U-Bahn-Kurzgeschichten - Clara Vocuss - E-Book

U-Bahn-Kurzgeschichten E-Book

Clara Vocuss

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Beschreibung

Was wäre, könnten wir für einen kurzen Moment die Gedanken der anderen hören und deren Gefühle wahrnehmen, losgelöst von unserem eigenen Erleben und Erlebten? Und könnten wir dann darüber hinaus etwas über uns erfahren, wenn wir still in uns hineinlauschen? Haben unsere Fantasien über eine Situation oder dem jeweiligen Mitmenschen etwas damit zu tun, was wir in der Vergangenheit erlebten, uns selbst für die Zukunft erhoffen oder sogar über uns denken? Könnten wir dann und wann angeregt werden, unseren Blickwinkel zu erweitern? Leben wir nicht im Großen und Ganzen in unserem eigenen Kopfkino? Sind wir darin gefangen? Ist der gegenwärtige Moment nicht einfach nur, wie er eben ist, frei von jeglichen Bewertungen? Sind es nicht wir selbst, die letztlich Beurteilungen hinzufügen, oftmals ohne sie zu hinterfragen? Viele Fragen über die es sich lohnt nachzudenken, hie und da, möglicherweise bei der nächsten Fahrt mit der U-Bahn auf dem Weg von A nach B. Zehn Kurzgeschichten erzählen von ganz normalen Begegnungen in der U-Bahn oder im Bahnhof. Sie wollen zum Nachdenken anregen, seine eigene Gedankenwelt, sein persönliches Kopfkino zu entlarven.

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U-Bahn-Kurzgeschichten

TitelseiteÜber die AutorinProlog1. Feierabend2. Kinderglück3. Schmetterlinge im Bauch4. Jobsuche5. Freundinnen6. Der letzte Arbeitstag7. Schwanger8. Ausgebremst9. Die Firma10. TeenagerEpilogAlte indianische WeisheitImpressum

U-Bahn-Kurzgeschichten

Alltägliches aus dem Leben

Über die Autorin

Ich wurde 1960 geboren. Nach einer erfahrungsreichen Kinder- und Jugendzeit verließ ich zwei Jahrzehnte später meine Geburtsstadt. Das Schicksal holte mich nach einem Vierteljahrhundert zurück zu meinen Wurzeln: Heute lebe ich wieder dort, wo ich einst geboren wurde.  All die Jahre war ich wohl unbewusst auf der Suche nach etwas. Die innerliche Unruhe wuchs, ebenso der äußere Druck. Ein Burnout zeigte mir auf drastische Weise, dass es endlich Zeit ist, sich meinem Herzen zu widmen. Seit jeher verspüre ich den inneren Drang, durch Worte Impulse zu setzen. Ich möchte zum Nachdenken anregen und zum Über-den-eigenen-Tellerrand-blicken inspirieren.

Mit meinem ersten kleinen Debüt: U-Bahn-Kurzgeschichten beginnt der erste Schritt auf meiner neuen Reise und es werden weitere Schritte folgen.

Prolog

Was wäre, könnten wir für einen kurzen Moment die Gedanken der anderen hören und deren Gefühle wahrnehmen, losgelöst von unserem eigenen Erleben und Erlebten? Und könnten wir dann darüber hinaus etwas über uns erfahren, wenn wir still in uns hineinlauschen? Haben unsere Fantasien über eine Situation oder dem jeweiligen Mitmenschen etwas damit zu tun, was wir in der Vergangenheit erlebten, uns selbst für die Zukunft erhoffen oder sogar über uns denken? Könnten wir dann und wann angeregt werden, unseren Blickwinkel zu erweitern? Leben wir nicht im Großen und Ganzen in unserem eigenen Kopfkino? Sind wir darin gefangen? Ist der gegenwärtige Moment nicht einfach nur, wie er eben ist, frei von jeglichen Bewertungen? Sind es nicht wir selbst, die letztlich Beurteilungen hinzufügen, oftmals ohne sie zu hinterfragen? Viele Fragen über die es sich lohnt nachzudenken, hie und da, möglicherweise bei der nächsten Fahrt mit der U-Bahn auf dem Weg von A nach B.

