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Wie es weitergeht? Kaffeesatz und Kristallkugeln sagen es uns nicht . Und Wunschträume von einer noch besseren Welt nützen nicht. "Zukunft braucht Herkunft", dieser Satz des Philosophen Odo Marquard ist Leitgedanke dieses Buches. Belastbare Fakten sind das Fundament, für die Zukunft von Markenarbeit und Werbeindustrie. Dieses Buch zeigt sie auf, die Geschichte der Werbung in Deutschland und die Einflüsse, unter der diese Industrie stand und steht. Basierend auf den erlebten und gelebten Fakten der vergangenen 150 Jahre Werbung in Deutschland haben Führungskräfte der Wirtschaft und Experten in Markenarbeit - allesamt Praktiker - ihre Gedanken einer Studie der HHL Leipzig Graduate School of Management anvertraut. Daraus und aus den Erkenntnissen eines einzigartigen Werberlebens ergibt sich, wie es weiter geht. Mit den guten und den wirklichen Gründen. Die Herausgeber sind: Peter Strahlendorf, Fachjournalist, Publizist und Verleger, lebt die Geschichte der Werbung seit mehr als 40 Jahren. Er war (und ist) Mittäter, Berater, Chronist. Er kennt Marken und Macher in Agenturen, Marketing und Medien und deren seit 10 Jahren immer enger verzahntes Wurzelwerk nationaler und internationaler Player. Seine lebendige Geschichte der Werbung steht im ersten Teil dieses Buches. Professor Dr. Manfred Kirchgeorg, Wirtschaftswissenschaftler mit direktem Draht zur Praxis im Marketing. In Leipzig formt er an der HHL Leipzig Graduate School of Management die Elite von morgen. Hands on, crossmedial, nachhaltig und holistisch. Marketing direkt und live. Markt- und umweltorientiert und ständig im Dialog mit Unternehmen. Für eine Studie haben Macher ihm Befürchtungen und Hoffnungen anvertraut. Welche Wegen sie für die nächsten Jahre sehen: Nachzulesen im zweiten Teil. Willi Schalk, zum Pro-bono-Consultant gewordener Werbe-Aktivist von der Kö, dem Gallusviertel, der Madison Avenue. Schlief arbeitend in der Lufthansa. Verführer für Kauffreude, Architekt von Networks und Holdings weltweit. Berater für Medien und Politik, Werbegötter und Marken-Imperien. Er weiß, wie der Hase läuft und wohin: Seine Visionen, im dritten Teil.
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Seitenzahl: 256
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die Idee zu diesem Buch stammt von Willi Schalk. Dem langjährigen BBDO-Manager war in Australien das Buch „Behind Glass Doors“ in die Hände geraten. Zwei Professoren hatten eine Reihe von australischen Agentur-Managern interviewt und auf dieser Basis die Entwicklung der Agenturszene auf dem fünften Kontinent nicht wissenschaftlich, sondern ausgesprochen lebendig niedergeschrieben. Nach der Lektüre fand er Gefallen an dem Gedanken, ein ähnliches Werk für Deutschland auf die Rampe zu schieben. Als Initiator hat Willi Schalk seine Idee nicht nur vorangetrieben, sondern auch noch wesentlich über das „Vorbild“ hinaus erweitert.
Auf dem Effizienztag im Frühjahr 2017 sprach er mich als potentiellen Autor für diese Idee an. Im Frühsommer holten wir den erfahrenen Werbe- und Medien-Journalisten Peter Heinlein hinzu. Bei der gemeinsamen Analyse und Diskussion stellten wir schnell fest, dass eine historische Darstellung der Agentur-Geschichte in Deutschland sicherlich eine verdienstvolle Aufgabe ist, aber für die heutigen Werbe- und Marketing Community nur von begrenztem Interesse sein würde. Als „Lösung“ bzw. „Ausweg“ aus diesem Dilemma präsentierte Willi Schalk einen weiteren potentiellen Partner: Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg, Inhaber des Deutsche Post Lehrstuhls für Marketing, insbesondere E-Commerce und Crossmediales Management an der HHL Leipzig Graduate School of Management, der ältesten Business School in Deutschland, die auch als Wiege der Betriebswirtschaftslehre betitelt wird.
Mit Prof. Dr. Kirchgeorg kam ein neuer Aspekt hinzu, der das bis dato vorliegende Buchkonzept um den entscheidenden Punkt „Zukunft“ bereicherte. Darüber hinaus brachte er auch mit dem Doktoranden Damian Hesse den Kollegen mit, der das Buchprojekt koordinierte. Im Einklang mit den drei Herausgebern organisierte er nicht nur die vielfältigen Arbeitsschritte, sondern mischte auch kräftig mit bei den Interviews mit den Werbe-Größen, bei der Expertenumfrage zu den Anforderungen an die Werbe-Zukunft und beim Verfassen der Studien-Ergebnisse.
Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte:
die historische Entwicklung der Agenturszene von 1850 bis 2020 in Deutschland
der Blick in die Zukunft auf Basis der Expertenumfrage
und die Thesen von Willi Schalk zur Zukunft der Werbeagenturen.
Dieses Werk erscheint zum 80. Geburtstag von Willi Schalk, der ganz bewusst auf eine (Auto-)Biografie verzichtet. Mit diesem Buch “schenkt“ er allen, die an dem Thema Kommunikation interessiert sind, eine Werbe-Biografie mit Perspektive.
