Trump gegen die Demokratie – »A Very Stable Genius« - Carol Leonnig - E-Book

Trump gegen die Demokratie – »A Very Stable Genius« E-Book

Carol Leonnig

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Beschreibung

2020 ist das Schicksalsjahr der USA. Im November wird der Präsident gewählt, und die Lage spitzt sich dramatisch zu: Wird Trump es noch einmal schaffen? Und was würde das bedeuten? Dieses Buch gibt die Antwort. Im Gewitter der täglichen Tweets und »News« treten die beiden Pulitzer-Preisträger von der »Washington Post« einen Schritt zurück, um die Amtszeit Trumps Schritt für Schritt zu rekonstruieren. Sie nutzen eine Fülle von neuen Details und Erkenntnissen, die sie aus Hunderten Stunden Interview-Material mit mehr als 200 Verwaltungsbeamten, Trump-Vertrauten und anderen Augenzeugen gewonnen haben, um entscheidende Muster hinter dem täglichen Chaos in der Regierung aufzudecken. Exzellent recherchiert und meisterhaft erzählt, lassen sie ein Bild von Trump entstehen, das uns besorgt stimmen sollte: Seine Versuche, das amerikanische System und die Demokratie zu unterlaufen, sind erfolgreicher als gedacht. In diesem Jahr geht es wirklich um alles. - Dieses Buch müssen Sie gelesen haben, um in diesem Jahr 2020 mitreden zu können! - Wer dieses Buch liest, versteht die Hintergründe und weiß, was auf dem Spiel steht! - Ein Insider-Bericht, der Hunderte von Stunden Interviews mit über 200 Augenzeugen auswertet, lebendig und packend geschrieben, als sei man »live« dabei - Zahlreiche neue Erkenntnisse über Trumps Amtsführung; u.a. erstmals alle Hintergründe über den Mueller-Report sowie über die russische Einmischung in den Wahlkampf 2016

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Seitenzahl: 795

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Carol Leonnig | Philip Rucker

Trump gegen die Demokratie – »A Very Stable Genius«

Aus dem Englischen von Martin Bayer, Karlheinz Dürr, Hans-Peter Remmler, Werner Roller, Karin Schuler und Violeta Topalova

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]Vorbemerkung der AutorenPrologTeil IKapitel 1 BausteineKapitel 2 Paranoia und PandämoniumKapitel 3 Ist das Recht oder kann das weg?Kapitel 4 Ein schicksalhafter RausschmissKapitel 5 Das FBI kommtTeil IIKapitel 6 Rüsten für die SchlachtKapitel 7 Behinderung der JustizKapitel 8 VertuschungsmanöverKapitel 9 Ein Schock fürs GewissenKapitel 10 EntgleistKapitel 11 ImprovisierenTeil IIIKapitel 12 SpygateKapitel 13 ZerfallserscheinungenKapitel 14 Das Ein-Mann-ErschießungskommandoKapitel 15 Gratuliere, Mister Putin!Kapitel 16 Eine abschreckende RazziaTeil IVKapitel 17 Handgranaten-DiplomatieKapitel 18 Innerer WiderstandKapitel 19 PanikmacheKapitel 20 Ein widerspenstiger DiplomatKapitel 21 Bauchgefühl vor KlugheitTeil VKapitel 22 Allianz der SchmeichlerKapitel 23 Loyalität und WahrheitKapitel 24 Der BerichtKapitel 25 Die Show geht weiterEpilogDankRegister

Für John, Elise und Molly –

Ihr seid mein Ein und Alles

Für Naomi und Clara Rucker

Vorbemerkung der Autoren

Über Donald Trumps Präsidentschaft zu berichten war eine atemberaubende Reise. Eine Geschichte jagt die andere, Stunde um Stunde, Tag für Tag. Mit jedem folgenschweren Ereignis, das wir aufzeichneten, wurde uns bewusst, dass sich vor unseren Augen ein historisch bedeutsames Geschehen abspielte. Dennoch hatten wir kaum einmal Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und die Ereignisse einzuordnen. Es ging einfach immer weiter. Also beschlossen wir, die Pausentaste zu drücken. Wir wollten tiefer nachbohren, als es die tägliche Berichterstattung zuließ, denn wir wollten verstehen, was sich hinter den Kulissen abspielte, und in der Lage sein, die Auswirkungen auf das Land einzuschätzen.

Dieses Buch beruht auf Hunderten von Interviewstunden mit mehr als 200 Gesprächspartnern, darunter auch Mitarbeiter der Trump-Regierung, Freunde und externe Berater des Präsidenten ebenso wie andere Zeugen der hier beschriebenen Ereignisse. Die meisten Personen, die bei diesem Vorhaben mit uns zusammenarbeiteten, waren zu offenen Äußerungen nur unter der Bedingung bereit, dass ihre Anonymität gewahrt bleiben würde. Sie wollten entweder ihre berufliche Laufbahn im Regierungsapparat nicht aufs Spiel setzen oder fürchteten Vergeltungsmaßnahmen des Präsidenten oder seiner Verbündeten. Viele unserer Informanten berichteten über ihre Erfahrungen in Form von Hintergrundgesprächen. Das bedeutet, dass wir diese Informationen nutzen durften, solange wir ihre Identität nicht preisgeben und bestimmte Einzelheiten nicht mit ihrem Namen verbinden würden. Viele unserer Interviews haben wir aufgezeichnet.

Wir sind objektive Journalisten, die bestrebt sind, der Öffentlichkeit wahrheitsgetreu zu berichten. Mit diesem Buch wollen wir der Wahrheit durch eine rigoros präzise Berichterstattung so nahe kommen wie irgend möglich. In sorgfältig rekonstruierten Szenen zeigen wir Präsident Trump ungefiltert. Wir beschreiben ihn als handelnde Person, in Aktion, anstatt den Lesern zu sagen, was von ihm zu halten ist. Diese Szenen beruhen auf Darstellungen aus erster Hand und wurden, wo immer dies möglich war, durch eine Vielzahl von Informanten bestätigt. Darüber hinaus haben wir Terminkalendereinträge, interne Memos und andere Formen der Korrespondenz aus den Reihen des Führungspersonals sowie private Videoaufnahmen geprüft, um die Fakten zu erhärten. Dialoge können nicht immer exakt wiedergegeben werden, aber sie beruhen auf der Erinnerung einer Vielzahl von Personen an die Ereignisse sowie – in etlichen Fällen – auf zeitgleich festgehaltenen Notizen von Zeugen. In wenigen Fällen lieferten Informanten erheblich voneinander abweichende Darstellungen der Fakten zu einer bestimmten Episode. Wo immer nötig, weisen wir auf den entsprechenden Seiten darauf hin, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass verschiedene Erzähler mitunter voneinander abweichende Erinnerungen an die Ereignisse haben.

Dieses Buch ist ein Ergebnis unserer Berichterstattung für die Washington Post. Deshalb sind manche der hier geschilderten Einzelheiten zunächst in Artikeln erschienen, die wir für diese Zeitung verfasst haben, manche davon in Zusammenarbeit mit anderen Kollegen. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Szenen, Dialoge und Zitate ist jedoch nur in unserem Buch zu lesen und beruht auf den umfangreichen Recherchen, die wir ausschließlich für dieses Projekt vorgenommen haben.

Zur Rekonstruktion von Episoden, die sich in der Öffentlichkeit abspielten, etwa bei Reden des Präsidenten, von denen viele auf der Website von C-SPAN archiviert sind, stützten wir uns auf Videoaufzeichnungen der Ereignisse. Außerdem griffen wir auf die jeweils aktuelle Berichterstattung und damit auf eine ganze Reihe von Publikationen zurück. Wir beziehen uns überdies auf amtliche Dokumente der Regierung, unter anderem auf den Bericht von Sonderermittler Robert S. Mueller III. (In den meisten Fällen hatten wir bereits unsere eigene ursprüngliche Berichterstattung auf die Informationen aus den veröffentlichten Dokumenten gestützt.) Material, das Darstellungen solcher Art entnommen wurde, wird in geeigneter Form gekennzeichnet, der direkte Nachweis findet sich entweder im Fließtext oder im Anmerkungsteil.

Wir haben versucht, Präsident Trump für dieses Projekt zu interviewen, und in der Anfangsphase unserer Recherchen zunächst bei ihm angefragt. Trump sagte Philip Rucker bei einem Telefonat, er stehe gerne für ein Interview zur Verfügung. »Kommen Sie. Sie werden etwas Faires abliefern«, sagte Trump und fügte hinzu: »Ich mach’s. Ich mach’s. Ich mach’s. Ich hätte gerne ein ordentliches Buch. Sie sind ein seriöser Mensch. Also geht das in Ordnung.« Als Trump in den darauffolgenden Monaten seinen Privatkrieg mit den Medien eskalieren ließ, zog er über einen Mitarbeiter seine Zusage für ein Interview zurück und verzichtete auf die Gelegenheit, eigene Darstellungen und Informationen zu den in diesem Buch geschilderten Ereignissen zu liefern. Nach wochenlangem Hin und Her waren Trumps Sprecher weder in der Lage, Fragen über diese Ereignisse zu unserer Zufriedenheit zu beantworten noch die Antworten des Präsidenten vor der Veröffentlichung unseres Buches zur Verfügung zu stellen.

Prolog

»I alone can fix it.« – »Ich allein kann es in Ordnung bringen.«

Donald John Trump sprach am 21. Juli 2016, als er in Cleveland die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei annahm, mehr als 4000 Worte, aber es waren diese fünf, die schon bald zum Grundsatz werden sollten, nach dem er die Nation führte.

An jenem Abend stand Trump ganz allein im Zentrum der Quicken Loans Arena auf einem erhöhten Podium, an dessen Entwurf er sich beteiligt hatte. Hinter ihm ragte ein gewaltiger Bildschirm mit Goldrahmen auf, der ihn in riesenhafter Vergrößerung vor 36 amerikanischen Flaggen zeigte. Es war eine maskuline LED-Manifestation seines Selbstbildes. Er hielt eine düstere und dystopische Rede, in der er sich dem amerikanischen Volk als einzige Hoffnung auf Erneuerung und Erlösung anbot. Frühere Präsidentschaftskandidaten hatten sich demütig gezeigt, gemeinsame Werte hervorgehoben und ihre Landsleute dazu aufgerufen, sich zusammenzutun, um das zu erreichen, was sie nur gemeinsam erreichen könnten. Trump benutzte stattdessen das »Ich«.

