
Was konnte es Wichtiges geben, dass sich dieser Niemand unter meine Generäle mischt? Sartos überlegte, sah das Weiße in Setres Augen und ließ von ihm ab.
„Komm!“ Mit einem Wink befahl er Setre, ihm zu folgen. Den Rücken wie ein Bogen gekrümmt, schlich dieser mit schmerzverzerrtem Gesicht hinter Sartos her, der wieder seinen Thron bestieg und den Sammler zum Sprechen aufforderte. Setre raffte sein weites Gewand und kniete am Fuß des Throns nieder: „Herr, meine Sammler haben in Tauron Menschen gejagt und das gefunden.“ Er zog drei Federn, die zur Armschwinge eines Sammlers gehörten, aus seinem Mantelinneren.
„Ja, und?“ Sartos gähnte gelangweilt.
„Es ist ein Abtrünniger, Herr. Ein Verräter. Sein Name ist Piecock. Die Rückkehrer berichten, er sei durch die Nebelbank geflogen, die eine Weile später in grellem Licht erstrahlte. Es zuckten gewaltige Blitze darin, begleitet von krachenden Donnerschlägen. Immer dichter werdende Wolkengebilde quollen aus der Nebelbank hervor und sanken zu Boden, während Blitz und Donner anhielten. Und als meine Sammler vor dieser Erscheinung fliehen wollten, löste sich aus dem Schein ein pulsierender Feuerball, der sich nach kurzer Zeit in fünf kleinere Feuerbälle teilte.“
Sartos sprang interessiert auf, was Setre irritierte.
„Es soll ein ... wirbelndes Chaos aus Feuer, Blitz und Donner gewesen sein“, fuhr er ängstlich fort, „das in hohem Tempo kreuz und quer umherraste.“
Sartos hob seine behaarten Pranken, sein Blick ging zu Wrong. Es herrschte Stille im Saal, nicht das kleinste Geräusch war zu hören.
„Schick sie weg, Wrong!“, schrie er. Seine Hand fuhr gereizt durch die Luft. „Alle!“ Setre rutschte auf den Knien ein Stück vom Thron weg, den Kopf noch tiefer gebeugt. Ihm war klar, dass sein Bericht den Zorn des Herrschers ausgelöst hatte. „Und kümmere dich um dieses erbärmliche Stück Fleisch.“ Sartos trat den Sammler mit Wucht gegen die Brust, sodass dieser nach hinten überkippte und mit dem Schädel krachend auf den Boden schlug. Sofort zog Wrong sein Schwert aus der Scheide und stieß die Spitze wuchtig auf den steinharten Boden.
„Alles raus“, schrie er, dass es von den Wänden widerhallte, „und zwar sofort!“ Im Nu war der Thronsaal leer und Wrongs Schwertspitze hing am Hals des Sammlers. In Setres Adern gefror das Blut, sein Atem stockte. Mit glasigem Blick starrte er in die Augen seines Widersachers, die so kalt waren wie der Boden, auf dem er lag.
„Steh auf, du Wurm!“, befahl Wrong, der schon zu lange im Dienst des Herrschers stand, um nicht zu wissen, was jetzt von ihm erwartet wurde. Er würde dem Sammler noch einen ehrenvollen Tod gewähren. Manchmal konnte man so selbst ein kleiner „Sartos“ sein und besonders unliebsame Gegner loswerden.
Mühsam stand Setre auf, sein Kopf schmerzte, das Blut hämmerte wild in seinen Schläfen. „Vorwärts!“ Wrong drängte zum Aufbruch und stieß ihm den Schaft seines Schwertes in den Rücken.
Der Sammler sah sich ängstlich um: „Willst du mich töten? Warum? Wegen des Berichts?“
„Nein, dafür nicht.“ Wrong grinste verächtlich.
„Warum dann?“ Der Sammler blieb stehen, seine Stimme zitterte.
„Geh weiter!“ Wrongs Ton blieb unerbittlich scharf. Er zeigte auf eine halb geöffnete Tür, aus der Lärm sich kreuzender Schwerter drang. „Dort hinein!“ Wrong stieß die Tür weit auf. Augenblicklich verließen die im Training stehenden Schwertkämpfer den Raum.