Eine aufschlussreiche Lektüre im Namen des gesamten Macher-Teams wünscht
Peter Strahlendorf
Vorwort
Kapitel I
Die Werbeagentur-Branche in Deutschland
Peter Strahlendorf
Start und Historie der Werbeagenturen in Deutschland 1850 – 1945
Die deutsche Werbeagentur-Szene 1945 – 2020
2.1 Der Neustart/Wiederaufbau der Agenturszene nach dem 2. Weltkrieg (1946 – 1952/53)
2.2 Aufbruchstimmung im deutschen Agenturmarkt
2.3 Die Kreativen übernehmen das Zepter
2.4 Aufstieg der Spezial-Agenturen
2.5 Network-Strategien – Zukäufe und Diversifikation in Deutschland
2.6 Media-Agenturen werden zum Machtfaktor
2.7 Das Zeitalter der Agentur-Holdings
2.8 Neugründungen beleben den Markt
2.9 Starke inhabergeführte Player
Agentur-Welt im Umbruch – Artfremde Akteure steigen ein
Kapitel II
Von der Gegenwart in die Zukunft
Manfred Kirchgeorg und Damian Hesse
Von der Gegenwart in die Zukunft – Die Werbewirtschaft im Wandel
Einflussfaktoren und Zukunftsperspektiven der deutschen Werbewirtschaft
2.1 Zielsetzung und Design der empirischen Analyse
2.2 Einflussfaktoren der deutschen Werbebranche im Makroumfeld
2.2.1 Politische Einflussfaktoren
2.2.2 Ökonomische Einflussfaktoren
2.2.3 Soziale Einflussfaktoren
2.2.4 Technologische Einflussfaktoren
2.2.5 Ökologische Einflussfaktoren
2.2.6 Rechtliche Einflussfaktoren
Marktbezogene Einflussfaktoren der Zukunftsentwicklung der deutschen Werbebranche 2025
3.1 Kommunikationskanäle und -instrumente
3.2 Werbezielgruppen
3.3 Werbetreibende
3.4 Werbeagenturen
3.4.1 Erfolgsfaktoren der Werbeagenturen
3.4.2 Erfolgsfaktor Eigentümerstrukturen
3.4.3 Erfolgsfaktor Agenturleistungen
3.4.4 Erfolgsfaktor Kreativität
3.4.5 Erfolgsfaktor Internationalisierung
3.4.6 Erfolgsfaktor Beziehungsqualität
3.5 Einfluss von branchenfremden Unternehmen
3.6 Visionskonturen der Werbebranche 2025 – Eine abschließende Reflexion
Kapitel III
Die Zukunft der Werbebranche
Willi Schalk
These 1 – Consumer werden Unternehmer
These 2 – Unternehmen werden Medienanbieter
These 3 – Verleger werden Händler
These 4 – Werber werden wieder zu Piraten
These 5 – Die Werbemarine fährt in die Flaute
These 6 – Werbegeschwader lösen sich auf
Nachwort
Interviewpartner
Literaturtipps
Autoren
Start und Historie der Werbeagenturen in Deutschland 1850 – 1945
Die deutsche Werbeagentur-Szene 1945 – 2020
2.1 Der Neustart/Wiederaufbau der Agenturszene nach dem 2. Weltkrieg (1946 – 1952/53)
2.2 Aufbruchstimmung im deutschen Agenturmarkt
2.3 Die Kreativen übernehmen das Zepter
2.4 Aufstieg der Spezial-Agenturen
2.5 Network-Strategien – Zukäufe und Diversifikation in Deutschland
2.6 Media-Agenturen werden zum Machtfaktor
2.7 Das Zeitalter der Agentur-Holdings
2.8 Neugründungen beleben den Markt
2.9 Starke inhabergeführte Player
Agentur-Welt im Umbruch – Artfremde Akteure steigen ein
Um die Entwicklungen der Werbeagentur-Szene in Deutschland sowie die künftigen Perspektiven zu verstehen, ist ein Blick in die Entstehungsgeschichte notwendig. Viele der ursprünglichen Wurzeln sind heute immer noch vorhanden – manchmal unter anderem Namen oder anderen Vorzeichen. Einige der Wurzeln aus der Start-Phase erwachen inzwischen sogar wieder zu neuem Leben.
Der Startschuss für die Entstehung von Werbeagenturen in Deutschland fällt im Jahr 1850 einerseits durch die Aufnahme von bezahlter Werbung in Form von Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften und anderseits durch die Massenproduktion. Mit Hilfe von Werbemitteln wollen die Hersteller den Verkauf ihrer Produkte vorantreiben.
Für die Verlage waren die Anzeigen-Einnahmen eine ebenso wichtige wie stark wachsende Erlösquelle. Sie konnten bzw. wollten sich nicht direkt mit den potentiellen Auftraggebern in Verbindung setzen und nahmen daher gerne die Dienste von Mittlern, den sogenannten Annoncen-Expeditionen in Anspruch.
Die Produzenten von Produkten, die Händler, Handwerker oder andere Dienstleister hatten keine oder nur wenig Erfahrung darin, die Werbemittel richtig zu gestalten. Damit beauftragten sie Werbeberater und später auch Werbeagenturen.
Bei der Entstehung der Werbeagenturen in Deutschland werden drei Entwicklungen sichtbar. Als erste Keimzelle sind die Medien, primär die Tageszeitungen zu nennen, für die Annoncen-Expeditionen als Werbemittler aktiv werden. Als weitere Werbe-Keimzelle sind die Marken-Hersteller und Kaufhaus-Konzerne anzusehen, die eigene Werbe-Abteilungen gründen, um ihre Produkt-Angebote bekannt zu machen. Ab 1900 entstehen dann in Deutschland erste Werbe-Ateliers, die sich auf den Bereich Gestaltung konzentrieren und nicht um die Media-Aufgaben kümmern.
