Überzeugt! - Jack Nasher - E-Book

Überzeugt! E-Book

Jack Nasher

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Beschreibung

EINFACH BEEINDRUCKEN Beruflicher Erfolg hängt zum größten Teil von Kompetenz ab. Allerdings zählt Ihre wahrgenommene Kompetenz dabei mehr als Ihre tatsächliche. Das bedeutet nicht, dass Sie Ihr Abschlusszeugnis verbrennen können. Sondern dass Sie bewusster daran arbeiten sollten, wie andere - Kunden, Vorgesetzte oder Kollegen - Sie wahrnehmen. Tatsächlich sind Menschen miserabel darin, die Kompetenz anderer zu bewerten. Denn sie fällen ihr Urteil nicht auf Basis von Fakten, sondern Eindrücken. Und diese können Sie steuern! Verbale und nonverbale Kommunikation sind hier nur die halbe Miete: Zum echten Gewinner wird, wer psychologische Effekte und Phänomene nutzt, um sein Standing zu verbessern. Jack Nasher hat die wirkungsvollsten für Sie zusammengetragen. Einfach beeindruckend!

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Seitenzahl: 348

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JACK NASHER

ÜBERZEUGT!

Wie Sie Kompetenz zeigen und Menschen für sich gewinnen

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Habe nun, ach!, so viel studiert, aber trotzdem wird diese Flasche vom benachbarten Schreibtisch vor mir befördert! Was ist da nur schiefgelaufen? Jack Nasher zeigt in seinem neuen Buch, dass des Pudels Kern in der Wahrnehmung Ihrer Kompetenz liegt. Es kommt nicht nur auf Ihre Zeugnisse an, sondern auch auf Ihre Ausstrahlung. In »Überzeugt!« erfahren Sie, wie Sie die Achtung anderer gewinnen und als Experte erfolgreich sind. Verbale und nonverbale Kommunikation sind dabei nur die halbe Miete: Zum Gewinner wird, wer psychologische Effekte und Phänomene nutzt, um sein Standing zu verbessern! Ihre Seele dürfen Sie behalten.

Vita

Jack Nasher ist Professor, Verhandlungsberater und internationaler Bestsellerautor. Er studierte an den Universitäten Wien, Trier, Frankfurt und an der Oxford University. Heute ist er Professor an der Munich Business School.

Seine letzten drei Bücher wurden Spiegel-Bestseller und erschienen unter anderem in Russland, Korea und China.

Nasher beschäftigt sich vor allem damit, wie man Menschen durchschaut und beeinflusst. Er gilt als »führender Verhandlungsexperte « (Focus) und »Lügenpapst« (Süddeutsche Zeitung).

Mit seinen Radio- und TV-Auftritten erreicht er regelmäßig ein Millionenpublikum.

www.jacknasher.com

INHALT

VORWORT

KAPITEL 1 WAHRGENOMMENE KOMPETENZ

DAS EXPERIMENT

DAS PROBLEM DER RICHTIGEN BEWERTUNG

DAS PRINZIP DER GERECHTIGKEIT

ALLUMFASSENDE KOMPETENZ? EIN SCHÖNER TRAUM

SICHERHEIT IM OZEAN VON UNSICHERHEIT

EINE FRAGE DER TECHNIK

DIE GNADE DER SELFFULFILLING PROPHECY

FAZIT

KAPITEL 2 HOHE ERWARTUNGEN

DER REICHSTE MANN DER WELT

ZWISCHEN BESCHEIDENHEIT UND PRAHLEREI

NUR KEINE ANGST!

IMMER SCHÖN ZUVERSICHTLICH

PRIMING – WAHRE ZUVERSICHT KOMMT VON INNEN

BESCHEIDENHEIT IST …?

FAZIT

KAPITEL 3 GUTE NACHRICHTEN, SCHLECHTE NACHRICHTEN

DIE MACHT DER ASSOZIATION

GUTE NACHRICHTEN

SCHLECHTE NACHRICHTEN

DER PRIMACY-EFFEKT

FAZIT

KAPITEL 4 COMPETENCE FRAMING – KOMPETENZ ISOLIEREN

DER ERSTAUNLICHE FITZWILLIAM

WIR HATTEN KEIN GLÜCK UND DANN KAM AUCH NOCH PECH DAZU

MÜHELOSE ÜBERLEGENHEIT – DAS NATURTALENT

FAZIT

KAPITEL 5 VERBALE KOMMUNIKATION – DIE SPRACHE DER KORYPHÄE

WIE IM FERNSEHEN

DIE AUSSPRACHE

HOCHSPRACHE

REDEBEITRÄGE

POWERTALKING

VERKOMPLIZIERUNGEN

FAZIT

KAPITEL 6 NONVERBALE KOMMUNIKATION – WIE MAN MIT KÖRPERSPRACHE KOMPETENZ ZEIGT

DIE WIRKUNG DER NONVERBALEN KOMMUNIKATION

NAH UND FERN

BLICKKONTAKT

BITTE LÄCHELN?

KÖRPERKONTAKT

RICHTIG STEHEN, RICHTIG SITZEN

KÖRPERGRÖSSE

ENTHUSIASMUS

FAZIT

KAPITEL 7 SCHÖN UND BELIEBT – WIE SIE IHRE BELIEBTHEIT UND ATTRAKTIVITÄT STEIGERN

DIE MACHT DES – POSITIVEN ODER NEGATIVEN – TRENDS

BELIEBTHEIT

EINSCHMEICHELN

MEINUNGSGLEICHHEIT

SYMPATHISCHE SELBSTDARSTELLUNG

ZUSAMMENGEFASST: DIE DREI SCHLÜSSEL ZUR BELIEBTHEIT

ATTRAKTIVITÄT

DIE FAKTOREN DER ATTRAKTIVITÄT

DAS GESICHT

KÖRPER

ZUSAMMENGEFASST: VOM NUTZEN DER ATTRAKTIVITÄT

FAZIT

KAPITEL 8 STATUS

IMAGEBERATUNG FÜR DIE BERATER

STATUS UND KOMPETENZ

DER HABITUS

KLEIDUNG UND ACCESSOIRES – DIE KLASSIKER UNTER DEN STATUSSYMBOLEN

DIE WIRKUNG DER »NONCONFORMITY«

INTERAKTION – ZWISCHEN SELBSTBEWUSSTSEIN UND ANMASSUNG

DAS BILDUNGSSPIEL

BIRGING – INDIREKTER STATUS

FAZIT

WAS TUN? – EINE ANLEITUNG

GEBRAUCHSANWEISUNG

NACHWORT

WISSENSCHAFT UND WELT

VOM FAKTOR ZUM GESAMTBILD

DER FEHLERHAFTE KOMPETENZDETEKTOR

SCHLUSS

ANMERKUNGEN

KAPITEL 1: WAHRGENOMMENE KOMPETENZ

KAPITEL 2: HOHE ERWARTUNGEN

KAPITEL 3: GUTE NACHRICHTEN, SCHLECHTE NACHRICHTEN

KAPITEL 4: COMPETENCE FRAMING – KOMPETENZ ISOLIEREN

KAPITEL 5: VERBALE KOMMUNIKATION – DIE SPRACHE DER KORYPHÄE

KAPITEL 6: NONVERBALE KOMMUNIKATION – WIE MAN MIT KÖRPERSPRACHE KOMPETENZ ZEIGT

KAPITEL 7: SCHÖN UND BELIEBT – WIE SIE IHRE BELIEBTHEIT UND ATTRAKTIVITÄT STEIGERN

KAPITEL 8: STATUS

WAS TUN? – EINE ANLEITUNG

NACHWORT

VERWENDETE LITERATUR

VORWORT

Jeder Neubeginn geht aus vom Ende eines anderen Beginns.

