Tu, was dich anlächelt - Katharina Ley - E-Book

Tu, was dich anlächelt E-Book

Katharina Ley

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nur das tun, was uns anlächelt - das klingt gut. Katharina Ley zeigt uns, wie das gelingen kann, wie wir einen befreienden Umgang mit der Vielfalt, dem Nebeneinander von gegensätzlichen Gefühlen, Gedanken, Wünschen, dem ständigen Entscheiden und Wählen finden können: annehmen, Blockaden überwinden - und immer mehr tun, was uns anlächelt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 263

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Katharina Ley

Tu, was dich anlächelt

Von der Qual der Wahl zur Fülle des Lebens

Impressum

© KREUZ VERLAG in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012 Alle Rechte vorbehalten www.kreuz-verlag.de Umschlaggestaltung und Konzeption: Agentur R.M.E Eschlbeck/Hanel/Gober Umschlagmotiv: ©plainpicture ISBN (E-Book): 978-3-451-34642-2 ISBN (Buch): 978-3-451-61070-7

Inhaltsübersicht

Zitat

Einleitung

1. Ein Lächeln schenken – ein Lächeln empfangen

Lächeln: Worum es geht

Die versöhnliche Lebenshaltung

Am Anfang ein Lächeln

Lächeln, wenn es schwierig ist

Ambivalentes Lächeln

Einladung: Lächeln und Achtsamkeit I

2. Ein Gezerre von Gefühlen

Die ganz normale Ambivalenz

Die Ambivalenz von Symptomen und Gewohnheiten

Grenzen und Ambivalenzen anlächeln

Zurück zu den Grenzen

Älterwerden: Revolte und Annehmen

Ambivalente Bedürftigkeiten

Einladung: Lächeln und Achtsamkeit II

3. Auf einmal ist alles anders

Nichts mehr ist wie zuvor

Wer bist du?

Ambivalenz als Qual

Empört euch! Engagiert euch!

Sowohl-als-auch: Ambivalenz als Fülle

Einladung: Lächeln und Achtsamkeit III

Notizen aus einem Lächeltagebuch – oder: Überall, wo es mich verzaubert

4. Wir sind viele

Jeder von uns ist mehrere: Die innere Bühne

Wollen wir überleben?

Zwei, mehrere Selbste: Anschauungen aus Literatur, Film und Kunst

B wie Begeisterung – B wie Brennen – B wie Balance

Viele sein: Die Notwendigkeit, zu verhandeln

Lust, Liebe und Spiritualität

Einladung: Lächeln und Achtsamkeit IV

5. Was ich anlächle – was mich anlächelt

»Am liebsten würde ich lachend sterben«

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Was ich anlächle – was mich anlächelt

Einladung: Lächeln und Achtsamkeit V

Epilog

Dank

Literatur

Anmerkungen

Wenn wir in unserem täglichen Leben lächeln können, wenn

wir friedvoll und glücklich sind, dann geht es nicht nur uns,

sondern auch den anderen Menschen gut.

Das ist die Grundlage der Friedensarbeit.

Thich Nhat Hanh

Einleitung

Es geht in diesem Buch um das Lächeln. Nicht nur – das wäre zu schwierig. Es geht um innere Zerrissenheiten und Ambivalenzen, um Zustände, die wir alle gut kennen. Vor allem interessieren der Umgang und die Überwindung des inneren Gezerres von Gefühlen und des inneren Lärms; die Entwicklung von der inneren Zerrissenheit zum friedvollen Lächeln.

Thich Nhat Hanh: »Wenn wir in unserem täglichen Leben lächeln können, wenn wir friedvoll und glücklich sind, dann geht es nicht nur uns, sondern auch den anderen Menschen gut. Das ist die Grundlage der Friedensarbeit.«

Sowohl der äußere wie auch der innere Friede haben bei jedem einzelnen Menschen zu beginnen. Ich habe das Lächeln gewählt, um eine Möglichkeit aufzuzeigen, mit Zerrissenheiten und Ambivalenzen umgehen zu lernen und immer wieder auf dem Weg der Achtsamkeit – dem nicht wertenden, nicht anhaftenden Wahrnehmen – zu innerem Frieden kommen zu können.

Nicht nur meine eigene Freude am Lächeln und am Lachen und die Erfahrung, dass beide heilende Wirkungen aufweisen, haben mich auf diesen Weg gebracht. Ich verdanke es auch meiner Beschäftigung mit lächelnden Buddhas – lebendigen, lehrenden und Statuen–, dass ich es wage, mich mit diesem Thema zu exponieren. Ich erfahre täglich, dass das Lächeln, das ich aussende, zu mir zurückkehrt. Lächeln verändert das Leben. Lächeln ist Energie. Lächeln ist eine Möglichkeit des Friedens. Dem Lächeln wohnt ein Zauber inne. Dies sind tiefgreifende Erfahrungen, die ich gerne mit vielen Menschen teilen möchte.

Während des Schreibens hatte ich oft das Bild eines geflochtenen Butterzopfes vor mir. Der Teig wird aus zwei Strängen kunstvoll verknüpft. Hier nennt sich der eine Strang Ambivalenz und der andere Lächeln. Und ich versuche, die beiden Stränge kunstvoll und einladend zu flechten.

