Über Leben in der Klimakrise - Milena Glimbovski - E-Book

Über Leben in der Klimakrise E-Book

Milena Glimbovski

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Beschreibung

Die Klimakatastrophe wird kommen – wie stellen wir uns darauf ein? Ansteigende Temperaturen, massive Dürre, extreme Wetterphänomene – die Klimakrise ist längst auch bei uns in Deutschland angekommen. Die Trinkwasserversorgung ist nicht mehr sicher, die Landwirtschaft hat es so schwer wie nie zuvor, der Meeresspiegel steigt. Doch selbst wenn die politisch Verantwortlichen die große Katastrophe noch abwenden können: Viele klimatischen Veränderungen sind nicht mehr rückgängig zu machen. Wir haben keine Wahl, wir müssen uns anpassen. Die Aktivistin und Gründerin von Original Unverpackt Milena Glimbovski zeigt, wie es gehen kann. Sie stellt konkrete Maßnahmen vor, die wir politisch, aber auch privat umsetzen müssen, um eine klimaresiliente Gesellschaft zu schaffen.

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Über Leben in der Klimakrise

Die Autorin

Milena Glimbovski ist Geschäftsführerin von Original Unverpackt, dem ersten Unverpackt-Laden in Berlin, und Pionierin der Unverpackt-Laden-Bewegung sowie Gründerin von Ein guter Plan, dem kleinen Verlagshaus rund um das Thema mentale Gesundheit. Seit 2014 spricht und schreibt sie über nachhaltigen Lebensstil und veröffentlichte die Bücher Ohne Wenn und Abfall (2017) und zusammen mit Susanne Mierau Einfach Familie leben. Sie hielt Dutzende Vorträge, zwei TEDxTalks und wird regelmäßig als Expertin von Presse und Politik rund um die Themen Nachhaltigkeit und Unternehmertum angefragt. Darüber hinaus macht sie den Podcast Über Leben in der Klimakrise, in dem es nicht nur um Klimaschutz geht, sondern um notwendige Anpassungen in den verschiedensten Bereichen unserer aller Leben. Auf Instagram und Twitter erreicht sie mit ihren privaten Kanälen ca. 40 000 Follower:innen.

Das Buch

Ansteigende Temperaturen, massive Dürre, extreme Wetterphänomene – die Klimakrise ist längst auch bei uns in Deutschland angekommen. Die Trinkwasserversorgung ist nicht mehr sicher, die Landwirtschaft hat es so schwer wie nie zuvor, der Meeresspiegel steigt. Doch selbst wenn die politisch Verantwortlichen die große Katastrophe noch abwenden können: Viele klimatischen Veränderungen sind nicht mehr rückgängig zu machen. Wir haben keine Wahl, wir müssen uns anpassen. Die Aktivistin und Gründerin von Original Unverpackt Milena Glimbovski zeigt, wie es gehen kann. Sie stellt konkrete Maßnahmen vor, die wir politisch, aber auch privat umsetzen müssen, um eine klimaresiliente Gesellschaft zu schaffen.

Milena Glimbovski

Über Leben in der Klimakrise

Warum wir jetzt über Klimaanpassung sprechen müssen

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlag- und Autorinnenfoto: © Hans Scherhaufer

E-Book-Konvertierung powered by pepyrus

ISBN 978-3-8437-2889-8

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Vorwort

Teil I   Warum Klimaschutz allein nicht mehr ausreicht

Kapitel 1   Wir sind alle betroffen

Wo wollen wir leben?

Was grüner Konsum nicht kann

Was grüner Konsum bewirken kann

Kapitel 2   Aktivismus für den Klimaschutz

Sprecht es aus! Die Krise, sie ist hier

Engagement im Kleinen

Clara klagt an

Ziviler Ungehorsam

Das letzte Mittel

Auf ein Glas Wein mit Andreas Malm

Klimafatalismus: Warum Aufgeben keine Option ist

Der Film

Das Gedicht

Kapitel 3   Klimagefühle – ein kleiner Exkurs

Vor fünf Jahren

Heute – im Jahr 2023

Teil II   Klimaanpassung

Kapitel 4   Überleben in Zeiten der Klimakrise

Maßnahmen für die Welt von morgen

Klimaanpassung strukturell und privat

Kapitel 5   Wasserversorgung

Ein blauer Planet

Trinkwasser kommt doch aus dem Hahn!

Wo sind Seen und Flüsse hin?

