Trust in Me - J. Lynn - E-Book

Trust in Me E-Book

J. Lynn

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Beschreibung

Cameron Hamilton bekommt alles, was er will. Vor allem, wenn es um Frauen geht. Nur Avery scheint gegen seine blauen Augen und den jungenhaften Charme immun zu sein. Er kann die Körbe, die sie ihm bisher gegeben hat, schon längst nicht mehr zählen. Trotzdem bekommt er sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Diese unwiderstehliche Mischung aus Verletzlichkeit und Verführung … Avery Morgansten ist für ihn ein Rätsel – ein wunderschönes Rätsel, das er vorhat zu lösen.

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Das ist für alle Fans von Cam und seinen Cookies,

für alle, die mehr von unserem Eier kochenden

Herzensbrecher hören wollen. Habt Spaß.

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

ISBN 978-3-492-96717-4

Januar 2017

© 2013 by Jennifer L. Armentrout

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Trust in Me«, William Morrow (ein Imprint von HarperCollinsPublishers), New York 2013

Deutschsprachige Ausgabe:

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2014

Covergestaltung: ZERO-Werbeagentur, München

Covermotiv: Corbis Images/2/Ocean

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Kapitel 1 Jase Winstead war ein grausamer Mistkerl.

Den Arsch-tronomiekurs zu besuchen war wirklich das Letzte, was ich um neun Uhr morgens tun wollte, besonders, nachdem der Kurs mich ständig an das erste Mal erinnerte, als ich Astronomie bei Drage belegt hatte. Und warum ich im ersten Jahr plötzlich und überhastet verschwunden war. Jase’ fiese SMS darüber, dass Kurse vor zwölf Uhr mittags schlecht für die Gesundheit waren, konnte ich nun wirklich gar nicht gebrauchen.

Wenn man bedachte, dass ich vielleicht – keine Ahnung – zwei Stunden geschlafen hatte und immer noch den Geschmack von Tequila und anderen Dingen, an die ich nicht mal denken wollte, auf der Zunge hatte, würde ich heute kein Paradebeispiel dafür sein, wie man den ersten Tag des Wintersemesters erfolgreich hinter sich brachte.

Ich beobachtete, wie die Tür zum Kursraum zufiel, dann starrte ich wieder auf mein Handy. Jase konnte es einfach nicht lassen:

Schwänz einfach. Ich habe Bier. X-Box. FIFA ’13.

Verdammt. Das klang wirklich verlockend. Ollie hatte am letzten Wochenende unsere eigene X-Box während des brutalen Showdowns von Call of Duty zerstört.

Und ich war sowieso schon ein paar Minuten zu spät dran.

Astronomiekurs oder Fußball auf der X-Box? Keine allzu schwere Entscheidung.

Ich traf meinen Entschluss, drehte mich um und wollte gerade Jase antworten, als die Doppeltür vor mir aufgerissen wurde, als würde ein Tornado durchs Treppenhaus fegen. Ich riss den Kopf gerade noch rechtzeitig hoch, um etwas Kleines, Rotes direkt auf mich zurasen zu sehen.

Ein Zusammenstoß ließ sich nicht mehr verhindern.

Das zierliche Mädchen knallte direkt gegen mich, wurde zurückgeworfen und wedelte dann mit den Armen wie eine Ertrinkende. Die Tasche, die aussah, als würde sie mehr als ihre Besitzerin wiegen, riss sie aus dem Gleichgewicht.

Aus reinem Instinkt warf ich mich nach vorne, ließ meinen Rucksack fallen und schlang einen Arm um ihre Hüfte. Ihre Collegetasche allerdings flog in die eine, der Inhalt in die andere Richtung. Das Mädchen schwankte immer noch wie einer dieser aufblasbaren Boxsäcke. Ich packte sie fester, um sie zu stabilisieren, bevor sie sich selbst ernsthaften Schaden zufügte. Sie richtete sich auf. Rostrote Haare flogen nach vorne und trafen mich im Gesicht. Der Geruch nach Beeren gepaart mit anderen leckeren Sachen erfüllte meine Nase.

Heiliger Dreck, ich war gerade von jemandem gerammt worden, der der Comicfigur Strawberry Shortcake zum Verwechseln ähnlich sah.

Ich lachte leise, bevor ich mein Handy in die Hosentasche schob. Ich wollte gerade loslassen, da merkte ich, wie das Mädchen sich kaum rührte. Jeder Muskel ihres Körpers wurde steinhart. Sie war schon vorher winzig gewesen – sie reichte mir bis kaum an die Schulter –, doch jetzt schien sie noch kleiner zu werden und in sich zusammenzusacken. Hatte sie sich verletzt?

Und hatte sie Shepherd irgendwie mit einer nahegelegenen Mittelschule verwechselt?

»Hoppla«, sagte ich. »Alles okay, Süße?«

Eine halbe Minute lang bekam ich keine Antwort. Langsam machte ich mir wirklich Sorgen. Dann atmete sie tief durch, sodass ihre Brust gegen mich gedrückt wurde. Ich erschrak ein wenig, als ich ihre Kurven spürte. Sie ging definitiv nicht mehr auf die Mittelschule, außer sie waren dort inzwischen viel weiterentwickelt als zu meiner Zeit. Und falls dem so war, war ich verdammt neidisch auf die Jungs dort.

Okay. Jetzt fühlte ich mich, als hätte ich dringend eine kalte Dusche nötig, und das beunruhigte mich.

War ich noch von gestern Abend betrunken? Wahrscheinlich schon.

»Hey«, versuchte ich es noch mal, diesmal sanfter. »Geht es dir gut?« Als sie immer noch nicht antwortete, legte ich ihr zwei Finger unters Kinn. Ihre Haut war kühl und samtig. Sanft hob ich ihren Kopf, während ich mich fragte, ob es wohl möglich war, dass jemand in Ohnmacht fiel und dabei trotzdem auf den Beinen blieb. Ich hatte den Mund schon geöffnet, um die Frage noch einmal zu stellen, doch die Worte blieben irgendwo zwischen meinem Hirn und meinem Mund stecken.

Ich blinzelte, weil ich wie ein totaler Trottel glaubte, dass das vielleicht etwas an dem Bild vor meinen Augen ändern würde. Nicht, dass ich wollte, dass sich das, was ich sah, veränderte, aber verdammt …

Welcher Kerl hatte keine Schwäche für Rotschöpfe?

Dieses Mädchen hübsch zu nennen wäre ihr nicht gerecht geworden. Ihre Augen waren groß, ein schönes, warmes Whiskybraun. Sommersprossen lachten auf ihrer Nase neben den schön geformten Wangenknochen. Ihre Lippen waren voll und kirschrot. Das war die Art von Lippen, die Art von Mund, die einen Mann zu Fall bringen konnten und würden …

»Lass. Mich. Los.«

Dieser harte Ton, begleitet von mühsam kontrollierter Panik, brachte mich dazu, sofort die Arme zu senken und meiner Gesundheit zuliebe einen Schritt zurückzutreten.

Kaum hatte ich sie losgelassen, schwankte sie ein wenig. Fast hätte ich wieder den Arm ausgestreckt, doch ich mochte meine Eier. Eines Tages würde ich vielleicht Kinder haben wollen. Ich hatte so ein Gefühl, dass das nicht mehr infrage käme, sollte ich sie jetzt noch mal anfassen.

