Über den Wolken - Claudia Busch - E-Book

Über den Wolken E-Book

Claudia Busch

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Beschreibung

Wie beruhigt man 20 orthodoxe Juden, die auf einem Flug von Frankfurt nach New York keinen Platz zum Beten finden? Wie befreit man eine korpulente Dame, die mit heruntergelassener Hose in der winzigen Flugzeugtoilette feststeckt? Und wie hält man ein frisch vermähltes Paar davon ab, die anderen Passagiere durch wilde Sexspiele zu belästigen? Als erfahrene Stewardess hat Claudia Busch so viele menschliche und technische Turbulenzen gemeistert, dass sie nichts mehr aus den Pumps haut. Hier erzählt sie die komischsten Geschichten aus ihrem abgedrehten Alltag als fliegende Saftschubse.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 333

Veröffentlichungsjahr: 2014

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ÜBER DIE AUTORIN

Claudia Busch, 1977 in Moers geboren, studierte Deutsch und Geografie auf Lehramt. Nach ihrem Referendariat entscheidet sie sich gegen den Schuldienst, um ihrem Traumberuf nachzugehen. Sie absolviert eine Ausbildung zur Stewardess. Mittlerweile arbeitet sie seit zehn Jahren als Flugbegleiterin bei einer bekannten deutschen Airline. Zusammen mit ihrer Familie wohnt sie in der Nähe von Düsseldorf.

Claudia Busch
ÜBER DEN WOLKEN
Kurioses aus dem Fliegeralltag
BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Lisa Bitzer

Titelillustration: © shutterstock/fred goldstein; shutterstock/Ksenia Raykova

Innenillustration: © getty-images/iStock Vectors

Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

E-Book-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-8387-5347-8

Sie finden uns im Internet unter www.luebbe.deBitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

INHALT

Über die Autorin

Prolog

Dreams …

… are my reality

Zwischen Himmel und Erde

Stopover

Im Hangar

Wind Nord-Ost, Startbahn null-drei

Auf der Startbahn

Auf kurz …

… oder lang

Völlig losgelöst

In fremden Betten

Knockin’ on heaven’s door

Flughund

Die sprechende Tasche

Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen

Der Mann auf 34A

Schalom chaverim

Sex in the air

Der Preis ist heiß

Das verflixte siebte Jahr

Ménage à trois

Aus der Zeit gefallen

Flugzeuge im Bauch

Holterdipolter

Nichts geht mehr

Alle Mann an Bord

Smoke on the water

Sakramente

Die Macht der Mächtigen

Über den Wolken

Ein kleines Nachwort

PROLOG

Montagmorgen nach einem Brückentagwochenende. Vier Tage hatten die Schüler keinen Unterricht und ich, die Referendarin, der Depp vom Dienst und Fußabtreter für alle, auch nicht. Ein bisschen fühlt es sich an wie der erste Tag nach den Ferien. Obwohl das nur eine Wunschvorstellung sein kann.

Ich habe das lange Wochenende ausgiebig mit Michael und Andrea – meinen besten Freunden – zelebriert. Und jetzt stehe ich wieder hier. Acht Uhr zehn Unterrichtsbeginn, siebte Klasse. Die Schüler sind unruhig. Sehr unruhig. Ronja und Lea giften sich an.

»Du doofe Kuh!«

»Sag das noch mal, und ich sag es meinem Bruder, der ist in der Elf. Da hast du den Tag deines Lebens!«

»Ich bitte um Ruhe«, skandiere ich und raschele demonstrativ und vollkommen unbemerkt mit meinen Unterlagen. Scheiße. Das ist die Mappe des sechsten Jahrgangs. Ich habe die Tasche nicht richtig gepackt. Panik steigt in mir auf.

»Du doofe Kuh!«

»Na warte!«

Die beiden Mädchen gehen aufeinander los. Es sieht so aus, als wollten sie sich die Augen auskratzen. An den Haaren wird natürlich auch gezogen. Ich gehe dazwischen, setze die Mädchen auseinander. Sie funkeln sich weiterhin giftig an. Wenn Blicke töten könnten.