Anpassungsmaßnahmen

Kapitel 6   Meeresspiegelanstieg, Hochwasser und Extremwetter

Das neue Normal

Starkregen und Hochwasser

Anpassungsmaßnahmen

Kapitel 7   Landwirtschaft

Von Jägerinnen und Sammlern und dem größten Betrug der Geschichte

Gefangen im System

Trocken, trockener, Deutschland

Der Kampf ums Wasser

Der Kampf mit der Hitze

Verschiebung der Vegetationsperioden

Artensterben

Anpassungsmaßnahmen

Kapitel 8   Energie

Wenn der Strom ausfällt

Sicher unsicher: fossile Energie

Die letzten Tage von Lützerath I

Suboptimale alternative Energiequellen

Die letzten Tage von Lützerath II

Strukturelle Anpassungen

Die letzten Tage von Lützerath III

Kapitel 9   Wirtschaft

Insolvenz Remote

In der Wachstumsfalle

Konkrete Maßnahmen in verschiedenen Bereichen

Das Ende der Wirtschaft, wie wir sie kennen

Kapitel 10   Katastrophenschutz und Prepping

Wir müssen wissen, was wir tun können

Vorbereitet sein auf kleine und große Katastrophen

Solidarisches Preppen

Die ökologischen Selbstversorger*innen

Kapitel 11   Stadt, Land, Wald

Von Berlin-Kreuzberg nach Bullerbü

Die heiße Stadt

Das gemäßigte Land

Über Klimaanpassung in der Stadt

Der klimaresistente Wald

Kapitel 12   Grenzen der Anpassung und Migration

Wer schon heute seine Heimat verlässt

Klimagerechtigkeit und Geflüchtete

Unsere Verantwortung

Refugees Welcome

Eine privilegierte Ausreise

Strukturelle Anpassung nach Norden

Klima-Gentrifizierung und Klima-Zufluchtsort

Nachwort

Anhang

Dank

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort

Widmung

Für Karl

Vorwort

Es war Weihnachten, ich fünf Jahre alt und meine größte Sorge, dass der Weihnachtsmann mich nicht finden würde. Meine Eltern und ich fuhren Zug, seit Tagen rollten wir durch Moldawien, die Ukraine, Slowakei, Tschechische Republik bis nach Hannover. Aber das wusste ich nicht, und das wusste auch der Weihnachtsmann nicht. Was ich damals auch nicht wusste: In meiner Religion gibt es keinen Weihnachtsmann. Ich weiß bis heute nicht, wer jüdischen Kindern die Geschenke bringt und ob meine Mutter es als Witz meinte, dass es zu Chanukkah nur Geld gibt.

Geschenke gab es dann doch. Er fand uns, dieser Weihnachtsmann, also Väterchen Frost in unserem Fall, in einem »Ausländerwohnheim« in Friedland. Zwar einige Tage zu spät, aber das war dann auch egal. Das Geschenk war eine kleine blaue Armbanduhr. Aus reinem Plastik, mit kleinen Fischen auf dem Zifferblatt. Ich hatte mir eigentlich etwas anderes gewünscht. Unter den Hochbetten hatte ich nämlich große bunte Kartons entdeckt, die nach einem Playmobil-Set aussahen. Ich war mir sicher, da sei ein tolles buntes Etwas für mich drin. Dass meine Eltern die leeren Kartons irgendwo aufgesammelt hatten, damit wir im Heim Ordnung halten konnten, habe ich erst nach Väterchen Frosts Besuch erfahren.

Die Erinnerung verschwimmt. Aber ich weiß noch, wie unendlich lang mir diese Zugfahrt vorgekommen ist. Und dass ich diese eine Puppe immer dabeihatte. Sie konnte sprechen, wenn man auf ihren Bauch drückte, weil sie eine Batterie hinten drin hatte. Ich lief im Zug hin und her, zeigte sie allen stolz. So was gab es sonst nur im Ausland. In diesem fernen Ausland, wo wir nun hinfuhren. An das erste Mal in einem deutschen Supermarkt erinnere ich mich auch noch. Ich war überwältigt von der Fülle und Masse und den Farben. Und begeistert von meinem ersten Überraschungsei.

All diese Erinnerungen kamen hoch, als ich im Edeka am Berliner ZOB an der Kasse stand. Eigentlich wollte ich nur Windeln und Feuchttücher für die Geflüchteten besorgen, die dort langsam ankamen. Menschen aus der Ukraine. Und da entdeckte ich die Ü-Eier an der Kasse. Ich packte die Tüte voll. Vermutlich gibt es Ü-Eier inzwischen auch in der Ukraine. Vermutlich haben die Kinder alle schon ordentliche Supermärkte gesehen. Die Ukraine im Jahr 2022 ist nicht mit Moldawien, das meine Familie 1995 verließ, zu vergleichen.

Am ZOB sind genug Helfer*innen, um die wenigen ankommenden Busse mit den Geflüchteten zu begrüßen. Also fahre ich zum Hauptbahnhof und biete dort meine Hilfe an. »Ich spreche Russisch«, sage ich zu einer jungen Frau mit gelber Warnweste. »Super, bleib bitte hier«, sagt sie, und ich bleibe und helfe. Wir stehen am Gleis 13/14 hinter zwei Tischen mit Spenden für die Ankommenden. Junge, Alte, Familien, eine bunte Mischung, mit einer Gemeinsamkeit: Sie fliehen vor einem Krieg, den niemand für möglich gehalten hat. Der aus dem Nichts kam. Klar, es gab hier und da Expert*innen, die explizit vor Russland und Putin gewarnt haben. Aktivist*innen, die sich gegen Nordstream 2 eingesetzt und immer wieder vor der Abhängigkeit gewarnt haben. Fossile Rohstoffe sind nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern auch für die Unabhängigkeit Deutschlands.

Das ist nämlich eines der vielen Probleme unseres aktuellen Systems. Wir zahlen Geld für Dinge, die unsere Existenz bedrohen, an Menschen und Regierungen, die unsere Existenz bedrohen. Seit 2020 hängt die Pandemie über uns, seit 2022 Putin. Vor über fünfzig Jahren hat der Club of Rome vor dem »Ende des Wachstums« gewarnt und eine Kehrtwende gefordert. Und seit Jahrzehnten hängt das Gespenst der Klimakrise über uns – das ist wirklich ’ne verdammt lange Zeit, in der viel zu wenig passiert ist. Dabei gefährdet die Klima- und Biodiversitätskrise, so abstrus es sich anhört, nicht die Erde. Sondern nur die Existenz der Menschheit (und die ein paar anderer Arten). Das hört sich verrückt an, dieser Ausdruck »Kollaps der Zivilisation«, aber genau den verwendet Mark Lynas in seinem Buch 6 Grad mehr.1 Fünf bis sechs Grad Celsius durchschnittliche Erwärmung – das hält unser Ökosystem nicht aus, da bricht es zusammen. Überleben für den Menschen ist dann unmöglich. Fünf bis sechs Grad Celsius, das ist viel. Und sicher noch lange hin, oder?