Kunstvoll: Kunst bedeutet Inspiration, Kreativität und – auch Ambivalenz, Vieldeutigkeit. Kunst bedeutet harte Arbeit und Offenheit für Neues, die sich im gelingenden Fall in einem kunstvollen Produkt zeigt. Kunst impliziert Hingabe und Liebe als Kern. Viele weitere Gefühle gehören dazu – solche, die uns anlächeln, und solche die unsere Gesichts- und Körpermuskeln verkrampfen lassen. Kunstvoll: Das ist die Art, diesen Kosmos von Wünschen und Ängsten in sich zu integrieren.

Einladend: Von einer Leserin oder einem Leser zu hören, dass ich sie in meinen Büchern an die Hand nehme und dass sie das schön und ermutigend finden, hat mich beim Schreiben bewegt. Es tut gut, sich auf schwierigen Pfaden gemeinsam zu bewegen, Erfahrungen auszutauschen und sich immer wieder zu ermutigen und Freude zu teilen. Jede und jeder ist eingeladen, sich mit den Themen der Zerrissenheit und des Lächelns auf eine Art und Weise auseinanderzusetzen, dass ein inneres Wachsen und Reifen möglich wird.

Es folgen nun in freier Abfolge Ausführungen zum Lächeln und zur Ambivalenz; und zum Lächeln als einer Möglichkeit, mit Ambivalenz umzugehen – und Frieden zu stiften. Eingeflochten in diese Texte sind fünf Einladungen dazu, sich mit Lächeln und Achtsamkeit zu beschäftigen. Diese Übungen können nach eigenem Gutdünken eingesetzt werden: zur besinnlichen Lektüre, zur Meditation, zum Nachdenken, zum Üben. Auch kann ein einzelner Satz, der dich anlächelt, herausgenommen und in den Alltag mitgenommen werden. Es sind Ermunterungen an die Leserin und den Leser, im meditativen Sinn am Thema dran zu bleiben und vielleicht auch eigene Übungen zu entwerfen, die zu achtsamem Lächeln und Friede einladen und hinführen.

1.Ein Lächeln schenken – ein Lächeln empfangen

Lächeln: Worum es geht

Ein Lächeln schenken: einem Menschen, sich selbst, einer Blume, dem blauen Himmel, dem halben Mond, dem neuen Tag. Einfach so. Wir nehmen Verbindung auf, nehmen wahr und freuen uns darüber. Wir können unsere Wünsche anlächeln und merken vielleicht, dass sie gar nicht in Erfüllung zu gehen brauchen. Oder wir merken, dass wir sie noch eine Weile hegen und pflegen möchten.

Lächeln bedeutet immer, eine Verbindung aufzunehmen. Und zwar eine liebevolle, achtsame, wohlwollende, friedvolle Verbindung – zu sich, zu anderen. Wir sind versöhnlich gestimmt. Auch dann, wenn wir beispielsweise aus irgendeinem Grund unruhig sind. Wir können unsere Unruhe anlächeln. Unserem Atem folgen. Das Licht unserer Achtsamkeit auf die Unruhe richten, geduldig, ruhig, sanft und liebevoll – bis sich die Unruhe allmählich auflöst. Bis sich Friede in uns einstellt.

Lächeln bedeutet: Verbindung, Beziehung. Und Lächeln bedeutet: Ja. Ja, es ist so. Ja, ich akzeptiere das. Und erst wenn wir etwas im Leben akzeptieren, erst dann können wir »es« und damit uns verändern. Tu, was dich anlächelt – und lächle zurück. Alles Negative im Leben anlächeln, einfach so, das geht nicht. Angelächelt werden und das zu erleben – auch das fällt einem nicht einfach in den Schoß. Tu, was dich anlächelt! Aber wie denn? Wach sein, offen sein, das Lächeln üben, auch die Ungewissheit anlächeln, die Angst, die Ambivalenz – das kann und darf gelingen.

Tun, was uns anlächelt – das klingt verheißungsvoll. Vielleicht steckt dahinter eine Liebeserklärung an das Leben. Wir schenken jedem neuen Tag und uns selbst Vertrauen. Wenn wir uns zu entscheiden haben, dann verschenken wir mit unserem Lächeln einen Vorschusskredit. Einfach so. Und wir versuchen nur das zu tun, was uns anlächelt.

Jeder neue Tage bringt uns an Aufgaben und Dinge heran, die wir tun müssen – und die uns nicht anlächeln und wir sie auch nicht. Es sind die sogenannten Pflichtübungen, die zu unseren Alltags-, Berufs-, Partner-, Eltern- und anderen Verantwortungen und Pflichten gehören. Sie sind unabdingbar. Die Frage ist, ob wir auch das Notwendige mit einem Lächeln bewältigen können. Es geht um die grundsätzliche, wohlwollend-liebevolle Haltung unserem Tun – und Lassen – gegenüber.

»Frieden ist jeder Schritt.

Die strahlend rote Sonne ist mein Herz.

Jede Blüte lächelt mit mir.

Wie grün, wie frisch alles ist, was wächst.

Wie kühl der Wind weht.

Frieden ist jeder Schritt.

