Ohne Wenn und Abfall - Milena Glimbovski - E-Book
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Ohne Wenn und Abfall E-Book

Milena Glimbovski

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Beschreibung

Verpasst dem Müll eine Abfuhr! Muss man Käse wirklich dreimal verpackt kaufen? In Folie gehüllte Gurken – ernsthaft? Und für Nüsse und Obst hat doch Mutter Natur schon die perfekte Verpackung entworfen. Kein Wunder, dass die Meere voller Müll sind! Ohne Plastik einfacher, gesünder und natürlicher leben – wie geht das? In den letzten Jahren hat die Autorin Milena Glimbovski durch die Gründung eines Supermarkts ohne Einwegverpackungen genau das gelernt. Mit ihrem Buch zeigt sie, wie einfach es ist, nachhaltig zu leben, und wie gut das tut – der Umwelt, den Mitmenschen und nicht zuletzt einem selbst. Sie erzählt die Geschichte ihrer Idee und gibt Tipps zur Müllvermeidung in allen Lebenslagen: im Haushalt, im Büro und im Kleiderschrank. Und zum Ausmisten, sowohl in den Schränken und Kisten als auch im eigenen Kopf. Denn weniger ist oft mehr! Mit praktischen Anleitungen und Rezepten zeigt dieses Buch, wie man Minimalismus und »Zero Waste« in den eigenen Alltag bringt und dabei auch noch Spaß hat.

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Seitenzahl: 285

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Milena Glimbovski

Ohne Wenn und Abfall

Wie ich dem Verpackungswahn entkam

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Milena Glimbovski

> Über dieses Buch

> Impressum

> Klimaneutraler Verlag

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

EinleitungDie Geschichte hinter Original UnverpacktVor der EröffnungNach der EröffnungDie Zukunft der »Unverpackt«-BewegungMinimalismusWarum Minimalismus?Rightsizing & DownshiftingAusmisten – Los geht’s!Zero WasteWarum Zero Waste?Was ist Zero Waste?Besuch in der MülltrennungsanlageExkurs: ObsoleszenzPlastikmüll – ein guter Grund für Zero WasteZero Waste allein, zu zweit oder zu dritt?The zero waste way of getting wastedLebensmittelIst Bio wirklich besser?Saisonalität und RegionalitätTiere essenLebensmittelverschwendungKüche & EinkaufenDie Zero-Waste-KücheKüche ausmistenUnverpackt einkaufenWo gibt’s was?WohnenEinrichtungSpülen und putzenKörperpflegeErnährung und ihre Wirkung auf die HautWarum Naturkosmetik?Das Zero-Waste-BadezimmerPflegeprodukte selbst gemachtSexSexspielzeugGleitgel, Cremes und MassageöleVerhütungBaby und KindGemeinsam einkaufenSpielzeugGeschenkeOhne Müll erwachsen werdenKleidungKleiderschrank-OptimierungDie Capsule WardrobeOnline-ShoppingBüroNachhaltige MaßnahmenReisenFliegen, fahren, laufen?Essen auf ReisenGepäckKonflikte und ErrungenschaftenDanksagung
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Einleitung

Ich hasse Plastik nicht. Wirklich nicht. Es hat mir nichts getan. Es hat mich nicht schief angeguckt, nicht meine Mutter beleidigt und mich nicht auf einen Rückruf warten lassen.

Vergib Plastik, denn es weiß nicht, was es tut. Es ist jung und braucht das Geld, es verkauft sich für den unnötigsten Quatsch. Man muss nur einen Blick in einen dieser Ein-Euro-Shops werfen, die voll sind mit Einweg-Mist, den niemand braucht. Wann hat unsere Gesellschaft den Punkt erreicht, an dem der Aufwand, Erdöl aus dem Boden zu gewinnen, in einer Raffinerie zu verarbeiten, in Plastik umzuwandeln und in die Form eines Löffels zu gießen, diesen dann in die Läden transportieren zu lassen, um ihn dort zu kaufen und nach Hause zu bringen, eher in Kauf genommen wird als der Aufwand, seine verdammten Löffel einfach abzuwaschen? Wo sind wir Menschen falsch abgebogen?

Plastik an sich ist also nicht das Problem, sondern unsere eigene Gemütlichkeit. Und ihre Konsequenzen: Müll in den Weltmeeren, Müll in den Bäuchen der Fische und Vögel. Artensterben, aufgebrauchte Ressourcenvorräte, Klimawandel. Das muss doch anders gehen. Obwohl sich der Plastikmüll in meinem Singlehaushalt noch in Grenzen hielt, ließ mich der Gedanke nicht los. Ich duschte anstatt zu baden, ich fuhr Bahn anstatt zu fliegen, und das alles im Namen der Umwelt. Trotzdem: Wir haben ungefähr alles revolutioniert und neu erfunden, was wir uns vorstellen können. Aber der tägliche Einkauf von Lebensmitteln ist noch genauso nervig und schädlich wie vor 30 Jahren. Es wird nicht besser, im Gegenteil: Die Portionen werden immer kleiner, was die Konsequenz hat, dass man mehr Quatsch kauft. Der ist meist in kurzlebiges Plastik verpackt, das auf kürzestem Weg und ohne über Los zu gehen im Müll landet.

Wir können auf den Mars fliegen, aber kriegen es nicht hin, uns um Banalitäten wie den Plastikmüll zu kümmern? Immer noch muss ich ihn runterbringen, damit er abgeholt wird, nur um dann lediglich in kleinen Anteilen recycelt und ansonsten verbrannt oder ins Nirgendwo verschifft zu werden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Es muss doch anders gehen. Und es geht anders.