Ich lese weiter. Wenn wir weitermachen wie bisher, also nichts reduzieren, weiter konsumieren, weiter Kohle und Erdöl verbrennen, dann haben wir 2100 ein Plus von 3,7 Grad Erwärmung erreicht. Das ist ganz schön nah dran an den fünf Grad, zu denen es dann nur noch ein Katzensprung ist. Dann werden die Kippelemente eine Kettenreaktion auslösen, die wir nicht nur nicht aufhalten, sondern auch nicht umkehren können. Versuch mal den Regenwald aufzuforsten, inklusive Ökosystem und ausgestorbenen Tierarten, oder Gletscher in die Arktis zu packen, den Permafrost in Sibirien wieder einzufrieren – you get the point.

Mark Lynas ist kein Verschwörungstheoretiker oder Schwarzmaler. Und der Experte für Klimawandel ist nicht der einsame Rufer in der Wüste. Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) warnt ebenfalls in seinem 2022er-Bericht vor der gefährlichen Lage, in der sich die Welt befindet. Nicht mehr nur arme und verletzliche Communitys werden stark betroffen sein, auch hier bei uns, im Globalen Norden, werden die Klimafolgen deutlich spürbar sein. Der Bericht widmet sich zudem der Klimaanpassung, also der Anpassung an die Klimaschäden: Dem Thema müsse mehr Priorität eingeräumt werden. Dieser Bereich sei vernachlässigt worden und unterfinanziert. Diese Anpassung sei keine Alternative zur Emissionssenkung, sondern eine wichtige Ergänzung, die uns als Menschheit ermöglichen soll, mit den kommenden Klimaschäden zu leben.

Ein Plus von 3,7 Grad im Jahr 2100. Ich werde das eher nicht erleben. Aber 2090 vielleicht, da wäre ich hundert. Das könnte klappen. Und mein Sohn, mein kleiner, frecher, ein Meter großer Mini-Dino, wäre erst 72. Wo und wie wird er dann leben? Diese Frage stelle ich mir, seit ich mit ihm schwanger war. Leben in Zeiten der Klimakrise, auf einer sich wahnsinnig schnell erwärmenden Erde. So schnell, dass es alle Prognosen übertrifft.

Das Jahr 2035 hingegen, das werde ich locker erleben. Da werde ich knackige 45 Jahre alt sein und vermutlich gerade in die Midlife-Crisis schlittern. In der Klimakrise werde ich da schon lange stecken. Wenn die Regierungen dieser Welt weiter nur reden und nicht radikal handeln, dann wird die Welt bereits 2030 die durchschnittliche 1,5-Grad-Erwärmung2 erreicht haben. Dann werden durch den Anstieg des Meeresspiegels um durchschnittlich 48 Zentimeter bereits erste Teile Hamburgs und große Teile Bremens unter Wasser stehen. Das Risiko für Starkregenereignisse wie im Sommer 2021 wird um 50 Prozent zunehmen, auch ihre Heftigkeit. Dürren werden doppelt so häufig auftreten, die Lebensmittelpreise steigen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer werden, wenn nicht aktiv gegengesteuert wird, um die Schwächsten in unserem System zu schützen. Immer mehr Menschen werden an Hitzeschocks in zu heißen Sommern sterben, durch Brände oder durch Extremwetterereignisse. Jedes Hundertstel Grad mehr Erwärmung kostet Menschenleben.3 Meine Vierziger habe ich mir anders vorgestellt. Höchste Zeit also, sich vorzubereiten.

Was genau die Klimakrise macht, steht schon in vielen Büchern. Gefühlt ist die Bestsellersachbuchliste voll davon. Ob Peter Maffay oder Frank Schätzing – ein Klimabuch gehört inzwischen zum guten Ton. Das Thema ist bei den Autor*innen angekommen und bei den Leser*innen. Nur eben bei den politischen Entscheider*innen noch nicht. Ich hoffe, dass dieses Buch den einen oder die andere ins Aktivwerden, ins Suchen und Finden einer Gemeinschaft führen wird. Denn wenn wir nur den Hauch einer Chance haben wollen, in dieser neuen Welt zu überleben, werden wir uns zusammentun müssen. Über unseren Schatten springen müssen, die Klimaangst wahrnehmen und trotzdem nicht erstarren, sondern rausgehen müssen und Projekte anschieben oder uns bestehenden anschließen – und dabei immer wieder der Politik in den Hintern treten, sich zu beeilen mit dem Klimaschutz und der Klimaanpassung. Aus dieser Motivation heraus entstand in Kooperation mit dem Good Impact Magazin und der Produktionsfirma Strandgutmedia der Podcast »Über Leben in der Klimakrise«, in dem ich mit unterschiedlichen Expert*innen zum Thema Klimaanpassung ins Gespräch kam. Aber statt zufrieden aus den Gesprächen rauszugehen, tauchten neue Fragen auf. Diese habe ich versucht, in diesem Buch zu beantworten. Es soll aber auch Lust auf Engagement machen, aufrütteln und zeigen, dass man nicht allein ist mit den Fragen und Gedanken rund um die Klimakrise und den großen Fragen des Lebens. Wir können nur gemeinsam eine Antwort finden.

Teil I   Warum Klimaschutz allein nicht mehr ausreicht

Kapitel 1   Wir sind alle betroffen

»Alles wird sich ändern, wenn wir groß sindAlles wird sich ändern, wird sich ändern.«– Echt, Alles wird sich ändern.

Wo wollen wir leben?