»Ich bin eure Stimme.«

»Ich werde ein Fürsprecher sein – euer Fürsprecher.«

»Niemand kennt das System besser als ich, deshalb kann nur ich allein es in Ordnung bringen.«

Trumps erste Amtszeit als reines, hemmungsloses Chaos zu missdeuten wäre allzu einfach. Seine Präsidentschaft sollte von Solipsismus angetrieben werden. Ab dem Augenblick, in dem Trump mit seinem Amtseid schwor, die Verfassung zu verteidigen und der Nation zu dienen, regierte er hauptsächlich zum eigenen Schutz und Nutzen. Doch während er von Tag zu Tag lebte, ums Überleben kämpfte und auf immer neuen Nachrichten surfte, um sich über Wasser zu halten, folgte das ganze Durcheinander einem Muster und hatte System. Trumps Fixstern war der Erhalt der eigenen Macht, selbst wenn dies unsere anfällige Demokratie gefährden würde. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die amerikanische Regierung, bereits geschwächt durch die jahrelange, polarisierende politische Funktionsstörung, erlitt einen schweren Rückschlag.

Zig Millionen von Amerikanern waren wütend, sie fühlten sich von den Bürokraten in Washington vergessen, von liberalen Eliten verhöhnt und von einer Weltwirtschaft gedemütigt, die sie samt ihrer beruflichen Qualifikationen überholt und ihre Kinder dazu bestimmt hatte, die erste Generation von Amerikanern zu sein, der es schlechter gehen würde als den eigenen Eltern. Trump krönte sich selbst zu ihrem Fürsprecher. Er versprach ihnen, er werde »Amerika wieder groß machen«, ein brillantes, für alle passendes Mantra, das es diesem Bevölkerungsteil des Landes ermöglichte, die eigenen Frustrationen zu kanalisieren. Sie stellten sich ein Amerika vor, in dem Familienunternehmen nicht im Würgegriff von Vorschriften steckten, die Steuerlast nicht so drückend und gut bezahlte Arbeitsplätze dagegen zahlreich und sicher waren. Einige von ihnen versetzten sich auch in die 1950er Jahre zurück und stellten sich dabei ein schlichteres, glückliches Amerika vor, in dem noch weiße Patriarchen das Sagen hatten, schickliche Frauen Heim und Herd verwalteten und Minderheiten still oder unterwürfig waren.

Präsident Trump war der unermüdliche Streiter für die »Make America Great Again«-, für die MAGA-Nation. Er legte keinen Wert auf die sorgfältige Auswahl einer Gruppe von Führungspersönlichkeiten, die ihn beim Regierungsgeschäft unterstützen sollten. Der schillernde Promoter und Reality-TV-Star glaubte, er könne die US-Regierung im selben Stil führen, in dem er aus einer Suite in der 26. Etage des Trump Towers in New York heraus sein Immobilienunternehmen leitete – beruhend auf seinem Bauchgefühl, das ihm ermöglichte, Gelegenheiten rasch zu nutzen sowie Konkurrenten einzuschätzen und zu vernichten.

Doch Trumps eigene Rücksichtslosigkeit beeinträchtigte seine Möglichkeiten, die Wahlversprechen einzulösen, mit denen er für sich geworben hatte. Neulinge im Regierungsgeschäft und Jasager stellten von Anfang an einen großen Teil seines engsten Mitarbeiterkreises, und ein kollektiver Mangel an Erfahrung verschärfte die Probleme, vergeudete politisches Kapital und demoralisierte engagierte Staatsbedienstete. Die allumfassende Tugend der Trump-Regierung war Loyalität – Loyalität, die nicht dem Land, sondern dem Präsidenten selbst galt. Einige seiner Berater glaubten, seine Forderung nach blinder Treue – und seine Rache an denen, die sich diesem Ansinnen verweigerten – werde den Staatsdienst nach und nach korrumpieren und die Demokratie selbst auf die Probe stellen.

Zwei Arten von Menschen arbeiteten für die Regierung: diejenigen, die dachten, Trump werde die Welt retten, und diejenigen, die dachten, die Welt müsse vor Trump gerettet werden. Die Letzteren (die allerdings Trumps Charme mitunter eine Zeitlang erlagen) waren erfahrene und fähige Profis, die es als ihre Pflicht ansahen, ihm ihr Wissen und ihren Sachverstand zur Verfügung zu stellen. Doch der Präsident verschliss innerhalb von Monaten diese »Erwachsenen im Raum« mit einem Verhalten, das die Betroffenen als ebenso geistlos, unanständig und rechtswidrig empfanden wie seine Vorstellungen und Direktiven. Diese Männer und Frauen traten – einer nach dem anderen – frustriert zurück oder wurden von Trump fristlos entlassen. Trump betrieb einen ewigen Kreislauf des Verrats und des Abbrechens und Kittens von Beziehungen. Er hielt damit seine Berater im Regierungsapparat in einem fortwährenden Zustand von Unsicherheit, um seine eigene Machtposition abzusichern. Einige von ihnen seufzen inzwischen, aus der Distanz, angesichts einen Präsidenten, von dem sie sich Führung erhofft hatten. Und weil sie gewahr werden, dass nur noch wenige kluge Ratgeber übriggeblieben sind, die seine plötzlichen Eingebungen mäßigen können. Sie beklagen sich über einen Präsidenten, der sehr schnell beleidigt war und dann einen kleinlichen Groll pflegte, der süchtig war nach der TV-Berichterstattung über sich selbst, Speichellecker beförderte und hemmungslos log.

Trump hat sein Versprechen, als menschliche Handgranate Washington zu schleifen und neu aufzubauen, teilweise erfüllt. Er hat den regulierenden Staat geschwächt, die Grenzkontrollen verschärft und die Bundesgerichte umgestaltet, einschließlich der Nominierung zweier Richter für den Obersten Gerichtshof – all dies waren Prioritäten für seine konservative politische Basis.

Trump hat auch die amerikanische Stellung im Welthandel verändert. Er schwächte multilaterale Abkommen, die seiner Ansicht nach kleineren Ländern ermöglichten, die Vereinigten Staaten zu übervorteilen, und schloss neue bilaterale Verträge zu günstigeren Bedingungen. Von Präsident Obama übernahm er eine florierende Wirtschaft und sorgte für weiteres Wachstum, selbst als Ökonomen zur Jahresmitte 2019 einen letztlichen Abschwung voraussagten.

Trump ist, wie er seinen Kritikern oft ins Gedächtnis rief, ein Präsident wie kein anderer vor ihm. Er hat den Rechtsstaat herausgefordert und außenpolitische Bündnisse erschüttert. Dabei missachtete er seit 70 Jahren bestehende Bündnisbeziehungen mit anderen Demokratien, während er zugleich Diktatoren und Despoten umwarb. Er hat den Kern der nationalen Identität in Frage gestellt, nach der die USA divers sind, ein Zufluchtsort für Menschen aller Rassen und Glaubensrichtungen. Denn er hat die Verfechter weißer Vorherrschaft und die Fanatiker unter seinen Anhängern nicht zum Schweigen gebracht, sondern stattdessen gelegentlich selbst rassistische Töne angeschlagen. Er hat sich Untergebenen und Offizieren der Streitkräfte gegenüber bösartig verhalten, und er ließ Migrantenfamilien inhaftieren. Er hat Grenzen überschritten, aus wichtigen wie aus nichtigen Gründen, aus schändlichen wie aus unverfänglichen Motiven. Für diesen Präsidenten kam es immer nur darauf an zu gewinnen.

Trumps Ego hinderte ihn daran, vernünftige Entscheidungen zu treffen, die auf umfassenden Informationen beruhten. Er trat die Präsidentschaft in der unumstößlichen Gewissheit an, dass sein Wissen allumfassend und seine Faktenkenntnisse überragend seien. Deshalb wischte er die Expertise von ausgewiesenen Fachleuten, auf die sich frühere Präsidenten verlassen hatten, beiseite. Dies steigerte sich zu einer vollständigen Ablehnung des amerikanischen Regierungssystems, die nach der Einschätzung einiger seiner Berater einer tiefen Unsicherheit entsprang. »Anstatt dass sein Stolz darauf gründet, eine gute Entscheidung getroffen zu haben, ist er stolz darauf, dass er von Anfang an die richtige Antwort wusste«, sagte ein hoher Beamter aus Regierungskreisen.

Wenn Trumps eigene Geheimdienst-Analysten dem Präsidenten Fakten vorlegten, sprach dieser zuweilen von Verschwörungen. Allen schlüssigen Beweisen zum Trotz weigerte er sich, vorbehaltlos anzuerkennen, dass Russland versucht hatte, ihn bei der Wahl 2016 zu unterstützen. Er versuchte, die Ermittlungen des Justizministeriums zur Einmischung Russlands in den Wahlkampf zu vereiteln – und nach Robert Muellers Ernennung zum Sonderermittler versuchte er sogar, ihn zu entlassen. Trump entging dennoch einer strafrechtlichen Verfolgung, obwohl Dutzende von Bundesstaatsanwälten der Ansicht waren, dass er angeklagt worden wäre, wäre er irgendein beliebiger Bürger des Landes gewesen – und nicht der amtierende Präsident.

Dies sind Schlussfolgerungen aus einer fast dreijährigen Berichterstattung über Trumps Amtszeit als Präsident. Sie spiegeln die Erfahrungen und Einschätzungen einiger der höchstrangigen leitenden Beamten, die in seinem Regierungsapparat gedient und dessen Dysfunktion miterlebt haben. Jetzt fürchten sie den Schaden, der durch ihn dem Land zugefügt wird, dem sie gedient haben. Sie haben uns erstmals Insider-Einblicke zu einigen der umstrittensten und prägendsten Momenten von Trumps Präsidentschaft verschafft.

