Und wenn du mich küsst - Susan Elizabeth Phillips - E-Book

Und wenn du mich küsst E-Book

Susan Elizabeth Phillips

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Beschreibung

Launische Operndiva trifft auf ehrgeizigen Football-Star – erst fliegen die Fetzen, dann fliegen die Funken!

Thaddeus Walker Bowman Owens ist der Ersatz-Quarterback der Chicago Stars, Teamplayer, gelegentliches Unterwäschemodel und ein Mann mit einer geringen Toleranz gegenüber Diven. Olivia Shore ist internationaler Opernsuperstar, eine Diva mit einer Leidenschaft für Perfektion, dem Verlangen nach Gerechtigkeit und einem monumentalen Groll gegen egoistische, anspruchslose Sportler. Und doch haben sich beide dazu verpflichtet, gemeinsam auf eine landesweite Werbetour für eine Luxusuhrenmarke zu gehen. Während die Stimmung anfangs eisig ist und eher die Fetzen fliegen, kommen beide nicht umhin zu merken, dass aus Fetzen immer mehr Funken werden …

Die erfolgreiche »Chicago Stars«-Reihe:
1. Ausgerechnet den?
2. Der und kein anderer
3. Bleib nicht zum Frühstück!
4. Träum weiter, Liebling
5. Verliebt, verrückt, verheiratet
6. Küss mich, wenn du kannst
7. Dieser Mann macht mich verrückt
8. Verliebt bis über alle Sterne
9. Und wenn du mich küsst

Alle Romane sind unabhängig voneinander lesbar.

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Buch

Thaddeus Walker Bowman Owens ist der Ersatzquarterback der Chicago Stars, Teamplayer, gelegentliches Unterwäschemodel und ein Mann mit einer geringen Toleranz gegenüber Diven. Olivia Shore ist internationaler Opernsuperstar, eine Diva mit einer Leidenschaft für Perfektion, dem Verlangen nach Gerechtigkeit und einem monumentalen Groll gegen egoistische, anspruchslose Sportler. Und doch haben sich beide dazu verpflichtet, gemeinsam auf eine landesweite Werbetour für eine Luxusuhrenmarke zu gehen. Während die Stimmung anfangs eisig ist und eher die Fetzen fliegen, kommen beide nicht umhin zu merken, dass aus Fetzen immer mehr Funken werden …

Autorin

Susan Elizabeth Phillips ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Romane erobern jedes Mal auf Anhieb die Bestsellerlisten in Deutschland, England und den USA. Die Autorin hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Chicago.

Die erfolgreiche »Chicago Stars«-Reihe:

1. Ausgerechnet den?

2. Der und kein anderer

3. Bleib nicht zum Frühstück!

4. Träum weiter, Liebling

5. Verliebt, verrückt, verheiratet

6. Küss mich, wenn du kannst

7. Dieser Mann macht mich verrückt

8. Verliebt bis über alle Sterne

9. Und wenn du mich küsst

Alle Romane sind unabhängig voneinander lesbar.

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Susan Elizabeth Phillips

Und wenn du mich küsst

Roman

Deutsch von Claudia Geng

Die Originalausgabe erschien 2022

unter dem Titel »When Stars Collide« bei William Morrow, an Imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © der Originalausgabe 2021 by Susan Elizabeth Phillips

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe by Blanvalet, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Angela Kuepper

Covergestaltung: www.buerosued.de

Covermotive: plainpicture/Mihaela Ninic; Jutta Kuss/Getty Images; www.buerosued.de

LH ∙ Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-28347-6V003

www.blanvalet.de

Für all die Lehrer,

die weiterhin für ihre Schüler da sind.

Wir schulden euch unseren Dank.

Mit gesenktem Kopf kannst du keine Krone tragen.

Beyoncé

KAPITEL 1

Olivia Shore starrte durch die abgedunkelte Scheibe der Limousine zu dem Privatjet, der auf dem Rollfeld stand. So weit war es mit ihr nun schon gekommen: Sie reiste durch das Land mit einem geistig minderbemittelten, überbezahlten Footballprofi und zu vielen schlechten Erinnerungen – und das alles, um eine Luxusuhr zu vermarkten.

Dies würden die längsten vier Wochen ihres Lebens werden.

Thaddeus Walker Bowman Owens beugte sich näher an das Flugzeugfenster und sah hinaus zu der Limousine, die neben dem Jet angehalten hatte. Exakt achtunddreißig Minuten Verspätung. Ein Chauffeur trat in Erscheinung und lud hinten einen Koffer aus, dann noch einen, danach einen dritten. Als Nächstes kam eine Kleiderhülle zum Vorschein, gefolgt von einem vierten Koffer. Thad zog den Kopf vom Fenster zurück. »Was zum Teufel habe ich mir da eingebrockt?«

Cooper Graham spähte an ihm vorbei durch das Fenster, um seinem Blick zu folgen, und schaute dann halb grinsend auf Thads maßgeschneiderte Hose aus feinster Schurwolle und den Pullover aus Kaschmir und Seide. »Sieht ganz so aus, als würdest du im Ranking der bestgekleideten Promis Konkurrenz bekommen.«

Thad schenkte dem Mann, der sein bester Freund war und zugleich ein ewiger Stachel in seinem Fleisch, einen finsteren Blick. »Ich mag es, mich gut zu kleiden.«

»Die halbe Zeit siehst du aus wie ein verdammter Pfau.«

Thad warf einen vielsagenden Blick auf Coopers Hoodie und die Jeans. »Im Vergleich zu dir schon.« Er legte den linken Fuß, der in einem halbhohen italienischen Designerstiefel mit superweichem Innenfutter steckte, über das rechte Knie. »Trotzdem nett von dir, dass du gekommen bist, um mich zu verabschieden.«

»Das war das Mindeste, was ich tun konnte.«

Thad lehnte sich zurück in den Ledersitz. »Du hattest Angst, ich würde nicht auftauchen, stimmt’s?«

»Gut möglich, dass es mir kurz in den Sinn kam.«

»Erzähl mir, wie du das angestellt hast.«

»Wie ich was angestellt habe?«

»Wie du es angestellt hast, die Uhrenfabrik Marchand – Verzeihung, die Uhrenmanufaktur Marchand – zu überzeugen, dass ich als Markenbotschafter genauso gut geeignet bin wie der legendäre Cooper Graham.«

»Du bist nicht gerade ein Niemand«, erwiderte Cooper milde.

»Verdammt richtig. Und zum Beweis habe ich die Heisman Trophy bekommen. Der einzige Pokal, den selbst du nicht im Regal stehen hast.«

Cooper grinste und klopfte ihm auf die Schulter. »Dein Mangel an persönlichem Neid ist das, was ich an dir am meisten bewundere.«

»Da Marchand der offizielle Uhrenausrüster der Stars ist und du dankend abgewunken hast, wollten die bestimmt Clint Garrett haben, nicht wahr?«

»Möglich, dass sein Name gefallen ist.«

Thad schnaubte empört. Clint Garrett war der hochtalentierte, von sich eingenommene junge Blödmann, den die Chicago Stars letztes Jahr als Quarterback verpflichtet hatten, um die Lücke zu füllen, die Cooper nach seinem Rückzug aus dem Profisport hinterlassen hatte. Derselbe Clint Garrett, den er zu einem besseren Spieler machen und – ach ja – ersetzen sollte, falls der Schwachkopf sich verletzte.

Als Thad vor sechzehn Jahren mit der Heisman Trophy, einer jährlichen Auszeichnung für den besten Spieler im College Football, von der Universität gekommen war, hatte er sich selbst als den nächsten Cooper Graham oder Tom Brady betrachtet und nicht als jemanden, der den Großteil seiner NFL-Karriere als Ersatzspieler für den ersten Quarterback in vier verschiedenen Profiteams diente. Aber so hatten sich die Dinge nun einmal entwickelt. Er war anerkannt als brillanter Stratege, als inspirierender Anführer, aber da gab es diese fast belanglose Einschränkung in seinem peripheren Gesichtsfeld, die zwischen ihm und der absoluten Spitze stand. Immer die Brautjungfer, nie die Braut.

Im vorderen Bereich der Kabine rührte sich etwas und lenkte Thads Aufmerksamkeit auf die Diva, die sie nun endlich mit ihrer Anwesenheit beehrte. Sie trug einen gegürteten hellbraunen Trenchcoat über einer schwarzen Hose und dazu königsblaue High Heels, die ihre bereits beeindruckende Körpergröße um geschätzte dreizehn Zentimeter verlängerten. Um ihren Kopf war ein gemustertes Tuch gebunden, das einen dunklen Haaransatz über der Stirn zeigte, was Thad an frühere Aufnahmen von Jackie Kennedy erinnerte. Mit ihrem Kopftuch und der riesigen Sonnenbrille auf der langen Nase sah die Diva aus wie eine Jetsetterin aus den Sechzigerjahren oder wie ein italienischer Filmstar. Sie legte ihre Designertasche ab, die groß genug war, um einen Golden Retriever darin unterzubringen, und nahm im vorderen Bereich Platz, ohne die Männer hinten zur Kenntnis zu nehmen.

Als der schwache Duft von Luxusparfüm, Hochkultur und purer Arroganz sich einen Weg nach hinten bahnte, schälte Cooper sich aus seinem Sitz. »Für mich wird es Zeit zu verschwinden.«

»Verdammter Glückspilz«, murmelte Thad.

Cooper kannte ihn anscheinend gut genug, um zu wissen, dass nicht die Diva allein für seine schlechte Laune verantwortlich war. »Der Junge braucht dich«, sagte er. »Clint Garrett hat das Talent, um es bis ganz nach oben zu schaffen, aber nicht ohne die Hilfe des alten Mannes.«

Thad war sechsunddreißig. Im Profifootball galt das als alt.