Ich schaue mir die Dürrekarte Deutschlands an – der Harz ist stark betroffen. Meine Eltern, die da regelmäßig wandern gehen, schickten mir Fotos von vertrockneten Kiefern und Fichten und vielen frisch gerodeten Flächen, in denen zuvor der Borkenkäfer gewütet hatte. Und von Teichen und Seen, deren Wasserspiegel im Vergleich zu früheren Fotos deutlich zurückgegangen war.

Dürreperioden sind eine Folge des Klimawandels, steigende Meeresspiegel und Überflutungen eine andere. Auf der Website coastal.climatecentral.org kann ich nachschauen, welche Gebiete im Jahr 2050 unter Wasser stehen oder regelmäßig überflutet werden. Das Haus meiner Schwester in Bremen wäre davon betroffen. Im Harz wird man keine nassen Füße bekommen, aber von der Klimakrise ist er schon heute betroffen. »Manche Flächen [in Deutschland] sollten aufgrund des Klimawandels und der akuten Bedrohung durch Unwetterkatastrophen und Flutkatastrophen nicht wiederbesiedelt werden«, sagte Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Sommer 2022. Er plädierte für ein neues Krisenbewusstsein in der Bevölkerung und meinte, Extremsituationen würden auch hierzulande fortan zum Alltag der Menschen gehören.4

Dann also ab nach Sibirien? Dort erblickte ich 1990, in einem Krankenhaus in Surgut, das Licht der Welt. Meine Eltern hatten Glück, denn mit mir als Nachzüglerin hatten sie endlich einen Anspruch auf eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Eine richtige Wohnung statt einer einfachen Hütte, mit mehreren Zimmern, geblümten Tapeten und freundlichen Nachbarn. In Surgut wurde Erdgas gewonnen, da gab es Jobs, und der Wohlstand ließ nicht lange auf sich warten. Nur die Winter waren hart. Meine Eltern gewöhnten sich daran, das Haus mit dickem Pelzmantel, Mütze und Vaseline im Gesicht zu verlassen. Draußen schlüpften sie in ihre Schneeschuhe. Mir dagegen bekam die Kälte nicht, ich war ständig krank. Deshalb zogen wir später auch nach Moldawien und dann, als ich fünf Jahre alt war, nach Deutschland. Wir waren sogenannte Kontingentflüchtlinge. Russland und auch Moldawien sind für Jüd*innen nicht unbedingt sicher, und daher durften Russ*innen mit jüdischen Wurzeln nach Deutschland einwandern. Dafür bin ich heute noch dankbar.

Könnte ich mir eine Rückkehr vorstellen? Nein. Denn der Gedanke beginnt und endet mit Putin und der russischen Politik. Und klimakrisentechnisch ist es in Sibirien auch nicht ungefährlich. Durch die Erwärmung tauen die Permafrostböden, wodurch Kohlendioxid und Unmengen Methan freigesetzt werden, die den Klimawandel weiter anheizen. Ein Rückkopplungseffekt. Methan ist dabei weit schlimmer als CO2: Seine Wirkung, auf zwanzig Jahre gerechnet, liegt um das 84- bis 86-Fache höher als die von Kohlendioxid.5 Außerdem gelangen Umweltgifte wie Quecksilber und auch unbekannte Viren und Bakterien nach oben. Der Boden sackt ab, Gewässer versickern, es gibt Brände wie nie zuvor. Klingt jetzt alles nicht so reizvoll.

Also auf in ein skandinavisches Land? Nach Schweden vielleicht? Auch Schweden leidet unter Dürren und Bränden, aber (noch) nicht in diesem Ausmaß. Und Schweden ist lang, es erstreckt sich weit hinauf in den Norden – genau dahin fahren die Schweden im Sommer mit ihren Wohnmobilen, in die unberührte Natur mit endlosen Sommernächten und Polarlichtern. Ich weiß noch, wie stark mich der Roman Die Geschichte des Wassers der norwegischen Autorin Maja Lunde bewegt hat. Ein Satz traf mich besonders: »›In die Wasserländer, David‹, hatte Anna immer zu mir gesagt, ›da müssen wir hin.‹«6 Die Wasserländer, das sind Großbritannien und vor allem Skandinavien. Dort, wo es in der Klimakrise im Jahr 2041 noch Wasser gibt, genug zum Leben – so Maja Lunde in ihrem Buch.

Die Folgen der Klimakrise sind heute allseits bekannt. Seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft. Fast jährlich haut der IPCC neue Prognosen raus, die sich übertreffen und schneller eintreten als gedacht. Die Klimakrise ist real, ihre Folgen sind real, im Hier und Jetzt. Wir müssen uns der Tatsache heute stellen und damit beginnen, uns mit dem Thema Klimaanpassung zu beschäftigen. Wir müssen die Welt umbauen und anpassen an das, was nicht nur kommen wird, sondern schon da ist. Und das können wir nur, wenn wir uns unserer Klimaangst stellen und aktiv werden.

Bei mir ist diese Angst gerade mal wieder sehr präsent. Die aktuelle Berichterstattung triggert mich. Ich kann mich nicht konzentrieren, bin seit Tagen abwesend, teilnahmslos und kämpfe mehrmals am Tag mit Heulkrämpfen. Ich bin nicht ich selbst. Vielleicht ist es die Erinnerung an die Flucht meiner Familie, vielleicht auch das Generationentrauma. Vielleicht ist das mein Glück und meine Pein zugleich: zu wissen, dass das Schlimmstmögliche möglich ist – meine Vorfahren haben die Schoah erlebt und überlebt.