Seneca

Im Jahr 2004, mein Studium in Oxford ging gerade zu Ende, erschien mein Buch Die Kunst, Kompetenz zu zeigen. Ich weiß noch, wie ich das Päckchen mit dem ersten Exemplar entdeckte und sogleich mit zittrigen Händen aufriss: mein erstes Buch! Ach, wie tief greifend dieses Werk die Welt verändern würde! Doch was geschah? Nichts.

Mein Erstlingswerk kam, wie der schottische Philosoph David Hume es einmal über eines seiner Bücher formulierte, »tot aus der Druckerpresse«. Als ich bald im Buchladen meiner Heimatstadt ein Exemplar vorfand, war ich zwar höchst erfreut; und noch zufriedener, als ich nach einem Kaffee zum Buchladen zurückkehrte und das Buch verschwunden war – verkauft! Zu Hause bei meiner lieben Mutter begegnete ich dem Exemplar allerdings wieder, denn sie war die Käuferin.

Doch dann, im Jahr 2010, erschien mein Buch Durchschaut! Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven und ging binnen weniger Wochen zehntausendfach über den Ladentisch. Anscheinend über Nacht war ich zum Bestseller-Autor avanciert. Mein Erstlingswerk war zu diesem Zeitpunkt längst in Vergessenheit geraten, aber plötzlich, im Windschatten des Erfolgs, erreichten mich immer mehr Anfragen zum Thema »Competence Display«, wie ich die gesammelten Techniken damals nannte. Was einst Staub angesetzt hatte, war im Internet kaum noch für unter 100 Euro zu haben.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Buchpräsentation. Die Buchhändlerin hatte einen Verkaufstisch mit Exemplaren von Durchschaut! vorbereitet und daneben erspähte ich einen Stapel meines Erstlingswerks, den sie im Lager zutage gefördert hatte. Als ich der Dame von der unverhofften Popularität dieses Buches erzählte, verlangte sie – Buchpreisbindung hin oder her – kurzerhand 50 Euro pro Stück. Nach drei Minuten war nicht Durchschaut! ausverkauft, sondern Die Kunst, Kompetenz zu zeigen. Und durch den Erfolg meiner beiden weiteren Bücher steigerte sich das Interesse noch. Es verging kaum ein Tag, ohne dass mich eine Anfrage erreichte.

Ein schnöder Nachdruck hätte mir für wenig Aufwand gutes Geld eingebracht (was mir gut gefallen hätte). Doch nicht nur, dass inzwischen unzählige neue Studien, Bücher und Aufsätze erschienen sind – in dieses Buch flossen Aberhunderte Quellen ein –, dazu kam noch: Nach ebenso vielen Vorträgen und Seminaren bei den unterschiedlichsten Unternehmen schärfte sich mein Blick für das, was wirklich zählt. Nachdem ich meine Erkenntnisse auf akademischen Tagungen von Rom bis nach Sri Lanka der Wissenschaftswelt präsentiert hatte, gestaltete sich auch die Systematik immer ausgefeilter.

Ich verstehe meine Arbeit als Anwendung der Wissenschaft auf die Praxis und während des letzten Jahrzehnts haben sich auf diesem Themenfeld beide Seiten gegenseitig befeuert. Das kondensierte Ergebnis halten Sie nun in den Händen.

Ich freue mich schon darauf, das Paket mit dem ersten Exemplar dieses Buches mit zittrigen Händen aufzureißen, und hoffe, dass die Lektüre zumindest Ihre Welt verändert.

Jack Nasher

München, im Januar 2017

KAPITEL 1 WAHRGENOMMENE KOMPETENZ

Zu prunken verstehen. Es ist die Glanzbeleuchtung der Talente; für jedes derselben kommt eine günstige Zeit: Diese nutze man, denn nicht jeder Tag wird der des Triumphes sein.

Baltasar Gracian

DAS EXPERIMENT

Was wäre, wenn einer der größten Violinvirtuosen der Welt ein Konzert vor über 1 000 Menschen gäbe – allerdings in einer Bahnstation? Ohne Ankündigung. Unerkannt. Und während der Rushhour.

Genau diese Frage stellte der US-Journalist Gene Weingarten einem Experten, nämlich dem Direktor des National Symphony Orchestra Leonard Slatkin – und er erhielt folgende Antwort1: »Angenommen, man würde ihn nicht erkennen und einfach für einen x-beliebigen Straßenmusiker halten … ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass man ihn übersehen würde … ich schätze, von 1 000 Menschen würden etwa 35 oder 40 seine Qualitäten erkennen. Vielleicht würden knapp 75 bis 100 stehen bleiben und eine Weile zuhören.«

»Danke, Maestro«, sagte Gene Weingarten und fuhr fort: »Tatsächlich ist das gar keine hypothetische Frage. Es ist tatsächlich passiert.«

»Und, lag ich richtig?«, fragte Slatkin neugierig.

»Das erfahren Sie gleich«, antwortete der Journalist.

»Wer war der Musiker?«

»Joshua Bell.«

»NEIN!«

Oh doch. Just dieses Experiment wurde mit keinem Geringerem durchgeführt als mit eben diesem Joshua Bell, der – erst Ende 30 – im Zuge seiner märchenhaften Karriere schon als »Wunderknabe« und »Genie«, mitunter auch als »Gott« bezeichnet worden war. Mit 17 trat er bereits als Solist in der Carnegie Hall auf, er spielte mit den namhaftesten Orchestern der Welt, etwa dem London Symphony Orchestra, und wurde mit Preisen regelrecht überhäuft, erhielt den Mercury, den Gramophone und den Echo Klassik, einen Grammy und gewissermaßen sogar einen Oscar: Bell hatte den Soundtrack zum Film »Die rote Violine« eingespielt, der einen Academy Award für die beste Filmmusik gewann.

Nur Straßenmusiker, das war Joshua Bell bis zu diesem Januartag im Jahr 2007 noch nie gewesen.

Um kurz vor acht Uhr an jenem kalten Morgen steigt also einer der meistgefeierten Violinisten seiner Generation die Stufen zur L’Enfant Plaza Station in Washington D.C. hinab. Er platziert den Geigenkasten vor seinen Füßen und entnimmt ihm seine Fidel, genauer gesagt eine Stradivari, die der berühmte Geigenbauer 1713 in seiner »goldenen Epoche« angefertigt hatte, ein Instrument im Wert von knapp 4 Millionen Dollar. Bell zückt den Bogen, natürlich nicht irgendeinen, sondern ein Exemplar aus der Werkstatt des Bogen-Meisters François Tourte aus dem späten 18. Jahrhundert. Da steht er nun, dieser schlaksige, jungenhafte Mann, getarnt mit einer Baseball-Mütze. Erst drei Tage zuvor hat er die Boston Symphony Hall bis auf den letzten Platz gefüllt, bei Ticketpreisen ab 100 Dollar.