Was mit der Frage nach einer Alternative anfing, führte schließlich zu meiner Idee: einem Supermarkt ohne Einwegverpackungen. Doch diese Idee und der nachhaltige Lebensstil, meine Mission, es anders zu machen, waren nicht von einem Tag auf den anderen umgesetzt. Wir alle haben einen kleinen Wirkungsrahmen. Wir können entscheiden, ob in unserem Zuhause der Müll getrennt wird, wo wir einkaufen, welche Produzenten wir unterstützen. Nehme ich die Nuss-Nougat-Creme eines großen Konzerns, die wegen des verwendeten Palmöls schlecht für den Regenwald ist, oder die lokal hergestellte aus Deutschland, mit Bio-Zutaten und fairem Kakao? Es fängt bei der Ernährung an, aber es kann noch viel weiter gehen: Wie wohne ich, was konsumiere ich, wie oft fliege ich? Der Billigflug Berlin–Wien für 30 Euro hin und zurück schont definitiv mein Portemonnaie, aber nicht gerade die Umwelt. Ich stelle meinen Konsum infrage, in dem ich ausmiste, minimalistisch lebe, unverpackt einkaufe und Müll spare.

Es hat vier Jahre mit viel Ausprobieren und vielen Rückschlägen gebraucht, um herauszufinden, wie ich nach bestem Gewissen leben kann. In diesen vier Jahren lernte ich, wie man einen Supermarkt eröffnet, wie man Zahnpasta selber macht, wie man sich besser kleidet, wenn man Klamottenläden meidet, wie man eine Panikattacke übersteht, den Konsumteufelskreis durchbricht, und wie man bei anfänglicher Ahnungslosigkeit vorgibt, genau zu wissen, was man tut. Ich habe gelernt, eine verantwortungsbewusste Erwachsene zu sein – zumindest hört sich das cool an: »mit beiden Beinen auf dem Boden«. Was mir im Sitzen zum Beispiel sehr schwerfällt, weil die meisten Stühle für große Menschen ausgelegt sind und ich mit meinen Einsfünfzig eher den Anschein einer Siebtklässlerin erwecke, die mit den Füßen in der Luft strampelt, und oft komme ich mir auch so vor. Das Wissen, das sich trotz allem im Laufe meiner Suche angesammelt hat, möchte ich mit diesem Buch teilen.

Wenn ich schon so gut beschäftigt bin, warum dann auch noch dieses Buch? Ich schreibe es zu einer der stressigsten Zeiten meines Lebens. Ich leite das Team von Original Unverpackt (OU) im Laden und im Büro, ich bringe mit Jan Lenarz, einem meiner engsten Freunde, und einem kleinen Team unter dem Namen Ein guter Verlag mehrere Arbeitsbücher und Kalender raus, jede Woche sind ein bis zwei Vorträge in verschiedenen Städten gebucht, und ich bin froh, wenn mein Körper das mitmacht, was mein Geist ihm aufträgt. Ich bin getrieben durch einen Ehrgeiz, die Welt besser zu hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe. Es gab so viele Momente in meinem Leben, in denen ich dachte, das wird nie was – und am Ende hat’s doch geklappt. Ich habe für den Führerschein doppelt so viele Fahrstunden gebraucht wie alle anderen. Für den leichtesten Skateboard-Trick, den Ollie, braucht jeder 15-jährige Junge maximal einen Monat – ich brauchte ein Jahr. Selbst als meine Klavierlehrerin meinen Eltern sagte, ich hätte gar kein Taktgefühl (was sie gar nicht wissen konnte, so gut kannte sie mich doch gar nicht), wollte ich trotzdem wenigstens ein paar Stücke der Beatles lernen, und das tat ich dann auch. Was mir dabei half: der Gedanke, dass jeder einmal klein angefangen hat. Jeder macht einen ersten Schritt auf seiner Reise, und dafür ist dieses Buch gedacht: Es beschreibt, was ich auf meiner Suche nach der Alternative herausgefunden habe. Es soll dabei helfen, mit der eigenen Reise zu beginnen, und zeigen, was jede Einzelne von uns bewegen kann und wie einfach es ist, ein nachhaltiges Leben zu führen.

Am Anfang steht die Geschichte vom Beginn meines Kreuzzugs gegen den Müll und davon, wie wir mit der Gründung von Original Unverpackt, dem bekanntesten Supermarkt ohne Einwegverpackungen, eine weltweite Bewegung von verpackungsfreien Läden starteten.

Bevor ich selbst besser leben konnte, musste ich auch erst mal verstehen, was »besser« überhaupt bedeutet. Also vorm Loslaufen noch kurz innehalten und Hausaufgaben machen. Erst dann geht es los mit der ganz konkreten Anleitung, wie man Zero Waste in seinen Alltag einführen und umsetzen kann – wie man dabei Geld spart, sich Gutes tut und einfach ein schöneres und besseres Leben führt.

