Über den Trost - Michael Ignatieff - E-Book

Über den Trost E-Book

Michael Ignatieff

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Beschreibung

Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, Verluste oder Schicksalsschläge erleiden, suchen wir nach Trost. Gesucht wird Trost heute immer weniger in religiösen Institutionen und politischen Traditionen. Stattdessen wird das Bedürfnis nach Trost zunehmend ins individuell Zwischenmenschliche und in private Netzwerke verlagert. Michael Ignatieff geht der Frage nach, wie es uns über Jahrtausende gelungen ist, Traditionen des Trosts zu erschaffen. Das Buch Hiob, die Psalmen und die Werke von Künstlern so verschieden wie Albert Camus, Anna Achmatowa und Primo Levi sind zeitlose Botschaften der Hoffnung. Diese verbindende Sprache des Trosts hat Generationen von Menschen dazu inspiriert, ihr Schicksal mit Würde zu anzunehmen. Ignatieff erweckt sie zu neuem Leben und zeigt, wie sie uns auch im 21. Jahrhundert helfen können, dem Leid und der Ungewissheit in der Welt hoffnungsvoll zu begegnen.

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Das Buch

Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren oder einen Schicksalsschlag erleiden, sehnen wir uns nach Trost. Gesucht wird dieser heute immer weniger in religiösen Institutionen und gesellschaftlichen Traditionen, sondern im individuell Zwischenmenschlichen.

In seinen klugen Porträts großer Denker gelingt es Michael Ignatieff, deren Leiden und Hoffen zeitgemäß aufzubereiten und viele überraschende Momente der Identifikation zu schaffen. Es ist tröstlich, sich in der Sinnsuche historischer Figuren wiederzufinden und sich als Teil einer die Jahrhunderte überdauernden menschlichen Gemeinschaft zu begreifen – vereint in dem Bedürfnis nach Hoffnung.

Der Autor

© privat

Michael Ignatieff, geboren 1947, ist ein kanadischer Autor, Historiker und Philosoph. Als Vorsitzender der Liberalen Partei Kanadas war er von 2008 bis 2011 Oppositionsführer im kanadischen Parlament. Er war Professor an der Kennedy School of Government in Harvard und ist Präsident und Rektor der Central European University in Budapest und Wien.

Michael Ignatieff

Über den Trost in dunklen Zeiten

Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer

Ullstein

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel On Consolation: Finding Solace in Dark Times bei Knopf Canada.

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ISBN978-3-8437-2618-4

© 2021 by Michael Ignatieff© der deutschsprachigen Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: www.zero-media.net, MünchenCover Design and Illustration © Katie Tooke, Picador Art DepartmentE-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Für Zsuzsanna

INHALT

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Widmung

VORWORT

EINLEITUNG  Nach dem Paradies

KAPITEL 1  Die Stimme im Wettersturm: Das Buch Hiob und das Buch der Psalmen

KAPITEL 2  Warten auf den Messias: Die Briefe des Paulus

KAPITEL 3  Ciceros Tränen: Briefe über den Tod seiner Tochter

KAPITEL 4  Die Begegnung mit den Barbaren: Marc Aurels Selbstbetrachtungen

KAPITEL 5  Der Trost der Philosophie: Boethius und Dante

KAPITEL 6  Die Zeit malen: El Grecos Begräbnis des Grafen von Orgaz

KAPITEL 7  Die Weisheit des Körpers: Die letzten Essays von Michel de Montaigne

KAPITEL 8  Der nicht abgeschickte Brief: David Humes Mein eigenes Leben

KAPITEL 9  Der Trost der Geschichte: Condorcets Entwurf eines historischen Gemäldes der Fortschritte des menschlichen Geistes

KAPITEL 10  Im Herzen der herzlosen Bedingungen: Karl Marx und das Kommunistische Manifest

KAPITEL 11  Krieg und Trost: Abraham Lincolns zweite Antrittsrede

KAPITEL 12  Den Tod von Kindern besingen: Gustav Mahlers Kindertotenlieder

KAPITEL 13  Die Berufung: Max Weber und Die protestantische Ethik

KAPITEL 14  Der Trost des Zeugnisses: Anna Achmatowa, Primo Levi und Miklós Radnóti

KAPITEL 15  Leben jenseits der Gnade: Die Pest von Albert Camus

KAPITEL 16  In der Wahrheit leben: Václav Havels Briefe an Olga

KAPITEL 17  Der gute Tod: Cicely Saunders und die Hospizbewegung

NACHWORT

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

VORWORT

Dieses Buch entsprang einer ungewöhnlichen Einladung. Im Jahr 2017 wurde ich gebeten, bei einem Chorfestival in Utrecht, bei dem vier Chöre vertonte Fassungen aller 140 Psalmen singen würden, einen Vortrag zum Thema »Gerechtigkeit und Politik im Buch der Psalmen« zu halten. Ich sollte meinen Vortrag in einer Pause zwischen den Auftritten halten. Abgesehen von den Worten, die fast jeder kennt – »Der Herr ist mein Hirte« und »Muss ich auch wandern im finsteren Tal« –, wusste ich wenig über die Psalmen. Ich nahm die Einladung trotzdem an, weil ich glaubte, genug Zeit zu haben, um mehr über diese Texte zu lernen. Ich studierte die Psalmen über den Sommer in der King-James-Bibel, las Robert Alters Übersetzungen aus dem Hebräischen und hielt schließlich den Vortrag. Anschließend hörte ich mir gemeinsam mit meiner Frau Zsuzsanna im Publikum die über das Wochenende verteilten Auftritte der Chöre an. Der Text der Psalmen wurde in Niederländisch und Englisch über der Bühne angezeigt. Die Musik war wunderschön, die Worte hallten nach, und die Erfahrung hatte eine läuternde Wirkung, die ich seitdem zu verstehen versuche. Ich war gekommen, um einen Vortrag über Gerechtigkeit und Politik zu halten, aber ich entdeckte den Trost – in den Worten, in der Musik und in den Tränen des Wiedererkennens im Publikum.

So begann also dieses Buchprojekt: mit dem Versuch, die Wirkung der Psalmen auf mich und andere Menschen in jenem Konzertsaal in Utrecht zu verstehen. Wie war es möglich, dass diese uralte religiöse Sprache uns so verzaubert hatte, vor allem mich, einen Nichtgläubigen? Und was bedeutete es eigentlich, getröstet zu werden?

In den folgenden vier Jahren schlug mich dieses Projekt zusehends in seinen Bann, wurde zugleich aber auch komplexer. Ich hatte das Gefühl, gegen den Strom zu schwimmen. Mein Thema befremdete Freunde und Kollegen, die mich oft fragten: Warum Trost? Warum jetzt?

Dann stürzte uns die Covid-19-Pandemie im März 2020 alle für ein Jahr oder mehr in wiederkehrende Isolation.