Cooper ging nach vorn zum Ausgang. Als er an der Diva vorbeikam, blieb er kurz stehen und nickte ihr zu. »Miss Shore.«

Sie neigte nur leicht den Kopf, ohne dem Mann, der zu den größten Quarterbacks in der Geschichte der NFL zählte, weiter Beachtung zu schenken. Wenn jemand das Recht hatte, Cooper mit Verachtung zu strafen, dann war das Thad, aber nicht diese hochnäsige Opernsängerin.

Cooper warf Thad einen amüsierten Blick zu und verließ dann das Flugzeug wie eine Ratte das sinkende Schiff. Thad nahm an, dass Cooper kein zweites Mal darüber hatte nachdenken müssen, bevor er Marchands lukratives Angebot, als Markenbotschafter für die neue Herrenuhr Victory 780 zu werben, abgelehnt hatte. Der ehemalige Quarterback war nicht gern von seiner Familie getrennt, und auf das Geld war er definitiv nicht angewiesen. Was Clint Garrett betraf … Der Jungspund war zu sehr damit beschäftigt, Frauen aufzureißen und mit schnellen Autos durch die Gegend zu düsen, um seine Zeit als Repräsentant eines angesehenen Unternehmens wie Marchand, offizieller Sponsor der Chicago Stars wie auch der Chicagoer Municipal Opera, zu verschwenden.

Trotz seiner Bemerkung zu Cooper vorhin wunderte es Thad nicht wirklich, dass die Leute von Marchand an ihn herangetreten waren, um die Victory 780 zu promoten. Sie brauchten dafür schließlich einen Spieler der Stars, und Thad hatte jahrelange Übung darin, Interviews zu geben, nachdem ihm schon in jungen Jahren die Heisman Trophy reichlich Publicity beschert hatte. Trotzdem wusste jeder, der Augen im Kopf hatte, dass Thad den Werbevertrag mit Marchand nicht seinem Wurfarm oder seiner Schlagfertigkeit zu verdanken hatte, sondern seinem attraktiven Gesicht.

»Du siehst sogar noch besser aus als der Schönling«, hatte Cooper bei ihrer ersten Begegnung gestichelt, eine Anspielung auf Dean Robillard, auch er ein ehemaliger großer Quarterback der Stars.

Thads äußere Erscheinung war ein Fluch.

Eine seiner Exfreundinnen hatte ihm einmal erklärt: »Du hast Liam Hemsworths Nase, Michael B. Jordans Wangenknochen und Zac Efrons Haare. Und was deine grünen Augen betrifft … Taylor Swift, garantiert. Es ist, als hätten alle schönen Promis auf der Welt dir ins Gesicht gekotzt.«

Er vermisste Lindy, aber sie hatte irgendwann die Nase voll gehabt von seiner Bindungsunfähigkeit. Nachdem sie sich von ihm getrennt hatte, hatte er ihr ein neues Notebook geschickt, damit sie wusste, dass er ihr nichts nachtrug.

Im Laufe der Jahre hatte er alles Mögliche versucht, um sein Erscheinungsbild aufzurauen. Er ließ sich einen Vollbart stehen, bis er zu hören bekam, dass er große Ähnlichkeit mit dem Typen aus Fifty Shades of Grey habe. Er probierte es mit einem Pornobalken, nur um die Frauen sagen zu hören, dass er mit seinem Schnauzer mondän wirke. Er setzte sogar auf Ironie und trug für eine Weile einen dieser albernen Man Buns. Leider stand ihm die Frisur hervorragend.

Auf der Highschool hatte jeder Pickel bekommen außer ihm. Er hatte nie eine Zahnspange gebraucht oder eine peinliche Phase durchgemacht. Er hatte sich nie die Nase gebrochen, und er hatte auch keine Narbe am Kinn wie jeder andere Spieler in der Liga. Seine Haare wurden nicht dünner. Er setzte kein Fett an.

Er machte seine Eltern dafür verantwortlich.

Das einzig Gute an seinem schönen Gesicht und seinem durchtrainierten, ein Meter neunzig großen Körper waren die Zusatzeinnahmen, die er damit machte. Er mochte es, Geld zu verdienen. Im Laufe der Jahre hatte er sein Gesicht einem Herrenparfüm geliehen, seinen Po exklusiver Designerunterwäsche und seine Haare irgendwelchen überteuerten Pflegeprodukten, die er nie benutzte. Und jetzt das.

Eine vierwöchige Promotour für die neue Victory 780 von Marchand. Fotoshootings und Interviews und zum Schluss ein Gastauftritt auf der großen Operngala in Chicago. Wahrhaftig keine Schweißtreiberei. Aber es gab einen Haken. Er war nicht der einzige Markenbotschafter für Marchand. Während er für die Victory 780 trommelte, warb Olivia Shore, der Opernsuperstar, für Marchands neue Damenuhr, die Cavatina 3.

»Bonjour! Bonjour!« Henri Marchand erschien vorn in der Flugzeugkabine mit ausgebreiteten Armen, und sein französischer Akzent rann aus ihm heraus wie Nutella von einer heißen Crêpe. Das braune Haar, aus dem Gesicht nach hinten gegelt, fiel ihm über den Rand seines Kragens. Selbst ohne eine Baskenmütze auf dem Kopf strahlte er die Alte Welt aus. Er war hager, vielleicht eins fünfundsiebzig groß und hatte ein schmales Gesicht mit scharfen Zügen. Sein feiner dunkelgrauer Maßanzug hatte den europäischen Schnitt, der für den kräftiger gebauten Durchschnittsamerikaner eher unvorteilhaft war, obwohl Thad ein ähnliches gestreiftes Halstuch besaß, das er manchmal nach europäischer Art trug, weil – warum auch nicht?

Henri näherte sich der Diva. »Olivia, ma chère.«

Sie streckte die Hand aus, und er drückte die Lippen darauf, als wäre sie die gottverdammte englische Queen persönlich, obwohl Thad wusste, dass sie aus Pittsburgh stammte, wo sie als einziges Kind eines inzwischen verstorbenen Musiklehrerpaars aufgewachsen war. Thad hatte seine Hausaufgaben gemacht.

Henri sah zu ihm nach hinten und breitete aufs Neue die Arme aus. »Und Thaddeus, mon ami!«

Thad winkte kumpelhaft und machte sich eine gedankliche Notiz, den Namen von Henris Schneider ausfindig zu machen.

»Vor uns liegt ein fantastisches Abenteuer.« Mehr Armschwenken. »Unser erstes Ziel ist Phoenix, wo Sie, Madame, eine atemberaubende Dulcinea in Don Quichotte sangen, und wo Sie, lieber Thaddeus, einen Touchdown-Pass über siebzig Yards gegen die Arizona Cardinals warfen. Ruhmreiche Zeiten, nicht wahr? Und der Ruhm strahlt noch immer hell.«

Das traf vielleicht auf die Diva zu, aber nicht auf Thad.

Henri wandte sich zu einer jungen Frau um, die mit ihm an Bord gekommen war. »Das hier, mes amis, ist Paisley Rhodes, meine Assistentin.« Bildete Thad sich das ein, oder trübte sich Henris übertriebenes Lächeln tatsächlich ein wenig?

Paisley sah aus, als käme sie frisch vom Campus aus einem Einführungskurs in Psychologie: lange, glatte blonde Haare, eine zu perfekte Nase, ein schlanker Körper in einem kurzen Rock, die Bluse vorn in den Bund gesteckt und hinten überhängend, dazu Stiefeletten. Sie wirkte ziemlich gelangweilt, als wäre es eine Zumutung, in einen Privatjet einzusteigen.

»Paisley wird uns auf unserer Tour begleiten. Wenn Sie irgendetwas benötigen – ganz gleich, was –, wenden Sie sich bitte an sie.«

Thad rechnete halb damit, ein »Meinetwegen« aus Paisleys Mund zu hören, weil sie nicht desinteressierter hätte wirken können. Er nahm an, dass sie ihren Job einem Gefallen zu verdanken hatte, den jemand eingefordert hatte.

Ihr Blick richtete sich nun auf ihn, und zum ersten Mal schien Interesse in ihren Augen aufzublitzen. Sie ignorierte die Diva und ging direkt nach hinten durch, um sich zu ihm zu setzen. »Ich bin Paisley.«

Er nickte.

»Mein Dad ist ein großer Footballfan.«

Thad gab seine Standardantwort. »Freut mich zu hören.«

Als das Flugzeug startete, begann sie, ihm eine Kurzfassung – aber nicht kurz genug – ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Frische Absolventin eines südkalifornischen Colleges im Fach Kommunikationswissenschaften. Frisch getrennt von ihrem Freund. Sie war eine alte Seele in einem jungen Körper – ihre Einschätzung, nicht seine. Ihr Lebensziel: persönliche Assistentin einer großen – irgendeiner großen – Berühmtheit zu werden. Und, jetzt kam’s: Ihr Großvater war ein guter Freund des Firmenpatriarchen Lucien Marchand, was erklärte, wie sie an diesen Job gekommen war.

Sie musterte die Uhr an ihrem Handgelenk, ein Basismodell von Marchand. »Ich trage sonst nie eine Uhr.« Sie tippte auf ihr Handy. »Ich meine, wozu soll das gut sein? Aber die zwingen mich, für die Tour eine Marchand zu tragen.«

»Schweine«, sagte er mit einem vollkommen ernsten Gesichtsausdruck.