Dieses Buch ist nicht als ein weiteres Werk gedacht, das man sich für ein besseres Gewissen kauft, um dann im Regal zu verstauben. Es ist ein Ratgeber, ein Fachbuch, ein bester Freund, eine Idee, eine Community. Das funktioniert am besten, wenn man die Gedanken aus dem Buch ins echte Leben überträgt – ins Internet. Über die Facebook-Gruppe mit dem Namen des Buchs, also Ohne Wenn und Abfall, können wir uns miteinander vernetzen. Ich sehe Facebook zwar kritisch – die Selbstdarstellung, das Sammeln unserer Daten und den Algorithmus, der die Verbreitung von Nachrichten bestimmt –, aber Facebook hat eine sehr praktische Gruppenfunktion: Man findet Gleichgesinnte, kann sich austauschen, motivieren und voneinander lernen. Dafür werde ich in der Gruppe interessante Links sammeln, die ihr wiederum ergänzen könnt, und so können wir gemeinsam dafür sorgen, dass sie aktuell bleiben. Wem Facebook ein Graus ist, der kann auf Instagram und Twitter über den Hashtag #ohnewennundabfall andere Leserinnen und Mitstreiter finden.

Wer sich direkt mit mir austauschen will, findet mich auf Twitter und Instagram als Milenskaya. Außerdem baue ich gerade meine Website milenaglimbovski.de auf, wo ihr regelmäßig weitere Tipps von mir finden könnt.

Ich werde in diesem Buch abwechselnd die weibliche und männliche Form wählen, wenn ich von Menschen spreche. Ich glaube nicht daran, dass das generische Maskulinum in der deutschen Sprache auch Frauen darstellt, und möchte das hiermit ausgleichen und trotzdem die Lesbarkeit wahren.

Genug der Vorrede. Es geht jetzt los. Ich wünsche viel Freude beim Lesen und ausprobieren, und selbst wenn dieses Buch am Ende nur der Unterhaltung dient, hatten wir wenigstens eine gute Zeit. Klingt wie beim Schlussmachen, oder? Wir können ja Freunde bleiben, und beginnen jetzt ganz am Anfang der Geschichte vom Ursprung von Original Unverpackt, dem Supermarkt ohne Einwegverpackungen.

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Die Geschichte hinter Original Unverpackt

Vor der Eröffnung

Es gibt Dinge, die fühlen sich gleich richtig an. Die Reste einer Pizza an einem verkaterten Samstagmorgen. Das Lachen eines Kindes. Ein Supermarkt ohne Verpackungen. Also ohne Müll. Also alle Weltprobleme gelöst. Ich hatte die Weltformel geknackt. Hatte ich sogar am nächsten Morgen noch gedacht. Und auch als der letzte Tropfen Wein meinen Blutkreislauf verlassen hatte, fand ich die Idee immer noch ganz in Ordnung.

Meine Freundin Sara und ich hatten am Abend zuvor getrunken. Auch gegessen, aber vor allem getrunken. Wir haben eine faire Aufgabenteilung: Sie kocht und ich sitze daneben, spiele am Radio herum und fülle unsere Gläser nach. Ich bin im sibirischen Russland geboren und fürchte, dass wir das mit dem Alkohol im Blut haben. Sara kocht nach Gefühl. Sie ist ein bisschen wie eine Zauberin: Sie nimmt, was da ist, und verwandelt es in etwas Essbares. Sie wirbelt in der Küche herum, schnuppert an Gewürzen, verschwindet in der Speisekammer ihrer WG, taucht mit Gemüse auf, das ich noch nie zuvor gesehen habe, zerstückelt es und schmeißt es in den Topf. Am Ende wird gegessen, was aufgetischt wird.

Wenn die Köchin den Tisch gedeckt hat, ist ihre Arbeit vollbracht. Ich darf mich dann später um die Beseitigung der Beweise kümmern. Sprich, ich widme mich dem Chaos auf der Arbeitsplatte und den Überresten von besagtem unbekannten Gemüse – oder ist es überhaupt kein Gemüse, sondern eine Frucht, oder ist es vielleicht Manuel Neuer? Und dann die ganzen Verpackungen. Und wo ist hier überhaupt der Mülleimer?

Wie schön wäre eine Welt ohne Verpackungen! Wie praktisch wäre es, wenn ich einfach entspannt sitzen bleiben könnte. Nicht faul, nur entspannt. Kochen ohne Verpackungen, einkaufen ohne Verpackungen – die Idee ist nicht neu. Sie ist, im Gegenteil, sehr alt. Als ich acht Jahre alt war, habe ich viel ferngesehen. So lernte ich Deutsch, als ich 1995 aus Russland nach Deutschland kam. Mein erstes deutsches Wort war »scheiße«, weil ich das Musikvideo von Tic Tac Toes »Ich find’ dich scheiße« auf MTV gesehen hatte. Eigentlich schaute aber nur meine große Schwester Irina MTV. Ich schaute KiKA, Peter Lustig und Co. Da gab es eine Folge mit Kindern: Ein Junge und ein Mädchen gingen einkaufen und hatten einen Milchkanister und ein paar Tupperdosen dabei. Als sie in den Supermarkt kamen, füllten sie ihre mitgebrachten Behälter mit allem, was sie wollten, und gingen raus, ohne zu bezahlen. Die Helden meiner Kindheit. Die Idee war so einfach wie genial. Sie vergrub sich tief in meinem Unterbewusstsein, und erst 15 Jahre später, an diesem weinseligen Abend in einer WG in Neukölln, beschloss sie wieder aufzutauchen. Original Unverpackt war geboren.

