Die Ältern - Jan Weiler - E-Book
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Die Ältern E-Book

Jan Weiler

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Beschreibung

Jan Weilers neue, hinreißend amüsante Geschichten über Eltern, deren Nachwuchs flügge wird Irgendwann ist es soweit: Wenn aus Pubertieren Erwachsene werden, ist es an Papa und Mama, sich zu verwandeln. Eben noch Gegner mutieren sie zu den milde belächelten, ahnungslosen: Ältern. Und natürlich sind sie darauf ganz schlecht vorbereitet, denn ist ja so: Man ist 49, fühlt sich wie 29 – wird aber behandelt, als sei man 79. Und sieht einer ungewissen Zukunft ohne Wäscheberge, Jungs-Deo und leeren Chipstüten entgegen. Beunruhigt fragt man sich vielleicht: Werden die in die Freiheit entlassenen Pubertiere noch einmal den Weg zurück in den heimischen Stall finden? Und was wird eigentlich, wenn sämtliche Lastschriftaufträge für die Kinder einmal erloschen sein werden? Ist man dann für immer allein?

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© Piper Verlag GmbH, München 2020

Einband- und Innenillustrationen: Till Hafenbrak

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Inhalt

Cover & Impressum

Die Ältern

Der Lauf der Dinge

Der Humor-Rekrut

Samstagsstress

Erziehungstipps

Der Joghurtdieb

Die große Arbeit

Der letzte Urlaub

Kohlrabi-Marketing

Der Ausbruch von La Carla

Trennungen nach alter und neuer Art

Krieg in Büsum

Terror im Treppenhaus

Quantensprünge

Geschenkideen

Die biblische Pubertier-Plage

Halbmarathon im Hallenbad

Oberst Jens Gaddafi

Perfide Paragrafen

Humptata im Waschbecken

Güterabwägung

Der Tag des Abschieds

JAN WEILER

TILL HAFENBRAK

Die Ältern

Der Lauf der Dinge

Alles begann damit, dass mir mein Erziehungsauftrag allmählich abhandenkam. Jahrelang bestand dieser darin, den Pubertieren in unserem Haushalt zu sagen, dass sie Jacken aufhängen, Teller abräumen und die Eckpunkte des Zitronensäurezyklus auswendig lernen sollten, anstatt darüber zu diskutieren, warum sie jede einzelne dieser Tätigkeiten verrichten mussten.

Aber in den letzten drei Jahren ist diesbezüglich eine beidseitige Erschlaffung der Wehrhaftigkeit eingetreten. Manchmal machen Carla und Nick daher nützliche und sinnvolle Dinge, ohne dass man es ihnen gesagt hat. Und immer häufiger ist es mir egal, wenn sie es nicht tun. Ihre Sache, denke ich dann. Immerhin sind sie teilweise größer als ich. Folgerichtig werde ich immer nachlässiger. Ich will zum Beispiel keine Vorträge mehr halten. Ich will nicht mehr wach bleiben, bis die Kinder endlich nach Hause kommen. Ich will keine Ernährungstipps mehr geben. Ich will keine Hygienevorschläge mehr unterbreiten. Kurz: Ich will nicht mehr hauptamtlicher Vater sein. Und Sara geht es in ihrer Rolle ähnlich. Sie spürt, dass ihre Qualitäten als Beautyberaterin nicht mehr gefragt sind. Sie muss nicht mehr in Liebesdingen vermitteln. Sie verliert die Schuhgrößen und die Freunde der Kinder aus dem Blick.

Wir fingen irgendwann an, uns darüber Gedanken zu machen, was wohl aus uns werden würde, wenn Nick und Carla tatsächlich einmal auszögen. Ob wir dann überhaupt noch eine Existenzberechtigung haben würden. Das sind kummervolle, aber entscheidende Fragen, die sich viele Eltern stellen. Und manchmal sind die Antworten unerquicklich, zum Beispiel in Weltgegenden, wo Vati und Mutti nach erfolgter Brut und Aufzucht einfach massakriert oder in unwegsames Gebiet geschickt werden, von wo sie niemals mehr zurückkehren.