Und er setzt an – zur Chaconne aus Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2, für einen Violinisten das Maß aller Dinge, für den Komponisten Johannes Brahms gar »eines der wunderbarsten, unbegreiflichsten Musikstücke … eine ganze Welt von tiefsten Gedanken und gewaltigsten Empfindungen. Hätte ich das Stück machen, empfangen können«, schrieb Brahms ergriffen, »ich weiß sicher, die übergroße Aufregung und Erschütterung hätten mich verrückt gemacht.«2

Ein weltbekannter Violinist setzt also nun mit seiner Stradivari zu diesem epochalen Stück an.

Was geschieht?

Ach ja, eines vorab noch: Im Vorfeld äußerten die Herausgeber der Washington Post größte Bedenken hinsichtlich der Sicherheitslage. Sie befürchteten einen tumultartigen Andrang, die Involvierung der Nationalgarde, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen, den Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen und so weiter, wahre Schreckensszenarien wurden ausgemalt. Und doch entschied man sich, das riskante Experiment durchzuziehen.

Und tatsächlich geschieht etwas. Allerdings erst drei Minuten und 63 vorbeilaufende Passanten später, und »geschehen« ist wohl doch ein wenig hoch gegriffen: Ein Mann mittleren Alters verlangsamt seinen Gang und scheint zu bemerken, dass da jemand musiziert. Na immerhin. Schließlich wirft eine Frau einen Dollar in den Geigenkasten, doch sie spurtet sogleich weiter. In den kommenden 43 Minuten bleiben ganze sieben (von 1097!) Menschen stehen, stolze 27 werfen Geld in den Koffer – jedoch ohne auch nur einen Moment lang innezuhalten. Niemand applaudiert.

Ein paar Meter weiter, am Lotto-Kiosk, stehen die ganze Zeit eine Menge Menschen an, von denen sich in der knappen Dreiviertelstunde niemand auch nur in die Richtung der Musik dreht. Die Schuhputzerin, eine temperamentvolle Brasilianerin, die ebenfalls nur ein paar Meter entfernt postiert ist, schimpft derweil über den Krach. Wenigstens ruft sie nicht die Polizei, wie sonst. Die Ausbeute: 32 Dollar und 17 Cent. Gar nicht übel für einen Straßenmusiker. Was Bell aber nur der einen Dame zu verdanken hat, die den Star erkennt und völlig verdutzt 20 Dollar in den Koffer wirft.

Es gibt sechs Momente, die Bell als besonders peinlich empfindet – die Sekunden unmittelbar nach Abschluss eines Stücks: kein Applaus, gar nichts. Bell steht einfach belämmert in der Stille herum und beginnt irgendwann mit dem nächsten Stück. »Es war ein komisches Gefühl«, erinnert er sich später, »dass mich die Leute … na ja … ignoriert haben. Im Konzerthaus werde ich wütend, wenn jemand hustet oder wenn ein Handy klingelt …«

Einer der besten Geiger der Welt spielt also auf einer Stradivari eines der größten Meisterwerke aller Zeiten und es passiert so gut wie nichts. Dabei war man zuvor überaus zuversichtlich gewesen, dass die Menschen Bells wahre Größe erkennen würden, dass der Genius für sich selbst spricht.

Fehlanzeige.

Kompetenz spricht nicht für sich selbst. Sie können die oder der Beste aller Zeiten sein, auf welchem Gebiet auch immer – und kein Mensch merkt es. Womöglich hält man Sie sogar für eine Pfeife. Sie müssen Ihre Kompetenz schon zeigen.

Genau darum geht es in diesem Buch.

Die wahre Wirkung von Erfolg und Misserfolg

Die Forschung zeigt immer wieder, wie schwer sich der Mensch damit tut, fähige Fachleute zu identifizieren.3 Wie es scheint, kann man nur die wenigsten Leistungen auf den ersten Blick durch objektive Kriterien richtig beurteilen.4 Der kritische Genuss von Musikdarbietungen zählt da vielleicht noch zu den kleineren Herausforderungen …

Aber sprechen Ergebnisse nicht doch für sich? Denn nicht nur sportliche Wettkämpfe können in klaren Siegen oder Niederlagen enden, einen ebenso deutlichen Erfolg oder Misserfolg kann man auch bei Dienstleistungen beobachten.

In der Tat: Ein Rechtsanwalt kann einen Prozess gewinnen oder eben verlieren. Doch auch bei einer Niederlage kann der Anwalt durchaus noch als kompetent gelten – und umgekehrt, schließlich wird die Kompetenz eines Anwalts wohl kaum an der Prozentzahl der gewonnenen Prozesse gemessen. Bei einem Arzt verhält es sich ebenso: Schlägt eine Behandlung an, könnte sie sehr simpel gewesen sein, es könnte sich gar um eine selbstständige Genesung nach natürlichem Krankheitsverlauf handeln. Scheitert die Therapie, war diese vielleicht von vornherein unmöglich. Das Gleiche ist der Fall bei einem Vertriebschef. Steigen die Verkaufszahlen, hat dies möglicherweise nur wenig mit seiner Kompetenz zu tun, vielleicht hat trotz seiner Unfähigkeit die Qualität des Produktes die Kundschaft überzeugt oder das Marketing endlich Wirkung gezeigt. Auf der anderen Seite: Wenn die Verkäufe einbrechen, könnte es an der erstarkten Konkurrenz liegen. Genauso ist es auch in der Politik, wo ein Staatschef trotz starker Konjunkturlage und geringer Arbeitslosigkeit als inkompetent wahrgenommen werden kann. Und umgekehrt.

Ein konkretes Beispiel aus der Wirtschaft: Im Jahr 1983 engagierte das US-amerikanische Telekommunikationsunternehmen AT&T die Beraterfirma McKinsey & Company, um Prognosen zur Zukunft des mobilen Telefonmarktes erstellen zu lassen. Thomas Sugrue, der damalige Chef des staatlichen Wireless Communication Bureau, erinnert sich: »McKinsey & Co. erklärte AT&T, dass bis zum Jahr 2000 höchstens eine Million US-Amerikaner Mobiltelefone in Anspruch nehmen würde – maximal.«5

Es kam anders: Bis zum Jahr 2000 nutzten über 80 Millionen US-Amerikaner ein drahtloses Telefon, die Vorhersage lag also um mehr als 8 000 Prozent daneben. Und auf Grundlage dieser Beratung hatte AT&T strategische Entscheidungen getroffen, die nun zu Milliardenverlusten führten.6 Die ehrwürdige »American Telephone & Telegraph Company«, einst eines der meistbewunderten Unternehmen der Welt, schrumpfte unaufhörlich und wurde ein paar Jahre darauf von Southwestern Bell geschluckt, einer ehemaligen Tochter.

Doch wie erging es McKinsey im Jahr 2000, als dieser Milliardenfehler offensichtlich wurde? Sprang ein Großteil der Klienten ab, stand die Firma kurz vor dem Bankrott? Mitnichten, es war ein ausgesprochen erfolgreiches Jahr für McKinsey. Der gute Ruf der Firma nahm nicht den geringsten Schaden.

So seltsam es erscheinen mag: Erfolg oder Misserfolg haben erschreckend wenig Einfluss auf die Wahrnehmung von Kompetenz. Man kann auch im Scheitern kompetent wirken und im Erfolg inkompetent.

