Umgang mit Psychopharmaka - Margret Osterfeld - E-Book

Umgang mit Psychopharmaka E-Book

Margret Osterfeld

4,9

Beschreibung

Mündige Patienten und Patientinnen brauchen einen fundierten Ratgeber zum Umgang mit Psychopharmaka. In der aktualisierten Neuausgabe finden medizinische Laien einen etablierten Ratgeber auf dem neuesten Stand der Forschung. Hilfreich auch beim informierten, konstruktiven Gespräch zwischen Ärztin und Patient! Kompakt und übersichtlich stellen Fachleute und Laien in diesem Band alles Wissenswerte sowie Grundsätzliches zum verantwortungsvollen Umgang mit Psychopharmaka dar: - Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten - Hinweise zum Reduzieren oder Absetzen - Besonderheiten bei der Einnahme durch ältere Patienten - Die neuesten rechtlichen Aspekte zum Thema Zwangsmedikation Außerdem liefern die Autoren aktuelle Informationen zu allen gängigen Psychopharmaka in den deutschsprachigen Ländern und ein überarbeitetes Stichwort- und Medikamentenverzeichnis. »Der Leser wird umfassend, stets auf gleicher Augenhöhe in nahezu sämtliche aktuelle psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten eingeführt und begleitet. Dieses Buch ist allen psychiatrischen Patienten, deren Angehörigen und allen an der Psychiatrie Interessierten nur wärmstens zu empfehlen.« Aus dem Gutachten der Stiftung Gesundheit

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Nils Greve, Margret Osterfeld, Barbara Diekmann

Umgang mit Psychopharmaka

BALANCE

Nils Greve, Margret Osterfeld und Barbara Diekmann

Umgang mit Psychopharmaka

5., überarbeitete Auflage 2017

ISBN-Print: 978-3-86739-169-6

ISBN-eBook: 978-3-86739-873-2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Die Handelsnamen der besprochenen Medikamente sind mit dem Zeichen® gekennzeichnet. Aus dem Fehlen dieser Kennzeichnung darf aber nicht auf die freie Verwendbarkeit eines Medikamentennamens geschlossen werden, es kann sich um gesetzlich geschützte Warenzeichen handeln, die nicht ohne Weiteres benutzt werden dürfen.

Bei allen Angaben über Indikationen, Kontraindikationen, erwünschte und unerwünschte Wirkungen, Dosierungsanweisungen und Applikationsformen haben die Autoren sich um äußerste Sorgfalt bemüht.

Verlag und Autoren können aber für diese Angaben keine Gewähr übernehmen. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Bitte lesen Sie dazu den Beipackzettel und fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt.

© BALANCE buch + medien verlag, Köln 2005, 2007, 2012, 2013, 2017

Der BALANCE buch + medien verlag ist ein Imprint der Psychiatrie Verlag GmbH, Köln. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne Zustimmung des Verlages vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden. Originalausgabe im Psychiatrie Verlag, Bonn 2005.

Umschlagkonzeption: GRAFIKSCHMITZ, Köln, unter Verwendung einer Montage von Petra Nyenhuis, Bonn

Typografiekonzeption und Layout: Iga Bielejec, Nierstein

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

Cover

Titel

Impressum

Einführung

Selbstbewusster Umgang mit Ärzten und Medikamenten

Diagnosen

Zielsymptome

Compliance

Wohlinformierte Zustimmung

Arztbesuche vorbereiten

Patientenverfügung und rechtliche Betreuung

Praktische Handhabung von Medikamenten

Informationen auf der Packung

Beipackzettel

Lagerung

Entsorgung

Vorbereitung der Einnahme

Richtige Einnahme

Einnahmezeitpunkt

Bedarfsarznei

Nicht-medikamentöse Hilfen

Helfende Gespräche

Gemeindepsychiatrie

Selbsthilfegruppen

Genesungsbegleiter

Alternative Heilmethoden

Auswahl und Koordination der Hilfen

Medizinische Behandlungsverfahren

Antidepressiva

Was ist eine Depression?

Wirkmechanismus der Antidepressiva

Erwünschte Wirkungen

Antidepressive Wirkung

Wirkung auf den Antrieb

Wirkung auf Ängste

Wirkung auf Zwänge

Schmerzlindernde Wirkung

Weitere Wirkungen

Unerwünschte Wirkungen

Wechselwirkungen mit anderen Substanzen

Weitere Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen

Antidepressiva zur Vorbeugung

Antidepressiva absetzen

Antidepressiva im Einzelnen

Phasenprophylaktika

Bipolare affektive Störungen

Die Phasenprophylaktika im Einzelnen

Antiepileptika zur Phasenprophylaxe

Neuroleptika bei bipolaren Störungen

Phasenprophylaktika in der Langzeitanwendung

Tranquilizer und Hypnotika

Benzodiazepine

Wirkmechanismus

Erwünschte Wirkungen

Unerwünschte Wirkungen

Abhängigkeit und Sucht

Besonderheiten der übrigen Beruhigungs- und Schlafmittel

Empfehlungen zur Behandlung von Schlafstörungen

Wechselwirkungen und Kombinationen mit anderen Medikamenten

Tranquilizer und Hypnotika im Einzelnen

Neuroleptika (Antipsychotika)

»Stoffwechselstörung im Gehirn«: die Dopamin-Hypothese

Erwünschte Wirkungen

Unerwünschte Wirkungen der Neuroleptika

Bewegungsstörungen

Verstärkung der Minussymptome

Exkurs: Atypische Neuroleptika

Gewichtszunahme und weitere Stoffwechselstörungen

Weitere unerwünschte Wirkungen der Neuroleptika

Wechselwirkungen mit anderen Substanzen

Verordnung von Neuroleptika bei akuten Psychosen

Langzeitverordnung von Neuroleptika

Reduzieren und Absetzen von Neuroleptika

Neuroleptika im Einzelnen

Medikamente zur Entgiftung und Entwöhnung

Alkohol

Behandlung der Entzugserscheinungen

Unterstützung der Abstinenz

Opiate

Weitere illegale Drogen

Nikotin

Medikamente gegen Aufmerksamkeitsdefizitstörungen

Informationen für Schwangere und stillende Mütter

Antidepressiva

Antidepressiva in der Schwangerschaft

Antidepressiva in der Stillzeit

Phasenprophylaktika

Phasenprophylaktika in der Schwangerschaft

Phasenprophylaktika in der Stillzeit

Tranquilizer und Hypnotika

Tranquilizer und Hypnotika in der Schwangerschaft

Tranquilizer und Hypnotika in der Stillzeit

Neuroleptika

Neuroleptika in der Schwangerschaft

Neuroleptika in der Stillzeit

Alkoholabhängigkeit

Medikamente zur Entgiftung und Entwöhnung

Opiatabhängigkeit

Nikotinabhängigkeit

Mittel zur Behandlung von ADS und ADHS

Psychopharmaka im Alter

Antidementiva – Mittel gegen Symptome der Demenz

Besonderheiten beim Umgang mit den sonstigen Psychopharmaka

Arzneimittelstudien, Interessen und Konflikte

Nicht alle Innovationen halten, was sie versprechen

Studien im Auftrag der Pharmaindustrie

Wünschenswert: mehr Transparenz

Was sagen Studien für Sie persönlich aus?