Setre, der plötzlich noch bleicher als sonst wirkte, sah sich gehetzt um. Der felsige Boden war zwar eben, aber mit querlaufenden Rillen versehen, damit man bei Schwertübungen den Halt nicht verlor. Rundum befanden sich aus dem Felsen geschlagene Sitzgelegenheiten und an den Wänden hingen Schwerter, Schilde, Bögen für Zielübungen und Lanzen. Durch zahllose Fackeln an den Wänden war der Raum hell erleuchtet.
Ich soll also sterben, stellte Setre im Stillen fest und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Wird er mich einfach niedermetzeln oder töten wie ein weidwundes Tier? Die Angst schnürte ihm die Kehle zu.
Wrong zeigte auf die Schwerter an der Wand. „Nun hol dir schon eins und fang an. Hab nicht ewig Zeit.“
Setre biss sich auf die Lippen. Er sah die Kälte in Wrongs Augen und ahnte tief in seinem Innern, dass es kein Zurück gab und keine Gnade. Nur durch einen Sieg konnte er sein Leben retten. Doch angesichts der unbändigen Kraft und Kampferfahrung seines Gegners würde der Kampf mit seinem Tod enden. Und wie er Wrong kannte, könnte das ein sehr grausames Ende werden.
Langsam drehte er sich um, warf seinen Umhang ab, nahm mit zitternder Hand ein Schwert von der Wand und stellte sich seinem Henker gegenüber.
„Nun fang an, du Memme.“ Wrong brachte sich in Stimmung. Er wusste, das würde gewiss nicht sein letzter Kampf sein, doch mit Sicherheit der leichteste. Aufreizend spielte er mit seinen kampferprobten Muskeln. Dann sah er Setre mit kalten Augen an.
„Du willst wissen, warum ich dich töte?“ Wrong sprang auf Setre zu, der den ersten Hieb geschickt parierte. Die Eisen prallten klirrend aufeinander, und mit jedem Hieb schrie der kampferprobte General seinem Gegner ins Gesicht: „Weil ... du ... entbehrlich ... bist!“
Setre ächzte unter den kräftigen Schlägen, denen er nicht gewachsen war, die er aber parieren musste, wollte er leben. Bereits nach zehn Minuten spürte er, dass seine Kräfte schwanden. Immer wieder versuchte er durch geschicktes Ausweichen, den gewaltigen Hieben zu entgehen. Doch es half nichts. Wrongs Schwert stieß vor und bohrte sich in seine rechte Schulter.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht taumelte Setre zurück, während sein Schwert scharrend über den Boden rutschte. In seinen Augen lag das blanke Entsetzen. Mit letzter Kraft presste er seine Hand auf die zerfetzte Schulter, die nur noch an Sehnen und blutigen Fleischfasern hing. Dann stürzte er rücklings zu Boden und sah Wrong mit glasigen Augen an.
„Mach ein Ende“, stöhnte er unter Qualen, während sein Blut in Strömen floss. Da stand Wrong auch schon breitbeinig über ihm und lächelte bissig: „Du hast zwei Arme zum Kämpfen. Also steh auf!“
Der Sammler neigte den Kopf zur Seite und schloss müde die Augen. Ihm war längst klar, dass Wrong ihn nicht einfach nur töten wollte. Er würde ihn verstümmeln, sein Sterben hinauszögern und es dabei genießen.
Mit letzter Kraft hob er den Kopf, während das Blut unter ihm eine breite Lache bildete. Ihm war kalt und seine Stimme zitterte. „Warum verhöhnst du mich? Jetzt, wo ich vor dir liege. Was habe ich dir getan?“
Wrong, der ihm den Rücken zugekehrt hatte, wandte sich um. Tiefe Verachtung lag in seinem Gesicht. „Dein Streben nach Macht, Setre, stört meine Pläne. Weißt du es nicht?“ Er kniete sich neben den Sammler. „Sartos erschafft eine neue Welt und ich werde daran teilhaben. Ich werde ganz oben stehen, an seiner Seite, und gnadenlos zerstören, was ihn bedroht.“
Wrong stand auf und sah prüfend auf sein blutgetränktes Schwert. Ein tiefes Knurren entfuhr seiner Kehle, dann schnellte seine Klinge surrend durch die Luft und teilte Setres Körper der Länge nach in zwei Hälften. Danach verließ er die blutige Stätte. Er achtete nicht auf die warmen und noch zuckenden Körperteile, zwischen denen die Gedärme des Sammlers hervorquollen und den widerlichen Gestank ihres Inhalts verbreiteten. Gelassen wischte er das Blut von seinem Schwert und begab sich nur wenige Meter weiter zum Thronsaal, um seinen Bericht abzugeben.