Ist das nicht etwas übertrieben? Nein, es ist noch untertrieben: Selbst beim Fehlen jeglicher realen Kompetenz kann die »wahrgenommene« Kompetenz unangetastet bleiben. Bis zum 20. Jahrhundert war es im Krankheitsfall gesünder, überhaupt nicht zum Arzt zu gehen, weil die Universalbehandlung »Aderlass« nicht nur nichts brachte, sondern häufig Infektionen zur Folge hatte. Aber auch damals, ja schon in primitivsten Gesellschaften ohne jegliche medizinischen Kenntnisse, genossen Ärzte und Medizinmänner hohes Ansehen.

Der Eindruck von Kompetenz kann sich eben auch dort halten, wo wir es wirklich besser wissen sollten. Der amerikanische Psychologe Philip Tetlock bat Hunderte von Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Militär, die Ereignisse der folgenden fünf Jahre auf ihrem jeweiligen Gebiet zu prognostizieren.7 Das ernüchternde Ergebnis: Es half überhaupt nichts, wenn ein Experte als besonders qualifiziert galt, im Gegenteil, die Reputation hatte sogar einen negativen Effekt – diejenigen mit besonders gutem Ruf irrten sich am gewaltigsten. Ein Forschungsergebnis, das sich täglich in den Aussagen sogenannter Experten widerspiegelt, die im Fall von einschneidenden Ereignissen, etwa von Finanzkrisen oder Kriegsausbrüchen, mit ernster Miene genauestens erklären, wieso es dazu kommen musste – aber vorausgesehen haben sie es natürlich nicht.

Folglich muss der gesunde Menschenverstand an dieser Stelle korrigiert werden: Schlechte Arbeit führt eben nicht zwangsläufig zur entsprechenden Außenwahrnehmung. Was leider auch für gute Arbeit gilt. Nach Joshua Bells Auftritt in der Metrostation wurden einige Passanten interviewt. »Ja, ich habe den Geiger gesehen«, so eine Anwältin auf dem Weg zur Arbeit. Und ihr nüchternes Resümee: »Aber nichts an ihm hat mich irgendwie beeindruckt.«

DAS PROBLEM DER RICHTIGEN BEWERTUNG

Ist diese Anwältin »dumm« – wegen ihrer Blindheit für offensichtliche Kompetenz? Wie sieht es denn bei Ihnen aus? Haben Sie einen guten Zahnarzt? Vermutlich halten Sie ihn für kompetent, sonst hätten Sie ihn wohl längst gewechselt, womöglich haben Sie ihn sogar schon weiterempfohlen. Doch wie kommen Sie zu Ihrem Urteil, wenn Sie selbst nichts von Zahnmedizin verstehen? Seien Sie ehrlich: Sie haben keine Ahnung. Sie verlassen sich auf Kriterien (vielleicht Sauberkeit oder Freundlichkeit), die bei näherer Betrachtung kaum etwas mit tatsächlicher Kompetenz zu tun haben.8 Selbst in persönlichen Gesprächen tun wir uns sehr schwer damit, die Fähigkeiten unseres Gesprächspartners richtig zu bewerten.9

Nach meinem Jurastudium arbeitete ich als Referendar bei der US-Wirtschaftskanzlei Skadden. »The Firm«, wie Skadden ehrfurchtsvoll genannt wird, ist hoch spezialisiert auf Mergers & Acquisitions und gilt laut Forbes-Magazin als »mächtigste Kanzlei der Wall Street«. Da saß ich angehender Weltenlenker nun täglich über zwölf Stunden vor meinem Computer, artig in Anzug und Krawatte gekleidet – ein Jogginganzug wäre bequemer und auch gar nicht fehl am Platz gewesen, zumal ich den Klienten überhaupt nicht und meinen Kollegen nur in der Mittagspause begegnete –, und erstellte sogenannte SPAs, Share-Purchase-Agreements, also Kaufverträge über Unternehmensbeteiligungen. Die Kollegen in den Nachbarbüros links und rechts gingen der gleichen Beschäftigung nach: SPAs schreiben. Wir hatten alle die gleiche Ausbildung, die fast gleichen Noten und sahen ehrlich gesagt auch ziemlich gleich aus. Und dennoch: Ehe ich als Partner in die Sozietät aufgenommen werden könnte – die höchste anwaltliche Weihe –, hätte ich als Neueinsteiger typischerweise sieben bis zehn Jahre warten müssen.10 So lange benötigten die Damen und (hauptsächlich) Herren in den größeren Büros, um sich darüber klar zu werden, ob man ihnen eventuell ebenbürtig sein könnte.

Menschen, die alle täglich mehr oder weniger das Gleiche tun, benötigen also sieben bis zehn Jahre, um die Kompetenz ihrer Kollegen einzuschätzen. Wie soll dann ein Laie die Kompetenz eines Fachmanns angemessen beurteilen? Und doch pilgern Rat suchende Mandanten täglich zu Anwälten, um sich ein Bild von deren Kompetenz zu machen – ein naives Unterfangen, aber was bleibt ihnen anderes übrig? Täglich müssen wir entscheiden, wen wir mit bestimmten Aufgaben betrauen, vom Friseur bis zum Steuerberater. Alle beurteilen wir immerfort gegenseitig unsere jeweilige Kompetenz, obwohl wir in der Regel keine Ahnung davon haben, was uns aber nicht davon abhält, Kompetenz weiterhin als entscheidend zu erachten.

Doch halt! Beginnt nicht jedes Sachbuch mit einer wasserdichten Definition? Müsste daher »Kompetenz« nicht erst einmal definiert werden? Nein. Denn Definitionen sind logisch genauso unmöglich wie Letztbegründungen. Auf diese Unmöglichkeit bezog sich der deutsche Wissenschaftstheoretiker Hans Albert mit seinem »Münchhausen-Trilemma«, einer ironischen Anspielung auf Baron Münchhausen, der behauptete, sich an seinem eigenen Schopf aus einem Sumpf gezogen zu haben.11 Denn hinterfragt man jedes Wort einer Definition, gibt es nur drei mögliche Konsequenzen: Wir beschreiben die Worte mit anderen Worten, die wiederum hinterfragt werden können, was jedoch irgendwann in eine Sackgasse führen muss, da die Anzahl der Worte begrenzt ist. Oder es kommt zum Zirkelschluss: Irgendwann wiederholen sich die Worte in einer Endlosschleife, was logisch unsinnig ist. Dies führt zwangsläufig zur dritten Konsequenz: Das Verfahren muss abgebrochen werden.

Insofern sind Definitionen nichts als Trugbilder, die Genauigkeit nur vorspiegeln. Kurz gesagt spart man sie sich am besten gleich. Zumal ohnehin jedem klar ist, was mit Kompetenz gemeint ist: eine Kombination aus Wissen und Fähigkeiten, die für anfallende Aufgaben relevant sind.12 Es ist also klar, was Kompetenz ist. Eine strenge Abgrenzung ist auch deshalb wenig zielführend, weil etwa Intelligenz und Kompetenz so eng miteinander korrelieren, dass diese zwei Faktoren in der Forschung teils zu einem einzigen Faktor zusammengefasst werden.13 Daher genügt ein grobes Umreißen völlig und dadurch gewinnen wir Zeit, uns der wirklich wichtigen Frage zu widmen: Welche Faktoren zählen tatsächlich, welche nicht?

Zurück zum Wesentlichen: Kompetenz gilt im beruflichen Kontext mit als wichtigste Eigenschaft, gleichauf mit »Glaubwürdigkeit« und noch vor »Beliebtheit«.14 Was auch sonst sollte die Basis sein für Leistungsbeurteilungen, die wiederum entscheidend sind für Einstellungen, Beförderungen, ja, für die Aufgabenverteilung schlechthin, und natürlich auch für die Frage nach angemessener Vergütung?15

Kurz gesagt: Kompetenz ist der entscheidende Faktor, wenn es darum geht, Menschen von sich zu überzeugen.