 Zehn Kurzgeschichten erzählen von ganz normalen Begegnungen in der U-Bahn oder im Bahnhof. Sie wollen zum Nachdenken anregen, seine eigene Gedankenwelt, sein persönliches Kopfkino zu entlarven.

1. Feierabend

›Warum starrt mich diese junge Blondine so an?‹, denkt Sabine. Sie sitzt in der U-Bahn, auf dem Rückweg von der Arbeit. Wie jeden Tag fährt sie mit der Bahn zur Arbeitsstelle hin und nach Schichtende wieder zurück. Fast täglich, denn zweimal in der Woche hat auch sie frei, aber das ist völlig unterschiedlich und manchmal verschieben sich ihre freien Tage und spontaner Einsatz ist gefragt. Sabine ist Altenpflegerin. Sie liebt ihren Job, daran gibt es keinen Zweifel. Dennoch: Sie sind zu wenig Kollegen und ständig fallen einige durch Krankschreibungen aus. Die Arbeit kann nicht liegenbleiben.Ihre Alten, wie sie die Bewohner in dem Altenheim liebevoll nennt, sind auf die Hilfe der Pflegekräfte angewiesen. Die Zeit für jeden Einzelnen ist ohnehin knapp bemessen. Auch heute fielen wieder Überstunden an.

›Wahrscheinlich fährt sie zu´ner Party. Ganz schönaufgedonnert: die Schminke zu dick aufgetragen und der Rock zu kurz geraten. – OK, sicher Geschmacksache. Aber sich wundern, wenn sie belästigt werden. Na ja, ´ne gewisse Absicht wird wohl dahinterstecken. Könnse sagen, was se wollen. Partymachen eben, den Männern den Kopf verdrehen. – Die stand unter Garantie vorher stundenlang vor ihrem Spiegel und anschließend vorm Kleiderschrank. – Ich hab kaum Auswahl im Schrank. Und Schminken? Für wen? Meinen Alten ist das völlig egal. Hauptsache ich bin da. Leider immer nur für so kurze Zeit. – Geht nicht anders. Irgendwo braucht dich der oder die Nächste. Fast wie am Fließband ist das.‹ Sabine lacht bitter in sich hinein.

Der Zug hat einen weiteren Bahnhof erreicht. Unverdrossen fährt er jeden Tag dieselbe Strecke hin und wieder zurück. Ihm ist es egal, wer für eine gewisse Zeit seine Begleiter sind, auch wenn sie eingeschlafen im Wagon verbleiben, obwohl die Endstation erreicht ist. Er bietet bereitwillig jedem Platz. Tag für Tag. Nur die Zugführer wechseln jeweils zum Dienstschluss. Aber selbst das ist ihm egal, er lässt sich ohne Zögern führen. Er kennt ohnehin seinen Weg.

Leute steigen aus und ein. Sabine fällt auf, dass sich die Altersgruppen neu durchmischen. Waren es bis vor Kurzem hauptsächlich ältere Fahrgäste, die vermutlich auf dem Weg ins Theater oder Konzert sind, füllt sich die Bahn jetzt mit jüngeren Leuten. Einige mit Bierflaschen in der Hand. ›Das gab´s zu meiner Zeit nicht. Schämen würd ich mich? – Vorglühen! Ha! So ein Quatsch! – Was die wohl vorhaben? In die Disco? Nee, noch zu früh. Halt, stopp! Heute heißt es ja Club!‹, gibt sich Sabine weiter ihren Gedanken hin.Die Altenpflegerin wird abgelenkt. Links neben ihr hat sich ein neuer Fahrgast gesetzt. Er macht sich erheblich breit und fühlt sich, allem Anschein nach, voll im Recht. Lässig breitet er seine Zeitung aus. Sabine rutscht etwas zur Seite, dabei stößt sie die rechts von ihr Sitzende an. Diese schaut kurz von ihrem Handy auf und quittiert es mit einem leichten Stöhnen.