 

Das grobe Konzept für den Supermarkt war schnell ausgedacht. Und wir taten das einzig Richtige, was es in so einer Situation zu tun gab: Wir legten sofort los. In Berlin lief zu dieser Zeit der Businessplan-Wettbewerb. Die Einreichungsfrist war schon in wenigen Wochen. Neben einem Vollzeitjob (Sara) und Studium plus Studentenjob (ich) sollte es ja bestimmt kein Problem sein, nebenher mal eben einen Businessplan zu schreiben. Ganz am Anfang war sogar noch eine weitere Freundin dabei, Marizon. Wir drei hatten weder von Lebensmitteln noch von BWL eine Ahnung, geschweige denn von Supermärkten. Wir schrieben den Plan trotzdem, reichten ihn ein, fuhren zur Preisverleihung – und gewannen nichts. Doch wir gaben nicht auf. In den nächsten beiden Runden räumten wir ab: In der zweiten Runde belegten wir den 1. Platz im Marketing und in der letzten Runde waren wir in den Top 5 aller Teilnehmer des Wettbewerbs. Dabei verlief der entscheidende Pitch – die kurze Vorstellung der Business-Idee auf einer Bühne vor Publikum – eher unglücklich. 30 Sekunden lang sollte zunächst Sara die Idee vorstellen, dann ich. Nach 20 Sekunden stieg die Aufregung uns zu Kopf, Sara fing an zu stottern, ich hopste aufgeregt neben ihr hin und her und wartete auf meinen Part. Sie kam immer noch nicht auf den Punkt. 10 Sekunden noch. Ich schnappte mir ihr Mikro und rief: »Vertrauen Sie uns, wir wissen nicht, was wir tun!« Das Publikum brach in Gelächter aus und stimmte für uns. Wir gewannen unseren ersten Pitch durch mehr Glück als Können. Wir feierten uns – für noch so kleine Erfolge. Wir wurden Kreativpiloten, eine Auszeichnung der Bundesregierung, die mit einem goldenen Adler versehen war. Das sah wichtig aus. Das musste was bedeuten. Bei all den Stipendien und Preisen vergaßen wir beinahe, dass wir ja eigentlich einen Laden zu planen hatten, denn selbst ein fertiger Businessplan ist nicht mal die halbe Arbeit. Das war alles erst der Anfang!

Die Semesterferien verbrachte ich also mit Pitchen und Planen. Marizon entschied sich, für ein Praktikum nach Schweden zu gehen, und stieg aus. Als im Oktober das Studium weitergehen sollte, war ich in Gedanken bereits in anderen Sphären. Ich wollte aber auch nicht abbrechen, denn Studieren an der Universität der Künste machte Spaß. Ich lernte wichtige Dinge fürs Leben: Wo sonst kann man drei Seiten Aufsatz darüber schreiben, wie man einen Joint dreht, und dafür eine 1,0 bekommen? Ein Urlaubssemester klang zu diesem Zeitpunkt vernünftig. Ich stellte mir selber einen Praktikumsvertrag aus, denn Gründung war als Urlaubssemestereintragungsgrund – was für ein deutsches Wort – nicht vorgesehen. Weil damit auch mein BAföG erst mal gestrichen war, musste ich wieder mehr arbeiten gehen und fand eine Stelle im Marketing bei Veganz.

Veganz ist heute eine Marke, die europaweit ihre eigenen Produkte vertreibt, aber damals war es noch eine kleine vegane Supermarktkette. Wir waren nur etwa zehn Leute im Büro, die alles von Einkauf bis Marketing und Vertrieb machten. Und ich war nur eine kleine Werkstudentin, die aber überall ihre Nase reinhielt und alles aufsog. Für diese Chance bin ich Jan Bredack, dem Gründer, sehr dankbar. Denn eigentlich hatte ich gar keinen Job gesucht, als ich Jan traf. Ich hatte ihn angeschrieben, weil ich ihn darüber ausfragen wollte, wie es ist, eine Supermarktkette zu gründen und zu führen. Auf das Gespräch bereitete ich mich gut vor: Ich las ungefähr alle Artikel, die je über Veganz veröffentlicht wurden. Ich wusste, in welchem Jahr wie viele Filialen eröffnet wurden, hatte mir alles zu seinem vorherigen Werdegang als Manager bei Daimler rausgesucht, und beantwortete mir durch die Recherche bereits die ersten Fragen selbst. Dadurch konnte ich bereits viel tiefer einsteigen und musste nicht mit so oberflächlichen Fragen wie »Warum hast du den Laden gegründet?« anfangen. Wer diese Frage stellt, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Jan und ich unterhielten uns lange: Er erzählte mir, was er wusste und gelernt hatte, und war einfach nur sympathisch und hilfsbereit. Am Ende des Meetings ergab sich das zufällig mit dem Job: Das Bewerbungsgespräch führte ich mit der Marketingchefin und dem Einkaufschef. Die Dame vom Marketing stellte mich ein, und der Einkaufschef wurde ein guter Freund, der bis heute noch an meiner Seite ist. Mit dem neuen Job in der Tasche war ich entspannter und konnte mich in der verbleibenden Zeit wieder auf OU konzentrieren.