Er verwandelt den endlosen Weg in Freude.«1

Bei diesen Worten sehen wir einen Menschen vor uns, der mit offenem, friedvollem Herzen durch eine Landschaft geht, staunt und sich freut. Freude an jedem Schritt, Freude an der Sonne und den Blüten, dem Wachstum und dem Wind. Freude an jeder kleinen und größeren Äußerung der Natur. Jede Blüte lächelt diesem Menschen zu und wir sind sicher, dass dieser Mensch jeder Blüte zulächelt. Es ist ein Bild des Friedens.

Kennst du das?

Möchtest du das erleben?

Es fängt mit einem Lächeln an.

Wir haben verschiedene Stimmen und Seiten in uns. Wem wir ein Lächeln schenken und was uns anlächelt, ist nicht immer eindeutig. Es kann mehrdeutig sein. Es scheint, dass sich diese Mehrdeutigkeit in unserer heutigen Gesellschaft verstärkt hat. Es werden so viele, teils widersprüchliche Erwartungen an uns gestellt. Zudem sind unsere Wahlmöglichkeiten gestiegen, und zwar in einem Maß, das uns täglich vor verschiedene Optionen stellt und damit überfordert. Gleichzeitig haben die Unsicherheit und auch die Ungewissheit darüber, was wir als Ergebnis zu erwarten haben, massiv zugenommen. Qual der Wahl. Mehrdeutigkeit anstelle von Eindeutigkeit. Verwirrung anstelle von Klarheit. Ein permanentes Gezerre von Gefühlen, aus dem wir herauskommen möchten. Man selbst erlebt sich widersprüchlich und die Welt sowieso.

Es gibt gar nichts zu lachen. Und zu lächeln auch nicht. Das meinen wir vielleicht.

Ein Beispiel: Rina erzählt, wie sie seit vielen Jahren meditiert. Es ist ihr inzwischen zu einem echten Bedürfnis geworden und sie merkt, dass sie gelassener und friedvoller geworden ist. Doch: »Es gibt keine Garantien für den inneren Frieden. Gestern war so ein Tag. Montagmorgen. Der Alltag und die Arbeit. Und einige Pannen am Computer. Unangenehme Mails. Und eine schmutzige Wohnung. Und ein Krankenbesuch, der sein soll, aber zentnerschwer aufs Herz drückt. Und eine Reise-Entscheidung, die nicht getroffen werden kann. Furchtbar. Ich erlebe selten solche Situationen, aber jetzt war das Elend da. Schwer auszuhalten in der Kumulation von Schwierigkeiten.

Was tun?

In Gedanken ging ich meine symbolische Werkzeugskiste durch.

Schritt für Schritt die Dinge anpacken? Das ging einfach nicht. Einen spirituellen Text lesen? Jetzt? Dann bliebe alles unerledigt liegen, meinte ich in diesem Moment. Meditieren? Das ging an diesem Morgen auch nicht. Die innere Unruhe war zu groß. Auch ins Fitnesscenter wollte ich jetzt nicht gehen. Nicht weglaufen. Mit einer Freundin telefonieren? Das ging und das tat gut, weil es der Freundin so gut ging. Es war ein Gespräch mit geteiltem Leid, das halbes Leid ist, und geteilter Freude, die doppelte Freude ist. Die Freundin hörte sich geduldig alle meine Probleme an und im Erzählen merkte ich, dass ihre Geduld, ihre Zuwendung und ihre Lebensfreude mich ansteckten. Ich spürte, dass ich leichten Herzens diesen Krankenbesuch machen wollte, Ja, ich wollte das. Noch während des Gesprächs begann es in mir zu lächeln. Ich lächelte meine Freundin an. Ich lächelte mich und mein Elend an. Das Elend begann sich zu verwandeln. Es war kein Elend mehr, sondern Alltag. Nach dem Telefon legte ich eine schöne Musik auf und fing, o Wunder, leichten Herzens zu putzen an. Ich versuchte mich mit warmem Herz auf den Krankenbesuch innerlich vorzubereiten. Ich steckte mir ein schönes Buch über Sterben und Tod in den Rucksack und staunte, dass es das gibt: eine Frau, Monika Renz, die mir auf dem Foto entgegenlächelt und in ihrem Buch »Hinübergehen« von Verstehen, von Staunen und von seelischem Wachstum spricht.

Nun würde ich die Reise-Entscheidung fällen. Ich lebte und war gesund. Wie hatte doch meine Freundin am Telefon gesagt: »Wir sind, was wir denken.« Kein Rezept für alle schwierigen Situationen, aber eine tiefe Weisheit. Und sie hatte noch gesagt, ich solle nach unserem Gespräch meinem Spiegelbild im Spiegel freundlich entgegenlächeln.

Viele heutige Menschen leiden darunter, dass sie Mühe haben, sich zu entscheiden. Sie können in für sie wichtigen Themen keine klare Position einnehmen. Sie sind hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Positionen und Perspektiven und fühlen die Not, nicht zu einer Klarheit zu gelangen. Wenn sie sich dann endlich aufraffen, meldet sich möglicherweise eine andere innere Stimme, die gerade wieder für das Gegenteil der vermeintlich getroffenen Entscheidung steht. Das kann verunsichernd und zuweilen auch qualvoll sein. Vor allem dann, wenn ein Mensch denkt, dass er die eine Klarheit unbedingt haben müsste. Das Lachen und das Lächeln sind einem dabei schon längst vergangen.

