Und die Frau schweige (nicht) - Sarah Bessey - E-Book

Und die Frau schweige (nicht) E-Book

Sarah Bessey

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Beschreibung

Dass auch heute noch oft ausschließlich Männer die "wichtigen" Bereiche der Gemeinde leiten, ist durchaus fragwürdig. In diesem einfühlsamen, aber auch provokanten Liebesbrief an die Gemeinde lädt Sarah Bessey dazu ein, die von Menschen aufgestellten Hindernisse abzubauen – und zuzulassen, dass Frauen mit ihren gottgegebenen Gaben wertvolle Beiträge leisten können. Sie betrachtet, wie Jesus Frauen integriert hat, und beschreibt, wie das Reich Gottes aussehen könnte, wenn jede und jeder mit seinen Gaben an dessen Bau beteiligt ist. Ein theologisch fundiertes Buch, das prägnant die Not vieler Frauen aufgreift und auf einladende Weise Auswege aus dem Dilemma aufzeigt.

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Über die Autorin

Sarah Bessey ist eine kanadische Autorin und Bloggerin. Sie ist Mitorganisatorin und Mitveranstalterin der jährlichen Evolving Faith Conference und Vorsitzende von Heartline Ministries in Haiti. Zu ihren populären und von der Kritik hochgelobten Bücher gehören Out of Sorts: Making Peace with an Evolving Faith und Miracles and Other Reasonable Things.

Sarah und ihr Mann Brian haben vier Kinder und leben in Calgary, Kanada.

Für BrianWir sind einfach füreinander bestimmt.

Inhalt

Vorwort

Lasst uns Frauen sein, die lieben

Einleitung: Ein Lagerfeuer am Ufer

Kapitel 1:Jesus hat eine Feministin aus mir gemacht

Kapitel 2:Wege in die Freiheit

Kapitel 3:Verschlungene Wurzeln

Kapitel 4:Die schweigenden (?) Schwestern von Paulus

Kapitel 5:Tanzende Kriegerinnen

Kapitel 6:Schutzheilige, geistliche Hebammen und „biblisches“ Frausein

Kapitel 7:Der Neubeginn einer Geschichte

Kapitel 8:Die Gemeindefrauen zurückerobern

Kapitel 9:Berge versetzen – einen Stein nach dem anderen

Kapitel 10:Sein Reich komme

Kapitel 11:Vertrauter Aufruhr

Kapitel 12:Die Aussendung

Ein paar Anmerkungen

Dankeschön

Zum Nachdenken

Weiterführende Literatur

Quellenangaben

Vorwort

Die Dichterin Maya Angelou sagte einmal: „Es gibt keine größere Qual, als eine unerzählte Geschichte in dir zu tragen.“ Für Frauen, die die Geschichten des Patriarchats in sich tragen, beginnt die Freiheit mit dem Erzählen; sie beginnt mit den ersten Worten, die liebevollen laut ausgesprochen oder zu Papier gebracht werden: „Als ich ein kleines Mädchen war …“, „Ich erinnere mich, wie …“, „Damals …“

Ich lausche, als an vielen Tischgruppen solche Geschichten miteinander geteilt werden. Brot und Wein stehen zwischen uns, die Butter wird weich, und die Kerzen brennen herunter, während wir bis in die Nacht hinein reden. Eine junge Seminaristin erzählt von der Enttäuschung, vor einem leeren Saal zu sprechen, als sie ihre erste Predigt hielt und keiner ihrer männlichen Kommilitonen erschien. Eine Pastorin berichtet, dass ein Mann in der zweiten Reihe seinen Stuhl umdrehte, als sie sich auf einer Konferenz dem Rednerpult näherte – damit er sie nicht anschauen musste. Eine lebhafte junge Frau beschreibt die Erleichterung, die sie empfand, als sie und ihr Mann, mit dem sie seit zehn Jahren verheiratet war, erkannten, dass sie als gleichberechtigtes Team zusammenarbeiten können und ihrer Beziehung nicht irgendwelche hierarchischen Geschlechterrollen auferlegen müssen. Eine junge Mutter berichtet leise von dem sexuellen Missbrauch, den sie im Namen der „Unterordnung der Frau“ erlitten hat.

Ich erzähle, wie ich vor der Jugendgruppe meiner Highschool stand, um mein erstes öffentliches Zeugnis abzulegen. Ich war damals gerade sechzehn Jahre alt und gab aufgeregt die altbekannte Geschichte von mir – verloren und dann gefunden, blind und dann sehend, elend und dann wiedergeboren. Als ich fertig war, setzte ich mich neben einen Klassenkameraden, der sich daraufhin zu mir umdrehte und sagte: „Du bist wirklich eine gute Rednerin, Rachel. Schade, dass du ein Mädchen bist.“

Auf all diese Geschichten folgen Stöhnen, Lachen, Tränen, Mitgefühl und oft auch heiliges Schweigen. Sie werden in Wohnzimmern, Kirchen, Kleingruppen, Cafés, auf Campingplätzen, in Dörfern, auf den Straßen der Städte und in Chatrooms auf der ganzen Welt miteinander getauscht. Gemeinsam finden Frauen ihre Stimmen, teilen unsagbare Erlebnisse miteinander und singen das Lied der Freiheit. Eine Bewegung ist im Gange, eine heilige Unruhe erwächst. Und die Dinge werden nie wieder so sein wie zuvor.