Für meine und die nachfolgenden Generationen ist das Schlimmstmögliche neben Krieg die Frage des Überlebens angesichts des Klimawandels. Die Vorstellung von verheerenden Unwettern, Hochwasser und Tornados, von Dürren und Hungersnöten macht Angst. Aber: »Es hat lange gedauert, bis ich akzeptieren konnte, dass es besser ist, diese vermeintliche, trügerische Sicherheit zu verlieren, wenn ich dafür die Chance gewinne, für all das zu kämpfen, was wir an planetarer und damit gesellschaftlicher und individueller Stabilität noch immer bewahren können«, wie Sara Schurmann in ihrem Buch Klartext Klima! schreibt.7

So begründet die Angst ist – die Klimakrise ist schließlich real und ihre Folgen erlebt der Globale Süden, der auch noch am wenigsten dafür kann, schon viel länger und schlimmer als wir hier im Norden –, so irrational ist der Gedanke, dass ich in Skandinavien oder sonst irgendwo sicher wäre. Die Klima- und die Biodiversitätskrise treffen jedes Land, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Die Abschwächung des Jetstreams kann noch schneller irreparable Folgen haben, als wir jetzt noch denken – dann wird auch das Leben in Schweden keinen Spaß mehr machen. Aber Schweden hat es mir nun mal angetan, und deshalb haben wir nun zwei Wohnsitze. Vielleicht ist es der Wunsch nach Landleben, nach Idylle, nach heiler Welt. Ein Rückzug ins Ruhige, Natürliche, Überschau- und Kontrollierbare. Doch eine endgültige Antwort darauf, wo wir leben werden, habe ich noch nicht. Wer weiß, vielleicht bringt mich die intensive thematische Auseinandersetzung für dieses Buch einen Schritt weiter.

Was grüner Konsum nicht kann

Es ist die 267. Anfrage zum Thema »nachhaltiger leben«. Ich solle doch bitte fünf Tipps geben, die dabei helfen, Plastik zu sparen, die eigene CO2-Bilanz zu senken oder anderweitig in fünf kleinen Schritten die Welt zu retten. Vielleicht ist es eine Frauenzeitschrift oder ein Instagram-Themenkanal. Ich weiß es nicht mehr so genau. Das tue ich seit 2014 – fünf kleine Tipps hier, sieben kleine Empfehlungen da. Zwei Bücher habe ich geschrieben. Meine Karriere und mein Laden Original Unverpackt, den ich bis 2022 geführt habe, alles folgt diesem einen grünen Faden. Mit den Jahren tauchte ich tiefer in die Materie ein und lernte immer mehr dazu. Wie sehr es eilt, wie die kleinen Schritte schnell ganz groß werden müssen, damit wir irgendein 2- oder 3-Grad-Ziel einhalten. Das 1,5-Grad-Ziel habe ich innerlich bereits abgeschrieben. Das kriegen wir einfach nicht hin. Deutschland hat sich zwar mit anderen Staaten auf die Einhaltung dieses Ziels verständigt, aber keines dieser Länder tut auch nur annähernd genug, um es wirklich zu erreichen. Mit den aktuell von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen würden wir, selbst wenn wir sie vollständig einhielten, was ja auch alles andere als leicht wäre, das 1,5-Grad-Ziel verfehlen. Die Beschlüsse reichen nicht aus. Und dann ist da ja noch das Problem, dass selbst die ambitioniertesten Maßnahmen eines Landes wie Deutschland nicht genügen, um das Weltklima entscheidend zu beeinflussen. Alle müssten mitmachen.

Ich sage die Anfrage ab. Ich mag mich nicht länger wiederholen und die immer gleichen Tipps geben. Ich habe dieses Privileg, gefragt und gehört zu werden – aber ich bin müde. Es braucht eine Pause und Ruhe in meinem Kalender und meinem Kopf, ein selbst auferlegtes Vortragszölibat, um mich wieder äußern zu wollen. Ich verstumme und ärgere mich zugleich. Play, rewind, immer wieder. Manchmal habe ich in solchen Fällen eine*n andere*n Autor*in, Aktivist*in oder Blogger*in empfohlen. Aber diesmal fühlt sich auch das nicht richtig an.

Wenig später kommt eine neue Anfrage rein, via Instagram. Ich bin im Garten und baue mal wieder ein Hochbeet auf, als das Handy in der Po-Tasche meiner Jeans vibriert. Die Hochbeete hat mir der Nachbar geschenkt. Sie sind sehr schwer, und mal klemme ich mir ’nen Nerv dabei ein, mal belaste ich den Rücken falsch, irgendwas tut immer weh. Es ist so anstrengend, aber ich liebe es. Ich fische mein Handy aus der Jeans, meine Gartenhandschuhe unter dem Arm eingeklemmt. Verschwitzt und geerdet durch die Arbeit draußen traue ich mich, mal was anderes auf die Anfrage zu antworten: »Klar, mach ich, aber es werden nicht die Standard-Tipps sein.« Der anfragende Account freut sich, und ich schreibe meine drei Tipps:

Informiert euch und seid die Unangenehmen, die nachfragen und diskutieren. Haltet es aus.

Startet Petitionen, Volksbegehren, nutzt die Möglichkeiten der Demokratie. Wartet nicht einfach die vier Jahre bis zur nächsten Wahl ab. Die Zeit haben wir nicht. Geht natürlich wählen, wenn ihr könnt, oder besser noch: Werdet Politiker*innen, lasst euch wählen!

Geht auf die Straße, demonstriert, begeht zivilen Ungehorsam – tut das, was notwendig ist. Auch Aktivismus ist Teil einer Demokratie.

Meine Tipps sind unangenehm. Sie sind unpraktisch. Sie passen nicht so gut in die Handtasche wie der Jutebeutel oder der Mehrwergkaffeebecher und bewirken nicht, dass man abends beim gemütlichen Drink mit dem Glasstrohhalm denkt: wieder alles richtig gemacht. Aber sie wirken.