Um dem vorzubeugen, blieben wir weiter dran an Nick und Carla. Aber deren Ziele, Vorlieben und Aufgaben ändern sich fast täglich, und für deren Bewältigung brauchen sie uns immer weniger. Sie können Schnürsenkel binden und alleine nach Berlin fahren.

Im Lichte dieser Entwicklungen – und obwohl ich eine sagenhafte, flauschig befiederte Glucke bin – denke ich selber inzwischen, dass man langsam mal über Veränderungen nachdenken könne. Das kommt in Momenten, wo ich von mir selber genervt bin, zum Beispiel von meiner seismischen, aber auch kleinbürgerlichen Fähigkeit, sämtliche Familienmitglieder am Reinkommen zu erkennen. Bei Nick ist das am einfachsten. Er wirft die Tür zu, wumms. Dann lässt er seinen Rucksack fallen, rumms, dann geht er ins Wohnzimmer, schlurf, und lässt sich auf die Couch fallen, was ein nicht näher beschreibbares Plumpsgeräusch macht, das lautmalerisch ungefähr klingt wie »sack«. Einmal dort installiert, verschmilzt er mit dem Polster und ist für Gruppendiskussionen nur schwer zu gewinnen.

Diese haben eine ganz andere Dynamik als früher. Sobald es um Themen geht, die abgestimmt werden wollen, driftet der Familienverbund unheilvoll in vier verschiedene Richtungen. Ein Beispiel: die gemeinsamen Mahlzeiten. Sara muss die Essensfrage ständig neu stellen und meistens auch selber beantworten. Unsere Kinder sind da nicht sehr konstruktiv. Carla beantwortet die Frage, was sie essen wolle, dahingehend, dass es ihr egal sei, es dürfe allerdings nichts sein, was vier Beine habe. Nick will im Grunde immer Nudelauflauf essen. Und wenn ich gefragt werde, habe ich angeblich unrealistische Wünsche. Wobei ich mich frage, was an einem Sorbet von Pinienkernmilch, einer Portion Seeteufelleberscheiben an Risotto und einem gekühlten Kardamom-Toffee-Schaum nicht machbar sein soll.

Jedenfalls fühlt Sara sich im Stich gelassen, und vor Kurzem platzte ihr der Kragen: Sie kochte gar nichts mehr. Sie erklärte, sie trete in Streik, bis ihr wieder die nötige Wertschätzung entgegengebracht werde. Also schlug ich vor, den Küchendienst gerecht zu teilen. An zwei Tagen in der Woche würde ich kochen, an zweien sei Sara dran, Nick müsse einmal an den Herd, Carla auch. Und sonntags gingen wir gemeinsam aus. Komischerweise akzeptierten alle diese Regelung, was daran lag, dass ich den Begriff »Kochen« nicht exakt definiert hatte. Bei Carla bedeutet er nämlich nicht zwangsläufig, dass man etwas zubereitet, sondern dass es was zu essen gibt. Als sie das erste Mal dran war, beauftragte sie folgerichtig einen Lieferdienst mit der Zubereitung asiatischer Speisen, die von einem schlecht organisierten Abiturienten in einer grünen Plastiktüte gebracht wurden, und zwar erstens weitgehend vermischt, zweitens deutlich nach zweiundzwanzig Uhr, drittens gut gekühlt und viertens auf Rechnung meiner Kreditkarte. Sara kochte an ihren Tagen, was sie immer kocht, ich probierte ziemlich erfolglos Rezepte meiner Mutter aus, und der Einzige, der aus der Regelung wirklich etwas machte, war Nick. Seine Ideen bezieht er aus der SUPER-Illu, dem Zentralorgan für Lifestyle hinterm Mond. Das Magazin liegt komischerweise im Schulsekretariat aus, in welches unser Sohn mehrmals pro Woche aus disziplinarischen Gründen muss. Er bringt von dort herrliche Menüs mit nach Hause. Gestern war wieder sein Tag. Er gab den Einkauf der Zutaten bei mir in Auftrag, und ich wunderte mich zwar über diese Liste, aber keiner darf sich bei einem anderen Familienmitglied einmischen. Außerdem war ich ja froh, dass er kochte. Er benötigte unter anderem ein ganzes Bauernbrot, drei Eier, ein halbes Kilo Sauerkraut, 50 Gramm Butterschmalz und 700 Gramm Bratwurst, sowie Milch und ausreichend Sahne. Am Ende gab es Bratwurst-Torte. Man braucht ungefähr drei Tage, um dieses Gericht zu verstoffwechseln. Danach kann man die inneren Organe mit leichter Brühe und etwas gedünstetem Gemüse langsam wieder aufbauen. Sara kündigte daraufhin an, bis auf Weiteres wieder freiwillig zu kochen.