Kaum hatte er die schwere Saaltür aufgezogen, fuhr er von grellem Licht geblendet zurück. Sartos, der hinter dem Thron in einer Nische wiederholt schwarzes Pulver in eine Schale warf und dabei beschwörende Worte murmelte, hatte das Eintreten seines Generals nicht bemerkt. So drückte Wrong sich in eine Nische neben der Tür und wartete, bis er seinem Herrn gegenübertreten konnte. Für eine Umkehr war es ohnehin zu spät. Jedes Geräusch konnte seine Anwesenheit verraten, was den sicheren Tod zur Folge gehabt hätte. Doch damit wollte er diesen Tag nun wahrlich nicht zu Ende gehen lassen, zumal ihm ein anderes Problem zu schaffen machte. Er konnte kaum atmen, die Luft war zum Schneiden.
Durch den Rauch sah er die Umrisse seines Herrn, der mit dem Rücken zu ihm stand und plötzlich seinen mächtigen Kopf nach hinten warf. Sartos schrie aus voller Kehle seltsame Worte, das Echo wurde von den Felswänden vielfach zurückgeworfen, während eine gewaltige Blase aus der Schale erwuchs und in die Mitte des Thronsaals schwebte. Dann trat Stille ein.
Der Rauch brannte in seinem Hals. Wrong rang nach Luft, seine Lunge schmerzte mit jedem verdammten Atemzug und der Blick seiner Augen trübte sich. Ihm war, als würde eine unsichtbare Kraft seinen Willen aufsaugen. Vehement stemmte er sich gegen das aufkommende Dunkel einer Ohnmacht, in der wieder und wieder Tausende kleine Funken blitzten, während er in der Nische schwer atmend zusammensackte. Noch bevor seine Knie den Boden berührt hatten, wo es noch Luft zum Atmen gab, sah er, wie die Blase zerplatzte und eine mit Kapuzenmantel verhüllte Gestalt freigab.
Sartos ging langsam darauf zu, hob begrüßend die Arme und wartete, dass sie ihre endgültige Form annahm. Nach einer Weile schlug die Gestalt die Kapuze zurück und langes schwarzes Haar fiel über ihre Schultern.
„Dalia!“ Sartos' Stimme hallte durch den Thronsaal. „Ich freue mich, dich ...“
„Ach, du freust dich“, unterbrach sie ihn wütend. „So viele Jahre habe ich in der Sphäre der Verdammten gehockt und jetzt fällt deinem zottigen Schädel nichts Besseres ein, als: 'Ich freue mich' und so weiter und so weiter? Willst du mich verhöhnen, du Tölpel? Warum hat das so lange gedauert?“
„Wo sind nur deine Manieren geblieben, meine Liebe?“ Sartos stand freundlich lächelnd vor der einstigen Hohenpriostine von Atragon und sie fielen sich wie alte Bekannte in die Arme. „Es gab viel zu tun, Dalia, viele Mäuler waren zu stopfen, und noch mehr mussten getötet werden. Ein Reich regiert sich schließlich nicht von allein.“
Spott zuckte über Dalias Mundwinkel: „Und Macht teilt sich nicht gern. Ist es nicht so?“ Sartos drehte grinsend den Kopf weg, kaum dass er seine innere Anspannung verbergen konnte. „Na wenigstens hast du Adinofis vernichtet und das Geschmeiß im Hohen Rat.“
„Jaaa, mein Angriff war gewaltig, ich weiß“, huldigte Sartos sich selbst und seine Arme beschrieben einen weiten Bogen im Raum. „Doch nun droht mir ein Ungemach, das mich den Kopf kosten könnte.“
„Ungemach“, murmelte Dalia leise und zog die Worte spöttisch in die Länge. „Das klingt fast so dramatisch wie: Macht ... verloren. Oder wie, verloren in der Sphäre der Verdammten.“ Sie warf ihr Haar zurück und blickte Sartos wütend an. Und während sie an ihm vorbei auf den Thron zuging, brüllte sie: „Du verblödeter Troddel! Deine Gier nach Macht hat alles zerstört. Sieh dich um! Die Erde ist eine Schlammwüste und die Menschen liegen in deinen Vorratskammern gestapelt. Du regierst kein Reich, du verwaltest die Mahlzeiten deiner Soldaten und Sammler.“
Dalia ließ sich ungeniert in den Thron fallen. Sie demonstrierte ihren überlegenen Geist und genoss es, zuzusehen, wie Sartos die Zornesröte ins Gesicht stieg und er mit heftigen Gesten wilde Flüche ausstieß. Doch für Dalia war das nicht genug. Jahrelang hatte sie zwischen den Seelen von Verbrechern, Verrätern und Frauenschändern, zwischen untoten Bestien und abtrünnigen Gehilfen gehaust. Eine Welt, die finster war, in der sie jede Macht und magische Kraft verloren hatte, in der sie zum ersten Mal das Gefühl von Hunger und Kälte gespürt hat und in der auch die Zeit sie altern ließ. Kurz, das war ein Ort des Grauens. Dafür verlangte sie Genugtuung, und sei es nur dadurch, dass sie Sartos demütigte.
