Und ewig schläft das Pubertier - Jan Weiler - E-Book

Und ewig schläft das Pubertier E-Book

Jan Weiler

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Beschreibung

Wenn es erst einmal wach ist, hält es die Welt in Atem: Das Pubertier. Und inzwischen hat sich Nick zu einem Parade-Exemplar entwickelt. Als männliches Pubertier besticht auch er durch faszinierende Einlassungen zu den Themen Mädchen, Umwelt und Politik sowie durch seine anhaltende Begeisterungsfähigkeit für ganz schlechtes Essen und seltsame Musik. Er wächst wie Chinagras und trägt T-Shirts und Frisuren, die uns dringend etwas sagen wollen. Ansonsten allerdings ist die Kommunikation mit dem Pubertier auf ein Mindestmaß reduziert, es spricht wenig, dafür müffelt und chillt es ausgiebig. Und die Liebe spielt in diesem dritten Teil der Pubertier-Saga eine immer größer werdende Rolle sowie auch die Wahl der richtigen Schuhmode. Im Pubertierlabor werden über einen möglichen Zusammenhang beider Phänomene Mutmaßungen angestellt. Gemutmaßt werden darf außerdem über die Frage, wann diese verfluchte Pubertät eigentlich aufhört. Der Erzähler schaut manchmal in den Spiegel und denkt: Eigentlich nie.

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www.piper.de/literatur

Die Texte in diesem Band erschienen als Kolumnen unter dem Titel »Mein Leben als Mensch« in der Welt am Sonntag sowie unter www.janweiler.de.

Ein Dankeschön an Marcel Vega für den schönen Titel dieses Buches

ISBN 978-3-492-97910-8

Juli 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Cover- und Innenillustrationen: Till Hafenbrak

Datenkonvertierung: Kösel, Krugzell

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DER SCHLÄFER

Manchmal kann ich nicht schlafen. Es ist dann nichts Besonderes, aber ein Gegrübel legt sich über meine Müdigkeit, und ich denke über alles Mögliche nach, zum Beispiel über die Veränderungen bei uns zu Hause. Die Kinder werden immer größer. Manchmal brauchen sie mich überhaupt nicht mehr. Es ist nicht zum Aushalten. Der Vater als Instanz, als erfahrener Lehrer in den Dingen des Lebens, als eine Art Meister Yoda im familiären Sternenkrieg. So sehe ich mich gerne. Leider betrachten mich meine Kinder ganz anders, nämlich als möchtegernautoritäre Nervensäge mit zweifelhaftem Musikgeschmack.

Dabei würde ich meinen Kindern so gerne noch Sachen beibringen. Aber das klappt nicht mehr. Vor einiger Zeit zum Beispiel stellte mir Nick eine Frage zur Französischen Revolution. Ich liebe die Französische Revolution. Schon wegen der Klamotten. Und wegen Danton. Also begann ich, mit großer Begeisterung alles zu erzählen, was mir noch einfiel. Zum Beispiel fasziniert mich die Tatsache, dass die Regenten der damaligen Zeit unfassbare Ferkel waren. Sie verrichteten ihr Geschäft gerne direkt in den Salons ihrer Paläste, überpuderten ihre Körpergerüche, anstatt sich zu waschen, und hatten Zähne wie Gollum. Ebenfalls sehr eindrucksvoll fand ich immer, dass der ermordete Jean Paul Marat einen sehr coolen Turban in der Badewanne trug. Mein Sohn hörte geduldig zu, um schließlich mitzuteilen, das sei alles ganz interessant, er habe aber nur wissen wollen, wer beim Sturm auf die Bastille befreit wurde. Wusste ich natürlich nicht und verwies auf Wikipedia. Das ist ja eigentlich der größte Jammer: Wenn man schon mal etwas beitragen kann, ist es nicht gefragt. Und wenn man gefragt wird, kann man nichts beitragen.

Ich habe mich weitgehend damit abgefunden und konzentriere mich auf geheime Fähigkeiten, die ich an mir entdeckt habe und die ich vor meiner Frau und den Kindern verberge wie Superkräfte, von denen niemand wissen darf. Zum Beispiel kann ich meine Familienmitglieder am Reinkommen erkennen. Gut, es sind nur drei, manchmal auch vier, denn Carlas Freund Alex darf inzwischen auch ohne sie ins Haus und betritt es meistens durch die unabgeschlossene Terrassentür, was ich etwas merkwürdig finde. Wir haben nie darüber gesprochen. Das Haus hat eine Klingel. Er könnte auch einen Schlüssel von uns haben. Aber er kommt durch den Garten und steht dann plötzlich wie der Sensenmann mit dem Brotmesser in der Hand in unserer Küche.