Anhang

Literatur

Nützliche Adressen

Glossar

Stichwortverzeichnis

Medikamentenverzeichnis

Verlagswerbung

Autoren

Einführung

Liebe Leserin, lieber Leser,

gestatten Sie, dass wir uns Ihnen zunächst vorstellen: Wir sind Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die seit vielen Jahren in Klinik- und Gemeindepsychiatrie tätig sind und dort Menschen mit akuten und mit lang andauernden psychischen Störungen* und Problemen, deren Angehörigen sowie professionellen Helfern aller Berufsgruppen begegnen.

Uns ist immer wieder aufgefallen, dass diese Personenkreise über die von uns verordneten Medikamente teilweise gar nicht, lückenhaft oder sogar falsch informiert waren. Deswegen haben wir uns entschlossen, gemeinsam dieses Buch zu schreiben und jetzt noch einmal zu überarbeiten. Es wendet sich in erster Linie an Patienten und ihre Angehörigen, soll aber auch für Fachleute lesbar und informativ sein.

Wir haben deshalb großen Wert darauf gelegt, uns so verständlich wie möglich auszudrücken. Trotzdem haben wir Fachausdrücke verwendet, um komplizierte Sachverhalte kurz und eindeutig beschreiben zu können und um Ihnen Zugang zum Fachvokabular der Ärzte zu verschaffen, mit denen Sie zu tun haben. Solche Fachwörter sind im Text mit einem Sternchen (*) markiert und werden im Glossar am Ende des Buches erläutert.

Mit einer Reihe von Begriffen hatten wir allerdings unsere liebe Not, weil sie zwar eingeführt sind, aber Vorstellungen beinhalten, die wir nicht teilen. Dies trifft zunächst schon auf das Wort »Behandlung« zu. Es legt die Sichtweise nahe, dass Ärzte ihre Patienten mit Medikamenten »be-handeln«. Wir bevorzugen dagegen die Idee, dass Ärzte (als ausgebildete Experten für alle allgemeinen Fragen) und Patienten (als Experten für ihr persönliches Erleben und ihre persönlichen Wünsche und Ziele) miteinander »ver-handeln«, welches Medikament der beste Weg ist. Wir versuchen diese Haltung in unserer alltäglichen Arbeit so weit wie möglich umzusetzen und haben sie im Kapitel Selbstbewusster Umgang mit Ärzten und Medikamenten dargestellt. Im Interesse einer leichteren Lesbarkeit bleiben wir aber in diesem Buch bei dem traditionellen Sprachgebrauch der »Behandlung« mit Medikamenten.

Als ähnlich problematisch empfinden wir die Begriffe »Krankheit« und »Störung«. Während die Psychiater früher – wie alle Ärzte – von »Krankheiten« sprachen, hat sich in den offiziellen Diagnoseschlüsseln inzwischen die »Störung« als Bezeichnung durchgesetzt. Beide Begriffe legen nahe, dass es sich um abnorme Zustände handelt, die so weit wie möglich beseitigt werden müssen. Sie vernachlässigen unserer Meinung nach einen Aspekt, der – in unterschiedlichem Maße – bei den meisten seelischen Ausnahmezuständen eine wichtige Rolle spielt: Sie können auch als »ungewöhnliche Lebensentwicklungen« oder als »versuchte Problemlösungen« aufgefasst werden, die mit Krisen und Leiden verbunden sind. Sie bedürfen deswegen einer Hilfe, die die Betroffenen in der Suche nach neuen Wegen unterstützt, die mehr ihren Bedürfnissen entsprechen bzw. ihr Leiden lindern.

Allerdings spielen solche Überlegungen für den Einsatz von Medikamenten eine untergeordnete Rolle: Psychopharmaka beeinflussen jeweils bestimmte Zielsymptome und Zielsyndrome*, ihre Wirkung ist weitgehend unabhängig von dem Stellenwert der Symptome im Leben der Menschen, die sie einnehmen. Psychopharmaka können somit keine Krankheiten »heilen«, also nicht ihre Ursachen beheben wie z.B. Antibiotika, die schädliche Bakterien beseitigen. Sie können lediglich die Beschwerden beeinflussen, die bei seelischen Krisen oder länger dauernden seelischen Störungen auftreten. Diese begrenzte Wirkung ist aber für sehr viele Menschen eine große Hilfe und wird darum in der Psychiatrie – und weit über unser Fachgebiet hinaus – breit genutzt.

Für die meisten psychiatrischen Hilfen, z.B. für Psychotherapie, Rehabilitation, Sozio- und Ergotherapie, macht das Grundverständnis psychischer Störungen dagegen einen großen Unterschied, der sich auf den Einsatz von Psychopharmaka erheblich auswirken kann. Als Beispiele seien die Behandlung akuter Psychosen* in »Soteria*«-Einrichtungen oder die »bedürfnisangepasste Behandlung*« in vielen skandinavischen Regionen genannt.

Im Rahmen eines Ratgebers können wir auf diese Zusammenhänge allerdings nicht näher eingehen. Wir geben Ihnen hier Informationen über Psychopharmaka unabhängig von den Rahmenbedingungen, in denen sie eingesetzt werden. Damit wollen wir aber keineswegs den Eindruck erwecken, Medikamente seien der Königsweg oder gar die einzige Methode psychiatrischer Therapie! Zwar sind sie in vielen Fällen ein kaum verzichtbarer Bestandteil der heute möglichen Hilfen, aber sie entfalten ihre Wirkung erst zusammen mit den genannten anderen Therapieverfahren und können sie keinesfalls ersetzen.

Wir geben Ihnen zunächst allgemeine Hinweise zur praktischen Handhabung von Medikamenten sowie einen Überblick über nicht-medikamentöse Hilfen und medizinische Behandlungsverfahren in der Psychiatrie, bevor wir zur Darstellung der einzelnen Medikamente kommen.

