Überraschend anders fragen - Karin Kiesele - E-Book

Überraschend anders fragen E-Book

Karin Kiesele

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Beschreibung

Wer fragt, führt Ob Coaching-Sitzung, Mitarbeitergespräch oder Interview: Wer davon lebt, beruflich die richtigen Fragen zu stellen, wer Dinge herausfinden und sich verständlich machen möchte, der fragt – und führt! Aber Achtung: Nicht alle Fragen lenken zum Ziel: Einige schießen darüber hinaus oder steuern in nicht gewünschte Richtungen. Manche Fragen bringen uns näher zusammen, andere sorgen für neue Fragen oder gar für Zündstoff. Menschen, in deren Beruf Kommunikation zentral ist und die viele Fragen stellen (müssen), unterstützt dieses Buch darin, die richtigen Fragen richtig zu stellen. Impulse, Übungen und Schritt-für-Schritt-Anleitungen führen direkt in die Praxis und bieten einen hohen Mehrwert, u. a. zu folgenden Themen: - Mit Fragen Ziele erreichen - Vom Wesen der Fragen - Fragen und ihre Wirkung - Fragetypen

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Seitenzahl: 195

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Karin KieseleÜberraschend anders fragenPraxishandbuch für professionelle Kommunikation

Über dieses Buch

Wer fragt, führt 

Ob Coaching-Sitzung, Mitarbeitergespräch oder Interview: Wer davon lebt, beruflich die richtigen Fragen zu stellen, wer Dinge herausfinden und sich verständlich machen möchte, der fragt – und führt! Aber Achtung: Nicht alle Fragen lenken zum Ziel: Einige schießen darüber hinaus oder steuern in nicht gewünschte Richtungen. Manche Fragen bringen uns näher zusammen, andere sorgen für neue Fragen oder gar für Zündstoff. Menschen, in deren Beruf Kommunikation zentral ist und die viele Fragen stellen (müssen), unterstützt dieses Buch darin, die richtigen Fragen richtig zu stellen. Impulse, Übungen und Schritt-für-Schritt-Anleitungen führen direkt in die Praxis und bieten einen hohen Mehrwert, u. a. zu folgenden Themen: 

Mit Fragen Ziele erreichen Vom Wesen der Fragen Fragen und ihre Wirkung Fragetypen

Karin Kiesele, Kommunikationswissenschaftlerin (B.A.), zertifizierter Personal- & Business-Coach, zertifizierte Trainerin, Mitglied im Deutschsprachigen Dachverband für Positive Psychologie e.V.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2022

Coverfoto: mrPliskin – iStock

Illustrationen: Lydia Neuschmelting

Grafiken: Asli Karabenli

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2022

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0357-5

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0359-9 (EPUB), 978-3-7495-0361-2 (PDF), 978-3-7495-0360-5 (EPUB für Kindle).

Vorwort: Wer nicht fragt, bleibt dumm … (und einsam)

Journalisten und Lehrende tun es. Therapeuten und Coaches auch. Und auch Ärzte, Verkäufer, Führungskräfte, Politiker, Call-Center-Agents und Friseure kommen ohne Fragen zu fragen nicht aus. Sehr viele Berufe leben davon, Fragen zu stellen, um passende, nützliche, hilfreiche und informative Antworten zu erhalten. Fragen sind der einfachste und beste Weg, Dinge herauszufinden, sich verständlich zu machen und im Idealfall mit anderen Menschen wahrhaftig in Verbindung zu treten. Fragende lenken die Kommunikation und führen durch das Gespräch.

Doch immer wieder machen wir die leidvolle Erfahrung, dass unsere Fragen nicht zum gewünschten Ziel führen. Einige schießen daran vorbei oder darüber hinaus, manche führen in unerwartete Richtungen, und wir sind verwirrt. Ein nicht unerheblicher Teil der Fragen, die wir fragen, entpuppt sich als Blindgänger, sorgt für neue Fragen oder gar für Zündstoff.