Die Annoncen-Expeditionen
Die erste nachweisbare „Werbeagentur“ in Deutschland wird 1855 von dem Buchhändler Carl Ferdinand Eduard Haasenstein unter dem Namen Annoncen-Expedition Ferdinand Haasenstein in Altona gegründet (damals noch kein Hamburger Stadtteil, sondern eine eigene Stadt des Deutschen Bundes unter dänischer Verwaltung). Ende 1846 hat das Königreich Preußen den Insertionszwang aufgehoben und fortan dürfen Anzeigen auch in Tageszeitungen und Zeitschriften veröffentlicht werden. Haasenstein erkennt die sich daraus ergebenden Chancen und sammelt Inserate bei Herstellern, Händlern, Handwerkern sowie anderen Dienstleistern ein. Diese Inserate „verkauft“ er an die Zeitungen und bekommt dafür eine Provision. 1858 steigt der ehemalige Landwirt Adolf Vogler als Partner ein und die Agentur wird unter dem Namen Haasenstein & Vogler oHG weitergeführt. Der Hauptsitz wird von Altona nach Leipzig, dem weltweit führenden Messeplatz, verlegt. Um ihre Kunden über das wachsende Anzeigen-Angebot der Zeitungen zu informieren, gibt die Haasenstein & Vogler oHG 1866 den ersten Anzeigen-Katalog in Deutschland heraus. 1899 wird die oHG in die Haasenstein & Vogler AG (HUVAG) umgewandelt, die 1913 immerhin 55 Filialen mit 359 Anzeigen-Annahmestellen in Deutschland und den angrenzenden europäischen Staaten betreibt. Nach dem Ersten Weltkrieg übernimmt der Industrielle Alfred Hugenberg die Aktienmehrheit und die HUVAG geht in der Ala (Allgemeine Anzeigen GmbH) auf.
Auch in anderen deutschen Städten werden Annoncen-Expeditionen als Vermittler von Anzeigen-Raum gegründet: 1864 die Agentur G.L. Daube in Frankfurt, 1867 die Rudolf Mosse Zeitungs-Annoncen-Expedition in Berlin, 1868 die Annoncen-Expedition D. Frenz Werbung in Mainz (die sich nach dem 2. Weltkrieg zur Full Service Agentur mit spezieller Ausrichtung auf die Getränke-Industrie weiterentwickelte) und 1876 das Central-Annoncen-Bureau William Wilkens in Hamburg. Am 12. Januar 1912 gründen die Annoncen-Expeditionen in Berlin den Verband Deutscher Annoncen-Expeditionen e. V., der 1934 in „Reichsverband der deutschen Werbungsmittler e.V.“ umbenannt wird.
Ebenso erfolgreich wie Haasenstein & Vogler ist der Medien-Manager Rudolf Mosse, der vor der Gründung seiner Agentur bei der legendären Zeitschrift „Die Gartenlaube – Illustriertes Familienblatt“ einen mehrseitigen Anzeigenteil aufgebaut hat. Die Gartenlaube, die ab 1853 im Leipziger Verlag Ernst Keil erschien, gilt als Vorläuferin der modernen Illustrierten in Deutschland (1861 liegt die Auflage bereits bei 100.000 Exemplaren; 1875 sind es schon 382.000 Exemplare). Rudolf Mosse, der als erster die bis heute gebräuchliche Abkürzung AE (Anzeigen-Expedition) verwendet, wirbt in den Zeitungen selber mit Anzeigen für seine Dienstleistung. Er kommt auf die Idee, komplette Anzeigen-Seiten mehrerer Zeitungen zu pachten und diesen Anzeigen-Raum an Werbekunden weiter zu verkaufen. Bereits fünf Jahre nach der Agentur-Gründung ist Mosse mit über 250 Niederlassungen in Deutschland und weiteren Ländern präsent. Ebenso wie Haasenstein bringt auch Mosse einen Anzeigen-Katalog heraus und weitet zudem den Service für die Anzeigen-Kunden deutlich aus, dazu gehört auch die kostenlose grafische Gestaltung der Annoncen. In dieser Hinsicht ist die Anzeigen-Expedition Rudolf Mosse fast wie eine Full-Service-Agentur der 50er und 60er Jahre aufgestellt. Während der Hyper-Inflation 1922/23 gerät die Mosse Gruppe in finanzielle Turbulenzen, aus denen sie sich nicht mehr befreien kann und 1932 endgültig Konkurs anmelden muss. Sie geht danach in der Ala (Allgemeine Anzeigen GmbH) auf, die zum „Hugenberg-Imperium“ gehört.
Ähnlich wie Mosse verfolgt auch William Alexander Wilkens mit seinem Central-Annoncen-Bureau “William Wilkens“ einen Full-Service-Ansatz. Der Sohn eines Hamburger Weinhändlers arbeitet nach Abschluss einer Kaufmannslehre zunächst redaktionell für die erste regelmäßig erscheinende Tageszeitung in Hamburg, den „Hamburgischen Correspondent“, bei dem er auch den Anzeigenteil verantwortet. Am 23. September 1876 gründet der 25-jährige William Alexander Wilkens das „Central-Annoncen-Bureau William Wilkens“ zur Anzeigenschaltung und Gestaltung. Mit dem Angebot von Anzeigen-Buchung inklusive Gestaltung und Text gewinnt Wilkens schnell viele renommierte Auftraggeber. Ab 1907 gehört auch die Beiersdorf AG mit der Marke Nivea Creme dazu.
Die Werbe-Abteilungen der Marken-Hersteller und Kaufhäuser
Die in Deutschland tätigen Marken-Produzenten und Kaufhäuser entdecken mit der Industrialisierung und der damit verbundenen Massenproduktion, wie hilfreich die Reklame beim Verkauf ihrer Produkte ist. Neben den Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften kommen auch Plakate zum Einsatz, die meist „wild“ angebracht werden und so für manchen Ärger sorgen. Der Berliner Buchdrucker und Verleger Ernst Litfaß schlägt den Behörden als Lösung das Aufstellen von Säulen vor und erhält am 5. Dezember 1854 die erste Genehmigung für eine „Annoncier-Säule“ sowie ein auf zehn Jahre angelegtes Monopol. 1855 werden die ersten 100 Litfaß-Säulen in Berlin aufgestellt. Die Unternehmen können nun sicher sein, dass ihre Plakate während des gemieteten Zeitraums nicht überklebt werden.