Zwischen dem Ehrgeiz, so umfassend und genau wie möglich zu informieren, und dem begrenzten Umfang eines Ratgebers mussten Kompromisse geschlossen werden. Dazu gehört die Beschränkung ausführlicher Beschreibungen auf vier Gruppen der Psychopharmaka, die einen großen Teil der heute gängigen medikamentösen Behandlung in der Psychiatrie ausmachen: Antidepressiva, Phasenprophylaktika,Neuroleptika sowie Tranquilizer und Hypnotika.

Wir haben uns bemüht, diese Psychopharmakagruppen nach einem einheitlichen Schema vorzustellen. Soweit erforderlich, stellen wir Beschreibungen von Zielsyndromen* sowie eine knappe Darstellung der biochemischen Wirkmechanismen voran, bevor wir zunächst die erwünschten, dann die unerwünschten Wirkungen beschreiben. Danach geben wir Hinweise zur praktischen Handhabung (Einnahmezeiträume, Dosierungen usw.) bei der Behandlung akuter Störungen, bei der Vorbeugung sowie beim Reduzieren und Absetzen. Die einzelnen Substanzen stellen wir jeweils im Anschluss an die allgemeine Beschreibung der Medikamentengruppe genauer vor. Sie finden dort Hinweise zur Einordnung der Substanz, zu den im Handel erhältlichen Darreichungsformen und zu Besonderheiten, wie speziellen Indikationen* oder unerwünschten Wirkungen.

Nach diesen vier ausführlichen Kapiteln stellen wir Ihnen im Überblick Medikamente zur Entgiftung und Entwöhnung, die bei Sucht und Abhängigkeit eingesetzt werden, sowie Medikamente gegen Aufmerksamkeitsdefizitstörungen vor. In eigenen Kapiteln geben wir außerdem Informationen für Schwangere und stillende Mütter und berichten über die Besonderheiten des Einsatzes von Psychopharmaka im Alter.

Natürlich waren trotz unseres alltäglichen Wissens umfangreiche Recherchen in der Fachliteratur erforderlich, um Ihnen aktuelle und korrekte Darstellungen der heute verwendeten Psychopharmaka geben zu können. Uns ist durch diese Recherchen wieder einmal bewusst geworden, dass der wissenschaftliche Boden, auf dem wir Psychiater uns bewegen, nicht so fest und verlässlich ist, wie wir es uns wünschen würden. Unserem Umgang mit Medikamenten liegen zum Teil lieb gewordene Denk- und Verordnungsgewohnheiten zugrunde, die nicht immer einwandfrei durch wissenschaftliche Studien untermauert sind. Stattdessen erreicht uns eine Fülle werbender Informationen, die uns die überlegene Wirksamkeit oder Nebenwirkungsarmut neuer Substanzen oder zusätzliche Indikationen* lange bekannter Medikamente darlegen sollen. Das gilt vor allem für die atypischen* Neuroleptika und die Phasenprophylaktika. In solchen Fällen ist es schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen, also »echte« neue Erkenntnisse von Werbebotschaften der Hersteller zu unterscheiden. Auf diese Problematik gehen wir im Kapitel Arzneimittelstudien, Interessen und Konflikte ein.

Seit einigen Jahren gibt es zwei kontrovers diskutierte Themen, die unsere Verordnungsstandards erheblich verändern könnten, nämlich die Häufigkeit gefährlicher Nebenwirkungen von Neuroleptika (DGSP, 2012) und die relativ geringe Wirkstärke der gängigen Antidepressiva bei leichten und mittelschweren Depressionen* (KIRSCHu.a., 2008). Wir haben darauf in den entsprechenden Kapiteln jeweils hingewiesen, können aber nicht vorwegnehmen, wie die Leitlinien für den Umgang mit diesen Medikamenten sich ändern werden.

Außerdem gibt es (und gab es schon immer) in der Psychiatrie ebenso wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen »Modeströmungen«. So erleben wir etwa derzeit ein sehr weit gefasstes Verständnis dessen, was zu den bipolaren* affektiven Störungen gerechnet wird, während der Begriff der Schizophrenie* enger verstanden wird als früher. Zwischen diesen beiden Diagnosegruppen hat es in der Psychiatriegeschichte der letzten hundert Jahre ein unentwegtes Hin und Her gegeben. Wir gehen auf einige dieser Fragen im Kapitel über die Phasenprophylaktika näher ein, weil sie sich auf die Empfehlungen zur medikamentösen Behandlung unmittelbar auswirken.

Im Gewirr all dieser Widersprüche und Unsicherheiten haben wir uns für eine Darstellung entschieden, die weitgehend in Übereinstimmung mit der üblichen Praxis steht. In der Beschreibung der einzelnen Psychopharmaka-Gruppen gehen wir von relativ gut gesichertem Wissen aus und erwähnen neuere Erkenntnisse und Überlegungen in der Regel mit einem Kommentar, der auf ihre Vorläufigkeit oder mangelnde wissenschaftliche Absicherung hinweist. Auf diese Weise möchten wir Ihnen einerseits das Wissen darstellen, von dem Ihre Ärzte in der Regel ausgehen, andererseits aber auch erläutern, welche Gründe sie gelegentlich haben können, neue oder ungewöhnliche Behandlungsverfahren zu empfehlen. Gleichzeitig möchten wir es Ihnen ermöglichen, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Zur Unterstützung dieser Meinungsbildung finden Sie im Anhang das bereits erwähnte Glossar medizinischer Fachbegriffe (im Text mit einem * gekennzeichnet), Quellenhinweise zu der verwendeten Literatur sowie eine Liste nützlicher Adressen. Außerdem enthält der Anhang ein Stichwortverzeichnis.

Viele Substanzen werden von mehreren Herstellern unter unterschiedlichen Markennamen auf den Markt gebracht. Wir nennen Ihnen im Text jeweils die generischen* Namen der Substanzen sowie die Markennamen der Ersthersteller. Letztere kennzeichnen wir – wie allgemein üblich – mit dem Symbol®.

Im Medikamentenverzeichnis finden Sie alle Substanzen und Markennamen, die zum Zeitpunkt der Druckvorbereitung auf dem deutschsprachigen Markt erhältlich waren, jeweils mit Angabe der Substanz, die in dem Präparat enthalten ist, und der Seite, auf der sie in diesem Buch beschrieben ist.