Überall in der Online-Welt, die sich in unseren globalen Ort der Begegnung verwandelte, wurden Versuche unternommen, Trost zu spenden und unseren gemeinsamen Gefühlen von Desorientierung, Furcht, Einsamkeit und Trauer einen Sinn zu geben, während die Zahl der Toten von kaum glaubhaften auf stumm hingenommene Werte stieg. Maler, Schriftsteller, Sänger, Musiker und Philosophen versuchten, Zeugnis über den Moment abzulegen und die Menschen in ihrer Umgebung zu trösten. Zsuzsanna und ich schlossen uns Tausenden an, die sich im Internet ein Konzert eines Rotterdamer Orchesters anhörten, dessen Musiker, da sie nicht gemeinsam musizieren konnten, Beethovens »Ode an die Freude« via Zoom von zu Hause aus spielten und ihre Einsätze über Kopfhörer koordinierten. Der Pianist Igor Levit spielte jeden Abend in seiner Wohnung in Berlin Sonaten von Beethoven; Simon Rattle begleitete Magdalena Kožená, die Lieder von Brahms sang; Dichter trugen von ihren Schlafzimmern aus zur Aufmunterung Gedichte vor; Menschen lasen aus Camus’ Die Pest oder aus Defoes Die Pest zu London vor; Rapper rappten; Sänger sangen; Intellektuelle deklamierten.

Diese Welle von Tröstungsbemühungen bestätigte mich in dem Wunsch, große Männer und Frauen zu befragen, die in dunkleren Zeiten als unserer eigenen gelebt und Trost in Kunst, Philosophie und Religion gefunden hatten. Diese Werke können uns auch heute in Stunden der Not helfen und erneut ihre alte Aufgabe erfüllen.

Der Zweck dieses Buchs ist nicht, persönliche Trauer zu bewältigen, aber es ist ein zutiefst persönliches Vorhaben. Die Form, die es angenommen hat – Porträts einzelner Männer und Frauen, die im Lauf der Geschichte Trost suchten –, veranschaulicht, wie Ideen und Sinndeutungen in der Feuerprobe von Erfahrungen geschmiedet werden, deren Bedeutung zugleich einzigartig und universell ist.

Mit Über den Trost kehre ich zu der ideengeschichtlichen Arbeit zurück, die ich im Jahr 1984 in The Needs of Strangers veröffentlichte (deutsch als: Wovon lebt der Mensch?, 1993). Mein Verständnis von Hume, Condorcet und Marx, die in diesem Buch vorkommen, ist am King’s College der Universität Cambridge geprägt worden, wo ich von 1978 bis 1984 an der Leitung eines Projekts über die Geschichte der klassischen politischen Ökonomie beteiligt war. Zu jener Zeit wurde das College von dem Philosophen Bernard Williams geleitet; Gareth Stedman Jones und John Dunn haben das Projekt inspiriert; und mein Mitdirektor war der unvergleichliche Gelehrte István Hont, dessen Tod im Jahr 2013 im Alter von nur 65 Jahren ein schwerer Verlust für alle war, die ihn kannten.

In den zwölf Jahren, in denen ich an Isaiah Berlins Biografie arbeitete, habe ich nie über die Frage des Trosts mit ihm gesprochen, denn er war einer jener Menschen, deren Lebensfreude so unerschütterlich ist, dass sie anscheinend nie Trost brauchen. Aber mein Verständnis von Anna Achmatowa, die sich mit der Hoffnung tröstete, ihre Dichtkunst werde eine unvergängliche Erinnerung an den stalinistischen Terror sein, ist durch Berlins Erinnerung an seine Begegnung mit ihr in Leningrad im Jahr 1945 geprägt worden.

Im Lauf der Arbeit an diesem Buch wuchs meine Dankbarkeit für die Tradition der Wissensvermittlung, die diese Arbeit möglich gemacht hat. Die Tatsache, dass einige der Texte überhaupt erhalten sind – das Buch Hiob, das Buch der Psalmen, die Briefe des Paulus, Marc Aurels Selbstbetrachtungen, Ciceros Briefe –, belegt, mit welcher Redlichkeit anonyme Gelehrte, Schreiber und Übersetzer diese Werke über viele Jahrhunderte hinweg vor den Mäusen, dem Feuer, vor Epidemien und menschlicher Gleichgültigkeit bewahrt haben. Meine Zeitgenossen sind verlässliche Erben dieser Tradition. Ich möchte einigen Personen danken, die mir geholfen haben, diesem Projekt Gestalt zu geben. Yoeri Albrecht lud mich ein, jenen Vortrag bei dem Festival in Utrecht zu halten. Ich danke Robert Alter für seine wunderbare Übersetzung der hebräischen Bibel und dafür, dass er Hiob und die Psalmen als literarische Werke las. Nicholas Wright danke ich für seine Interpretation von Paulus und seine scharfe Kritik an meinem Verständnis dieses Apostels. Christian Brouwer bin ich dankbar für seine Arbeit über Boethius. Arthur Applbaum schulde ich Dank dafür, dass er seine Kenntnis des Hebräischen mit mir teilte, sowie für seine Schriften über Montaigne. Bei Moshe Halbertal möchte ich mich dafür bedanken, dass er sein Verständnis von Hiob mit mir teilte, sowie für seinen Essay »Job, the Mourner«. Leon Wieseltier danke ich für seine scharfsinnigen redaktionellen Anregungen. Ich danke Sarah Schroth für ihre vor mehr als vierzig Jahren veröffentlichte Studie über El Greco, Emma Rothschild für ihre wissenschaftliche Arbeit über Condorcet, Gareth Stedman Jones für seine Marx-Biografie und Adam Gopnik für seine Schriften über Lincoln. Dem Musikwissenschaftler und Dirigenten Leon Botstein danke ich für sein Wissen über Mahler. Karol Berger bin ich dankbar dafür, dass er seine Kenntnis Wagners und Nietzsches mit mir geteilt hat. Lisa Appignanesi danke ich für das jahrelange Gespräch über Freud und andere teils gewichtige und teils nebensächliche Fragen. Ich danke Tim Crane dafür, dass er gemeinsam mit mir über die Frage nachgedacht hat, ob wir ein Recht auf religiösen Trost haben, wenn wir den religiösen Glauben nicht teilen. Mein Dank geht an János Kis für seine Anregungen zur Beziehung zwischen Trost und der Aussöhnung mit dem Schicksal, an Maria Kronfeldner für ihre Kritik meiner Behandlung der »Hoffnung« bei Primo Levi, an Carlo Ginzburg für seine gewissenhafte und kritische Lektüre meiner Auseinandersetzung mit Levi, an Mark Lilla für seine Deutung von Camus, an Michael Zantovsky, Jacques Rupnik und Havels beispielgebenden Übersetzer Paul Wilson für die Schilderungen ihrer Freundschaft zu Václav Havel und ihres Verständnisses seines Werks, an Győző Ferencz für seine Korrekturen an dem Abschnitt über den ungarischen Dichter Miklós Radnóti, an die Kuratoren von Anna Achmatowas Museum in Sankt Petersburg, die ihre Liebe zu der Dichterin und ihre Kenntnis ihrer Wohnung im Scheremetjew-Palais mit mir geteilt haben, an David Clark, der mein Bild von Cicely Saunders bereichert hat, und an Tom Laqueur für seine brillante Forschung in The Work of the Dead. All diese Wissenschaftler und Freunde haben ihr Wissen mit mir geteilt, tragen jedoch keine Verantwortung für das, was ich damit gemacht habe.

Ich möchte auch meinem Bruder Andrew danken, der sich um die familiären Wurzeln kümmert, aus denen sich dieses Buch ebenfalls speist.

Einen besonderen Dank schulde ich der leitenden Bibliothekarin der Central European University, Diane Geraci, und ihrem Team für ihre anhaltende Unterstützung.