Für ihre Marken brauchen die Hersteller nicht nur klangvolle Namen, sondern auch Packungen, auf denen der Marken-Name gut erkennbar ist. Dafür bauen sie eigene Abteilungen auf. Zu den Pionieren gehört der Berliner Unternehmer Johann Hoff, der 1870 ein Inseratebureau einrichtet, um den Vertrieb eines der ersten deutschen Markenartikel, den Hoffschen Malzextrakt, eigenständig zu organisieren. Auch andere Marken-Unternehmen gehen nach gleichem Muster vor: u. a. Stollwerk (1899/1900), Bahlsen (1905), Kaffee Hag (1906), Dr. Oetker (1908) und Zeiss Jena (1906). Auch die damals neuen Konsum-Tempel, die Kaufhäuser, bedienen sich der Reklame-Kunst. So richtet die Kaufhaus-Gruppe Wertheim 1890 eine Abteilung mit Namen Dekoration ein. Die wird 1906 personell deutlich aufgestockt und in eine Werbe-Abteilung umgewandelt.
Die Marken-Hersteller erkennen ihre gleichartigen Interessen und gründen 1903 den Verband der Fabrikanten von Markenartikeln (Markenschutzverband) mit Sitz in Berlin. Neben etwa 80 führenden Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen, kosmetischen und Nahrungsmittel-Branche zählen im Geschäftsjahr 1907/08 auch eine Vielzahl kleiner Marken-Firmen zu den Mitgliedern des Verbandes. Diese Interessenvertretung kümmert sich um rund 1.000 Markenartikel. Ab 1920 gliedert sich der stark gewachsene Verband tiefer nach Fachgruppen, um die Übersichtlichkeit zu verbessern.
Die Werbe-Ateliers und gestalterischen Werbeagenturen
Der Bedarf an Reklame bzw. gestalterischen Dienstleistungen wächst mit dem Aufkommen der Medien und der Marken-Hersteller ausgesprochen rasch. Im Gegensatz zu den großen Firmen, die sich eigene Werbe-Abteilungen (Hausagenturen) aufbauen und leisten können, sind kleinere Anbieter auf den Service von Reklame-Fachleuten angewiesen. Als einer der ersten „Sachverständigen für Reklame“ in Deutschland gilt Robert Exner, der 1881 die Fachzeitschrift „Die Reklame“ gründet, die später in “Zeitschrift für kaufmännische Propaganda“ umbenannt wird. Zu den Kunden von Robert Exner, der auch die kleine Werbeagentur Kontor für selbständige Werbeberatung in Berlin betreibt, zählt unter anderem die Likör-Fabrik Carl Mampe (bei der Exner später auch Teilhaber wird). Weitere bekannte Reklame-Experten in Berlin sind Ernst Growald und Richard Kropeit, die beide auch Werbeagenturen gründen.
Werbeberater sind häufig als Einzelkämpfer unterwegs und suchen den Kontakt miteinander, um sich auszutauschen. So entsteht 1903 der Verein Berliner Reklame-Fachleute, aus dem 1908 der Verband deutscher Reklamefachleute hervorgeht. Die Aufgabe der Werbeberater besteht in erster Linie darin, die Reklame künstlerisch und wirksam zu gestalten und den Auftraggeber vor unnützen Ausgaben zu bewahren.
Neben Berlin entwickelt sich Leipzig zum zweiten Zentrum der deutschen Reklame-Experten. Als größter Messeplatz der Welt ist Leipzig ein geradezu idealer Standort für Werbeagenturen mit Gestaltungsansprüchen. Hier werden nicht nur attraktive Messestände nachgefragt, hier werden auch neue Produkte erstmals vorgestellt. Auch die dort 1898 gegründete Handelsschule – heute HHL Leipzig Graduate School of Management (HHL) – trägt maßgeblich zur starken Position von Leipzig als Agentur-Standort bei, denn die HHL-Absolventen bringen das Know-how mit, das die Reklame-Branche braucht.
Einer der bedeutendsten Agentur-Gründer ist Johannes Weidenmüller, der 1908 in Leipzig (Brandvorwerkstraße 65) eine der ersten Werbeagenturen in Deutschland eröffnet, die sich an amerikanischen Vorbildern orientiert und ihr Leistungsspektrum ausschließlich auf die Gestaltung von Werbemitteln wie Anzeigen, Plakate, Messe-Unterlagen, Prospekte oder Logos ausrichtet. Der erste Name von Weidenmüllers Agentur lautet „Werkstatt für neue deutsche Wortkunst“. Ab 1913 heißt die Agentur „Werbewerkstatt zum Federmann“. Zeitweilig beschäftigt Weidmüller bis zu 30 Texter und Grafiker. Zu den Kunden zählen Brauereien (Riebeck und Sternburg in Leipzig), Kohle-Großhandlungen, Mode- und Versand-Häuser, Automobilzulieferer, etc. Die Agentur von Johann Weidenmüller gilt damals als führende Werbeagentur in Deutschland.
Schon vor dem 1. Weltkrieg sind in Deutschland die ersten wegweisenden Fachbücher zum Thema Reklame auf den Markt gekommen – häufig von Experten aus der Messe-Hochburg Leipzig verfasst.
Ein anderer bedeutender Reklame-Experte in Leipzig ist der Verlagsbuchhändler und Schriftsteller Bruno Volger, der nicht nur einige Reklame-Fachbücher geschrieben hat, sondern auch als Werbeberater aktiv ist.