Wie alle Buchautorinnen und -autoren haben wir das Problem nicht lösen können, dass die deutsche Sprache keine angemessene Berücksichtigung beider Geschlechter erlaubt, ohne die Lesbarkeit des Textes zu erschweren. Wir haben auf eine einheitliche Regelung verzichtet und befürchten darum, dass alle Leserinnen und Leser zumindest teilweise unzufrieden mit den Ergebnissen sein werden.

Bei aller Sorgfalt, mit der wir dieses Buch vorbereitet und geschrieben haben, gehen wir davon aus, dass Sie nicht in allen einzelnen Fragen mit unseren Darstellungen einverstanden sein werden. Neben eventuellen Flüchtigkeitsfehlern rechnen wir vor allem mit unterschiedlichen Bewertungen von Wirkungen und Nebenwirkungen einzelner Substanzen sowie mit abweichenden Vorstellungen über Behandlungsstrategien bei den einzelnen Syndromen*, die mit Psychopharmaka beeinflusst werden können. Bitte nehmen Sie über den Verlag Kontakt mit uns auf, wenn Sie beim Lesen auf Punkte stoßen, zu denen Sie eine andere Kenntnis oder Meinung haben oder für die Sie sich in einer nächsten Auflage eine andere Darstellung wünschen!

Einige Kolleginnen und Kollegen haben uns wertvolle Hinweise zu einzelnen Themen gegeben. Wir bedanken uns dafür besonders bei Volkmar Aderhold (Hamburg), Asmus Finzen (Basel), Andreas von Maxen (Bremen) und Stefan Winter (Wuppertal). Karin Koch und Sandra Kieser vom BALANCE Verlag haben durch professionelle Hinweise und geduldige Hartnäckigkeit nicht nur zum Zustandekommen dieses auch zu dieser Buches, sondern auch zu dieser Neuauflage wesentlich beigetragen. Den meisten Dank schulden wir aber unseren Patientinnen und Patienten – von ihnen haben wir mehr gelernt als aus allen Lehrbüchern.

Nils Greve, Margret Osterfeld und Barbara Diekmann

Solingen und Dortmund im April 2017

Selbstbewusster Umgang mit Ärzten und Medikamenten

Eine von den Patienten immer wieder formulierte Forderung ist die Begegnung mit dem Arzt oder der Ärztin »auf gleicher Augenhöhe«, also eine Beziehung auf einer Grundlage der Gleichberechtigung. Von Ärzten werden umfassende Informationen über Diagnose und Therapie sowie Respekt für das Recht ihrer Patienten auf Selbstbestimmung erwartet. Ziel ist das »geteilte Expertentum«, bei dem die Ärztin das verallgemeinerte und der oder die Betroffene das individuelle Erfahrungswissen einbringt.

Ein solches Verständnis der Arzt-Patient-Beziehung ist immer noch nicht Standard. Viele Patienten geben gern die Verantwortung für ihre Gesundheit an einen ausgebildeten Fachmann ab, andere fühlen sich von ihren Ärzten bevormundet. Beide Haltungen führen häufig zu Entscheidungen im Hinblick auf die Medikation, deren Folgen nicht genügend bedacht werden. Auf der ärztlichen Seite kommt es zu Klagen über mangelnde Zusammenarbeit und zu Pauschalurteilen, Menschen mit psychischen Erkrankungen seien weder krankheitseinsichtig noch in der Lage, den Sinn einer Medikation zu verstehen. Das abrupte Absetzen von Neuroleptika, das sehr häufig neue Krankheitsepisoden auslöst, ist dagegen häufig auch durch mangelhafte Information und Aufklärung der Patienten bedingt, wird ihnen aber als mangelndes Vertrauen in die ärztliche Kunst vorgeworfen. Eine Verständigung scheint unmöglich. Wir haben den Eindruck, dass immer mehr Psychopharmaka in wissenschaftlich nicht zu begründenden Kombinationen verordnet werden, während das psychiatrische Gespräch mit Patienten, um einen gemeinsam gangbaren Weg zu finden, eher seltener wird.

Gleiche Augenhöhe ist nicht nur dadurch zu erreichen, dass die Ärzte von ihrem »Sockel« heruntersteigen. Ein standfestes »Sich-Aufrichten« jeder einzelnen Patientin, ein selbstbewusstes, wohlinformiertes Gegenübertreten mit klarer Zielsetzung kann ebenfalls zu »gleicher Augenhöhe« und mehr Teilhabe am Entscheidungsprozess führen. Dieser Aspekt soll hier beleuchtet werden. Vorab sei der Hinweis erlaubt, dass die Rechtsprechung der letzten Jahre zunehmend deutlicher die Rechte der Menschen mit psychiatrischen Diagnosen stützt.

Diagnosen

Diagnosen gehören zum ärztlichen Werkzeug wie der Zollstock zum Zimmermann oder das Maßband zum Schneider. Da die Diagnose eine ärztliche Entscheidung ist, wird es auch bei »gleicher Augenhöhe« nicht viele Einflussmöglichkeiten der Patienten geben. Es ist eine unverrückbare Tatsache in unserem Gesundheitssystem, dass jede krankenkassenfinanzierte ärztliche Behandlung eine Diagnose voraussetzt. Nur bestimmte schwerwiegende Diagnosen rechtfertigen eine Krankenhausbehandlung. Wenn Sie einen Arzt aufsuchen, müssen Sie also mit einer Diagnose rechnen. Wenn Sie die Hilfe eines psychiatrischen Krankenhauses in Anspruch nehmen, müssen Sie sogar davon ausgehen, eine gravierende Diagnose zu bekommen. Eine leichte Depression* oder eine einfache Belastungsstörung wird genauso wenig im Krankenhaus behandelt wie ein einfacher grippaler Infekt.

Diagnosen sind Einteilungssysteme, die für Ärzte und Betroffene durchaus nützlich sein können. Sie bringen Ordnung in eine Vielzahl von Krankheitssymptomen, können Richtschnur für eine Behandlung sein und durchaus auch eine entlastende Funktion für Sie als Betroffenen haben, indem sie einen Namen und eine Erklärung für Erlebtes bieten. Allerdings sind etliche psychiatrische Diagnosen weiterhin mit erheblicher Stigmatisierung verbunden. Außerdem können sie niemals einen Menschen in seiner Gesamtheit beschreiben und sein Krankheitserleben, seine Auseinandersetzung damit und die zukünftige persönliche Entwicklung vorhersagen. Keinesfalls sollten Sie eine Diagnose als unabänderliches Urteil hinnehmen, das ihr weiteres Schicksal bestimmt. Der Verlauf vieler psychischer Erkrankungen hängt viel mehr vom eigenen Umgang und von der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Krankheitsgeschehen ab als von der diagnostischen Einordnung.