Unsere Konzepte stellten wir bei weiteren Wettbewerben vor, bis wir das Stipendium im Social Impact Lab ergatterten. Das Lab ist ein Ort für soziale Start-ups, die Mentoring und Coaching in Form eines Stipendiums erhalten. In diesem acht Monate langen Stipendium lernte ich unseren Berater Bernd und unsere Mentorin Nicole kennen, die mich bis heute begleiten. Bernd hatte die Rolle des Master Coaches. Immer, wenn man nicht weiterwusste und einen Rat brauchte, oder wenn man nicht mal wusste, wo und wie man Hilfe bekommt, ging man zu Bernd. Bernd weiß alles. Bernd hat in seinen mehr als 60 Jahren Lebenserfahrung nicht nur Häuser in Kreuzberg besetzt, sondern auch viele Firmen im In- und Ausland aufgebaut. Nur Gott weiß, wie viele Start-ups er vor dem Ruin bewahrt hat. Nicole hingegen hat eine Führungsposition bei SAP inne und hatte mit Lebensmitteleinzelhandel nichts am Hut. Aber sie wusste, wie man Projekte managt, Menschen führt und vor allem, wie man unkonzentrierten kleinen Mädchen etwas Disziplin beibringt. Nicole hat sich auch ehrenamtlich mit uns getroffen, zugehört und uns dann tatsächlich oft aus der ein oder anderen zwischenmenschlichen Patsche geholfen.

Am ersten Tag im Lab lernte ich Jan Lenarz kennen. Jan hat die Firma Vehement gegründet, die nachhaltige Kampfsportsachen produziert. Er ist Veganer und auch noch ganz schön süß. Unser erstes Date war das Höchstmaß an Romantik: Es fand im McFit am Kottbusser Tor statt. Er zeigte mir, wie man boxt, und ich ihm anschließend, wie man vegane White Russians mixt. Aus einem Flirt wurde eine Freundschaft und aus der Freundschaft heraus entwickelte sich eine weitere Geschäftsidee. Aber dazu später mehr.

Im Lab hatten wir das erste Mal einen Arbeitsplatz und jemanden, der von uns etwas erwartete. Wir waren da nicht zum Spaß. Mit sieben anderen Social-Start-ups wurden wir an die Hand genommen. Die anderen Teams arbeiteten mindestens genauso fleißig wie wir: Da war Janine, die Jyothi Fairworks (damals noch Fairliebt in Jyothi) initiiert hat und bis heute führt. Sie hat eine Kooperative in Indien aufgebaut und beschäftigt mehrere Näherinnen, die für die Herstellung der Kleidung von Jyothi Fairworks fair bezahlt werden. Oder Sally von Querstadtein. Querstadtein macht Führungen durch die Stadt mit Obdachlosen als Führer. Diese zeigen, wie sie die Stadt sehen. Heute haben sie ihr Spektrum erweitert: Auch Flüchtlinge führen Interessierte durch Berlin und bieten einen Blick auf ihre Lebenswelt.

Kurz gesagt, wir waren umgeben von Menschen, die etwas bewegen wollten, die klein anfingen und groß dachten. Hier waren wir richtig. Sara – noch arbeitslos gemeldet. Ich – offiziell im Praktikum. So gingen wir brav jeden Morgen ins Social Impact Lab und spielten Büro. Wir fingen meist zwischen 9 und 10 Uhr an und blieben so lang, wie nötig war – oder wie wir Lust hatten. Wir saßen mit den anderen Teams in einem großen Raum, jeder an einer kleinen Tischgruppe, und arbeiteten an unseren Projekten.

Der erste und wichtigste Schritt nach dem Businessplan war zunächst, Lieferanten zu finden, die nicht nur theoretisch bereit waren, uns unverpackt zu beliefern, sondern auch in der Praxis. Für den Businessplan hatten wir bereits recherchiert, welche Bandbreite an Produkten ein Supermarkt anbieten muss, um eine wirkliche Alternative zu sein. Aber wir hatten keine Ahnung, wie wir an die entsprechenden Lieferanten herankommen sollten. Es war klar, dass die großen Markenhersteller mit ihren langen, komplexen Lieferketten nicht plötzlich die Fabrik stillstehen lassen würden, um für uns Mehrwegbehälter zu befüllen. Wir mussten andere Lösungen finden. Leider wussten wir erst recht nicht, wo wir danach suchen sollten, also holten wir uns Hilfe: unsere erste Mitarbeiterin – eine Werkstudentin, die wir mit dem Gewinn aus dem Businessplanwettbewerb bezahlten. Sie begann, langsam das Sortiment zu planen und Lieferanten zu finden. Kurze Zeit später stellten wir unsere zweite Mitarbeiterin an, die wir sogar in Vollzeit beschäftigten. Wir kamen also endlich voran, und zwar mit großen Schritten!

Wir investierten jeden gesparten Cent und jede freie Minute in OU. Wir sahen das Potenzial des Unternehmens – und waren damit nicht allein. Der Weltruhm begann mit einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Dieser erzählte nur die Geschichte von zwei jungen Frauen aus Berlin und ihrer Idee – denn mehr hatten wir bis dahin nicht zu bieten. Aber der Artikel verbreitete sich, und plötzlich war sie da – die Aufmerksamkeit von außen. Uns erreichten täglich neue Presseanfragen, die wir irgendwann nicht mehr alle beantworten konnten, und auch nicht wollten. Noch hatten wir nichts – nur die Idee, einen Businessplan, ein Team … aber nach einem Jahr noch keinen Laden. Denn dafür brauchten wir Geld.

Die Finanzierung sollte unser erster Meilenstein sein. Wir hatten einen ausgezeichneten Businessplan und die Unterstützung meiner Uni, der Universität der Künste. Damit hatten wir genug Wind im Rücken, um Exist zu beantragen. Exist ist ein Gründerstipendium, das zwölf Monate lang die Lebenshaltungskosten für maximal drei Gründerinnen sowie anfallende Forschungs- und Materialkosten bezahlt. Es wird allerdings nur an innovative Start-up-Ideen vergeben. Wir waren wie prädestiniert dafür. Wir waren optimistisch: Wer, wenn nicht wir? Wir wollten mit unserem Konzept den Lebensmitteleinzelhandel revolutionieren. Das Stipendium wartete nur darauf, von uns in Anspruch genommen zu werden. Von wegen. Zwei Monate Antragsarbeit später erhielten wir eine Absage. Einfach so.