Es ist eine Kunst, die passende Frage im richtigen Moment zu stellen, und ich möchte die Leser*innen dabei begleiten, sich in dieser Kunstfertigkeit zu üben. Die Magie, die entsteht, wenn wir die passende Frage im richtigen Moment platzieren, haben vermutlich alle schon gespürt: Zwischen uns und unserem Gegenüber gerät etwas ins Schwingen, Verbindung entsteht, tiefes Verstehen scheint mühelos möglich. Wenn es zwischen zwei oder mehr Menschen kommunikativ „wuppt“, bringt uns das einander näher und wir gehen bereichert und beschenkt aus diesen Gesprächen heraus.

„Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.“ Dieser Ausspruch, der Albert Einstein zugeschrieben wird, bezieht sich auf einen wichtigen Aspekt, der im besten Fall Fragende antreibt: Das Vorhandensein einer generellen Offenheit oder Neugier. Ein grundsätzliches Interesse an anderen und der mehr oder weniger gezielte Drang, Dinge in Erfahrung zu bringen. Der Spot ist stets auf das Gegenüber gerichtet, die Fragenden bleiben scheinbar im Dunkeln. Und doch gewährt die Art und Weise, wie sie Fragen stellen, Einblicke in ihr Seelenleben. Hinter der Auswahl der Fragen stecken eigene Vorstellungen, Wünsche und Gefühle, die im Außen abgeglichen, gestillt oder gesehen werden wollen.

Mein Entschluss, Journalistin zu werden, hat viel mit einer großen Portion Neugier, aber vor allem mit dem ungestillten Bedürfnis nach Beziehung zu tun. Ich war ein ziemlich einsames Kind und spürte sehr früh, dass ich durch Kommunikation aus meiner Isolation heraustreten und Verbindung mit anderen herstellen kann. Das hat mich gerettet.

Seit ich denken kann bin ich gut darin, Kontakte und Beziehungen aufzubauen. Als empathischer Mensch machte ich schon früher intuitiv vieles richtig, blieb aber oft mitten in Gesprächen stecken und wusste nicht weiter. Nach einem gelungenen Start war ich nicht in der Lage, die weiterführenden Fragen richtig zu stellen. Manchmal spürte ich, dass die Tür meines Gegenübers offen stand, es aber meinerseits im Gespräch an Qualität oder Tiefe fehlte, und ich wusste nicht warum. Ich fühlte mich ohnmächtig und war ratlos. Woran mochte es liegen, dass ich nicht weiterkam? Heute weiß ich, dass es mir an Technik und Know-how fehlte. Es lag an meiner Art und Weise, Fragen zu stellen.

Mithilfe von Fragen können Sie Begegnungen und Situationen ermöglichen, strukturieren, gestalten und gelingen lassen. Sie können Menschen zum Erblühen bringen. Intuition ist schön und gut, aber erst Fragetechniken zu kennen und einzusetzen macht uns zu sicheren Fragenden, die ihr Handwerk verstehen.

Aus dem Feedback meiner Gegenüber erfahre ich heute, dass meine Fragen offensichtlich oft überraschend anders sind. Sie dienen als Quelle der Inspiration, sind manchmal unbequem, aber zielführend und stoßen Erkenntnisprozesse an. Sie irritieren, verärgern und wühlen auf oder fördern Antworten zutage, die tief verschüttet waren und neue Einsichten möglich machen. Als Fragende weiß ich jetzt, was ich tue. Und ich fühle mich gut in der Lage, meine Schatzkiste der Fragewörter und -wendungen zu öffnen, und weiß ihre Wirkmacht einzuschätzen. Das wünsche ich Ihnen auch!

Auch wenn Sie kein Coach sind, sondern aus anderen Gründen Fragen stellen, verspreche ich Ihnen: Mit Ihrem ganz persönlichen Frageschatz wird es kaum mehr verunglückte Interviews, Kundengespräche, Mitarbeitermeetings oder Konfliktgespräche geben. Dafür weihe ich Sie auf den folgenden Seiten in die Geheimnisse dieses Schatzes ein und teile mein Wissen mit Ihnen. Sie können so Ihr Instrumentarium an Fragen zu erweitern und halten damit den Schlüssel zu ergebnisreichen, fokussierten und intensiven Gesprächen in der Hand.