Mir geht es um einen neuen Blick auf dieses Gezerre, auf Zerrissenheit und Widersprüche. Und auf die verschiedenen Möglichkeiten, daraus herauszukommen: persönlich, in Beziehungen, in der Familie, im Alltag. Es ist ein versöhnlicher Blick: ja, wir Menschen stehen immer wieder an unübersichtlichen Wegkreuzungen. Ja, das Leben zerrt. Die Widersprüche drohen uns aufzureiben. Der neue Blick achtet auf das halb volle, und nicht auf das halb leere Glas. Er achtet auf die Fülle und nicht den Mangel. Er achtet auf die Vielfalt, die Reichtum bedeuten kann.

Der neue Blick wird von einem Lächeln begleitet.

Empfangen und schenken. Schenken und empfangen.

Nehmen ist seliger als Geben.

Ich nehme mir ein Lächeln und schenke es dir.

Und ich beschenke gleichzeitig mich.

Es geht um die Balance.

Balance ist Frieden.

Die versöhnliche Lebenshaltung

Seit vielen Jahren plädiere ich für eine versöhnliche, liebende Lebenshaltung – sich selbst und den anderen gegenüber. Das Leben ist ein Geschenk und eine unerhörte Herausforderung. Selbst dann, wenn alles beschwerlich ist, sich schmerzvoll anfühlt, selbst wenn es für eine Weile einfach vor allem wehtut und als Zumutung erlebt wird: Das Leben will gelebt und das Leiden gewürdigt werden.

»Ich bin eine Vagabundin. Mein Haus ist die Welt. Mir gefällt es überall. Das Leben ist eine Vagabunderei. Ich kann überall glücklich oder unglücklich sein. Ich möchte glücklich sein«, singt eine Freundin in einem ihrer Lieder.

Eine andere Freundin hat mir vor Jahren erzählt, dass ihr ihre Mutter in den letzten drei langen Jahrzehnten ihres Lebens immer wieder geklagt habe, wie schwer doch das Leben und insbesondere das Älterwerden sei. »Es isch kän Schläck« (Es ist kein Schleck; es ist nicht einfach). Da beschloss die Tochter, ihr Älterwerden werde »en Schläck« werden; es werde gelingen. Es wurde zu ihrem Lebensmotto fürs Alter. Meine Freundin ist nun Mitte siebzig, gesund, lebensfroh, kreativ und glücklich. Als sie kürzlich schwer krank war, hat ihr das Lebensmotto entscheidend geholfen, den Lebensmut zu behalten.

Wir können uns jeden Morgen entscheiden, ob wir glücklich oder unglücklich sein wollen. Das ist doch unglaublich. Das Glück kommt von innen, nicht von außen.

Der Friede kommt auch von innen, aus der Achtsamkeit, aus der Freude.

Nun wage ich eine Erfahrung zu äußern, die nicht unwidersprochen bleiben wird. Wir ganz gewöhnlichen, mehr oder weniger normalen und gesunden Menschen – ich stelle mir meine Leserinnen und Leser vor – machen uns das Leben oft schwerer, als es ist. Und ich höre schon: Das Leben IST schwer. Wie sagte meine Mutter immer: Das Leben ist »’ne Hühnerleiter; man kommt vor lauter Dreck nicht weiter«. Ja, da vergeht einem das Lächeln.

Wir machen uns das Leben schwerer, als es ist? Ist es nicht naiv oder größenwahnsinnig zu meinen, wir können uns jeden Tag für die Qual des Lebens oder für die Fülle des Lebens entscheiden? Vielleicht ist es vermessen. Ich wage es. Ich schenke jedem neuen Tag von Herzen ein Lächeln. Einfach so. Seitdem ich an diesem selbst gewählten Text arbeite, lächle ich mehr und bewusster. Überall. Auf der Straße, in der Praxis, beim Einkaufen, wo es sich ergibt. Und es wirkt Wunder. Es stimmt mich heiter. Ich fühle mich verbunden. Und mein Lächeln wird beantwortet.

Es geht in diesem Buch um das Lächeln. Und um Lebenszustände, in denen das Lächeln nicht so leichtfällt: Zerrissenheiten der Gefühle, Widersprüche in sich, Mehrdeutigkeiten anstatt Eindeutigkeiten. Wenn ich mich an das monatelange Ringen um diesen Text erinnere, dann schenkte ich auch der Zerrissenheit – soll ich es wagen oder nicht? – ein Lächeln. Sonst wäre ich wohl verzweifelt oder hätte alles weggeschmissen.

Es interessiert mich brennend, wie die Menschen mit sich und mit anderen Menschen umgehen. Es berührt und bewegt mich, was in der Gesellschaft, auf unserem Planeten, in den Menschen und mit den Menschen vor sich geht. Jeden Tag. Jede Nacht. Ständig. Die Zeit, in der wir leben, prägt mich. Ich gehöre dazu, zum großen Ganzen. Ich bin eine Zeit- und Menschen-Genossin. Weil mich das alles angeht, versuche ich so viel wie möglich zu verstehen. Ich bin Zeugin. Und ich bin Akteurin.