Eine Diagnose ist zuallererst eine Arbeitshypothese, aus der sich das ärztliche Handeln ergibt. Meistens wird daraus auch eine bestimmte medikamentöse Behandlung abgeleitet, man spricht dann von der »ärztlichen Indikation*« für die Behandlung. Eine Behandlung ohne Medikamente wird nur selten aktiv angeboten, und selbst wenn ein Patient sie ausdrücklich wünscht, ist sie leider innerhalb der Regelversorgung immer noch zu selten zu erhalten. Zur ärztlichen Aufklärungspflicht, der Grundlage jeden ärztlichen Handelns, gehört die Information über alternative Behandlungsstrategien ebenso wie die Information über mögliche Folgen einer Nichtbehandlung und über unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Nur wenn die Wahlmöglichkeiten klar sind und Sie umfassend informiert werden, können Sie eine gute Entscheidung treffen.

Zielsymptome

Bei der Entscheidung für eine Medikation ist es für den Arzt und für Sie gleichermaßen wichtig, möglichst objektive Entscheidungskriterien zu finden. Das bedeutet, Sie legen gemeinsam vorher fest, welche Symptome vor allem gebessert werden sollen, welche Nebenwirkungen tolerabel sind und welche zu einer Veränderung der Medikation führen sollten. Bei einer längerfristigen Behandlung ist es sehr hilfreich, wenn Sie selbst über eigene Aufzeichnungen verfügen, wann und wie lange Sie welche Medikation mit welchem Erfolg eingenommen haben. Die Vorstellung, dass die Ärzte stets den Überblick über oft jahrelange Krankengeschichten haben, ist leider eine Illusion. Mit solchen Aufzeichnungen belegen Sie außerdem, dass Sie sich aktiv mit Ihrer Genesung auseinandersetzen, und die Chance ist groß, mit dieser Haltung von Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin ernster genommen zu werden.

Psychopharmakotherapie ist stets eine symptomatische Therapie, das heißt, sie hat das Ziel, Symptome zu lindern bzw. ihr Wiederauftreten zu unterdrücken. Eine Heilung können Psychopharmaka allein nicht versprechen, doch Sie haben die Möglichkeit, sich aktiv an einer Entscheidungsfindung über ein Medikament zu beteiligen. Denn ob und wie weit eine Symptomreduktion gelingt, kann ohne Ihr Erleben nicht beurteilt werden. Patricia Deegan hat in ihrem Papier »Selbstbestimmt mit Medikamenten umgehen« viele gute Tipps hierzu gegeben (siehe Literatur).

Wenn Sie z.B. auch ohne Medikation recht gut mit Ihren Stimmen zurechtkommen, aber unter einer krankheitsbedingten Antriebsschwäche heftig leiden, dann sollte diese zum ersten Zielsymptom erklärt werden. Daraus folgt, dass antriebsmindernde Medikamente tunlichst zu vermeiden sind. In Ihren Aufzeichnungen bewerten Sie in diesem Fall den Antrieb, aber auch die Stimmen ein- oder mehrmals am Tag mit Punkten oder Noten. Beim nächsten Arztbesuch können Sie so gemeinsam mit dem Arzt die Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit sowie unerwünschte Wirkungen konkret überprüfen. Vertrauen Sie dabei Ihrer eigenen Wahrnehmung! Wenn Ihr Arzt z.B. sagt, die Antriebsschwäche oder auch die depressiven Symptome unter Neuroleptika, die Sie als Folge der Medikation erleben, seien Krankheitssymptome, fragen Sie ihn, woran er das erkennt. Nach unserer Erfahrung kann hier nur ein Reduktionsversuch den Nachweis bringen. Wird das beklagte Symptom dann schlimmer, ist es wahrscheinlich der Grundkrankheit zuzuordnen. Bei Besserung durch Reduktion ist dagegen eine unerwünschte Medikamentenwirkung anzunehmen.

Aber auch ohne Nebenwirkungen macht es wenig Sinn, ein Medikament langfristig einzunehmen, wenn das oder die Zielsymptome nicht wesentlich positiv beeinflusst werden können. Dies lässt sich allerdings oft erst nach mehreren Wochen oder Monaten hinreichend beurteilen und Ihre Aufzeichnungen sind dabei hilfreich. Ein Medikament, das nicht zur erhofften Wirkung führt, sollte schrittweise wieder abgesetzt werden. Wünschenswert wäre, dass mehr Psychiater Reduktions- und Absetzphasen fachlich aktiv begleiten.

Compliance

Dieser Begriff kommt aus dem Englischen und kann sowohl mit »Einverständnis« als auch mit »Willfährigkeit« oder »Fügsamkeit« übersetzt werden. Ein »Ein-Verständnis« entwickelt sich stets durch Informationsaustausch aus zwei unterschiedlichen »Verständnissen« und kann nicht die fügsame Unterordnung unter Expertenwissen meinen. Im vorangegangenen Abschnitt haben wir versucht, Beispiele für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Ihrem Arzt aufzuzeigen. Compliance steht dann für eine Beziehung zwischen Arzt und Patient, bei der durch ständigen Informations- und Erfahrungsaustausch eine Therapie optimiert wird. Inzwischen wird der Begriff »Compliance« gern von Ärzten durch den Begriff »Adhärenz« ersetzt. Ein deutsches Wort dafür ist »Therapietreue«.

Gar nicht so selten herrscht im medizinischen Alltag eine sehr einseitige Deutung dieser Begriffe, nämlich: »Patienten tun, was der Arzt für richtig hält.« Bei einer solchen Erwartungshaltung sind unerquickliche, aber durchaus verständliche Verhaltensweisen, wie heimliche Absetzversuche, aus Patientensicht nur allzu naheliegend. Getreu dem Motto »Trotz ist der Anfang der Autonomie« wird manch ein Patient unüberlegte und abrupte Absetzversuche unternehmen im Sinne eines Versuches, wieder selbst die Kontrolle über sein Leben und die Medikation zu übernehmen (über sinnvolles Vorgehen bei dem Wunsch nach Medikamentenreduktion berichten wir im Kapitel zu Neuroleptika).