Lange war mir nicht bewusst, dass meine Art, Fragen zu stellen, sehr viel mit meiner eigenen Sicht auf die Welt zu tun hat. Inzwischen weiß ich, wie wichtig es ist, auch mich als Fragende mit meinen ganz eigenen Beweggründen zu hinterfragen. Deshalb geht es im ersten Kapitel zunächst darum, Ihre Oberfläche ein wenig anzukratzen, um einen tieferen Blick auf Ihre Beweggründe zu wagen. Sie erhalten Tipps und Input, um selbst herauszufinden, was möglicherweise in Ihren Fragen noch mitschwingt und weshalb es zu Störungen in der Kommunikation kommen kann.

Ganz nach dem Motto „Sage mir, wie du fragst, und ich sage dir, wer du bist“ geht es im zweiten Kapitel um eine Klärung dessen, inwiefern Ihre Art zu fragen mit Ihnen ganz persönlich zu tun hat. Wir tauchen noch ein wenig tiefer und entdecken gemeinsam Ihr Wesen und das Wesen der Fragen. Wir sprechen darüber, was Ihre innere Haltung und Ihr Weltbild mit Ihrer Art zu fragen und zu kommunizieren zu tun haben.

Im dritten Kapitel finden Sie praxisnahe Beispiele, wie Sie erfolgreich Fragen stellen können, wenn Sie etwas ganz Bestimmtes erfahren möchten. Ob systemisch, lösungsorientiert, hypothetisch oder ganz simpel offen oder geschlossen – das vierte Kapitel spielt eine Etüde auf der Klaviatur der klassischen Fragetypen und -möglichkeiten. Und im fünften Kapitel dreht sich alles um hilfreiche Gesprächstechniken, die dazu beitragen können, dass es in Gesprächen zu mehr Verstehen und Verständnis kommt.

Damit der Nutzen dieses Buches möglichst hoch ist, gibt es in jedem Kapitel Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die Sie als Lesende direkt zum Ausprobieren und Umsetzen einladen. Jedes Kapitel schließt zudem mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen und Erkenntnisse ab.

Zusammenfassung

Drei gute Gründe, dieses Buch zu lesen:

Es leistet Hilfestellung dabei, die richtigen Fragen im richtigen Kontext zum richtigen Zeitpunkt zu stellen.Zeile für Zeile bietet es Impulse, Handlungsanleitungen und Antworten für den beruflichen Alltag von Fragenden.Wer dieses Buch liest, erfährt eine Menge über sich selbst und lernt sich besser kennen.

1. Warum fragen wir?

Eigentlich müsste die Frage heißen: Warum fragen wir nicht viel mehr? Fragen zu stellen ist etwas Kraftvolles. Wir geben dem anderen Raum und zeigen ihm, dass er uns wichtig ist und wir an seinen Äußerungen Interesse haben. Wir beziehen durch Fragen selbst Stellung, können uns aber gleichzeitig etwas zurücklehnen und entspannen, während der andere versucht, Antworten zu formulieren. Fragen lenken Gespräche, und sie sorgen für den zwischenmenschlichen Austausch, den die meisten von uns sich so sehr wünschen.

Ich persönlich habe festgestellt, dass in der zwischenmenschlichen Kommunikation für meinen Geschmack viel zu wenige Fragen gestellt werden. Meist wird viel und lang geredet, aber gefragt wird eher spärlich. Im Austausch mit anderen denken wir uns einfach unseren Teil und haken nicht nach, manchmal, weil wir annehmen, schon verstanden zu haben und uns nicht die Mühe machen, unsere Annahmen zu überprüfen. Manchmal haben wir aber auch einfach Angst, mit unseren Fragen eine Diskussion heraufzubeschwören, die eine unangenehme Wendung nehmen könnte.