In gewisser Hinsicht war kein amerikanischer Präsident vor ihm so zugänglich und transparent wie Trump. Über Twitter telegraphierte er seine Stimmungen und teilte seinen Dissens in täglichen, mitunter sogar stündlichen Posts mit. Täglich kam es zu Enthüllungen über das Geschehen hinter den Kulissen, über Tumulte und Gesetzeswidrigkeiten. Whistleblower meldeten sich aus dunklen Ecken der Regierungsbürokratie, um Licht in Korruption und Amtsmissbrauch zu bringen. Der Geisteszustand des Präsidenten war für alle Welt offensichtlich. Und doch gibt es eine umfassendere, möglicherweise schockierendere und über die tägliche Nachrichtenlage hinausweisende Bedeutung der Ereignisse in Trumps erster Amtszeit, die bislang noch nicht dargelegt worden ist.

»Ich habe dem Mann zwei Jahre lang gedient. Meiner Ansicht nach ist er eine langfristige und unmittelbare Gefahr für das Land«, sagte uns ein hochrangiger Beamter aus dem nationalen Sicherheitsapparat. Ein weiterer leitender Beamter sagte: »Der Kerl ist vollkommen verrückt. Trumps Geschichte: ein Präsident mit scheußlichen Instinkten und ein Kabinett, das Whac-A-Mole (Schlag-den-Maulwurf) spielt.«

Die meisten Beamten, die mit uns sprachen, verlangten wie gesagt, dass ihre Anonymität gewahrt wird, um der Vergeltung Trumps und seines Teams zu entgehen oder weil es für sie eine Ehrensache war, einen amtierenden Präsidenten nicht öffentlich zu kritisieren. Regierungsbeamte entscheiden sich manchmal für die Zusammenarbeit mit Buchautoren, um Rechnungen zu begleichen oder ein politisches Ergebnis zu erzielen, und einige unserer Informanten gehören mit Sicherheit zu dieser Kategorie. Wir stellten jedoch fest, dass viele von ihnen die Wahrheit sagen wollten, um der historischen Wahrheit zu dienen. Manche wollten ganz exakt über Ereignisse berichten, die vom Präsidenten und seinen Beratern verzerrt dargestellt oder leichtfertig weggelassen worden waren, oder die – wie in einigen Fällen – bis heute vollständig geheim gehalten wurden.

Trumps Verteidiger sagten, diejenigen, die sich vor seiner Präsidentschaft fürchteten, würden rein gar nichts verstehen. Was andere als Rücksichtslosigkeit empfanden, war für sie der Mut, Entscheidungen zu treffen. Sie wiesen darauf hin, dass die Kritiker des Präsidenten allabendlich im Fernsehen das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen, beklagt hätten, und dennoch gehe am nächsten Morgen wieder die Sonne auf.

In unserem Buch gibt es keine makellosen Helden. Robert Mueller, möglicherweise Trumps größter Gegenspieler, war ein untadeliges Vorbild an Integrität seit seiner Zeit als Zugführer in Vietnam bis zu seiner Amtszeit als FBI-Direktor. Doch aus dem zweijährigen Schattenboxen mit Trump trug er Kratzer davon. Nach Einschätzung zahlreicher Staatsanwaltskollegen wurde er überlistet.

Unterdessen mussten sich führende Politiker in aller Welt immer wieder aufs Neue geeignete Reaktionen auf Trumps Launen einfallen lassen. Verbündete hatten wenig Vertrauen in das, was US-Diplomaten ihnen sagten, weil diese Erklärungen jederzeit durch einen Tweet des Präsidenten korrigiert werden konnten. Ausländische Präsidenten und Premierminister lebten in Furcht und Schrecken vor dem, was Trump urplötzlich im Namen von »America First« vortragen könnte.

»Dieser Kerl ist der mächtigste Mann der Welt«, sagte Gérard Araud, Frankreichs Botschafter in den Vereinigten Staaten während der ersten beiden Jahre von Trumps Präsidentschaft. »Alles, was er tut und entscheidet, kann sehr, sehr ernste Konsequenzen für uns haben, also befinden wir uns alle im Modus der Schadensbegrenzung.« Trumps Berater gaben vor dessen erstem Gipfeltreffen mit ausländischen Amtskollegen, dem G-7-Gipfel in Taormina auf Sizilien, der im Mai 2017 stattfand, den beteiligten anderen Regierungen Hinweise zur Schadensbegrenzung: Gehen Sie mit Trump nicht gönnerhaft um und streuen Sie kleine, an ihn gerichtete Komplimente ein. »Das waren ausnahmslos Ratschläge für den Umgang mit einem schwierigen Teenager – einem sehr empfindlichen, leicht reizbaren Teenager«, erinnerte sich Araud. »Also hat man sechs Erwachsene, die bemüht sind, ihn nicht aufzuregen, und die es mit jemandem zu tun haben, der keine Zurückhaltung und keine Grenzen kennt. Den Erwachsenen im Raum zu geben bedeutet, den Wutanfall des Kindes zu ertragen und nicht ernst zu nehmen.«

Der Titel dieses Buches geht auf Trumps eigene Worte zurück. Im Januar 2018 stand Trump kurz vor dem Ende seines ersten Amtsjahrs, und es entwickelte sich eine landesweit geführte Diskussion über die Eignung des Präsidenten für sein Amt – und ganz besonders über seinen Geisteszustand und seine psychische Gesundheit. Am 6. Januar twitterte Trump kurz vor Sonnenaufgang, die Medien würden »die alte Ronald-Reagan-Litanei hervorholen und lautstark von geistiger Stabilität und Intelligenz reden«.

»Die beiden größten Aktivposten in meinem ganzen Leben waren geistige Stabilität und wirklich schlau sein«, fuhr er fort. »Die betrügerische Hillary Clinton setzte auch sehr stark auf diese Karten und ging, wie jedermann weiß, damit unter. Ich wurde vom SEHR erfolgreichen Geschäftsmann zum Top-Fernsehstar und dann zum Präsidenten der Vereinigten Staaten (beim ersten Versuch). Ich meine, damit kann man nicht nur als schlau, sondern als Genie gelten … und als sehr stabiles Genie obendrein!«

Trump bemühte den Ausdruck »stabiles Genie« mindestens vier weitere Male. Bei einem NATO-Gipfel im Juli 2018 bezeichnete er sich selbst als »sehr stabiles Genie«, als er versuchte, die Frage eines Reporters abzutun, der wissen wollte, ob er seine Unterstützung für die NATO nach der Abreise vom Brüsseler Gipfeltreffen widerrufen werde. Bei einem morgendlichen Twitter-Gewitter im Juli 2019, das in einem Rundumschlag alle möglichen Themen ansprach, von den Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten bis zum Pledge of Allegiance, schrieb Trump über sich selbst: »Was ihr jetzt habt, so großartig aussehend und schlau, ist ein wahres stabiles Genie!« An einem Samstagmorgen im September 2019 zitierte sich Trump auf Twitter selbst: »Ein sehr stabiles Genie! Danke.« Und im Oktober 2019 verteidigte Trump sein Verhalten in einem Telefongespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen mit der Bemerkung: »Es gibt Leute, die meinen, ich sei ein sehr stabiles Genie, okay? Ich achte sehr genau auf meine Worte.«

Kritiker zogen daraus die spöttische Schlussfolgerung, dass jeder Mann, der sich genötigt fühlt, vor der ganzen Welt kundzutun, dass er ein stabiles Genie sei, weder stabil noch ein Genie ist; Trump-Vertraute boten jedoch eine andere Deutung an. »Er hat wirklich die Eigenschaften eines Genies«, sagte Thomas Barrack, ein langjähriger Freund und Geschäftspartner Trumps, der auch dessen Amtseinführung als Präsident leitete. »Wie all diese klugen Menschen hat er Ecken und Kanten, die sich die Leute manchmal wegwünschen. Er mag nicht über die eingeübte, inszenierte Eleganz eines Obama oder die botschafterliche Zurückhaltung eines Kennedy oder das milde, royale Auftreten eines Reagan verfügen, aber er hat eine gewisse Brillanz und besitzt ein Charisma, das einzigartig, außergewöhnlich und faszinierend ist, auch wenn es zuweilen missverstanden wird. Im Vier-Augen-Gespräch und ebenso, wenn er vor Publikum spricht, hat man das Gefühl, dass man der einzige Stern in seiner Galaxis ist. … Er ist ein genialer Krieger.«

Viele genaue Beobachter Trumps bewerteten seine sogenannte Genialität als äußerst destabilisierend. Eine dieser Persönlichkeiten war Peter Wehner, der in den Regierungen von Ronald Reagan, George H.W. Bush und George W. Bush diente. Wehner, einer der ersten offenen Kritiker Trumps, war zugleich einer der ersten Republikaner, der öffentlich warnte, dass dieser Mann von seiner psychischen Struktur her für das Amt des Präsidenten ungeeignet sei. Im Frühjahr 2019 zeigte sich Wehner zutiefst beunruhigt über das, was er bisher zu sehen bekommen hatte.

»Er ist eine Persönlichkeit, die keine Regeln kennt, also gefällt es ihm, anzugreifen und zu zerstören und Menschen aus der Fassung zu bringen«, sagte Wehner. »Wenn er eine Institution sieht, die ihm nach seiner eigenen Einschätzung nicht zu Willen ist, ihn nicht so schützt, wie er das will, oder gar eine Bedrohung für ihn ist, dann greift er an. Bei den Geheimdiensten war das so, weil sie ihm nicht das sagten, was er hören wollte. Beim Justizministerium, weil es nicht so handelte, wie er wollte. Bei der NATO, weil sie seiner Meinung nach nicht genug Geld ausgibt. … Die Presse ist ›der Feind des Volkes‹. Also hat er keinerlei Achtung vor Institutionen, vor der Rolle, die sie spielen, und den Gründen, aus denen sie wichtig sind, und es bereitet ihm Freude, sie niederzumachen.«

Wehner verwies auf den britischen Philosophen und Staatsmann Edmund Burke, der in seiner 1790 veröffentlichten Streitschrift Betrachtungen über die Französische Revolution schrieb, dass die »roheste Hand« eines beliebigen Mobs eine Institution vernichten könne, dass aber der Wiederaufbau aus Trümmern sehr viel schwieriger werde. »Wut und Verblendung können in einer Stunde mehr niederreißen, als Klugheit, Überlegung und weise Vorsicht in hundert Jahren aufzubauen imstande sind.«[1]

Hier folgt nun eine chronologische Darstellung von Trumps prahlerischem Streben nach Macht in seiner ersten Amtszeit. Es ist ein Bericht, der Sinn in das Geschehen zu bringen versucht, indem er die Muster aufspürt, die dem vermeintlichen Chaos zugrundeliegen. Er schildert Wutanfälle und Raserei, aber auch Augenblicke, die von Mut und Standhaftigkeit geprägt sind. Die Erzählung soll den gänzlich ungeschminkten Trump zeigen und enthüllen, in welchem Maße die Entscheidungsfindung in seiner Regierung von der egozentrischen und gedankenlosen Logik eines einzigen Mannes bestimmt wird – die dennoch eine Logik ist. Dies ist die Geschichte, wie Trump und seine Berater ums politische Überleben kämpften und dabei die Stärke der amerikanischen Demokratie und das allen gemeinsame Herz der Nation auf die Probe stellten.