Ab 1919 ist auch Hans Domizlaff, der in Leipzig studiert hat, mit einem kleinen Werbe-Atelier in DER Messe-Metropole aktiv. Ein Auftrag der Schuhfabrik Lingel aus Erfurt sorgt für seinen Durchbruch. 1921 trifft Domizlaff auf der Leipziger Frühjahrsmesse den Zigaretten-Fabrikanten Philipp F. Reemtsma, der ihn erst als Werbeberater engagiert und später auch als Teilhaber aufnimmt. Für Reemtsma hebt Domizlaff die Marken R6, Senoussi und Ernte 23 aus der Taufe und prägt zudem das gesamte Erscheinungsbild des Unternehmens. Neben Reemtsma berät Domizlaff auch andere Unternehmen wie etwa Franck-Kathreiner, die Häuser Siemens und Söhnlein-Sekt, den Norddeutschen Lloyd und den Ullstein-Verlag. Auch der Boxer Max Schmeling gehört zu seinen Kunden.
Erwähnt werden muss noch eine weitere Werbeagentur: die „werbebau“ in Bochum, die am 1. November 1924 das Licht der Welt erblickt. Diese Agentur gilt bereits als Typ der modernen Werbeagentur. Die beiden Gründer Max Buchartz und Johannes Canis stehen dem Bauhaus nahe. Max Buchartz erhält am 1. April 1927 eine Professur für Typografie an der Folkwangschule Essen und zählt zu den Pionieren des Kommunikationsdesigns in Deutschland.
Der Start ausländischer Werbeagenturen in Deutschland
Die Wirtschaft kommt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ab 1925/26 wieder in Schwung. Die sogenannten „Goldenen Zwanziger Jahre“ beginnen. Im Anschluss an die kriegsbedingte Mangel-Wirtschaft und die damit verbundenen Unruhen kommt es nicht nur zu einem ökonomischen Aufschwung, sondern es entsteht auch ein neues Lebensgefühl mit dem dazugehörigen neuen Konsum-Klima. Berlin gehört mit einem Mal zu den attraktivsten Metropolen der Welt und verfügt über eine beachtliche Medien-Szene. In Berlin gibt es über 100 Tageszeitungen, diverse Zeitschriften sowie über 400 Fachzeitschriften und viele Buch-Verlage. 1928 liegen die Werbe-Ausgaben in Deutschland bei dem beachtlichen Volumen von einer Milliarde Mark.
Ab 1925 Jahren kommt es in Deutschland zur ersten Gründungswelle von Werbeagenturen aus den USA und Großbritannien. Diese Agenturen folgen ihren Kunden wie Unilever, General Motors (durch den Kauf der Adam Opel AG) oder Standard Oil und gründen Büros in Berlin. Als eine der ersten US-Agenturen gründet J. Walter Thompson 1927 eine Niederlassung in Berlin. Ein Jahr später kommen die US-Networks McCann und Dorland (damals eine Tochter des Verlages Condè Nast) hinzu. 1929 folgte Lord & Thomas, die später in Foote Cone & Belding (FCB) umbenannt wurde. Im gleichen Jahr startet auch die Unilever-Tochter Lintas (Levers Internationale Advertising Service) ihr Büro in Berlin. Vom 11. bis 15. August 1929 geht in Berlin der Welt-Reklame-Kongress über die Bühne, an dem rund 2.000 Werbeexperten aus den USA teilnehmen.
1 Das Multi-Talent Hans Wilhelm Karl Gustav Domizlaff startet von Leipzig aus seine Werbe- und Marketing-Karriere. Als Erfinder der Markentechnik prägt er die Entwicklung so renommierter Unternehmen wie Reemtsma, Siemens, Deutsche Grammophon oder Franck-Kathreiner. Seine Bücher gelten noch heute als Standardwerke.
2 Der Zigaretten-Hersteller Reemtsma profitierte ganz besonders vom Marken-Verständnis, mit dem Hans Domizlaff bei der Entwicklung von Packungen und Anzeigen vorging: hohe Wiedererkennbarkeit bei den Marken-Zeichen, gut verständliche Botschaften.
Exkurs:
Der Start von Werbeagenturen in Großbritannien und in den USA
Das immer wichtiger werdende Anzeigen-Geschäft bei den Zeitungen sorgte für die Gründung von „Werbeagenturen“. Die nachweislich älteste Werbeagentur geht 1768 in London an den Start: William Taylor gründet die gleichnamige Annoncen-Agentur und arbeitet für britische Zeitungen. 1800 gründet James White seine Werbeagentur in Warwick Square. 1808 zieht White mit seiner Agentur in die Fleet Street um und entwickelt die Annoncen-Agentur zur „richtigen“ Werbeagentur weiter.
Auch in den USA kommt es in Verbindung mit dem Anzeigen-Geschäft zum Aufbau von Werbeagenturen. Die erste amerikanische Agentur wird 1841 vom Agenten Volney Palmer in Philadelphia gegründet – er gibt bei der Anmeldung seiner Firma den Begriff Advertising Agency an und betreut nach kurzer Zeit als Annoncen-Agentur bereits 1.300 der rund 2.000 Zeitungen in den USA.
Ebenfalls in Philadelphia gründet der 21-jährige Francis Wayland Ayer, der zuvor bei Volney Palmer tätig war, 1869 die Agentur N.W. Ayer & Son (N.W. steht für seinen Vater Nathan Wheeler Ayer). Zunächst ist er im Annoncen-Business für religiöse Wochen-Zeitungen aktiv. 1877 übernimmt die florierende Agentur den Mitbewerber Coe, Wetherhill & Co., der zuvor Volney B. Palmers Company gekauft hatte. N.W. Ayer vollzieht als erste Agentur in den USA den Wandel von der Annoncen-Agentur zur sogenannten modernen Full-Service-Agentur und bietet ihren Kunden ab 1884 an, gegen Bezahlung Werbemittel zu produzieren. 1900 ist N. W. Ayer die größte Werbeagentur in den USA und betreut Kunden wie Ford und Nabisco. Ab 1923 beginnt N.W. Ayer mit der Gründung von Agentur-Töchtern in Lateinamerika und Europa. 1927 wird der Agentur-Name in N. W. Ayer ABH international geändert.