»Ich weiß. Aber mein Opi sagt, ich muss irgendwo anfangen.«

»Da hat Opi wohl recht.«

»Schätze schon.«

Glücklicherweise ließ sie ihn wieder allein, um sich mit ihrem Handy zu beschäftigen, nachdem sie die Flughöhe erreicht hatten. Thad stellte seinen Sitz zurück, schloss die Augen und erging sich in seiner Lieblingsfantasie, in der Clint Garrett drei Interceptions warf, sich das Schienbein brach und für die restliche Saison ausfiel, sodass Thad in die Startaufstellung rückte. Clint, das arme Schwein, musste von der Tribüne aus zusehen, wie Thad die Chicago Stars zum Super Bowl führte.

Henri Marchands seidiger französischer Akzent unterbrach seinen Tagtraum. »Ich nehme an, Sie haben sich inzwischen die Produktbeschreibung durchgelesen, die ich Ihnen geschickt habe.«

Thad öffnete widerwillig die Augen. Er hatte ein gutes Gedächtnis, und es war für ihn ein Leichtes, die Details über die Uhr, für die er Werbung machen sollte, abzurufen. Henri Marchand wollte jedoch offenbar auf Nummer sicher gehen. »Wir haben über zehn Jahre an der Victory 780 herumgetüftelt.« Er setzte sich neben Thad. »Es handelt sich um einen hochmodernen Chronografen, der zugleich die klassische Tradition von Marchand widerspiegelt …«

»Und schlappe zwölftausend Dollar kostet«, warf Thad ein.

»Prestige und Präzision haben nun einmal ihren Preis.«

Während Henri begann, von dem Selbstaufzugsmechanismus und der hochrobusten Spiralfeder der Victory 780 zu schwärmen, betrachtete Thad die Uhr an seinem Handgelenk. Er musste zugeben, dass sie mit dem schweren Armband aus Edelstahl, dem Platingehäuse und der schwarzen Keramikeinfassung fantastisch aussah. Das Zifferblatt schimmerte in Saphirblaumetallic und hatte drei edelstahlumrandete Innenzifferblätter, mit denen er seine Laufstrecken messen oder stoppen konnte, wie lange Clint Garrett es schaffte, nicht »Alter« zu sagen.

»Heute Abend werden wir mit fünf unserer wichtigsten Großkunden speisen«, fuhr Henri fort. »Morgen Vormittag stehen dann Radiointerviews an – Sie sind bei den Sportsendern und im Allgemeinprogramm zu Gast, während Madame Shore den klassischen Musiksender besucht.«

Was der Diva viel Zeit verschaffte, um ihre kostbaren Stimmbänder zu schonen, während Thad sich heiser redete.

»Danach Zeitungsinterviews. Ein paar wichtige Blogger. Und ein öffentlicher Fototermin in Scottsdale.«

Thad hatte zuvor schon Produktwerbung gemacht, und er wusste genau, wie solche Dinge funktionierten. Sein Name und Shores Name öffneten Marchand die Tür zu mehr Interviews, als der Markenname allein für sich verbuchen konnte. Thad würde man Fragen zu seiner Karriere, zur Situation im Profifootball und zu den aktuellen Kontroversen in der NFL stellen. Zusätzlich wurde von ihm erwartet, dass er bei seinen Antworten Sätze über die Uhr einstreute.

Henri entschuldigte sich schließlich und kehrte zurück an die Seite der Diva. Gleich darauf erschien Paisley und setzte sich wieder zu ihm. Thad wurde bewusst, dass sie noch kein Wort mit der Diva gewechselt hatte. Nur mit ihm.

»Henri hat mir gesagt, ich soll dir das hier geben. Es ist das aktualisierte Tourprogramm.« Sie reichte ihm eine schwarze Ledermappe, die mit dem Marchand-Logo verziert war.

Thad war mit dem Programm vertraut. Er und die unsympathische Diva wurden sehr gut dafür bezahlt, dass sie in den kommenden vier Wochen als Markenbotschafter durch das Land reisten. Am Ende dieser Tour würden sie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren, nach Chicago. Dann hatte Thad zwei Wochen frei, während die Diva in den Proben für die neue Aida-Produktion der Chicagoer Municipal Oper stecken würde. Am Sonntag nach dem Premierenabend plante Marchand in Zusammenarbeit mit der Oper eine Benefizgala. Danach endete Thads Verpflichtung.

»Ich habe meine Nummer auf der ersten Seite notiert«, sagte Paisley. »Du kannst mich jederzeit anschreiben. Egal wann.«

»Mach ich.« Er antwortete einsilbig – knapp an der Grenze zur Unhöflichkeit –, aber er musste diese Annäherungsversuche im Keim ersticken. Die Diva würde wahrscheinlich schwierig genug sein, da brauchte er keine weiteren Komplikationen. Außerdem hatte er zuletzt als Zweiundzwanzigjähriger auf Einundzwanzigjährige gestanden.

Paisley warf ihr langes blondes Haar zurück. »Das ist mein Ernst. Du sollst wissen, dass du hundertprozentig auf mich zählen kannst.«

»Okay.« Er setzte seine Kopfhörer auf. Sie verstand den Wink und ließ ihn allein. Er döste zu den Jazzklängen von Chet Baker.

Die Diva saß in der entgegengesetzten Ecke der Limousine, die Sonnenbrille noch immer auf der Nase, ihre Wange an die Scheibe gelehnt. Die einzige Kommunikation, die zwischen Thad und ihr bisher stattgefunden hatte, war ein feindseliger Blick von ihrer Seite gewesen, als sie aus dem Privatjet gestiegen waren. Paisleys Daumen rasten über ihr Smartphone, vermutlich schrieb sie privat mit Freunden, statt zu arbeiten. Henri telefonierte und klang sehr energisch. Thad mit seinem Speisekartenfranzösisch konnte nicht verstehen, worum es bei dem Gespräch ging. Die Diva hingegen schon. Sie hob ihren Kopf von der Scheibe und machte eine ablehnende Geste.

»C’est impossible, Henri.«

Wie sie Marchands Namen aussprach … ein melodisches Oa-ri aus tiefer Kehle. Wenn Thad den Namen sagte, kostete es ihn schon enorme Anstrengung, das H und das N zu unterdrücken. Von den Nasallauten ganz zu schweigen.

Der folgende Dialog erhellte Thad nicht im Geringsten, was genauso äh-posi-blö war, aber als sie vor dem Hotel hielten, klärte Oa-ri ihn auf. »Es gibt eine kleine Änderung im Plan. Wir müssen die Interviews heute vorziehen, gleich nach dem Einchecken. Eine Unannehmlichkeit, aber so etwas kann passieren, wie Sie sicher verstehen.«

Keine zehn Minuten später wurden Thad und die Diva in die Präsidentensuite des Hotels geführt, während Henri und Paisley folgten. Neben einem luxuriösen Salon samt einem Konzertflügel verfügte die Suite über zwei Schlafzimmer mit eigenen Bädern, eine Küche, einen Essbereich und eine ausladende Terrasse. Auf einem großen Couchtisch in der Mitte des Salons waren Platten mit Gebäck angerichtet und eine Auswahl an Weinen und Mineralwasser.

»Sie haben noch ein paar Minuten Zeit, um sich frisch zu machen, bevor die Journalisten kommen«, sagte Henri. »Paisley wird sie hereinführen.«

Paisley zog ein bockiges Gesicht, als gehörte das Eskortieren von Journalisten nicht zu ihrer Jobbeschreibung. Henri schien es nicht zu bemerken. Oder vielleicht tat er auch nur so.

Die Diva verschwand im Gästebad. Während Henri zum zweiten Mal die Erfrischungen begutachtete, die für das Interview bereitgestellt worden waren, schlenderte Thad durch die große Verandatür hinaus auf die geflieste Terrasse, um die Aussicht auf den Camelback Mountain zu bewundern. Würde er diese Werbetour doch nur mit einem weiblichen Rockstar machen statt mit einer eingebildeten Opernsängerin. Die nächsten vier Wochen erstreckten sich vor ihm wie eine endlose Straße, die genau ins Nichts führte.

Im Bad lehnte sich die eingebildete Opernsängerin gegen die geschlossene Tür, kniff die Augen zusammen und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Das hier war mehr, als sie ertragen konnte. Mit einer Bestie wie Thad Owens diese Tour bestreiten zu müssen, war die endgültige Katastrophe in diesen verheerenden letzten Wochen. Sie durfte unter keinen Umständen Schwäche zeigen, ihm keine Angriffsfläche bieten, die er glaubte, ausnutzen zu können.

Hätte sie das alles vorher gewusst, hätte sie erst gar nicht in Erwägung gezogen, den Vertrag mit Marchand zu unterschreiben. Sie war noch nie aus einem Vertrag ausgestiegen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie die kommenden vier Wochen überstehen sollte. Lächeln. Small Talk halten. Immer freundlich sein. Und sicherstellen, dass sie niemals mit ihm allein war.

Ihr Handy vibrierte in der Hosentasche. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und checkte das Display. Es war Rachel, die sich nach ihr erkundigen wollte. Ihre liebe, zuverlässige Freundin Rachel, die sie auf eine Art verstand wie kein anderer. Olivia ließ das Handy in ihre Hosentasche zurückgleiten. Sie war nervös, unkonzentriert, zu verwundbar, um jetzt mit Rachel zu sprechen.

Sie nahm ihr Kopftuch ab. Ihre Frisur war ein Desaster. Es kümmerte sie nicht. Statt ihre Haare in Ordnung zu bringen, setzte sie sich auf den Toilettendeckel und schloss die Augen. Die Melodie von Donizettis »Pour mon âme« verfolgte sie schon den ganzen Tag. Die Arie aus La fille du régiment mit ihren neun hohen Cs in kurzen Abständen war ein Paradestück für die weltbesten Tenöre. Zu denen hatte Adam nicht gezählt, doch das hatte ihren ehemaligen Verlobten nicht davon abgehalten, sich daran zu versuchen.