Die neu zugestiegenen Jugendlichen unterhalten sich lautstark und blödeln herum, das stößt Sabine äußerst unangenehm auf. Sie möchte im Grunde einfach nur in Ruhe nach Hause fahren. Heute war ein überaus anstrengender Tag. Der nette Herr Lehmann aus der Drei hatte plötzlich einen sonderbaren Aussetzer. Er behauptete steif und fest, dass die Pflegerin Sabine seine Frau sei. Frau Lehmann verstarb vor sechs Monaten.Die Lehmanns hatten schon einige Zeit in dem Altenheim zusammen verbracht. Ein drolliges altes Ehepaar. Unzertrennlich. Dieser Trauerfall nahm Sabine zutiefst mit. Normalerweise geht sie höchst professionell mit dem Thema Nähe zuihrenAlten um. Soviel hat sie in all den Jahren gelernt: »Es frisst dich sonst auf«, sagt sie immer.Seit Wochen sehnt sich der Mann nach seiner Frau. Anfangs verweigerte er Essen und Trinken und auch sonst: Er ist seitdem noch schneller gealtert. So kommt es der Altenpflegerin vor. Sie alle hatten Mühe, seinen Lebenswillen wieder zu entfachen. Heute fingen seine Augen plötzlich an zu leuchten, als er Sabine sah.

›Oh nein, muss das sein? Jetzt auch noch so´n Musiker. Nichts ist nerviger als dieseZwangsunterhaltung. – Wer Unterhaltung will, hat heutzutage doch andere Möglichkeiten, vor allem freie Auswahl. Wetten, die Jugendlichen singen gleich mit! Wie ich das hasse!‹Und in der Tat. Ein Straßenmusiker, in diesem Fall genaugenommen ein U-Bahn-Musiker, ausgestattet mit einer Gitarre und Mundharmoniker, steigt ein. Für ihn war es noch kein lukrativer Tag. Drei Stunden saß er vor dem Kaufhaus am Marktplatz: Spielte, sang und bot etwas Entertainment. Eigentlich ein günstiger Platz, aber heute konnte er sein Wegepublikum nicht begeistern. Ihm machte das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Die Kauflustigen und die eher zum Kauf Genötigten, weil man hie und da auch etwas braucht, huschten blitzschnell an ihm vorbei. Die meisten werden ihn nicht einmal bemerkt haben. Übermorgen wird die Miete für sein kleines Zimmer fällig.

›Ob ich bei Tobianschreiben kann? – Man, ich brauch in den Semesterferien dringend einen richtigen Job. – Meine Alten können fürs Studium nicht noch mehr locker machen. Eh klar. Auch völlig OK. Haben ja selbst kaum was, die beiden. Ich schaff das schon! – Ging es nicht am Ende bisher immer gut aus? – Was soll ich machen? Musik ist mein Leben! Ich muss es einfach tun!‹Noch in Gedanken vertieft, sucht er sich einen guten Platz im Wagon und setzt sein einstudiertes Lächeln auf. Zuerst wünscht er allen Anwesenden einen schönen Abend. Mit ein, zwei lustigen Anekdoten über sich, die er zum Besten gibt, möchte er die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Im Anschluss daran beginnt er zu spielen. Doch nicht wie Sabine annahm, etwas zumMitgrölen, sondern ein romantisches Lied.

›Weintdie jetzt?‹ Die Altenpflegerin schaut überrascht zu ihrem Gegenüber. Die hübsch geschminkte junge Frau sucht in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Sie kommt direkt aus dem Krankenhaus. Ursprünglich sollte es ein Festtag werden; der Geburtstag ihrer Lieblingsoma. 75 Jahre! Die Feier fand in einer Gaststätte statt. Seit dem Nachmittag waren sie zusammen. Die Oma war sehr aufgeregt. Sie freute sich über die Gäste. Ihre Bekannten vom Canasta-Club und einige Nachbarn, die ihr ab und zu behilflich waren, alle kamen, um mit ihr zu feiern. Die größte Freude bereitete ihr ihre Familie. Viel zu selten fanden sie in der Vergangenheit zusammen.

