Und in fünf Jahren schreib ich Buchkritiken - Inga Lüders - E-Book

Und in fünf Jahren schreib ich Buchkritiken E-Book

Inga Lüders

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Beschreibung

Die Pflichtlektüre für angehende Germanistik-Studenten! Dieser praktische Ratgeber liefert Antworten auf die entscheidenden Fragen: Welche Inhalte erwarten mich? Wie finanziere ich mein Studium? Wie strukturiere ich die Semester sinnvoll? Was gilt es bei Auslandssemestern zu beachten? Und lesen eigentlich alle Germanisten drei dicke Schinken pro Woche? Zahlreiche Anekdoten geben einen unterhaltsamen Einblick in den Studienalltag. Das gnadenlos ehrliche Buch räumt mit gängigen Klischees auf und bereitet auf den erfolgreichen Abschluss vor.

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Inga Lüders

UND IN FÜNF JAHREN SCHREIB ICH BUCHKRITIKEN

Was man wissen muss,

Mein Dank gilt der deutschen Sprache, ohne die dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.

1EINLEITUNG

Deutsch, das ist die Sprache von Johann Wolfgang von Goethe, Martin Luther und Immanuel Kant, die Sprache der Dichter und Denker. Eine Sprache, die sich über mehr als ein Jahrtausend zurückverfolgen lässt und die ihr Erscheinungsbild in all den Jahrhunderten immer wieder verändert hat. Das Mittelhochdeutsch Martin Luthers ist für die meisten Deutschen heute genauso unverständlich wie Goethes Frankfurter Dialekt – nicht aber für Germanisten.1

Germanisten untersuchen alte wie neue Formen des Deutschen, erforschen Veränderungen, die es durchlaufen hat, und erlangen so ganz besondere Kenntnisse unserer Sprache.

Aber das ist längst nicht alles. Germanisten untersuchen auch die Erzeugnisse, die aus der deutschen Sprache hervorgehen und hervorgegangen sind. Es gibt viel zu tun: Deutschsprachige Texte und die deutschsprachige Literatur bieten eine schier unendliche Menge an Untersuchungsgegenständen.

Dieser Ratgeber will einen Eindruck davon vermitteln, was es heißt, Germanistik zu studieren. Dabei beschreibt er nicht nur die fachlichen Inhalte, sondern beantwortet wichtige Fragen rund um das Germanistikstudium, indem er das Wissen und die Erfahrungen von Studenten und Absolventen an Anfänger weitergibt.

Wenn auch Du Fragen zum Studium hast, gern wissen möchtest, was für Menschen Dich an der Uni erwarten, wie viel Zeit man am Schreibtisch und auf Partys verbringen wird, wie Prüfungen ablaufen, wie man ein Studentenleben finanzieren soll und welchen Beruf ein Germanist ergreifen kann, dann ist dieser Ratgeber genau das Richtige für Dich.

Wer dieses Buch gelesen hat und bei seinem Wunsch bleibt, Germanistik zu studieren, kann später jedenfalls nicht sagen, er sei nicht gewarnt worden. Er hat sich nach bestem Wissen und Gewissen für eines der wunderbarsten Studienfächer entschieden.

2 DAS STUDIENFACH GERMANISTIK

2.1 WAS IST GERMANISTIK

Was heißt das eigentlich – Germanistik studieren? Irgendetwas kann sich jeder darunter vorstellen: Es wird wohl so sein wie Deutsch in der Schule, jetzt nur etwas schwieriger. Also das Schulfach, für das man entweder ein Naturtalent sein musste oder in dem man nur selten über eine Drei hinauskam. Das Fach, wo die, die am besten schwafeln können, die besten Noten bekommen. So wird es dann wohl sein mit dem Germanistikstudium: Alle schwafeln sehr viel, alle lesen massenhaft und wirklich schwer ist es für niemanden, weil an der Uni eben alle Deutsch-Naturtalente zusammenkommen.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Nur Lesen und Labern machen noch keinen Germanisten! Aber dennoch, es ist schon mal ein Anfang.