Sie zwinkerte heftig mit den Augen. Die Cavatina 3 an ihrem Handgelenk rückte in ihren Fokus. Ein Armband aus vergoldetem Edelstahl, ein elfenbeinfarbenes Zifferblatt mit eingearbeiteten Diamanten. Cavatina. Eine einfache Arie ohne einen zweiten Teil oder eine Wiederholung. In der Musik war eine Cavatina schnörkellos und unkompliziert, im Gegensatz zu dieser luxuriösen Damenuhr oder Olivias hoch kompliziertem Leben.

Sie starrte auf den weißen Umschlag, den sie heute Morgen aus ihrem Briefkasten geholt hatte. Er war in derselben ordentlichen Druckschrift an sie adressiert wie der erste Brief, den sie vor zwei Tagen erhalten hatte. Sie zwang sich, den Umschlag zu öffnen. Ihre Hände zitterten.

Nur fünf Worte. Du hast mir das angetan.

Sie unterdrückte ein Schluchzen, zerriss das Papier in winzige Schnipsel und spülte sie die Toilette hinunter.

Paisley führte zwei Zeitungsjournalisten in die Suite und verzog sich dann mit ihrem Handy in die Ecke. Paradoxerweise war der Musikkritiker groß und kräftig und der Sportjournalist klein und drahtig. Eine Kulturredakteurin stieß kurz darauf dazu, eine Frau im mittleren Alter mit kurzen, glatt gegelten Haaren und zahlreichen Ohrpiercings.

Thad musste erst noch den Journalisten kennenlernen, der eine Gratisverkostung nicht zu schätzen wusste. Die Männer verdrückten beide eine ganze Reihe von Cannoli und jeweils ein halbes Dutzend Lemon Cookies, während die Kulturredakteurin an einem Glas Chardonnay nippte und ein paar Mandeln knabberte. Thad machte mit den Zeitungsleuten Small Talk und verbarg seine Verärgerung darüber, dass die Diva sich nach wie vor im Bad verschanzte. Gerade als er sich anschickte, an die Tür zu klopfen und zu fragen, ob sie ins Klo gefallen sei, erwies sie ihnen die Gnade ihrer Gesellschaft.

Sie hatte ihren Trenchcoat abgelegt, ebenso das Kopftuch und die Sonnenbrille, und sie ging mit klappernden Absätzen auf die Journalisten zu, während sie Thad absichtlich ignorierte. Ihr dunkles Haar war zu einem lässigen Knoten am Oberkopf geschlungen, wodurch sie – zusammen mit ihren königsblauen High Heels – größenmäßig fast an ihn heranreichte. Ihre Figur war formidabel: langer Hals, breite Schultern, gerader Rücken und eine schlanke Taille, dazu ellenlange Beine. Sie war weder dünn noch dick. Eher … Er suchte nach dem richtigen Wort, aber alles, was ihm in den Sinn kam, war »gewaltig«.

Zu ihrer schwarzen Hose trug sie eine weiße Bluse, deren Ausschnitt ein taubeneigroßer Anhänger, dem Anschein nach ein riesiger Rubin, an einer goldenen Halskette zierte. Ihre Finger waren beringt, ihre Handgelenke schmückten mehrere Armreifen und die Cavatina 3. Thad stand auf kleine und anschmiegsame Frauen. Diese hier sah aus wie eine Tigerin, die eine Hermès-Boutique geplündert hatte.

Die Männer erhoben sich, als sie sich näherte. Henri übernahm die Vorstellungsrunde. Die Diva streckte ihre Hand aus und musterte die Journalisten von oben herab, die Lippen zu einem hoheitsvollen Lächeln verzogen. »Gentlemen.« Sie begrüßte auch die Redakteurin mit einem Handschlag und einem gnädigen Lächeln, bevor sie sich in dem Sessel gegenüber von Thad niederließ, die Füße seitlich überkreuzte und dasaß, als hätte sie einen Stock im Hintern.

Thad nahm absichtlich eine lässige Sitzhaltung ein und streckte gemütlich die Beine aus. Der Musikjournalist machte den Anfang, doch statt sich an die Diva zu wenden, richtete er seine erste Frage an Thad. »Mr. Owens, mögen Sie Opern?«

»Ich hatte noch nicht viel Berührung damit«, antwortete er.

Der Sportjournalist knüpfte an die Taktik an. »Was ist mit Ihnen, Miss Shore? Waren Sie schon einmal bei einem Footballspiel?«

»Ja, letztes Jahr, bei Real Madrid gegen Manchester United.«

Thad konnte nur mit Mühe ein Schnauben unterdrücken.

Der Sportjournalist wechselte einen belustigten Blick mit ihm, bevor er sich wieder an die Diva wandte. »Das war europäischer Fußball, Miss Shore, kein American Football.«

Sie machte ein »Ich bin eben ein Mädchen«-Gesicht, das Thad ihr keine Sekunde lang abkaufte. »Natürlich. Wie dumm von mir.«

An dieser Frau war gar nichts dumm, angefangen von der tiefen Resonanz ihrer Stimme bis hin zu ihrer äußeren Erscheinung, und etwas sagte ihm, dass sie den Unterschied zwischen Fußball und Football verdammt gut kannte. Oder vielleicht auch nicht. Zum ersten Mal hatte sie seine Neugier geweckt.

»Dann haben Sie also Thad Owens nie spielen sehen?«

»Nein.« Zum ersten Mal sah sie Thad direkt an, mit einem Blick, der so kalt war wie eine Januarnacht. »Haben Sie mich jemals singen hören?«

»Ich hatte noch nicht das Vergnügen«, antwortete er in schleppendem Ton. »Aber ich feiere bald meinen siebenunddreißigsten Geburtstag, und ich hätte ganz bestimmt nichts gegen ein Ständchen einzuwenden.«

Die Redakteurin lachte, aber die Diva verzog keine Miene. »Ist vermerkt.«

Der Musikjournalist stellte ein paar Fragen zu einem Konzert, das Shore letztes Jahr in Phoenix gegeben hatte, und spannte dann einen Bogen zu europäischen Opernhäusern. Der Sportjournalist wollte wissen, wie Thads Fitnesstraining aussah und wie er die Aussichten der Arizona Cardinals in der kommenden Saison einschätzte.

Paisley befand sich wieder in ihrem Handykoma. Henri bot an, Wein nachzugießen. »Wir von Marchand fühlen uns sehr geehrt, dass wir zwei absolute Größen ihres Fachs wie Madame Shore und Mr. Owens als Markenbotschafter gewinnen konnten. Beide sind stilprägend.«

Die Redakteurin musterte Thads graue Hose und seinen himbeerroten Kaschmirpullover mit Reißverschlusskragen. »Was ist Ihre Modephilosophie, Mr. Owens?«

»Hochwertig und bequem«, antwortete er.

»Vielen Männern würde der Mut fehlen, ein solches Rot zu tragen.«

»Ich mag kräftige Farben«, erwiderte er, »aber ich folge keinen Trends, und der einzige Schmuck, den ich trage, ist eine gute Armbanduhr.«

Sie legte den Kopf schief. »Vielleicht irgendwann einen Ehering?«

Er lächelte. »Ich würde mich keiner Frau wünschen. Ich bin zu unbeständig. In puncto Beständigkeit« – er zeigte sein Handgelenk vor, um etwas für sein Geld zu tun – »zähle ich auf diese Uhr. Ich trage schon seit Jahren Modelle von Marchand. Darum habe ich die Einladung gern angenommen. Mit der Victory 780 hat die Manufaktur sich selbst übertroffen.«

Henri strahlte. Die Redakteurin wandte sich an die Diva. »Was ist mit Ihnen, Miss Shore? Wie würden Sie Ihre Modephilosophie beschreiben?«

»Hochwertig und unbequem.« Zu Thads Überraschung streifte sie ihre High Heels ab.

Der Blick der Redakteurin wanderte von Thads himbeerrotem Pullover zu der schwarz-weißen Aufmachung der Diva. »Sie scheinen neutrale Farben zu bevorzugen.«

»Ich setze auf Eleganz.« Sie sah Thad mit offener Verachtung an. Was zum Teufel stimmte nicht mit ihr? »Ein knalliges Pink ist besser auf der Bühne aufgehoben«, fügte sie hinzu. »Ich spreche natürlich nur für mich selbst.«

Sein Pullover war nicht pink. Er war himbeerrot!

»Ich bin ziemlich wählerisch«, fuhr sie fort und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Redakteurin. »Aus diesem Grund ist die Cavatina 3 die perfekte Uhr für mich.« Sie nahm sie ab und gab sie der Redakteurin zur genaueren Begutachtung. »Mein Terminplan ist ziemlich anspruchsvoll. Ich brauche eine Uhr, auf die ich mich verlassen kann, aber sie muss auch zu meiner Garderobe und meinem Lebensstil passen.«

Ende der Reklame.

Als Nächstes beantworteten sie persönlichere Fragen. Wo hatte Madame Shore ihren Wohnsitz? Wie verbrachte Mr. Owens seine Zeit außerhalb der Spielsaison?