Bei der nächsten Anfrage für einen Vortrag antworte ich: »Klar, aber ich spreche über Klimaanpassung und was jetzt wirklich passieren sollte. Über das, was auf uns zukommt.« Sie sind einverstanden.

Es ist nicht so, dass drei kleine Tipps hier, fünf kleine Schritte da gar nichts bringen. Sie sind ein Einstieg in das Thema. Nicht jede*r wird als Klimagerechtigkeitsaktivist*in geboren oder ist in einem reflektierten, umweltbewussten Haushalt aufgewachsen. Die wenigsten von uns fangen mit der Systemkritik an und werden dann so ein bisschen Öko. Die meisten von uns haben vielleicht in der Schule das erste Mal von Umweltproblemen oder Recycling gehört, von der weit entfernten Klimakrise dann am Rande in der Ausbildung oder an der Uni. Vielleicht mal eine Doku gesehen oder einen Insta-Post zu Plastik im Meer, einen Podcast zur Biodiversitätskrise gehört oder einfach auch nur in den Nachrichten die Leute von Fridays for Future gesehen und sich dann gefragt, was dahintersteckt. Oft braucht es viele kleine Anstöße, bis man sich das erste Mal die Frage stellt: Was kann ich eigentlich tun?

Dann fangen wir an, uns zu informieren, und googeln Artikel zum CO2-Fußabdruck bei Privatpersonen. Da steht, die größten Verursacher seien das Fliegen und Kinderkriegen. Alles klar. Der nächste Suchauftrag findet dann auf Ecosia statt, Google ist abgeschrieben. Es gibt ja eine umweltfreundliche Alternative. Und so geht es weiter, Stück für Stück nähert man sich dem vermeintlich perfekten Öko-Leben an. Manchmal über Monate, manchmal über Jahre. Bis man an einem Punkt merkt: Das perfekte Öko-Leben kann es in einer auf Maßlosigkeit und Wachstum beruhenden Welt nicht geben. Es gibt kein richtiges Konsumieren im Kapitalismus, der darauf aus ist, Ressourcen und Menschen auszubeuten. Es ist frustrierend. Es war für mich frustrierend. Mein Bestes zu geben und rauszufinden, dass das nicht annähernd genug ist. Mein perfektes Bilderbuch-Öko-Leben, auf den geringsten CO2-Austoß und die größtmöglichen Wirksamkeiten hin optimiert – und es reichte doch nicht aus.

Trotzdem hörte ich nicht auf, zu lesen und mich zu informieren. Bis ich auf eine Aussage stieß, die mich stutzen ließ: Den Ausdruck »CO2-Fußabdruck« hat die Ölindustrie groß gemacht. British Petroleum hat 2004 die PR-Firma Ogilvy & Mather beauftragt, eine Kampagne zu kreieren,8 dass nicht die Ölgiganten und insbesondere BP für die Klimakrise verantwortlich seien, sondern jede*r Einzelne. Weil also jede*r Einzelne etwas dagegen tun könne, wurde der CO2-Fußabdruck-Rechner geschaffen, damit man im Alltag seinen persönlichen CO2-Fußabdruck messen und ihn durch das eigene Verhalten stetig verbessern kann. So wurde die perfekte Werbeillusion ins Leben gerufen, nämlich die, dass wir Konsument*innen die Auswirkungen der Klimakrise in der Hand hätten. Wenn unsere privaten Entscheidungen nur ein bisschen weniger CO2 verursachen würden, könnten wir alle zusammen den CO2-Ausstoß senken und die Welt retten. Alles Held*innen. Und die Industrie fein raus.

Ich stockte. PR und Marketing, das ist mein Feld. Das ist das, worin ich eine Ausbildung habe, was ich eine Zeit lang studiert habe. PR und Werbung waren die Branche, in der ich bis zu meiner Firmengründung zu Hause war. Ich habe mir jahrelang Werbekampagnen ausgedacht, ich weiß genau, wie das funktioniert. Der Coup von BP war genial. Nicht nur die Konsument*innen, sondern auch viele Institutionen, Unternehmen und NGOs dazu anzuregen, ihren eigenen CO2-Fußabdruck zu messen. Das Clevere daran: Wer sich auf sein persönliches, individuelles Verhalten fokussiert, verliert die großen Player und das System aus dem Blick. Selbst wenn jeder Mensch seinen persönlichen CO2-Fußabdruck auf die 2,3 Tonnen pro Jahr reduzieren würde, die notwendig wären, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wären da immer noch die Industrie und der Staat.

Insofern stimmt der bekannte Spruch von Robert Marc Lehmann, dass der Einkaufszettel ein Stimmzettel für oder gegen die Erde sei, nur in Teilen. Politik und Wirtschaft machen es sich ganz schön einfach, wenn sie den Druck und die Verantwortung auf Privatpersonen abwälzen. Klar, auch wir stehen in der Verantwortung – aber eben nur in Teilen. Der größte Teil des CO2-Ausstoßes geht nun mal auf das Konto der Industrie, die Öl und Kohle verbrennt, auf das der heutigen Landwirtschaft mit Massentierhaltung oder auch des Baugewerbes. Klar können Lieschen Müller und Lars Müller brav nicht mehr zu H&M gehen als Zeichen gegen das Konzept von Fast Fashion, alles brav aufessen und nichts wegschmeißen, kein Auto fahren und ihre Handys mit Solarstrom laden. Aber das reicht nicht für das 1,5-Grad-Ziel. Wir leben in einer hoch technisierten, stark vernetzten Welt. Wir können und wollen nicht in den Wald ziehen und Selbstversorger*innen werden. Und selbst dann wäre die Klimakrise nicht aufgehalten.