Wer erinnert sich nicht mehr an die zähen Deutschstunden, in denen jedes Buch so lange zerredet wurde, bis auch noch das letzte Lesevergnügen zwischen Bewusstseinsstrom und ­lyrischem Ich verloren ging? Und an die Momente, als man vor einem hundertseitigen Reclamheft mit lupengroßer Schrift saß und die Panik vor der nächsten Klausur einen überfiel? Willkommen im Germanistenleben: »Ab jetzt bitte Die Buddenbrooks in 14 Tagen« – neben dem laufenden Uniprogramm, versteht sich. Leider entsprechen Königs Erläuterungen, die im Abitur noch so hilfreich waren, mittlerweile nicht mehr den eigenen Ansprüchen, geschweige denn denen der Dozenten.

Und jetzt mal im Ernst: Wer gerät schon bei solchen Themen wie Kommasetzung in Verzückung? Kaum jemand versteht sie, die Internetforen widersprechen sich. Ein Blick auf K 100-132, das Kommaregelwerk des Dudens, klärt den Suchenden schließlich auf. Seit der Rechtschreibreform kann man an vielen Stellen ein Komma setzen, muss aber nicht. Es hängt davon ab, was man sagen will und wie. Leider ist es aber auch mit der eigenen Intuition in dieser Angelegenheit häufig nicht weit her. Spätestens wenn wir, ein Glas Gin Tonic in der Hand haltend, die Ansichtskarte an die Großeltern formulieren wollen und kurz zögern, ist es weg, das Gefühl für das richtige Satzzeichen.

»Wen interessiert denn schon dieser Grammatikkram?« Wer sich bei diesem Gedanken ertappt, sollte schleunigst noch die Kurve kriegen und sich statt für Germanistik für das Fach Literaturwissenschaft immatrikulieren – denn ein großer Teil der Germanistik beschäftigt sich mit genau dieser systematisch aufbereiteten Basis des Deutschen.

Und das ist immer noch nicht alles. Germanistik besteht aus drei großen Teilbereichen, die zwar von Universität zu Universität anders genannt werden, im Wesentlichen jedoch dasselbe bezeichnen:

SPRACHWISSENSCHAFT (Grammatik und Sprache)

LITERATURWISSENSCHAFT (die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit literarischen Texten)

MEDIÄVISTIK (mittelalterliche Sprache und Literatur)

Im Laufe des Studiums kann man eigene Schwerpunkte setzen, zum Glück werden aber zuerst in allen Fächern Grundlagen gelegt, bevor die Entscheidung fällig wird. Den meisten Studenten wird nach ein paar Semestern schon von allein klar, welche Bereiche sie am meisten interessieren. Durch die richtige Kombination von Kursen und Wahlpflichtbereichen kann man dabei tatsächlich nah an seinen eigenen Interessen und Neigungen studieren und die ungeliebten Bereiche mehr oder weniger großzügig umgehen.

Was verbirgt sich nun hinter diesen Teilbereichen, was ist also wirklich Inhalt des Germanistikstudiums? Die folgenden Abschnitte dienen als Orientierung und helfen, eine Vorstellung davon zu entwickeln, was einen im Studienfach Germanistik erwartet.

SPRACHWISSENSCHAFT

Die Sprachwissenschaft, auch Linguistik genannt, behandelt all das, was mit der Sprache zu tun hat. Im Germanistikstudium geht es dabei natürlich hauptsächlich um die deutsche Sprache: von »h.d.g.d.l.« bis Akkusativ kann man prinzipiell alles erforschen. Die Linguistik unterteilt sich wiederum in mehrere Bereiche, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Die Allgemeine Linguistik ist am ehesten das, was wir in der Schule Grammatik nannten. Es geht um Themen wie Phonologie, Morphologie, Lexikologie und Syntax. Das klingt kompliziert und das ist es leider auch. Vom kleinsten Laut (Phonologie) bis zum kompletten Text (Textlinguistik) wird alles untersucht, systematisiert und beschrieben, was im weitesten Sinne als Sprache bezeichnet werden kann. Wer sich mit der Allgemeinen Linguistik beschäftigt, wird versuchen, die deutsche Sprache in Muster und Formen hineinzuzwängen, ihr Modelle und Theorien überzustülpen, damit sich jedes Satz- und sprachliche Zeichen in das System einreiht. »Wozu das Ganze?«, mag sich da manch einer denken, wenn in der Morphologie jede bedeutungstragende Einheit eines Wortes untersucht wird – manchmal ist das nur ein Buchstabe – oder die Syntaxforschung jedes Wort in eine Satzteilschublade stecken will.