Ich danke dem Lektorenteam, das mein Manuskript so fürsorglich betreut hat: Jane Haxby für die Korrekturen, Brian Lax dafür, dass er die Entstehung des Buchs vorantrieb, sowie Sara Bershtel und Anne Collins für ihre Anregungen, die mir geholfen haben, die Argumentation zu verdeutlichen und Wiederholungen zu verringern. So wie Ravi Mirchandani und mein Agent und alter Freund Michael Levine bekannten sich Sara und Anne zu diesem Buch, bevor sie wussten, was daraus werden würde, und dieses Vertrauen hat mir geholfen, mein eigenes aufrechtzuerhalten. Und wenn wir schon beim Vertrauen sind, möchte ich Zsuzsanna Zsohar erwähnen, die an meiner Seite war, als in Utrecht alles begann, und die sich wie immer jedes Wort angehört und alles verbessert hat. Ihr widme ich dieses Buch.

EINLEITUNG

Nach dem Paradies

Ich bin bei einem Freund zu Besuch, der vor sechs Monaten seine Frau verloren hat. Er ist geschwächt, aber hellwach. Der Sessel, auf dem sie zu sitzen pflegte, steht seinem noch immer gegenüber. Der Raum ist genauso, wie sie ihn eingerichtet hat. Ich habe ihm einen Kuchen aus einem Café mitgebracht, in dem sie oft gemeinsam waren, als sie sich kennenlernten. Mit Appetit isst er ein Stück. Auf die Frage, wie es ihm geht, schaut er aus dem Fenster und sagt leise: »Wenn ich nur glauben könnte, dass ich sie wiedersehen werde.«

Es gibt nichts, was ich sagen könnte, also sitzen wir schweigend beieinander. Ich bin gekommen, um ihm Trost zu spenden oder zumindest Rückhalt zu geben, aber ich kann keines von beidem tun. Um zu verstehen, was Trost bedeutet, müssen wir uns zunächst mit den Momenten beschäftigen, in denen es keinen geben kann.

Das englische Wort für »trösten«, console, hat seinen Ursprung im lateinischen consolor, »gemeinsam Trost finden«, dessen Stamm solor ist, also »lindern«, »erleichtern«, »beschwichtigen«, »trösten«, aber auch »stärken«, »erquicken«. Der Versuch, Trost zu spenden oder zu finden, bedeutet, das Leid eines anderen Menschen zu teilen oder unser eigenes zu bewältigen. Wir suchen nach einem Weg, um weiterleben zu können und den Glauben wiederzufinden, dass das Leben lebenswert ist.

Die Begegnung mit meinem alten Freund ruft mir in Erinnerung, wie schwierig das ist. Er ist tatsächlich untröstlich. Er weigert sich zu glauben, dass er ohne seine Gefährtin leben kann. Bei meinem Versuch, ihn zu trösten, stoßen wir beide an die Grenzen der Sprache, und die Worte lösen sich in Schweigen auf. Er ist vollkommen allein in seiner Trauer, und diese Einsamkeit kann niemand mit ihm teilen. In der Tiefe dieser Einsamkeit ist kein Platz für Hoffnung.

Dieser Moment offenbart auch, wie es ist, in der Zeit nach dem Paradies zu leben. Jahrtausendelang glaubten die Menschen, sie würden ihre Liebsten im Jenseits wiedersehen. Sie malten sich diese Wiedervereinigung aus, und die großen Künstler beschrieben sie: Wolken, Engel, himmlische Harfenklänge, ewiger Überfluss, Freiheit von Mühsal und Krankheit, aber vor allem die Wiedervereinigung mit den geliebten Menschen, und diesmal für immer.

Tausende Jahre nahm die Hoffnung in Form des Paradieses Gestalt an, aber das, was Shakespeare über den Tod schrieb, gilt auch für das Paradies: Es ist das Land, aus dem kein Reisender zurückkehrt.1 Im 16. Jahrhundert begannen die Europäer zu bezweifeln, dass ein solches Land tatsächlich existiert. Im 21. Jahrhundert beherrscht der Unglaube Herz und Verstand vieler, wenn auch nicht aller Menschen, die ich kenne. Zu den Kräften, die den Unglauben geweckt haben, gehörte das Ideal der Wahrheit. Hätte mein alter Freund seiner Sehnsucht, glauben zu können, nachgegeben, so hätte er das Gefühl gehabt, sich selbst zu belügen.

An diesem Punkt stehen wir heute: Wir sind Erben der Traditionen des Trosts und einer jahrhundertelangen Revolte dagegen. An welchen Trost können wir immer noch glauben?

Wir haben den Sinn verloren, den die Menschen einst in den religiösen Überlieferungen fanden. Der Trostpreis ist heute der Preis, den wir nicht gewinnen wollen. Eine Kultur, die dem Erfolg nachjagt, schenkt dem Scheitern, dem Verlust, dem Tod keine große Aufmerksamkeit. Trost brauchen nur die Verlierer.

In der Vergangenheit war der Trost Gegenstand der Philosophie, denn diese war die Disziplin, die uns lehren sollte, wie man richtig lebt und stirbt. In der stoischen Überlieferung der Antike war die Consolatio ein eigenes Genre. Cicero war ein Meister dieser Kunst. Seneca schrieb drei berühmte Briefe, um trauernde Witwen zu trösten. Der römische Kaiser Marc Aurel schrieb seine Selbstbetrachtungen im Grunde, um sich selbst zu trösten. Der römische Gelehrte und Politiker Boethius, beim Ostgotenkönig Theoderich in Ungnade gefallen, schrieb Der Trost der Philosophie um das Jahr 524, während er auf seine Hinrichtung wartete. Studierende der Geisteswissenschaften begegnen diesen Texten weiterhin, aber die Berufsphilosophen beschäftigen sich nicht mehr damit.

Der Trost ist auch seines institutionellen Rahmens beraubt worden. Die Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen wir einander früher in kollektiven Trauerritualen Trost spendeten, haben sich geleert. Wenn wir in Zeiten der Trauer Hilfe suchen, tun wir es allein, im Zwiegespräch mit Vertrauten oder in Sitzungen mit Psychotherapeuten, die unser Leid als eine Krankheit behandeln, von der wir uns erholen müssen.

Doch wenn man das seelische Leid als Krankheit versteht, die geheilt werden kann, geht etwas verloren. Die religiösen Überlieferungen zum Trost ordneten das individuelle Leid in einen größeren Rahmen ein und boten einem trauernden Menschen eine Deutung an, in der sein individuelles Leben Teil eines göttlichen oder kosmischen Plans war.

In diesem Rahmen boten die wunderbaren Sprachen des Trosts Hoffnung an. Diese Bezugsrahmen stehen immer noch zur Verfügung: der jüdische Gott, der eine Übereinkunft mit seinem Volk geschlossen hat, das ihm Gehorsam schuldet und als Gegenleistung seinen Schutz erhält; der christliche Gott, der die Welt so sehr liebt, dass er seinen eigenen Sohn opferte und uns die Hoffnung auf ein ewiges Leben anbot; die klassische römische Stoa, die uns versprach, das Leben werde weniger schmerzhaft sein, wenn wir lernten, auf eitles menschliches Streben zu verzichten. Größeren Einfluss hat heute die Überlieferung, die im Werk Montaignes und Humes Gestalt annimmt: Beide bezweifelten, dass es uns je gelingen würde, einen Sinn für unser Leiden zu finden. Diese Denker waren auch überzeugt, dass dem religiösen Glauben die wichtigste Quelle des Trosts entgangen sei: In ihren Augen war der Sinn des Lebens nicht im Versprechen des Paradieses oder in der Beherrschung unserer Begierden zu finden, sondern darin, jeden Tag vollkommen auszuschöpfen: Der Trost lag darin, das Leben im Hier und Jetzt zu lieben.