Was grüner Konsum bewirken kann

Also bringt aller grüner Konsum nichts? Nein, so auch wieder nicht. Ökologischer und sozialer Konsum allein kann die Klimakrise nicht aufhalten. Aber er kann in einem kleinen Maß etwas verändern. Er kann bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen schaffen. Denn wir leben nun mal jetzt, und wir müssen schauen, dass wir trotz aller Vorbeugung und Anpassung auch im Heute bleiben. Jonathan Franzen sagt, wir müssten uns aussuchen, was für uns wertvoll ist, und versuchen, das zu schützen und zu bewahren.9 Mir zum Beispiel ist es wichtig, dass die Menschen, die bei mir arbeiten, hoffentlich eine gute Zeit haben. Wir verbringen etwa acht Stunden am Tag schlafend und sechs bis acht Stunden, manche noch mehr, pro Werktag arbeitend. Das ist mehr Zeit, als wir mit Partner*innen, Familie und Freunden verbringen. Wir geben einen Großteil unserer Lebenszeit für ein Unternehmen, manchmal auch eine NGO oder den Staat. Wenn schon nicht alles davon sinnstiftend ist, sollten wenigstens die Arbeitsbedingungen stimmen.

Ich bin ja eigentlich Unternehmerin aus Zufall. Mit 22 gründete ich Original Unverpackt, den Pionier der Unverpackt-Läden-Bewegung in Berlin. Mit 25, zusammen mit meinem guten Freund Jan Lenarz, kam dann »Ein guter Plan« dazu, der EGP Verlag und noch später andere Projekte wie das Naturkosmetiklabel »Fabel Make-Up«. Meine Karriere verlief rasant: von der Azubine über die Werkstudierende zur Chefin. Ich war bis zu meiner Selbstständigkeit immer das unterste Glied der Kette. Daher war mir vielleicht die Unternehmenskultur so wichtig. Ich wollte eine gute Arbeitgeberin sein, empathisch, sozial, fair.

Und jetzt kommen wir zum Thema grüner Konsum zurück. Wenn Lars Müller und Lieschen Müller bei mir im Laden die veganen, fairen Kondome von einhorn kauften oder anderes aus dem Warenangebot, hatte das Folgen. Ich konnte mit dem Geld Waren von fairen ökologischen Herstellern beziehen. Ich konnte Arbeitsplätze schaffen und meine Angestellten bezahlen. Wir beschäftigten eine faire Raumpflegefirma für den Laden. Wir bezogen Ökostrom und unterstützten damit die Energiewende. Wir bezahlten die Einhörner für ihre Kondome. Die bezahlten wiederum ihre Mitarbeitenden in der Skalitzerstraße in Berlin-Kreuzberg und auf den Biolatex-Plantagen in Thailand und Malaysia; dort finanzieren sie regenerative Landwirtschaft und unterstützen mit ihren Gewinnen zum Beispiel das Centre for Feminist Foreign Policy.

Die Einhörner kamen dann mittags vorbei und kauften vielleicht ihre Reinigungsmittel bei uns. Wie meine Friseurin im Bergmannkiez, die feministische Kunst an den Wänden hängen hat. Der Fahrradladen-Besitzer ein paar Häuser weiter holte regelmäßig einen kleinen Snack bei uns. Ich kaufte dafür mein Fahrrad, meine Helme und Schlösser bei ihm. Meine Kleidung holte ich oft bei dem kleinen fairen Klamotten-Laden Supermarché, unserem direkten Nachbarn. All diese Menschen, von Lars über die Einhörner bis zu meiner Friseurin und den Nachbarbetrieben, haben eins gemeinsam: Sie wählen, wenn möglich, die grünere, lokalere Alternative und schaffen damit heute und unabhängig von der Politik nicht nur ein bisschen Klimaschutz in homöopathischen Dosen, sondern helfen auch dabei, eine sozialere Welt zu gestalten. Klar ist die Wirkung lokal und nicht global. Und sie hält auch nicht die große Klimakrise auf. Aber im Kleinen macht es das Leben einzelner Personen besser.

Wenn also schon so kleine Unternehmen mit ein bisschen Ökoschmöko die Welt verbessern können, dann müssten große Unternehmen ja noch viel mehr erreichen können, wenn sie nur ein bisschen grüner würden. Könnte man meinen. Doch ich bin da sehr skeptisch. Ich erlebe täglich im Alltag, in der Arbeit, beim Einkaufen so viel Greenwashing, dass ich das Wort »Nachhaltigkeit« eigentlich nicht mehr hören und sehen kann. Da gibt es eine große Möbelkette, die Werbung macht für einen »nachhaltigen« Teppich für schlappe 9,99 Euro und das dann »Nachhaltigkeit für das kleine Portemonnaie« nennt. Oder einen Fast-Fashion-Hersteller, der eine Bio-Kollektion mit ein paar Upcyclingfasern im Programm hat, aber kein Wort zu den Herstellungsbedingungen fallen lässt. Früher dachte ich, das seien gute erste Schritte in die richtige Richtung. Denn bei großen Unternehmen ist die Umstellung auf Öko einfach langwierig und kompliziert. Aber wenn schon der Unternehmenszweck auf das Bedienen von Moden, auf Kurzlebigkeit und niedrige Preise aus ist, dann können sie sich noch so oft »Nachhaltigkeit« auf ihre Fahnen schreiben und noch so viel grün gefärbte Kampagnen laufen haben: Es bleibt Greenwashing, denn es geht nicht um echten Wandel.

Die deutsche Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer sagt in dem Buch Noch haben wir die Wahl: »Die Konfliktlinien verlaufen zwischen Marketing und Machen.«10 Und das stimmt. Ganz viel grüner Konsum, der die Welt besser machen soll, das klappt nicht. Man kann die Welt nicht mit etwas reparieren, mit dem man sie kaputt macht. Kapitalismus ist nicht die Lösung.