»Ich brauchte eine Pause von Manhattan«, antwortete die Diva, »und da mir Chicago gut gefällt und es mitten im Land liegt, habe ich vor ein paar Monaten eine Wohnung in der Stadt angemietet. Das macht die Inlandsreisen einfacher.«

Thad antwortete absichtlich vage. »Ich halte mich fit und kümmere mich um alles, wozu ich während der Saison nicht komme.«

Paisley verpasste ihr erstes Einsatzzeichen, um die Journalisten zurück in die Lobby zu führen, aber schließlich reagierte sie doch. Nachdem die Presseleute gegangen waren, erklärte Henri seinen Markenbotschaftern, dass ihr Gepäck auf ihre Zimmer gebracht worden sei, die rechts und links an den Salon grenzten. Er machte eine ausladende Geste, die den Essbereich und die kleine Küche einbezog. »Wie Sie sehen können, eignet sich die Suite sehr gut für Interviews und den Fototermin morgen. Der Chefkoch wird später unser Geschäftsdinner hier in der Küche zubereiten.«

Der Kopf der Diva schoss hoch, und ihre dramatischen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Henri, kann ich Sie kurz sprechen?«

»Aber sicher.« Die beiden wandten sich zur Tür und gingen hinaus in den Flur.

Thad war angepisst. Madame passte es offensichtlich nicht, dass sie sich eine Suite teilten. Na schön. Sie konnte ja in ein anderes Zimmer wechseln, denn er würde unter keinen Umständen auf diese große Terrasse verzichten. Schon als Kind hatte er sich lieber draußen aufgehalten als drinnen, und es machte ihn kribbelig, wenn er zu lange in einem Hotelzimmer, egal wie groß, eingesperrt war. Er würde sich nicht von der Stelle bewegen.

Olivia wurde schon nach wenigen Schritten bewusst, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Die Türen hatten stabile Schlösser, und wenn sie darauf bestand, das Hotelzimmer zu wechseln, würde Thad Owens merken, dass sie Angst vor ihm hatte.

Sie berührte Henri am Arm. »Schon gut, Henri. Wir können uns später unterhalten. Es ist nicht so wichtig.«

Als sie im Salon ihre Schuhe vom Boden aufhob, näherte Owens sich von hinten. »Nur damit Sie Bescheid wissen«, sagte er. »Ich mag keine nächtlichen Besuche.«

Sie holte tief Luft, warf ihm ihren eisigsten Blick zu und ging dann schnurstracks in ihr Zimmer.

Thad hörte das Klicken, als sie die Tür hinter sich abschloss. Sie hatte ihn voller Verachtung angestarrt, sodass er schon halb damit gerechnet hatte, sie würde etwas Opernmäßiges sagen, wie: An den Galgen, du Hundesohn!

Henri strahlte. »Was für eine Frau! Sie ist einfach umwerfend! La Belle Tornade.«

»Lassen Sie mich raten. ›Der schöne Düsenjet‹.«

Henri lachte. »Non, non. Man nennt sie den schönen Tornado, wegen ihrer kraftvollen Stimme.«

Thad zweifelte an dem »schön«, in Anbetracht dieser kräftigen dunklen Augenbrauen und der langen Nase. Was den Tornado betraf … Eissturm traf es wohl eher.

Thad machte ein paar Telefonanrufe und trainierte im hoteleigenen Fitnesscenter, bevor er in die Suite zurückkehrte und sich unter die Dusche stellte. Durch die geschlossene Zimmertür hörte er die Diva Tonleitern trällern. Er lauschte, wie die Töne stiegen und fielen, die gesungenen Vokale sich subtil änderten, von Me zu Mi, dann zu Ma. Es war faszinierend. Kein Zweifel, Madame konnte singen. Während ihre Stimme von hell zu dunkel wechselte, bekam er eine Gänsehaut. Wie konnte jemand solche Töne treffen?

Als die Essenszeit näher rückte, verhießen die Gerüche, die aus der Küche drangen, ein feines Mahl. Thad zog ein brombeerfarbenes T-Shirt an und darüber einen schwarz glänzenden Blazer von Dolce & Gabbana, den er mit einem gemusterten lavendelblauen Einstecktuch ergänzte. Es war farblich ein bisschen übertrieben, selbst für ihn, aber er wollte ein Statement setzen.

Er hörte Henris Stimme im Salon, und als er aus seinem Zimmer kam, trafen bereits die ersten Gäste ein. Es handelte sich ausschließlich um Einkäufer; einer vertrat eine ansässige Juwelierkette, ein Paar arbeitete für mehrere Kaufhäuser, und zwei unabhängige Schmuckhändler ergänzten die Runde.

Die Diva erschien in einer bodenlangen schwarzen Samtrobe. Ihre Brüste erregten als Erstes seine Aufmerksamkeit. Sie waren nicht riesig, aber prall genug, um sich über dem tiefen Ausschnitt zu wölben. Der Blick auf ihr Dekolleté wurde nicht durch irgendwelche Colliers verhindert, nur ihre Ohrringe fielen auf. Ihre Haut wies eine natürliche Blässe auf und wirkte im Kontrast zu all dem schwarzen Samt sogar noch heller. Sie trug die Cavatina 3 am linken Handgelenk und diverse Ringe an ihren langen Fingern. Ihre Haare waren zu einem klassischen Dutt hochgesteckt, der ein bisschen altmodisch aussah, aber er musste zugeben, dass er ihr stand. Sie besaß eine enorme Ausstrahlung, das musste er ihr lassen.

Sie zog ihren üblichen großen Auftritt ab – ausgebreitete Arme, distanziertes Lächeln, majestätischer Gang –, und Thad war sofort wieder genervt von ihr. Am liebsten würde er sie in Unordnung bringen. Sie von ihrem Podest stoßen. Ihren knallroten Lippenstift verschmieren. Die Klammern aus ihren Haaren ziehen, die den Dutt zusammenhielten. Ihr das Kleid vom Leib reißen und sie in ein altes Stars-Sweatshirt und eine abgewetzte Jeans stecken. Aber obwohl es ihm an Fantasie nicht mangelte, überstieg dieses Bild seine Vorstellungskraft.

Er hasste förmliche Dinnerabende fast genauso, wie er Fehlwürfe hasste, aber er plauderte höflich mit den Kunden und staunte, wie gut die Diva darin war. Sie erkundigte sich nach dem Berufs- und Privatleben der Gäste und ließ sich bereitwillig Fotos von deren Kindern zeigen. Im Gegensatz zu ihm wirkte sie aufrichtig interessiert.

Das Essen wurde serviert. Thad war kein großer Trinker, also beschränkte er sich auf zwei Gläser Wein, aber die Diva schien einen eisernen Magen zu haben. Zwei Gläser, drei, dann vier. Ein fünftes Glas, als die Gäste sich verabschiedeten und beide sich anschließend in ihre getrennten Schlafzimmer zurückzogen.

Sein Zimmer hatte eine hohe Decke und eine Tür, die auf die Terrasse hinausführte. Er ging nackt in das Bad en suite, um sich die Zähne zu putzen. Wie üblich mied er den Blick auf sein Spiegelbild. Kein Grund, sich selbst zu deprimieren. Obwohl sein Zimmer geräumig war, fühlte es sich eng und stickig an. Er schlüpfte in eine Jeans und öffnete die Tür zur Terrasse.

Die Brüstung aus bruchsicherem Glas bot einen freien Blick auf die Lichter der Stadt, während die eingetopften Bäume und die Blumenbepflanzung die Illusion eines Gartens erzeugten, mit geschickt platzierten Sitznischen, in denen man es sich gemütlich machen konnte. Die kühle Nachtluft auf seiner Haut fühlte sich gut an.

Er ließ den Tag Revue passieren. Dachte an das, was vor ihm lag. An das Trainingslager, das nur vier Monate entfernt war, und daran, wie viel Spielzeit er bekommen würde oder eben nicht. Er umrundete einen Baum für einen besseren Blick auf die Skyline der Stadt und grübelte über seine Zukunft und seine Karriere nach, die seine Träume verfehlt hatte.

Wein war nicht gut für ihre Stimme. Alkohol, Koffein, trockene Luft, Zugluft, traumatische Erlebnisse – nichts davon tat ihrer Stimme gut, weshalb sie selten mehr als ein Glas trank. Und doch war sie nun betrunken, nicht nur ein bisschen, sondern so richtig. Sie stand seit Tagen unter Strom, ein Nervenbündel, das jederzeit explodieren konnte. Im Moment spürte sie ein gefährliches, vom Alkohol befeuertes Bedürfnis, ihren langen Rock bis zu den Knien hochzuraffen, auf die Terrassenbrüstung zu klettern und wie auf einem Schwebebalken zu balancieren, nur um zu sehen, ob sie es konnte. Sie war nicht lebensmüde, das überließ sie anderen. Vielmehr suchte sie eine Herausforderung. Besser noch, ein Ziel. Etwas, das es zu bezwingen galt. Sie wollte eine Superheldin sein, eine Beschützerin der Schwachen, eine betrunkene Kreuzritterin, die für Gerechtigkeit kämpfte. Stattdessen bekämpfte sie einen Geist.

Hinter ihr bewegte sich etwas. Zu nah. Er.

Sie wirbelte herum und blies zum Angriff.

KAPITEL 2

Es hatte schon Frauen gegeben, die sich auf ihn gestürzt hatten, aber dass ihm dabei ein Ellenbogen in den Magen gerammt wurde, war neu für ihn. Sie erwischte ihn unvorbereitet, und er stöhnte vor Schmerz. Automatisch riss er die Arme hoch, um sich zur Wehr zu setzen.

Das machte die Sache noch schlimmer.

Er hatte nur ein bisschen frische Luft schnappen wollen, und nun war er in einen tödlichen Kampf mit einer in schwarzen Samt gehüllten Furie verwickelt.

Er packte ihre Arme. »Aufhören! Beruhigen Sie sich!«

In seinem Alter hätte er wissen müssen, dass man zu einer Frau besser nicht sagte, sie solle sich beruhigen. Sie antwortete mit einem heftigen Tritt gegen sein Schienbein. Zu ihrem Pech war sie barfuß, und sie jaulte nun selbst vor Schmerz auf.