Die Werbeagenturen während der Nazi-Diktatur
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 werden nicht nur die Medien, sondern auch die Reklame durch das Gesetz über Wirtschaftswerbung vom 12. September 1933 „gleichgeschaltet“. Es gibt eine strikte Trennung zwischen der Werbeberatung und der Werbemittlung. Damit ist das Modell Full-Service-Werbeagentur quasi „untersagt“. Um die Geschäfte fortzuführen, brauchen die bestehenden Agenturen eine Werbe-Lizenz des damaligen Werberates. Zudem müssen sie Mitglied in der Standesvertretung „Nationalsozialistische Reichsfachschaft deutscher Werbefachleute“ sein.
Die ausländischen Agenturen schließen bzw. verkaufen ihre Niederlassungen oder versuchen mit besonderen Konstruktionen dem Regulierungsanspruch der Nationalsozialisten zu begegnen. Die Niederlassung von J. Walter Thompson nennt sich in „Gesellschaft für Wirtschaftswerbung“ um, McCann firmiert unter „Gesellschaft für markt- und sachgerechte Werbeberatung“. Die Berliner Dorland-Niederlassung wird zwar intensiv von der Gestapo beobachtet, erhält aber dennoch diverse Aufträge vom Staat.
1 Über 2.000 Werbe-Fachleute aus aller Welt waren beim Welt-Reklame-Kongress 1929 in Berlin dabei, der mit diesem Plakat beworben wurde.
2 Die US-Agentur V.B. PALMERS nutzt das Instrument Anzeige, um die eigene Leistung anzupreisen.
Die meisten Werbeberater können zunächst weiterarbeiten, sofern sie die staatlichen Vorgaben beachten. Es kommen sogar einige neue Werbeberater hinzu – unter anderem auch Elly Heuss-Knapp. Die Frau des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss beginnt 1933 im Auftrag ihres Cousins Hermann Geiger (Inhaber der Firma Wybert) in der Werbung aktiv zu werden, um die Familie nach dem Berufsverbot ihres Mannes zu ernähren. Besondere Erfolge gelingen ihr in der Radio-Werbung, die bis dato nur aus vorgelesenen Zeitungsanzeigen besteht. Elly Heuss-Knapp „erfindet“ den Jingle und „revolutioniert“ damit die Radio-Werbung. Die Idee lässt sie sich patentieren und kann so auch für die Marken Nivea, Erdal, Kaffee Hag, Blaupunkt und Persil arbeiten.
Im Laufe des Zweiten Weltkriegs kommt die Wirtschaftswerbung nach und nach vollständig zum Erliegen. Im September 1944 wird sie per Erlass komplett eingestellt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Werbeagentur-Landschaft in Deutschland durch mehrere Faktoren bzw. Wellen geprägt worden, die zeitlich zum Teil parallel liefen und manchmal auch verknüpft stattfanden. Um die teilweise komplexe Entwicklung der Agentur-Landschaft aufzuzeigen, folgt zunächst ein grober Überblick über die einzelnen Trends im chronologischen Zeitablauf. Im Anschluss werden die jeweiligen Entwicklungen noch einmal gesondert betrachtet und anhand der prägenden Persönlichkeiten sowie Werbeagenturen im Detail beleuchtet.
Der Neustart der Werbeagenturen im Nachkriegsdeutschland
In den ersten Jahren nach 1945 steht der Wiederaufbau von Werbeagenturen im Vordergrund, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine wesentliche Rolle gespielt hatten. Parallel dazu entstehen auch neue Agenturen. Eine Reihe von Werbeberater, die bereits in den 20er und 30er Jahren aktiv waren, nutzen nun ihre Verbindungen zu den Auftraggebern, um eigene Agenturen zu gründen.
Aufbruchstimmung im Agentur-Markt
Ab Mitte der 50er Jahre „entdecken“ dann amerikanische und englische Agenturen den deutschen Markt, der durch das sogenannte „Wirtschaftswunder“ immer attraktiver wird. Sie gründen entweder eigene Niederlassungen oder kaufen sich bei bestehenden Agenturen ein. Vor allem die Amerikaner bringen neue strategische Vorgehensweisen mit, die den deutschen Kommunikationssektor spürbar verändern.
Parallel dazu entscheiden sich auch eine Reihe von Führungskräften aus den Werbeagenturen der ersten Stunde für die Selbständigkeit bzw. zur Gründung ihrer eigenen Agentur, denn durch den Wirtschaftsboom in der Bundesrepublik Deutschland steigt die Nachfrage nach Werbung rasant an.
Abgesehen von der Spezial-Disziplin Public Relations (PR), die damals noch Presse-Arbeit heißt, bieten die Werbeagenturen in aller Regel den sogenannten Full-Service an – also Kreation von Werbemitteln wie Anzeigen, Plakate, Spots für die Mediagattungen Kino, Radio und Fernsehen sowie die dazugehörigen Media-Services. Die Aufgabe der Werbekampagnen besteht primär darin, die Marken bekannt zu machen und darüber hinaus den Produktnutzen oder -vorteil hervorzuheben.
Die Kreativen übernehmen das Zepter
Anfang der 60er Jahre ist die harte Nachkriegszeit endgültig überwunden; der Wiederaufbau weitgehend vollzogen und die Gesellschaft in Deutschland ist wieder an mehr interessiert als Essen und Trinken. In den USA entsteht die neue Disziplin Marketing und rückt bei den werbungtreibenden Unternehmen zum wichtigsten Management-Faktor auf. An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gründet Prof. Dr. Heribert Meffert 1969 den ersten Marketing-Lehrstuhl in Deutschland. Die Werbung wird zunehmend emotionaler und damit auch in der Bundesrepublik deutlich kreativer. Folglich steigen die Kreativen in den Full-Service-Agenturen zur einflussreichsten Gruppe auf und bestimmen das Werbegeschehen.