Dazu kam auch noch der Stress mit der Suche nach einer passenden Immobilie für unseren Laden, mit der wir schon früh begonnen hatten. Wir wollten ein Gefühl für den Immobilienmarkt bekommen. Das taten wir. Wir lernten, dass es praktisch unmöglich ist, in Berlin eine halbwegs gute Gewerbeimmobilie zu finden. Wer schon mal auf Wohnungssuche war, weiß, wie nervig das ist. Gewerbeflächen finden ist noch um ein Vielfaches anstrengender – es gibt einfach viel weniger davon. Es mussten fünf Monate vergehen, bis wir eine Immobilie fanden, die uns gefiel und für die wir auch eine Zusage erhielten. Die anderen waren entweder zu klein gewesen oder aber zu groß – wie sollten wir da die Miete stemmen? Oder wir besichtigten eine Immobilie in Prenzlauer Berg und ärgerten uns, dass sie nicht in Kreuzberg war. Neben der nicht vorhandenen Entscheidungsfreudigkeit hatten wir eigentlich auch kein Geld für die Kaution. Es bräuchte einen neuen Begriff, um unsere Naivität zu beschreiben. Wir machten trotzdem weiter.

Das Stipendium war also gestrichen. Wir liehen uns Geld und überbrückten die ersten Monate, bis unser Crowdfunding auf startnext so weit war. Ein Crowdfunding bietet die Möglichkeit, auf einer Internetseite ein Projekt vorzustellen und von fremden Menschen die nötige Finanzierung für dieses Projekt zu erhalten. Also genau das Richtige für uns. Leider verzögerte sich der Start immer weiter – und ohne unsere Mentorin Nicole würden wir wohl noch heute darauf warten. Bei jedem Treffen fragte sie uns, wann es denn losginge, und während wir uns mit Ausreden den Mund fusselig redeten, unterbrach sie uns und fragte noch einmal: »Warum. Seid. Ihr. Noch. Nicht. Gestartet?« Das war keine Frage, die eine Antwort erforderte. Das war eine Schelte. Und sie saß.

Wir traten uns in den Arsch, schoben die Ausreden beiseite – das Video sei nicht gut genug, wir hätten keine Fotos, kein Design, keine Kampagne – und machten einfach. Für das Video beauftragten wir zwei Studenten der FHTW. Das Design und die Kampagne machte ich kurzerhand selbst. Für irgendwas mussten diese Grafikausbildung und die Jahre in der Werbeagentur ja gut sein. Unser Kampagnenmotto war »Unverpackt für alle«, OU sollte von Anfang an mehr als nur ein Bio-Laden in Kreuzberg sein. Wir wollten ein Franchise-System bauen, und am Ende sollte es in jeder kleinen und großen Stadt in Deutschland einen Unverpackt-Laden geben. Napoleon und ich haben mehr als unsere Körpergröße gemeinsam – wir mögen es, groß zu denken.

Im Laufe des ersten Halbjahres erhielten wir weiterhin Presseanfragen. Es war schwer für uns, nicht für ein Interview zuzusagen, schließlich wussten wir nicht, ob das Interesse in einem halben Jahr noch da sein würde. Das eigene Ego rebellierte, aber die Vernunft setzte alles auf eine Karte – auf das Crowdfundig. Wir wollten die Presseaufmerksamkeit bündeln und auf das Crowdfunding lenken. Ich war pessimistisch. Ich wusste, wir brauchten so viel Geld wie möglich, aber ich wusste auch, dass Crowdfundings in Deutschland zu diesem Zeitpunkt im Schnitt nur 5000 bis 15000 Euro erzielten. Sara und ich diskutierten und wollten schließlich trotzdem 20000 Euro als Ziel für die Kampagne wagen. Die Setzung des Ziels ist wichtig, denn wenn man dieses Ziel nicht in einer bestimmten Zeit erreicht, dann gibt es am Ende keinen Cent. Beim Crowdfunding heißt es alles oder nichts. Mit 20000 Euro hätten wir genug Eigenkapital für ein Darlehen bei der Bank.

Wir erreichten die 20000 Euro. In einem Tag. Wir rasteten aus. Die Betreuerin aus dem Lab organisierte irgendwoher eine Flasche Sekt und wir stießen an und kamen nicht darauf klar. Wenige Stunden später erhielt ich einen Anruf. Es war der Makler, der die Immobilie in der Wiener Straße 16 in Kreuzberg vertrat. Knapp eine Woche vorher hatten wir uns die Ladenfläche angeschaut. Über hundert Leute hatten sich darauf beworben, nur wenige wurden zu der Besichtigung eingeladen, und wir erhielten den Zuschlag. Das konnte alles nicht sein. Ich fühlte mich nicht wie auf Wolken. Ganz im Gegenteil: Ich war im freien Fall und wusste, dass ich gleich hart aufschlagen würde. So viele gute Sachen auf einmal waren surreal. So was war ich nicht gewohnt.