Sie keuchte angestrengt, schob sich die Strähnen aus dem Gesicht und zog sich vorsichtig von ihrer Tasche zurück. Dichte, rötliche Wimpern hoben sich. Für einen Moment bewegte sich keiner von uns, dann glitt ihr Blick über mein Gesicht und von dort nach unten. Die Schnecke checkte mich ungeniert ab.

Vielleicht waren meine Eier doch nicht in Gefahr.

Ein hübscher Rotton erschien auf ihren Wangen. »Es tut mir leid. Ich hatte es eilig, in meinen Kurs zu kommen. Ich bin spät dran und …«

Ich grinste, als ich mich hinkniete und anfing, ihre auf dem Boden verstreuten Sachen aufzusammeln. Wie ein Mädchen so viele verdammte Stifte haben konnte, ging über meinen Verstand. Blau. Purpur. Schwarz. Rot. Orange. Was zur Hölle? Wer schrieb schon mit einem orangefarbenen Stift?

Sie schloss sich mir an und schnappte sich den Rest ihrer Stifte, während sie den Kopf so drehte, dass ihr rotbraunes Haar ihr Gesicht verbarg. »Du musst mir nicht helfen.«

»Kein Problem.« Ich griff nach einem Stück Papier, das sich als ihr Stundenplan entpuppte. Ein schneller Blick auf die Kurse verriet mir, dass sie ein Erstsemester war. »Astronomiegrundkurs? Da will ich auch hin.«

Jase und Bier und FIFA ’13 würden warten müssen.

»Du verspätest dich.« Sie versteckte sich immer noch hinter ihren Haaren. »Es tut mir wirklich leid.«

Nachdem ich den letzten Block eingesammelt und in ihre Tasche geschoben hatte, stand ich auf. Dann gab ich ihr die Tasche zurück, in der Hoffnung, dass sie jetzt aufschauen würde. Keine Ahnung warum – nennt mich Muttersöhnchen –, aber ich mochte es, wenn meine Mädchen lächelten. Es gefiel mir nicht, wenn sie kurz vor dem Heulen waren. »Ist okay.« Mein Grinsen wurde breiter. »Ich bin es gewöhnt, dass Mädchen sich mir an den Hals werfen.« Sie hob ihr Kinn ein kleines Stück. »Aber dass sie mir jetzt schon auf den Rücken springen, ist neu. Hat mir irgendwie gefallen.«

Sie riss den Kopf hoch, und all diese Haare glitten nach hinten. »Ich habe weder versucht, auf deinen Rücken zu springen, noch habe ich mich dir an den Hals geworfen.«

»Hast du nicht?« Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche. Ich ignorierte es. »Was für eine Schande. Falls es so gewesen wäre, hätte das diesen Tag zum besten Semesterbeginn aller Zeiten gemacht.«

Sie musterte mich mit an die Brust gedrückter Tasche, während ich meinen Blick auf das Papier senkte, das ich in der Hand hielt. »Avery Morgansten?«

»Woher kennst du meinen Namen?«, blaffte sie.

Was für ein reizbares kleines Ding. »Er steht auf deinem Stundenplan.«

»Oh.« Sie schob sich einige Strähnen hinter das Ohr. Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie nach dem Stundenplan griff.

Als ich klein war, hatte meine Mom immer behauptet, dass ich eine Schwäche für die Schwachen hatte. Verletzte Tauben. Dreibeinige Hunde. Dünne Ferkel. Meine Schwester war genauso. Wir hatten einen sechsten Sinn, wenn es darum ging, die Außenseiter aufzuspüren. Ich wusste eigentlich so gut wie nichts über dieses Mädel, aber sie war offensichtlich neu an der Uni, offensichtlich fühlte sie sich nicht wohl, und offensichtlich hatte sie einen schlechten Start in den Tag gehabt. Sie tat mir leid.

»Ich heiße Cameron Hamilton«, erklärte ich ihr. »Aber alle nennen mich Cam.«

Sie bewegte die Lippen, als wiederhole sie meinen Namen. Mir gefiel, wie sie dabei aussah. »Danke noch mal, Cam.«

Ich beugte mich vor, griff nach meinem Rucksack und warf ihn mir über eine Schulter. Dann schob ich mir die Haare aus meinem Gesicht und setzte das Lächeln auf, das gewöhnlich dafür sorgte, dass ich bekam, was ich wollte. »Na, dann lass uns mal unseren großen Auftritt starten.«

Ich hatte schon die Tür zum Astronomiekurs erreicht, als mir auffiel, dass sie sich kein Stück bewegt hatte. Ich sah über die Schulter zurück und runzelte die Stirn, als sie langsam zurückwich. »Du läufst in die falsche Richtung, Süße.«

»Ich kann nicht«, krächzte sie.

»Was kannst du nicht?« Ich drehte mich zu ihr um.

Avery suchte für einen Moment meinen Blick, dann wirbelte sie herum und rannte davon. Ihre Tasche schlug gegen ihre Hüfte, während ihre Haare hinter ihr herwehten wie ein Cape. Die Puppe rannte weg. Sie rannte tatsächlich weg. Ich war völlig verblüfft. Dann rief ich ihren Namen, um sie aufzuhalten, aber sie drehte sich nicht mehr nach mir um.

Was zur Hölle war gerade passiert?

Die Tür hinter mir öffnete sich, und eine tiefe Stimme rief mit leichtem Akzent: »Mr. Hamilton, wollen Sie sich uns heute noch anschließen?«

Mist. Ich schloss die Augen.

»Oder haben Sie vor, die verbleibende Zeit über im Flur zu stehen?«, fragte Professor Drage.

Seufzend drehte ich mich um. »Natürlich nehme ich an Ihrem Kurs teil.«

»Natürlich«, wiederholte der Professor und streckte mir einen Stapel gehefteter Papiere entgegen. »Der Lehrplan.«

Ich nahm einen, dann dachte ich kurz nach und griff noch einmal zu. Nur für den Fall, dass Avery Morgansten noch einmal auftauchte.

Jase lehnte an der Ladefläche meines Trucks, eine Hand in die braunen Haare geschoben, um sie von seiner vor Schweiß glitzernden Stirn zurückzuhalten. »Es ist heiß wie die Hölle.«

Für Ende August war es tatsächlich drückend heiß, eine unangenehme feuchte Hitze. Nicht einmal der Schatten, den die großen Eichen um den Parkplatz gegenüber von White Hall warfen, brachte Erleichterung. Ich fürchtete mich jetzt schon davor, die Tür zu meinem aufgeheizten Auto zu öffnen.

»Die wahrsten Worte, die du je gesprochen hast.« Ollie blinzelte in Richtung Bäume. »Es ist so heiß, dass man sich im Grunde nur noch ausziehen kann.«

Ich sah ihn an. »Du bist schon nackt genug, Mann.«

Ollie sah grinsend an sich selbst herunter. Kein T-Shirt. Tiefhängende Shorts. Flip-Flops. Sonst nichts. »Du weißt verdammt gut, dass ich um einiges nackter sein kann.«

Unglücklicherweise stimmte das. Wir teilten uns seit drei Jahren eine Vierzimmerwohnung in University Heights. Kaum eine Woche nachdem wir zusammengezogen waren, hatte Ollie jeden Anstand über Bord geworfen. Ich hatte die Weichteile dieses Kerls öfter gesehen, als ich mir eingestehen wollte. Er würde im Frühjahr seinen Abschluss machen, so wie es bei mir eigentlich auch der Fall sein sollte. Ich würde den Idioten vermissen.