Sich nicht mehr einigen zu können, weil sich nun einmal der Blick aufs Leben verändert, ist vermutlich normal. Und ebenso üblich ist es, dass irgendwann der Vorwurf der Kinder aufkommt, der Blick der Eltern sei insgesamt etwas verengt. Mit anderen Worten: Man sei ein Spießer. Das ist tatsächlich kaum zu ertragen. Wenn es etwas gibt, dem man als Deutscher entgegenwirken möchte, dann der Zuschreibung als Spießer. Und ich bin auch keiner. Dafür bin ich viel zu modern, aufgeschlossen und kosmopolitisch eingestellt. Auch wenn ich prinzipiell nichts gegen Strickjacken habe.

Carla nannte mich jedenfalls einen Spießer, wobei sich ihre Definition durchaus dehnen lässt. Mal ist man ein Spießer, weil man es nicht mag, wenn sich die Fernbedienung anfühlt wie die von Milchspeiseeis verklebte Hand eines Vierjährigen. Dann ist man ein Kleinbürger, wenn man sinnvolle Haushaltsentscheidungen trifft. Zum Beispiel habe ich einen Wassersprudler angeschafft, was Carla entgegen meiner Annahme uncool fand, weil riesige Plastikflaschen mit französischem Mineralwasser zu ihrem Lifestyle gehören.

Dabei sind Wassersprudler genial. Man schraubt eine Flasche hinein, drückt einen Knopf, dann macht das Gerät ein obszönes Geräusch, und man kann ihm eine sprudelnde Köstlichkeit entnehmen. Die Vorteile dieses Verfahrens leuchten ein: Man muss keine Wasserkästen mehr schleppen und hat ständig Nachschub, weil die Leitung nie versiegt. Der einzige herbe Nachteil dieses Produkts ist dessen Gestaltung. Das Ding sieht aus, als hätte Darth Vader versucht, einen Feuerlöscher zu entwerfen. Zum Trost sind die mitgelieferten Flaschen relativ hübsch. Jedenfalls wenn man eine hat. Wir besitzen drei, aber sie sind nie da, weil sie bei Nick unterm Bett wohnen. It’s magic: Kaum, dass man sie dort hervorgeholt, aufgefüllt und in den Kühlschrank gestellt hat, sind sie wieder in seinem Zimmer. Dort keimen sie halb voll vor sich hin. Wenn man sich darüber beschwert, wird einem eine altmodische Wesensart unterstellt. Und die Suche unter seinem Bett gilt als freche Grenzverletzung.

Überhaupt Grenzen: Die sind gut bewacht, und ich übertrete sie selten. Zum Beispiel wecke ich die Kinder nicht mehr. Früher habe ich das gerne gemacht. Aber Sara und ich müssen nun morgens nicht mehr so früh aufstehen. Mein morgendlicher Service, bestehend aus Rührei mit gepresstem Orangensaft, für den ich zehn Jahre lang um halb sieben das Bett verlassen habe, wurde vor Kurzem für immer storniert. Carla lehnte diese von Herzen kommende Sonderdienstleistung irgendwann als patriarchalische Unterdrückungsgeste rundweg ab, und Nick hat mir erklärt, er brauche morgens kein Frühstück. Er könne gut darauf verzichten. Er habe sich nie getraut, mir zu sagen, dass er eigentlich morgens gar keinen Appetit habe. Jahrelang habe er nur etwas gegessen, um mir eine Freude zu machen.