Teil I

Kapitel 1Bausteine

Am 9. November 2016 begann der gewählte Präsident Donald Trump mit der Vergabe von Posten in seiner Regierung. Er war unvorbereitet, weil er niemals mit einem Wahlsieg gerechnet hatte. Trump war Loyalität wichtiger als alles andere, und deshalb wussten er und seine Familie instinktiv, wer als Erster zu adeln war: Michael Flynn.

Flynn war ein pensionierter Generalleutnant und einst ein angesehener Geheimdienst-Offizier gewesen. Doch seine einstigen Kollegen mieden ihn mittlerweile aus einer Reihe von Gründen. Dazu gehörten eine islamophobe Rhetorik, enge Kontakte nach Russland und zu anderen feindlichen Nationen, der Umstand, dass er sich auf ungesicherte Fakten stützte, sowie zweifelhafte Behauptungen. Nichts von alledem interessierte Trump.

Während des Wahlkampfs war Flynn einer der wenigen Männer gewesen, die Trump offen unterstützt hatten. Seine Loyalität war so groß gewesen, dass er beim Nationalkonvent der Republikaner sogar einen gegen Hillary Clinton gerichteten »Lock her up«-Sprechchor angeführt hatte, zum großen Ärger seiner ehemaligen Kollegen beim Militär und Geheimdienst. Sie glaubten, dass er seinen Status als mit Orden geschmückter ehemaliger Offizier der Streitkräfte nutzte, um die gefährlicheren Elemente der Gesellschaft anzuheizen. Aber er sicherte sich mit diesem Verhalten Trumps Gunst. Flynn machte sich für Trump unentbehrlich, er flüsterte ihm ein, dass er den meisten Geheimdienst-Beamten nicht trauen könne, dafür aber ihm, Flynn. Er war geschickt genug, um sich auch bei Trumps Familie einzuschmeicheln, so bei Jared Kushner, dem ehrgeizigen Schwiegersohn des Kandidaten. Der verfügte zwar über keinerlei politische oder außenpolitische Erfahrung, gab sich selbst aber als Trumps politischer Stratege und Unterhändler bei ausländischen Regierungen aus.

Am Tag nach der Wahl erhielt der schmeichlerische Consigliere bei einer Besprechung des Übergangsteams im 26. Stock des Trump Towers in New York seine Belohnung. Ivanka Trump, die ältere der beiden Töchter des gewählten Präsidenten, und ihr Ehemann Kushner, die gemeinsam an der Vergabe einiger der hochrangigen Posten in der neuen Regierung beteiligt waren, machten Flynn deutlich, dass er sich seine Aufgabe frei aussuchen könne.

»Oh, General Flynn, Sie haben so loyal zu meinem Vater gehalten«, sagte Ivanka mit ihrer markant rauchigen Stimme und fügte noch ein paar Worte hinzu, die man als die Frage interpretieren konnte: »Was wollen Sie denn tun?«.

Don McGahn runzelte die Stirn und war einigermaßen überrascht. Er war der Rechtsanwalt des Trump-Wahlkampfteams gewesen und jetzt als Rechtsberater des Weißen Hauses designiert. Persönlich hatte er nichts gegen Flynn einzuwenden. Er kannte ihn kaum. Andere Sitzungsteilnehmer bemerkten McGahns Missfallen, der zu fragen schien: »Wollen wir es wirklich auf diese Art angehen?«

Einige Anwesende konnten kaum glauben, dass bestimmte Personen so wahllos und verantwortungslos in Schlüsselpositionen befördert wurden. Für Steve Bannon, den Chef des Wahlkampfteams, der ebenfalls in die Regierungsmannschaft eintrat, war Ivanka die Prinzessin mit dem Schwert, die Flynn zum Ritter schlug. McGahn und Bannon, sonst alles andere als Verbündete, teilten die Einschätzung, dass dies ein Rezept für Fehltritte und – sehr wahrscheinlich – Katastrophen war.

Die planlose und dysfunktionale Übergangsphase war ein Vorzeichen für die spätere Regierungsarbeit. Trump legte besonderen Wert auf die Marke und das Image, und das ging auf Kosten grundlegender Kompetenzen. Er selbst hatte wie zahlreiche seiner Berater keinerlei Erfahrung mit dem Staatsdienst und kümmerte sich deshalb auch wenig um dessen Werte und Normen. Die gesamte Operation hielt sich weniger an ein ideologisches Programm, sondern folgte Trumps Instinkten und Launen.

Flynns Traum war das Amt des Nationalen Sicherheitsberaters. Kushner seinerseits sah sich in der Rolle eines Schattenaußenministers, der sich mit führenden ausländischen Politikern austauschte, als Vermittler eines Friedens im Nahen Osten und als maßgebliche Person für die Beziehungen zu so wichtigen Ländern wie China und Mexiko fungierte. Er rechnete sich aus, dass die Ernennung Flynns zum Nationalen Sicherheitsberater ihm selbst genau den Spielraum verschaffen würde, den er sich wünschte. Also wurde Flynns Wunsch erfüllt. Bis zur offiziellen Bekanntgabe seiner Ernennung sollten noch acht Tage vergehen, aber der Vorgang wurde bereits am 9. November auf den Weg gebracht.

Niemand kümmerte sich um Flynns Sicherheitsüberprüfung. Es gab keine Überprüfung seiner Amtszeit als Chef des US-Militärgeheimdienstes in Afghanistan, obwohl diese Gegenstand von Ermittlungen wegen dienstlichen Fehlverhaltens gewesen war. Dasselbe galt für seine Zeit als Direktor der Defense Intelligence Agency, die Präsident Obama vorzeitig beendet hatte. Und für seine international tätige Beratungsfirma sowie seine Verträge mit kremlnahen Unternehmen. Und für seine Teilnahme an einer Galaveranstaltung in Moskau 2015, bei der er als Staatsgast Russlands an Wladimir Putins Tisch platziert wurde.[2]

Flynn hatte Trumps Wahlkampf als Karrierehilfe benutzt und hoffte darauf, nach 33 Jahren mit einem relativ niedrigen Militärsold seinen Lebensstandard nun verbessern zu können. Während er den Präsidentschaftskandidaten Trump beriet, arbeitete Flynn zugleich für die türkische Regierung, wobei er nach Erkenntnissen von Ermittlern der Bundesregierung den Charakter dieses Arrangements verschleierte. Am Wahltag veröffentlichte Flynn in The Hill einen Meinungsartikel, in dem er als Anwalt für die Sache des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auftrat. Er verglich dabei dessen im amerikanischen Exil lebenden politischen Gegner Fethullah Gülen mit Osama bin Laden. Flynn forderte die Vereinigten Staaten zur Ausweisung Gülens auf und verblüffte damit seine ehemaligen Kollegen in den Geheimdiensten und nationalen Sicherheitsbehörden.[3]

Chris Christie, der Gouverneur von New Jersey, der den Kandidaten Trump unterstützt hatte und jetzt Vorsitzender des Übergangsteams des designierten Präsidenten war, reagierte fassungslos auf dessen Mitteilung, er werde Flynn zum Nationalen Sicherheitsberater ernennen.

»Das können Sie nicht machen«, sagte Christie. »Sie müssen zunächst einen Stabschef ernennen und dann Ihren Stabschef über diese Personalie unterrichten, weil der Sicherheitsberater an den Stabschef berichten wird. Und Flynn ist einfach die falsche Wahl. Er ist eine schreckliche Wahl.«

»Sie können ihn nur nicht leiden«, erwiderte Trump.

»Sie haben recht«, sagte Christie. »Ich kann ihn nicht leiden. Wollen Sie wissen, warum?«

»Ja«, sagte Trump.

»Weil er Sie in Schwierigkeiten bringen wird. Das können Sie mir glauben.«

Trump wollte nichts mehr über Flynn hören. Er sagte Christie, er solle in den 14. Stock hinuntergehen, wo sich das Wahlkampf-Hauptquartier über Nacht in die Zentrale des Übergangsteams verwandelt hatte. Christie musste jetzt eine Regierungsmannschaft zusammenstellen.

Trump entließ Christie noch in derselben Woche. Formell wurde er von Bannon gefeuert, der Christie sagte, er handle auf Anweisung von Kushner, aber Trump hatte die Kündigung genehmigt. Als Leiter des Übergangsteams wurde Christie vom designierten Vizepräsidenten Mike Pence ersetzt. Elf Jahre zuvor hatte Christie, damals Staatsanwalt von New Jersey, Kushners Vater Charlie, den Chef des Immobilienunternehmens der Familie, wegen Steuerhinterziehung, Zeugenbeeinflussung und illegalen Wahlkampfspenden ins Gefängnis gebracht. Das Verfahren geriet zur Demütigung für die Familie Kushner und hinterließ beim jungen Jared einen bleibenden Eindruck.

Am 10. November befand sich Trump im 370 Kilometer von New York entfernten Washington und stattete Obama im Weißen Haus einen Besuch ab. Obama war über Trumps Wahlsieg beunruhigt, empfing seinen Nachfolger aber, der amerikanischen Tradition eines friedlichen Machtwechsels folgend, weniger als 48 Stunden nach der Wahl im Oval Office und bot ihm bei dieser Gelegenheit seinen Rat an. Der 44. Präsident gab dem 45. zwei Dinge mit auf den Weg: erstens, Nordkorea sei das größte außenpolitische Problem, und zweitens, er solle Flynn kein Regierungsamt übertragen.