»Strafzettel.« Jase nickte in Richtung meiner Windschutzscheibe.

Ich seufzte, als ich seinem Blick folgte. Ein cremefarbenes Stück Papier klemmte ordentlich unter einem Scheibenwischer. Dieser Parkplatz war eigentlich für Angestellte der Uni reserviert, aber aufgrund der schwierigen Parksituation in dieser Gegend schnappte ich mir jede Lücke, die ich erwischen konnte. »Ich werde ihn in meine Sammlung aufnehmen.«

»Die bereits riesig ist.« Ollie zog einen Haargummi von seinem Handgelenk und band sich seine schulterlangen Haare zu einem Pferdeschwanz zurück. »Also, heute Abend Party bei uns?«

Meine Augenbrauen wanderten nach oben. »Häh?«

Jase grinste und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Es ist eine Semestereröffnungsparty.« Ollie streckte sich, bis sein Rücken knackte, und gähnte herzhaft. »Nur ein kleines Get-together.«

»Oh Gott.«

Jase’ Grinsen wurde breiter. Ich wollte es ihm aus dem Gesicht prügeln. Das letzte Mal, als Ollie ein »kleines Get-together« anberaumt hatte, hatte es in unserem Apartment nur noch Stehplätze gegeben. Kann schon sein, dass auch die Polizei aufgetaucht war.

»Wir bestellen Pizza. Ich muss …« Ollie stoppte mitten im Satz und drehte sich nach einer kurvenreichen Brünetten um, die an uns vorbeiging. Einen Augenblick später hatte er uns bereits stehen gelassen, und sein Arm lag um die Schultern des Mädchens. »Hey, du, na …«

Die Brünette kicherte und schlang ihren Arm um Ollies Hüfte.

Ich drehte mich um und hob die Hände. »Was zum Teufel …?«

»Hoffnungsloser Fall.« Jase verdrehte die Augen. »Wenn es um Mädchen geht, hat dieser Kerl Augen im Hinterkopf.«

»Wie wahr.«

»Wie er es schafft, regelmäßig flachgelegt zu werden, geht über meinen Verstand.«

»Das ist eines der großen Geheimnisse des Lebens.« Ich stiefelte zu meinem Truck, schnappte mir den Strafzettel und öffnete dann die Fahrertür. Heiße Luft stieg mir ins Gesicht. »Verdammt.«

Jase drehte sich zu mir um. »Was war heute los? Du hast nicht auf meine SMS geantwortet. Ich dachte, FIFA würde dich ködern.«

»Oh, hast du mich vermisst?« Ich zog mein T-Shirt aus, rollte es zusammen und warf es auf den Beifahrersitz.

»Vielleicht.«

Lachend schnappte ich mir meine Kappe vom Sitz und setzte sie mir auf den Kopf, um die Sonne besser auszuhalten. »Ich wusste gar nicht, dass wir miteinander ausgehen.«

»Jetzt hast du meine Gefühle verletzt.«

»Wenn wir das nächste Mal unterwegs sind, gebe ich dir einen aus.«

»Läuft. Ich bin leicht zu haben.«

Ich grinste. »Das weiß ich nur zu gut.«

Jase lachte und ließ seine Arme über die Begrenzung der Ladefläche hängen. Sein lockeres Lächeln verblasste, als er eine Sonnenbrille auf seine Nase schob. Ich kannte diesen Ausdruck. Er verhieß nie etwas Gutes. Nur wenige Leute wussten, wie beschissen das Leben zeitweise für Jase gelaufen war. Es fiel leicht, das Gegenteil anzunehmen, immerhin war Jase immer derjenige, an den man sich wenden konnte, wenn man das eigene Leben auf die Reihe kriegen wollte. Das galt auch für mich.

Ich schaltete die Klimaanlage an, schlug die Tür zu und ging zu Jase an die Seite des Trucks. Das Metall lag heiß an meinen Unterarmen, als ich mich vorlehnte, um meine Unterschenkel zu dehnen. »Was ist los?«

Eine dunkle Augenbraue erschien über dem Rand der Sonnenbrille. »Willst du ins Fitnessstudio oder irgendwas?«

»Das war mein Plan.« Ich wechselte das Bein, um die Verspannung im anderen Bein zu lösen. »Willst du mitkommen?«

»Nee«, sagte er. »Ich muss auf der Farm vorbeischauen. Ein bisschen nach dem Rechten sehen.«

»Wie geht es Jack?«

Ein breites Lächeln erschien auf Jase’ Gesicht, so strahlend, dass eine junge Professorin, die gerade am Truck vorbeilief, kurz ins Stolpern geriet. »Es geht ihm prima«, sagte er so glücklich, wie er immer klang, wenn er von seinem Bruder sprach. »Gestern hat er mir erklärt, dass er Chuck Norris werden will, wenn er mal groß ist.«

Ich lachte. »Damit kann man wenig falsch machen.«

»Stimmt.« Jase drehte den Kopf und musterte mich über die Sonnenbrille hinweg. »Wie läuft es bei dir?«

»Gut.« Ich stieß mich ab und löste meine Arme vom Auto. »Warum fragst du?«

Jase hob eine Schulter. »Nur so.«

An manchen Tagen machte mich diese Bemerkung sauer. An anderen Tagen war es okay. Gut für Jase, dass heute so ein Tag war, wo es einfach an mir abprallte. »Auf keinen Fall treibt mich bald jemand in die Enge, bis ich ›für immer‹ schweige. Also alles prima.«

»Schön zu hören.« Grinsend zog Jase sich zurück, dann wandte er den Kopf in die Richtung, in der die junge Professorin verschwunden war. »Party bei dir, richtig?«

»Warum nicht?« Ich ging zur Fahrertür. »Ich bin sicher, der halbe Campus wird da sein.«

»Stimmt.« Jase drehte sich um. »Bis später.«

Ich kletterte in den kühlen Innenraum meines Autos und fuhr vom Parkplatz. Ich musste meinen faulen Hintern zum Fitnessstudio auf dem westlichen Campus schaffen, aber irgendwie zog es mich auch auf meine Couch für ein Nickerchen.

Ich bog am Stoppschild links ab und passierte gerade in dem Moment die Reihenhäuser, als ein Football aus einer der Türen flog und einen Kerl am Hinterkopf traf. Lachend griff ich …

Etwas Rotes erregte meine Aufmerksamkeit.

Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Oh mein Gott. Ich kniff die Augen zusammen und fixierte meinen Blick. War das etwa Shortcake?

Für einen Moment verdeckte ein Baum mir die Sicht, dann erschien sie wieder. Die Sonne glitzerte auf dem breiten Armband um ihr Handgelenk.

Zur Hölle ja, sie war es.

Meine nächste Handlung fand ohne jegliches Nachdenken statt. Mit einem breiten Grinsen drehte ich meine Kappe mit dem Schirm nach hinten, bevor ich scharf nach rechts abbog, um die Straße zu blockieren.

Avery trat auf den Gehweg zurück. Ihre großen Augen wurden noch größer. Als ich das Beifahrerfenster herunterfahren ließ, sah sie ziemlich geschockt aus.