Dabei teilten die antiken und modernen Denker ein Gefühl der Tragik. Die einen wie die anderen akzeptierten, dass wir Verluste erleiden, die nicht wiedergutzumachen sind. Von einigen leidvollen Erfahrungen können wir uns nie vollkommen erholen, andere Wunden heilen, lassen jedoch Narben zurück, die nicht mehr verschwinden. In unserer Zeit besteht die Herausforderung des Trosts darin, tragische Erfahrungen zu ertragen, selbst wenn wir keinen Sinn darin finden können, und weiter mit Hoffnung zu leben.

In unserer Zeit mit Hoffnung zu leben erfordert möglicherweise eine rettende Skepsis gegenüber dem unablässigen Getrommel düsterer Nachrichten, das uns aus den Medien entgegenschallt. Im Jahr 1783, als Großbritannien gerade seine amerikanischen Kolonien verloren hatte und die Öffentlichkeit in Aufruhr war, fragte James Boswell Samuel Johnson, ob die »Turbulenzen« im öffentlichen Leben ihn nicht »ein wenig beunruhigt« hätten. Johnson antwortete gleichermaßen erhaben und herablassend: »Das ist scheinheilig, Sir. Die öffentlichen Angelegenheiten können einen Mann nicht beunruhigen, Sir. Ich habe deshalb nie eine Stunde weniger geschlafen oder eine Unze Fleisch weniger gegessen.«2

Wir können das heute als Aufforderung verstehen, den Narrativen, die in unser Bewusstsein vordringen und unsere Zeit prägen, mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Wenn es im Jahr 1783 scheinheilig war, wegen des Verlusts der Neuen Welt schlaflose Nächte zu haben, wäre es in unserer Zeit scheinheilig, angesichts der Welle an Voraussagen über Klimakatastrophe, Zusammenbruch der Demokratie oder einer von neuen Pandemien zerstörten Zukunft unsere Widerstandskraft aufzugeben. So beängstigend sie auch sein mögen, keine dieser Herausforderungen ist leichter zu bewältigen, wenn man sie als beispiellos betrachtet. In diesem Buch werden wir Männern und Frauen begegnen, die Epidemien, den Verlust der republikanischen Freiheit, Massenvernichtungskampagnen, feindliche Besatzung und katastrophale militärische Niederlagen erlebten. Wenn wir ihre Geschichten lesen, erweitern wir die Perspektive auf unsere Zeit, und ihr klares Denken kann uns inspirieren. Indem wir uns im Licht der Geschichte betrachten, können wir die Beziehung früherer Generationen zum Trost wiederherstellen und uns in ihrer Erfahrung wiederfinden.

Es ist erstaunlich, was wir dabei entdecken. Man könnte meinen, religiöse Texte – das Buch Hiob, die Psalmen, die Briefe des Paulus, Dantes Paradiso – können uns wenig sagen, wenn wir den Glauben, auf dem sie beruhen, nicht teilen. Aber warum sollte es nötig sein, eine Glaubensprüfung zu bestehen, um Trost in religiösen Texten finden zu können? Das von einer Religion gegebene Versprechen der Rettung und Erlösung mag für uns nicht gelten, aber wir können durchaus Trost in dem finden, was die religiösen Texte zu unseren Momenten der Verzweiflung zu sagen haben. Wenige Texte sprechen eine so klare Sprache wie die Psalmen über den Umgang mit den Gefühlen von Verlust, Einsamkeit und Verlorenheit. Sie enthalten unvergessliche Beschreibungen der Verzweiflung und wunderbare Visionen der Hoffnung. Wir können ihr Versprechen der Hoffnung immer noch annehmen, weil aus den Psalmen das Verständnis davon spricht, wofür wir Hoffnung brauchen. Das ist der Grund dafür, dass in diesem Augenblick irgendwo ein Mensch in einem Hotelzimmer die Bibel zur Hand nimmt und die Psalmen liest, und wie ich bei dem Chorfestival in Utrecht gesehen habe, mit dem dieses Projekt begann, ist es der Grund dafür, dass dort, wo Musik und Worte zusammenkommen, ein Versprechen der Hoffnung gegeben wird, das den fehlenden Glauben irrelevant macht.

Das Trösten ist ein Akt der Solidarität im Raum – man leistet Hinterbliebenen Gesellschaft, hilft einem Freund in einem schwierigen Moment –, aber es ist auch ein Akt der Solidarität in der Zeit – man gedenkt der Toten und findet Sinn in den Worten, die sie hinterlassen haben.

Verwandtschaft mit den Autoren der Psalmen, mit Hiob, Paulus, Boethius, Dante, Montaigne und modernen Figuren wie Camus zu spüren, unsere eigenen Emotionen in der Musik Mahlers wiederzuerkennen, bedeutet zu fühlen, dass wir nicht an die Gegenwart gefesselt sind. Diese Werke helfen uns, Worte für das Wortlose zu finden, für Erfahrungen der Isolation, die uns im Schweigen gefangen halten.

Wir können diese Stimmen aus der Vergangenheit immer noch hören, weil die Bedeutungsketten über Tausende Jahre aufrechterhalten wurden. 700 Jahre nachdem sich Boethius mit der Vorstellung getröstet hatte, im Gefängnis Besuch von der weisen Philosophia zu erhalten, las Dante, der aus seiner Heimatstadt Florenz ins Exil getrieben worden war, Der Trost der Philosophie und ließ sich von dieser Lektüre zu einer Reise inspirieren, die ihn – ebenfalls in Begleitung einer weisen Frau – von der Hölle über den Läuterungsberg ins Paradies führte. Weitere tausend Jahre später, im Sommer 1944, trottete ein junger italienischer Chemiker in Begleitung eines Mithäftlings durch das KZ Auschwitz, als ihm plötzlich einige Zeilen aus dem Werk seines Landsmanns Dante in den Sinn kamen:

Geschaffen wart ihr nicht, damit ihr lebtet wie die Tiere, vielmehr um Tugend und Erkenntnis anzustreben.3

So überdauert die Sprache des Trosts die Zeit, von Boethius zu Dante, von Dante zu Primo Levi: Menschen, die extremem Leid ausgesetzt sind, inspirieren einander über ein Jahrtausend hinweg. Diese zeitlose Solidarität ist die Essenz des Trosts, die ich mit diesem Buch einmal mehr zugänglich machen möchte.

Neben dem Begriff des Trosts gibt es noch viele weitere Worte, die wir verwenden, wenn wir uns mit Verlust und Leid konfrontiert sehen.

Wir können Rückhalt finden und aufgemuntert werden, ohne getröstet zu werden, so wie wir Trost finden können, ohne Aufmunterung zu erhalten. Aufmunterung und Rückhalt sind vorübergehend, der Trost ist dauerhaft. Rückhalt ist körperlich – jemand versucht, uns Kraft zu geben, indem er uns zum Beispiel umarmt –, während uns Trost zugesprochen wird. Die Tröstung ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, warum das Leben so ist, wie es ist, und warum wir nicht aufgeben dürfen.