Jedenfalls kann ich meine Familie an Eigenheiten ihres Reinkommens erkennen. Bei Sara höre ich den Schlüsselbund und das Geräusch, wenn sie einen Kleiderbügel in die Garderobe hängt. Carla hingegen benutzt keine Kleiderbügel. Dafür geht sie, nachdem sie das Haus betreten hat, aufs Klo. Das eben war eindeutig unser Nick. Er ist am einfachsten zu erkennen. Er wirft die Tür zu, wumms. Dann lässt er den Rucksack fallen, rumms, dann geht er ins Wohnzimmer, schlurf, und sinkt auf die Couch hinab, was ein nicht näher beschreibbares Plumps-Geräusch macht, das lautmalerisch ungefähr klingt wie sack.

Manchmal hört man vorher noch die Kühlschranktür, aber meistens nur sack. Dann muss man schnell sein, wenn man ihn sprechen möchte, denn innerhalb weniger Augenblicke ist er eingeschlafen. Seine Müdigkeit ist legendär. Letzte Woche war ich mit ihm im Teppichhaus. Er wünschte sich einen flotten Bodenbelag für sein Zimmer. Dieses Zimmer heißt im internen Sprachgebrauch nur noch: die Schläferzelle. Wir waren also im Teppichhaus. Die Ausstellungsstücke lagen in großen weichen Stapeln herum. Ich lief mit Nick durch die Reihen, wir fassten Teppiche an, begutachteten die Qualität, Muster und Farben.

Ich prüfte, streichelte und redete vor mich hin. Dann entdeckte ich einen sehr schönen Teppich und sagte: »Was ist mit dem hier? Weich und hochflorig. Hochflorig ist super. Das bedeutet, dass die Chipskrümel ungestört einen eigenen Knabberzeug-Staat da drin errichten können. Nick. Nick?« Ich drehte mich um, aber mein Sohn war weg. Ich entdeckte ihn schließlich in dreißig Metern Entfernung, wo er auf einem Turm aus Teppichen des Modells »Harmonie« Platz genommen hatte, um sofort in embryonaler Stellung ein Nickerchen zu beginnen. Wir haben uns dann für diesen Teppich entschieden und fuhren nach Hause.

Der Teppichkauf war so anstrengend, dass Nick sich nicht bloß währenddessen, sondern auch danach ein wenig hinlegen musste. Dasselbe muss er auch nach der Schule, nach dem Training, nach dem Essen und nach dem Duschen sowie vor der Schule, vor dem Training, vor dem Essen und vor dem Duschen. Manchmal machen Sara und ich uns Sorgen. Neulich ist er in der Schlange bei McDonald’s eingeschlafen. Ich musste ihn wecken und seine Bestellung aus ihm herausschütteln. Nick erinnert mich an den berühmten Wanja aus einer Geschichte von Otfried Preußler. Wanja verpennt darin Jahre seines Lebens, die er im Wesentlichen schlummernd auf einem Ofen verbringt. Wenn er wach ist, futtert er Sonnenblumenkerne. Eines Tages steht er auf, zieht los und wird am Ende Zar von Russland. Letzteres ist von unserem Nick nicht zu erwarten, und ich will auch gar nicht, dass er Zar wird, weil Zaren historisch betrachtet eine kurze Lebenserwartung haben. Es würde mich aber freuen, wenn er mich beim Sprechen wenigstens nicht immer angähnen würde. Forscher sprechen dieser Symptomatik einen gewissen Krankheitswert zu, manchmal ist dann die Rede von Narkolepsie, an der Nick jedoch nicht leidet. Er kann nämlich überraschend aufgeweckt sein, wenn es ihm Spaß macht oder das Wachsein sich lohnt. Unser Arzt sagte dann auch, die ganze Sache habe bei ihm mit dem Melatoninspiegel zu tun. Und dass die Jugendlichen eben allgemein abends früher ins Bett müssten. Wenn sie dies beherzigten, sei der Spuk schnell vorbei.