In dieser Bewegung aus Familienmamas und Bibelwissenschaftlerinnen, Geschäftsführerinnen und Geflüchteten, Künstlerinnen und Aktivistinnen ist Sarah Bessey schnell zu einer meiner Lieblingsstimmen geworden. Ich verfolge sie nun schon seit einigen Jahren, und was ich an ihrer Arbeit am meisten liebe, ist die ruhige Stärke, mit der sie an die Sache herangeht, die Art und Weise, wie sie zeigt, dass man nicht wütend und hart sein muss, um unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Ich betrachte Sarah als eine große Schwester im Glauben, eine Frau, deren Weisheit und Reife mich herausfordern und deren Ehrlichkeit und Verletzlichkeit mich daran erinnern, dass sie auf diesem Weg an meiner Seite ist, einen Arm um meine Schulter gelegt.

In ihrem Blog und in diesem wunderbaren Buch tut Sarah das, was alle guten Geschichtenerzähler tun: Sie gibt uns die Erlaubnis zu lachen, die Erlaubnis, Dinge zu hinterfragen, die Erlaubnis, etwas langsamer zu machen, die Erlaubnis zuzuhören, die Erlaubnis, uns unseren Ängsten zu stellen, die Erlaubnis, unsere eigenen Geschichten mit mehr Mut und Liebe zu teilen. Oder um es mit ihren Worten zu sagen: „Da ist mehr Platz! Es gibt mehr Platz! Es gibt Platz genug für uns alle!“ Mit jedem Wort befreit Sarah uns von der Mühsal, unsere Geschichten allein zu tragen, damit wir Jesus (meinem Lieblingsfeministen) mit mehr Freiheit und Freude folgen können. Ich bin so dankbar.

Rachel Held Evans, Autorin

(1981–2019)

Lasst uns Frauen sein, die lieben

Von Idelette McVicker[1]

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Lasst uns Frauen sein, die ihre schneidenden Worte, die strengen Blicke, das ignorante Schweigen und die hochmütige Haltung ablegen und die Erde mit verschwenderischer Liebe füllen.

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Lasst uns Frauen sein, die Platz schaffen.

Lasst uns Frauen sein, die ihre Arme öffnen und andere in eine ehrlich gemeinte, großzügige und herrliche Umarmung ziehen.

Lasst uns Frauen sein, die einander tragen.

Lasst uns Frauen sein, die von dem abgeben, was sie haben.

Lasst uns Frauen sein, die sich trauen, die herausfordernden Dinge zu tun, die unerwarteten Dinge und die notwendigen Dinge.

Lasst uns Frauen sein, die für den Frieden leben.

Lasst uns Frauen sein, die Hoffnung verströmen.

Lasst uns Frauen sein, die Schönes hervorbringen.

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Lasst uns ein Heiligtum sein, in dem Gott wohnen kann.

Lasst uns ein Garten sein für empfindsame Seelen.

Lasst uns ein Tisch sein, an dem sich andere an der Güte Gottes laben können.

Lasst uns ein Schoß sein, in dem Leben wachsen kann.

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Lasst uns die großen Fragen unserer Zeit stellen.

Lasst uns die Ungerechtigkeiten dieser Welt ansprechen.

Lasst uns die Berge der Angst und Einschüchterung versetzen.

Lasst uns die Mauern niederreißen, die trennen und entzweien.

Lasst uns die Erde mit dem Wohlgeruch der Liebe erfüllen.

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Lasst uns auf die hören, die zum Schweigen gebracht wurden.

Lasst uns diejenigen ehren, die entehrt wurden.

Lasst uns „Es reicht!“ sagen zu Missbrauch, Verlassenwerden, Herabsetzung und Heimlichtuerei.

Lasst uns nicht ruhen, bis alle Menschen frei und gleich sind.

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Lasst uns Frauen sein, die klug, intelligent und weise sind.

Lasst uns Frauen sein, aus denen das Licht Gottes strahlt.

Lasst uns Frauen sein, die Mut fassen und das Lied in ihren Herzen singen.

Lasst uns Frauen sein, die Ja sagen zu der wunderschönen, einzigartigen Bestimmung, die in ihrer Seele schlummert.

Lasst uns Frauen sein, die das Lied im Herzen eines anderen Menschen hervorlocken.

Lasst uns Frauen sein, die ihren Kindern beibringen, das Gleiche zu tun.

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Lasst uns Frauen sein, die lieben trotz der Angst.

Lasst uns Frauen sein, die lieben trotz ihrer Geschichte.

Lasst uns Frauen sein, die laut, schön und heilig lieben.

Lasst uns Frauen sein, die lieben.

Einleitung Ein Lagerfeuer am Ufer

So, jetzt geht’s los: Lass uns unsere Ansichten, unsere fein säuberlich geordneten Bibelverse, unsere sorgfältig ausgearbeiteten Argumente niederlegen. Lass uns eine Pause einlegen und uns nicht länger in diesem stickigen Raum gegenübersitzen.