1.1 Die Fragen vor den Fragen oder: Was soll oder könnte das Ergebnis meiner Fragen sein?

Meist stellen wir unsere Fragen intuitiv, ohne uns vorher bewusst zu machen, auf welche Art von Reaktion sie abzielen. Will ich Türen öffnen oder schließen? Ist es mir wichtig zu provozieren oder möchte ich besänftigen? Will ich mehr über mein Gegenüber in Erfahrung bringen oder ihm gar ein Geheimnis entlocken? Möchte ich andere besser verstehen oder frage ich, um mein Gegenüber zum Nachdenken anzuregen? Will ich im Grunde meinem Ärger Luft machen, Empathie einfordern, Probleme erkennen oder Lösungen finden? Da es eine Menge ganz unterschiedlicher Beweggründe gibt, scheint es mir hilfreich, sich zunächst darüber klar zu werden, welche Absicht hinter den Fragen steckt.

Zehn ziemlich gute Gründe, Fragen zu stellen

Fragen zu stellen ist für mich zur Lebenseinstellung geworden. Was mich antreibt? Meist ist es mein Verlangen, Verbindung aufzubauen und zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Doch es gibt viele gute Gründe, anderen Menschen Fragen zu stellen.

Was meinen Sie dazu?

Fragen vermeiden einen Monolog und fördern den Dialog. Sie bringen andere zum Zuhören, fordern eine Reaktion und aktivieren unser Gegenüber im Gespräch.

Was ist Ihnen in diesem Zusammenhang besonders wichtig?

Durch Fragen gelingt es uns, die Wünsche und Bedürfnisse des anderen herauszufinden.

Können wir jetzt kurz über einen ganz anderen Aspekt sprechen?

Mithilfe von Fragen steuern wir das Gespräch und können geschickt das Thema wechseln.

Wie ist das für Sie?

Mit unseren Fragen können wir mehr über die Gefühlslage unseres Gegenübers erfahren.

Wie schätzen Sie die Situation aus Ihrer Sicht ein?

Fragen helfen, Unsicherheiten zu beseitigen oder peinliche Momente zu überbrücken.

Was wäre, wenn es keine Regeln / Geldprobleme / Rangordnungen gäbe?

„Mal angenommen, dass …“-Fragen im Gespräch regen Denkprozesse an und lösen Spannungen. Sie ermöglichen es uns, Vorannahmen, Einwände, Bedenken und Ängste anderer zu verstehen.

Wie würde Ihre Argumentation lauten, wenn Sie als Anwalt der Gegenseite engagiert wären?

Durch Fragen können alle Beteiligten neue Einsichten und Erkenntnisse gewinnen. Sie bieten die Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln und bestehende Ansichten und Meinungen zu korrigieren.

Was genau hat Sie zu Ihrer Entscheidung bewogen?

Fragen bringen Anregungen für neue Argumente und können uns dabei helfen, andere dort abzuholen, wo sie stehen und sie für unsere Sicht der Dinge zu begeistern.

Können Sie mir das bitte noch mal genauer erklären?

Durch Fragen können wir Zeit gewinnen, um über eine gute Antwort nachzudenken.

Wie haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit so gute Ergebnisse zu erzielen?

Durch Fragen können wir andere wertschätzen und ihnen direkt oder indirekt Lob und Anerkennung zuteilwerden lassen.

 Kleine Übung für den Alltag

Schritt 1: Fragen Sie sich selbst: Welche von diesen zehn Fragen stelle ich momentan ausgesprochen selten?

Schritt 2: Nehmen Sie sich vor, diese eine Frage in den kommenden Tagen irgendwo unterzubringen, und beobachten Sie die Reaktion Ihres Gegenübers. Was nehmen Sie wahr? Gefällt Ihnen das Ergebnis, das Sie mit dieser Frage erzielen?

Schritt 3: Probieren Sie die gleiche Frage noch einmal in einer anderen Situation mit einem anderen Menschen aus.