»Was zum Teufel ist in Sie gefahren?!« Er bekam ihre Arme zu fassen und zog sie hart an sich. Sie war groß und stark, aber er war stärker. Sie stieß einen Schrei aus und trat wild um sich.

Thad wollte sich wehren, aber er wollte ihr auch nicht wehtun. In seiner Not kickte er ihr die Beine weg.

Er besaß gerade noch genügend Anstand, um die Wucht ihres Aufpralls abzumildern, als sie auf die harten Fliesen fielen. Er stieß sich den verdammten Ellenbogen und den Hüftknochen, aber es gelang ihm, sie auf dem Boden festzunageln, indem er sich auf sie schwang und ihre Handgelenke umklammerte.

Ihre perfekt zur Schau getragene Beherrschung war verschwunden. Sie war völlig außer sich. »Bastard!« Sie spie die Worte förmlich aus. »Du mieser Bastard!«

Was Beleidigungen betraf, war ihr Repertoire offenbar begrenzt, aber Mann, sie hatte vielleicht Kraft. Er konnte sie nur mit Mühe festhalten, während sie erbittert versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.

»Hören Sie sofort auf, oder ich … Oder ich verpasse Ihnen eine Ohrfeige!« Er würde nie im Leben eine Frau schlagen, aber diese hier war außer Kontrolle, und vielleicht würde die Drohung sie ja zur Ruhe zwingen.

Mitnichten. Sie zischte ihn zähnefletschend an. »Nur zu, du Bastard! Versuch’s doch!«

Trotz ihrer ganzen Theatralik schienen Opernsängerinnen auf dem Gebiet der Kraftausdrücke nicht besonders kreativ zu sein. Thad probierte eine andere Taktik aus und lockerte ganz leicht den Griff um ihre Handgelenke, aber ohne sie loszulassen. »Holen Sie mal Luft. Tief durchatmen.«

»Abschaum!«

Wenigstens erweiterte sie ihr Schimpfvokabular. Ihr Dutt hatte sich gelöst, und ihre rechte Brust ragte halb aus dem Ausschnitt, bis knapp über der Brustwarze. Er riss den Blick davon los. »Sie haben zu viel getrunken, Lady, und Sie sollten jetzt wirklich mal tief durchatmen.«

Sie hörte auf zu kämpfen, aber er wollte kein Risiko eingehen. Er nahm etwas von seinem Gewicht von ihr. »Genau so. Schön weiteratmen. Alles wird gut.« Abgesehen von ihrer Geisteskrankheit.

»Lass mich aufstehen!«

»Geben Sie mir Ihr Wort, dass Sie nicht gleich wieder auf mich losgehen.«

»Du hast es verdient!«

»Darüber reden wir ein anderes Mal.« Sie wirkte nun nicht mehr ganz so wahnsinnig, also wagte er es und stieg vorsichtig von ihr herunter, auf der Hut vor ihrem Knie, das auf seinen Unterleib zielte. »Kotzen Sie mich bloß nicht voll, okay?«

Sie rappelte sich auf, mit wirren Haaren, und ihre Stimme klang tief und bedrohlich. »Sprich mich nie wieder an!«

»Können Sie haben.«

Sie taumelte hastig über die Terrasse zu der Tür, die in ihr Zimmer führte. Der Riegel klickte laut hinter ihr ins Schloss.

Olivia zog ruckartig die Vorhänge zu, eigenartig stolz auf sich selbst. Bastard! Bastard! Bastard! Sie würde nie den Anblick ihrer Freundin Alyssa vergessen in jener Nacht, in der Thad Owens über sie hergefallen war. Nun hatte der großkotzige Footballer seine Quittung dafür bekommen.

Sie stützte sich an der Kante der Schreibkommode ab und schaffte es, ihr Kleid auszuziehen. Sie, Olivia Shore, hatte eine neue Berufung als Rächerin der Frauen. Heute Abend hatte sie Vergeltung geübt, ein kleiner Schlag für die Gerechtigkeit angesichts des ganzen Chaos um sie herum.

Aus heiterem Himmel rebellierte ihr Magen. Sie stürmte ins Bad, kauerte sich über die Toilettenschüssel und erbrach das Abendessen und den Wein, von dem sie unklugerweise eine ganze Flasche getrunken hatte.

Danach hing sie matt auf dem Fliesenboden. Ihre Schulter brannte an der Stelle, wo sie sich die Haut aufgeschürft hatte. Sie legte einen warmen Waschlappen darüber und fühlte sich gar nicht mehr so stolz. Sie war betrunken, und sie hatte sich wie eine Verrückte aufgeführt. So etwas konnte sie sich nicht erlauben. Nicht wenn sie so viele andere Probleme hatte. Und schon gar nicht, wenn sie einen Vertrag hatte, den sie nicht brechen konnte, und vier Wochen unterwegs war mit diesem Abschaum.

Sie kroch zurück ins Schlafzimmer, zog ihre Unterwäsche aus und fand schließlich ihren Pyjama. Ihre Abendroutine verrichtete sie gewöhnlich mit strenger Disziplin, egal wie spät es war oder wie erschöpft sie sich fühlte. Raumbefeuchter an. Make-up-Entferner, Reinigungsschaum, Toner, Moisturizer, Augencreme und ihr kostbares Retinol-Öl. Zahnpasta und Zahnseide, manchmal Aufhellungsstreifen. Dann ein paar Yogastellungen, um ihre Muskeln zu lockern. Aber heute Abend tat sie nichts davon. Mit einem schmutzigen Gesicht, schmutzigen Zähnen, schmutziger Stimmung und dem Bild von Thad Owens selbstgefälliger Miene, die drohend über ihr schwebte, kletterte sie ins Bett.

Thad war am nächsten Morgen früh auf den Beinen, um mit den Radioreportern zu plaudern. Glücklicherweise hatte die Diva einen anderen Auftrag, denn sie war die letzte Person, die er sehen wollte. Paisley, die ein bisschen mitgenommen wirkte von was auch immer sie gestern Abend getrieben hatte, höchstwahrscheinlich nichts Produktives für Marchand, begleitete ihn ins Funkhaus. Sehr zu Henris Missfallen war sie heute in einem Animal-Print-Top, einer zerrissenen Jeans und knallroten Stiefeletten erschienen. Nicht gerade das Image von Marchand.

Sie setzte sich neben Thad auf die Couch im Aufenthaltsraum, obwohl noch zwei Sessel frei waren, und bearbeitete ihr Smartphone mit den Daumen. »Hast du die Marchand-Feeds in den sozialen Medien gesehen? Ich meine, voll spießig. Wen interessiert so was? Du musst Henri sagen, dass er das Social-Media-Marketing mir überlassen soll.«

Sie streckte ihm ihr Handy entgegen, und er sah sich die Fotos an, die sie gestern Abend beim Dinner gemacht hatte: sein Profil im Kerzenschein, seine Hand an seinem Revers, seine Kieferpartie, seine Augen. Nur ein einziges Bild, auf dem die Victory 780 zu sehen war. Kein einziges von der Diva.

»Wenn du Henri überzeugen willst, deine Ideen in Betracht zu ziehen« – etwas, das wohl kaum jemals passieren würde –, »vergiss nicht, dass es zwei Markenbotschafter auf dieser Tour gibt.« Von denen einer eine tollwütige Psychopathin ist.

»Du bist fotogener.«

»Sie ist berühmter.« Die Worte blieben ihm fast im Hals stecken. Er gab Paisley ihr Handy zurück.

»Mein Dad sagt, Henri ist derjenige, der Marchand ins einundzwanzigste Jahrhundert führen will, aber na ja. Ich habe gestern Abend vor dem Dinner ein bisschen recherchiert, weißt du. Diese Uhrenwerbung damals, die David Beckham gemacht hat. Die Bilder sind heute noch total heiß. Hast du auch Tattoos?«

»Bin nie dazu gekommen.«

»Schade.« Sie bohrte einen Finger in ein sorgfältig platziertes Loch in ihrer Jeans. »Mein Dad denkt, ich bin für diesen Job nicht geeignet, aber ich habe jede Menge Ideen. Zum Beispiel will ich dich definitiv in der Dusche fotografieren. Weil die Victory 780 wasserdicht ist und so. Ich könnte – du könntest dich einölen, damit das Wasser Perlen auf deiner Haut bildet. Das wären Hammerfotos.«

»Daraus wird nichts.«

»Aber du kannst eine Badehose tragen und so.«

»Du und dein iPhone werdet garantiert nicht in die Nähe meiner Dusche kommen, aber frag doch mal Madame Shore. Ihr würde es sicher nichts ausmachen. Wahrscheinlich hat sie sogar ein Tattoo.«

Paisley sah ihn zweifelnd an. »Sie ist irgendwie unheimlich.«

»Wenn man sie näher kennenlernt, ist sie bestimmt zahm wie ein Kätzchen.« Die Art mit scharfen Krallen und tödlichen Fängen.

Thad stand auf, als die Redakteurin erschien, um ihn ins Studio zu führen. Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass Paisley ihn von hinten fotografierte, genauer gesagt seinen Allerwertesten.

Die Diva sah er erst am Nachmittag wieder, zu dem Fototermin im Hotel.

Sie nippte an ihrem Tee, als er die Suite betrat, und entdeckte dann wohl etwas Faszinierendes auf dem Boden ihrer Tasse, in die sie angestrengt hineinstarrte. Madame wusste, wie man sich für Fotos zurechtmachte. Sie hatte das Haar kunstvoll aufgesteckt und ein gemustertes Tuch um die Schultern geschlungen. Ihr weißes Etuikleid brachte wohlgeformte Arme zur Geltung und die beeindruckenden Beine, die ihn gestern Abend vermutlich entmannt hätten, wenn er nicht aufgepasst hätte.