Trost ist das Gegenteil von Sichabfinden. Wir können uns mit dem Tod abfinden, ohne dies als tröstlich zu empfinden, und wir können die Tragik des Lebens akzeptieren, ohne uns damit abzufinden. Wir können sogar in unserer Rebellion gegen das Schicksal Trost darin finden, wie unser Kampf andere inspiriert.

Zu resignieren bedeutet aufzugeben. Es bedeutet, die Hoffnung fahren zu lassen, dass das Leben anders werden könnte. Wenn wir uns hingegen mit dem Leben aussöhnen, können wir mit Hoffnung in eine Zukunft blicken, die uns etwas Gutes bringen könnte. Um uns mit unserem Leben auszusöhnen, müssen wir zunächst unseren Frieden mit unseren Verlusten, unseren Niederlagen und unserem Versagen machen. Trost zu finden bedeutet, diese Verluste zu akzeptieren, uns des Schadens bewusst zu sein, den sie uns zugefügt haben, und uns trotz allem den Glauben zu bewahren, dass sie unsere Zukunft nicht belasten oder unsere verbleibenden Möglichkeiten nicht zunichtemachen werden.

Der wesentliche Bestandteil des Trosts ist Hoffnung: der Glaube, dass wir uns von Verlusten, Niederlagen und Enttäuschungen erholen können und dass wir in der Zeit, die uns bleibt, so kurz sie auch sein mag, die Möglichkeit zu einem Neubeginn finden werden, mit dem wir vielleicht scheitern, aber, wie Beckett schrieb, besser scheitern werden. Es ist diese Hoffnung, die uns die Kraft gibt, selbst angesichts von Tragödien unbeugsam zu bleiben.

Wenn wir Trost suchen, geht es uns nicht einfach darum, uns besser zu fühlen. Schwere Verluste bewegen uns dazu, unser gesamtes Dasein infrage zu stellen: Wir werden uns der Tatsache bewusst, dass die Zeit unaufhaltsam in eine Richtung fließt und dass wir, obwohl wir noch Hoffnung für die Zukunft haben, die Vergangenheit nicht ungeschehen machen können. Schwere Rückschläge bewegen uns dazu, die Tatsache anzuerkennen, dass das Leben nicht fair ist und dass sowohl im großen Reich der Politik als auch in der kleineren Welt unseres Privatlebens ein grausames Maß an Ungerechtigkeit herrschen kann. Trost zu empfinden bedeutet, unseren Frieden mit der Welt zu machen, wie sie ist, ohne deshalb die Hoffnung auf Gerechtigkeit aufzugeben.

Vor die größte Herausforderung stellen uns Verluste und Niederlagen, indem sie uns zwingen, uns unserer Grenzen bewusst zu werden. Hier kann es am schwersten sein, Trost zu finden. Angesichts unserer Fehlschläge sind wir versucht, uns in Illusionen zu flüchten. Doch in der Illusion gibt es keinen wirklichen Trost, weshalb wir versuchen müssen, »in der Wahrheit zu leben«, wie es Václav Havel ausdrückte.

Dieses Buch enthält eine chronologisch geordnete Sammlung von Porträts einzelner Personen, die in Extremsituationen die ihnen verfügbaren Überlieferungen nutzten, um Trost zu finden. Wie wir sehen werden, gelang ihnen das nicht in allen Fällen, aber wir können aus ihrem Kampf lernen und Hoffnung in ihrem Beispiel finden. Die Sammlung beginnt mit dem Buch Hiob und endet mit Anna Achmatowa, Primo Levi, Albert Camus, Václav Havel und Cicely Saunders. Ich hoffe, dass meine Auswahl nicht willkürlich wirkt. Ich hätte auch ein Buch darüber schreiben können, wie die Europäer aus asiatischen, afrikanischen oder muslimischen Quellen des Trosts schöpften. Ich habe versucht zu zeigen, dass uns das Vermächtnis des Trosts, das über Tausende Jahre in der europäischen Tradition gewachsen ist, auch heute inspirieren kann. Welche Erkenntnis können wir für Zeiten der Dunkelheit gewinnen? Wir lernen etwas ganz Einfaches: Wir sind nicht allein und sind es nie gewesen.

Quellenhinweise, weiterführende Literatur und Anmerkungen

Zum Thema des Trosts im Allgemeinen möchte ich zunächst auf Alain de Bottons Auseinandersetzung mit Boethius und seinen Versuch verweisen, dem Beitrag der Volksweisheit zur Tröstung zu neuer Geltung zu verhelfen: The Consolations of Philosophy (London: Penguin, 2000). Ich lernte sehr viel aus Rivkah Zims Untersuchung des Trosts als literarischer Form in The Consolations of Writing: Literary Strategies of Resistance from Boethius to Primo Levi (Princeton: Princeton University Press, 2014). Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit der Frage, wie man sich angesichts der eigenen Sterblichkeit trösten kann. Um einige Beispiele zu nennen: Andrew Stark, The Consolations of Mortality: Making Sense of Death (New Haven: Yale University Press, 2016), die ausgezeichnete Anthologie The Art of Losing: Poems of Grief and Healing (New York: Bloomsbury, 2010), die Kevin Young herausgegeben hat, sowie eine weitere schöne Sammlung tröstlicher Poesie und Prosa in P. J. Kavanagh (Hg.), A Book of Consolations (London: HarperCollins, 1992). Für eine tiefschürfende Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit aus der Feder eines ausgezeichneten Beobachters und mitfühlenden Arztes vgl. Atul Gawande, Being Mortal: Medicine and What Matters in the End (New York: Metropolitan, 2014). Ich lernte sehr viel über die Geschichte des Todes und des Sterbens und die damit verbundenen Rituale der Tröstung aus Thomas Laqueurs Arbeit The Work of the Dead: A Cultural History of Mortal Remains (Princeton: Princeton University Press, 2015).

1. William Shakespeare, Hamlet, 3. Akt, 1. Szene

2. James Boswell, The Life of Samuel Johnson: Volume IV, Pembroke College, Oxford, S. 132

3. Dante Alighieri, Göttliche Komödie, Hölle, Hartmut Köhler (Übers.), Stuttgart, 2019, S. 371

KAPITEL 1

Die Stimme im Wettersturm: Das Buch Hiob und das Buch der Psalmen

Trost zu finden ist nur möglich, wenn Hoffnung möglich ist, und Hoffnung kann es nur geben, wenn das Leben einen Sinn für uns hat. Würden wir tatsächlich glauben, dass das Leben absurd ist, eine Aneinanderreihung zufälliger Ereignisse, die mit unserem Tod endet, dann wären Resignation, zielloser Genuss, Lebensflucht, Selbstmord, alles Beliebige sinnvoll – aber es gäbe keinen Trost. Damit die Hoffnung möglich ist, die wir brauchen, um Trost zu finden, müssen wir glauben können, dass unser Dasein einen Sinn hat oder dass wir ihm durch Bemühung einen Sinn geben können. Dies ist der Glaube, der uns erlaubt, in der Hoffnung auf Erholung und Erneuerung zu leben. Ob wir Trost finden, hängt von diesem Glauben ab, weshalb der Trost zwangsläufig eine religiöse Vorstellung ist, selbst wenn der Lebenssinn, der uns Hoffnung gibt, nicht religiöse und sogar antireligiöse Formen annehmen kann. Aber unser Ausgangspunkt muss die religiöse Suche nach dem Sinn des Leidens sein. Religionen erfüllen zahlreiche Funktionen, darunter die, Trost zu spenden und den Menschen zu erklären, warum sie leiden und sterben und trotzdem mit Hoffnung leben sollten.