Es gibt auch mindestens einen sehr sympathischen Aspekt an der Dauermüdigkeit unseres Kindes, den man mit einem Zitat gut veranschaulichen kann. »Im Kino einzuschlafen bedeutet, dem Film bedingungslos zu vertrauen«, hat der Filmkritiker Michael Althen einmal bemerkt. Dieses Bonmot lässt sich aufs ganze Leben anwenden: Ständig einzupennen bedeutet, dem Leben bedingungslos zu vertrauen. Dies ist am Ende eine wirklich beruhigende Erkenntnis. Schlaft schön, liebe Kinder. Wenn ihr aufwacht, liegt immer noch das ganze Leben vor euch.

ALLTAG BEI UNS

Eine halbe Stunde nachdem Nick sich hingelegt hat, kommt seine große Schwester nach Hause. Carla ist inzwischen siebzehn, und manchmal ist sie auch schon vierzig. An anderen Tagen aber auch erst sechs. Ich höre immer genau hin, wenn sie nach Hause kommt und versuche anhand der Geräusche, auf ihr momentanes Alter zu schließen. Dann gehe ich in die Küche und spreche sie an. Ich liebe es, mit ihr zu quatschen, denn das ist meistens inspirierend. Gerade teilte sie mir mit, sie habe auf dem Fahrrad vor lauter Kälte Knusperöhrchen bekommen. Wahrscheinlich hat sie das Wort soeben erfunden. Zum Dank für diese feine Wendung mache ich ihr einen Kakao.

Gleich anschließend geht es um die Frage, ob sie sich beim Lernen für Französisch oder Mathe entscheidet. In einem der beiden Fächer wird sie unweigerlich bei einer Fünf landen, denn sie kann ihre Entlassungsproduktivität nur entweder auf das eine oder das andere richten. Lernt sie also Mathe, wird es in Französisch nicht reichen und umgekehrt. Bei der Entscheidung spielt letztendlich keine Rolle, welche der beiden Disziplinen sie später dringender braucht. Sie hat mir erklärt, dass sie bei der Partnerwahl notfalls auf jemanden zurückgreift, der einen Taschenrechner bedienen kann, und dass sie nicht vorhat, jemals im Leben nach Frankreich zu reisen, weil die Franzosen uns eh nicht leiden könnten.

Ihre Entscheidung, sich in Mathematik reinzuhängen, trifft sie schließlich mit emotionaler Intelligenz. Sie hat nämlich festgestellt, dass die Mathelehrerin die gleichen Schuhe trägt wie sie. Da ist also auf der Beziehungsebene eine gewisse Verbundenheit, was man vom Französischlehrer nicht unbedingt sagen kann, denn dieser trägt ganzjährig Sandalen, die aussehen wie die Vorderflosse eines Ichthyostega. Carlas Entscheidung gegen Französisch wird übrigens von vielen französischen Schulkindern geteilt. Die sind in Rechtschreibung inzwischen so schwach, dass ihnen der inkorrekte Einsatz von Akzenten auf ihren e’s nicht mehr angekreidet wird.

Ich höre mir das alles an und beobachte mein Kind, das gerade so abgeklärt, so enteilt, so erwachsen wirkt. Dann wird ihr warm. Sie zieht ihre Jacke aus, lässt diese auf den Boden fallen, schreitet zum Kühlschrank und wirft einen missbilligenden Blick hinein. Innerhalb von höchstens sieben Sekunden ist sie um Jahre gejüngert und höchstens noch dreizehn. Vielleicht vierzehn. Sie beschwert sich in höchster Dringlichkeit darüber, dass in dem verdammten Kühlschrank nichts drinne sei, was man einfach so essen könne. Ich weise sie ernährungspädagogisch in Bestform darauf hin, dass sich im Kühlfach Möhren befänden, die man zweifelsfrei einfach so essen könne. Sie schließt den Kühlschrank und schimpft, diese Antwort sei ein Beleg dafür, dass man mit mir nicht reden könne. Ich würde einfach nichts kapieren. Ich sage, dass auch noch ein Kohlrabi da sei, aber sie geht grußlos in ihr Zimmer, um ein Voodoo-Püppchen zu quälen. Jedenfalls tut mir dann der rechte Unterarm weh.