Henri erschien mit den Fotografen. Während diese ihre Ausrüstung auspackten, sprach Henri die Diva auf ihren Schmuck an. Während sie Thad geflissentlich ignorierte, präsentierte sie Henri einen breiten Armreif in Mattgold mit eingefassten Edelsteinen. »Die Nachbildung eines altägyptischen Schmuckstücks, das mir ein lieber Freund geschenkt hat. Und das hier ist ein Giftring, ein Lieblingsstück von mir.« Sie klappte den Ringdeckel auf und enthüllte ein nicht so geheimes Fach. »Man kann ihn ganz einfach mit Giftpulver füllen und es dann heimlich in das Getränk eines Feindes kippen.« Sie warf Thad einen warnenden Blick zu.

»Oder sich selbst vergiften«, konterte er.

Zu seiner Genugtuung zuckte sie zusammen.

Der erste Fotograf war bereit für sie. Henri stellte Thad zunächst hinter die Diva, die auf der Couch posierte, und setzte ihn anschließend neben sie. Sie stützte ihr Kinn auf die Hand mit der Armbanduhr. Thad achtete darauf, dass seine Uhr ebenfalls gut sichtbar war.

Er hatte viel Zeit damit verbracht, sich für Fotografen in Pose zu werfen, und er fühlte sich wohl vor der Kamera, aber die Diva wirkte nervös und rutschte ständig hin und her, schlug wieder und wieder die Beine übereinander. Einer der Fotografen deutete auf einen Sessel vor der Panoramaaussicht. »Versuchen wir es mal dort drüben.«

Die Diva setzte sich in den Sessel, und Thad nahm hinter ihr Haltung an.

Henri zupfte an dem Seidentuch, das er heute trug. »Thaddeus, darf ich vorschlagen, dass Sie Ihre Hand auf Madames Schulter legen?«

Was die Victory 780 umso besser in den Fokus rückte, trotzdem hatte Thad es niemals stärker widerstrebt, eine Frau zu berühren.

Sie zuckte leicht zusammen, eine derart subtile Bewegung, dass er bezweifelte, jemand von den anderen hatte sie wahrgenommen. Er hatte keine Ahnung, was er verbrochen hatte, dass sie ihn so sehr verabscheute. Er war eine ehrliche Haut – schonungslos ehrlich, wenn es sein musste –, aber er verhielt sich im Allgemeinen diplomatisch. Er mochte die meisten Leute, und er hatte nicht die Angewohnheit, sich Feinde zu machen. Er respektierte Frauen und behandelte sie anständig. Das hier war ihr Problem, nicht seins. Trotzdem musste er sich eine geradezu perverse Neugier eingestehen.

Nachdem die Fotografen gegangen waren, schlug Henri ein gemeinsames Dinner um acht im Viersternerestaurant des Hotels vor. Thad war mit ein paar ehemaligen Mitspielern verabredet und lehnte ab. Die Diva schob Müdigkeit vor und erklärte, sie würde später den Zimmerservice bestellen. Henri weitete die Einladung nicht auf Paisley aus.

Thad entschuldigte sich und zog sich für sein Work-out um, aber unten im Fitnesscenter stellte er fest, dass er sein Handy vergessen hatte. Er hörte auf dem Laufband gern Musik, und so ging er wieder nach oben, um es zu holen.

Im Salon standen beide Flügel der Verandatür offen, und Thad entdeckte die Diva draußen an der Brüstung. Er zögerte. Verdammt noch mal. Er hatte ihr Theater satt, und dies war die Gelegenheit, ein persönliches Wort mit ihr zu wechseln.

Er ging hinüber zu der offenen Tür, trat aber nicht über die Schwelle. »Ich stehe hinter Ihnen, und ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie mich nicht wieder angreifen würden.«

Sie fuhr herum. Sie hatte ihr Schultertuch abgelegt und die High Heels gegen flache Schuhe getauscht, aber in ihrem weißen Kleid sah sie immer noch sehr elegant aus. Besaß sie überhaupt eine Jeans?

»Brauchen Sie was?« Sie redete mit ihm, als wäre er ein Hoteldiener, der sie gestört hatte. Sie behandelte ihn dermaßen herablassend, dass ihm die Galle hochkam.

»Ich dachte, Sie hätten mir vielleicht etwas zu sagen.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein könnte.«

»Etwas im Sinne von ›Es tut mir schrecklich leid, dass ich mich gestern Abend wie eine Irre aufgeführt habe, und vielen Dank, Mr. Owens, dass Sie mich nicht windelweich geprügelt haben‹. Was ein Leichtes gewesen wäre.«

Ihr Eisberg-Gesicht hätte tausend Schiffe versenken können. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«

Sie war eindeutig seine Zeit nicht wert, und er hätte sie stehen lassen können. Aber sie würden einen ganzen Monat lang zusammenarbeiten, und er musste diese Sache mit ihr klären. »Sie haben mich von Anfang an wie Dreck behandelt, Lady. Gehen Sie mit den meisten Menschen so verächtlich um, oder bin ich ein besonderer Fall? Nicht dass Sie es falsch verstehen, es ist mir scheißegal, was Sie von mir halten. Ich bin nur neugierig.«

Ihre Nasenflügel blähten sich wie bei einer Opernheldin, die gleich eine Enthauptung befahl. »Typen wie Sie … die haben alles. Geld. Schönheit. Ein Publikum, das sich geradezu anbiedert. Aber das ist nicht genug, nicht wahr?«

Nun wurde er richtig wütend. »Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. Wenn ich ein Problem mit jemandem habe, gehe ich offen damit um und verstecke mich nicht hinter bissigen Kommentaren.«

Sie holte tief Luft, und ihr Brustkorb dehnte sich auf eine Art, die er beeindruckend fände, wäre er nicht so erbost. »Sie wollen, dass ich offen rede?«, erwiderte sie. »Na schön. Sagt Ihnen der Name Alyssa Jackson etwas?«

»Nicht wirklich.«

»Was ist schon ein Opfer mehr, richtig?«

»Opfer?« Es brauchte normalerweise viel, damit er die Beherrschung verlor, aber er hatte noch nie erlebt, dass ihn jemand derart hasserfüllt anstarrte. »Was für eine Art von Opfer?«

Sie umklammerte mit der Hand, an der sie den Giftring trug, das Geländer. »Alyssa und ich teilten uns früher eine Wohnung in der Bronx. Das war genau zu der Zeit, als Sie der neue heiße Quarterback der Giants waren – derjenige, der keine zwei Spielzeiten durchhielt. Aber in der Stadt waren Sie der tolle Hecht, den alle Frauen begehrten. Außer Frauen wie Alyssa, die nichts von Ihnen wollte.« Sie verzog verächtlich den Mund. »Und Sie können sich nicht einmal an ihren Namen erinnern.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie wäre es, wenn Sie mein Gedächtnis auffrischen würden? Was genau soll ich dieser Frau angetan haben?«

»Ich weiß nicht, wie sexuelle Gewalt juristisch definiert wird, aber was Sie getan haben, war nah an einer Vergewaltigung. Ich habe Alyssa angefleht, zur Polizei zu gehen, aber sie hat es abgelehnt.«

Er presste die Zähne zusammen, um seinen Zorn zurückzudrängen. »Ach, was für eine Überraschung.«

»Sie hätten praktisch jede Frau haben können, aber diejenigen, die leicht zu kriegen waren, haben Sie nicht gereizt. Sie brauchen das Gefühl, Macht über andere zu haben.«

Er konnte sich das nicht länger anhören und wandte sich zur Tür, wo er jedoch kurz innehielt und sich noch einmal umdrehte. »Sie kennen mich nicht, Lady, und Sie wissen einen Scheiß darüber, wie ich wirklich bin. Sie kennen auch Ihre alte Busenfreundin Alyssa nicht so gut, wie Sie glauben, also zeigen Sie mir ruhig weiter die kalte Schulter, denn wir haben uns nichts mehr zu sagen.«

Thad stapfte wieder hinunter in die erste Etage, und seine Sportschuhe attackierten geradezu die Treppenstufen. Er hatte das Krafttraining nie dringender gebraucht als heute.

Eine Erinnerung flammte auf. »Thaddeus Walker Bowman Owens!« Er war zwölf Jahre alt und saß mit seiner Mutter im Auto. Sie waren auf dem Weg zu seinem Basketballtraining, und er hatte Mindy Garamagus soeben großspurig eine Schlampe genannt.

Seine sanftmütige, zurückhaltende Mutter hielt prompt rechts an und gab ihm Saures. Eine schallende Ohrfeige. Das erste und einzige Mal, dass sie ihn geschlagen hatte.

»Sprich nie wieder so über eine Frau! Frag dich lieber mal, wie aus einem Mädchen eine Schlampe wird. Ob sie das ganz allein bewerkstelligt.« Seine Augen füllten sich mit Tränen, als sie ihn anstarrte, als wäre er ein elender Wurm. »Nur Schwächlinge benutzen dieses Wort für eine Frau, Männer, die sich ohnmächtig fühlen. Urteile nie über Dinge, die du nicht verstehst. Du hast nicht die leiseste Ahnung, wie dieses Mädchen wirklich ist!«

Seine Mutter hatte recht. Das Einzige, was mit Mindy Garamagus nicht stimmte, war, dass sie ihm das Gefühl gab, der unreife Zwölfjährige zu sein, der er war.

Am Abend hielt sein Vater ihm eine ähnliche Standpauke. Das war lange, bevor der Begriff »Konsens« in den modernen Sprachgebrauch Eingang fand, aber die Botschaft war klar und deutlich.