Der Rest der Klasse benimmt sich so, als wäre ich gar nicht da. Ich räuspere mich laut und lege meinen besten Fräulein-Rottenmeier-Ton auf: »Ruhe!«

Jetzt sehen sie mich fasziniert an. Wie eine seltene Tierart im Zoo. Dann hustet der Erste. Karsten, hinten links. Danach die ganze Reihe rechts hinten. Dann geht es vorne weiter. Gruppenhusten. Davor wurde ich schon gewarnt, aber ich wusste nicht, wie schrecklich es sein kann.

Resolut und mit unbeweglicher Miene baue ich mich hinter dem Pult auf – die müssen ja nicht wissen, dass ich die falschen Unterlagen eingepackt habe und zudem ziemlich verunsichert bin. Niemals in die Karten blicken lassen, das war der erste Tipp, der mir vor knapp anderthalb Jahren im Lehrerzimmer zugeraunt wurde.

»Wer mag die Hausaufgaben vortragen?«, frage ich forsch und blicke mich um. Viele husten noch. Okay, ich kann das auch lauter. »WER? HAT? DIE? HAUSAUFGABEN? GEMACHT?«

So ein Mist. Keiner reagiert. Ich hole tief Luft. Einer muss anfangen, dann läuft das schon. Also, wer ist das Schlachtlamm? Kai. Der macht immer die Aufgaben. »Kai, lies bitte die Hausaufgaben vor.«

»ICH?!« Er guckt mich empört an. »Nö.«

»Nö?« Am liebsten würde ich mich hinter der Gardine verstecken, aber das geht natürlich nicht. Auch aus hygienischen Gründen.

»Anna, die Hausaufgaben.« Ich recke mein Kinn vor.

»Hab ich nicht.« Sie schaut kaum von ihrem Schminkspiegel auf.

Das ist kein Unterricht, das ist ein Albtraum. Ich möchte nach Hause, unter meine Decke, in mein Bett. Jetzt sofort. Aber das geht nicht. Also noch einmal.

»Hat jemand die Hausaufgaben gemacht?«, brülle ich, aber keiner, wirklich keiner der Puber-Tiere reagiert. Verdammt.

Was ist hier los? Ich baue mich vor der Klasse auf. Sie reden miteinander, als wäre ich nicht da. Karina geht zu Anna und hilft ihr beim Schminken.

»SETZDICH!«, schreie ich sie an. »SOFORT! Sonst berufe ich eine Lehrerkonferenz ein, und dann fliegst du achtkantig von der Schule!«

Auf einen Schlag ist die Klasse ruhig. Sie schauen mich an, als wäre ich eine rosa Kuh mit grünen Tupfen. Keine Ahnung, wie ich das angestellt habe. Vermutlich hat es was mit dem Signalwort »Lehrerkonferenz« zu tun. Das funktioniert immer ähnlich gut wie »Elternanruf« oder »Schulverweis«. Allerdings darf man nicht inflationär mit den Begriffen um sich schmeißen, sonst verpufft die Wirkung. Und manchmal, ja manchmal, da muss man dann halt wirklich eine Lehrerkonferenz einberufen oder einen Elternanruf tätigen oder einen Schüler der Schule verweisen, selbst wenn man das eigentlich gar nicht will. Aber was muss, muss.

»Gruppenarbeit«, zische ich. »Wenn ihr die Hausaufgaben nicht gemacht habt, holt ihr sie jetzt eben in der Stunde nach. Bildet Vierergruppen.«

Und das war ein Fehler. Jetzt diskutieren sie lang und breit, wer mit wem und mit dem nicht und wieso, weshalb, warum und überhaupt.

»Schluss!«, unterbreche ich die Diskussionen und teile sie kurzerhand selbst ein. Auch keine gute Idee. Oskar zieht Fritz den Stuhl weg, Fritz knallt auf den Boden, die Klasse johlt. Lea und Ronja nutzen die Chance und gehen sich wieder an die Gurgel. Ich ziehe die beiden auseinander, versuche den Streit zu schlichten. Am liebsten würde ich die Mädels auf den Gang schicken, damit sie ihr Gefecht dort austragen, möge der Bessere gewinnen und so. Aber das darf ich nicht.