Für ihren Sohn und ihre Tochter ist der Beruf Dreh- und Angelpunkt im täglichen Trott, gleiches gilt für deren Ehepartner. Leider blieb bisher die Ehe des Sohnes kinderlos. Die Oma orakelte, dass es an ihremKarrierefimmel läge.Umso mehr freute sie sich über ihre einzige Enkelin. Es war einVersehen, wie die Tochter offen zugab, aber letzten Endes fehlte ihr der Mut zur Abtreibung. Oma und Enkelin waren ausgesprochen innig miteinander verbunden. Sie übernahm größtenteils sogar die Aufsicht, während die Eltern weiter ihren beruflichen Werdegang formten. Mindestens zweimal die Woche nahm sich Lena bis heute Zeit für ihre Oma, obwohl sie in einem Alter ist, in dem man sich vorzugsweise mit Freunden trifft. Jetzt ist sie Tod. Während der Feier fasste sich die Oma immer wieder ans Herz. Plötzlich fiel sie um. Das herbeigerufene Rettungsteam hatte sie zunächst stabilisiert. Im Krankenhaus angekommen, konnte leider nur noch der Tod festgestellt werden.

Sabine reicht der jungen Frau ein Papiertaschentuch. Dankend nimmt es Lena an. ›Armes Ding! Liebeskummer? Man, sie ist doch noch so jung und hübsch dazu. – Etwas weniger Make-up, nicht so aufreizende Klamotten und sie findet den Richtigen, da bin ich mir sicher. Männer so wie Herr Lehmann, zum Beispiel. – Ich glaube, die Lehmanns waren über 65 Jahre verheiratet. Das muss man erstmal schaffen. – Ob der Alte tatsächlich seine Frau in mir sah? Er vermisst sie.‹ Sabine lächelt Lena aufmunternd zu.

Die junge Frau versucht, das Lächeln zu erwidern. Bis eben hat sie die nett wirkende Frau beobachtet. Lena wollte sich ablenken. Kurz überlegte sie, wie alt die Frau ihr gegenüber sein mochte. ›Ich tippe mal, sie ist noch berufstätig. Kommt direkt von der Arbeit. Ja. – Eindeutig nicht zum Vergnügen unterwegs. Ja, so wird es sein! Wetten, in ihrem Stoffbeutel ist´ne leere Brotdose und´ne ausgetrunkene Wasserflasche oder Ähnliches. Schwer scheint der Inhalt nicht zu sein. – Oder sie ist Rentnerin und verdient sich etwas dazu. Arme Frau. Gewiss kein Einzelschicksal. – Da hatte Omi wirklich Glück. Sie durfte ihr Rentnerdasein voll genießen. Ein schwacher Trost. – Ach Omi, du fehlst mir so sehr. Ich werde unsere Gespräche nie vergessen. So viel Weisheit lag in dir. – Nun bleibt es versunken wie ein verborgener Schatz in einem tiefen See.‹ Ein leichtes inneres Schmunzeln entlockte ihr der letzte, seltsame Gedanke.Lena hatte gar nicht bemerkt, dass sie Sabine die ganze Zeit anstarrte. Erst der Musiker holte sie aus ihrer Fixierung auf ihr Gegenüber. Plötzlich bahnten sich Tränen ihren Weg nach Außen. Tränen, die bisher versteckt blieben. Bewusst zurückgehalten, um sie nicht der Öffentlichkeit zu zeigen.

Der U-Bahn-Musiker spielt das Lieblingslied ihrer Oma. Erst letzten Sommer gestand sie ihrer Enkelin, dass sie durch dieses Lied an ihren Heinz erinnert werde, obwohl es ein Lied aus neuerer Zeit ist. Der Song beschreibt die tiefe Liebe zweier Menschen, die über den Tod hinausgeht.Lenas Opa war schon früh von ihnen gegangen. Die Enkelin kannte ihn kaum. Ihre Oma erzählte immer gern von ihrem Heinz. Ein anderer Mann kam für sie nie infrage. Sie waren ein Herz und eine Seele. Leider bekamen sie nicht so viele gemeinsame Jahre vom Leben geschenkt, wie zum Beispiel die Lehmann aus dem Altenheim.