Obama warnte Trump persönlich vor einer Ernennung Flynns, weil er an dessen Urteilskraft zweifelte und seinen Motiven misstraute. Obama hatte Flynn 2014 als Direktor der Defense Intelligence Agency entlassen, weil es aus den Reihen des militärischen Nachrichtendienstes Beschwerden über mangelnde Organisationsfähigkeit und Stimmungsschwankungen des Chefs gegeben hatte. Trump erzählte später vor Beratern, Obama habe Flynn als »Spinner« und »üblen Burschen« bezeichnet, eine Kritik, die er zurückgewiesen habe.

 

Der designierte Präsident ging die zehnwöchige Übergangsphase wie ein Casting für eine neue Staffel von The Apprentice an, der Reality-TV-Show, mit der er im ganzen Land bekannt geworden war. Tag für Tag spazierten durch die goldgerahmte Drehtür des Trump Towers an der Fifth Avenue Politiker, führende Vertreter der Wirtschaft und Prominente, die auf dem Weg zu ihrem Besuchstermin durch die Lobby paradierten. Sie kamen, um sich selbst für ein Regierungsamt zu empfehlen, um die Gunst des designierten Präsidenten zu gewinnen oder um einfach am aktuellen Geschehen teilzuhaben. »Es war wie ein Besuch in der Bar von Jabba dem Hutten in Star Wars«, sagte ein Trump-Berater verächtlich. »Man wusste nie, wer als Nächster hereingekrochen kam.« Dem designierten Präsidenten gefiel es, die Ratings vorzunehmen, und rasch befasste er sich mit der Frage, wie die Präsidentschaft seiner eigenen Marke und seinen Unternehmen nützlich sein konnte. Bewerbungsgespräche für Regierungsämter und Sitzungen des Übergangsteams hielt er nicht im Bürogebäude der Bundesregierung in Washington ab, das für solche Zwecke vorgesehen war, sondern im Trump Tower, im Trump National Golf Club in Bedminster, New Jersey, und in Mar-a-Lago in Palm Beach, Florida.

Im chaotischen, unstrukturierten Übergang rangelte ein Trio von mächtigen Akteuren aus der Wahlkampfmannschaft um Einfluss: Kushner, Bannon und Reince Priebus. Kushner hatte als Trumps Schwiegersohn von vornherein einen hohen Status, und Priebus und Bannon wurden sehr früh zum Stabschef und zum Chefstrategen des Weißen Hauses ernannt – ein einzigartiges Arrangement, bei dem sie eine gleichberechtigte Stellung an der Spitze des Organigramms einnahmen.

Trumps Entscheidung für Priebus, der zuvor Vorsitzender des Republican National Committee (RNC) gewesen war, war auch ein Dankeschön an die Adresse der Fußsoldaten der Partei, die den Aufbau des RNC in den Einzelstaaten organisiert hatten, um zu kompensieren, dass es so gut wie keine Basisarbeit des Trump-Wahlkampfteams vor Ort gegeben hatte. Der in Washington gut vernetzte Priebus galt bei führenden Republikanern als fähigster Mann unter Trumps Beratern.

Bannon war dagegen undiplomatisch, schroff und ungepflegt. Seine Loyalität gegenüber Trump hatte er in der härtesten Phase des Wahlkampfs in den Schützengräben bewiesen. Bannon hatte zuvor die konservative Website Breitbart geleitet und sich Trump als wichtige Verbindung zu seiner unentbehrlichen Basis empfohlen, die er liebevoll als »die Bedauernswerten« (»the deplorables«) bezeichnete. Dies war eine Anspielung auf Hillary Clintons berüchtigten Fauxpas, bei dem sie von Trumps »Korb von Bedauernswerten« gesprochen hatte, »Rassisten, Sexisten, Homophobe, Fremdenfeindliche, Islamophobe, all diese Leute«.

Priebus machte sich daran, Schlüsselpositionen im West Wing mit ehemaligen RNC-Mitarbeitern und anderen Personen seines Vertrauens zu besetzen, während er selbst, Bannon und Pence sich auf Posten im Kabinett konzentrierten. Besondere Aufmerksamkeit widmeten sie schon früh den Posten im Bereich der nationalen Sicherheit, und sie hatten Mike Pompeo als künftigen CIA-Direktor ins Auge gefasst. Pompeo war 2010 auf der Tea-Party-Welle als republikanischer Abgeordneter aus Kansas in den Kongress gewählt worden, und schon bald nach seiner Ankunft in Washington profilierte er sich als konservativer Hardliner und scharfzüngiger Parteigänger. Als Mitglied des Geheimdienst-Ausschusses hatte Pompeo Hillary Clinton wegen der Ereignisse im libyschen Bengasi – des Angriffs auf das US-Konsulat im September 2012 – attackiert, womit er zu einem der beliebtesten Politiker bei Breitbart avancierte.

Pompeo war ein Außenseiter in Trumps Welt, obwohl er Priebus, Bannon und Pence bereits seit Jahren kannte. Bei den Vorwahlen der Republikaner hatte er sich als Marco-Rubio-Ersatz massiv gegen Trump gewandt. Bei der Vorwahl in Kansas hatte Pompeo am 5. März 2016 noch gewarnt, Trump wäre »ein autoritärer Präsident, der unsere Verfassung ignoriert«, und seine Mitbürger in Kansas aufgefordert, »dem Zirkus das Licht abzudrehen«.[4]

Aber jetzt wollte sich Pompeo diesem Zirkus unbedingt anschließen. Bannon wusste, dass es schwierig werden würde, einen aus einem kleinen Bundesstaat kommenden Abgeordneten, den er selbst für einen »Krieger unter den Kriegern« hielt, den Eliten gegenüber für den Posten des CIA-Direktors zu präsentieren, zumal angesichts von Pompeos Tiraden in Sachen Bengasi. Aber Pompeo wollte diesen Job haben.

Pompeo reiste am 16. November zu einem Termin mit dem designierten Präsidenten nach New York. Priebus hatte Trump über Pompeos Referenzen unterrichtet, Bannon hatte Pompeo auf das Treffen eingestimmt und dabei sinngemäß erklärt: »Wir gehen jetzt einfach da rein. Ich werde nochmals betonen, dass Sie Jahrgangsbester der Abschlussklasse in West Point waren, Jahrgangsbester an der Harvard Law School, dass Sie der Beste sind, den es im Geheimdienst jemals gab. Ich werde Sie präsentieren – und warten Sie nicht darauf, dass er irgendetwas sagt. Legen Sie einfach los. Warten Sie nicht auf eine Frage, weil keine Frage kommen wird. Er weiß gar nicht, was ein Nachrichtendienst ist. Legen Sie einfach los.«

Es ging alles glatt. Nachdem andere ihn vor dem Boss angepriesen hatten, sprach Pompeo über eine Umstrukturierung der CIA. Er und Trump erörterten Probleme des Atomabkommens mit dem Iran. Als Absolvent von West Point und der Harvard Law School hakte Pompeo das Thema Referenzen mühelos ab. Der ehemalige Army-Captain konnte mit seiner bulligen, massigen Gestalt jeden Raum dominieren und gab das imposante Bild des harten Burschen ab, das Trump gefiel.

Pompeo hatte den Job, noch bevor die Besprechung beendet war. Trump schüttelte ihm die Hand, wandte sich an Bannon und Priebus und sagte: »Ich liebe es. Wir machen das.« Zwei Tage später wurde Pompeo als Trumps Kandidat für das Amt des CIA-Direktors benannt. Pompeo hätte zweifelsohne eines der angeseheneren Mitglieder der Regierungsmannschaft werden können, aber Trump hatte ihm auf der Grundlage eines einzigen Gesprächs den Posten des CIA-Direktors angeboten.

Trump ging die Besetzung von Regierungsämtern wie ein Casting an und orientierte sich am »Look«, es war eine Fixierung, die zu den Schönheitswettbewerben passte, die er einst veranstaltet hatte. Bei der Besetzung von Funktionen im nationalen Sicherheitsapparat neigte er zu Generälen. Für Aufgaben in der Öffentlichkeitsarbeit wollte er attraktive Frauen haben. Als Botschafterin bei den Vereinten Nationen wählte er Nikki Haley, und eines seiner Auswahlkriterien war dabei, dass sie die Tochter indischer Einwanderer war. Für Trump war eine der wichtigsten Eigenschaften bei jeder Art von Stellenbewerbung die Fähigkeit, im Fernsehen eine gute Figur zu machen.

»Vergessen Sie nicht: Er ist ein Showbusiness-Typ«, sagte Christopher Ruddy, der Vorstandschef von Newsmax, ein Trump-Freund. »Er mag Leute, die sich selbst gut darstellen können, und er ist sehr beeindruckt, wenn jemand im Fernsehen gut rübergekommen ist, weil es für ihn ein im politischen Prozess sehr wichtiges Medium ist.« Und Ruddy setzte hinzu: »Das Aussehen mag vielleicht nicht unbedingt so sein, dass man es damit aufs Titelbild von GQ oder Vanity Fair schafft. Es geht eher um das Aussehen und das Auftreten und die Selbstdarstellung.«[5]

Am 6. Dezember benannte Trump offiziell den pensionierten General der Marineinfanterie James Mattis als seinen Kandidaten für das Amt des Verteidigungsministers und hob dabei dessen robustes Auftreten und seine Kampferfahrung hervor. Zu seinen Beratern sagte Trump, besonders angetan sei er von dem Spitznamen, den Mattis im privaten Rahmen gar nicht hören wollte. »Mit Mad Dog ist nicht zu spaßen, stimmt’s?«, sagte Trump vor einer jubelnden Menge, als er bei einer Kundgebung in Fayetteville, North Carolina, Mattis’ Nominierung bekanntgab. Er bat den zögernden Mattis zu sich auf die Bühne und pries ihn als »den General George Patton ähnlichsten Mann, den wir haben«. Damit spielte er auf den legendären Panzergeneral im Zweiten Weltkrieg an, den George C. Scott in dem Biopic Patton (1970) verkörpert hatte, einem von Trumps Lieblingsfilmen.

Während Trump von Mattis’ persönlichem Auftreten und seinem Macho-Spitznamen begeistert war, wirkte dessen Nominierung auf das nationale Sicherheits-Establishment sehr beruhigend. Zumindest im Pentagon würde ein erfahrener und zuverlässiger Fachmann amtieren. Als Mattis selbst später dann Gespräche mit Bewerbern für hochrangige Posten im Pentagon führte, fragte er routinemäßig: »Können Sie die Marke vertreten?« Was er damit meinte, war: Können Sie Trump unterstützen, allen Macken zum Trotz? Er wusste, dass dies eine umstrittene Präsidentschaft werden würde.