Irgendwann sitzen dann alle schließlich an den Tischen und arbeiten. Entnervt lasse ich mich auf den Stuhl hinter dem Pult fallen. Meine Hände zittern, und meine Beine tanzen einen Wackelpudding-Twist. Ich habe kaum Luft geholt, da klingelt es. Alle springen auf und verlassen hustend die Klasse, ein fettes Grinsen im Gesicht.

Es sind nur Kinder, und sie wissen, dass ich ihnen heute nicht gewachsen war – aber ich möchte nur noch nach Hause und nie wieder eine Stunde halten. Kinder können so grausam sein. Will ich diesen Job überhaupt machen? Bin ich wirklich Vollblutlehrerin? Die nächsten Jahre, o Gott, nein: Jahrzehnte!, werde ich Machtspielchen mit unerzogenen Halbwüchsigen austragen müssen. Unterricht vorbereiten, Unterricht abhalten, Unterricht nachbereiten. Miese Aufsätze korrigieren, Referate hören, Noten geben. Mir in stinklangweiligen Lehrerkonferenzen den Hintern platt sitzen, stundenlang über die Anschaffung neuer Lehrbücher debattieren und mich irgendwann nur noch auf die Ferien freuen. Ich hatte es mir so schön vorgestellt, das Lehrersein, aber die Realität ist anders. Meine Kolleginnen und Kollegen haben zum größten Teil Spaß am Unterricht, mir bereitet er schlaflose Nächte. Ich glaube nicht, dass ich Schüler wirklich begeistern kann.

Und die wichtigste Frage ist: Will ich das überhaupt?

Herzlich willkommen an Bord unseres BlueSky-International-Airlines-Flugs. Sie sitzen in einer Boeing 737, und unser Captain wird Sie gleich an das Ziel Ihrer Träume fliegen. Die voraussichtliche Flugzeit wird etwa vier Stunden und fünfzehn Minuten betragen. Bitte vergewissern Sie sich, dass großes und schweres Handgepäck sicher unter Ihrem Vordersitz platziert ist. Für kleinere Handgepäckstücke und Garderobe nutzen Sie bitte den Stauraum in den Gepäckfächern über Ihnen. Schnallen Sie sich an und ziehen Sie Ihren Sitzgurt fest. Aus Sicherheitsgründen empfehlen wir Ihnen, während des gesamten Fluges angeschnallt zu bleiben.

DREAMS ...

So würde sie klingen, die fachmännische Ansage von mir, wenn, ja, wenn ich Flugbegleiterin wäre.

Bin ich aber nicht. Ich bin Lehrerin. Demnächst, falls ich das Referendariat überhaupt überlebe. Und dann das Staatsexamen bestehe. Wenn ich im Anschluss daran verbeamtet werde und eine Planstelle ergattere, werde ich die nächsten einhundert Jahre Kinder mit Gruppenhusten unterrichten. Mindestens. Und das ohne wirkliche Begeisterung.

»Was ist los mit dir, Süße?«, fragt Michael und lässt sich auf den Hocker neben mich plumpsen. Er zwinkert dem Barkeeper zweideutig zu, und keine Sekunde später stellt ihm dieser einen Prosecco auf Eis vor die Nase.

»Und du? Noch ein Bier?«, fragt mich der Barkeeper und lässt Michael dabei keinen Moment aus den Augen.

Ich nicke.

»Hallo? Erde an Claudia! Was ist los?«

Michael knufft mich in die Seite. Dem kann man aber auch gar nichts vormachen. Wir sind schon seit dem Sandkasten befreundet, seit damals, als er mir meine Arielle-die-Meerjungfrau-Barbie geklaut und niemals wieder zurückgegeben hat. Sie sitzt heute noch in seinem Schlafzimmer im Regal, wie eine Jagdtrophäe.

»Nichts«, winke ich ab.

»Kummer mit Gregor?«

Ich schüttele den Kopf. »Schön wär’s«, murmele ich.

Gregor ist mein Lebensgefährte, wie man heutzutage so schön sagt. Mein Freund. Er ist dreißig und somit fünf Jahre älter als ich. Ideal, hat meine Mutter entschieden. Wir sind seit fast drei Jahren ein Paar. Gregor ist Immobilienmakler und sehr erfolgreich, gerade jetzt, wo Waschbeton wertvoller ist als jede noch so sichere Rente. Gregor ist der Traumschwiegersohn schlechthin, ein Frauenversteher mit romantischer Ader, aber trotzdem sehr männlich. Der Beschützertyp.