Und dann fügte er hinzu, dass er auch nicht mehr geweckt werden wolle. Er sehe es als einen Meilenstein an, von selber aufzustehen. Er sei groß, seine Eltern könnten gerne weiterschlafen. Genau das geht aber nicht. Da ist etwas in mir zerbrochen. Nach einer über zwanzig Jahre andauernden Konditionierung ist es mir unmöglich, länger als bis halb sieben zu schlafen, was Sara neben mir fabelhaft gelingt. Ich hingegen sehe heimlich nach, ob Nick aufgestanden ist. Ich möchte nicht, dass er mich sieht, also verstecke ich mich und höre zu, wie er sich pfeifend einen Espresso zubereitet.

Wenn er weg ist, gehe ich nicht mehr ins Bett, denn ich kann sowieso nicht mehr schlafen. Ich warte dann darauf, dass Sara aufwacht, um ihr zu erzählen, wie lange ich schon wach bin. Und weil ich so früh schon auf bin, absolviere ich gerne nachmittags ein Nickerchen, was von meinem Sohn als »Seniorendämmerung« bezeichnet wird.

Die Kinder kommen sehr gut ohne ihre Eltern klar, denn sie können sich selber etwas zu Essen bestellen, und man kann ihnen kaum etwas beibringen, was sie nicht selber googeln könnten. Manchmal fühle ich mich regelrecht nutzlos. Nicht einmal als Berufsberater werde ich noch gebraucht. Carla ist bereits Künstlerin, eigentlich war sie das schon mit sechs Jahren und Nick erklärte mir kürzlich, er habe sich diverse Business-Cases überlegt und stehe vor der Gründung eines Start-ups. Er könne damit sogar in dieser Fernsehshow auftreten, bei der Höhle der Löwen. Ich bat ihn, doch mal seinen Vorschlag zu pitchen, also stellte er sich breitbeinig vor mir auf, faltete die Hände vor den Körper und sagte den Satz, mit dem jeder erfolgreiche Gründer seinen Vortrag beginnt, nämlich: »Jeder kennt doch das Problem.« Ich nickte. Ein Start-up, das wirklich ein Problem der Menschheit löst, kann nur ein Hammer sein.

Nick holte Luft und sagte: »Man steht in der Küche, will sich ein Spiegelei machen und stellt fest: Mist, kein Speck da.« Gut. Schlimmer wäre jetzt tatsächlich, wenn kein Ei da wäre, aber ich wollte ihn nicht unterbrechen. Nick erläuterte dann ausführlich, dass der Speckmangel in deutschen Haushalten ein signifikantes Problem sei. Sein 24-Stunden-Online-Speckversand werde diese Lücken schließen. Das Angebot umfasse nicht nur Speckstreifen, sondern auch geräucherte Ware, Würfel, rohen Speck, Schinkenstreifen, Lardo, Tiroler Speck, Südtiroler Speck, Speck am Stück und sogar Speckstein. Ich war ganz begeistert und fragte ihn nach dem Namen seiner Firma, denn der Name ist ja bekanntlich das Wichtigste. Und dann haute er ihn raus, den Namen seines 24-Stunden-Online-Speckversands, und ich denke, das wird ein Renner. Seine Firma heißt: Specko mio.

Manchmal bringt mich diese frühe Erwachsenheit zur Verzweiflung. Diese Geschäftstüchtigkeit. Dieser Sinn für das Ferne. Wir waren jedenfalls länger jung. Wir gingen in dem Alter nicht in Restaurants, wir bestellten nichts im Internet, und wir entwarfen auch keine Gründervisionen. Und wir lernten Dinge, die wir für lebenslange Gewissheiten hielten. Zum Beispiel erzählte ich Carla neulich, dass wir vor fünfunddreißig Jahren im Matheunterricht unsere Taschenrechner nur sehr begrenzt benutzen durften. Unser Mathelehrer sagte damals: »Später im Leben, da habt ihr auch nicht ständig so ein Ding dabei. Wer hat schon immer einen Taschenrechner zur Hand?« Carla lächelte, winkte mir mit ihrem Smartphone zu, und dann sagte sie genüsslich: »Tja, da haben sie euch aber damals sauber verarscht.«

Ende der Leseprobe