„Deine Macht“, fuhr sie gelassen fort, „verschlingt sich selbst. Was bleibt dir denn, wenn deine Vorräte aufgebraucht sind? Nichts als eine stinkende Finsternis.“
Sartos stieg gelassen zu seinem Thron hinauf, stützte sich auf die Armlehnen und flüsterte Dalias ins Ohr: „Du hast gewiss einen Plan, oder?“
Die Fee musterte ihn nachdenklich, während ihre Finger in einem Anflug von Mitleid sanft durch seine dichte Mähne glitten. „Schick deine Sammler nach Saragon zum Berg Gefos. In den Höhlen dort verbergen sich Menschen. Ein Sammler hat die Nebelbank bereits durchquert. Wie, das weiß ich noch nicht.“
„Der Sammler kümmert mich nicht“, entgegnete Sartos. „Es sind die Elemente, die mir Sorgen machen.“
„Ich weiß, du altes Scheusal. Auch ich bin ihnen begegnet. Ich finde heraus, was sie vorhaben. Doch hör auf, das Fundament deiner Macht zu zerstören. Lass die Frauen der Menschen frei. Sperre sie in Käfige, tief unten in deinem Berg, damit niemand ihre Schreie hört. Dann bring sie mit den Männern ihrer Art zusammen. Du wirst sehen, wie schnell sich deine Nahrungskammern füllen.“
Sartos horchte auf: „Du meinst, ich soll ...?“
Dalia nickte: „Füttere sie gut und lass sie gebären, bis ihre gespreizten Beine im Krampf erstarren.“
„Und die Elemente?“
Dalia dachte an den Ring, den sie bei sich trug und der ihr Macht über die Elemente gab: „Wie hoch ist dein Preis, du Halsabschneider?“ Gespannt musterte sie Sartos. Sie kannte den Preis und würde sich mit nichts Geringerem zufriedengeben.
„Atragon?“, raunte Sartos zögernd.
Die Augen der Fee strahlten, denn das war der Ort, wo man ihre Macht und Würde geschändet, wo man sie erniedrigt und ihrer Pfründe beraubt hatte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Adinofis, Salina, Krygon und Gill. Ihnen galt ihre Rache. Ihnen würde sie das zuteilwerden lassen, was auch sie erfahren musste: Moron, die Sphäre der Verdammten, mit all seinem Dreck, seiner Dunkelheit und Armseligkeit und der Pestilenz der Verderbten.
„Einverstanden!“
Sie schlug ihren Umhang zurück, entnahm einer kleinen Tasche am Gürtel einen silbernen Ring mit acht kreisförmig angeordneten Diamanten und einem mittig gelegenen ovalen Smaragd und streckte ihn Sartos entgegen: „Zu Anbeginn der Zeit haben die Elemente dieses schöne Kleinod nach Moron gebracht. Es ist der Ring der Ewigkeit. Alle Elemente trugen einst einen solchen Ring, jeder mit anderen Kräften ausgestattet. Dieser hier, der für die Welt gefährlichste, schmückte einst den Finger von Sol, dem Element des Lichts. Er brachte ihn nach Moron, denn er sollte nicht in falsche Hände geraten.“ Dalia grinste hämisch. „In Moron war es nur ein gewöhnlicher Ring und seine magischen Kräfte so tot wie meine. Doch hier in der Welt des Lebens und der Magie ist er eine mächtige Waffe und als solches in der Lage, die Schöpfer allen Seins für lange Zeit auszuschalten ...“
Ein Geräusch ließ Dalia aufhorchen.