Der Gegentrend: Der Aufstieg der Spezial-Agenturen
Als Gegentrend zur Macht-Bastion Kreation im Full- Service-Bereich entwickeln die Spezial-Disziplinen wie Media, Design, PR oder Verkaufsförderung ein beachtliches Eigenleben. Rund um die einstigen Full-Service-Agenturen entsteht ein Kranz von Spezial-Töchtern – nicht nur in Deutschland, sondern gleich weltweit. Einerseits weiten so die Networks ihr Leistungsspektrum aus, andererseits etabliert sich aber auch eine breitgefächerte Szene an inhabergeführten Spezial-Agenturen, denen es immer gelingt, neue Markt-Nischen zu entdecken. Diese Spezialisten bewegen sich zum einen in besonderen Disziplinen wie Public Relations, Direct Marketing, Media, Design, Sales Promotions oder Corporate Publishing und zum anderen in besonderen Märkten wie Healthcare, Financial Services, Investitionsgüter-Marketing oder Personal-Werbung.
Prof. Dr. Heribert Meffert gründet 1969 das erste Institut für Marketing an der Universität Münster und „holt“ die Disziplin Marketing aus den USA nach Deutschland. Die Universität Münster entwickelt sich daraufhin zur deutschen Kaderschmiede für Marketing-Führungskräfte.
Die Agentur-Networks „erobern“ den Werbemarkt
Im Gefolge der internationalen Konzerne haben bereits in den 20er Jahren eine Reihe amerikanischer Agentur-Networks erste Büros in Deutschland mit Schwerpunkt in Berlin aufgebaut. In den 50er Jahren kommt es zur nächsten Gründungswelle. Ende der 60er Jahre sind immerhin schon zwölf der 50 größten Werbeagenturen in Deutschland Töchter internationaler Networks. Diese Entwicklung beschleunigt sich, denn 1975 gehören bereits 20 der Top-Fifty-Agenturen zu den internationalen Networks. 1980 stellen die internationalen Networks neun der Top-10-Agenturen in Deutschland bzw. 16 der Top-20.
Media-Agenturen werden zum Machtfaktor
Die Anouncen-Expedition als reiner Werbemittler und quasi Keimzelle des Agentur-Geschäfts erlebt ab Mitte der 80er Jahre eine neue Blütezeit. Den Startschuss gibt die Spezialagentur Hiemstra Media Service (HMS) schon 1972, doch erst gut zehn Jahre später gliedern die großen internationalen Full-Service-Agenturen ihr Media-Business in eigene Gesellschaften aus. Ein Grund ist das inzwischen gewaltige Media-Volumen, das bei den jeweiligen Agenturen manchmal mehrere 100 Millionen DM beträgt und für erkleckliche Renditen sorgt. Als weiterer Faktor kommen die privaten TV- und Radio-Sender hinzu, die ab 1985 den Medien-Markt in Deutschland langsam, aber sicher umkrempeln. Wesentlich zu dieser Entwicklung tragen zudem die Medien mit ihrer Bereitschaft bei, Media-Agenturen mit hohem Schaltvolumen eigene Rabatt-Zugeständnisse zu machen. Dadurch entwickeln sich die Media-Agenturen zu den großen Cash-Cows im Agentur-Sektor.
Das Zeitalter der Agentur-Holdings
Die aggressive Übernahmepolitik der britischen Werbeagentur Saatchi & Saatchi löst Mitte der 80er Jahre eine neue Entwicklung im internationalen Agentur-Sektor aus: die Etablierung von Agentur-Holdings, die gleich mit mehreren Networks rund um den Globus aktiv sind. Das führt in der Agentur-Welt zu einer hohen Konzentration, die sich auch im deutschen Agentur-Markt widerspiegelt. Der frühere Saatchi & Saatchi-Finanz-Chef Martin Sorrell baut aus dem kleinen Einkaufswagen-Hersteller WPP die größte Agentur-Holding der Welt auf, indem er sich über die Börse immer neues Kapital besorgt. Den Höhepunkt dieser Konzentration stellt 2013/14 die geplante Fusion der amerikanischen Agentur-Holding Omnicom (die weltweite Nummer zwei) und der französischen Agentur-Holding Publicis Groupe (die weltweite Nummer drei) dar, die jedoch aufgrund unterschiedlicher Management-Kulturen scheiterte.
Sir Martin Sorrell ist der aggressivste Agentur-Käufer der Welt und baut durch spektakuläre Network-Übernahmen die weltgrößte Agentur-Holding WPP auf.
Die Agentur-Holdings sind nach wie vor stark auf das traditionelle Agentur-Business ausgerichtet, mit hohen Erlösen aus dem Media-Geschäft und mit einem vielfältigen Service-Angebot, das noch nicht konsequent genug auf die Anforderungen der digitalen Kommunikation ausgerichtet ist. Seit 2016/17 räumen die Holdings daher in ihrem Portfolio intensiv auf.
Neugründungen beleben den deutschen Agentur-Markt
Durch die Übernahmepolitik der Agentur-Networks und später der Agentur-Holdings kommt es auch in Deutschland zu immer größeren Agentur-Gebilden, aus denen sich mehr oder weniger regelmäßig Führungskräfte verabschieden, um im Anschluss wieder eine neue inhabergeführte Agentur auf die Startrampe zu schieben. Dieser Trend verstärkt sich zudem noch durch sogenannte Break-Aways bei inhabergeführten Agentur-Gruppen wie etwa GGK, Springer & Jacoby, Scholz & Friends oder Jung von Matt.
Die meisten dieser Newcomer-Agenturen landen später wieder bei den Networks oder Holdings. Sie haben häufig eine respektable Umsatzgröße erreicht und verfügen über einen attraktiven Kunden- und Mitarbeiter-Stamm. Die Gründer wollen bzw. müssen Kasse machen, weil keine passenden und potenten Nachfolger parat stehen. Ausnahmen wie etwa die Serviceplan Gruppe oder die defcato-Gruppe bestätigen diese Regel.