Durch meine therapeutische Arbeit bin ich täglich aufgefordert, mich auf die andere Seite zu stellen, auf die Seite meiner Klientinnen und Klienten – und gleichzeitig gut und aufmerksam bei mir zu sein. Das ist bereichernd und befreiend. Ich lasse mich gerne auf alle möglichen und unmöglichen Themen ein. Nicht immer erkenne ich meine eigenen Lebensthemen selbst. Manchmal werden sie mir erst bewusst, wenn ich mich auf die andere Seite stelle und jemand zu verstehen versuche, »indem ich in seine Mokassine steige«. So erging es mir mit dem Thema Ambivalenz. Widersprüchlichkeit. Zerrissenheit.

Ambivalenz – was für ein Wort. Ambivalenz als Qual. Sich nicht entscheiden wollen und können. Gefangen sein, und nicht wissen, welchen Weg wir einschlagen wollen. Das ist die eine Seite. Ambivalenz als Fülle – das ist die andere Seite. Wählen oder laufenlassen? Lachen oder weinen? Anlächeln oder angelächelt werden? Beides eben. Beides ist gleichwertig. Der achtsame Blick wertet nicht. Die Spannung aushalten. Keine voreiligen Vereinfachungen. Wir alle haben – mindestens – zwei Seelen in unserer Brust. Oder mehr. Wir haben innere Kinder, die sich Gehör verschaffen wollen. Viele sind wir.

Wenn einem kleinen Kind etwas Unerwartetes, Überraschendes geschieht – es verliert das Gleichgewicht, es erschrickt, ein plötzlicher Lärm irritiert–, so weiß es gar nicht, was es fühlen soll. Soll es lachen oder weinen? Soll es sich fürchten oder sich freuen? Im kleinen Gesicht kann sich alles miteinander ankünden: lachen und weinen, Furcht und Freude. Und vor allem Ratlosigkeit. Vielleicht schaut sich das Kind nach einer erwachsenen Person um, in deren Gesicht es lesen könnte, was nun angebracht ist. Der Erwachsene ist leitend und Vorbild in der Erziehung der Gefühle.

Soll ich jetzt lachen oder weinen? Das können sich auch Erwachsene fragen. Nicht nur Kinder. Manchmal geht ein Lachen in ein Weinen über. Oder ein Weinen in ein Lachen. Die beiden sind nahe beieinander. Und diese emotionalen Ausbrüche sind ja auch schon hoch ambivalent. Einerseits geschehen sie uns, wir erleiden sie. Anderseits können wir versuchen, sie ein bisschen zu kontrollieren – weil eben auch die soziale Kontrolle eine Rolle spielt in solch emotionalen Situationen.

»Durch die andere Seite« – meine Freundinnen und Freunde, meine Familie, meine Klienten – bin ich unausweichlich auf die Ambivalenz, auf die Zerrissenheit gestoßen. Und ich habe sie dadurch auch bei mir selbst klarer wahrnehmen und grundsätzlich bejahen können. In meiner psychotherapeutischen Praxis kommt mir die Ambivalenz vorerst fast ausschließlich als Qual, als schwer erträgliche Zerrissenheit entgegen. Und hier, an dieser Stelle, setzt mein folgender Text ein. Ich erfahre, dass Ambivalenz ausgehalten werden kann. Und sie kann von der Qual zur Fülle werden. Und weil es möglich ist, die Qual in Fülle zu verwandeln, habe ich eines meiner Lieblingsthemen als roten Faden in den Text eingebaut: das Lächeln. Es mag simpel klingen, wenn ich empfehle, die Qual anzulächeln. Doch habe ich ein ganzes Buch lang Zeit und Raum, um das zu erläutern – und um die Leserin und den Leser zum Lächeln einzuladen. Tu, was dich anlächelt.

Wir alle haben viele unterschiedliche Stimmen in uns. Später werden wir in diesem Buch darüber lesen, wie diese verschiedenen Stimmen in uns zu verschiedenen Ich-Zuständen von uns gehören. Viele sind wir. Alle diese Stimmen wollen gehört werden. Alle haben sie uns etwas zu sagen, selbst wenn sie sich widersprechen. Ich fühle die unterschiedlichen Stimmen. Und dazu die Qual, diesen Stimmen ein Ohr zu leihen oder mich gar für eine Option zu entscheiden. Eines wurde mit der Zeit klar: Ich wollte es versuchen, und zwar im Erleben von Zerrissenheit als Qual bis hin zur Fülle. Und zum Lächeln. Ich darf wählen.

Kann ich es?

Das Lächeln hat mich seit je fasziniert.

Ich erlebe, dass ein versöhnlicher, liebevoller Blick auf das Leiden in uns eine ungeahnte Wirkung haben kann. Ich akzeptiere. Ich nehme an. Ich kann mich erst verändern, wenn ich mich annehme.