Jeder Mensch wird zur Einnahme eines Medikamentes nur dann bereit sein, wenn die Vorteile für ihn klar spürbar und ersichtlich sind. Es sollte das Ziel einer guten Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patientin sein, diese Vorteile für beide Seiten erfahrbar zu machen. Im Gegensatz zu einem häufig anzutreffenden Vorurteil sind Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht generell unzuverlässiger in ihrer Medikamenteneinnahme als Menschen mit anderen Erkrankungen. Und sie haben das gleiche Recht, über ihre Krankheit und deren Behandlung umfassend aufgeklärt zu werden.

Wohlinformierte Zustimmung

Unabhängig von der Art der Erkrankung sieht die Rechtslage für alle Patienten nach dem Patientenrechtegesetz gleich aus: Eine medikamentöse Behandlung erfordert Ihre wohlinformierte Zustimmung. Es liegt in der Verantwortung der Ärztin, Ihnen die Informationen zu liefern, die zu Ihrer Entscheidungsfindung notwendig sind, und diese Informationen so zu vermitteln, dass Sie sie verstehen und verwerten können. Die Ärzte haben sich auf Ihr Spach- und Verständnisniveau einzustellen, nicht Sie als Patientin auf deren Fachsprache. Wenn Sie sich nicht ausreichend informiert fühlen, dann fragen Sie nach. Sie können durchaus die Wahrnehmung von Ärztinnen und Ärzten über Ihre Handlungskompetenz korrigieren, indem Sie die Informationen über die Medikation und ihre Nebenwirkungen immer wieder einfordern und auf das Recht der freien Entscheidungsfindung hinweisen. Sollte in einer akuten Krankheitsphase eine Einwilligungsfähigkeit nicht bestehen, gibt dies den Ärzten nicht automatisch das Recht allein zu entscheiden (Bundesärztekammer, 2013). Die »assistierte Entscheidungsfindung« ist allerdings in den psychiatrischen Kliniken noch eine wenig gepflegte Praxis.

Zur gemeinsamen Entscheidungsfindung gehört auch, über Alternativen informiert zu werden und diese gegebenenfalls auszuprobieren. Bei der Vielzahl an Psychopharmaka ist es durchaus möglich, dass eine störende Nebenwirkung, die unter einem Medikament auftritt, bei einem anderen Präparat ausbleibt. Sprechen Sie Ihren Arzt auf die Möglichkeit eines Wechsels an, wenn Sie mit der Wirkung eines Medikaments nicht zufrieden sind.

Besonderes Gewicht hat die Entscheidung, ob Sie sich auf eine Langzeit- oder Dauermedikation einlassen. Die Entscheidung dagegen ist natürlich auch eine denkbare Variante. Es ist sicher besser, auch solch eine Entscheidung offen zu besprechen als heimlich die Medikamente abzusetzen. Im letzteren Fall handeln Sie und Ihr Arzt auf völlig unterschiedlichen Ebenen und eine fruchtbare Zusammenarbeit ist nicht mehr möglich. Im ersteren Fall ist dagegen noch eine hilfreiche Zusammenarbeit denkbar, auch wenn der Arzt eine andere Überzeugung zur Medikation vertritt. Sie können gemeinsam überlegen, bei welchen Belastungen und bei welchen Frühsymptomen doch wieder zur medikamentösen Unterstützung gegriffen werden soll und ob und wie weit psychotherapeutische oder andere Hilfen Ihre seelische Stabilität sichern helfen.

Natürlich kann es vorkommen, dass durch Ihre Entscheidung gegen eine Medikation die Arzt-Patient-Beziehung so erheblich belastet wird, dass sie dies nicht aushält. Es ist nicht auszuschließen, dass Ihr Arzt dann eine weitere Behandlung ablehnt. Eine solche Haltung ist durchaus nicht immer unbegründet; nehmen Sie sie als seine freie Entscheidung und keinesfalls als »Strafe« für die Ablehnung der Medikation. Natürlich bedeutet Ihre Entscheidung gegen eine Medikation, dass Sie und nicht Ihr Arzt die Verantwortung für eventuelle Verschlechterungen des seelischen Zustandes tragen. Wenn Sie bei Ihrer Entscheidung bleiben wollen, lohnt es sich, in Erfahrung zu bringen, ob es am Wohnort Selbsthilfegruppen gibt. Dort treffen Sie Menschen, denen es oft gut gelungen ist, mit einer psychischen Erkrankung fertig zu werden, und Sie können von dem Erfahrungsaustausch mit ihnen lernen. Oft wissen solche Gruppen auch, welche Ärzte am Ort eine medikamentenfreie Behandlung oder eine Dosisreduktion unterstützen und begleiten.

Arztbesuche vorbereiten

Viele Patienten, aber auch nicht wenige Ärzte beklagen die »Fünf-Minuten-Medizin«. Die Patienten betreten das Sprechzimmer, wenige Worte werden gewechselt und schon sind sie wieder draußen. Gerade hier gibt es für Sie durchaus Möglichkeiten, den Umgang zu verändern. Bereiten Sie sich auf das Gespräch mit Ihrem Arzt vor, legen Sie das Thema fest, schreiben Sie Ihre Gedanken, Fragen und Anliegen auf. Scheuen Sie sich nicht, Stift und Papier zum Arzttermin mitzubringen und sich Notizen zu machen. Mag sein, dass dies Ihren Arzt überrascht. Wenn Sie erklären, dass Sie das Gesagte festhalten möchten, damit Sie im Nachhinein besser darüber nachdenken können, wenn Sie vielleicht noch den Hinweis einflechten, dass ja auch er sich Notizen macht, dann haben Sie einen großen Schritt gemacht zu einer aktiveren Haltung und einer Begegnung auf gleicher Augenhöhe.

Wenn Sie einen Hinweis ernten auf mangelnde Zeit und ein volles Wartezimmer, wenn Sie erstmals mit Papier und Stift zu Ihrem Termin erscheinen, bitten Sie für das nächste Mal um einen längeren Termin, um die anstehenden Fragen zur beidseitigen Zufriedenheit zu klären. Sie werden wahrscheinlich mit so einem Anliegen auf deutlich mehr Akzeptanz stoßen als Sie glauben. Wie jeder Mensch kann auch ein Arzt nur auf die Wünsche eingehen, die Sie klar formulieren.