Vor vierundzwanzig Stunden hat Gregor höflich darum gebeten, mein zukünftiger Ehemann werden zu dürfen.

»Spuck’s aus, Claudi! Irgendwas ist doch«, meint Michael treffend.

»Wir waren gestern Häuser gucken«, wimmere ich.

»Häuser?«

»Ja, Gregor hat eine Mappe angelegt mit Objekten, die ihm zum Verkaufen angeboten wurden. Zwei davon, meint er, wären ideal für uns. Und die haben wir uns angeschaut.«

»Und wo ist der Haken?«

»Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht«, hauche ich schwach.

Michael schweigt, schlürft an seinem Prosecco. Ich nehme einen großen Schluck Pils und unterdrücke ein Rülpsen.

»Er möchte das Haus kaufen, für uns. Und nächstes Jahr im Mai will er heiraten. Und in zwei, drei Jahren soll das erste Kind kommen. Vorher könnten wir uns einen Hund anschaffen, hat er gesagt. Zum Üben.«

»Wahnsinn.«

»In der Tat«, sage ich. »Du bist meine erste Brautjungfer. Ich darf doch davon ausgehen, dass du kommst und rosa Wattebäuschchen schmeißt?«

Michael lächelt. »Sag mir rechtzeitig vorher Bescheid, damit ich dann meine Off-Tage nehmen kann.«

Ich blicke ihn von der Seite an. Michaels dunkles Haar glänzt, es ist wohl noch feucht von der Dusche. Braun gebrannt und entspannt sieht er aus. Er riecht sogar ein wenig nach Sonnenmilch, bilde ich mir ein. Wir haben Januar, und niemand braucht in Deutschland Sonnenmilch.

»Wo kommst du eigentlich gerade her?«

»Malediven. Es war traumhaft.« Er grinst breit. »Nur Margo meinte, sie müsse die Paxe erschrecken. Kurz vor der Landung schaute sie auf die Tragfläche und schrie: ›Was ist denn das?‹ Sie hat sich kaputtgelacht. Aber die Paxe fanden das weniger witzig.«

Ich kichere. Die Paxe, das weiß ich inzwischen aus all den farbenfrohen Erzählungen von Michael, sind die Passagiere.

»Wie geil! Ich kann es mir bildlich vorstellen.«

»So lustig war das gar nicht. Wir hatten einen Mann dabei, der litt unter extremer Flugangst. Er hat den ganzen Flug über in eine Papiertüte geatmet. Ich glaube, der ist fast gestorben. Ich kann Margo ja verstehen – ein wenig Spaß muss sein –, aber doch nicht, wenn jemand beinahe einen Herzinfarkt bekommt! Auf dem Rückflug wollte doch tatsächlich jemand …«

Und dann fängt er an zu erzählen.

Michael ist Flugbegleiter bei BlueSky International. Er hat drei Semester Design studiert, dann hat er sich bei BlueSky beworben. Das ist jetzt fast vier Jahre her, und seitdem beneide ich ihn. Aber nur heimlich.

»Über den Wolken«, summe ich gedankenverloren, »muss die Freiheit wohl grenzenlos sein …«

»Du gefällst mir gar nicht«, sagt Michael. »Eigentlich müsstest du doch überglücklich sein. Der Traum aller Heten geht für dich in Erfüllung. Habt ihr euch schon für ein Haus entschieden? Darf ich mit dir das Brautkleid aussuchen? Sag bitte bitte ja!«

»Ich habe aber noch gar nicht ja gesagt.«

»Dann mach es jetzt. Ich werde auch alles für dich tun, sogar die Einladungskarten entwerfen. Und eine Kutsche, ihr braucht unbedingt eine Kutsche!«

»Michael, ich habe zu Gregor noch gar nicht ja gesagt.«

»Was?« Er starrt mich an, sodass ich instinktiv über meinen Mund wische, um das zu entfernen, was dort hängen könnte – ein Bierschaumbärtchen zum Beispiel.