Die Vergleichende oder Historische Sprachwissenschaft beschäftigt sich mit unterschiedlichen Formen des Deutschen. Hier erfährt man unter anderem, was der Unterschied zwischen Hoch- und Niederdeutsch ist, dass ein Sexlekt nichts Anzügliches ist, sondern die unterschiedlichen Sprechweisen von Frauen und Männern bezeichnet und dass der Situolekt uns daran hindert, den Professor mit den Worten »Hey Alter, was geht?« anzusprechen. Auch die Beschäftigung mit dem Sprachwandel ist hier zu Hause. Wer sich darüber ärgert, dass der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, wird merken, dass sich Sprache nun mal wandelt, in Bewegung ist und lebt. Und viel schlimmer als »guote Brüeder« (mittelhochdeutsch) klingt »geile Macker« ja auch nicht, oder?

Dann gibt es noch die Angewandte Sprachwissenschaft, die sich mit dem tatsächlichen Gebrauch von Sprache beschäftigt. Sie bearbeitet so geheimnisvolle Themenfelder wie Soziolinguistik, Computerlinguistik, Psycholinguistik oder Mathematische Linguistik. Konkret könnten hier auch der Sprach­erwerb von Kindern oder die Prozesse, die beim Erlernen von Fremdsprachen ablaufen, untersucht werden.

So pedantisch und kompliziert das alles auch klingen mag, es lohnt sich, der Linguistik trotz Kommasetzung, Genitiv und Morphologie eine Chance zu geben. Wer will sich schon entgehen lassen, wie Referate über die Kommunikation auf Online-Singlebörsen und in World-of-Warcraft-Gilden gehalten werden? Oder wie Studenten hoch konzentriert rechtspopulistischem Hardrock lauschen, weil analysiert werden soll, wie sich Extremismus in der Sprache ausdrückt? Linguistik ist ein vielseitiger und interessanter Teilbereich der Germanistik.

LITERATURWISSENSCHAFT

Der zweite große Bereich in der Germanistik ist die Wissenschaft von der deutschen Literatur. Hier geht es in allererster Linie um die Auseinandersetzung mit Büchern, Gedichten, Theaterstücken und vielem mehr. Auch in diesen Bereich hat man in der Schule schon reingeschnuppert, aber zum Glück erschöpft sich das Studium nicht in unserem Schulwissen.

Ein Trugschluss sollte gleich zu Beginn ausgeräumt werden. Literaturwissenschaft ist Wissenschaft und damit nicht das, was manche Leseratten erwarten mögen, wenn sie ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Ab jetzt wird nicht mehr zum Spaß gelesen, sondern aus streng wissenschaftlichen Motiven. Dabei müssen wir methodisch und strukturiert arbeiten. Die Frage »Was will uns der Autor damit sagen?«kann man getrost vergessen, es geht nun um die theoretische, historische und poetologische Erschließung von Texten.