Die amtliche Sicherheitsüberprüfung reichte in der Übergangsphase von minimal bis zu komplett entfallen, je nach Kandidat. Am wichtigsten bei der Überprüfung einer bestimmten Person war eine Durchsicht von Zeitungsartikeln und Social-Media-Accounts, um festzustellen, ob er oder sie jemals etwas Negatives über Trump gesagt hatte. Ein hochrangiger Trump-Berater erinnerte sich: »Manche Leute füllten den Papierkram erst im Flugzeug aus, auf dem Weg zur Amtseinführung. … Naja, so könnte es zumindest gewesen sein. Sie verschwendeten keinen Gedanken an eine Amtsübergabe, und das buchstäblich bis zu dem Tag, an dem sie ihr Amt antraten.« – »Im Eishockey«, fügte er hinzu, »kannst du ein Knie einbüßen, wenn du mit einem Haufen unerfahrener Leute zusammenspielst. So hat sich das angefühlt.«

Hinter den Kulissen traf Rick Gates, der im Wahlkampfteam als Stellvertreter des Vorsitzenden Paul Manafort fungiert hatte, die Vorbereitungen für die Amtseinführung. Gates und Manafort hatten viele Jahre lang als Lobbyisten zusammengearbeitet und sich auf die Vertretung ausländischer Regierungen bei zwielichtigen Vorhaben spezialisiert. Als Manafort im August 2016 als Wahlkampfleiter gefeuert wurde, rechnete Trump damit, dass dessen Nr. 2 ebenfalls gehen würde. Trump hegte eine ausgeprägte Abneigung gegen Gates, dem er außerdem misstraute, was zum Teil mit einer äußerst negativen Reaktion Trumps auf eine von Gates in Auftrag gegebene Meinungsumfrage zu erklären ist. Trump missfielen deren Ergebnisse, die ihm einen geringen Beliebtheitsgrad attestierten. Er hatte das Gefühl, Gates hintergehe seinen Wahlkampf, indem er den Meinungsforschern für solchen Schrott auch noch Geld bezahlte. »Gates ist mir nicht ganz geheuer«, sagte Trump zu einigen Mitstreitern.

Aber Gates hatte einen einflussreichen Unterstützer in Thomas Barrack, der das Komitee für die Amtseinführung leitete. Trump hatte keine Ahnung davon, dass Gates den Komitee-Chef Barrack in aller Stille bei der Leitung der Feierlichkeiten zur Amtseinführung unterstützte, bis der designierte Präsident dann eines Abends, inmitten der Übergangsphase, seine Frau Melania über ihn sprechen hörte. Zum selben Zeitpunkt war der sechsundzwanzigjährige Johnny McEntee, Trumps persönlicher Assistent und Body Man (eine Art »Mädchen für alles« für organisatorische Fragen), im Penthouse der Trumps eingetroffen, um seinem Boss dessen Abendessen zu bringen: ein U-Boot-Sandwich. Als Trump den Raum betrat, hörte er mit, wie Melania den Namen Rick erwähnte.

»Rick? Welcher Rick?«, fragte Trump seine Frau.

»Rick Gates«, sagte sie.

Trump verlor die Fassung. Er brüllte los.

»Was zum Teufel treibt ihr da?«, wollte er wissen.

Trump beschloss, Gates augenblicklich zu feuern, wandte sich an McEntee und sagte: »Johnny, setzen Sie sich mit Melania zusammen. Sie sind der geschäftsführende Direktor.«

McEntee war, nach allem, was über ihn berichtet wird, ein ausgezeichneter Body Man. Seit er noch vor den Vorwahlen ins Wahlkampfteam eingestiegen war, hatte er den größten Teil seines Arbeitstages an Trumps Seite zugebracht. Er sah zu seinem Boss auf, war loyal der Familie gegenüber und hielt gegenüber Reportern dicht. McEntee sah blendend aus, hollywood-reif, er bot genau das Erscheinungsbild, das Trump projizieren wollte. Außerdem war er sportlich, er hatte als Quarterback für die University of Connecticut Huskies gespielt. Ein YouTube-Video, in dem er Kunstpässe vorführte, hatte sensationellen Zuspruch gefunden.

McEntee hatte jedoch keinerlei Erfahrung mit der Organisation von Feierlichkeiten zur Amtseinführung eines Präsidenten. In diesem Fall handelte es sich um eine Veranstaltung mit einem Budget von 107 Millionen Dollar, keine bloße Feier von Trumps Wahlsieg, sondern eine an die ganze Nation gerichtete Darstellung der Werte und Ziele, die der neue Präsident mit seiner Regierungsarbeit verfolgen wollte. Barrack überredete den designierten Präsidenten, seine voreilige Entscheidung zurückzunehmen, Gates durch McEntee zu ersetzen, und sich noch für eine gewisse Zeit mit Gates’ Präsenz abzufinden. Und so war McEntee bereits wenige Stunden später wieder der Body Man, der Trump nach Washington begleiten sollte.

 

Der gewählte Präsident verschwendete keinen Gedanken an moralische Fragen der Regierungsführung und Recht und Gesetz. Ivanka und Kushner wollten in Washington unbedingt Spuren hinterlassen und im West Wing dienen. Sie gingen davon aus, dass sie in einer solchen Funktion ihre persönlichen Marken, die sie in New York so sorgfältig kultiviert hatten, aufpolieren würden. Einige Trump-Berater hielten das für ein riskantes Unterfangen, sie waren sicher, dass es Nepotismus-Vorwürfe provozieren und ein untragbares Arbeitsumfeld schaffen würde. Doch so kurz vor der Amtseinführung wollte niemand zu den »Kindern« – einige Mitarbeiter im West Wing bezeichneten Ivanka und Kushner genau so: »the kids« – nein sagen.

»Es gibt ein paar Dinge im Leben, wenn man da schießt, sollte man besser tödlich treffen. Ich wusste, dass es nichts zu gewinnen gab, falls man zu verhindern versuchte, dass die Kids in den West Wing gelangten«, erinnerte sich jemand aus dem Mitarbeiterkreis. »Ihr Einstieg war fest vorgesehen, und niemand konnte irgendetwas dagegen tun. Und ich denke, dass alle Beteiligten das verstanden hatten.«

Rechtsanwälte des Weißen Hauses zeigten sich besorgt, dass Ivankas Geschäftsinteressen einen enormen moralischen Sumpf hervorrufen könnten. Neben ihrem Modeunternehmen war sie auch an der Führung des Trump International Hotels in Washington beteiligt, woraus sich leicht ein direkter Konflikt mit ihrer Rolle im Weißen Haus ergeben konnte.

Der Präsident hatte weitreichende Befugnisse, seinen Verwandten Ämter im Weißen Haus zu übertragen. Nach einer Entscheidung des Office of the Legal Counsel im Justizministerium untersagten die Gesetze gegen Nepotismus dem Präsidenten lediglich, Familienmitglieder mit Tätigkeiten in Regierungsbehörden zu betrauen. (Umstritten ist allerdings, ob das Weiße Haus und das Executive Office des Präsidenten als Regierungsbehörden gelten oder nicht.) Ivanka schwebte für sich selbst eine Aufgabe vor, mit der sie die Rechtsnormen umgehen könnte. Sie wollte individuell eingestuft und nicht mit den umständlichen Vorschriften für Regierungstätigkeiten behelligt werden, und sie meinte, dass sie dies durch eine Bestellung zur inoffiziellen »freiwilligen« Beraterin erreichen könne.

Sogar Trump selbst hegte gemischte Gefühle bei der Frage, ob es eine gute Idee war, wenn ihm Tochter und Schwiegersohn in die Stadt folgten, die er selbst als »Sumpf« verhöhnte. »Warum sollte man sich das antun, nach Washington kommen und sich dort von all diesen Medien-Killern abschießen lassen?«, sinnierte Trump im Gespräch mit einigen seiner Berater. Aber auch Trump konnte den Kids nichts abschlagen. Er wollte seine Familie um sich haben.

Als der Tag der Amtseinführung nahte, vertraute Trump keineswegs allen von ihm engagierten Beratern uneingeschränkt. Er war sich nicht sicher, ob sie ihre Arbeit als Trump-Verehrer antraten oder ob er diesen Leuten nicht einfach nur als Türöffner für einen Job im Weißen Haus diente, die begehrteste Zeile im Lebenslauf eines jeden politischen Akteurs. Sein Misstrauen brach sich regelmäßig Bahn, auch an einem Abend kurz vor Weihnachten in Mar-a-Lago, Trumps privatem Klub in Palm Beach. Am 19. Dezember, dem Tag, an dem das Wahlmännergremium seine Stimmen abgab und damit Trumps Sieg offiziell bestätigte, feierte der designierte Präsident beim Abendessen mit sieben seiner wichtigsten Berater: Priebus, Bannon, dem stellvertretenden Wahlkampfmanager David Bossie, mit Kommunikationsdirektorin Hope Hicks, dem politischen Chefberater Stephen Miller, dem Social-Media-Direktor Dan Scavino und Priebus’ Stellvertreterin Katie Walsh. Als sich das Gespräch der Tischrunde den anstehenden Personalfragen zuwandte, prägte Trump seinem Team noch einmal die Bedeutung ein, die er dem Thema Loyalität beimaß. Als die Runde eine Reihe von Kandidaten für verschiedene Tätigkeiten durchging, fragte der designierte Präsident wiederholt: »Ist er loyal?«, »Ist sie loyal?«

 

Trump verbrachte die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr in der Gesellschaft eines personell reduzierten Beraterstabs in Mar-a-Lago. Als sich der designierte Präsident am Morgen des 29. Dezember auf einem seiner verschiedenen Plätze dort die Zeit mit Golfen vertrieb, brachte CNN einen aktuellen Bericht: »Weißes Haus kündigt Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland an.« Die Obama-Regierung hatte beschlossen, Russland wegen seiner Einmischung in die Präsidentschaftswahl 2016 zu bestrafen, indem man zwei russische Anwesen in den Vereinigten Staaten schloss und 35 Diplomaten auswies, die der Spionage verdächtigt wurden.