Die Situation stellt sich also folgendermaßen dar:

Wir können Kompetenz nicht sachgerecht bewerten.

Wir halten Kompetenz für die zentrale Eigenschaft im Berufsleben.

Durch die zunehmende Komplexität, durch die die Welt nach und nach zur undurchschaubaren »Black Box« wird, haben wir noch dazu ein immer stärkeres Bedürfnis danach, uns mit kompetenten Menschen zu umgeben. Wir suchen immer mehr Halt bei der Kompetenz anderer.16

Doch was gibt uns Halt? Nicht die tatsächliche Kompetenz, die für uns eben ein Buch mit sieben Siegeln ist, sondern die wahrgenommene Kompetenz, also eine Kompetenz, von der wir glauben, sie bei anderen zu erkennen. Unterscheidet man zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Kompetenz, leuchtet es ein, dass es inkompetente Menschen geben muss, die hoch angesehen sind, und gleichzeitig so manch hoch kompetente Menschen regelmäßig verkannt werden – man hält sie zu Unrecht für unfähig. Daher also der dritte Punkt:

Für den Erfolg zählt weniger die tatsächliche als die wahrgenommene Kompetenz.

DAS PRINZIP DER GERECHTIGKEIT

Wie geht es Ihnen mit diesem dritten Punkt? Ruft er bei Ihnen nicht auch ein gewisses Unbehagen hervor? Tief in uns verwurzelt ist ein Glaube, der uns durch unsere ganze Kindheit begleitet hat, von Grimms Märchen bis zum Disney-Film: Am Ende bekommt jeder, was er verdient. Der Böse wird bestraft, der Gute heiratet die Prinzessin.

An jenem Januartag kam auch Stacy Furukawa zufällig in der Metrostation vorbei. Sie blieb vor Joshua Bell stehen und konnte nicht fassen, dass sie von Ignoranten umzingelt war: »Das war das Erstaunlichste, das ich jemals in Washington gesehen habe. Joshua Bell stand da und spielte, aber die Leute hielten nicht an, sie schauten noch nicht mal und manche haben ihm Münzen zugeworfen … Ich dachte mir: Oh mein Gott, in was für einer Stadt leben wir eigentlich?«

Es war kein Wunder, dass Stacy Furukawa den Virtuosen identifizieren konnte: Sie hatte wenige Wochen zuvor eines seiner Konzerte besucht. Dennoch hing sie der Überzeugung an, dass sie – als Einzige von über 1 000 Menschen – das Genie auch ohne diesen günstigen Umstand eindeutig erkannt hätte, weil wahre Größe für sich selbst spricht. Aber natürlich.

Diese naive Weltsicht bezeichnete der Psychologe Alan Lerner als »Prinzip der gerechten Welt«.17 Im Zuge des Aufwachsens verinnerlichen wir feste Moralvorstellungen und Werte, doch mit der Zeit stellen wir langsam fest, dass dieser schöne Glaube mit der Realität wenig zu tun hat: Häufig bekommt der Bösewicht am Ende die Prinzessin und der Gute schaut in die Röhre.

Immer wieder machen wir diese Beobachtung, und doch haben wir Schwierigkeiten damit, das Weltbild unserer Kindheit vollständig abzuschütteln. Doch so wichtig es für unsere Entwicklung hin zu einem moralischen Wesen war, so hinderlich ist es für unser späteres Fortkommen. Es ist eine Verblendung, die höchstens dabei hilft, die Ungerechtigkeit der Welt zu ertragen. Diejenigen, die ihren Irrtum einsehen und ihn dennoch nicht ablegen können, verschieben ihre Hoffnung auf eine gerechte Abrechnung ins Jenseits und verschreiben sich der Religion. Die anderen akzeptieren die Gegebenheiten und machen das Beste aus dem Hier und Jetzt.

»Wir bekommen nicht, was wir verdienen, sondern was wir verhandeln«, sagte einmal jemand, und was für das Verhandeln gilt, gilt auch für die Demonstration von Kompetenz.18 Viele erwarten, dass der Vorgesetzte, der einen nur alle paar Monate sieht, instinktiv ahnt, wie fähig man ist; dass die Kunden schon spüren, was man kann.

Das ist leider Unsinn. Doch in Ihnen sträubt sich immer noch alles gegen diese Ungerechtigkeit? Nun, basteln Sie Transparente und gehen Sie in der Fußgängerzone demonstrieren, schreiben Sie eine Postkarte an Gott – ändern wird es nichts. Kluges Handeln bedeutet, sich mit den Gegebenheiten nicht nur zu arrangieren, sondern sie zum eigenen Vorteil zu nutzen. John F. Kennedy soll einmal gesagt haben: »Die Welt ist ungerecht, doch nicht unbedingt zu Deinen Ungunsten.« Ein kluger Mann.

ALLUMFASSENDE KOMPETENZ? EIN SCHÖNER TRAUM

Da drängt sich die Frage auf, welcher Kriterien wir Menschen uns überhaupt bedienen, um die Kompetenz anderer zu beurteilen. Natürlich können diese Kriterien nur falsch und gewissermaßen »dumm« sein, doch wenn man darauf abzielt, einen kompetenten Eindruck zu machen und andere von sich zu überzeugen, sind sie entscheidend.

Wohlgemerkt: Dieses Buch soll keine Anleitung sein. Ich erteile hier keine Anweisungen, ebenso wie ich in meinem Buch über die Kunst des Verhandelns niemanden dazu nötigen wollte, ab der Lektüre stets eifrig zu verhandeln. In diesem Buch zeige ich Ihnen die effektivsten Techniken auf, Menschen von sich zu überzeugen, indem Sie Ihre Kompetenz zeigen – welche Sie davon zur Anwendung bringen, müssen Sie schon selbst entscheiden.

Doch mein Herz schlägt für Sie, für das Individuum. Der Mensch im Wirtschaftsleben unserer Zeit – er tut mir leid. Da stehen Sie nun, nachdem Sie Ihr halbes Leben damit verbracht haben, die für den Berufseinstieg nötigen formalen Abschlüsse zu erwerben, Schule, Ausbildung, Universität, stetige Weiterbildung, alles sollte Ihnen die nötige Kompetenz verleihen. Doch nach jahrelangem, steinigem Weg stellen Sie fest, dass Ihre mühsam erlangte Kompetenz entgegen allen Versprechungen doch kein zuverlässiger Garant für beruflichen Erfolg ist. Etliche Flaschen ziehen an Ihnen vorbei! Denn niemand hat Sie darauf vorbereitet, sich nun auch noch verkaufen zu müssen.