Schritt 4: Entscheiden Sie sich aufgrund Ihrer Feldversuche, ob Sie diese Frage künftig Ihrem Fragenschatz hinzufügen möchten.

1.2 Welche Ziele verfolgen meine Fragen? Oder: Warum will ich was wissen?

Wenn Menschen aufeinandertreffen oder Teil einer Gruppe sind, verfolgen die Einzelnen nur selten ein einziges, klar zu fassendes Ziel. Vielmehr tragen sie jede*r für sich ein Bündel an bewussten, unbewussten und halbbewussten Absichten mit sich, das sie gern verfolgen und durchsetzen möchten. Stets handelt es sich um eine Mischung aus sachlichen und emotionalen, weniger wichtigen und höchst dringlichen, klar benennbaren, diffus bewussten oder gänzlich unbewussten Zielen. „Zielpool“ nennt der Diplompsychologe Eberhard Stahl dieses komplexe Geflecht aus Zielen, Wünschen, Interessen und Bedürfnissen, das er für die Dynamik in Gruppen verantwortlich macht.

1.2.1 Das Konzept „persönlicher Zielpool“

Bei Menschen, die sich begegnen und miteinander kommunizieren, geht es ähnlich wie im Tierreich zu. Denken wir z. B. an ein kleines Waldstück oder ein Kornfeld: Dort teilen sich Rehe, Würmer, Fliegen, Hasen, Heuschrecken, Ameisen, Eulen, Mäuse und viele andere Tiere den gleichen Lebensraum. Beide Landschaften sind komplexe Systeme mit vielen Subsystemen; sie sind beständig und unterliegen doch einem stetigen Wandel. Ganz unterschiedliche Lebewesen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen leben hier zusammen. Teils unterstützen und ergänzen sie sich, andere bedingen sich sogar gegenseitig. Manche nehmen einander gar nicht wahr, andere bekämpfen sich. Jedes einzelne Lebewesen in diesem Biotop verfolgt andere Ziele – es entsteht ein komplexes Netz aus Absichten und Plänen, das sich fortlaufend verändert.

Zurück zu uns Menschen: Die meisten von uns bewegen sich in vielen verschiedenen Lebenswelten, und nicht überall sind unsere Ziele identisch. Die jeweilige Zusammensetzung unserer persönlichen Ziele in Gruppen hängt laut Stahl vor allem von der Machbarkeit und Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung ab. Im Gruppenzielpool fließen unsere Zielvorstelllungen mit denen der anderen zusammen. Früher oder später wird es sich zeigen, ob der vorhandene Gruppenzielpool eine eher homogene bzw. heterogene Mischung birgt oder gar eine hohe Explosivität entwickelt.

Was heißt das für uns als Fragende für die verbale und nonverbale Kommunikation?

Unser Verhalten im Umgang mit anderen und unsere Vorgehensweise in der Interaktion hängen davon ab, ob in der jeweiligen Situation unser persönlicher Zielpool viele wichtige und dringliche Ziele umfasst.

Der persönliche Zielpool aller am Gespräch Beteiligten bleibt über den gesamten Zeitraum dynamisch und kann sich je nach Verlauf der Geschehnisse verändern.

Die Art der Ziele, ihre Bedeutsamkeit und Dringlichkeit sowie der Grad der Bewusstheit sind wichtige Parameter.

Wir sind umso zufriedener, je besser es uns gelingt, eine möglichst hohe Anzahl unserer Ziele zu erreichen. Unzufrieden werden wir hingegen, wenn wir sehen, dass wir für uns bedeutsame Ziele wahrscheinlich nicht umsetzen können.

1.2.2 Die Welt unserer persönlichen Ziele in Fragesituationen

Sachliches Ziel oder zwischenmenschliches Bedürfnis? Welche Ziele verfolgen wir? Manchmal sind die verschiedenen Zielebenen gar nicht so leicht auseinanderzuhalten, weil sich in uns vieles zusammenknäult und die Enden manchmal verheddert sind.