Lass uns nach draußen gehen. Ich wünsche mir, dass wir um eine mit Steinen umrandete Feuerstelle sitzen und den Mond betrachten, der über dem Wald aufgeht. Lass uns guten Rotwein trinken und uns in kuschelige Pullover einmummeln. Bald werden wir spüren können, wie sich die Kälte des Abends heranstiehlt, und die Berge ruhen mit gefalteten Händen.

Und ich wünsche mir, dass wir darüber reden – dass wir wirklich offen reden über Frausein, Gemeinde, Schubladen und darüber, wie es weitergeht. Denn die bösartigen Streitigkeiten, die Abgrenzungen, das „Du bist drin, aber die sind draußen“, die Debatten und das Totschweigen (oder Mundtotmachen) bringen uns nicht weiter, oder? Wir haben unsere Gemeinden oft wie Minenfelder behandelt und so getan, als sei die Theologie ein Schlachtfeld, als seien wir die Verwundeten und als seien wir die Verwundenden.

Ich will ehrlich sein: Einige der Dinge, die ich sagen werde, könnten dir missfallen. Vielleicht bist du mit einzelnen Aussagen nicht einverstanden, aber das ist okay – leiste mir trotzdem Gesellschaft. Lass uns hier sitzen, im harten Licht der Wahrheit und der schlichten Schönheit, in der Spannung des Jetzt-Schon und des Noch-Nicht von Gottes Reich, und lass uns entdecken, wie wir auf wunderschöne Weise unterschiedlicher Meinung sein können.

Egal, mit welcher „Seite“ oder Lehrmeinung du zu tun hattest, welche Erfahrungen du gemacht hast oder welcher kirchlichen Tradition du angehörst: Ich bin sicher, dass du Verletzungen davongetragen hast. Tun wir das nicht alle? Vielleicht hat jemand deine Gaben und deine Berufung, deine Fähigkeiten und deine Erfahrung heruntergespielt und weggeredet – vielleicht sogar deine Ehe, deine Geschichte, dein Zeugnis. Jemand hat dich vielleicht mit Bibelstellen und Begriffen und Beweistexten erschlagen und dir das Gefühl gegeben, dass du irgendwie falschliegst – entweder in dem, wie du deinen Glauben lebst, in deinen Überzeugungen oder sogar in deiner tiefsten Persönlichkeit. Vielleicht hat man dich verletzt, unterdrückt, gebrochen, gefesselt, gebremst und in die Enge getrieben, missbraucht, bedrängt, dir Grenzen gesetzt und dich zum Schweigen gebracht – dich oder jemanden, den du liebst. Ich kenne das, ja, ich kenne das nur allzu gut. Und vielleicht hast du selbst diese Sünden auch an jemand anderem begangen.

Nimm dir einen Moment Zeit, um dein Glas wiederaufzufüllen. Lass uns mit einem bittersüßen Lächeln auf die Wahrheit anstoßen. Es ist okay, ich verstehe das. Wohlweislich habe ich für später auch eine Thermoskanne mit starkem Tee mitgebracht. So sind wir Kanadier eben – wir lieben unseren Tee (beim Teetrinken kann man einfach keine allzu düsteren Gedanken hegen).

Ich habe eine verrückte Idee: Lass uns aufhören, um einen Platz am sagenumwobenen Tisch zu kämpfen. Du weißt schon: der Tisch, an dem alle Entscheidungen getroffen werden. An ihm sitzen die Hüter, die Bewahrer, die alle die gleichen Bücher lesen, die gleichen Argumente vorbringen, die sich gegenseitig zitieren und die üblichen Verdächtigen verunglimpfen oder verspotten. Es ist der Tisch, an dem Bündnisse und Gremien bildlich gesprochen in bequemen Sesseln sitzen, um darüber zu diskutieren, wer drinnen ist und wer draußen, wer recht hat (in der Regel sie selbst) und wer unrecht hat (alle anderen), und über das Dauerthema: ob es Frauen erlaubt sein sollte, zu lehren oder zu predigen oder gar aus der Bibel vorzulesen. Wir haben viel darüber gehört, wie Männer und Frauen denken oder handeln oder aussehen sollten, wie Ehen gestaltet und Kinder erzogen werden sollten; und es gibt jede Menge gesellschaftlicher Streitereien, spaltender Bezeichnungen, Beschimpfungen und sogar ein paar Höllendrohungen.

Allzu oft liefern wir unsere Seelen den Vorgaben dieser Bewahrer aus. Wir neigen ein bisschen zu schnell dazu, uns einem neuen Hirten anzuschließen statt dem Rabbi aus Nazareth, und wir sind alle wie die Israeliten, die sich damals nach einem „richtigen“ König sehnten, den man sehen und dem man folgen kann.

Schau dir den Himmel über uns an. Blicke hinauf in die Kathedrale, die Gott zuerst erschuf. Ich wünsche dir, dass du eine Weile an deinem Platz in der Geschichte Gottes mit uns Menschen zur Ruhe kommst, dass dein gehetzter Atem zur Ruhe kommt. Die Geschichte Gottes mit den Menschen hat nicht mit uns begonnen, sie wird nicht mit uns enden, und wer will schon in einem Elfenbeinturm leben, wenn es überall da draußen so viel frische Luft gibt?