Nanu, fragen Sie sich innerlich vielleicht so manches Mal, habe ich am Ende schlicht keine größere Wertschätzung verdient? Ja, womöglich macht sich in Ihnen zuweilen das Gefühl breit, im Grunde keine Ahnung zu haben, also doch eigentlich inkompetent zu sein.19

In diesem Fall wären Sie in bester Gesellschaft: Gerade erfolgreiche Menschen beschleicht häufig die böse Ahnung, ihren Erfolg unrechtmäßig ergaunert zu haben und bloß durch eine Verkettung glücklicher Umstände dort gelandet zu sein, wo sie jetzt sind. Diesen Mechanismus kennt man als »Impostor-Phänomen«.20 Knapp 70 Prozent der Menschen schätzen sich selbst oft als Hochstapler ein. Sogar Albert Einstein soll kurz vor seinem Tod gesagt haben, dass er sich nach all den Ehrungen als »unfreiwilligen Schwindler« empfinde.21

Hinzu kommt im Fall von Führungskräften: Die meisten davon sind nur deshalb aufgestiegen, weil sie gute Ingenieure, gute Vertriebler oder anderweitige Experten waren. Das nach dem amerikanischen Pädagogen Laurence J. Peter benannte Peter-Prinzip besagt, dass jeder tendenziell so lange aufsteigt, bis er eine Position erlangt, in der er unfähig ist.22 Daher wird er in der Folge nicht mehr befördert – mit dem traurigen Ergebnis, dass er gerade dort am längsten verweilt. Was das über die tatsächliche Kompetenz vieler langjähriger Führungskräfte aussagt, kann sich jeder selbst ausmalen.

Doch damit nicht genug! Zu diesen vielfältigen Faktoren, die unsere Unsicherheit schüren, tritt ein weiterer: Die Geschwindigkeit, mit der sich die Gesamtheit des Wissens vermehrt, nimmt exponentiell zu. Das Stuttgarter Max-Planck-Institut hat ermittelt, dass im Jahr 1650 weniger als eine Million Menschen als »gebildet« galten. 1950 waren es dann zehn Millionen, die Menschheit hatte also 300 Jahre gebraucht, um die Anzahl der gebildeten Personen zu verzehnfachen. Allerdings verzehnfachte sich diese Zahl in nur 50 Jahren noch einmal, es gab nun schon 100 Millionen gebildeter Menschen. Und all diese klugen Menschen lesen, denken und schreiben, wodurch sich die Gesamtheit des Wissens immer schneller multipliziert. Tatsächlich findet sich in einem modernen Smartphone mehr Software als in einem kompletten Space-Shuttle des Jahres 1968.

So überrascht es kaum, dass eine bahnbrechende Innovation, eine sogenannte »disruptive Technologie«, wie Harvard-Professor Clayton M. Christensen sie nennt, die andere jagt. Über Nacht verändern diese Technologien ganze Industrien, begründen neue Branchen, machen alte überflüssig. Institutionen wie der ehemalige Fotografiegigant Kodak, die einst hoch profitable Investmentbank Lehman Brothers und der führende Mobiltelefon-Hersteller Nokia verschwinden praktisch von der Bildfläche. Dementsprechend müssen heutzutage insbesondere hoch qualifizierte Personen wie Banker, Rechtsanwälte und Manager flexibler sein denn je und Positionen oder gar Branchen schneller wechseln, als es in der Vergangenheit jemals der Fall war.

Kein moderner Business-Autor ignoriert die viel beschworenen Unwägbarkeiten unserer Zeit, vom »Business Process Re-engineering« bis zur »Theorie Z« unterstützen unzählige Theorien die Unternehmensseite bei der Bewältigung dieser sich stetig wandelnden Herausforderungen. Doch der Einzelne – der ist aus der Perspektive der Managementtheorie ein bloßes Werkzeug, das gefälligst die jeweils aktuelle Managementmode umzusetzen hat.

Wie aber soll man angesichts dieser allgegenwärtigen Überforderung noch einen Funken Vertrauen in die eigene Kompetenz in sich tragen? Diese Frage schleppte ich seit den frühen 2000er-Jahren mit mir herum, seit ich in Oxford meine Master-Arbeit über die Problematik von tatsächlicher und wahrgenommener Kompetenz verfasst hatte. Jahre später, an einem Abend im New York des Jahres 2009, sollte ich endlich alles verstehen.

SICHERHEIT IM OZEAN VON UNSICHERHEIT

Damals war ich als Rechtsreferendar bei den Vereinten Nationen tätig, als sogenannter Assistant Attaché des Auswärtigen Amts. Die Welt steckte mitten in der Finanzkrise und von mir erwartete man einen Bericht darüber, wie man derartige Krisen in Zukunft mithilfe von internationalen Institutionen verhindern könnte. Knapp eine Woche arbeitete ich an einem Text und konzentrierte mich auf Möglichkeiten, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds zu stärken. »Kürzen!«, ließ mich mein Chef wissen, immer und immer wieder. Und so lernte ich, was ich all meinen Studenten predige, nämlich dass ein Text nicht dann gelungen ist, wenn man ihm nichts mehr hinzufügen kann, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann. Schließlich gab ich alles auf einer einzigen Seite ab – Entscheidungsträger haben schließlich wenig Zeit.

Am Tag danach erfuhr ich auf einer Pressekonferenz, wie ein deutsches Regierungsmitglied in Zukunft Finanzkrisen mithilfe von internationalen Institutionen zu verhindern gedachte, genauer mithilfe der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds – der »Plan« entsprach fast Wort für Wort meinem Text.

Eine Woche später saß ich in der Delegates’ Lounge, dem wöchentlichen Get-together der UN-Diplomaten mit herrlichem Blick auf den East River, neben mir ein ranghoher Politiker, der angereist war, um in einigen Plenarsitzungen die Positionen seines Staates zu vertreten. An einem Tag sprach er über die Infrastruktur einer afrikanischen Nation, an einem anderen über die Sicherheitslage im Nahen Osten. Doch natürlich verdankte er sein gesamtes Wissen einem mir ebenbürtigen armen Tropf, der tagelang im stillen Kämmerlein zu einem bestimmten Thema recherchiert hatte. Nach zwei, drei oder auch vier Drinks stellte ich dem Politiker die Frage, die mir die ganze Zeit durch den Kopf ging:

»Halten Sie sich denn nicht für einen Scharlatan, weil Sie gestern noch fast keine Ahnung von diesen Themen hatten?«

Er gab mir eine Antwort, die mir bis heute fast wortwörtlich in Erinnerung geblieben ist.

»Natürlich kenne ich keine Details. Wie sollte ich auch?«, fragte er lachend und ohne mit der Wimper zu zucken. Er stand auf, wie ein Kapitän auf hoher See – vielleicht ein wenig schwankend –, und schwadronierte munter drauflos, den Blick in die Ferne gerichtet: »Meine Aufgabe als Führungskraft ist es, Sicherheit in einem Ozean von Unsicherheit auszustrahlen.« Und es ging noch weiter: »Ein Experte ist jemand, der sehr viel über sehr wenig weiß. Eine Führungspersönlichkeit ist jemand, der sehr wenig über sehr viel weiß.«

Da kam mir eine Erleuchtung, die ich seitdem regelmäßig bestätigt sehe, gerade im Umgang mit der höchsten Führungsriege von Unternehmen: Erfolgreiche Führungspersonen hadern nicht mit ihrer Ahnungslosigkeit, sie sind sich dieser vielmehr vollkommen bewusst.

Die Systemtheorie des deutschen Soziologen Niklas Luhmann untermauert diesen Ansatz:23 Danach grenzt sich jedes System von seiner Umwelt ab, jedes System verfügt über seine eigene Struktur. Der Fabrikarbeiter bewegt sich in seinem eigenen System, genauso der CEO. Auch ein Berater ist lediglich innerhalb eines einzigen Systems tätig und sollte sich nicht etwa zu der Gewissheit versteigen, alles besser zu wissen als die anderen, ganz einfach weil es eine solche Gewissheit nicht geben kann.24 Die Welt ist zu komplex, als dass irgendjemand den Gesamtüberblick über alle Systeme behalten könnte. Jeder werkelt stets bloß in seinem eigenen System herum.