Dann geschah das Wunder. Alles lief glatt. Wir handelten den Mietvertrag aus und unterschrieben wenige Wochen später. Und das Crowdfunding, nun, das entwickelte ein Eigenleben. Das Video ging weltweit viral – was ungewöhnlich ist für ein Video in deutscher Sprache. Upworthy titelte: »Genius Germans Invent Supermarket So Radically Simple You Don’t Have To Speak German To Get It«. Von The Guardian bis Spiegel Online – es wurde geteilt und angesehen und bescherte uns eine internationale Medienaufmerksamkeit. Dies zeigt sich aber nicht nur in der Crowdfunding-Summe von mehr als 100000 Euro, sondern auch in meinem E-Mail-Posteingang. Irgendwann öffnete ich die Pressemails nicht mehr, hielt mich fern von meinem privaten Facebook. Ich hatte mich als ewige Realistin auf das Scheitern eingestellt, aber nie und nimmer auf einen Erfolg in diesen Ausmaßen. Zuvor war mein größter Erfolg gewesen, das Abi mit gerade mal 3,2 beendet zu haben und nicht schon vorher wegen Fehlzeiten von der Schule geflogen zu sein. Meine Überlebensstrategie war auf Krisensituationen und Kampf ausgelegt und nicht darauf, was passiert, wenn man gewinnt. Ein absolutes Luxusproblem, aber mich haute es um. Ich wartete immerzu darauf, aus diesem Traum aufzuwachen. Dieses Gefühl, allen nur etwas vorzumachen und gar nichts zu können, kehrte auch später immer wieder zurück, und heute weiß ich, dass es ein Syndrom ist, unter dem gerade viele Frauen und weniger selbstbewusste Menschen leiden: das Hochstaplersyndrom. Ich selbst benötigte die Erfahrung, zwei erfolgreiche Firmen gegründet zu haben, viele Gespräche mit Freunden und sehr viel Bestätigung von außen, um es überwinden zu können. Langsam begann ich zu lernen, wie ich Bestätigung in mir selbst finden kann. In diesem Fall gab der Erfolg des Crowdfundings mir mehr als nur Geld.

Die Crowdfunding-Kampagne ist immer noch online und kann unter startnext.de/original-unverpackt angeschaut werden.

Das Crowdfunding endete nach knapp 36 Tagen mit der Unterstützung von 4009 Menschen. Diese 4009 Menschen beteiligten sich mit unterschiedlich großen Beiträgen, die am Ende eine Summe von 108915 Euro ergaben. Wir hatten das Crowdfunding mit den bis dato meisten Unterstützerinnen in Deutschland auf die Beine gestellt. Zwei junge Frauen, die keine Ahnung hatten, was sie da taten, und eigentlich nur ohne Müll einkaufen wollten.

Während wir so wuselten, hatten wir aber bereits ein Team, das fleißig Lieferanten suchte: Lola, unsere erste Festangestellte, und Sarah, die Werkstudentin, trafen sich mit potenziellen Lieferanten, um mit ihnen Lösungen auszudiskutieren. Einige davon wurden beispielhaft und zum Standard für die deutschen Unverpackt-Läden. So trafen wir Axel Kaiser von Denttabs. Denttabs produziert kleine weiße Pillen, die als Ersatz für Zahnpasta dienen. Man nimmt eine Tablette mit etwas Wasser in den Mund, kaut darauf herum und putzt sich danach ganz normal die Zähne. Das funktioniert sehr gut und ist sogar gesünder als herkömmliche Zahncreme, weil die Tabletten trocken sind, während normale Zahnpasta unzählige Chemikalien enthält, die sie konservieren und ihre flüssige Konsistenz bewahren sollen.

Diese Zahnpasta-Tabletten waren wie gesagt super, aber nur in kleinen Plastikverpackungen erhältlich, ähnlich wie bei Kaugummis. Wir wollten sie aber ohne, und wir erhielten sie schließlich auch (fast) ohne: Statt der vielen kleinen, sollten die Tabletten in einer großen, luftundurchlässigen Einwegverpackung transportiert werden. Mit dieser Lösung, die Axel für uns organisierte, werden heute die meisten Unverpackt-Läden in Deutschland beliefert.

Auf diese Weise setzte sich die Suche fort. Wenn wir wussten, dass wir ein bestimmtes Lebensmittel wollten, hieß es: Wie kriegen wir das möglichst unverpackt, lokal, bio und fair hergestellt? Lola schrieb unterschiedlichste Herstellerinnen an und fragte nach müllfreien Lösungen, Preisen, Lieferbedingungen und Produktproben. Wir verkochten die Proben und machten Testessen, nur um am Ende dann doch keins der Produkte zu nehmen. Dies war der aufwendigste Teil, der einfach viel Zeit beanspruchte, und ich bin bis heute dankbar, dass sich Lola und ihr Team so fleißig darum kümmerten. Auch wenn sich einiges an Fehlern untermischte – wer bestellt Hunderte Plastiksprühflaschen für Reinigungsmittel, wenn man nicht weiß, ob man auch nur eins loswird? Wir wussten es halt nicht besser. Diese Fehler waren nicht billig, aber da mussten wir durch.