Sobald diese Erkenntnis einsickert, tut es weh. Die Erkenntnis, wie wenig man doch schaffen kann mit seinem Stimmzettel. Dass grüner Konsum allein nicht ausreicht. Aber es muss doch etwas geben, das hilft? Wir können doch nicht einfach so aufgeben? Das müssen wir auch nicht. Hier kommen die drei Tipps von oben wieder ins Spiel.

Aktivismus ist die Antwort auf die Frage, was wir tun können für mehr Klimaschutz. Und er ist auch nötig, wenn wir uns dem geänderten Klima anpassen wollen.

Kapitel 2   Aktivismus für den Klimaschutz

»Sie kennen die grundlegende Auswahl an Möglichkeiten für individuelle Maßnahmen. Eine Auswahl in aufsteigender Reihenfolge: Fahrrad fahren, wählen, eine Wärmepumpe kaufen, sich organisieren, nicht mehr fliegen, ganz 70er-Jahre-Hippie werden und in einer Jurte leben; wieder zur Schule gehen, einen Abschluss in Jura machen, sich dafür einsetzen, dass ExxonMobil-Chef Darren Woods und/oder Chevron-Chef Michael Wirth in Den Haag auf die Anklagebank gesetzt werden (die vielleicht schon unter Wasser steht, bis Sie das geschafft haben); sich am internationalen Umwelttag auf den Stufen des Obersten Gerichtshofs in Brand setzen.«

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– Elizabeth Weil

Sprecht es aus! Die Krise, sie ist hier

Ich fühle mich verarscht. Immer wenn ich lese, wie sie in großen Medienhäusern über die Klimakrise schreiben. Oder besser: wie sie nicht über sie schreiben. Wie nicht jede Schlagzeile lautet: »Sie ist hier, es gibt kein Zurück, wir können jetzt nur noch Schlimmeres verhindern!«

Eine der Forderungen von Extinction Rebellion (kurz: XR) lautet, die Presse möge die Wahrheit (die, über die sich internationale Wissenschaftler*innen einig sind) schreiben. Das tut sie nur in Teilen und meiner Ansicht nach im falschen Ton. Viele Journalist*innen betreiben ein »false balancing«, eine falsche Ausgeglichenheit – aber das ist nicht das, was wir momentan brauchen. In Zeiten wie diesen sollte man die Katastrophe beim Namen nennen. Denn wenn wir nicht lernen, über den Ernst und die Dringlichkeit der Lage zu sprechen, dann wird sich auch am Handeln von uns Privatpersonen, der Wirtschaft und, noch viel wichtiger, der Politik wenig ändern. Politik ist daran gewöhnt, erst dann zu handeln, wenn es schon zu spät ist, die zweite oder gar dritte Mahnung abzuwarten und erst zu zahlen, wenn der Gerichtsvollzieher schon vor der Tür steht. Aber die Klimakrise wird nicht einfach verschwinden. Auch dann nicht, wenn wir die zwar richtigen Maßnahmen ergreifen und den Systemwandel einleiten, dies aber viel zu spät tun.

Eine Person, mit der ich sofort klickte, ist Sara Schurmann. Ich las ihr Buch Klartext Klima! und dachte: Hell, yeah. Und dann trafen wir uns zufällig auf dem Festival für digitale Gesellschaft, der re:publica in Berlin, und es machte wieder sofort klick. Wir saßen in der hintersten Reihe und redeten. Schnell, viel und ständig das Thema wechselnd. Sara macht viele Sachen sehr gut, aber eine ganz besonders. Sie legt den Finger in die Wunde der Medienschaffenden. Immer und immer wieder. Ich treffe selten Menschen, mit denen man so offen darüber sprechen kann, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht zu erreichen ist. »Zumindest auf dem Papier wird mehrfach bekräftigt, das 1,5-Grad-Limit einhalten zu wollen. Doch das Bekenntnis allein ist nicht viel wert. Denn das Zeitfenster, in dem es möglich ist, diese Grenze vielleicht noch zu halten, schließt sich rapide«,12 schreibt sie in ihrem Buch. Wir reden hier nicht von Klimaneutralität bis 2035 oder gar 2050. Das Zeitfenster schließt sich in den kommenden drei bis vier Jahren! Und diese Dringlichkeit, diese Panik, die uns angesichts dessen erfassen sollte, fehlt in der Klimakrisenkommunikation. Klar, die Presse und die Medien informieren die Öffentlichkeit. Aber sie rütteln nicht auf.

Bei Corona waren es die Bilder von Bologna, den Särgen, den Militärfahrzeugen, die uns dazu brachten, das Virus ernst zu nehmen, und die Politik dazu, aus den Fehlern anderer Länder zu lernen. Sara Schurmann schreibt dazu: »Es gab damals einen zentralen Moment, in dem vielen Regierungen und Medien weltweit klar wurde, wie ernst und gefährlich dieses Virus ist, und dass SARS-CoV-2 keine regional beschränkte Pandemie bleiben würde. Das war, als die Bilder aus dem italienischen Bologna um die Welt gingen. Bilder von überfüllten Intensivstationen und leeren Straßen […].«13

Warum passiert Vergleichbares nicht bei der Klimakrise? Haben wir uns an orange Himmel, jährliche Jahrhundert-Überflutungen und -Stürme schon so sehr gewöhnt? Oder liegt das Problem vielleicht auch darin, dass uns bei Hitzewellen Bilder aus dem Freibad gezeigt werden, anstatt Rentner*innen, die in abgedunkelten Wohnungen kollabieren, oder vertrocknete Nutzpflanzen auf dem Acker?