Als Trump von diesen Maßnahmen erfuhr, geriet er in Rage. Wenn Hillary Clintons Berater und Verbündete Russland der Einmischung in die Wahl bezichtigten, war das etwas anderes; dann konnte er den Demokraten einfach vorhalten, dass die Trauben für sie zu hoch hingen. Aber von der US-Regierung verhängte Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland bestätigten letztlich, dass Russland sich tatsächlich in die Wahl eingemischt hatte – und das weckte nach Trumps Einschätzung Zweifel an seinem Wahlsieg.

»Jetzt versuchen sie, die Rechtmäßigkeit Ihrer Präsidentschaft anzuzweifeln«, sagte Bannon zum künftigen Präsidenten.

Es ärgerte Trump, dass die Obama-Regierung sein zur Amtsübernahme bereitstehendes Team mit einem aggressiven Schlag gegen Russland – einem bedeutenden außenpolitischen Vorstoß – in Verlegenheit brachte, ohne ihn vorher auch nur zu konsultieren.

Obama hatte die Anordnung von Sanktionen am Vortag in Washington in der Absicht unterschrieben, den Vorgang am Tag darauf bekanntzugeben. Einige Medien berichteten jedoch bereits am Abend des 28. Dezember, dass schon bald mit Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland gerechnet werde. Am selben Abend erhielt der russische Botschafter Sergei Kisljak vom US-Außenministerium eine Vorwarnung zu den Sanktionen. In seiner Verwirrung und Aufregung suchte der Diplomat den Kontakt zu Trumps Team. Kisljak schickte Flynn am 28. Dezember eine Textnachricht: »Könnten Sie mich freundlicherweise zurückrufen, sobald es Ihnen passt?«

Flynn verbrachte die Tage zwischen den Jahren mit seiner Frau in einem Ferienort in der Dominikanischen Republik. Der Telefonempfang war dort lückenhaft, so dass er die Nachricht des Botschafters erst am darauffolgenden Tag zu sehen bekam, etwa zu dem Zeitpunkt, als die Obama-Regierung die Sanktionen ankündigte. Vor einem Rückruf bei Kisljak wollte sich Flynn mit dem Übergangsteam in Mar-a-Lago abstimmen. Etwa 20 Minuten lang sprach er mit seinem Stellvertreter K.T. McFarland, der sich mit dem designierten Präsidenten in Trumps Club in Palm Beach aufhielt. Flynn und McFarland gingen die Strafmaßnahmen der Regierung Obama durch und stimmten darin überein, dass sie Trumps Ziel, bessere Beziehungen zu Putin zu entwickeln, gefährden könnten. McFarland ließ Flynn wissen, worin sich das Team in Mar-a-Lago einig war: Sie hofften darauf, dass Russland mit seiner Reaktion auf Obamas Vorstoß die Aggression nicht weiter steigern würde.

Unmittelbar nach dem Telefonat mit McFarland wählte Flynn Kisljaks Nummer und bat darum, dass der Kreml nicht in ein »Wie du mir, so ich dir«-Handeln verfallen möge. Flynn versicherte dem Botschafter, dass die vor der Amtsübernahme stehende neue Regierung die Sanktionen vermutlich überprüfen und eventuell widerrufen werde. Er deutete die Möglichkeit an, dass er zu einem späteren Zeitpunkt, sobald sie alle im Weißen Haus seien, ein Treffen mit Trump arrangieren könne.

Flynn unterlief durch sein Gespräch mit Kisljak über die Politik der Vereinigten Staaten noch vor Trumps Amtsübernahme die Maßnahmen der noch amtierenden Regierung und verstieß gegen diplomatische Gepflogenheiten. Seine Gespräche wurden vom riesigen Abhörapparat der National Security Agency (NSA), der prominente Regierungsbeamte routinemäßig überwacht und das FBI beim Ausspähen mutmaßlicher Spione im Dienst feindlicher ausländischer Mächte unterstützt, umgehend mitgeschnitten und abgespeichert.

Putins Reaktion am darauffolgenden Tag, dem 30. Dezember, fiel unerwartet gelassen aus, dem großen Drama um die Evakuierung der russischen Anwesen zum Trotz. »Wir werden amerikanischen Diplomaten keinerlei Probleme bereiten«, sagte Putin. »Es ist bedauerlich, dass die Regierung Obama ihre Amtszeit auf diese Art beendet. Dennoch entbiete ich Präsident Obama und seiner Familie meine Neujahrsgrüße. Ich grüße außerdem den designierten Präsidenten Donald Trump und das amerikanische Volk.«

Putins Ton überraschte den CIA-Direktor John Brennan ebenso wie James R. Clapper, den Direktor der Nationalen Nachrichtendienste. Zu diesem Zeitpunkt wusste keiner der beiden von Flynns insgeheimen Zusicherungen und Kisljaks Anfrage. Einige US-Beamte fragten sich, ob Putin nicht einfach nur mit den Amerikanern spielte. Doch der russische Staatschef hielt sich zurück. Am selben Nachmittag verblüffte Trump das vor den letzten Tagen im Amt stehende Obama-Team mit dem Tweet: »Super-Schachzug, erst mal abzuwarten (von W. Putin). Ich wusste immer, dass er ein kluger Mann ist!«[6]

Am 6. Januar reisten Brennan, Clapper, FBI-Direktor James Comey und Michael Rogers, der NSA-Direktor, nach New York. Dort wollten sie Trump, Pence und ihre wichtigsten Berater über die umfangreiche russische Kampagne informieren, mit der die Präsidentschaftswahlen zugunsten Trumps beeinflusst, gesellschaftliche Zwietracht durch Cyberangriffe gesät und soziale Medien infiltriert werden sollten. Bei diesem berüchtigten Briefing im Trump Tower wies der designierte Präsident alle Aussagen zurück, die nicht seine Sicht der Dinge bestätigten. Es war nicht das Verhalten, das von einem künftigen Oberbefehlshaber der Streitkräfte erwartet wurde.

Als die neunzigminütige Besprechung beendet war, blieben Comey und Trump für ein Vier-Augen-Gespräch im Raum zurück. Der FBI-Direktor erwähnte ein schlüpfriges Dossier, eine bereits in viele verschiedene Hände gelangte Sammlung von Geheimdienst-Berichten des ehemaligen britischen Spions Christopher Steele. Comey hielt fest, darin werde behauptet, die Russen hätten Trump 2013 in Moskau beim Umgang mit Prostituierten gefilmt. Trump wies die Behauptungen umgehend zurück, schnaubte »Es gab keine Prostituierten« und behauptete, er sei kein Mann, der es nötig habe, »dahin zu gehen«. Trump hatte Comey dafür gelobt, dass er die Ermittlungen gegen Hillary Clinton in der E-Mail-Affäre während der Endphase des Wahlkampfs von 2016 wieder aufgenommen hatte. Jetzt fragte er sich allerdings, welchem Team Comey tatsächlich angehörte. Trumps gegen die Geheimdienste gerichtetes Misstrauen nahm weiter zu, als die Dienste nur kurze Zeit nach der Besprechung im Trump Tower ihren detaillierten Bericht zur russischen Einmischung in den US-Wahlkampf veröffentlichten. Das brachte Trump in Rage. Er folgerte aus dem Vorgang, dass ihn das im Bereich der nationalen Sicherheit tätige Establishment niemals respektieren würde und fest entschlossen sei, seine Präsidentschaft zu sabotieren.

Amerikanische Geheimdienst-Beamte waren mit drei Kernfragen zu Russlands Rolle bei der Präsidentschaftswahl von 2016 konfrontiert. Erstens: Hatte sich die russische Regierung direkt eingemischt? Die überwältigende Beweislage bestätigte dies. Zweitens: Hatte Russland versucht, Trump zum Sieg zu verhelfen? Ein großer Teil der Beweise legte diesen Schluss nahe. Und schließlich: Hatten Russlands Aktivitäten für eine Änderung des Wahlergebnisses gesorgt? Die Chefs der Nachrichtendienste sagten dazu, die Beweislage reiche für eine definitive Bestätigung nicht aus. Aber Trump war der Ansicht, bereits eine Bestätigung der russischen Einmischung schmälere effektiv seinen Sieg.

In den Tagen, die auf die Besprechung mit den Chefs der Nachrichtendienste am 6. Januar folgten, beschworen Priebus, Kushner und andere Berater Trump, die einstimmige Schlussfolgerung der führenden Geheimdienst-Leute öffentlich anzuerkennen. Sie ergingen sich in spontanen Interventionen im 26. Stock, bei denen sie ihn von dem Gedanken zu überzeugen versuchten, er könne die Gültigkeit der Geheimdienst-Informationen anerkennen, ohne damit seinen Sieg zu entwerten oder auch nur zu schmälern. »Das war Teil eines Normalisierungsprozesses«, erklärte ein Berater. »Alle strengten sich enorm an, ihn dazu zu bringen, ein normaler Präsident zu sein.«

Aber Trump biss sich fest.[7] Jedes Mal, wenn ihn seine Berater dazu drängten, die Geheimdienst-Berichte zu akzeptieren, regte er sich noch mehr auf. Er tobte, die Geheimdienst-Chefs seien hinterlistig und man könne ihnen nicht trauen. »Ich kann niemandem vertrauen«, sagte der designierte Präsident. In diesem Punkt unterstützte ihn Bannon, der über den Russland-Bericht urteilte: »Das ist alles nur Fachchinesisch.« Der designierte Präsident glaubte, das Eingeständnis, dass der Kreml E-Mails der Demokraten gehackt habe, sei eine »Falle«.