Das Bewusstsein, nur innerhalb eines eng umgrenzten Systems überhaupt kompetent sein zu können, ist einer der Schlüssel zu langfristigem Erfolg und seelischer Gesundheit.

EINE FRAGE DER TECHNIK

Wollen Sie trotz – oder aufgrund – all der eben beschriebenen widrigen Umstände und Dilemmata, trotz aller zwangsläufigen Inkompetenz auf eigene Faust versuchen, anderen Ihre Kompetenz zu demonstrieren, werden Sie höchstwahrscheinlich scheitern. Mit dem gesunden Menschenverstand allein kommt man nur schwerlich auf wirkungsvolle Techniken, die wahrgenommene Kompetenz zu erhöhen.

In einem Experiment wurde den Versuchspersonen aufgetragen, ihre Gesprächspartner – Männer wie Frauen – dazu zu bringen, sie zu mögen.25 Und siehe da, die meisten hatten Erfolg. Ihre Techniken? Sie gaben sich freundlich und höflich und lächelten häufig.

Danach bat man sie, ihrem Gesprächspartner einen Eindruck von Kompetenz zu vermitteln. Plötzlich scheiterten sie kläglich. Ihre Techniken? Ihre Körpersprache veränderte sich, auch ihre Wortwahl, sie traten steif auf und sprachen hochgestochen. Damit wirkten sie nicht nur wenig kompetent, sie wurden auch noch als unsympathisch und kalt bewertet.

Wir wissen instinktiv, was uns zu angenehmen Zeitgenossen macht, haben aber keinen blassen Schimmer davon, wie wir unsere Kompetenz effektiv demonstrieren sollen.26

Aus diesem Grund werden im weiteren Verlauf dieses Buches mehrere wirklich wirkungsvolle Mittel und Wege, Kompetenz auszustrahlen, unter die Lupe genommen. Es handelt sich um Techniken des sogenannten Impression Management, also der bewussten Beeinflussung der eigenen Außenwirkung.27

DIE GNADE DER SELFFULFILLING PROPHECY

Das Erfreuliche ist: In der Regel bringen Techniken zur Erhöhung der wahrgenommenen Kompetenz alle Beteiligten weiter.

Dahinter steht ein bekanntes Phänomen. In einem Experiment sollten männliche Versuchspersonen mit Frauen telefonieren; einer Männergruppe wurde die Gesprächspartnerin dabei vorab als attraktiv beschrieben, der anderen als unattraktiv. Die Männer, die mit einer attraktiven Gesprächspartnerin rechneten, schätzten diese als lustig und sozial veranlagt ein und traten dadurch auch selbst interessanter auf – und die Damen reagierten entsprechend, sie wurden tatsächlich selbstsicherer und lebendiger. Die ursprüngliche Annahme der Männergruppe, die auf einer nach dem Zufallsprinzip getroffenen Aussage basiert hatte, erfüllte sich also auf interessante Weise selbst: eine sogenannte Selffulfilling Prophecy.28

Eine nicht unbedingt zutreffende Prognose kann also ihre eigene Bestätigung in sich tragen. Angenommen, eine Wahrsagerin prophezeite Ihnen, dass Sie in den nächsten Monaten 20 Kilo zulegen werden, und Sie glaubten Ihr – wahrscheinlich würden Sie Ihre laufende Diät aufgeben, weil Sie denken, sie bringt sowieso nichts … und genau das würde dazu führen, dass die Wahrsagerin recht behält. Überdies haben Studien zum Zusammenhang zwischen Astrologie und Persönlichkeit gezeigt, dass vor allem Menschen, denen die angeblichen Persönlichkeitseigenschaften ihres Sternzeichens bekannt sind, sich auch ihrem Sternzeichen entsprechend verhalten und nach und nach die »vorhergesagten« Eigenschaften annehmen.29

Gerade beim Thema Kompetenz greift dieser Mechanismus ganz hervorragend. Patienten genesen früher, wenn sie ihrem Arzt große Kompetenz zuschreiben – bei gleicher Therapie.30 Ja, sogar eine absolute Nicht-Therapie kann zur Heilung führen, wenn der Patient nur daran glaubt. Wer kennt ihn nicht, den Placebo-Effekt? Einem Patienten wird eine Tablette ohne jeglichen Wirkstoff verabreicht und die Tablette wirkt, weil der Patient daran glaubt; wobei die Wirksamkeit von absurden Faktoren wie Größe, Farbe und Form der Tablette beeinflusst wird.31 Ein weiteres Beispiel: Von Lehrern, die sie für kompetent halten, lernen Schüler mehr als von anderen und erzielen sogar bessere Noten.32 Dagegen gehen die Leistungen von Schülern, die ihren Lehrer für inkompetent halten, deutlich zurück.

Das Beste daran: Diese Selffulfilling Prophecy wirkt in beide Richtungen. Eine Erhöhung der wahrgenommenen Kompetenz erhöht auch die tatsächliche Kompetenz. Denn vermittelt man einen Eindruck von Kompetenz, wird man auch dementsprechend behandelt, was wiederum das eigene Verhalten positiv beeinflusst. Wir alle haben schon Situationen erlebt, in denen wir von anderen ein Etikett angeheftet bekommen haben, ob positiv oder negativ. Ist man als Witzbold bekannt, wird jede Bemerkung als Scherz gedeutet, Freunde und Bekannte lachen zum Teil über völlig ernst gemeinte Äußerungen; schließlich fasst man Vertrauen in seinen Humor und gibt diesem immer mehr Raum. Gilt man dagegen in einer Gruppe als Sonderling und wird entsprechend behandelt, stehen die Chancen hoch, dass man sich irgendwann auch tatsächlich wunderlich verhält.

Das Gleiche gilt für die Kompetenz: Wirkt man kompetent, gewähren einem andere umso mehr Gelegenheiten, mit den eigenen Fähigkeiten zu glänzen. Man nähert sich dem »Etikett«, also der kompetenten Rolle, zunehmend an – bis wahres Ich und projiziertes Ich ineinander verschmelzen.

Wenden Sie jedoch falsche Techniken an, welche die wahrgenommene Kompetenz verringern, geschieht das Gegenteil: Sie agieren in einem negativen Umfeld, was dazu führt, dass Sie Ihre Fähigkeiten nicht frei entfalten können – und tatsächlich immer schlechter werden. Interessanterweise werden Personen, die effektive Techniken zur Erhöhung der wahrgenommenen Kompetenz anwenden, von anderen zutreffender eingeschätzt als solche, die keine Techniken anwenden. Erst die richtigen Techniken helfen Ihnen also dabei, Ihr wirkliches Ich zu zeigen.33

FAZIT

Mussten Sie schon mal einen wichtigen Vortrag halten? Wenn ja, haben Sie sich zuvor sicher nicht nur genau überlegt, was Sie sagen werden. Sondern auch, in welchem Ton Sie es sagen und was Sie dazu anziehen, wie Sie dem Publikum begegnen … Tatsächlich sollte man diese Sorgfalt im beruflichen Kontext bei jeder Art von Kommunikation walten lassen, denn dort ist jede Interaktion eine Präsentation, die zu unseren Gunsten oder Ungunsten wirkt.