Der Aufstieg der Digital-Agenturen
Parallel zum Internet entstehen ab Mitte der 90er Jahre die ersten Spezial-Agenturen, die die digitale Kommunikation auf ihre Fahnen schreiben. Das Platzen der Dotcom-Blase 2000/01 überleben nur wenige Internet-Agenturen aus der New-Economy-Phase. Bis zur nächsten weltweiten Krise, der Immobilienkredit-Blase, die 2008 von den strauchelnden Banken ausgelöst wird, hat sich in der Bundesrepublik bereits wieder eine prosperierende Digital-Agentur-Szene etabliert. Diese ist stark genug, um die globale Finanzkrise zu überstehen und verdrängt ab 2010 die klassische Agentur mehr und mehr aus der angestammten Lead-Rolle bei den Auftraggebern. Aufgrund der Digitalisierung suchen die Auftraggeber nach kommunikativen Dienstleistern mit hoher Kompetenz im Bereich Social Media.
Artfremde Akteure entdecken (wieder) das Agentur-Geschäft
Ab 1840 entstehen zunächst in den USA und ab 1855 auch in Deutschland Werbeagenturen, weil sowohl Medien als auch Unternehmen die Aufgabe der werblichen Kommunikation lieber Spezialisten übertragen, die sich den besonderen Herausforderungen dieser Aufgabenstellung widmen. Diese Tätigkeit erfordert damals schon ein besonderes Know-how in Sachen Kreation oder Mediaplanung, das nicht zur jeweiligen Kernaufgabe eines Medien-Hauses oder Unternehmens passt. Jetzt dreht sich dieses Tätigkeitsmodell und immer mehr artfremde Akteure werden wieder im Agentur-Geschäft aktiv.
Medien-Unternehmen bieten zunehmend Agentur-Leistungen an, weil ihnen die Erlöse durch den Verkauf von traditionellem Werberaum wegbrechen. Unternehmen bauen wieder stärker eigene Werbe-Abteilungen auf, weil das datengetriebene Marketing – also die direkte Beziehung zum Kunden – mehr und mehr zum wesentlichen Asset neben dem Produkt bzw. der Marke wird. Und last but not least interessieren sich immer mehr Management-Beratungen bzw. internationale Consulting-Konzerne für den Agentur-Sektor, weil sie ihren Auftraggebern über die reine Beratung hinaus auch Lösungswege im Bereich Marketing und Kommunikation anbieten müssen. Zudem können sie so die Phase der Zusammenarbeit mit ihren Auftraggebern deutlich verlängern und stärker absichern.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelt sich in Deutschland rasch wieder eine unabhängige, nicht staatlich gelenkte Medien-Landschaft – eine wesentliche Voraussetzung für die Existenz von Werbeagenturen. Die drei westlichen Besatzungsmächte vergeben off ensiv Lizenzen für die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschrift en, nur beim Radio und Fernsehen kommen zunächst private Anbieter nicht zum Zuge. Auch die beiden Media-Gattungen Kino und Plakat erholen sich schnell.
Relativ schnell etablieren sich zudem in der noch jungen Bundesrepublik neue Verbandsstrukturen, in denen sich die Firmen der Werbe- und Medien-Branche organisieren. Am 19. Januar 1949 wird der Zentralausschuss der Werbewirtschaft (ZAW) gegründet und vertritt vom Büro in Bonn Bad Godesberg die Positionen und Interessen der Medien- und Werbe-Wirtschaft gegenüber der Politik. Drei Jahre später, 1952, geht in Frankfurt die Gesellschaft Werbeagenturen (GWA) an den Start, deren historische Wurzeln bis in die 20er Jahre zurückreichen. Die GWA-Mitglieder verpfl ichten sich, klar defi nierte Standards und auch Leistungen einzuhalten.
Parallel zu den neuen Zeitungen und Zeitschrift en entstehen quer durch die Republik wieder Werbeagenturen – teils werden sie wiederbelebt, teils werden sie neu gegründet. Erste Auft raggeber sind Hersteller und Marken, die ihre „Rückkehr“ in die Regale ankündigen. Da das bisherige politisch-wirtschaft liche Zentrum Berlin aufgrund seiner geographischen Lage mitten in der sogenannten sowjetischen Zone bzw. der späteren DDR wenig Chancen für gute Geschäft e bietet, entwickelt sich die neue bun- desdeutsche Agentur-Szene dezentral. Die drei Städte Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg schälen sich rasch als bevorzugte Standorte heraus. Auch in München und Stuttgart etabliert sich auf Basis vorhandener Strukturen eine Szene mit inhabergeführten Agenturen.
1949 und 1950 entstehen Branchenverbände, um die übergeordneten Interessen ihrer Mitglieder zu bündeln und diese gegenüber anderen Branchen sowie staatlichen Institutionenzu vertreten.
Während in Düsseldorf und Hamburg vor allem inhabergeführte Werbeagenturen wiederbelebt bzw. neu gegründet werden, profitiert Frankfurt zusätzlich stark von den Gründungen der amerikanischen Agentur-Ketten. Aber auch in der sogenannten Werbe-Provinz melden sich Agenturen zurück oder gehen neu an den Start. Einige dieser „Provinz-Agenturen“ haben vor allem im Zeitraum 1945 bis 1960/65 beachtliche Spuren in der deutschen Werbe-Landschaft hinterlassen. Dazu gehören Namen wie Die Werbe in Essen, Clar in Heidelberg, Krais in Karlsruhe, Hettenbach in Heilbronn, Wächter sowie Contact in Oldenburg/Bremen, die schon 1868 gegründete Agentur Frenz aus Mainz, die 1933 gegründete Westag in Köln, Carl Gabler oder Busskamp & Koch in München sowie die Stuttgarter Agenturen Geiling, Bläse, Bruder und Wündrich-Meissen.