Eine halbe Stunde später störe ich sie beim Multitasking: Sie verfolgt einen Youtube-Kanal, zupft dabei ihre Wimpern, telefoniert und fertigt Hausaufgaben an. Das sind vier Tätigkeiten, die man ausgezeichnet miteinander verbinden kann. Man spart viel Zeit und könnte sogar noch etwas essen, wenn denn irgendwas im Haus wäre. Jedenfalls habe ich Bock auf Remmidemmi, also frage ich sie, ob sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Tochter womöglich die Entrümpelung und Säuberung ihres Zimmers auf die Tagesagenda setzen könne. Ich finde das sehr feinfühlig. Andere Väter reißen die Tür auf und grunzen: »Aufräumen.«

Carla reagiert ablehnend und behauptet mit Blick auf ihr Handy, sie habe Wichtigeres zu tun. Das ist wohl richtig. Die Erfindung des Internets und die Versorgung der Kinder mit Smartphones haben dazu geführt, dass alle Kinder immer Wichtiges zu tun haben. Das löst bei den Erwachsenen ambivalente Gefühle aus, denn einerseits hält die stete Beschäftigung mit Mobiltelefonen die Kinder davon ab, Matheformeln zu lernen. Andererseits haben die Pubertiere aber auch keine Zeit für Einbruchdiebstahl oder den Konsum von Amphetaminen, wenn sie ständig Nachrichten verschicken und sich gegenseitig Hasenohren aufsetzen müssen. Das ist doch eigentlich eine ganz gute Nachricht. Unsere Kinder sind manchmal langweilig, das schon. Aber ungefährlich. Ungefährlicher als wir vor 35 Jahren. Wir mussten ununterbrochen rebellieren, denn wir hatten keine Handys. Wir hatten nur Maultrommeln für die Fernverständigung und Süßholz als Droge. Wenn es in meiner Jugend bereits Internet und Handy gegeben hätte, würde ich mich heute auf dem kognitiven Stand eines Fischotters bewegen.

Nick hilft mir später, den Tisch zu decken, dabei vertraut er mir ein Geheimnis an. Es geht um eine dieser wundervollen Lehren des Lebens, um einen jener magischen Augenblicke, wo der Groschen fällt und sich ein jahrelanges Missverständnis in Luft auflöst. Ich habe zum Beispiel erst im Erwachsenenalter kapiert, dass eine Postsendung, die per Nachnahme zugestellt wird, nichts mit dem Nachnamen des Empfängers zu tun hat, sondern mit dem Bezahlen. Und Nick erzählt, wie er nach dem Aufwachen aus seinem Nachmittagsnickerchen im Rahmen eines unerklärlichen Geistesblitzes überrissen habe, dass es nicht Grinskontrolle, sondern Grenzkontrolle heiße.

Und ich habe mich früher im Urlaub immer gewundert, warum er am Flughafen so albern gegrinst hat, jedesmal wenn die Pässe kontrolliert wurden.

IM PUBERTIERLABOR: MUTATIONEN

Über die Jahre ist die Arbeit im Pubertierlabor immer interessanter und vielfältiger geworden. Das liegt vor allem daran, dass es nicht mehr nur ein weibliches Beobachtungsobjekt gibt, sondern inzwischen auch ein männliches, denn Nick hat sich mittlerweile ebenfalls vollständig in ein Pubertier verwandelt. Die beiden Pubertiere befinden sich am Tag zeitweise sowie ganznächtig in zwei eigenen Laborräumen, welche nebeneinander gelegen in der oberen Etage des Hauses zu Experimenten und Langzeitstudien einladen.

Im Zuge seiner langjährigen Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Pubertierwissenschaft hat der Versuchsleiter gerade festgestellt, dass sowohl männliche als auch weibliche Pubertiere bei Bedarf kurzfristig zu anderen Erscheinungsformen mutieren und dabei Habitus und Aussehen anderer Tiere täuschend echt imitieren können. In der Science-Fiction-Sprache nennt man solche Geschöpfe »Formwandler«, und man kann sie nur mit silbernen Gewehrkugeln zur Strecke bringen. Das ist allerdings verboten und auch nicht im Sinne des Versuchsleiters, der eigentlich gerne mit seinen beiden Pubertieren Nick und Carla in einer Versuchsanordnung lebt, auch wenn man sich an die Gerüche gewöhnen muss. Und auch wenn es manchmal zu dramatischen Veränderungen der Kinder kommt.