Ich grinste, froh zu sehen, dass Shortcake ihren ersten Tag an der Uni überlebt hatte. »Avery Morgansten, so treffen wir uns wieder.«

Sie sah sich um, als vermutete sie, dass ich mit jemand anderem sprach. »Cameron Hamilton … Hi.«

Ich lehnte mich vor, wobei ich einen Arm lässig über das Lenkrad legte. Sie sah verdammt süß aus, wie sie da stand und an ihrem Armband herumspielte. »Wir müssen damit aufhören, uns so zu treffen.«

Während sie sich eher unbeholfen auf ihre pralle Unterlippe biss und von einem Bein auf das andere trat, wanderte Shortcakes Blick nach unten und verharrte auf meinem Tattoo. Vielleicht lag es daran, dass ich eine jüngere Schwester hatte, aber ich wollte unbedingt, dass es ihr gut ging. Doch scheinbar kämpfte ich da auf verlorenem Posten.

»Du rennst gegen mich, ich überfahre dich fast«, führte ich aus. »Es ist, als wäre eine Katastrophe zwischen uns schon vorprogrammiert.«

Schweigen.

Noch ein Versuch. »Wo willst du hin?«

»Zu meinem Auto«, sagte sie und bewies damit, dass sie reden konnte. »Meine Parkuhr läuft bald ab.« Sie verlagerte ihr Gewicht. »Also …«

»Na, dann spring rein, Süße. Ich kann dich mitnehmen.«

Sie starrte mich an, als hätte ich sie aufgefordert, freiwillig in den Wagen ihres Kidnappers einzusteigen. »Nein. Ist okay. Ich stehe direkt auf dem Hügel. Wirklich nicht nötig.«

»Kein Problem. Ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich dich fast umgefahren hätte.«

»Danke, aber …«

»Hey! Cam!« Kevin tauchte aus dem verdammten Nichts auf und joggte an Avery vorbei. »Was hast du vor, Mann?«

Seltsam irritiert hielt ich meinen Blick auf Shortcake gerichtet, während ich dem Drang widerstand, den Kerl mit meinem Truck aus dem Weg zu räumen. »Nichts, Kevin. Ich versuche hier nur, mich zu unterhalten.«

Avery hob ihre Hand, wackelte mit den Fingern und sprang um Kevin und meinen Truck herum. Mein Blick folgte ihr, während Kevin ohne Unterlass über irgendwas redete, was mich einen Scheiß interessierte.

»Mist«, murmelte ich und ließ mich in den Sitz zurückfallen.

Avery lief schon wieder weg.

Und ich verspürte das seltsame Bedürfnis, sie zu jagen.

Kapitel 2 Richtig übel wurden unsere Partys immer in der Sekunde, in der Ollie Raphael aus seinem Terrarium holte. Und er tat es jedes verdammte Mal. Ich stand mitten im Wohnzimmer und beobachtete ihn mit einem Kopfschütteln.

»Warum?«, fragte Jase, bevor er einen Schluck Bier nahm.

Ich schnaubte. »Glaubst du nicht, dass ich einen Weg finden würde, ihn aufzuhalten, wenn ich wüsste, warum er das tut?«

»Ich finde es süß«, erklärte eine weiche, weibliche Stimme.

Jase und ich drehten uns zur Couch um. Niemand sonst saß wie Stephanie Keith. Ein langes, wohlgeformtes Bein lag über dem anderen, das perfekte Bild von Anständigkeit. Doch der verdammte Jeansrock, den sie trug, war ungefähr so anständig wie Ollie unter der Dusche. Hätte ich meinen Kopf nur ein winziges Stück nach rechts bewegt und das Kinn ein wenig gesenkt, wie ich es vor ungefähr drei Minuten tatsächlich getan hatte, hätte ich die Wölbung ihres Hinterns sehen können.

Steph trug Strings.

Oder gar keine Unterwäsche, je nachdem, welche Laune sie ritt. Und momentan wirkte es, als könnte sie die richtige Laune haben. Steph lehnte sich ein wenig vor und verschränkte die schlanken Arme unter den Brüsten, was mir und jedem anderen, der zufällig hersah – ich schaute kurz nach und Jase gehörte auch dazu –, einen netten Blick auf ihre Titten verschaffte. Und die waren wirklich hübsch. Ich hatte sie schon ein paarmal aus der Nähe betrachten dürfen. Stephs babyblaue Augen versprachen ein Happy End, und ihr Blick war auf mich gerichtet.

Überraschenderweise wurde meine kurze Nylonhose nicht eng im Schritt, eine wirkliche Verschwendung von Hintern und Titten also.

Die Hälfte der Jungs in Jase’ Verbindung hätte ihren rechten Hoden dafür gegeben, Stephanies Aufmerksamkeit zu erhaschen. Auch für mich hatte das gegolten – damals, als ich kaum wusste, wer ich selbst war. Doch das schien Jahre her zu sein. Damals hatte die Vorstellung, mit einem einzigen Mädchen zusammen zu sein, noch dafür gesorgt, dass ich mir den eigenen Arm abhacken wollte. Jetzt allerdings?

Hm, Mist, jetzt wusste ich nicht, was ich wollte. Und so war es schon eine Weile, was wahrscheinlich erklärte, warum ich Steph nicht einfach packte, in mein Schlafzimmer trug und die Hosen fallen ließ.

Steph war ein gutes Mädchen, doch die Zeiten, in denen ich meinen rechten Hoden für sie geopfert hätte, waren schon lange vorbei.

Ich wandte den Blick ab und sah zu Ollie, der vor dem Fernseher herumtanzte und dabei einen zappelnden Raphael in die Luft hielt. Ich nahm noch einen Schluck Bier. »Er belästigt meine Schildkröte.«

Steph lachte, dann stand sie auf. »Ich glaube nicht, dass er das tut.« Sie schob ihren Arm unter meinen und lehnte ihr Kinn auf meine Schulter. Glänzende dunkelbraune Strähnen glitten über die nackte Haut meiner Brust. »Mir dagegen würde es nichts ausmachen, belästigt zu werden.«

Trotz der Musik konnte ich hören, dass der Timer in der Küche klingelte. Ich löste mich sanft von Steph und warf Jase einen Blick zu. Ein wenig mitfühlendes Grinsen huschte über sein Gesicht. Bastard. »Ich bin gleich zurück.«

Bevor Steph antworten konnte, bahnte ich mir meinen Weg durch die Kerle in die Küche. Das Mädchen würde sich meinen Mangel an Interesse nicht zu Herzen nehmen. Ich hätte zehn Dollar darauf gewettet, dass sie, bis ich zurückkam, ihre Aufmerksamkeit bereits auf Jase oder jemand anderen verlagert hätte.

Ich stellte meine Bierflasche auf die Arbeitsfläche, öffnete die Ofentür und atmete den Duft frischgebackener Chocolate-Chip-Cookies ein. Und die hier kamen nicht aus so einer dämlichen Fertigpackung. Nein, sie waren von Grund auf selbstgemacht.

Und einfach phantastisch.

Ich stellte das Blech zur Seite, schaltete den Ofen aus und schnappte mir einen Cookie. Der heiße Teig gab nach und drückte die winzigen Schokosplitter gegen die Walnussstücke. Ich brach den Cookie in zwei Teile und schob mir eine Hälfte in den Mund.

»Scheiße«, stöhnte ich.

Heiß wie die Hölle, aber das war es wert. Ich spülte mit Bier nach, dann trat ich gerade rechtzeitig aus der Küche, um zu sehen, wie Ollie Richtung Wohnungstür ging. Mit Raphael.