Sachliche Ziele definieren sich oft aufgrund von Sachzwängen, die sich aus wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Notwendigkeiten ergeben. „Ich muss Geld verdienen“, „Mein Chef hat mir diese Aufgabe kurzfristig zugeteilt, deshalb muss ich das schnell erledigen“, „Ich will die Prüfung bestehen, weil ich das Zertifikat benötige“ …

Bei persönlichen Zielen, die sich aus dem zwischenmenschlichen Kontakt ergeben, ist die Bandbreite größer, von: „Ich möchte nicht auffallen, damit ich wenig Arbeit aufgehalst bekomme und Zeit für meinen Garten habe“, über: „Das hier ziehe noch stillschweigend ein halbes Jahr lang durch, bevor ich mich ins Ausland absetze“ bis hin zu: „Ich sehe zu, dass ich mich aktiv hier einbringe, weil ich mich vor XY als Expertin profilieren möchte“. Scheinen uns persönliche Ziele nicht erreichbar, neigen wir dazu, uns auf vermeintliche Sachziele an der Oberfläche zu versteifen und ernten damit oft Unverständnis. Unser Scheinziel lautet dann z. B.: „In der Anweisung stand aber, dass wir Überstunden abbauen sollen.“ Oder wir behaupten mit Nachdruck, dass es doch immer so schön heißt, „wir sollen uns umfassend informieren, bevor wir etwas tun“. Die Fragezeichen in den Köpfen der anderen werden umso größer, je fadenscheiniger unsere Scheinzielformulierung anmutet.

Beispielhafter Mix aus persönlichen und sachlichen Zielen

1.2.3 Was ist mein persönlicher Zielpool? (nach Stahl 2017)

Dieser Frage nähern wir uns mithilfe eines Beispiels an, denn meist fällt es uns leichter, zunächst Beobachtungen bei anderen zu machen und uns in einem zweiten Schritt den eigenen „Untiefen“ zuzuwenden.

Aufgabe: Entdecken Sie in dem folgenden Beispiel die Zielpools der beiden Gesprächspartner*innen Birger Burgland und Sandra Holzapfel.

Anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Romans „Der Amselhirte“ trifft der Autor Birger Burgland in einem Berliner Literatur-Café auf die Journalistin Sandra Holzapfel. Das Interview wurde kurzfristig vereinbart, denn es soll in der Wochenendausgabe erscheinen und muss bereits morgen dem Redaktionsleiter zur Abnahme vorgelegt werden.

Schon auf dem Weg zum Interview hat Sandra Holzapfel schlechte Laune. „Sandra, bitte übernimm den Termin von Finn, der hat zu tun und kann nicht.“ Sie war schon fast auf dem Nachhauseweg, als sie dieses Schicksal ereilte. Und nun liest sie – das Buch auf den Knien – im Bus den Roman schnell quer, damit sie wenigstens halbwegs informiert ist, um was es darin geht. Eigentlich hätte sie sich zu Hause ein bisschen ausruhen, dann duschen und sich mit ihrem neuen Freund treffen wollen. Doch dann hat sich der faule Finn mal wieder galant aus der Affäre gezogen, und es hat sie erwischt. „Typisch!“, ärgert sie sich. Vor allem über sich selbst, weil sie so schlecht „Nein“ sagen kann. Aber sie ist noch in der Probezeit. Der neue Job bei der renommierten Zeitung ist wichtig für sie und ihre weitere Karriere, er wird ihr viele Türen öffnen. Aber Mist! „Der Amselhirte“ ist ein verdammt dickes Buch, in dem scheinbar ziemlich wenig passiert, und sie wird es auf keinen Fall schaffen, sich in den restlichen zehn Minuten Fahrt gut vorzubereiten. Sie reißt sich zusammen – Augen zu und durch. Sie hasst es, schlecht vorbereitet zu sein.