Wer bewusst andere anlächelt und darauf sensibilisiert ist, wer und was ihn und sie anlächelt – dieser Mensch erlebt eine höhere Lebensintensität jenseits von Verpflichtungen, Zwängen, Ängsten, Zwiespältigkeiten: jetzt, in diesem Augenblick. Wie sagte doch Henry de Montherlant: »Le malheur est presque toujours le signe d’une fausse interprétation de la vie« – »Das Unglück ist fast immer das Zeichen einer falschen Interpretation des Lebens.« In anderen Worten formuliert: Stolpersteine im Leben liegen meist in zu hohen Erwartungen, in Wunschbildern und Träumen, wie es sein sollte – und nicht ist. Unglücklichsein ist nicht die Frage der Lebensumstände, sondern der geistigen Befindlichkeit und Übung.

Man scheitert meistens nicht am Realen, sondern an den Illusionen.

Am Anfang ein Lächeln

»Die Mutter verzieht den Mund zu einem Lächeln, worauf das Baby die Lippen entspannt und leicht den Mund öffnet. Die beiden lächeln sich an. Dann strahlt das Baby und bewegt den Kopf zur Seite, fast so, als wollte es flirten.«2

Säuglinge kommen mit einem Schrei, einem Luftholen zur Welt und noch nicht mit einem Lächeln. Doch bereits wenige Stunden nach der Geburt imitiert ein Baby den mimischen Gesichtsausdruck des Gegenübers. Es streckt die Zunge heraus, runzelt die Stirn, bewegt die Lippen – und lächelt. Der Gesichtsausdruck belebt sich und erzeugt im Baby Empfindungen, die denen des Gegenübers entsprechen – und umgekehrt. Die Lächelspiele sind die vorsprachlichen Gesprächsrunden und dienen dem Kennenlernen und der Verständigung. Es ist Kommunikation auf der einfachsten Ebene und zugleich von einer wundersamen Komplexität. Beides. Ambi-valenz, direkt aus dem Lateinischen übersetzt wäre es die »Von zwei Seiten-Kraft«.

Nicht zufällig spricht man vom Kindchenschema und von der Babysprache. Babys verleiten Erwachsene zu einem melodischen, freundlichen Sprechen in einer eher hohen Stimmlage. So kommunizieren Baby und Erwachsene mit Blicken, Berührungen, Lächeln und eben diesem Babysprechen. Sie führen ein Gespräch ohne Worte, beziehungsweise das Baby gurrt und gibt Laute von sich. Es geht um Gefühle, um Harmonie, um Vertrauen, um Beruhigung und Zuneigung. Im guten Fall sind die beiden einander zugewandt und glücklich. Im Augenblick. In der gefühlsmäßigen Abstimmung und Harmonisierung. Dies sind die Momente, die Verbindung und Beziehung stiften.

Und natürlich kann es anders laufen. Nicht alle Kinder sind erwünscht. Nicht jede Zeugung, Schwangerschaft und Geburt laufen unter guten Umständen ab. Es ist immer ein Wunder, wenn das Zusammenspiel gelingt und die Freude wechselseitig ist.

Die Neugeborenen sind sensible und starke kleine Wesen zugleich. Es gibt Untersuchungen darüber, wie beispielsweise das Baby reagiert, wenn das Gesicht der Mutter plötzlich, aus irgendeinem Grund, erstarrt. Das Baby erschrickt, weint, zieht sich zurück. Die Abstimmung aufeinander besteht nicht mehr. Das Baby ist abhängig vom Gesichtsausdruck der Mutter, der anderen.

Ein Beispiel: Goleman berichtet von einer Situation im Supermarkt, als er selbst 2- oder 3-jährig war. Eine fremde Frau lächelte ihm als süßem kleinem Jungen zu. Er hat nie vergessen, dass sein Gesicht sich ebenfalls zu einem Lächeln verzog. Kein gewolltes Lächeln. Der erwachsene Forscher Goleman wird darüber berichten, wie ihn diese Frau im Supermarkt zu einem Lächeln gezwungen hat; und dass ihn das auf eine Art getroffen hat, die er nie vergessen hat.3

Dies ist hirnbiologisch erklärbar. Die sogenannten Spiegelneuronen in unserem Hirn lösen den Impuls zur Imitation aus. Unwillkürlich. Sie sorgen dafür, dass Gefühle ansteckend sind. Und letztlich bilden sie die Basis unseres menschlichen Lebens als soziale, aufeinander bezogene Wesen. Wir sind im besten Fall durchlässig, beeinflussbar, im Kontakt, im Austausch. Im unguten Fall werden unsere Gefühle ausgebeutet, wir fühlen uns beraubt. Das obige Beispiel zeigt dies auf.

Man spricht oft von Mutterliebe und Mutterhass – selten von Vaterliebe und Vaterhass. Bei Müttern wird durch die Nähe zum Kind eine differenziertere Sensibilisierung für Ambivalenzerfahrungen sowie für den Umgang damit angenommen. Doch die Geschlechtsrollen und die Kinderbetreuung sind im Wandel. Wir befinden uns in einer historisch neuen Phase, in der sich zunehmend Väter wie nie zuvor um ihre Kinder bemühen.

Die Spuren, die unsere Kindheit in uns hinterlässt, sind vor allem in unserem Bindungssystem zu beobachten; in neuronalen Netzen, die ein Leben lang immer ins Spiel kommen, wenn wir mit Menschen umgehen, die uns wichtig sind. Sichere Bindung als Kind bedeutet später ein Gefühl der Sicherheit, weder Anklammern noch Wegstoßen. Bei früher Vernachlässigung und Missachtung ergeben sich Ängstlichkeit und Vermeidungsverhalten in Beziehungen. Bei ambivalenter Bindung resultieren Wut und Zärtlichkeit, Ängstlichkeit und Unsicherheit.