Was tut man also, wenn man Literaturwissenschaft betreibt? Vor allem interessieren der Prozess und das Produkt, also beispielsweise die Entstehung von Büchern und das Buch selbst. Literaturwissenschaft besteht also aus Literaturgeschichte und Edition, Literaturkritik und Kulturgeschichte, Literaturtheorie sowie aus der Analyse und Interpretation von Literatur. Nachdem wir fleißig Einführungsveranstaltungen zu allen Bereichen besucht haben, den Zusammenhang zwischen Novalis, der blauen Blume und der Romantik kennen und die Gattungen Prosa, Drama und Lyrik auseinanderhalten können, geht es los mit dem wilden Interpretieren und Analysieren. Von Gryphius bis Rothmann ist alles erlaubt, Hauptsache, es liegt irgendwo zwischen dem 16. Jahrhundert und der Neuzeit. Und hier können wir dann auch endlich wieder unser Schulwissen einsetzen: Gedichte werden auf Jambus und Trochäus geprüft, als Alexandriner oder Knittelvers klassifiziert, nach Ellipsen und Alliterationen abgesucht, Adressaten und Sprecher werden (wenn wir Glück haben) gefunden, die Entstehungszeit wird als Kontext herangezogen, der werkgeschichtliche Zusammenhang analysiert, Satzbau und Konnotationen unter die Lupe genommen und am Ende muss etwas herausgekommen sein, was objektiv nachvollziehbar ist – sonst ist es nicht wissenschaftlich und damit an der Uni fehl am Platz. Ähnlichem unterziehen wir Prosatexte, zum Beispiel Romane oder Novellen, von Grimmelshausen bis Felicitas Hoppe und Dramen, also Theaterstücke, von Gotthold Ephraim Lessing bis Heiner Müller.

Es drängt sich die Frage auf, warum wir uns und den Büchern so etwas antun. Reicht es denn nicht, dass ein Buch spannend ist, ein Gedicht schön und ein Theaterstück kurzweilig? Die Antwort ist wahrscheinlich, dass wir als Philologen Freude an der Vermittlung, der Sicherung und dem Verständnis von sprachlichen Zeugnissen und deren Kontexten haben. Und dass wir es einfach interessant finden, hinter die Oberfläche eines Textes zu blicken und die darin versteckten Botschaften zu erforschen.

MEDIÄVISTIK & CO.

Mediävistik ist das Teilgebiet der Germanistik, das sich mit der deutschen Sprache und Literatur vom achten bis zum 16. Jahrhundert beschäftigt, hier fließen Linguistik und Literaturwissenschaft also ein Stück weit ineinander. Sprachforschung und Sprachentwicklung im Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutschen werden thematisiert und die Strukturen dieser frühen Formen unseres Deutsches erschlossen. Irgendwann ist man dann so weit, dass man nicht nur die auf den ersten Blick ziemlich fremd wirkenden Sprachen ganz gut lesen und verstehen kann. Was das bringt, willst Du wissen? Wie das eben so ist mit Geschichte, verstehen wir durch sie die Gegenwart besser. Das gilt auch für unser heutiges Deutsch, das wir durch die Kenntnis seiner alten Formen besser durchschauen. An vielen Universitäten hat die Mediävistik leider keinen eigenen Lehrstuhl oder läuft beispielsweise als Ältere deutsche Literatur in der Literaturwissenschaft mit, was schade ist, weil so gerade die spannende Verbindung von Linguistik und Literaturwissenschaft unterschlagen wird. So viel wir in diesem Bereich auch lernen können, es ist einfach nicht jedermanns Sache, das Gesäusel liebeskranker Ritter für ihre angebeteten Herzdamen zu entziffern. Ähnlich ist es mit den noch kleineren Teilbereichen wie Medien- oder Theaterwissenschaften, Auslandsgermanistik oder der Sprechwissenschaft. Irgendwann wird man sich für oder gegen Kurse aus den kleineren Teilbereichen entscheiden müssen, aber bis es so weit ist, hat man einige Semester Zeit, um sich auf die Grundlagen zu konzentrieren.

GERMANISTIK: EIN KOMBINATIONSFACH

Anders als etwa Architektur oder BWL ist Germanistik ein Kombinationsfach. Man studiert also im Rahmen eines Bachelor-studiums normalerweise mindestens ein weiteres Fach. Im Masterstudium kann man sich in der Regel spezialisieren und sich beispielsweise für das Studium der Linguistik oder der Literaturwissenschaft entscheiden, ohne noch etwas anderes nebenher zu studieren. Da uns Germanisten der Berufseinstieg ohnehin nicht besonders leicht gemacht wird, sollte man sein Zweitfach mit Bedacht und in Hinblick auf den Berufswunsch auswählen.