Birger Burgland ist stolz auf sich und fühlt sich geschmeichelt. Schließlich wird das gleich stattfindende Interview in einer der renommiertesten Zeitungen der Republik gedruckt werden und zusätzlich als Podcast erscheinen. Er hat sich deshalb für diesen Termin extra Zeit genommen und freut sich auf das Interview. In den letzten Stunden hat er sein eigenes Buch noch einmal gut durchgearbeitet und bedeutsame Zitate herausgesucht. Er hat schon eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was er gleich gern sagen möchte. Den Journalisten Finn Schmidt kennt er schon lange – beide schätzen einander. Schließlich sind sie ein Alter und sie teilen das gleiche Hobby: Zigarren sind eine Leidenschaft, die beide verbindet. Zwei gute Montecristo No. 2 in der Innentasche seiner Anzugjacke freuen sich darauf, im Anschluss an das Interview geraucht zu werden.

Als Sandra dem Autor zur Begrüßung die Hand schütteln möchte, versagt er ihr den Gruß und guckt ziemlich mürrisch aus der Wäsche. „Na das kann ja heiter werden“, denkt sie sich. Bereits zwei Mal hat er nach Finn gefragt, den sie jetzt auch noch galant entschuldigen muss, um das Gesicht der Redaktion zu wahren. Bevor es losgeht, steckt sich der alte Mann auch noch eine Zigarre an, die die Luft verpestet. Na, Gott sei Dank findet das Interview gleich nicht im Freien, sondern drinnen statt. Und in den Innenräumen ist Rauchen streng verboten.

Birger Burgland ist enttäuscht und gekränkt. Da schickt man ihm, dem Bestsellerautor, so ein junges Ding vorbei, das wahrscheinlich seinen „Amselhirten“ nicht einmal zur Hälfte gelesen hat. „Da kann ich meine Zigarre auch jetzt gleich rauchen“, brummt er vor sich hin und beschließt für sich, dass die Kleine ruhig ein bisschen warten kann, bis er so weit ist.

Sandra ist genervt. Wenn der Typ nicht seit zehn Minuten an seiner Zigarre mümmeln würde, könnten sie hier schon fast fertig sein. Dann, endlich …! Sie muss den ganzen Kram später ja auch noch transkribieren.

Wir überlassen die beiden jetzt einmal sich selbst und nutzen die Zeit, um das Geschehen für unsere Zwecke auszuwerten. Obwohl Autor und Journalistin mit dem vereinbarten Interview offensichtlich ein gemeinsames Ziel haben, werden die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der unterschiedlichen persönlichen Zielwelten schnell deutlich und lassen Missstimmungen entstehen.

 Reflexionsimpulse

Was meinen Sie, wie wahrscheinlich ist es, dass beide sich aus diesem Gespräch mit einem guten Gefühl verabschieden?Was lässt sich über die sachlichen Ziele von Sandra Holzapfel sagen, welche persönlichen Ziele verfolgt sie?Wie sieht das bei Birger Burgland aus?Was glauben Sie, wie das Interview wohl verlaufen wird?An welche Situationen in Ihrem beruflichen Leben erinnert Sie das?Wie ist es Ihnen und Ihrem Gesprächsgegenüber da ergangen?

Wir werden nie erfahren, ob das Gespräch zwischen dem Autor und der Journalistin noch eine gute Wendung nimmt … In jedem Fall hängt das davon ab, ob die beiden für sich selbst eine Zielauswahl treffen können. Es ist hilfreich, eigene und fremde Ziele zu erkennen, zu benennen, zu priorisieren und anzupassen, durchzusetzen oder zu verwerfen. Aufgrund dieser Überlegungen sollten Sie sich als Fragende über Ihren eigenen Zielpool Gedanken machen, ihn reflektieren und sich seiner subtilen Wirkmacht bewusst sein.

Bei Zielen gibt es immer eine Wechselwirkung. Sie können deckungsgleich sein, sich ergänzen oder gegenseitig ausschließen. In jedem Fall reagieren sie mit- und aufeinander. Persönliche Ziele verändern sich dadurch, dass sie mit den Zielvorstellungen der anderen in Berührung kommen. Neue Ziele entstehen und Zielprioritäten können sich verschieben.