Die Disposition zum Lächeln ist angeboren, bedarf aber der Aktivierung. Lächeln ist kulturunabhängig. Das kulturspezifische Moment zeigt sich im Gebrauch und der Interpretation von Lächeln.

Aus Forschungen ist bekannt, dass ein Kind in der Regel vierhundert Male lächelt am Tag. Beim Erwachsenen sind es täglich noch fünfzehn bis zwanzig und am Arbeitsplatz vier bis sechs Male.4 Am Anfang des Lebens ein Lächeln, viele Lächeln – danach wenige Lächeln.

Und ein kleiner technischer Exkurs:

Der Forscher Paul Ekman hat in einem Selbstversuch achtzehn verschiedene Arten des Lächelns herausgefunden. Sie werden von fünfzehn Gesichtsmuskeln in unterschiedlicher Kombination dann hervorgerufen, wenn für die betreffende Person eine Neigung zu einem Lächeln verspürt wird. Lächeln ist also psychologisch und physisch höchst nuancenreich. In der Regel bedeutet Lächeln, eine Verbindung aufzunehmen, bedeutet Freude, Wohlwollen, Freundlichkeit.

Ekman war noch der Meinung, dass sich die global verbreiteten Emotionen Glück, Trauer, Wut, Angst, Überraschung, Ekel und Verachtung auf der ganzen Welt in derselben Weise in den Gesichtern ausdrücken. Heute geht man von klaren kulturellen Unterschieden aus; insbesondere zwischen westlichen Ländern und Ostasiaten. Europäer orientieren sich am Gesichtsausdruck als entscheidendes Fenster zu den Gefühlen. Ostasiaten achten mehr auf die Stimme und können sich hinter einem Lächeln verstecken.5

Lächeln, wenn es schwierig ist

Alles, was aus Liebe zustande kommt, lebt.

Anne Michaels

Wir ersehen aus den Schilderungen über die Anfänge des Lächelns, dass ganz vieles in den frühesten Beziehungen stimmen muss, damit ein Kind lächelt. Damit ein später erwachsener Mensch eine so liebevolle und sichere Bindung ans Leben, an Menschen, an die Natur hat, dass er lächeln und anlächeln kann. Und dass er von Menschen und Dingen angelächelt werden kann – achtsam, wach.

Doch auch im Erwachsenenalter gibt es gottlob ja noch Möglichkeiten, Defizite aus der Kindheit ein Stück weit auszugleichen: durch gute Beziehungen, sei es eine Freundin, ein Lebenspartner, eine Therapeutin.

Wie kommen wir dazu, zu lächeln und angelächelt zu werden? Wir Menschen von heute, die in vielen, allzu vielen Verpflichtungen stecken, die so viel wollen und sollen und müssen. Wir, die wir uns in der unübersichtlichen Mannigfaltigkeit und Zufälligkeit unseres Lebens zurechtzufinden haben. Wir, die wir mit einer ungemeinen Dichte an Kommunikation und an Menschen umzugehen haben. Dichtestress. Wir, die wir ambivalente Bedürftigkeiten spüren, die uns manchmal nicht bewusst sind, und uns manchmal zerreißen. Wollen wir uns anlehnen oder freistrampeln? Wollen wir Stille haben oder im Strom schwimmen? Oft scheint es auch schwierig zu klären, ob die Verpflichtungen von innen, von uns aus kommen oder uns scheinbar oder wirklich von außen zugemutet werden. Und schon gar nicht klar ist, wie wir diese Ambivalenzen und Verpflichtungen überwinden und verwandeln können.

Ein Beispiel. Ich gehe auf einer fremden Straße dahin. Die Umgebung wirkt etwas unheimlich. Ein Mann kommt mir entgegen. Es ist eine ängstigende Situation. Was soll ich tun oder lassen? Den Gehsteig wechseln? Einfach meinen Weg fortsetzen? Ich setze meinen Weg fort. Was sonst? Der Mann, der mir entgegenkommt, ist nun schon recht nahe. Ich erkenne sein Gesicht und darauf ein breites Lächeln. Und schon ist er vorbei. Ich atme auf. Er hat mir wohl meine Angst angesehen und mit seinem Lächeln Entwarnung geben wollen: Es ist alles gut.

Und ein weiteres Beispiel. Meine Freundin Cristina sitzt wartend in ihrem Auto. Die Scheiben sind heruntergelassen. Es ist das Stadtzentrum von Johannesburg in Südafrika, ein kriminalitätsgebeutelter Ort. Ein schwarzer Mann nähert sich. Cristina ist sofort hellwach, angespannt. Ihr Gesichtsausdruck muss sich verändert haben. Der schwarze Mann sagt: »Sie glauben bestimmt, dass ich sie ausrauben will, Madam. Dem ist aber nicht so. Ich wollte nur fragen, ob sie einen Gärtner brauchen.«6

Der Riese Tur Tur ist umso größer je weiter weg er ist. Wenn man Tur Tur von Weitem sieht, ist er riesig. Doch er ist ein Schein-Riese. Wenn man näher kommt, wird er immer kleiner. Wenn wir vor ihm stehen, ist er gleich groß wie du und ich. Tur Tur ist ein Schein-Riese. Und er ist sehr einsam. Und wenn er einsam und weit weg ist, dann ist er eben riesengroß und macht allen Angst. Er sehnt sich so nach Nähe. Aber erst wenn jemand wagt, ihm näher zu kommen, merkt er, dass der Riese nur ein Schein-Riese ist – der Nähe sucht, und ein Lächeln, und Zuneigung.7

»Siehst du den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehn«, befand Matthias Claudius.