»Du hast noch nicht ja gesagt? Wieso nicht?«

Tja. Wieso nicht? Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit. Eigentlich sollte ich superdupermegaglücklich sein. Ich habe studiert, stehe kurz vor dem Abschluss und werde wahrscheinlich an meiner bisherigen Schule bleiben können und Beamtin auf Lebenszeit sein. Und ich habe einen Heiratsantrag von dem Mann erhalten, den ich liebe.

Das tue ich doch – oder?

»Ich weiß nicht, ob ich ihn liebe«, gestehe ich leise.

»WIEBITTE?«, brüllt Michael so laut, dass der Barkeeper guckt.

»Na ja, also, natürlich liebe ich ihn. Gregor ist echt ein Schatz. Wirklich. Und wir streiten uns auch nie. Wir haben keine Auseinandersetzung, noch nicht mal darüber, was es am Sonntag zu essen geben soll. Er würde mir die Sterne vom Himmel holen, ohne Leiter und so. Das weiß ich alles. Aber …« Ich stocke.

»Du als zukünftige Lehrerin müsstest doch wissen, dass alles, was vor einem Aber steht, nichts gilt. Also – was aber?«

»Ich bin zu jung.«

»Aber du musst dir doch nicht gleich ein Baby andrehen lassen, Liebes.«

»Nein, ich bin für das alles zu jung. Zum Heiraten, zum Dreißig-Jahre-lang-einen-Job-Ausüben, oder, was viel wahrscheinlicher ist, siebzig Jahre, wenn die Politiker so weitermachen. Zum Haus-Kaufen. Und für den Hund bin ich auch zu jung. Ich will Abenteuer, Freiheit, was erleben.«

Ich hole tief Luft und spreche zum ersten Mal aus, was ich schon länger denke.

»Ich will so leben wie du.«

Michael sieht mich mit skeptisch hochgezogener Augenbraue an. »Ist das jetzt die komische Version eines Outings?«

»Herrgott. Nein! Ich bin immer noch sehr, sehr hetero, zumindest ist das Stand des heutigen Tags, aber ich will Flugbegleiterin werden. Die Welt sehen. Reisen. Globetrotten. Stempel im Pass sammeln, mit unterschiedlichen Menschen zu tun haben und all das!«

»Aha.«

Es gab in den gemeinsamen Jahren unserer Freundschaft nur sehr wenige Augenblicke, in denen Michael sprachlos war. Dies ist einer davon.

Meine Mutter reagiert ganz anders.

»Was willst du? Hast du Drogen genommen? Komm mal her, vielleicht ist es Fieber.«

Sie zieht mich an sich und drückt mir die Hand auf die Stirn. Währenddessen brabbelt sie unentwegt weiter.

»Ich habe von einem Meningitisfall in der Stadt gehört, vielleicht hast du dich angesteckt? Hast du Streit mit Gregor? Das gibt sich wieder. Gregor ist so ein Netter, der wird dir das verzeihen, was auch immer du getan hast«, sprudelt es aus ihr heraus.

»Mutter«, sage ich betont ruhig und langsam. »Ich habe kein Fieber, und ich habe auch keinen Streit mit Gregor.«

»Noch nicht«, wispert Michael, den ich als moralische Unterstützung mitgenommen habe. Ob das so eine gute Idee war, wird sich erst noch zeigen.

»Na, dann ist ja gut«, seufzt meine Mutter, lässt von mir ab und drückt sich theatralisch die Hand aufs Herz. »Dann ist das nur ein kurzer Moment der Unsicherheit, bevor du in den Stand der Ehe trittst.«

»Woher weißt du das?« Ich starre sie fassungslos an. »Das habe ich doch noch niemandem –«

»Gregor.« Sie strahlt. »Und er hat mir auch das Exposé von eurem Haus gezeigt. Das wird so schön!«

»Mutter, ähm …«

Ich fange einen Blick von Michael auf, der mir unmissverständlich klarmacht, dass in dieser Situation keine Ausreden gelten. Na gut, dann halt auf die herkömmliche Art: Pflaster ab und weiter im Text.