2.2 WIE SCHWER IST GERMANISTIK?

Eine Frage, die wohl jeden beschäftigt, bevor er sich einer neuen Herausforderung stellt, ist: Kann ich das schaffen? Sicher ist, dass ein Germanistikstudium machbar ist, schließlich schaffen jedes Jahr viele Tausend Studenten ihren Abschluss. Gleichzeitig will ich nicht verheimlichen, dass etwa jeder dritte Studienanfänger das Handtuch wirft. Aber woran liegt das? Ist Germanistik wirklich so schwer?

Was sind die größten Schwierigkeiten, die höchsten Hürden, die man nehmen muss, um als fertiger Germanist erhobenen Hauptes die Uni zu verlassen?

Die größte Herausforderung ist wahrscheinlich die Bewältigung des wahnsinnig hohen Lesepensums. Nicht nur Geschichten und Gedichte, sondern auch wissenschaftliche Texte müssen tonnenweise in die Studentengehirne befördert werden.

Sinnentnehmendes Lesen ist die Kompetenz, ohne die wir einpacken können, Konzentrationsfähigkeit der Stoff, aus dem Germanistengehirne gemacht sind.

Wir brauchen Selbstbewusstsein, Interesse und Freude an der deutschen Sprache und Literatur und wir brauchen zum Glück längst nicht so viel Vorwissen, wie es scheint. Dennoch liegt der Fokus hier auf Vor-wissen. Am Ende des Studiums wird sich das Wissen über germanistische Inhalte hoffentlich vergrößert haben – wie die Leber von Harald Juhnke – und das geht nur – auch Harald wusste es – durch Input. Für den sind wir hauptsächlich selbst verantwortlich. Vieles muss in unsere Köpfe hinein und sich dort verankern. Wir müssen lesen (Literatur), lesen (Theorie) und noch mehr lesen (noch mehr Literatur und Theorie). Wir werden keine Experimente und kaum Exkursionen machen, sondern mit dem Kopf arbeiten, bis er raucht. Wir müssen Texte in derart geschwollenem Intellektuellendeutsch lesen, dass Adorno ins Ohrenschlackern geraten wäre, und das auch noch unter Zeitdruck, denn jede Woche steht eine Menge Lesestoff an. Für die meisten Veranstaltungen müssen wir einen Text pro Woche lesen, der durchschnittlich (nicht höchstens, sondern durch-schnitt-lich) gut und gern fünfzig Seiten Kampfgewicht hat. So wird beispielsweise bei einem Lessing-Seminar der Sinn der Sache sein, dass jede Woche ein anderes seiner Werke besprochen wird, das logischerweise vorher gelesen werden muss (und da hilft kein Stöhnen und Jammern, das interessiert den Professor nämlich nicht und das ist auch gar nicht sein Zuständigkeitsbereich, denn uns hat ja niemand gezwungen, Germanistik zu studieren).

2.3 VORAUSSETZUNGEN

Was sind also die Voraussetzungen, die wir mitbringen müssen, um ein Germanistikstudium erfolgreich über die Bühne zu bringen? Ich werde im Folgenden versuchen, die entscheidenden Kompetenzen für das Deutschstudium zusammenzutragen. Zwei wichtige Dinge vorweg: Erstens kann ich keine Vollständigkeit garantieren und zweitens handelt es sich nicht um Ausschlusskriterien! Manche werden erst während des Studiums auf den Geschmack kommen und merken, wie gern sie lesen. Andere beißen sich auch ohne besondere Hingabe für die deutsche Sprache durch die Linguistikmodule, weil das Literaturstudium sie stets entlohnt.

Es gibt viele wunderbare Klischees über Germanisten. Wir werden diese im Folgenden unter die Lupe nehmen und sehen, was sich hinter diesen Vorurteilen verbirgt:

Jeder Germanist liest drei dicke Schinken pro Woche und mag sogar Effi Briest.