Am 11. Januar 2017, nur neun Tage vor der Amtseinführung, gab Trump in der mit rosafarbenem Marmor ausgekleideten Lobby des Trump Towers eine Pressekonferenz. Seine Berater beknieten ihn ein weiteres Mal, die Einschätzung der eigenen Geheimdienste zu akzeptieren, und er gab widerwillig nach. »Was das Hacking anbetrifft, glaube ich, dass das Russland war«, sagte Trump vor der Presse. »Aber ich glaube, dass wir auch von anderen Ländern und anderen Leuten gehackt werden.« Und dennoch beschuldigte Trump ohne jeden Beleg außerdem die Geheimdienste, das Steele-Dossier an Buzz-Feed weitergegeben zu haben, wo das schlüpfrige Material am 10. Januar veröffentlicht worden war. »Nazi-Deutschland hätte so etwas getan und tat es auch«, sagte er. »Ich meine, dass es eine Schande ist, dass falsche und erfundene Informationen über etwas, was nie geschah, an die Öffentlichkeit gelangt sind.«

Kurz nach dem Ende der Pressekonferenz sagte Trump noch zu seinen Beratern, er bereue jetzt, die Untersuchungsergebnisse über das russische Hacking akzeptiert zu haben. »Das kommt nicht von mir«, schimpfte er. »Es war nicht richtig.«

Kapitel 2Paranoia und Pandämonium

Der designierte Präsident Trump wusste vor seiner Amtseinführung noch nicht, dass das FBI insgeheim eine Spionageabwehr-Ermittlung gegen Michael Flynn führte. Sobald er aber eingeweiht war, war damit eine Saat der Paranoia ausgebracht, die aufgehen und im Verlauf seiner Präsidentschaft Wurzeln schlagen würde. Die Ermittler prüften, ob Flynn Landesverrat zum Nachteil der Vereinigten Staaten begangen hatte, indem er als Agent der russischen Regierung fungierte. Geheimdienst-Beamte erfuhren durch ein abgehörtes Telefonat, dass Flynn am 29. Dezember 2016 jenes heimliche Gespräch mit dem russischen Botschafter Sergei Kisljak geführt hatte, in dem er ihn zu den von Obama verhängten Sanktionen beraten hatte. Ein Gespräch, über das er später lügen sollte.

Der stellvertretende FBI-Direktor Andrew McCabe alarmierte wegen dieses Gesprächs am 3. Januar 2017 die Leiterin der Abteilung für Nationale Sicherheit im Justizministerium, Mary McCord. Dabei hob er das Offensichtliche hervor: Flynns Gespräche waren mit Blick auf seine Funktion in dem zur Amtsübergabe bereitstehenden Team des Weißen Hauses besonders beunruhigend. »Trump wird bald Präsident sein, und das ist sein künftiger Nationaler Sicherheitsberater«, sagte McCabe. Jetzt mussten ihre beiden Chefs – James Comey für das FBI und die amtierende Justizministerin Sally Yates – abwägen, wie viel sie dem designierten Präsidenten über Flynns heimliches Engagement berichten konnten. Aber noch während sie dies erörterten, brachen die aktuellen Ereignisse über sie herein.

Die Tatsache, dass Flynn am 29. Dezember heimlich Kisljak angerufen hatte, war am 12. Januar einer Kolumne von David Ignatius in der Washington Post zu entnehmen, auch wenn der Autor nichts über das Thema des Telefonats berichtete. Ein Spitzenbeamter der Regierung beschrieb die verblüffte Reaktion in Kreisen des Justizministeriums mit den Worten: »Alle fragten: ›Was zum Teufel ist da los? Wie ist diese Sache so schnell durchgesickert?‹«

Wenige Stunden später wiederholte das Trump-Team – das nichts von den Abhörprotokollen in den Händen des FBI wusste – Flynns Lüge. Sean Spicer, der Sprecher des Übergangsteams, beharrte am Abend des 12. Januar darauf, Flynn habe mit Kisljak nicht über Sanktionen gesprochen. »Das Gespräch drehte sich um die Logistik der Einrichtung einer Gesprächsverbindung zwischen dem russischen Präsidenten und dem designierten Präsidenten nach dessen Vereidigung«, erklärte Spicer. Der designierte Vizepräsident bestritt dann am 15. Januar rundweg, dass Flynn und Kisljak über Sanktionen gesprochen hätten. »Es war reiner Zufall, dass sie ein Gespräch führten«, sagte Pence bei einem Interview in der CBS-Sendung Face of the Nation. »Sie sprachen über nichts, was mit der Entscheidung der Vereinigten Staaten zur Ausweisung von Diplomaten oder zur Verhängung von Strafmaßnahmen gegen Russland zu tun hatte.«

Justizministerin Yates war alarmiert. Wenn Pence das, was er sagte, tatsächlich für die Wahrheit hielt, dann – so war ihr klar – wäre der Vizepräsident belogen worden – und dies wüssten auch die Russen. Flynns Lüge führte zu einem Tauziehen zwischen Yates und FBI-Chef Comey. Yates wollte Trump mitteilen, dass sein Nationaler Sicherheitsberater kompromittiert sei. Comey hielt dagegen, dass er keine Besorgnisse wegen Flynn wecken wolle, bis man über mehr Fakten verfüge. Ganz in der Linie, die er schon bei den E-Mail-Ermittlungen gegen Hillary Clinton eingehalten hatte, entschied Comey letztlich, dass er selbst die Lage am besten einschätzen konnte.

Yates war weiterhin der Ansicht, es sei allerhöchste Zeit, Trump über Flynns Lüge zu informieren. Doch Comey versuchte, die führenden Geheimdienst-Leute davon zu überzeugen, dass ein solches Vorgehen die Ermittlungen gefährden würde. Am 19. Januar, dem Abend vor Trumps Vereidigung, war die Uhr abgelaufen. »Sie tragen bereits Smoking«, klagte einer von Yates’ Stellvertretern, während das Trump-Team zusammenkam, um im symbolträchtigen Washingtoner Bahnhof zu feiern. »Ich sehe nicht ein, dass man ihm diese Scheiße heute Abend vor die Füße kippt. Es ändert sich überhaupt nichts, wenn er es einen Tag später erfährt.«

 

Trump legte am 20. Januar seinen Amtseid ab und versuchte, innerlich angespannt, sich an sein neues Leben als Präsident zu gewöhnen. Er war besorgt wegen des Umzugs nach Washington, in eine Stadt, in der er viele Gegner hatte, sehr viel weniger Verbündete und keine echten Freunde. Trump war trotz seiner extrovertierten Persönlichkeit ein Stubenhocker und ein Mensch, der die Bequemlichkeit liebte. Trump hatte einen Wahlkampf mit der These geführt, dass die Nation von ihrer politischen Klasse verraten worden sei, und jetzt, da er der mächtigste Mann in Washington war, wusste er nicht, wem er vertrauen konnte. Er und seine Berater befürchteten ab dem Augenblick, in dem sie an die Macht gelangten, dass die fest verwurzelten Interessengruppen der Hauptstadt sich miteinander verschwören würden, um die Regierung zu schwächen. Am Abend des 23. Januar, am ersten Montag seiner Präsidentschaft, trafen Trump und die wichtigsten Amtsträger seiner Regierung bei einem Empfang des Weißen Hauses erstmals mit führenden Vertretern beider Parteien aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat zusammen. Am langen Tisch im State Dining Room saß Steve Bannon, eine der Inspirationsquellen von Trumps Inaugurationsrede, in der er versprach, das »Massaker Amerikas« zu beenden. Bannon konnte den Blick nicht von Nancy Pelosi abwenden. Er sah in der Fraktionschefin der Demokraten im Weißen Haus Katherine Hepburn in ihrer Filmrolle in Der Löwe im Winter – wie sie all die am Tisch sitzenden Männer mustert, dabei »Diese Männer sind allesamt Clowns« denkt und ihre Rückkehr an die Macht plant.

Pelosi ging davon aus, dass Trump die Unterhaltung mit einem einigenden Beitrag eröffnen würde, indem er beispielsweise die Gründerväter oder ein Bibelwort zitierte. Stattdessen begann der neue Präsident mit einer Lüge: »Ich gewann die Mehrheit der Wählerstimmen.«[8] Er behauptete, es habe großflächigen Wahlbetrug gegeben, mit drei bis fünf Millionen illegalen Stimmen für Clinton. Pelosi ging dazwischen. »Mr. President, das ist nicht wahr«, sagte sie. »Es gibt keinerlei Beleg für das, was Sie gerade sagten, und wenn wir zusammenarbeiten sollen, müssen wir uns auf ein gewisses Set von Tatsachen einigen.« Als Bannon sah, wie Pelosi Trump anging, flüsterte er Kollegen zu: »Sie wird uns kriegen. Eine totale Mörderin. Sie ist eine Mörderin.«

Als Justizministerin Yates am 24. Januar mit ihren Mitarbeitern diskutierte, wer im Weißen Haus die geeignetste Ansprechperson in Sachen Flynn war, erhielt sie einen Anruf von Comey, der ihr eine ärgerliche Überraschung mitteilte: FBI-Agenten waren im Weißen Haus, um Flynn zu befragen. Yates war außer sich. Comey, der wiederholt darauf bestanden hatte, sich bei dieser Untersuchung noch bedeckt zu halten, hatte es versäumt, das Justizministerium zu benachrichtigen. Yates hielt ihm sinngemäß vor: »Wie konnten Sie diese Entscheidung allein treffen?« Comey erwiderte, dass es sich um einen ganz normalen Schritt bei der Ermittlung handle.

Ein hochrangiger Beamter des Justizministeriums erinnerte sich: »Die Reaktion bei uns allen war, dass sie eine Falschaussage bekommen würden, … und wir würden dabei ganz schlecht aussehen, so als hätten wir ihn zum Abschuss freigegeben. So als hätten wir schon eine Woche lang Bescheid gewusst, niemandem etwas gesagt, und jetzt sieht es wie ein abgekartetes Spiel gegen den Nationalen Sicherheitsberater aus, als hätten wir ihn in eine Ecke gedrängt.«

Yates bat schließlich am 26. Januar den Rechtsberater des Weißen Hauses Don McGahn um ein Treffen in seinem Büro im West Wing noch am selben Tag. Sie erläuterte den Inhalt des Abhörprotokolls und erklärte, Flynn habe Vizepräsident Pence angelogen, und FBI-Agenten hätten ihn zu seinen Gesprächen mit Kisljak befragt. McGahn hörte ihr zu und stellte dann einige Fragen. Am meisten interessierte ihn, warum das Justizministerium beunruhigt war, wenn eine Person im Weißen Haus eine andere Person anlog. Yates erklärte, dass Flynn kompromittiert sei, weil die Russen die Wahrheit wüssten und die Tatsache, dass der Nationale Sicherheitsberater gelogen hatte, dazu benutzen könnten, ihn zu manipulieren.