Ich möchte bei den Außenseitern sitzen, bei den Rebellen, den Träumern, denjenigen, die zweite Chancen geben, den radikalen Gnadenspendern, denen mit den weit geöffneten Armen, denen, die mutig sind und sich verletzlich machen und sogar – oder vielleicht besonders – bei denen, die als nicht würdig oder nicht rechtgläubig genug abgelehnt und vom Tisch ferngehalten werden.

Am Tisch mag es laut und dominant zugehen, aber Liebe und Freiheit verbreiten sich wie Hefe. Ich sehe, wie sich Hoffnung einschleicht und alte Machtstrukturen ins Wanken bringt. Ich spüre sie im Boden unter meinen Füßen. Ich höre sie in den Geschichten der Menschen, die mit Gott leben. Wir flüstern uns gegenseitig mit leuchtenden Augen zu: „Aslan ist unterwegs.“[1] Spürst du das nicht auch? Das Reich Gottes ist schon mitten unter uns.

Ich möchte hier draußen in der kanadischen Wildnis am Wasser stehen und im Wind und in der Kälte auf meine alten Töpfe und Pfannen schlagen und rufen: „Da ist mehr Platz! Es gibt mehr Platz! Es gibt Platz genug für uns alle!“

Wir sind wie die Jünger, die einfach losziehen, in die Freiheit, gemeinsam, in der Absicht, Jesus zu folgen; weil wir ihn so sehr lieben. Wir finden uns hier draußen zusammen, und das ist schön und verrückt und christlich und heilig. Wir fahren einfach mit dem Werk der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit fort, mit der wunderbaren Aufgabe der Versöhnung und der Erlösung, dem Chaos der Freundschaft und der Gemeinschaft, dem Mut, auf dem Wasser zu gehen, und dem großen Traum vom Reich Gottes.

Ich wünsche mir, dass unsere Herzen mit Gnade und Freundlichkeit, Sanftmut und Liebe erfüllt sind, besonders für diejenigen, von denen wir glauben, dass sie sich zutiefst irren. Die Frohe Botschaft wird verkündet, wenn wir einander lieben. Ich bete um Einheit jenseits von Konformität, denn liebevolle Freundlichkeit verkündet die Gute Nachricht schöner und wahrhaftiger als jeder satirische Blogbeitrag oder die Demontage des Rufs und der Lehre eines anderen Jesus-Nachfolgers. Ich mache mir keine großen Sorgen mehr über den „Tisch“ und meinen Platz daran. Beten wir für sie, vergeben wir ihnen, wo sie uns verletzt haben, und beten wir für diejenigen, die in unserem Kreuzfeuer verwundet wurden. Gehen wir sanft mit ihnen um. Aber dann lasst uns weitermachen.

Während ich unsere Schwestern und Brüder auf der ganzen Welt sehe und mit ihnen lebe, arbeite und liebe, hat sich in meinem Herzen eine stille Veränderung vollzogen. Alles hat sich zu Hoffnung und Gnade, zu Freiheit statt Angst, zu Leben statt Tod verschoben.

Vor Jahren habe ich mich in Wut und Zynismus geübt, wie ein Pianist, der immer und immer wieder Tonleitern übt.Ich trainierte regelrecht die Kunst der Verteidigung – im Hinblick auf meine Entscheidungen und meine Mutterschaft, meine Theologie und meine politischen Überzeugungen. Und dann ging ich in die Offensive. Ich wiederholte das Ganze mit Empörung und voller Wut. Reflexhaft sprang ich sofort auf, um jede irrige Überzeugung zu korrigieren und jede Wahrheit zu verteidigen, jeden aufrührerischen Blogbeitrag zu widerlegen und über jede Frage zu dozieren. Auch der kleinste Anflug von Uneinigkeit rief meine Wut hervor: „Blast zum Kampf! Auf sie mit Gebrüll!“ Wie so viele von uns bezeichnete ich das als „kritisches Denken“, verbarg damit aber in Wirklichkeit nur meine Verbitterung und fragte mich gleichzeitig, warum mir diese ständige Suche nach der Wahrheit keine Freude bereitete.

Dann hatte ich genug von dieser bühnenreifen Darstellung meiner eigenen Größe und meines gerechten Zorns und beschloss, das Rampenlicht und den glänzenden Flügel hinter mir zu lassen. Ich hatte genug von der professionellen Rechthaberei; ich wollte stattdessen eine von Gott Geliebte sein. Hier draußen, am selben Ufer, an dem wir auch jetzt gerade sitzen, stellte ich mir vor einigen Jahren vor, dass ich in einem Ramschladen ein altes, ramponiertes Klavier fand, auf dem ich nun das Spielen übte. Zuerst war ich ungeschickt und unbeholfen und musste Güte und Wahrheit einüben, als seien es Tonleitern. Sanftmut und Schönheit übe ich noch immer, immer und immer wieder. Vielleicht werden meine Finger eines Tages, ohne groß nachzudenken, die richtigen Tasten finden.

Ich möchte Treue und Freundlichkeit flüssig spielen können; ich lerne, meine Sinne mit immer neuen Wiederholungen von wachen Augen und offenen Händen und unschuldigem Spaß und heiligem Lachen zu füllen. Ich möchte mit Freude und Hingabe üben. Ich möchte die Wahrheit sagen, aber zuerst möchte ich die Wahrheit leben.