»Also, ich mach es kurz: Ich werde Gregor nicht heiraten, und wir werden auch nicht in das Haus ziehen.«

»Aber –«

»Ich möchte etwas anderes machen in meinem Leben. Etwas Aufregendes. Ich möchte kein langweiliges, spießiges Leben, ich möchte Abenteuer erleben. Und fremde Länder sehen. Und all das.«

»Aber ihr könnt doch reisen. Als Lehrerin hast du doch so viel Urlaub. Da könnt ihr doch fahren, wohin ihr wollt. Ich nehme auch den Hund.«

»Welchen Hund?«

»Gregor möchte doch einen Hund. Hat er mir letzte Woche verraten.«

»Aha. Mir hat er es erst gestern gesagt.«

Plötzlich ist mir ganz klar, dass ich mich dringend von Gregor trennen muss, bevor mich die Erkenntnis trifft, in einer Partnerschaft gefangen zu sein, die maßgeblich von meiner Mutter gestaltet wird.

»Ich möchte Flugbegleiterin werden.«

»Du willst … WAS? Das kann nicht dein Ernst sein. Nein, Claudia, das meinst du nicht so.«

Sie holt tief Luft. Das kenne ich schon, sie wird mir jetzt schwallartig mein Leben erklären – aus ihrer Sicht. Sie meint es ja nur gut, das weiß ich. Aber es nervt.

»Du musst Gregor heiraten, er ist der perfekte Ehemann, und überhaupt, Flugbegleiterin, das ist doch kein Beruf! Du hast studiert, und wir haben dein Studium bezahlt. Lehrerin, das ist sicher, du könntest Beamtin werden. Etwas Besseres gibt es doch nicht.«

»Mama, ich will aber nicht Lehrerin werden.« Mir schießen Tränen in die Augen. »Du weißt gar nicht, wie das ist, wenn dir die ganze Klasse den Rücken zudreht oder sich zwei der Puber-Tiere auf eine Art und Weise beschimpfen, die dir die Schamesröte ins Gesicht treibt!«

»Claudia, mein Kind, nur weil du eine schlechte Stunde hattest, willst du alles hinwerfen?« Sie verdreht die Augen, dann sieht sie Michael an, den sie wohl mit ins Boot holen will. Ob sie weiß, dass er selbst Flugbegleiter ist? »Das kenn ich ja schon von dir, damals war das genauso. Als du UN-BE-DINGT Klavier lernen wolltest und Papa dir das Instrument gekauft hat. Ein halbes Jahr hast du geklimpert, und dann wolltest du plötzlich reiten lernen. Zum Glück hat Papa dir da kein Pferd gekauft, ansonsten könnte das jetzt bei uns Klavier spielen. Das ist doch jetzt auch wieder so eine spontane Idee von dir. Das geht wieder weg. Glaub mir, du willst das nicht wirklich.«

»Doch!« Ich kann gerade noch verhindern, dass ich mit dem Fuß aufstampfe. Wir starren uns an wie zwei Büffel, kurz bevor sie aufeinander losgehen.

»Claudia, NEIN! Du wirst darüber nachdenken und zu der Entscheidung kommen, dass dies nur vorübergehende Zweifel sind. Schlaf darüber. Gregor ist das Beste, was dir jemals passiert ist. Das kannst du doch nicht einfach so wegschmeißen.«

»Und ob ich das kann«, brülle ich nun. »Es ist mein Leben!«

Michael räuspert sich. Er sieht so aus, als fürchte er, dass wir gleich mit Porzellan schmeißen. Eigentlich wäre mir auch danach.

»Hast du dir das wirklich gut überlegt?«, fragt er.

Hab ich das? Nein, natürlich nicht. Ich schnaufe und sehe meine Mutter an. Ihr Gesicht ist gerötet, und ich kann das Entsetzen in ihren Augen sehen.

»Ja«, lüge ich und atme kontrolliert weiter, um meinen Puls zu entschleunigen. »Das ist doch ein toller Job. Du machst ihn doch auch.«

»Jaaa«, sagt er gedehnt. »Aber …«

»Aber was?«

»Das ist alles nicht so einfach. Ich will nicht, dass du dir Illusionen machst. Es ist echt harte Arbeit. Den Job mit Ehe und Kindern verbinden – das wird schwierig. Selbst Freundschaften zu pflegen ist kein Pappenstiel – du weißt doch, wie das mit mir ist. Wir können uns oft nur spontan verabreden oder in etwa einen Monat im Voraus. Immer dann, wenn irgendetwas im Freundeskreis stattfindet, bin ich nicht da. Und wenn ich da bin, habt ihr keine Zeit. Ich verpasse Geburtstagsfeiern, Weihnachtsfeiern, Osterbrunch und Silvester mit euch.«

Ich blicke zu meiner Mutter rüber, sie hat jedes seiner Worte mit einem vehementen Nicken kommentiert.