Alle, die gern lesen, erfüllen auf jeden Fall schon mal die allerwichtigste Voraussetzung. Nicht jeder muss ein Bücherwurm oder eine Leseratte sein und nicht, wen oder was wir bisher gelesen haben, ist von entscheidender Bedeutung, sondern die Bereitschaft, augenblicklich mit dem Lesen anzufangen. Schließlich müssen wir bis zum Studienbeginn ja noch an die zwei Millionen Werke lesen, von den Merseburger Zaubersprüchen und der Bibel bis hin zu den Romanen Christian Krachts. Nein, keine Angst, das ist zum Glück völliger Quatsch! Die Vorstellung, es gäbe einen Haufen von Büchern, die man gelesen haben muss, ist schlichtweg falsch. Wir müssen nicht alles mögen und wir müssen weiß Gott auch nicht alles kennen, was scheinbar alle anderen kennen, dafür gibt es einfach viel zu viel.

Irgendwann habe ich unter Schweiß und Tränen das Œuvre Heinrich von Kleists durchgearbeitet und als ich fertig war, stellte ich im Kleist-Seminar fest, dass außer mir und dem ­Professor niemand wusste, wer Penthesilea ist. Vorher war ich doch immer die einzige Doofe, oder etwa doch nicht? Das gilt zwar jetzt nicht mehr für Kleist, dafür redeten beim Mittagessen in der Mensa plötzlich alle von schwarzer Milch! Zum Glück fragte ich nach und fand Folgendes heraus: Paul Celan ist ein jüdischer Dichter. Sein Gedicht Todesfuge fängt so an: »Schwarze Milch der Frühe«. Es ist nicht lang und die fünf Kommilitonen, die sich so angeregt in das Gespräch einbrachten, besuchten das Seminar zur jüdisch-deutschen Lyrik und nicht wie ich das zu Kleist. Als der Professor neulich mit Hegel anfing und eine Handvoll Kommilitonen dankbar einstieg, stellte sich kurz danach heraus, dass die drei Schlaumeier Philosophie im Nebenfach studieren. Alle anderen Studenten waren genauso ahnungslos wie ich und fühlten sich furchtbar ungebildet.

Die Zeit, die normale Menschen für einen Comic brauchen, benötigt ein Germanist für Goethes Faust.

Gern und gut lesen zu können, reicht nicht mehr, das tun und können hier alle. Schnell lesen zu können, ist der Garant für den Erhalt des einen oder anderen außeruniversitären Interesses. Wer beispielsweise noch essen, schlafen oder Freunde treffen möchte, sollte ein guter und schneller Leser sein. Wenn man das nicht ist, muss man es schleunigst lernen oder hat folgende Optionen: Entweder man muss sehr stark selektieren und viele Hausaufgaben einfach ignorieren oder man wählt grundsätzlich nur Lyrikkurse, denn da werden überwiegend Gedichte gelesen. Einerseits wird man auf diese Art und Weise leider das Gefühl nie los, dass man nichts weiß, andererseits kann man sich bei einem solchen Pensum sowieso nur einen kleinen Teil des Gelesenen merken. Zwei weitere Voraussetzungen sind also unentbehrlich: gutes Zeitmanagement und Selektierfähigkeit. Wer blind alle Anweisungen der Professoren befolgt, kann den ­Anforderungen niemals gerecht werden und ertrinkt in der Textflut. Professoren haben nämlich kein Lehrerzimmer, in dem sie die Klausurtermine und Stoffmenge mit den anderen Dozenten koordinieren. Jeder macht seine Veranstaltung allein und keiner kann sich vorstellen, dass diese nicht die wichtigste von allen ist. Das Schöne daran, dass wir jetzt erwachsen sind, ist aber, dass wir auch mal einen Text auslassen dürfen – und müssen. Noch ein Trostpflaster: Übung macht den Meister, das gilt auch fürs Lesen und mit der Zeit werden wir schneller und härter im Nehmen.

Germanisten haben jedes Buch gelesen.

Natürlich gibt es einige Schriftsteller, von denen man gehört haben muss, und einige Werke, deren Inhalt man kennen sollte. Dennoch gilt: Mut zur Lücke!