Patientenverfügung und rechtliche Betreuung

Im Jahr 2009 hat der Gesetzgeber die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention, BRK) in Kraft gesetzt und ein Gesetz zur Patientenverfügung verabschiedet. Die Rechte von Patienten – auch die von Menschen mit psychiatrischen Diagnosen – werden durch beides nachdrücklich gestärkt. Die BRK betont zum Beispiel, dass Menschen mit Behinderungen – auch mit seelischen Behinderungen – in allen Lebensbereichen handlungsfähige Personen sind, denen nicht aufgrund ihrer Behinderung das Recht auf Selbstbestimmung oder die Geschäftsfähigkeit entzogen werden darf. Auch wenn bei einer psychiatrischen Behandlung kein Bargeld fließt: Sie sind als Hilfesuchender auch Geschäftspartner der Psychiater und diese müssen Sie über ihre Behandlungspläne angemessen informieren. Das gilt selbst dann, wenn Sie eine gesetzliche Betreuung haben. Wenn Sie es wünschen, kann ein gesetzlicher Betreuer die Behandlungsplanung mit dem Arzt besprechen, doch umgekehrt darf ein Arzt nicht ihm oder Ihnen ein Gespräch über die Therapieziele und mögliche unerwünschte Therapieeffekte verweigern. Durchaus können Sie auch eine Patientenverfügung verfassen, in der Sie festlegen, welche Psychopharmaka Sie nicht einnehmen möchten und mit welchen Sie gute Erfahrungen haben. Nicht empfehlen können wir eine Patientenverfügung, die jegliche psychiatrische Behandlung ablehnt, wie sie von manchen antipsychiatrischen Selbsthilfeorganisationen propagiert wird. Wir wissen zu gut, dass es immer mal wieder seelische Krisensituationen geben kann, in denen helfendes Handeln rasch erforderlich ist. In solchen Situationen kann eine in guten Tagen wohlüberlegt formulierte Patientenverfügung hilfreich sein, um auf Ihre Wünsche und Vorstellungen gestützt eine medikamentöse Behandlung aufzunehmen.

Grundsätzlich lassen sich drei Formen oder Stufen einer Patientenverfügung unterscheiden, die Vorsorgevollmacht, die Betreuungsverfügung und die Verfügung zu medizinischem Handeln in konkreten medizinischen Situationen. Wir wollen hier die einzelnen Formen kurz erläutern.

Wenn Sie schon wiederholt die Erfahrung gemacht haben, dass Sie durch schwere seelische Krisen (Psychose*, Manie*, schwere Depression*) in einen Zustand geraten, in dem Sie nicht mehr selbst für sich entscheiden können, oder wenn Sie sich sorgen, dass eine solche Situation auf Sie zukommt, weil eine beginnende Demenz diagnostiziert wurde, kann es sinnvoll sein, in guten Zeiten mit einer schriftlichen Vorsorgevollmacht eine Person Ihres Vertrauens zu bestimmen, die in Ihren akuten Krankheitsphasen die notwendige Einwilligung in medizinische Behandlung stellvertretend für Sie gibt. Sie müssen wissen, dass Sie damit der eingesetzten Person die Entscheidung über Ihre persönlichen Belange überlassen, ohne dass es weitere Kontrollinstanzen für diese gibt. Ein hohes Maß an persönlichem Vertrauen, aber auch Gespräche über Ihre Wünsche und Vorstellungen sind also schon erforderlich, wenn Sie eine Vollmacht ausstellen wollen.

Von einer Betreuungsverfügung spricht man, wenn Sie festlegen, wer gesetzlicher Betreuer werden soll, falls ein Gericht die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung für nötig hält. Das kann eine Person Ihres Vertrauens und muss keinesfalls ein Berufsbetreuer sein. Ein Betreuer muss die Vorschriften im Betreuungsrecht einhalten, er kann Sie z.B. nicht einfach in eine psychiatrische Klinik einweisen, ohne dass dies in der konkreten Situation durch das Gericht genehmigt wird. Er kann und muss aber die vorgeschriebene Aufklärung über Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen von Psychopharmaka vom Arzt einfordern, falls Sie sich einem solchen Arztgespräch nicht gewachsen fühlen. Das Gericht legt fest, für welche Bereiche eine Betreuung erforderlich ist, z.B. nur für den Bereich Gesundheit oder auch für Finanzen, Ämter- und Wohnungsangelegenheiten. Mit einer Betreuungsverfügung können Sie sich davor schützen, dass eine Ihnen völlig fremde Person zum Betreuer eingesetzt wird, wenn eine psychiatrische Klinik dies für sinnvoll hält und das Gericht dem Vorschlag der Klinik nachkommt. Wenn Sie eine Patientenverfügung für medizinische Behandlungen aufsetzen wollen, sollten Sie genau beschreiben, für welche medizinisch-psychiatrischen Akutsituationen sie gelten soll. Greifen Sie hier ruhig medizinische Diagnosebegriffe auf, z.B. indem Sie schreiben: »Wenn ich wegen einer akuten psychotischen Episode nicht einwilligungsfähig bin, möchte ich keinesfalls mit dem Medikament XY behandelt werden. Das Mittel Z hingegen hat mir meist rasch geholfen …« Nicht festlegen können Sie mit einer Patientenverfügung, welches Team oder welche Ärztin Sie in der Klinik behandeln soll, dies lässt sich allenfalls durch eine Behandlungsvereinbarung mit der zuständigen Klinik regeln.

Natürlich hören auch wir immer mal wieder davon, dass Patienten für »nicht einwilligungsfähig« gehalten werden, wenn sie im Hinblick auf ihre medikamentöse Behandlung andere Vorstellungen haben als Psychiater oder Psychiaterin. Daher wollen wir hier erläutern, wie Juristen »Willensfreiheit« beziehungsweise »Einwilligungsfähigkeit« definieren. Um frei über die medizinische Behandlung zu entscheiden bzw. einer Behandlung zuzustimmen, müssen Sie Ihre Erkrankung oder Behinderung kennen und ebenso die daraus resultierenden Probleme und Leistungsschwächen. Wie schon oben gesagt, kommt es darauf an, sich selbst mit der Krankheit und ihren persönlichen Folgen auseinanderzusetzen. Ein schlichtes Verleugnen einer Erkrankung macht Hilfe für alle Beteiligten, also Angehörige, Ärzte und natürlich Sie selber nur schwieriger. Natürlich setzen Hilfen, die von einer Krankenversicherung bezahlt werden, eine Erkrankung voraus, der Ärzte einen Namen (Diagnose, s. o.) geben müssen. Auch die oben erwähnte UN-Behindertenrechtskonvention betont in Art. 25 das Recht auf die beste erreichbare Gesundheit und ärztliche Versorgung. Ärzte müssen also handeln und helfen, wenn bei ihnen Hilfe gesucht wird. Mit einer Patientenverfügung können Sie erreichen, dass Ihre Wünsche und Ihr Wille dabei mehr Berücksichtigung finden.