Das Erfreuliche ist, dass Sie einen Großteil dessen, was andere über Sie denken, selbst steuern können. Diese Chance sollten Sie nutzen. Zeigen Sie Ihre Kompetenz, betreiben Sie wirkungsvolle PR für sich selbst.34 Und zwar nicht nur bei einem Vortrag oder beim Verfassen Ihres Lebenslaufs und dem anschließenden Bewerbungsgespräch – sondern immer.35 Denn wahrgenommene Kompetenz verleiht Ihnen die Macht, Ihre Mitmenschen zu überzeugen, sie zu beeinflussen und zu führen. Ganze Gruppen lassen sich von demjenigen Gruppenmitglied überzeugen, das am kompetentesten erscheint.36

Mit den im Folgenden beschriebenen Techniken tragen Sie Ihre Kompetenz effektiv nach außen, auf dass andere von Ihren Fähigkeiten überzeugt werden. Psychologische Phänomene aus Jahrzehnten der Forschung werden herangezogen, um Ihre Fachkompetenz sichtbar zu machen.

Erwartungen steuern, gute und schlechte Nachrichten richtig vermitteln, verbale und nonverbale Techniken nutzen – die meisten dieser Methoden können Sie sofort anwenden, einige setzen etwas Übung voraus, aber keine verlangt eine Veränderung Ihrer Persönlichkeit. Authentizität ist elementar, um als Koryphäe zu gelten.

Selbst wenn Sie nur zwei für Sie relevante Punkte entdecken, werden diese Ihnen ermöglichen, Ihre Kompetenz vor Kunden, Kollegen und Vorgesetzten zu erhöhen. Sie werden in Meetings, Präsentationen und – vor allem – in entscheidenden persönlichen Gesprächen größere Kompetenz ausstrahlen und andere von sich überzeugen können. Zugleich wird Ihr Blick geschärft, um die Kompetenz anderer akkurat einzuschätzen. Auch Ihr Unternehmen wird davon profitieren, ob Sie Führungskraft oder etwa im Vertrieb sind –, denn Kunden kaufen eher bei Verkäufern, die sie für kompetent halten. Tatsächlich hat die wahrgenommene Kompetenz der Mitarbeiter direkten Einfluss auf die Reputation und den Erfolg eines Unternehmens.37 Daher sollten Unternehmen großen Wert auf die wahrgenommene Kompetenz ihrer Führungskräfte legen.

Da wären wir wieder bei der erstaunlichen Story über Joshua Bell, die dem Journalisten Gene Weingart den Pulitzer-Preis einbringen sollte. Eines hatte ich noch nicht verraten: Ein einziger Passant erkannte den Genius, ohne Bell selbst zu erkennen. John Picarello, der als Jugendlicher selbst Geiger werden wollte, sagte: »Ein hervorragender Violinist. Ich habe noch nie jemanden dieses Kalibers gehört … Es war eine Freude, einfach eine tolle Erfahrung, ein unglaublicher Start in den Tag.« Schaut man sich die Aufzeichnung des Experiments an, sieht man, wie Picarello vor Bell verharrt und sich immer wieder ungläubig umsieht, weil niemand sonst begreifen will, was hier vor sich geht.

Und nun stellen Sie sich vor, Ihnen würde es gelingen, dass nicht nur ein einziger Passant stehen bleibt, sondern 1097 Männer und Frauen mit offenem Mund innehalten. Und Sie müssten noch nicht einmal Joshua Bell heißen.

Zusammenfassung

COMPETENCE COMPENDIUM – KOMPETENZ ZEIGEN

Die drei Grundprinzipien:

Wir können Kompetenz nicht sachgerecht bewerten.

Wir halten Kompetenz für die wichtigste Eigenschaft im Berufsleben.

Für den Erfolg zählt weniger die tatsächliche als die wahrgenommene Kompetenz.

Sogar Erfolg oder Misserfolg haben erschreckend wenig Einfluss auf die Wahrnehmung von Kompetenz.

Erliegen Sie nicht der Illusion der »gerechten Welt«.

Seien Sie sich bewusst, dass niemand über allumfassende Kompetenz verfügt.

Wir wissen nicht instinktiv, was uns kompetenter erscheinen lässt.

Wirkt man kompetent, wird man auch kompetenter.

KAPITEL 2 HOHE ERWARTUNGEN

Solange Sie dabei nicht den leisesten Zweifel anklingen lassen, glauben Ihnen die Menschen alles; aber den kleinsten Riss in Ihrem Selbstbewusstsein wittern sie wie Tiere, noch bevor das erste Wort gesprochen ist. Benehmen Sie sich wie ein Verlierer, werden Sie auch so behandelt – Sie selbst legen die Messlatte. Für Gut und Schlecht gibt es kein absolutes Maß.

Nassim Nicholas Taleb

DER REICHSTE MANN DER WELT

Albuquerque, New Mexico, 1977. Es war Miriam Lubows erster Tag im neuen Job. Das junge, unkonventionelle Unternehmen machte einen recht chaotischen Eindruck, Miriam hatte noch nicht einmal ihren Chef kennengelernt, der wohl auf Dienstreise war. Da platzte ein junger Kerl mit Jeans, Turnschuhen und zerzaustem Haar herein, spazierte in das Büro des Chefs, ohne ein Wort an Miriam zu verlieren, und drang sogar ins Allerheiligste vor, den Computerraum. Voller Nervosität lief Miriam in eine andere Abteilung: Was solle sie mit diesem Burschen anfangen, der sich benahm, als gehöre ihm der Laden? »Nun«, antwortete ein Kollege, »das stimmt. Er ist dein Chef.«1

Der Name des jungen Kerls? Bill Gates. Er führte tatsächlich die Firma, die sich damals noch »Micro-Soft« schrieb, und das mit Erfolg. Nach ein paar Jahren zog das Unternehmen nach Seattle um, wo es ansehnlich wuchs – und bald Besuch bekommen sollte. Hohen Besuch, laut Microsoft-Manager Steve Ballmer sogar allerhöchsten: »Als ob die Queen für einen Tee vorbeischaut, als ob der Papst Dich um Rat fragt, als ob Gott selbst zu Besuch kommt.«2

Wer konnte das sein? Es handelte sich um Manager von IBM, International Business Machines, dem unbestrittenen Giganten der Computerindustrie. Aber es waren keine alten Granden, sondern ein junges, ehrgeiziges Team auf geheimer Mission, die auf eine wahrhaftige Revolution hinauslaufen sollte: einen Computer für Privatpersonen, den Personal Computer. Noch wenige Jahre zuvor hatte der Computerpionier Ken Olson mit seinem mittlerweile berühmten Statement die damals herrschende Meinung zusammengefasst: »Es gibt keinen Grund, weshalb irgendjemand einen Computer zu Hause haben sollte.« Doch der Wind drehte sich und IBM wollte an vorderster Front mit dabei sein.

Dazu benötigte IBM jedoch ein Betriebssystem.3 Marktführer in diesem Segment war damals ein gewisser Gary Kildall mit seinem Betriebssystem CP/M, von dem schon knapp 600 000 Lizenzen verkauft worden waren, damals eine stattliche Zahl. Kildall zählte zu den vielversprechendsten Pionieren der Industrie, war aber eher Nerd als Geschäftsmann. So hatte er seine Firma auf den Namen »Intergalactic Digital Research« getauft und das Wort »Intergalactic« erst auf das Flehen seiner Frau hin gestrichen.