Seit Beginn der schriftlichen Aufzeichnungen – seit zum ersten Mal Gedanken in Keilschrift auf Tontafeln oder mit Tinte auf Aschebasis auf Papyrusbahnen festgehalten wurden – stellen die Menschen die grundlegende Frage: Wie kann man angesichts von Leid, Verlust und Tod das Vertrauen in die menschliche Erfahrung bewahren? Die jüdischen und christlichen Religionen beruhen auf der Weigerung, sich damit abzufinden, dass wir nur geboren werden, um zu leiden und zu sterben.

Die hebräischen Propheten begannen mit dieser Suche nach Hoffnung und waren daher die Urheber der abendländischen Vorstellung vom Trost. Sie stellten sich einen einzigen allmächtigen und allwissenden Gott vor, einen göttlichen Gesetzgeber – aber nun mussten sie erklären, wie ein solcher Gott zulassen konnte, dass Rechtschaffene litten und Ungerechte das Leben genossen. Die Annahme der hebräischen Propheten, die Welt sei die Schöpfung eines gerechten Gottes, konfrontierte uns mit dem Problem, das die Menschheit seit damals zu lösen versucht: Wie kann man sich angesichts von Ungerechtigkeit und den Härten des Lebens Hoffnung und Glauben bewahren? Ohne eine Lösung für dieses Problem gibt es keinen Trost.

Viele Texte in der hebräischen Bibel – dem Alten Testament – kreisen um die unablässige, qualvolle Suche nach einer Antwort auf diese Frage. Einer dieser Texte ist das Buch Hiob, ein weiterer das Buch der Psalmen. Wir werden zwei Fragen zu diesen Texten stellen: Wie haben sie das Problem gelöst? Und warum sind diese Bücher noch heute, da die von ihnen angebotene Lösung – Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit und Gnade – keinen Glauben mehr findet, in der Lage, uns zu trösten?

Wir wissen fast nichts über den oder die Autoren des Buchs Hiob. Robert Alter, der das Buch ins Englische übersetzt hat, nimmt an, der Autor sei ein herausragender Poet gewesen, der das Dichten in aramäischen Versen beherrschte und im sechsten oder fünften vorchristlichen Jahrhundert irgendwo im Nahen Osten lebte. Es ist auch möglich, dass das Buch keinen einzelnen Autor hatte, sondern eine Sammlung von Schriften mehrerer Autoren ist, die über einen langen Zeitraum hinweg Gründungsmythen, volkstümliche Erzählungen oder noch weiter zurückreichende mündliche Überlieferungen verarbeitet haben. Wenn es so ist, können wir uns das Buch Hiob als kollektives Gedankengebäude ganzer Völker vorstellen, das Anleihen bei aramäischen und kanaanitischen Quellen sowie bei Stämmen nahm, die Krieg gegen die Juden führten, um irgendwann Frieden mit ihnen zu schließen, und Überlieferungen mit ihnen austauschten. Die Tatsache, dass der Text überlebt hat und in die hebräische Bibel aufgenommen worden ist, kann als Beispiel dafür gesehen werden, wie sich Schönheit selbst rettet: Diese Worte berührten jeden, der sie las, so tief, dass er den Drang verspürte, sie vor dem Vergessen zu bewahren.

Das Buch Hiob erzählt die Geschichte eines Mannes, der vom Glück verwöhnt ist – er ist gesund, hat eine zufriedene Familie, Ställe voller Tiere, Speicher voller Getreide und weitläufige Felder –, jedoch alles verliert, weil Gott sich entschließt, seinen Glauben auf die Probe zu stellen. Dieser Gott ist allmächtig, aber er ist auch menschlich in seiner Anfälligkeit für Versuchung und schlechten Rat. Eine Figur in der Geschichte, die als »der Satan« (hebräisch für »Widersacher«) bezeichnet wird, flüstert Gott ein, Hiob glaube nur an ihn, weil es ihm gut gehe. Doch ein vom Glück begünstigter Mann, erklärt der Satan, werde sich von Gott abwenden, sobald das Glück sich gegen ihn wende.

Gott stellt Hiobs Glauben auf die Probe, indem er marodierende Stämme auf ihn hetzt, die seine Rinder schlachten, seinen Hof anzünden und seine Kinder ermorden. Als ein Bote Hiob die schreckliche Nachricht überbringt – »Ich ganz allein bin entronnen, um es dir zu berichten« –, versinkt Hiob in tiefer Trauer, zerreißt sein Gewand, schert sich das Haupt, wirft sich zu Boden und betet zu Gott.1 Sein Glaube ist unerschütterlich. Anstatt sich der Wut oder dem Wehklagen zu ergeben, erklärt er: »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.«2

Daraufhin flüstert der Satan dem Herrn ein: »Alles, was der Mensch besitzt, gibt er hin für sein Leben.« Verletze der Herr Hiobs »Gebein und Fleisch«, so werde sich zeigen, ob er seinen Glauben bewahre.3 Also überlässt Gott Hiob dem Satan und ermahnt diesen lediglich, das Leben des Mannes zu verschonen. Der Satan schlägt Hiob »mit bösartigem Geschwür«, aber Hiob überlebt.4 Nun sitzt er krank und verarmt in der Asche eines kalten Herdes und schabt mit einer Tonscherbe den Schorf von den abheilenden Geschwüren. Seine Frau rügt ihn: »Hältst du immer noch fest an deiner Frömmigkeit? Lästere Gott und stirb!«5 Doch selbst in tiefster Verzweiflung weigert sich Hiob, sich von seinem Gott abzuwenden.

Er erhält Besuch von drei Freunden, die ihn trösten wollen. Sie setzen sich zu ihm auf die Erde und teilen anfangs schweigend sein Elend mit ihm. »Keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war.«6 Nach sieben Tagen versuchen sie der Reihe nach, ihn zu bewegen, sein Schicksal zu akzeptieren. Dein Glaube wurde auf die Probe gestellt, sagen sie zu ihm, und du musst diese Prüfung erdulden. Hiob hört schweigend zu, aber sie können ihn nicht überzeugen. Er ist untröstlich. Der Gott, auf den er vertraut hat, der Gott, den er geliebt hat, bestraft ihn ohne jeden Grund. Warum lässt Gott ihn leben, klagt er. Er sehnt sich nach dem Tod, der jedoch nicht kommt.

Jetzt mischen sich Vorwürfe in den Trost. Er wird seine Verzweiflung erst überwinden, sagen sie, wenn er seine Fehler eingesteht. »Ist wohl ein Mensch vor Gott gerecht, ein Mann vor seinem Schöpfer rein?«7 Anstatt sich zu beklagen, solle Hiob dankbar für seine Heimsuchungen sein. Sie seien die gerechte Strafe für sein Fehlverhalten.