Ich will Schönes nicht länger mit meinem Zynismus entweihen. Ich will kritisches Denken nicht länger mit einer kritischen Grundhaltung verwechseln, und ich will mich unaufhörlich in Geduld und Friedfertigkeit üben, bis es wehtut und meine sanften Antworten sogar meinen eigenen Zorn verblassen lassen. Ich will frische Luft atmen, während ich wieder und wieder lerne, dass Gnade ein Geschenk ist und Weisheit geehrt werden sollte; und wenn meine Finger sich verspielen, wenn meine Noten flach oder schief klingen, werde ich es einfach wieder von vorn versuchen.

Wir üben, wie Jesus zu leben, immer und immer wieder, bis es uns wie Schuppen von den Augen fällt und unsere Ohren wirklich hören. Und eines Tages, so denke ich, werden unsere Finger über die Tasten des alten Klaviers fliegen, sie werden die alten Kirchenlieder und die neuen Songs spielen, und wenn wir aufblicken, so wette ich, dass die Wiese am Rand des Wassers mit Menschen übersät sein wird, die tanzen, herumwirbeln, mit den Füßen stampfen und lachen, und Kinder werden hüpfen und springen, und wir werden das Lied singen, das wir bis in alle Ewigkeit singen sollten. Die Steine werden rufen, und die Bäume werden in die Hände klatschen, und die Festtafel wird unter dem Gewicht von Früchten, Wein und Brot ächzen, und wir werden alle singen, bis die Sterne vom Himmel fallen.

Vielleicht ist es nicht so sexy, die guten, hoffnungsvollen Geschichten zu erzählen und auf welche Weise die Braut in unseren Augen schöner wird, während sie gleichzeitig doch altert. Es macht nicht so viel Spaß, wie den Status quo infrage zu stellen oder andere lautstark dafür zu verdammen, wie sie ihr Leben führen. Die Revolution der Liebe kann viele verschiedene Formen annehmen, von denen die meisten gut und mutig sind, gerade weil sie so unterschiedlich sind. Und ich bin dankbar für die Menschen, die zu dieser harten Aufgabe der Pragmatik und des gegenseitigen Schleifens berufen sind. Manchmal werfen wir die Tische im Tempel um, und ein anderes Mal laden wir zum Gespräch ein, indem wir mit einer Entschuldigung beginnen. Das hier ist nur ein Lagerfeuer am Strand; ich kann um uns herum noch viele andere sehen, aber ich mag meine kleine Stelle hier.

Ich könnte mein gesamtes Leben damit zubringen, die wunderbaren Geschichten von normalen Radikalen zu erzählen, von den ganz gewöhnlichen Menschen, die direkt neben dir in der Kirchenbank oder im Kinosessel sitzen, in den Wohnzimmern und Hinterhöfen, in den Flüchtlingslagern und an den Küchentischen, und die Zeit würde immer noch nicht reichen, denn es gibt so viele Oasen der Liebe und Freiheit in der weltweiten Gemeinde.

Heute Abend, an diesem Lagerfeuer, möchte ich uns in die Wärme guter Geschichten, kraftvoller Liebe und prophetischer Berufungen einhüllen. Wir ringen mit der tiefen biblischen Wahrheit, die in alltäglichen Heldengeschichten von gewöhnlichen Menschen wie du und ich durch die Zeitalter hindurch geflüstert und geschrien wurden – nämlich die Wahrheit der wiedererlangten Freiheit und unserer Liebe zu einer Kirche, deren einziger Vorzug Christus selbst ist. Dabei führen wir unser Leben in der beschwingten Gewissheit, dass Gott uns liebt. Für mich geht es in unserer gemeinsamen Zeit hier vor allem darum, mitten in den Lügenfeldern des Feindes Vorposten für das Reich Gottes zu errichten.

Und eines Tages – das glaube ich wirklich – werden wir die Menschen am „Tisch“ umarmen, wenn diese das polierte Eichenholz zertrümmern. Wir werden ihnen helfen, es aus den Fenstern zu werfen und jede gläserne Decke zu durchbrechen, die Frauen Grenzen setzt – zurück bleiben nur noch die Scherben zerbrochener Lügen. Wir werden vor den Bergen aus Steinen stehen, die einst als Waffen dienten, und einen Altar aus ihnen errichten. Gott ist uns hier begegnet. Wir werden aus den hölzernen Überresten des Tisches ein weiteres Lagerfeuer entzünden, und dann werden wir gemeinsam lachend um die alten Streitigkeiten herumtanzen.

All das ist mein Geschenk an dich. Ich bin fest entschlossen, es zu teilen, es in Worte zu fassen, wenn vielleicht auch unvollendet und unvollkommen. Leonard Cohen schreibt, dass alles einen Riss hat – so kann das Licht eindringen.[2] Und, halleluja, ich glaube, so kann das Licht auch herausdringen.