„Wer ist da!?“, rief sie mit mächtiger Stimme.
Sartos richtete sich auf, stemmte seine Pranken in die Hüften und schrie: „Tritt vor! Dein Herr befiehlt es!“
Wrong trat aus der Nische heraus und ging langsam und mit gesenktem Kopf auf die beiden zu. Er hielt den Knauf seines Schwertes fest umklammert, während er im Gehen den Körper demutsvoll nach vorn neigte. Vor dem Thron sank er auf die Knie: „Verzeiht, mein Herr! Ich ...“
„Sieh mich an!“, befahl Dalia mit erhabener Geste.
Sich der Macht dieser Fee bewusst, hob er den Kopf und sah in kalte schwarze Augen. Seine Kiefer kreisten vor Anspannung. Er kannte Dalia und ihre Macht, aber er war ihr noch nie so nah wie heute.
„Das ist Wrong, der Befehlshaber meines Heeres“, meinte Sartos und fragte: „Hast du alles erledigt?“
„Ja, Herr! Man reinigt gerade die Trainingsgrotte.“
Erneut senkte er den Kopf.
„Du wagst es, dich meinem Blick zu entziehen? Hebe den Kopf sage ich und senke ihn erst, wenn ich es dir erlaube!“ Wrong tat wie ihm befohlen und sah Dalia an, die seinen Blick wie mit glühenden Zangen festhielt: „Sag, wieso belauschst du die Gespräche deines Herrn?“
„Hohepriesterin! Ich wollte meinem Herrn berichten, da sah ich Licht im Saal. Als ich eintrat, wurde ich ohnmächtig.“
„Du weißt, wer ich bin?“
„Ja!“
„Und woher?“ Dalias Finger trommelten ungeduldig auf der Armlehne des Throns. „Sprich!“
„Ich bin euch einmal begegnet. Damals fielen unsere Truppen in Atragon ein. Ich war zum Schutz des Herrschers abgestellt und immer an seiner Seite. Ich erinnere mich an eine Halle, in der ihr meinem Herrn eine Schale mit einer brennenden Flamme übergeben habt. Ich erinnere mich auch an eine Priesterin namens Nora, die plötzlich neben euch stand und dir die Schale entreißen wollte, und an einen vortrefflich geführten Schlag eurerseits, der sie niederstreckte. Seitdem bewundere ich euch und die Magie, die ihr so meisterhaft beherrscht.“
Wrong verstummte. Er wartete auf eine Erwiderung. Doch die blieb aus. Stattdessen richtete Sartos das Wort an ihn: „Geh! Inspiziere das Heer der Sammler. Einer fehlt, ich will seinen Namen. Weise ihnen einen neuen Befehlshaber zu und treffe Vorbereitungen für einen Angriff der Sammler auf Saragon. Außerdem wünsche ich, dass die Menschenfrauen künftig nicht mehr geschlachtet werden.“
„Was soll mit ihnen geschehen, Herr?“
„Bring tausend von ihnen und gleichviele Männer in den Zellentrakt im Keller. Vergrößere die Zellen, gib ihnen ausreichend Nahrung und lass sie sich paaren.“ Ohne ihn weiter zu beachten, wandte er sich Dalia zu, nahm ihre Hand und geleitete sie vom Thron. Eine Weile stand sie und fixierte Wrong mit einem drohenden Blick, der ihn zu durchbohren schien und sein Inneres in Angst und Aufruhr versetzte. Dennoch wagte er es nicht, den Kopf zu senken.
„Tu, was dir befohlen wurde!“, raunte sie mit kehliger Stimme. Und an Sartos gewandt, neigte sie lächelnd den Kopf und sagte leise: „Lass uns gehen, ich bin hungrig!“
Augenblicke später fand sich Wrong allein im Thronsaal, kniend und den Blick ins Leere gerichtet. Die Mächtigen hatten ihn verlassen. Zurück blieben in seinem Ge