Die Bahn fährt weiter, unbeirrbar was in ihren Wagons geschieht. Noch drei Stationen, dann ist für SabineEndstation. Sie wird allein die paar Meter vom Bahnhof nach Hause laufen. In ihrer kleinen Zweizimmerwohnung wartet nur ihr Kater, der sie freudig begrüßen wird. Nachdem er sein Futter bekommen und sie sich ein paar Brote geschmiert hat, wird sich Sabine vor den Fernseher setzen. Wie jeden Abend, wenn sie von der Spätschicht nach Hause kommt.Ihre Ehe hielt leider nicht so lange, wie bei den Lehmanns. Auch wenn Sabine wesentlich jünger als der Alte aus dem Pflegeheim ist: Ihr Liebesglück hielt nicht mehr als 17 Jahre. Das wonach sie sich in ihrer Jugendzeit so gesehnt hatte, war von einem Tag zum anderen aus und vorbei. Wie aus dem Nichts tauchte eine blonde Schönheit auf. Viel jünger als sie. Plötzlich gestand ihr Mann: »Ich habe mich verliebt. Tut mir leid, ich will die Scheidung.«

Sie konnten keine Kinder bekommen. Die Altenpflegerin und ihr Exmann hatten damals alles unternommen, jedoch ohne Erfolg. Das zehrte offenbar an ihrer Liebe. Ihr Mann stürzte sich in seine Arbeit, um sich abzulenken, oder schloss sich nach Feierabend gern Kollegenauf´nen Drink an. Sabine wurde trübsinnig und schottete sich immer mehr ab. Das wirkte sich auf ihren Freundeskreis aus. Sie ertrug es nicht, ihre Freundinnen mit ihren Babybäuchen und anschließend dem Nachwuchs zu erleben.Zu jener Zeit arbeitete Sabine nicht. Sie kümmerte sich um das Haus und den Garten. Damals hatten sie außerdem einen Hund. Anfangs war es eine schöne Zeit, die sie gern mit ihren Freundinnen aus der Nachbarschaft verbrachte.Sabine ließ sich später zur Altenpflegerin ausbilden. Die Arbeit tut ihr gut. Zu gern hätte sie mehr Zeit fürihre Alten. Wie abgeschoben oder aufbewahrt, kommen sie ihr manchmal vor. Ein paar Jahre fehlen noch, bis sie in den wohlverdienten Ruhestand gehen darf.›Wird meine Rente später mal für so einen Pflegeplatz reichen? Oder werde ich vereinsamt sterben? – Niemand bemerkt etwas, bis ich dann aus der Wohnung stinke?‹ Sabine grübelt über ihre Zukunft.

Die U-Bahn hat eine weitere Station erreicht. Diesmal steigen mehr Mitreisende aus als ein. Der Musiker wechselt den Wagon. Ein paar Euros hat er dankend entgegengenommen. Ein wenig wird er noch unterwegs sein müssen.Sabine ist erleichtert, weil auch die Gruppe Jugendlicher die Bahn verlässt. Ein Handy klingelt. Es gehört Lena. Hektisch kramt sie erneut in ihre Handtasche. »Hallo? – Ja, ich bin gleich da. Noch eine Station. Schön, dass du dir spontan Zeit für mich nimmst. – Ja, es war schrecklich. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ausgerechnet auch noch heute.« Lena schnieft in ihr Taschentuch. »Bis gleich!«

Die junge Blondine ist bemüht die Fassung zu bewahren. Im Krankenhaus hat sie ihren Freund angerufen. Sie sind erst vierzehn Tage zusammen. Für siedie Liebe auf denersten Blick, dennoch wollte Lena ihn nicht zur Familienfeier mitnehmen. Ihr erschien es wie ein Überfall auf ihren Freund, ihn schon gleich mit ihrer Familie zu konfrontieren.Für ihn war sofort klar, dass seine Kumpels ohne ihn beim Squachen auskommen werden. Lena hat ihn verzaubert, von der ersten Sekunde an, als er sie im Club sah. Er wäre sogar zu der Geburtstagsfeier mitgegangen, wollte sich jedoch nicht gleich aufdrängen. Hätte gern ihre Familie kennengelernt, besonders ihre Oma, von der sie schon viel erzählte. Nun wird er sie nie mehr kennenlernen.