»Oh, jetzt komm schon.« Ich stellte mein Bier ab.

»Sei frei, kleiner grüner Kumpel«, redete mein Trottel von Mitbewohner leichtsinnig und drückte Raphael einen Kuss auf den Panzer. »Sei frei.«

»Bring Raphael zurück!«, rief ich und musste dann lachen, als Ollie mit einem betrunkenen Karatekick die Tür ganz aufstieß. »Du Vollpfosten!«

Ollie setzte Raphael auf den Boden und stieß ihn leicht an. »Freiheit.«

Ich packte seinen Arm und zog ihn zurück in die Wohnung. Lachend schnappte sich Ollie Stephs Freundin und warf sie sich über die Schulter. Kichern erfüllte den Raum.

Ich hob die Schildkröte wieder hoch. »Tut mir leid, Raphael. Meine Freunde sind absolute, totale …« Ein seltsames Kribbeln breitete sich auf meinem Nacken aus. Ich sah erst nach links, dann nach rechts, wo ich Avery entdeckte, die mit großen, braunen Augen in einer Tür stand. »Arschlöcher. Was zur …?«

Ich hatte bei Weitem nicht genug getrunken, um Halluzinationen zu bekommen. Doch ich kam einfach nicht darüber hinweg, dass Shortcake in meinem Wohnhaus stand. Wann immer ich im Sommer vorbeigeschaut hatte, hatte diese Wohnung leer gestanden, aber es hätte natürlich jederzeit jemand einziehen können.

Und geschlossen nach ihrer Kleidung war es jemand, mit dem sie sehr vertraut war. Die Baumwollhose war kurz und endete in der Mitte ihrer Oberschenkel. Mein Blick blieb an ihren Beinen hängen. Sie waren lang, nicht zu dünn und perfekt geformt. Wer hätte gedacht, dass Shortcake solch perfekte Beine haben würde? Ich spürte eine deutliche Regung in meinem Schritt. Das langärmlige Shirt, das sie trug, bedeckte einen Großteil ihrer Haut, doch der Stoff war dünn.

Zur Hölle, ja, der Stoff war richtig dünn.

Ihre Brüste erschienen als sanfte Hügel unter dem Stoff, voller, als sie sich an meiner Brust angefühlt hatten, und die Spitzen …

Ihre Wangen wurden rot. »Hey …«

Ich blinzelte, doch als weder sie noch mein plötzlicher, heftiger Ständer verschwanden, ging ich davon aus, dass sie real war. »Avery Morgansten? Das wird langsam zur Gewohnheit.«

»Ja«, antwortete sie. »Wird es wohl.«

»Lebst du hier, oder bist du nur zu Besuch …?«

Sie räusperte sich, den Blick auf die Schildkröte gerichtet. »Ich … ich wohne hier.«

»Ohne Scheiß?« Ich wanderte um das Treppengeländer herum und auf ihre Tür zu. Mir entging nicht, dass ihr Blick über meine Bauchmuskeln glitt. Das gefiel mir. Genau wie meinem Schwanz. »Du wohnst hier wirklich?«

»Ja. Ich wohne hier wirklich.«

»Das ist … keine Ahnung.« Ich lachte, irgendwie wie vor den Kopf geschlagen. »Echt irre.«

»Warum?« Verwirrung erschien auf ihrem hübschen Gesicht und erzeugte eine Falte zwischen ihren fein geschwungenen Augenbrauen.

»Ich wohne auch hier.«

Sie schaute mich verdutzt an. »Du machst Witze, richtig?«

»Nein. Ich wohne hier schon eine Weile – ein paar Jahre, mit meinem Mitbewohner. Du weißt schon, der Vollpfosten, der den armen Raphael nach draußen gesetzt hat.«

»Hey!«, rief Ollie. »Ich habe einen Namen. Es heißt Señor Vollpfosten!«

Ich lachte. »Wie auch immer … bist du übers Wochenende eingezogen?«

Sie nickte.

»Leuchtet ein. Ich war zu Hause und habe die Familie besucht.« Ich drückte Raphael sanft gegen meine Brust, damit er nicht zappeln konnte, bis er sich den Panzer brach. »Na ja, also …«

Avery umklammerte die Türklinke und legte dabei den Kopf in den Nacken, um mir in die Augen zu sehen. Für einen Moment hielt sie meinen Blick, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Raphael richtete. Ihre Augen … sie erinnerten mich an etwas.

»Ist das … ähm, deine Schildkröte?«, fragte sie.

»Ja.« Ich hob ihn hoch. »Raphael, das ist Avery.«

Sie biss sich auf die Lippe und winkte Raphael zu. Ich musste grinsen. Dafür bekam Shortcake Extrapunkte. »Das ist ein sehr interessantes Haustier.«

»Und das ist eine wirklich interessante Hose. Was sind das?« Ich gönnte mir noch einen langen Blick auf ihre Beine. Ich konnte einfach nicht anders. »Pizzastücke?«

»Das sind Eiswaffeln.«

»Aha. Gefallen mir.« Langsam ließ ich meinen Blick nach oben gleiten. »Sehr sogar.«

Endlich löste sie ihren verkrampften Griff an der Türklinke und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich grinste, und sie kniff die Augen zusammen. »Danke. Das bedeutet mir wirklich viel.«

»Das sollte es auch. Die Hose besitzt jetzt mein persönliches Gütesiegel.« Ich beobachtete, wie sich die Röte weiter auf ihren Wangen ausbreitete. »Ich muss Raphael wieder in sein kleines Reich bringen, bevor er mir auf die Hand pieselt, was er jeden Moment tun wird. Und das nervt.«

Sie grinste ein kleines bisschen. »Das kann ich mir vorstellen.«

Hatte Shortcake gerade wirklich gegrinst? Das musste eine Premiere sein. Ich fragte mich, wie sie wohl aussah, wenn sie richtig lächelte. »Also, komm doch rüber. Die Jungs wollen demnächst gehen, aber eine Weile sind sie schon noch da. Du könntest sie kennenlernen.« Ich lehnte mich vor und senkte die Stimme. »Sie sind nicht mal ansatzweise so interessant wie ich, aber trotzdem nicht schlecht.«

Averys Blick huschte über meine Schulter. Sie wirkte unentschlossen. Komm schon, Shortcake. Komm aus dir raus und spiel mit mir. Dann schüttelte sie den Kopf. »Danke, aber ich war auf dem Weg ins Bett.«

Enttäuschung überschwemmte mich. »So früh?«

»Es ist doch sicherlich schon nach Mitternacht.«

Ich grinste. »Das ist trotzdem früh.«

»Vielleicht für dich.«

»Bist du dir sicher?« Jetzt fuhr ich die großen Geschütze auf. »Ich habe Cookies.«

»Cookies?« Ihre Augenbrauen wanderten nach oben.