Ein großer Fehler war die Annahme, der Laden würde gar keinen Müll produzieren. Unser Konzept, den Lieferanten große Behälter im Rahmen eines Pfandsystems zur Verfügung zu stellen, ging nur bedingt auf. Viele waren begeistert, aber umsetzen konnten es nur die wenigsten. Die Idee war wie folgt: Der Lieferant füllt sein Produkt in einen für Lebensmittel geeigneten Behälter mit einer Kapazität von 25 Litern. Sein Spediteur liefert uns die befüllten Behälter, und wir geben die leeren zurück. Dadurch würde kein Müll in der Lieferkette entstehen. Aber leider war diese Vorgehensweise nur bei sehr wenigen Herstellern möglich. Es galt: Je kleiner das Unternehmen, desto größer die Bereitschaft zu dieser Umstellung. Es klappt zum Beispiel mit unserem Kaffee. Der wird in Berlin-Friedrichshain geröstet, in Edelstahlbehälter verpackt und per Kurier zu uns gebracht. Dieser holt die leeren Edelstahlbehälter auch wieder ab und bringt sie dem Röster zurück. Genauso läuft es auch mit unserem Obst und Gemüse. In Deutschland verwenden alle Naturkostgroßhändler die sogenannten NAPF-Kisten. Das sind diese grünen Plastikkisten, die manchmal auch als Fahrradkorb umfunktioniert werden. Das Gute an ihnen: Sie sind Teil eines deutschlandweiten, einheitlichen Pfandsystems. Fast alle Bio-Landwirte füllen ihre Ware in diese Kisten. Sie kommen dann zum Naturkostgroßhändler, der sie wiederum an die einzelnen Bio-Läden liefert. Genauso funktioniert das zum Beispiel auch bei Milch. Die wird regional in braune Ein-Liter-Pfandgläser gefüllt, in Mehrwegkisten zum Großhändler gebracht, und von da geht es weiter an die Einzelhändler. Ebenso bei Getränken: Bier gibt es bei uns nicht zum Abzapfen, sondern einfach wie überall in Pfandflaschen. Gutes Bier. Alle Sorten haben wir persönlich getestet.

Der Rest der Ware, Produkte wie Reis, Nüsse oder Müsli, kommt in Großgebinden. Das sind Säcke aus Altpapier mit rund 25 kg Inhalt. Die Großverpackungen für Gewürze und Süßigkeiten sind etwas kleiner. Die meisten ebenfalls aus Papier, einige wenige leider auch aus Plastik. Also doch Müll. Wie können dann Unverpackt-Läden behaupten, nachhaltiger zu sein? Weil sie es sind. Es war zwar sehr frustrierend, zuzusehen, wie nach all der Arbeit trotzdem Müll übrig bleibt, aber: Die Menge ist nicht vergleichbar mit den Unmengen an Müll, die ein normaler Supermarkt produziert. Es ist viel, viel weniger. Wie viel weniger haben wir ein Jahr später in einer Ökobilanz messen lassen. Aber auch eine Milchmädchenrechnung erklärt das Prinzip: Wenn man im konventionellen Einzelhandel 500 Gramm Reis kaufen möchte, entsteht dabei folgender Müll: die Plastikumverpackung (die sogenannte Primärverpackung), die Kartonverpackung, die zehn dieser 500-Gramm-Tüten enthält (die Sekundärverpackung), und je nach Hersteller gibt es noch eine Tertiärverpackung aus Karton, die wiederum eine bestimmte Anzahl der Sekundärverpackungen enthält. Kauft man seinen Reis hingegen bei OU, kann man sicher sein, dass an Müll nur der eine Altpapiersack anfällt. Hochgerechnet auf 25 kg, die Menge eines solchen Sacks, würden im konventionellen Supermarkt allein fünfzig kleine 500-Gramm-Plastiktütchen anfallen, und dazu kämen noch die Sekundär- und Tertiärverpackungen. Also, es ist immer noch Müll da, aber viel weniger, und vor allem viel weniger Plastikmüll.

 

Sobald die Immobilie feststand, durften wir keine Zeit verlieren. Sara und ihr Freund Michael planten den Umbau und die Einrichtung. Michael ist Architekt. Er hatte zwar noch keine Erfahrung mit Supermärkten, war aber genauso heiß auf diese Herausforderung wie wir. Plötzlich musste alles auf einmal fertig sein, am besten schon gestern. Aber es dauerte seine Zeit, bis die Handwerker sich fanden und ihren Job erledigt hatten. Bis die Einrichtung angeliefert und eingebaut wurde. Bis die Lebensmittel kamen und wir sie abfüllen konnten. Es vergingen 3 Monate.

Ich wurde ungeduldig, und ich war nicht die Einzige. Im Mai war das Crowdfunding gelaufen, und im August hatten wir immer noch nicht eröffnet. Damals schrieb ich in unserem OU-Blog:

Wir sind dran und unterwegs. Um genau zu sein, sind wir fast da. Wir werden diesen Sommer eröffnen. Nach jedem Gang in die Neon-Licht-Hölle unseres Vertrauens, wo wir unseren Einkauf erledigen, nach jedem Spaziergang zur Mülltonne, nach jeder Familienpackung Frischkäse, die wir nicht aufbrauchen konnten und die im Müll landet, wissen wir, warum wir das machen. Nach jeder Doku, nach jedem Drücken des »Eco«-Buttons auf der Waschmaschine, nach jedem Mal Zugfahren statt Fliegen wissen wir, dass noch eine wichtige Sache fehlt. Aber wir sind dran.

Während Sara sich um das Design und die Einrichtung kümmerte, war ich mit dem Versuch beschäftigt, das Gesundheitsamt zu beeindrucken. Leider war ich weit davon entfernt. Als Vorbereitung erstellte ich eine Präsentation, in der ich jedes potenzielle Pfandbehältnis darstellte und mit Maßen und Herstellerangabe sowie mit der Angabe beschriftete,