Vielleicht ist es kein Wunder, dass Frauen die Ersten an der Wiege und die Letzten am Kreuz waren. Sie hatten noch nie einen solchen Mann getroffen – und es hat auch nie wieder einen wie ihn gegeben. Einen Propheten und Lehrer, der nie an ihnen herumnörgelte, nie schmeichelte oder drängte oder gönnerhaft war; der sich nie über sie lustig machte, sie nie mit „Weiber, Gott steh uns bei!“ oder „Schwestern, Gott segne sie!“ tituliert hat; der sie ohne Vorwurf getadelt und ohne Herablassung gelobt hat; der ihre Fragen und Anliegen ernst genommen hat; der ihnen nie „ihren“ Bereich zugewiesen hat, sie nie dazu gedrängt hat, weiblicher zu sein, oder sie dafür belächelt hat, Frauen zu sein; der mit ihnen keine Rechnung offen und keine empfindliche männliche Würde zu verteidigen hatte; der sie so angenommen hat, wie sie ihm begegnet sind, und der völlig unbefangen war. Es gibt im gesamten Evangelium keine Tat, keine Predigt, kein Gleichnis, die ihre Pointe aus einer Verspottung des Weiblichen ziehen; niemand könnte aus den Worten und Taten von Jesus darauf schließen, dass man sich über Frauen lustig machen kann.

Dorothy Sayers: Are Women Human?

Kapitel 1 Jesus hat eine Feministin aus mir gemacht

Jesus hat eine Feministin aus mir gemacht.

Das stimmt.

Ich kann mich nicht da rausreden, auch wenn ich weiß, dass „Jesus“ und „Feministin“ zwei Etiketten sind, die fast jeden irgendwie befremden. Ich verstehe das – wirklich.

Ich weiß, dass der Feminismus vor allem in der evangelikalen Szene ein großes Problem darstellt. In den Köpfen vieler gibt es die üblichen Stereotypen: Feministinnen – das sind diese schrillen Spaßverderberinnen, Männerhasserinnen, geifernde Abtreibungsbefürworterinnen, Hardcore-Lesben, von denen wir überall lesen und hören müssen und die sich über Mutterschaft und Hausfrauendasein lustig machen. Der Feminismus wurde schon für den Zusammenbruch der Kernfamilie, Probleme mit der Kinderbetreuung, körperlichen und sexuellen Missbrauch, Wirbelstürme, das Ende der „richtigen Männer“, den Niedergang der christlichen Kirche in der westlichen Welt und spektakulär schlechtes Fernsehen verantwortlich gemacht. Allerdings ist das meiste von dem, was uns als Feminismus verkauft wurde, bloß Fehlinformation, die uns Angst machen soll.

In manchen Kreisen ist die Verwendung des Wortes „feministisch“ das Äquivalent zu einer Stinkbombe, die in die Kirche geworfen wird – eine Beleidigung, etwas, über das man sich empört. Wahrscheinlich sehen einige Leute dieses Buch und denken, sie wüssten genau, welche Art von Autorin hinter den hier geschriebenen Worten steckt: eine verbitterte Männerhasserin, die behauptet, dass es zwischen Männern und Frauen keine erkennbaren Unterschiede gibt, eine grimmige und humorlose Zeitgenossin vielleicht. Und so ist es kein Wunder, dass sie beim Anblick des Namens „Jesus“ im Umfeld von „Feminismus“ reagieren, als hätte jemand mit langen Fingernägeln über eine Kreidetafel gekratzt. Wer könnte ihnen das auch verübeln, wenn man bedenkt, was man uns über Feministinnen erzählt?

Ich gehe ein Risiko ein, wenn ich das Wort „Feminismus“ hier in diesem Buch verwende – ich weiß. Aber ich möchte, dass du dieses Risiko gemeinsam mit mir eingehst. Was mit mir ist? Ich mag das Wort „Feministin“, auch wenn es die Leute nervös macht oder gar einen kleinen Aufstand verursacht. Der Begriff „Feminismus“ macht mir keine Angst und beleidigt mich nicht; ich würde es sogar begrüßen, wenn die Kirche ihn (wieder) für sich beanspruchen würde.

Manche werfen Christinnen und Christen, die für Feminismus eintreten, vor, auf peinliche und fehlgeleitete Weise vor der säkularen Gesellschaft zu kapitulieren. Es mag Feministinnen- und Christenhasser gleichermaßen überraschen zu erfahren, dass die Wurzeln des Feminismus bis zum großen Engagement christlicher Frauen in der Abstinenzbewegung, den Frauenrechtsbewegungen und – vor allem in den USA und in England – in den Abolitionismus-Bewegungen des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Bis heute gibt es einen Pro-Life-Feminismus.[1] Der christliche Feminismus ist älter als die Werke der säkularen feministischen Schriftstellerinnen der zweiten und dritten Welle wie Betty Friedan, Simone de Beauvoir, Gloria Steinem, Rebecca Walker und Naomi Wolf. Feminismus ist ein komplexes Gebilde und sieht für jeden Menschen anders aus, und das ist ja auch beim Christentum nicht anders. Man muss nicht alle unterschiedlichen – und teils gegensätzlichen – Meinungen innerhalb des Feminismus teilen, um sich als Feministin zu bezeichnen.