Hiob akzeptiert das nicht. Was ihn quält, ist nicht nur Gottes unstete Bosheit, sondern auch ein neues Bewusstsein der kosmischen Bedeutungslosigkeit des Menschen. »Der Mensch, vom Weib geboren, knapp an Tagen, unruhvoll.«8 Ein Baum stirbt im Herbst ab und erwacht jeden Frühling zu neuem Leben; ein Mensch hingegen stirbt nur einmal, und seine Knochen lösen sich in Nichts auf. Um Hoffnung haben zu können, sagt uns Hiob, müssen wir glauben können, dass das menschliche Leben in Gottes Augen bedeutsam ist. Was, wenn wir keinerlei Bedeutung haben?

Die Freunde, die Hiob zu trösten versuchen, setzen bei seinem Eingeständnis der eigenen Bedeutungslosigkeit an, um ihn weiter zu demütigen, aber Hiob setzt sich zur Wehr. Seine Verzweiflung ist seine Art, trotz allem auf seiner eigenen Bedeutung in der Ordnung der Dinge zu beharren. In seiner Verzweiflung nähert sich Hiob der Gotteslästerung und fragt, was das für ein Gott ist, den er da verehrt: Warum gehorchen wir jemandem, der uns peinigt?

Die Freunde versuchen, ihn zu überzeugen, dass der Weg zum Trost über das Eingeständnis führt, dass er selbst die Schuld an seinem Unglück trägt. Hiob lehnt das ab. Er hat sich den Glauben an Gott bewahrt. Er hat akzeptiert, was Gott ihm gegeben und was er ihm genommen hat. Was kann mehr von ihm verlangt werden? Dass er sich schuldig bekennt, obwohl er glaubt, unschuldig zu sein? »An meinem Rechtsein halt ich fest und lass es nicht.«9

Sich selbst zu demütigen, erklärt Hiob, sei kein Weg zum Trost, sondern nur zur Erniedrigung. Er werde keine weiteren Ratschläge von diesen »untauglichen Ärzten« annehmen.10Er hält ihnen vor, so wie Gott seien sie nicht bereit, ihm zuzuhören. Und man werde keinen Trost finden, wenn man kein Gehör findet. Es interessiere ihn nicht mehr, was die Menschen ihm zu sagen haben. Es sei ein Streit zwischen ihm und Gott: »Doch ich will zum Allmächtigen reden, mit Gott zu rechten ist mein Wunsch.«11

Diese mit Narben übersäte, in Lumpen gehüllte, verarmte, verlassene Figur ist eine großartige Erfindung: der Ahne aller Giganten der Literatur, denen Unrecht geschieht und die sich selbst Unrecht antun, bis zu König Lear und darüber hinaus. Hiob ballt die Faust gen Himmel. Er werde reden, »ohne ihn zu fürchten. Doch so ist es nicht um mich bestellt.«12

Hiob beansprucht das Recht für sich, zu widersprechen und Antworten zu verlangen. Hier wird das Gebet zu einem Dialog und einem Streitgespräch. Im Buch Hiob und in der prophetischen hebräischen Überlieferung wird die Suche des Menschen nach Trost zu einer Forderung nach göttlicher Anerkennung, zu einem Schrei des Menschen, der auf seinem Recht beharrt, gehört zu werden.

Hiobs Gott schweigt nicht. Vielmehr spricht er in einer majestätischen Tirade aus dem Wettersturm. Wer, verlangt er zu erfahren, wagt es, an ihm zu zweifeln? Weiß Hiob denn nicht, wie groß seine Macht ist? »Wo warst du, als ich die Erde gegründet?«13 Wie kann ein einfacher Mensch wagen, die Macht dessen infrage zu stellen, der die Morgensterne in den Himmel gesetzt, das Meer erschaffen und die Wolken zum Kleid der Erde gemacht hat? Wer ist Hiob, um Gott zu sagen, was er tun soll? Wie kann er es wagen, seinem Schöpfer die Schuld an seinem Leid zu geben?

»Willst du wirklich mein Recht zerbrechen, mich schuldig sprechen, damit du Recht behältst?«14

In Gottes Augen ist Hiob untragbar hochmütig, weil er es wagt, Gott für sein Leid zur Rechenschaft zu ziehen. Hiob muss seinen Frieden mit dem machen, was er nicht verstehen kann.

Die Stimme aus dem Wettersturm verlangt Gehorsam, aber sie zollt auch Anerkennung. Als die Stimme verstummt, weiß Hiob, dass Gott ihn gehört hat, und er akzeptiert, dass er sich mit einer göttlichen Macht aussöhnen muss, die zu verstehen er nicht hoffen darf. Seine Aussöhnung mit Gott beginnt damit, dass er sein Unverständnis, nicht jedoch seine Schuld eingesteht. »So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind.«15 Nachdem er gesprochen hat und angehört worden ist, unterwirft er sich mit Würde dem göttlichen Willen. Er leistet Abbitte für seine Trauer, gibt jedoch kein Fehlverhalten zu: »Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub und Asche.«16

Ein gelehrter Freund hat mir erklärt, dass die Stelle »und atme auf« im Hebräischen v’nikhamti lautet, dessen Wurzel N-Kh-M ist. Das ist dieselbe wie die des hebräischen Worts für »Trost«. Das Wort »Tröstet« aus der Zeile »Tröstet, tröstet mein Volk« im Buch Jesaja lautet im Hebräischen nakhamu, das dieselbe Wurzel N-Kh-M hat, was buchstäblich »Seid getröstet« bedeutet.17 Das Hebräische verknüpft die Vorstellung der Tröstung mit einer geänderten Einstellung zur Trauer an sich. Die Trauer kann eine unbeirrbare Obsession sein, und Hiobs Trauer ist von dieser Art. Er ist untröstlich, solange er nur über sich selbst und sein Schicksal nachdenken kann. Doch als er akzeptiert, dass Gott unergründlich und unbegreiflich ist, als er aufhört, sich auf seine eigene Unschuld zu fixieren, und die unbegreifliche göttliche Ordnung anerkennt, kann er sein Leben fortsetzen. Ein Schuldeingeständnis ist keine Voraussetzung für Trost, aber Reue und Sichabfinden sind notwendig.

Sollen wir so deuten, was Gott fordert und Hiob akzeptiert? Dass Gott Hiob nicht trösten wird, solange dieser keine Reue zeigt? Das würde bedeuten, dass Trost in Gottes Welt nur möglich ist, wenn Trauernde ihren Schmerz unterdrücken und sich Gott in bedingungslosem Gehorsam unterwerfen.

Aber in dieser düsteren Geschichte finden wir noch etwas anderes. Das Buch Hiob zeigt uns auch, dass Gott den drei Freunden, die Hiob zu trösten versuchen, nicht dankt, sondern sie rügt: »Mein Zorn ist entbrannt gegen dich und deine beiden Gefährten, denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.«18

Hiobs Tröster haben versucht, die Verzweiflung ihres Freundes zu lindern, indem sie eine Erklärung für sein Leid gaben. Sie haben eine Begründung dafür geliefert, dass Gott einen unschuldigen Mann peinigt. Das dürfte der Grund dafür sein, dass Gott sie zurechtweist: Sie haben behauptet, eine Erklärung zu haben. Falscher Trost von der Art, wie ihn Hiobs Freunde anbieten, bleibt wirkungslos, weil er auf einer vermeintlichen Erklärung beruht – in Hiobs Fall lautet diese, dass er sein Leid verdient hat.