Selbst ohne die Strafpredigt seiner Eltern war es für ihn unvorstellbar, eine Frau zu nötigen. Wie konnte Sex Spaß machen, wenn er nicht einvernehmlich war?

Er hatte erneut sein Handy oben vergessen, aber er würde unter gar keinen Umständen zurückgehen, um es zu holen.

Marchand hätte ihr alles Geld der Welt bieten können, Olivia hätte niemals diesen Vertrag unterschrieben, hätte sie geahnt, dass sie mit Thad Owens reiste statt mit Cooper Graham, wie man ihr ursprünglich gesagt hatte. Graham hatte eine Frau, zwei Kinder und einen tadellosen Ruf. Mit ihm auf Tour zu gehen, wäre eine nette Ablenkung gewesen, etwas, das sie nie dringender gebraucht hatte als an diesem Punkt in ihrem Leben.

Die Kopfschmerzen, die sich seit Tagen ankündigten, nahmen sie in die Zange. Sie tauschte ihr Kleid gegen ein langes weißes Top und eine schwarze Yogahose, legte sich ins Bett und griff nach den Kopfhörern, die sie auf ihren Reisen immer dabeihatte. Gleich darauf hörte sie die tröstenden Klänge von Bill Evans’ »Peace Piece«.

Sie versuchte, sich zu entspannen, aber nicht einmal die stimmungsvollen Akkorde des Mannes, der zu den größten Jazzpianisten der Welt zählte, konnten sie beruhigen. Etwas an der unerschütterlichen Art, mit der Owens ihrem Blick standgehalten hatte, verursachte ihr ein unbehagliches Gefühl. Mehr als unbehaglich. Sie kennen mich nicht, Lady, und Sie wissen einen Scheiß darüber, wie ich wirklich bin.« Aber sie wusste sehr wohl, wie er war!

Oder nicht?

Olivia konnte die Ungewissheit nicht ertragen. Sie schaltete die Musik aus und wählte die Nummer auf ihrem Handy. Alyssa meldete sich nach dem zweiten Klingeln.

Früher hatten die beiden Frauen sich sehr nahegestanden, aber jetzt, wo Olivias ehemalige Mitbewohnerin ganz in ihrer Mutterrolle aufging, waren sie auseinandergedriftet, und es war schon mindestens ein Jahr her, seit sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten.

»Hey, Berühmtheit!«, sagte Alyssa zur Begrüßung. »Ich habe dich vermisst. Hunter, geh da runter! Herrgott, dieses Kind … Ganz ehrlich, Olivia, schaff dir nie Kinder an. Allein diesen Monat musste ich schon zweimal mit ihm in die Notaufnahme. Hast du eine Vorstellung, was ein Dreijähriger sich alles in die Nase stecken kann?«

Während Alyssa die Gegenstände, die Hunter in seinen Nasenlöchern verstaut hatte, näher beschrieb, musste Olivia daran denken, wie Alyssas respektloser Humor sie früher immer zum Lachen gebracht hatte.

»Und, was gibt es Neues bei dir?«, fragte Alyssa. »Schon bereit, die Tosca in Angriff zu nehmen?«

Diese Rolle war für Olivias Mezzosopran nicht gut geeignet, aber Alyssa hatte nie mehr als rudimentäre Kenntnisse von der Opernmusik gehabt.

»Im Moment bin ich vier Wochen auf Werbetour«, sagte Olivia. »Für den Uhrenhersteller Marchand.«

»Marchand? Sag bloß, du verteilst Gratisuhren.«

»Leider nein. Außerdem …« Sie verstärkte den Griff um ihr Telefon. »Ich bin nicht die einzige Markenbotschafterin, wir sind zu zweit. Ich reise mit Thad Owens.«

»Dem Footballspieler? Das ist ja zum Schreien.«

Ein Schauer rieselte über Olivias Rücken. »Zum Schreien?«

»Die Sopranistin und der Quarterback. Was für eine Kombination, richtig? Ist der Typ immer noch so heiß wie früher? Er war einfach zum Niederknien.«

Olivia schoss von ihrem Bett hoch, und in ihrem Bauch machte sich ein unbehagliches Gefühl breit. »Alyssa, ich spreche hier von Thad Owens. Der Footballspieler, der versucht hat, dich zu vergewaltigen.«

Alyssa lachte. »Gott, Olivia. Das war doch alles frei erfunden. Weißt du nicht mehr? Ich habe es dir damals gesagt.«

»Du hast mir nichts dergleichen gesagt!«, widersprach Olivia vehement. »Du hast mir erzählt, dass er dich in das Schlafzimmer gedrängt hat. Dass er dich festgehalten hat. Du kamst weinend nach Hause. Und du hast noch Wochen danach darüber gesprochen.«

»Ich habe nur geweint, weil Kent uns überrascht hat, und ich habe auch nur darüber gesprochen, wenn er anwesend war. Du weißt doch, wie misstrauisch er war. Ich kann nicht glauben, dass du das vergessen hast.« Sie hielt ihren Hörer offenbar ein Stück weg. »Hunter, hör sofort auf! Gib das her!« Sie nahm den Hörer wieder an ihr Ohr. »Wie dem auch sei … Ich habe Thad damals auf einer Party kennengelernt, gerade als es zwischen mir und Kent ernst wurde. Kent verzog sich an den Billardtisch oder so, und Thad und ich kamen miteinander ins Gespräch. Dann führte eins zum anderen, und wir knutschten wild herum. Plötzlich platzte Kent herein, und ich musste mir rasch eine Ausrede einfallen lassen. Das habe ich dir doch erzählt.«

»Nichts davon hast du mir erzählt!« Olivia wurde übel. »Ich habe versucht, dich zu überzeugen, zur Polizei zu gehen.«

»Ach ja, stimmt … Jetzt erinnere ich mich wieder. Ich hatte Angst, wenn ich dir die Wahrheit sage, würdest du es Kent erzählen. Du warst schon immer ziemlich anständig.« Im Hintergrund lief Wasser. »Hier, Hunter. Trink was.« Das Wasser wurde abgestellt. »Kannst du glauben, dass ich die Gelegenheit sausen ließ, mit Thad Owens anzubandeln, weil ich Sorge hatte, dass ein Loser wie Kent mir den Laufpass geben könnte?«

Olivia sank auf die Bettkante und grub ihre Finger in die Matratze. »Der einzige Loser, Alyssa, bist du.«

»Warum regst du dich so auf? Es ist ja nicht so, als hätte ich den Typen beschuldigt oder so.«

»Du hast ihn beschuldigt. Mir gegenüber.«

»Hast du was zu ihm gesagt?«

»Allerdings. Eine Menge.«

»Mist.«

»Ganz genau. Mist.« In ihrem Drang, Thad Owens vorschnell zu verurteilen, hatte Olivia ganz vergessen, wie selbstbezogen und auch manipulativ Alyssa sein konnte. Genau das war der Grund, warum Rachel sie nie gemocht hatte. Olivia hätte auf die Meinung ihrer besten Freundin vertrauen sollen. Sie presste eine Hand auf den Magen. »Falsche Anschuldigungen können böse Folgen haben, Alyssa. Kein Wunder, dass echte Vergewaltigungsopfer Angst haben, den Täter anzuzeigen. Sie müssen davon ausgehen, dass ihnen ohnehin niemand glaubt.«

»Bleib mal locker, okay? Du bist ganz schön anmaßend.«

Olivias Stimme zitterte. »Falsch ist falsch, und wenn man so lügt, wie du es getan hast, ist das ein Verrat an jeder Frau, die missbraucht wurde.«

»Gott, Olivia. Du machst hier aus einer Mücke einen Elefanten. Aber du hast dich schließlich schon immer für etwas Besseres gehalten.«

»Leb wohl, Alyssa. Und ruf mich nie wieder an.«

»Hey, du bist diejenige, die angerufen hat.«

»Es wird nicht wieder vorkommen.«

Olivia war wütend auf sich selbst. Sie konnte zwar seit Tagen aus anderen Gründen nicht klar denken, aber das war keine Entschuldigung für die Art, wie sie Thad attackiert hatte. Eine schöne Superheldin war sie. Eine Kämpferin für Gerechtigkeit? Wohl eher eine Verbreiterin von Ungerechtigkeit. Eigentlich hatte sie doch gewusst, dass man Alyssa nicht alles glauben durfte, und selbst in betrunkenem Zustand hätte sie nicht jemanden beschuldigen dürfen, ohne vorher die Fakten zu überprüfen. Sie hatte bereits Adam auf dem Gewissen, und sie brauchte kein weiteres Vergehen, um es der Liste ihrer Schandtaten hinzuzufügen. Sie sollte sich umgehend entschuldigen.

Die nächste Stunde tigerte Olivia im Salon auf und ab und wartete darauf, dass Thad von seinem Training zurückkehrte. Schließlich wurde die Tür zur Suite geöffnet. Sie versuchte, genau die richtigen Worte zu wählen, aber bevor sie auch nur ein einziges davon hervorbringen konnte, war er an ihr vorbeigegangen, als wäre sie Luft, und verschwand in seinem Zimmer.

Sie nahm ihre ziellose Wanderung durch den Raum wieder auf. Das hier war eine Tortur. Schließlich presste sie ihr Ohr an seine Tür und hörte, wie in der Dusche das Wasser abgestellt wurde. Sie eilte zur nächsten Couch, streifte ihre flachen Schuhe ab und schnappte sich eine Zeitschrift.

Niemand gab gern zu, dass er sich geirrt hatte, aber das hier war ein großer Irrtum, und er musste bereinigt werden. Sobald sie es hinter sich gebracht hatte, konnte sie nur hoffen, dass Owens nicht nachtragend war.