Was wir wahrnehmen, ist oft anders, als wir meinen. Unsere Wahrnehmung ist begrenzt.

Unsere Gefühle setzen uns Grenzen. Angst schüchtert ein. Misstrauen engt ein. Wir sind oft zerrissen, widersprüchlich, ambivalent. Sollen wir nun das eine oder das andere tun? Uns dem Mann auf der Straße und dem Riesen Tur Tur nähern oder ihm ausweichen? Wie entscheiden wir uns? Erleben wir die Zerrissenheit nur als Qual und entscheiden uns aufgrund unserer Angst zu Flucht oder Standhalten?

Wir Menschen sind keine Zauberer. Viele von uns haben schwere Lasten aus den frühesten Lebensmonaten, aus Kinder- und Jugendjahren zu tragen. Ich erlebe in meiner Praxis und in meinem Leben täglich das Leiden von Mitmenschen, die in ihren frühen Jahren zu wenig Liebe und Betreuung erfahren haben. Die Belastungen drohen jede Lebensfreude zu erdrücken. Hinzu kommt, dass die Ängste, Sorgen und Nöte, die Zwiespalte und Vorwürfe, die sich Menschen oft machen, ungleich stärker wiegen als die faktische Situation. Es ist damit eine doppelte Belastung, die erlebt wird: die reale schwierige Situation und die Sorgen und Illusionen, die ein Mensch sich macht und die sich zu verselbstständigen drohen. In solchen Situationen ist eine therapeutische Behandlung empfehlenswert. Es braucht eine kompetente, wohlwollende Begleitung, um sich seinen Problemen anzunehmen.

Anstehende Probleme werden von den meisten Menschen von der negativen Seite, von der Abwehr her betrachtet. Ich plädiere für den Blick auf die Fülle, auf das Mögliche, auf die Wünsche und nicht auf die Abwehr.

Das Lächeln: Es wird auch ins Lächerliche gezogen. Wieso eigentlich? »Lächle oder stirb«, heißt Barbara Ehrenreichs Buch über die von ihr behauptete Verdummung der Welt durch die Ideologie des positiven Denkens. Sie ist nur eine von ganz vielen, die das Lächeln mit dem positiven Denken gleichsetzen und das Kind mit dem Bade ausschütten. Lächeln ist auch nicht einfach Glück und schon gar nicht Verdummung. Lächeln meint, eine achtsame, friedvolle Beziehung aufzunehmen: zu sich, zu anderen.

Ein Lächeln schenken – auch dem Gezerre von Gefühlen in uns, auch den Widersprüchen, den Ambivalenzen in uns, den Nöten und Ängsten, die ebenso zu unserem Leben gehören wie das Lächeln. Es sind nicht nur die Wehen und Qualen in unserem Innern, die uns oft das Lächeln und Lachen vergessen lassen. Oft ist zu viel da. Platzmangel, Dichtestress, Erschöpfung und noch vieles andere, was nicht einfach angelächelt werden kann.

Wir leben in einer Welt voller Gewalt, mit Einschüchterung, Unterdrückung, Armut, Vertreibung. Die tägliche Zeitungslektüre, das Radio anhören, die Bilder im Fernsehen – sie offenbaren uns ein Schreckenskabinett, dringen in uns ein, erschrecken und beelenden uns.

Da klingt es verwegen, sich mit dem Lächeln zu beschäftigen. Tun wir es trotzdem.

Nicht mit dem TV-Lächeln, nicht mit den Verlogenheiten und Raffinessen, nein, mit dem Lächeln, das von Herzen kommt.

Was heißt das? Wir suchen die Stille. Wir achten auf unseren Atem. Wir üben uns in Mitgefühl, in Solidarität. Wir sind da. Das Lächeln entsteht im Herzen.

Ein Lächeln schenken: Das ist das Gegenmittel zum Gift der Gewalt und Gewaltrhetorik, zu den täglichen Szenarien von Katastrophen – von Menschen gemachten und naturbedingten. Oder wie es Barack Obama bei der Trauerfeier der Mordopfer von Tucson in Arizona im Januar 2011 sinngemäß ausgedrückt hat: Durch das Gedenken der Mordtat soll unser Instinkt der Empathie geweckt werden. Wir haben angesichts der sinnlos Ermordeten die Aufgabe, zu besseren Menschen zu werden, eine bessere Welt zu schaffen. Und wir sollen auf der Höhe dessen sein, was – als ein Beispiel – die am 11.September 2001 geborene Christina, jetzt ermordet, vom Leben und von den Menschen erwartet hat.