Der Gott in der Geschichte von Hiob verlangt bedingungslosen Gehorsam als Vorbedingung für Trost, aber er verlangt noch etwas anderes: Treue zum eigenen Glauben. Hiob verweigert ein Schuldeingeständnis. Er verlangt, dass sowohl Gott als auch die drei falschen Tröster seine Unschuld anerkennen. Paradoxerweise bewahrt er sich seinen Glauben, indem er Gerechtigkeit verlangt. Um Gerechtigkeit zu verlangen, muss man den Glauben haben, dass die Welt sinnvoll ist, dass Gerechtigkeit möglich ist und dass Gott die Macht hat, sie zu gewähren. Wenn diese Deutung zutreffend ist, will der Erzähler der Geschichte von Hiob erreichen, dass wir verstehen, dass Gehorsam Trost verspricht, während es in hilfloser Resignation keinen geben kann. Wenn wir diese Vorstellung auf unser eigenes Leben anwenden, kann uns Trost nur aus tiefer Verzweiflung befreien, wenn wir den Mut aufbringen, von uns selbst und von anderen zu verlangen, die Realität unseres Leids anzuerkennen, und den falschen Trost jener ablehnen, die unser Leid leugnen oder behaupten, wir hätten es verdient. Die Geschichte sagt uns auch, dass wir aufhören sollen, jene Frage zu stellen, die uns so oft quält, wenn wir trauern: Warum ich? Gott sagt zu Hiob und damit zu uns allen, dass es auf diese Frage keine Antwort gibt.

Als würde er für dieses neue Verständnis belohnt, erhält Hiob am Ende der Parabel seinen Reichtum, seine Familie, sein Heim und seine Gesundheit zurück. Das Buch schließt mit der Erklärung, dass Hiob, der seinen Frieden mit Gott gemacht hat, schließlich »hochbetagt und satt an Lebenstagen« starb.19

Das Buch Hiob beschreibt eine Ordnung der Welt, in der Trost möglich ist, weil der Himmel nicht schweigt. Die Menschen sind dieser Welt nicht entfremdet, sondern Teil davon, und obwohl ihre Ordnung unergründlich sein mag, kann Hiob akzeptieren, dass sein Leid, so unerträglich es auch sein mag, in Gottes Augen einen Sinn hat, weil es der Prüfung seines Glaubens dient. Die Ungerechtigkeit von Gottes Welt mag schwer zu ertragen sein, aber sie ist kein Produkt des willkürlichen oder sinnlosen Zufalls, sondern das Werk eines Geistes, der unser Verständnis übersteigt.

Heute leben jene, die immer noch wie Hiob zu Gott sprechen, in der Hoffnung, dass ihre Gebete erhört werden, aber sie sind sich der Möglichkeit bewusst, dass Gott nicht antworten wird. Der Trost des Gebets liegt darin, es zu sprechen, sowie in der daraus folgenden Kommunion mit dem Selbst. Betende Menschen erwarten nicht länger, dass die Stimme aus dem Wettersturm zu ihnen sprechen wird. Der moderne Mensch ist daran gewöhnt, schweigend auf Gott zu warten. Die große religiöse Denkerin und Mystikerin Simone Weil, die im Jahr 1943 starb, beschäftigte sich eingehend mit der Geschichte von Hiob. Sie betrachtete ihre eigene Beziehung zu Gott stets als eine Form von geduldigem und hoffnungsvollem Warten. Sie erklärte, nicht auf Trost zu warten, sondern lediglich darauf, Gottes Gegenwart zu fühlen. In Becketts Warten auf Godot nimmt diese Vision der Beziehung zwischen Mensch und Gott eine dunklere und komischere Form an. Wladimir und Estragon warten und reden und warten, und niemand spricht aus der Umgebungsluft zu ihnen. Wir haben uns an die Stille gewöhnt.

Wie können sich jene, die sich nicht dazu durchringen können, Hiobs Gott zu akzeptieren oder darauf zu warten, dass er zu ihnen spricht, also mit Hiobs Geschichte identifizieren? Was auch immer wir von Hiob und seinem Gott halten, jede Auseinandersetzung mit der Idee des Trosts muss bei dieser Geschichte beginnen, welche die Lage des Menschen so klar beschreibt. Hiobs Geschichte sagt uns, dass es unser Schicksal ist, Trauer und Leid ohne erkennbaren Sinn zu ertragen, Augenblicke, in denen unser Dasein eine Qual ist, in denen wir wissen, was es bedeutet, wirklich untröstlich zu sein. Aber wie Hiob müssen wir lernen, das Leid durchzustehen, wir müssen an der Wahrheit dessen festhalten, was wir erlebt haben, und falschen Trost wie die Vorstellung ablehnen, wir hätten unser Leid verdient. Wir sollten uns weigern, uns die Last der Schuld aufzubürden, und uns nach Kräften bemühen, den Sinn unseres Lebens zu verstehen. Wir sind nicht zu ewigem Schweigen und zur Sinnlosigkeit verurteilt. Wir können eine Antwort im Wettersturm finden, in der nie endenden verstörenden Begegnung mit unserem Schicksal. Aber um eine Antwort zu finden, die für uns wahr ist, müssen wir so tapfer wie der Mann in Lumpen sein, der es wagte, die Faust gen Himmel zu ballen.

Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.

Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.

Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.

Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.

Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher.

Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.20

Diese Worte zählen zu den tröstlichsten, die je geschrieben wurden. Wenn wir trauern, kann uns der Psalm 21 durch die Nacht helfen. Wenn wir im Gefängnis sitzen, sind dies die Worte, die uns ein Kaplan vorlesen könnte. Als Männer und Frauen früher auf das Schafott stiegen, waren das möglicherweise die letzten Worte, die sie hörten.

Hiob wird von Gottes Erscheinung im Wettersturm getröstet, denn Gott erkennt Hiobs Würde in seinem Leid an. Aber was ist mit uns? Warum bewegt uns dieser Psalm, wenn wir Hiobs Glauben nicht teilen, wenn wir nicht an Gott glauben? Warum füllten sich die Augen der Menschen in jenem Saal in Utrecht mit Tränen der Anerkennung?

Es ist leicht zu verstehen, warum diese Worte tröstend sind – sie sind wohlklingend, rhythmisch, beschwörend. Aber Trost ist mehr als das. Wie vermitteln die Psalmen eine Botschaft der Hoffnung? Und warum glauben wir diese Botschaft?

Hiob findet Trost, weil er seinen Lebensabend in Sicherheit verbringt, nachdem er sich Gottes kosmischer Ordnung unterworfen hat, obwohl er sie nicht versteht. Heute können wir die Schönheit dieser Vorstellung bewundern und uns sogar wünschen, sie sei wahr, aber das wehmütige Schwelgen in verlorenen Gewissheiten kann uns nur vorübergehend ermutigen. Wirklicher Trost sollte von bleibender Plausibilität sein, weil die Hoffnung, die er uns gibt, ansonsten die kommenden Prüfungen nicht überdauern wird.

Wir können die Psalmen nicht wie religiöse Menschen als Bekenntnisse des Glaubens an eine göttliche Ordnung lesen, aber wir können immer noch Trost daraus beziehen, dass eine Kette der Sinnstiftung besteht, die bis in die Frühzeit des schriftlich festgehaltenen menschlichen Ausdrucks zurückreicht und sich, sofern sie nicht irgendwann bricht, weit in die Zukunft erstrecken und Generationen von Menschen, die noch nicht geboren sind, Trost spenden wird.