Einwilligungsfähig ist, wer die Art, die Bedeutung und das Risiko einer Erkrankung und / oder einer ärztlichen Behandlung erfassen kann. Hieraus folgt, dass ein bloßes Verleugnen einer seelischen Erkrankung juristisch dazu führt, die Einwilligungsfähigkeit der erkrankten Person anzuzweifeln. Die abwägende Haltung hingegen: »Ja, ich leide oder meine Familie leidet unter meinen seelischen Symptomen, denen die Ärzte einen bestimmten Namen (Diagnose) geben, doch dieses Leiden ist geringer als das, was bei mir durch bestimmte Psychopharmaka hervorgerufen wird, die ich deswegen ablehne«, spricht für Ihre Einwilligungsfähigkeit. Auch Ihr Psychiater sollte sich diese differenzierende Haltung zu eigen machen.

Im Jahr 2011 hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Verfahren zur Zwangsmedikation erneut nachdrücklich das Recht auf Krankheit bestärkt und entschieden, dass dem Staat keine »Vernunfthoheit« über einen Menschen mit psychiatrischer Diagnose zusteht, nur weil dieser eine Medikation mit Psychopharmaka wegen der Nebenwirkungen ablehnt. Ausdrücklich betont das Gericht auch, dass Psychiater nicht wegen dieser Haltung des Patienten eine Unfähigkeit zur freien Selbstbestimmung annehmen dürfen, um mit dieser Beurteilung die von ihnen gewünschte Behandlung durchzusetzen. Es weist zudem darauf hin, dass statistische Prognosen über das Rückfallrisiko nicht ausreichen, um eine Medikation gegen den Willen des Patienten zu erzwingen.

Inzwischen hat das Oberlandesgericht Karlsruhe einem Patienten, der acht Wochen zwangsweise untergebracht war und zwangsmediziert wurde, 25000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, weil die Klinik eine Gefährdung nicht hinreichend dokumentiert hatte. Wir halten dieses Urteil für richtungsweisend und möchten Sie ermutigen, Einsicht in Ihre Patientenakte zu fordern, wenn Sie ohne eigene Zustimmung eingewiesen wurden. Die psychiatrische Fachgesellschaft DGPPN hat im September 2014 eine Stellungnahme zur Selbstbestimmungsfähigkeit herausgegeben, in der auch sie darauf hinweist, dass die Ablehnung einer Behandlung nicht automatisch zu dem Schluss führen darf, dass ein psychisch kranker Mensch nicht einwilligungsfähig ist. Wir hoffen, dass sich die klinische Praxis allerorten rasch auf die geänderte Rechtslage einstellt.

Falls Sie als Mensch mit einer psychiatrischen Diagnose eine Patientenverfügung, eine Vorsorgevollmacht oder eine Betreuungsverfügung aufsetzen, möchten wir Ihnen empfehlen, sich von einem Psychiater oder einem Juristen bescheinigen zu lassen, dass Sie dies als einwilligungsfähige Person tun. So können im Fall einer späteren akuten psychischen Erkrankung Konflikte über die Gültigkeit und Wirksamkeit der Verfügung vermieden werden. Langfristig können so Menschen mit psychiatrischen Diagnosen, ihre Angehörigen und ihre Betreuer dazu beitragen, »gleiche Augenhöhe« in der psychiatrischen Praxis zu verankern.

Praktische Handhabung von Medikamenten

In diesem Kapitel haben wir allgemeine Informationen über Medikamente und insbesondere über Psychopharmaka zusammengestellt, die für Sie wichtig sein könnten.

Informationen auf der Packung

Bereits auf der Außenseite einer Medikamentenpackung finden Sie viele wichtige Informationen. Am auffälligsten ist der Markenname, unter dem der Hersteller sein Produkt vertreibt. Das Zeichen® bedeutet, dass er sich den Namen hat schützen lassen.

Gelegentlich stehen weitere Angaben direkt dahinter:

»retard« (z.B. »Akineton® retard«) – es handelt sich um eine Zubereitung mit ganz allmählicher Aufnahme aus dem Darm in den Körper, daher mit allmählichem Wirkungseintritt und langer Wirkungsdauer;

eine Angabe über den Wirkstoffgehalt der einzelnen Einheit (z.B. »Leponex® 25«) – das bedeutet, dass die einzelne Tablette dementsprechend viel Wirkstoff enthält, also im Beispiel 25 Milligramm (mg) pro Tablette;

die Zubereitungsart (Tablette, Dragee, Kapsel, Lösung, Tropfen) – bei festen Zubereitungen handelt es sich meist um Tabletten, bei manchen Substanzen sind aber komplizierte Zubereitungen erforderlich, um die gewünschte Wirkung zu erreichen, etwa ein säurefester Überzug (Filmtablette, Dragee) oder eine Gelatinehülle (Kapsel) als Schutz gegen Magensäure oder bestimmte Darmenzyme; auf besondere Zubereitungen wie »Expidet« gehen wir später noch ein; manchmal der Name des Herstellers, z.B. »Clozapin neuraxpharm«;

Angaben über die Packungsgröße (Zahl der Einheiten pro Packung) – etwa »100 Tabletten«. Diese Angabe ist manchmal verschlüsselt als »N1«, »N2« oder »N3« – das sind standardisierte Packungsgrößen, meistens 20/50/100 Stück pro Packung, bei manchen Substanzen aber auch andere Zahlen.

Weitere Angaben finden Sie, wenn Sie nach folgender Zeile suchen:

»Eine Tablette (Dragee, Kapsel) enthält …« bzw. »100 ml Lösung enthalten …«. Dann folgt der Name des Wirkstoffs, bei Leponex® ist das beispielsweise »Clozapin«. Bei diesem Namen handelt es sich um eine international vereinbarte Kurzbezeichnung (generischer* Name) für die Substanz, denn die chemische Originalformel wäre zu lang und umständlich.

Manche Hersteller verwenden den generischen Namen auch als ihren Markennamen und setzen dann ihren Firmennamen zur Unterscheidung dahinter, wie in dem schon erwähnten Beispiel »Clozapin neuraxpharm«.

Sie können in aller Regel davon ausgehen, dass Medikamente, die die gleiche Substanz in der gleichen Zubereitung und in der gleichen Stärke (Milligramm pro Tablette) enthalten, auch gleich wirken. Beispiel: Im Vergleich von Leponex® 100, Elcrit® 100 und Clozapin neuraxpharm® 100 sind keine nennenswerten Unterschiede in der Wirkung zu erwarten.