Der Feminismus hat durch „säkulare“ Werke und Forschung an Popularität gewonnen, aber es sind Menschen, die hier eine Grenze zwischen „heilig“ und „weltlich“ gezogen haben. Da Gott die Quelle aller Wahrheit ist, dürfen Christinnen und Christen Gott durchaus für all die guten Errungenschaften danken, die mit dem Feminismus einhergegangen sind, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Frauen vor dem Gesetz als „Personen“ gelten, sowie das Wahlrecht, das Recht auf Eigentum und die strafrechtliche Verfolgung von häuslicher Gewalt und Vergewaltigung. Der kanadische Theologe Dr. John G. Stackhouse jr. sagt: „Christliche Feministen können jede Art von Feminismus feiern, der der Welt mehr Gerechtigkeit und menschliches Wohlergehen beschert, ganz gleich, wer dies bewirkt, da wir in allem, was gut ist, die Hand Gottes erkennen.“[2] Der moderne christliche Feminismus ist quicklebendig – er reicht von Organisationen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, über christliche Hochschulen und Gemeinden bis hinein in die Wohnzimmer dieser Welt.

Im Kern geht es bei Feminismus einfach nur um die radikale Vorstellung, dass auch Frauen Menschen sind. Feminismus bedeutet lediglich, dass wir die Würde, die Rechte, die Fähigkeiten und das Wohlergehen von Frauen für genauso wichtig halten wie die von Männern – nicht wichtiger, aber auch nicht weniger wichtig – und dass wir die Diskriminierung von Frauen ablehnen.[3]

Als ich vor einigen Jahren anfing, mich als Feministin zu bezeichnen, zogen einige Christen die Augenbrauen hoch und fragten: „Was für eine Art von Feministin genau?“ Ich lachte und sagte spontan: „Oh, eine Jesus-Feministin!“ Irgendwie gefiel mir diese kecke Formulierung, und jetzt bezeichne ich mich bewusst als Jesus-Feministin, denn für mich bedeutet der Zusatz, dass ich gerade wegen meines lebenslangen Engagements für Jesus und seinen Weg eine Feministin bin.

Das Patriarchat ist nicht Gottes Traum für die Menschheit. Ja, ich will es noch einmal sagen, lauter. Oder, nein, ich will mich neben unser kleines Lagerfeuer stellen und es laut herausschreien. Ich werde so laut rufen, dass ich damit die Seesterne am Strand und die Mächtigen gleichermaßen erschrecke: Das Patriarchat ist nicht Gottes Traum für die Menschheit. Das war es nie und wird es nie sein.

Stattdessen sind wir, weil wir zu Jesus gehören und wegen dem, was er für uns getan hat, eingeladen, am Reich Gottes teilzuhaben – sowohl Männer als auch Frauen. Wir sind eingeladen, uns Gottes Mission der Wiederherstellung anzuschließen, die zu immer mehr Gleichheit und Freiheit führt. Wir können uns dafür entscheiden, uns gemeinsam mit ihm für Gerechtigkeit und Heilung einzusetzen, oder wir können uns dafür entscheiden, die kaputten Strukturen dieser Welt zu unterstützen, indem wir Ungerechtigkeit und Machterhalt in fromm klingende Sprache verpacken. Feminismus ist nur eine Möglichkeit, wie wir an dieser Erlösungsbewegung teilnehmen können.

Meist werden zwei Adjektive verwendet, um die Rolle und die Stellung der Frauen in der Kirche zu beschreiben, und zwar im Guten wie im Schlechten: egalitär und komplementär.

Im Grunde, so die Theologin Carolyn Custis James, „glauben Egalitaristen, dass Leitung nicht durch das Geschlecht bestimmt wird, sondern durch die Gaben und die Berufung durch den Heiligen Geist, und dass Gott alle Gläubigen aufruft, sich einander unterzuordnen“. Im Gegensatz dazu „glauben Komplementaristen, dass die Bibel die Autorität des Mannes über die Frau festschreibt und damit die männliche Führung zum biblischen Standard macht“.[4]

Beide Seiten verstehen sich darauf, die Bibel als Waffe zu gebrauchen. Auf beiden Seiten gibt es Fundamentalisten und Dogmatiker. Man versucht, den anderen mit Belegstellen und Apologetik zu übertrumpfen – und jemand hat mal gesagt, dass es keinen hasserfüllteren Menschen gibt als einen Christen, der glaubt, dass sein Gegenüber theologisch im Irrtum ist. In unserem Begehren, recht zu haben, lernen wir Argumente auswendig und sind bereit, sie jederzeit von uns zu geben. Traurigerweise verdrehen wir die manchmal durchaus schlüssigen Argumente der anderen und werfen ihnen vor, ein „Feind des Evangeliums“ zu sein.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass manche Leute es lieben, die Erklärungen der Gegenseite zu durchlöchern, auf Ungereimtheiten hinzuweisen und mit Bibelversen, wissenschaftlichen Zitaten und Religionsgeschichte um sich zu werfen. Einige machen das richtig gut, sind freundlich-geschickt und respektvoll und erinnern dabei an kampflustige Boxer, die umeinander tänzeln. Andere sind eher wie Wrestler, die in Blogs oder Facebook-Kommentaren, an Vorstandstischen oder in Klassenzimmern, in Cafés oder christlichen Buchhandlungen mit viel Empörung gegeneinander antreten – alles in dem Bemühen, herauszuarbeiten, warum der andere unrecht hat; Theologie ist für sie ein Kampf auf Leben und Tod.