»Ja, und ich habe sie selbst gemacht. Ich kann richtig gut backen.«

»Du hast Cookies gebacken?«

Sie klang, als hätte ich gerade zugegeben, dass ich in meiner Küche eine Bombe gebastelt hatte. »Ich backe eine Menge Sachen, und ich bin mir sicher, dass du dich danach verzehrst, mehr darüber zu hören. Heute Abend waren es Schokoladen-Walnuss-Cookies. Sie sind der Wahnsinn, wenn ich das mal so sagen darf.«

Ihre Lippen zuckten wieder. »So toll das auch klingt, ich muss ablehnen.«

»Vielleicht ein andermal?«

»Vielleicht.« Sie trat zurück und griff nach der Tür. »Nun, es war schön, dich wiederzusehen, Cameron.«

»Cam«, verbesserte ich sie. »Und hey, immerhin haben wir uns diesmal nicht fast umgerannt. Sieh mal einer an! Wir ändern bereits unsere Verhaltensmuster.«

»Das ist gut.« Sie holte tief Luft. »Du solltest gehen, bevor Raphael auf deine Hand pieselt.«

»Das wäre es wert«, antwortete ich.

Sie wirkte verwirrt. »Warum?«

Zum Teufel würde ich ihr das erklären. »Falls du deine Meinung änderst, ich werde noch eine Weile wach sein.«

»Ich nicht. Gute Nacht, Cam.«

Aua. Verdammt. Shortcake hatte mich gerade abblitzen lassen. Aus irgendeinem Grund brachte mich das zum Lächeln. Vielleicht, weil ich mich nicht mehr erinnern konnte, wann mich ein Mädchen das letzte Mal einfach weggeschickt hatte. Interessant. Und ich hatte gedacht, ich sei unglaublich charmant.

Ich trat einen Schritt zurück, während Raphael den Kopf aus seinem Panzer streckte. »Bis morgen.«

»Morgen?«

»Der Astronomiekurs? Oder schwänzt du schon wieder?«

»Nein.« Sie seufzte und wurde wieder rot. Ich fragte mich, wie weit die Röte wohl nach unten wanderte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich das je herausfinden würde, war allerdings ziemlich gering. »Ich werde da sein.«

»Wunderbar.« Ich zwang mich dazu, weiter zurückzuweichen. Ich hätte hier locker noch eine Stunde länger mit ihr herumstehen können. »Gute Nacht, Avery.«

Shortcake tauchte hinter ihre Tür ab, als hätte Raphael gerade versucht, ihr auf den Kopf zu pieseln. Ich lachte leise, als ich hörte, wie das Schloss einschnappte. Keine Ahnung, wie lange ich dann dort stand und die geschlossene Tür anstarrte, während Raphael mit den Beinen wedelte.

»Was tust du da, Cam?«

Ich drehte mich um, als ich Stephs Stimme hörte. Sie stand in der Tür, den Kopf an den Rahmen gelegt, der lächelnde Inbegriff der Willigkeit. Ganz anders als das Mädchen auf der anderen Seite der Tür vor mir.

»Keine Ahnung«, antwortete ich und ging wieder in die Wohnung. Ich hatte wirklich nicht den blassesten Schimmer.

Kapitel 3 Ich war immer ein Morgenmuffel gewesen, doch heute war ich schon bei Morgengrauen wach. Ich hatte nur ein paar Stunden geschlafen. Während Ollie immer noch völlig regungslos mit dem Gesicht nach unten und auf den Boden hängendem Arm bewusstlos auf der Couch lag, kochte ich vier Eier, aß sie und schnappte mir ein paar Cookies für den Weg.

Ollie hatte sich immer noch nicht bewegt, als ich die Tür hinter mir zuschlug.

Ich erreichte den Campus wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben viel zu früh und wanderte ins Robert-Byrd-Gebäude. Als ich den Astronomieraum betrat, huschte mein Blick sofort über die Bankreihen.

Wäre ich Shortcake, wo würde ich mich hinsetzen? Wahrscheinlich nach ganz hinten.

Ich erblickte einen mir bekannten Kopf, der etwas nach unten gesenkt war. Im dämmrigen Saal wirkten ihre Haare nicht so rot wie in der Sonne. Wieso ich das überhaupt bemerkte, ging über meinen Verstand. Und ich kapierte auch nicht, wieso ich direkt auf sie zusteuerte.

In der Mittelstufe war ich total in ein Mädchen in meiner Klasse verschossen. Sie war Shortcake sehr ähnlich gewesen – zierlich, schüchtern, so nervös wie diese sich ständig schüttelnden kleinen Hunde. Doch wenn sie lächelte, schien die verdammte Sonne aufzugehen. Sie hatte mich immer links liegen gelassen, doch wie ein Trottel hatte ich mich jeden Tag darauf gefreut, sie zu sehen. In der Highschool stellte sich dann heraus, dass sie auf Mädchen stand und nicht auf Jungs – was wahrscheinlich erklärte, warum sie überhaupt kein Interesse an mir gezeigt hatte.

Ich zog fester am Riemen meines Rucksacks und musste mir selbst eingestehen, dass ich verdammt enttäuscht wäre, sollte dasselbe bei Shortcake auch der Fall sein.

Ich schlenderte zu Avery. Sie bekam gar nicht mit, dass ich im Raum war. Stattdessen saß sie mit hängenden Schultern da und spielte an dem Armband an ihrem linken Handgelenk herum. Sie starrte ins Leere, und ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie vielleicht körperlich anwesend war, sich geistig aber ganz woanders befand.

War Shortcake jemals entspannt? Anscheinend nicht.

Ich schaute im Saal nach vorne, wo ein paar Leute saßen, die ich kannte. Dort hätte ich mich hinsetzen sollen. Stattdessen schob ich mich durch die Reihen nach hinten. Shortcake hatte immer noch nicht mitbekommen, dass ich mich im Raum befand.

»Guten Morgen, Süße«, sagte ich, nachdem ich mich entschieden hatte, mich noch nicht hinzusetzen.

Shortcake zuckte zusammen wie eine erschreckte Katze und drehte sich um. Verdutzt schaute sie mich an. Sie sagte nichts, als ich mich auf den Stuhl neben ihr schob und mich zurücklehnte.

»Du wirkst heute Morgen ein wenig durch den Wind«, kommentierte ich.

Sie schürzte die Lippen. »Danke.«

»Gern geschehen. Schön, dass du es diesmal zum Kurs geschafft hast.« Ich rutschte tiefer und legte meine Beine auf den Sitz vor meinem. »Allerdings hat heute gefehlt, dass du mich umrennst. Das war echt aufregend.«

»Mir fehlt das überhaupt nicht.« Sie fing an, in ihrer Tasche herumzugraben, und zog einen nagelneuen Ordner heraus. Ich konnte mich kaum daran erinnern, wann ich das letzte Mal für einen Kurs einen neuen Ordner gekauft hatte. Ich war eher ein Anhänger der Recyclingtheorie. »Das war wirklich peinlich.«

»So solltest du es nicht sehen.«

»Du hast leicht reden. Du bist derjenige, der angebumst wurde. Ich war diejenige, die gebumst hat.«

Mir blieb der Mund offen und ein Lachen im Hals stecken, weil mein Hirn das Wort »bumsen« auf die schmutzigste Weise deutete. Sofort musste ich meine Beine ein wenig spreizen, um wieder bequem zu sitzen. Mit diesem Kommentar ließ sich so viel anfangen. Hundert mögliche Antworten lagen mir auf der Zunge. Manche hätten sogar eine Stripperin rot anlaufen lassen. Doch ein Blick auf Shortcake verriet mir, dass das keine gute Idee gewesen wäre.

Ihr Kopf war so rot wie der Deckel des Ordners, den sie im Moment anstarrte. Das Mädel … verdammt, sie war so unbeholfen – liebenswert unbeholfen. Ich fragte mich, ob sie wohl während der Highschoolzeit zu Hause unterrichtet worden war.