Jetzt geht es um Sie: Was motiviert Sie ganz persönlich, Fragen zu stellen? Vielleicht wollen Sie etwas verkaufen oder in Erfahrung bringen, warum ein Mensch tut, was er tut. Oder es interessiert Sie, wie Dinge funktionieren, warum wir hier auf dieser Erde sind und was der Sinn des Lebens ist. Nutzen Sie Fragen, um den eigenen Horizont zu erweitern oder Annahmen zu hinterfragen, die als wahr gelten?

 Übung: Kurze Vorbereitung auf ein anstehendes Gespräch, das für Sie wichtig ist

Bevor Sie als Fragende*r aktiv werden, nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit und gehen Sie gedanklich die folgenden Fragen durch:

Was ist in dieser Situation für mich besonders wichtig?

Welche offiziellen und inoffiziellen Ziele verfolge ich in diesem Zusammenhang?

Wie dringlich und wichtig sind diese Ziele für mich?

Wie gehe ich am besten vor, damit ich meine Ziele auch erreichen kann?

Welche Ziele verfolgt mein Gegenüber möglicherweise?

Falls ich das nicht weiß, wie kann ich es herausfinden, bevor wir über die Inhalte sprechen?

1.2.4 Grade der Zielbewusstheit

Der Diplompsychologe Eberhard Stahl unterscheidet bei seinem Zielpool-Konzept zwischen verschiedenen Graden der Zielbewusstheit, zwischen bewussten, vorbewussten und unbewussten Zielen.

Zu unseren bewussten Zielen sagen wir innerlich ganz klar: „Ja, das will ich!“ Wir können sie vor uns selbst und auch anderen gegenüber vertreten.

In unserem Beispiel sind das Sandras Ziele, die Probezeit bestehen und dieses Interview schnell über die Bühne bringen und Birger Burglands Wunsch, sein Buch „Der Amselhirte“ in einer renommierten Zeitung zu promoten.

Vorbewusste Ziele können wir noch gar nicht genau benennen. Wenn wir uns fragen: „Will ich das?“, finden wir in unserem Inneren keine klare Antwort und können unser Handeln nicht darauf ausrichten. Manchmal wundern wir uns über uns selbst und die seltsamen Blüten, die unser scheinbar zielloses Verhalten treibt. Mitunter wird uns das vorbewusste Ziel erst klar, wenn wir es plötzlich erreichen. „Das ist es!“, rufen wir dann möglicherweise aus und freuen uns über den unerwarteten Erfolg. Spätestens wenn wir daran zweifeln, vorbewusste Ziele erreichen zu können, dringen sie in unser Bewusstsein vor.

Das vorbewusste Ziel unseres Autors ist die Freude auf das erneute Zusammentreffen mit dem Journalisten Finn, den er anstelle von Sandra Holzapfel erwartet. Erst durch seine Enttäuschung wird ihm klar, wie sehr er sich darauf gefreut hat, mit dem Journalisten Zeit und Zigarren zu genießen.

Ziele, die wir vor uns selbst nicht vertreten können, bleiben uns verborgen, weil sie unser Selbstkonzept gefährden könnten. Wir idealisieren mitunter uns selbst und unsere Art zu handeln und zu denken. Wir fühlen uns dann edler und besser, als wir es tatsächlich sind. Vor allem, weil wir selbst nicht wahrhaben wollen, dass wir von niederen Motiven wie z. B. Eitelkeit, Faulheit, Status oder Eifersucht getrieben sein können, negiert unser Unterbewusstsein diese „miesen“ Ziele. Unbemerkt und doch vorhanden führen sie ein Schattendasein in unserer inneren Tiefsee. Deshalb können wir sie weder zur Sprache bringen noch für sie einstehen. Oft entwickeln sie jedoch im Untergrund ein unbemerktes Eigenleben und manipulieren uns und unser Verhalten, ohne dass es uns bewusst ist.