Und das ganze Volk rief: „Das ist doch anstrengend.“

Könnten wir uns also kurz auf eine Sache einigen, bevor ich fortfahre? Ich bin davon überzeugt, dass Gottes Familie groß und vielfältig, herrlich und weltumspannend ist. Dogmatische Kategorien sind zwar manchmal nützlich, wenn es um Diskussionen in Büchern und im Unterricht geht, aber sie sind nicht unbedingt die richtigen Werkzeuge, wenn wir es mit dem alltäglichen Leben oder mit Beziehungen zu tun haben.

Die meisten von uns bewegen sich irgendwo zwischen diesen beiden Polen.

Einigen wir uns, zumindest für den Moment, darauf, dass vermutlich beide Seiten sowohl falsch- als auch richtigliegen. Ich liege wahrscheinlich falsch, du liegst wahrscheinlich falsch, aber auch das Gegenteil ist wahr, denn wir sehen immer noch unvollkommen wie in einem trüben Spiegel.[5] Deshalb möchte ich mich Gottes Mysterien und den individuellen Erfahrungen des Menschseins mit Staunen und Demut und einer offenen Haltung nähern.

Ich versuche, mich nicht länger um die Streitigkeiten zwischen Komplementären und Egalitaristen zu scheren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Aufgabe hier auf Erden nicht darin besteht, Wortgefechte zu gewinnen oder irgendwelche theologischen Verrenkungen zu betreiben, um jemanden zu beeindrucken. Ich glaube nicht, dass ausgefeilte Argumente Gott verherrlichen, wenn man damit auf den anderen losgeht, als seien es Waffen. Außerdem bezweifle ich sehr, dass dieses kleine Buch einer fröhlichen, blauäugigen, Jesus liebenden kanadischen Mama diese Debatte beenden wird, wenn so viele gelehrtere und klügere Leute als ich weiter debattieren und streiten. Darum geht es mir auch gar nicht.

Ich lese schon seit vielen Jahren die Evangelien und auch den restlichen biblischen Kanon und habe dabei eines über Jesus und die Frauen gelernt: Er liebt uns.Zu unseren eigenen Bedingungen. Er behandelt uns genauso wie die Männer um ihn herum; er hört zu; er setzt uns nicht herab; er ehrt uns; er fordert uns heraus; er lehrt uns; er schließt uns ein – er macht deutlich, dass wir alle geliebt sind. Das widerspricht auf wunderbare Weise den kulturellen Erwartungen seiner Zeit – selbst unserer Zeit. David Joel Hamilton bezeichnet die Aussagen und das Handeln von Jesus gegenüber Frauen als „kontrovers, provokativ, ja, sogar revolutionär“.[6]

Jesus liebt uns.

In einer Zeit, in der Frauen in der Literatur fast gar nicht vorkamen, bejaht und feiert die Bibel sie. Frauen hatten an der Lehre von Jesus teil, waren Teil seines Lebens. Frauen waren bei allem dabei.

Maria, seine Mutter, war ein junges Mädchen in einem besetzten Land, als sie mit dem Friedensfürsten schwanger wurde. Laut Rachel Held Evans betont die Bibel, dass Maria aufgrund ihres Gehorsams würdig war, aber „nicht des Gehorsams gegenüber einem Mann, nicht gegenüber einer Kultur, nicht einmal gegenüber einer Sache oder einer Religion, sondern gegenüber dem schöpferischen Wirken eines Gottes, der die Demütigen erhebt und die Hungrigen mit Gutem beschenkt“.[7]

Selbst Marias „Magnificat“ ist erstaunlich subversiv und kühn, nicht wahr?[8] Trotz gegenteiliger Beweise singt sie davon, dass sie gesegnet ist, dass Gott die Niedrigstehenden erhöht, die Hungrigen mit guten Dingen sättigt und die Reichen leer ausgehen lässt.

Wenn ich die Evangelien lese, dann kann ich dort sehen, dass Jesus Frauen nicht anders behandelt hat als Männer, und das gefällt mir. Wir sind nicht zu zartfühlend für klare Worte oder empfindlich wie feines Porzellan. Wir bekommen keinen Freifahrtschein und Jesus äußert auch keine leisen Zweifel an unserer Fähigkeit, zu verstehen, etwas beizutragen oder uns zu engagieren. Frauen sind nicht zu weich oder schwach, um den Heiligen Geist zu empfangen, und auch nicht zu eifersüchtig oder zu unsicher, um das Reich der Finsternis zurückzudrängen. Jesus bevormundet sie nicht und behandelt sie auch nicht herablassend.

Frauen brauchen genau wie Männer Erlösung. Wir alle brauchen das, was Jesus am Kreuz für uns getan hat, und sind eingeladen, ihm auf dem Weg zu ewigen Leben nachzufolgen. Wenn wir die Botschaft von Jesus lesen und das verfolgen, was er getan hat und wie es in der Bibel festgehalten ist, dann können wir sehen, wie „nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau“ im wahren, realen Leben aussieht.[9]