Ich suchte nach einer Erklärung für ihr Verhalten, während ich gleichzeitig darüber nachdachte, wie verdammt süß und unterhaltsam ihre Unbeholfenheit war. »Raphael geht es übrigens prima.«

Ein kleines Grinsen erschien auf diesen attraktiven Lippen. »Das ist schön. Hat er dir auf die Hand gepieselt?«

»Nein, aber es war knapp. Habe dir etwas mitgebracht.«

»Schildkrötenpipi?«

Ich lachte, amüsiert von ihrer Schlagfertigkeit. Dann zog ich den Lehrplan heraus und entdeckte dabei die Cookies in meiner Tasche. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber nein. Das ist unser Lehrplan. Ich weiß. Total prickelnd, aber ich dachte, nachdem du am Montag nicht zum Kurs gekommen bist, würdest du einen brauchen. Also habe ich mir den hier vom Professor für dich geholt.«

»Danke. Das war sehr nett von dir.«

»Wappne dich. Ich bin diese Woche insgesamt sehr nett. Ich habe dir noch was mitgebracht.«

Sie fing an, an ihrem Stift zu kauen, als ich meine Serviette herauszog. »Cookie für dich, Cookie für mich.«

Langsam senkte sie den Stift und schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht nötig gewesen.«

Ich hatte ihr ja keinen goldenen Ring geschenkt. »Es ist nur ein Cookie, Süße.«

Wieder schüttelte sie den Kopf, während sie mich anstarrte. Man hätte meinen können, ich hätte ihr Crack angeboten oder irgendwas. Seufzend wickelte ich einen der Cookies in die Serviette und ließ ihn kurzerhand auf ihren Block fallen. »Ich weiß, dass man keine Süßigkeiten von Fremden annehmen soll, aber es ist ein Keks, kein Bonbon. Und grundsätzlich gesehen bin ich kein Fremder.«

Sie starrte mich an.

Ich beobachtete sie, als ich in den anderen Cookie biss. Dann schloss ich die Augen und legte den Kopf in den Nacken, als die schokoladenumhüllten Walnüsse über meine Geschmacksknospen tanzten. Ich stöhnte und wusste dabei genau, was ich tat. Meine Cookies waren so verdammt gut, also war das Geräusch nicht mal übertrieben.

»Ist er wirklich so gut?«, fragte sie.

»Oh, ja! Die sind der Hammer. Das habe ich dir schon gestern Nacht gesagt. Wäre noch besser, wenn ich ein Glas Milch hätte.« Ich biss noch einmal ab. »Mmmm, Milch.«

Ich schwieg, öffnete dabei ein Auge und kämpfte gegen ein Grinsen. Sie beobachtete mich mit leicht offen stehenden Lippen. »Es ist die Kombination aus Walnüssen und Schokolade. Die Mischung ist wie eine Sexexplosion in deinem Mund, nur nicht so schmutzig. Besser als das sind nur diese winzig kleinen Erdnussbutterkuchen aus dem Supermarkt. Man wirft die Mistkerle rein, während der Teig noch warm ist … Na ja, auf jeden Fall musst du einfach probieren. Nimm einen kleinen Bissen.«

Ihr Blick senkte sich auf den Cookie auf ihrem Schoß. Sie atmete tief durch. Dann nahm sie den Keks und biss einmal ab.

Ich konnte nicht aufhören, sie zu beobachten. »Gut, oder?«

Sie biss noch einmal ab und nickte.

»Ich habe noch Massen davon zu Hause. Wollte es nur mal erwähnen.« Mein Blick hatte sich an ihr festgesaugt. Wer hätte gedacht, dass ein Mädchen, das einen Cookie aß, so interessant sein konnte? Als sie sich ihre schlanken Finger an der Serviette abwischte, bewegte ich mich, ohne darüber nachzudenken.

Mein Knie stieß leicht an ihr Bein, und die Wärme der Berührung schien über meine Muskeln nach oben zu gleiten, als ich mich umdrehte, die Hand ausstreckte und ihr die Serviette abnahm. »Brösel.«

»Was?«

Ich fuhr ihr mit dem Daumen meiner leeren Hand über die Unterlippe. Ein Stich von irgendwas schoss meinen Arm nach oben, um dann direkt zu meinem Schwanz weiterzureisen. Sie erstarrte. Ihre Brust hob sich plötzlich, und sie riss die Augen auf. Meine Hand verweilte länger, als es höflich war, doch nicht so lang, wie ich es mir eigentlich wünschte. Ihre Lippe lag weich unter meinem Finger, ihr Kinn glatt an meiner Handfläche. Ich zwang mich dazu, die Hand zurückzuziehen.

Sie hatte keinen verdammten Brösel an der Lippe gehabt. Ich war ein Lügner. Doch ich hatte sie berühren wollen.

»Erwischt«, flüsterte ich.

Sie wirkte durcheinander. Nicht verängstigt, aber nervös. Ich bemühte mich, Schuldgefühle zu empfinden, weil ich sie ungefragt berührt hatte, schaffte es aber nicht. Keine Ahnung, was das über mich aussagte.

Doch dann betrat Professor Drage endlich den Kursraum. Drage war ein seltsamer Kerl. Den grünen Polyesteranzug trug er oft. Als ich den Kurs zum ersten Mal besucht hatte, hatte er ihn abwechselnd mit einem orangefarbenen getragen. Die schwarz-weiß karierten Turnschuhe von Vans und die dazu passende Krawatte hatten sich seit Jahren nicht verändert.

Ich verlagerte mein Gewicht und warf einen kurzen Blick zu Shortcake. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war unbezahlbar. Ich lachte leise. »Professor Drage ist … einzigartig.«

»Das sehe ich.«

Professor Drage legte sofort los. Ich war mir nicht sicher, worum es ging. Ehrlich gesagt, ich passte nicht auf. Das meiste wusste ich sowieso schon, und den ganzen Dreck noch mal zu hören erinnerte mich an mein erstes Semester. Und daran wurde ich nicht gerne erinnert.

In einer Nacht hatte ich quasi mein gesamtes Leben in den Sand gesetzt.

Ich verdrängte diesen Gedanken und fing an zu zeichnen. Bevor ich wusste, was ich da tat, hatte ich Bigfoot gezeichnet, und der Kurs ging in typischer Drage-Manier zu Ende.

Er fing an, Sternenkarten zu verteilen. »Ich weiß, dass heute erst Mittwoch ist, aber hier ist schon einmal eure erste Hausaufgabe fürs Wochenende. Am Samstag soll der Himmel angeblich so klar sein wie ein Babyhintern.«

»So klar wie ein Babyhintern?«, murmelte Avery.

Ich lachte.

»Ich will, dass ihr die Corona Borealis am Himmel findet – am echten, richtigen, tatsächlichen Nachthimmel«, erklärte Professor Drage. »Ihr werdet kein Teleskop brauchen. Benutzt eure Augen oder Brillen oder Kontaktlinsen oder was auch immer. Ihr könnt Freitag- oder Samstagnacht danach Ausschau halten, aber am Freitag ist wechselhaftes Wetter angesagt, also wählt klug.«

»Moment«, meinte jemand in der ersten Reihe. »Wie benutzt man diese Karte?«

Ich gab Shortcake eine Karte und das Rasterpapier.