»Das hab ich mir schon überlegt. Aber echte Freundschaften halten, sonst wärst du doch jetzt nicht hier.«

Michael lächelt. Ich bin siegesgewiss – jetzt steht es mindestens 1:0 für mich. Michael nimmt den Treffer mit wahrer Größe hin und geht zum nächsten Angriff über.

»Man wird nicht umsonst ›Saftschubse‹ genannt. Die Hauptaufgabe eines Flugbegleiters ist eigentlich, für die Sicherheit der Paxe zu sorgen. Aber die meiste Zeit ist alles sicher, und deswegen teilt man Getränke, Kissen und Decken aus, macht den Bordverkauf, lässt sich dumm anmachen und hält die Kotztüte – Service eben.«

»Ich habe jahrelang in der Gastronomie gejobbt. Das hat eigentlich immer Spaß gemacht.«

»Stimmt. Das kannst du also.«

Er scheint angestrengt darüber nachzudenken, wie er mir mein Vorhaben ausreden kann. Meine Mutter schnäuzt sich geräuschvoll in ein Taschentuch. Da scheint Michael ein Gedanke zu kommen.

»Es ist wirklich kein Vergnügen, mit schwierigen Paxen umzugehen.«

»Schwieriger als mit dreißig pubertierenden Achtklässlern kann das auch nicht sein«, halte ich dagegen.

Jetzt habe ich ihn, darauf kann er nicht kontern.

»Du kannst keine Koffer packen.«

Mist! Damit hat er mich. Das kann ich tatsächlich nicht. Gregor macht das bei uns. Und wenn er es nicht macht, sondern ich, sehen meine Sachen nachher immer aus, als kämen sie direkt aus der Altkleidersammlung.

»Das kann man lernen«, sage ich und strecke das Kinn vor. »Und ich bin lernfähig.«

»Das bist du tatsächlich«, sagt er nachdenklich.

»Kind, das kannst du nicht machen!«, schreit nun meine Mutter wieder. Ihr Gesicht ist puterrot. »Du kannst doch nicht alles hinschmeißen und Saftschubse werden.«

»Warum nicht?«, entgegne ich plötzlich ganz ruhig.

»Weil, weil … Und was ist mit Gregor?«

»Offensichtlich bist du mit ihm als Schwiegersohn viel glücklicher als ich mit ihm als Partner. Er ist nicht gewalttätig, trinkt nicht, spielt nicht und macht generell keine bösen Sachen. Wenn du möchtest, kannst du ihn ja heiraten. Ich zieh dann wieder bei Papa ein. Denn ich langweile mich mit Gregor, Mutter. Das kann es doch nicht gewesen sein. Ich bin Mitte zwanzig und will noch einmal andere Dinge ausprobieren. Bei Gregor bin ich direkt auf der Landebahn und fahre schnurstracks in Richtung Hangar. Dort bleibe ich dann für den Rest meines Lebens. Das will ich aber nicht. Ich möchte noch den ein oder anderen Flughafen ansteuern, ich wünsche mir noch mehr Turbulenzen.«

»Du scheinst vollkommen den Verstand verloren zu haben«, seufzt sie und schüttelt resigniert den Kopf. »Aber das Referendariat machst du noch zu Ende, hast du mich verstanden? Bitte. Es sind doch nur noch ein paar Wochen. Und das Staatsexamen. Bitte!«

»Sie hat recht, Claudi«, sagt Michael, der alte Verräter. »Mach das noch fertig. Nur für den Fall der Fälle. Ich habe schon mal bei uns im System nachgeschaut, es gibt Bedarf bei uns, aber die nächsten Kurse beginnen erst im September. Bewerben kannst du dich ja schon mal online.«

»Du hast schon nachgeschaut für mich?«, quietsche ich glücklich und falle ihm um den Hals. »Willst du mich heiraten?«

»Nein. Dich nicht. Lieber Gregor.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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