Professor Drage hielt an und bedachte den Junge mit einem Blick, der ihm eindeutig suggerierte, dass er ein bisschen doof war. »Ihr schaut sie euch an.«

Der Kommilitone schnaubte. »Das habe ich schon verstanden, aber halte ich sie gegen den Himmel oder was?«

»Sicher. Das könntet ihr tun. Oder ihr schaut euch einfach die verschiedenen Konstellationen an, prägt euch ein, wie sie aussehen, und benutzt dann Hirn und Augen, um sie am Himmel zu finden.« Der Professor machte eine kurze Pause. »Oder ihr benutzt Google. Ich will, dass ihr alle anfangt, euch mit der Sterndeutung vertraut zu machen …« Ich blendete den Rest seines Vortrages aus und schaltete mich erst gegen Ende wieder ein. »Also schnappt euch euren Partner und wählt einen Tag. Das Rasterpapier, auf das ihr die Konstellation zeichnet, wird am Montag von mir wieder eingesammelt. Das wäre alles für heute. Viel Glück, und möge die Macht des Universums heute mit euch sein.«

»Partner?« Avery sah sich panisch im Raum um. »Wann haben wir Partner gewählt?«

»Am Montag«, erklärte ich und schob meinen Block in den Rucksack. »Du warst nicht da.«

Shortcake lehnte sich in ihrem Sitz vor und wirkte, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. »Avery?«

Sie atmete mehrmals tief durch, als müsste sie gegen eine Panikattacke ankämpfen.

»Avery.«

Ihr Blick schoss zu der Tür, durch die Drage verschwunden war. Sie umklammerte ihren Block so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

»Avery!«

»Was?«, blaffte sie und riss den Kopf zu mir herum.

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Wir sind Partner.«

Eine tiefe Falte bildete sich auf ihrer Stirn. »Häh?«

»Wir. Sind. Partner.« Ich seufzte. »Anscheinend hat Drage die Studenten am Montag ganz am Anfang des Kurses ihre Partner wählen lassen. Ich kam erst hinterher, und er hat mir erklärt, ich solle mich mit demjenigen zusammentun, der erst am Mittwoch zum Kurs kommt, sonst hätte ich keinen Partner. Und nachdem mir die Idee nicht gefällt, ohne Partner durchs Semester zu gehen, sind du und ich jetzt Partner.«

Sie starrte mich an, als hätte ich gerade Latein gesprochen. »Wir können das auch allein machen?«

»Ja, aber wer will schon nachts allein losziehen und in den Himmel starren?«

»Ich schon.«

Ich stand auf, warf mir meinen Rucksack über die Schulter und ging die Stuhlreihe entlang. »Auf jeden Fall weiß ich den perfekten Platz, um unsere Hausaufgabe zu erledigen. Muss allerdings Samstag sein, weil ich am Freitag schon etwas vorhabe.«

Weil der Freitag mit stinkendem, nervigem Dreck besetzt war.

»Warte.« Sie kam schnell hinter mir her.

»Oder hast du etwa Samstag schon etwas vor?« Moment. Was konnte sie am Samstagabend machen? Ich hätte Freitag wirklich schlecht absagen können, aber … »Nun, ich könnte …«

»Nein. Ich habe am Samstag nichts vor. Aber wir müssen keine Partner sein. Ich kann das auch allein machen.«

Ich hielt vor der Tür an, weil ich mir nicht sicher war, ob ich sie richtig verstanden hatte. »Warum solltest du alle Hausaufgaben – und wenn du dir mal den Kursplan anschaust, gibt es eine Menge davon – ganz alleine machen wollen?«

Sie trat von einem Fuß auf den anderen. »Nun, eigentlich will ich das nicht. Aber du musst nicht mein Partner sein. Ich meine, du schuldest mir nichts oder so.«

»Ich verstehe einfach nicht, was du sagen willst.« Ich verstand wirklich, ehrlich, zu hundert Prozent nicht, was sie sagen wollte.

»Ich meine …« Sie hielt inne, und wieder erschien diese tiefe, V-förmige Falte auf ihrer Stirn. »Warum bist du so nett zu mir?«

Meine Lippen formten die Worte: »Ist das eine ernst gemeinte Frage?«

Shortcake senkte den Blick. »Ja.«

Ich starrte sie an und wartete darauf, dass sie erklärte, dass es doch nur ein Witz gewesen war. Aber das tat sie nicht. Meine Brust zog sich plötzlich zusammen. Da wurde es mir auf eine ganz schmerzhafte, ja wirklich schmerzhafte Weise klar. Shortcake war nicht einfach nur unbeholfen, sie hatte offensichtlich so gut wie keine Freunde. Keine Ahnung, warum mich das so tief traf. Hätte es nicht tun sollen. Ich kannte das Mädchen kaum, und sie in ein Gespräch zu verwickeln war ungefähr so schwierig, wie eine Bombe mit den Zähnen zu entschärfen. Aber es tat mir trotzdem leid.

Wieder mal das Helfersyndrom.

Ich holte tief Luft. »Okay, ich nehme an, ich bin einfach ein netter Kerl. Und du bist offensichtlich neu hier – ein Erstsemester. Am Montag schienst du ein wenig durch den Wind zu sein, und dann bist du weggelaufen, bist nicht in den Kurs gekommen, und ich …«

»Ich will dein Mitleid nicht.« Ihre Stimme klang schrill.

Durch die Unterstellung verfinsterte sich meine Miene. »Ich bemitleide dich nicht, Avery. Ich sage nur, dass du am Montag ein wenig durcheinander wirktest und ich dachte, wir könnten Partner sein.«

Zweifel huschte über ihr Gesicht.

»Aber ich sehe, dass du mir nicht glaubst. Lag es am Cookie? Nun, gestern hast du dich geweigert, meine Cookies zu probieren. Ehrlich gesagt, eigentlich wollte ich den zweiten Cookie auch selbst essen. Aber du sahst so traurig und müde aus, dass ich dachte, du bräuchtest ihn vielleicht dringender als ich.«

Das war eventuell eine Lüge. Es konnte gut sein, dass ich zwei Cookies eingepackt hatte, weil Shortcake vielleicht auftauchen würde. Aber es konnte auch sein, dass ich einfach zu viel in meine eigenen Handlungen hineindeutete.

Sie beobachtete mich, als sei ich ihr ein völliges Rätsel. Also wirklich, so kompliziert war ich gar nicht.

»Und du bist hübsch«, fügte ich hinzu.

Sie blinzelte. »Was?«

Ich bemühte mich, meine Belustigung zu verstecken, doch es gelang mir nicht. Also drehte ich mich um, öffnete die Tür und schob Avery in den Flur. »Erzähl mir nicht, dass du nicht weißt, dass du hübsch bist. Falls doch, verliere ich meinen Glauben an die Männerwelt. Diese Verantwortung willst du nicht auf dich nehmen.«

»Ich weiß, dass ich hübsch bin – ich meine, das habe ich nicht gemeint.« Sie zögerte, um dann leise zu stöhnen. »Ich halte mich nicht für hässlich. Das wollte ich …«

»Gut, dann haben wir das ja geklärt.« Ich zog an dem Riemen ihrer Tasche und führte sie Richtung Treppe. »Achte auf die Tür. Die kann Probleme machen.«

»Was hat mein Aussehen mit dem Ganzen zu tun?«

»Du hast gefragt, warum ich nett zu dir bin. Beiderseitiger Vorteil.«

Ende der Leseprobe