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»Nicht andere hielten mich davon ab, frei zu sein, sondern ich tat es ganz allein.« Frei atmen und zu sich selbst stehen können. Das ist alles, was Quinn Bird sich wünscht, nachdem sie ihren Verlobten am Altar stehen lässt, auf eine kleine Insel Schottlands flüchtet und dort all ihr Erspartes in ein berüchtigtes Gruselhaus steckt. Um die Renovierungskosten ihres neuen Zuhauses decken zu können, nimmt sie einen Job in einem kleinen Hotel an, obwohl dessen unterkühlte Besitzerin auf Great Cambrae in aller Munde ist. Von fiesen Gerüchten, einem unbewohnbaren Haus und einem Handwerker-Macho-Arsch lässt Quinn sich jedoch nicht unterkriegen und genießt ihre neugewonnene Freiheit. Denn selbst sie hätte nicht geglaubt, dass sie am Ende so viel mehr als nur zu sich selbst finden wird.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Jasmin Hoffmann
Under Your Umbrella
(Band 1)
Dieser Artikel ist auch als Taschenbuch erschienen.
Under Your Umbrella
Copyright
© 2024 VAJONA Verlag
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags
wiedergegeben werden.
Lektorat: Madlen Müller
Korrektorat: Aileen Dawe-Hennings und Susann Chemnitzer
Umschlaggestaltung: VAJONA Verlag unter Verwendung von Motiven von 123rf
Satz: VAJONA Verlag, Oelsnitz
Für all diejenigen, die die Kraft gefunden haben, sich aus dem Käfig ihres Lebens zu befreien. Aber vor allem für die, denen noch ein Funken Mut fehlt, ihre Flügel auszubreiten und einfach davonzufliegen.
Der Fahrtwind peitschte mir die Haare ins Gesicht und es war mir vollkommen egal. Es war mir egal, dass sie sich in meinen Wimpern verfingen und ich mehrmals blinzeln musste, damit sie sich wieder daraus befreiten. Es war mir egal, dass die Kapuze meiner Jacke nur noch zur Hälfte meinen Kopf vor dem nasskalten Wind schützte und mir bereits die Ohren wehtaten. Es war mir egal, dass mein Körper vor Kälte zitterte und sich durch die etwas raue See langsam ein flaues Gefühl in meiner Magengegend ausbreitete. All das war mir vollkommen gleichgültig, weil ein zaghaftes Lächeln meinen Mund umspielte, seit die Fähre den Hafen von Largs verlassen hatte und der Anlegeplatz der kleinen Insel, die ab jetzt mein Zuhause sein würde, immer näherkam. Dunkle Wolken verbargen die Spitze des Gladstone, dem höchsten Punkt von Great Cambrae, von wo aus man mühelos auf die benachbarten Inseln blicken konnte.
Mit einem noch breiteren Lächeln und der Spur eines Hochgefühls umfassten meine eiskalten Finger die Reling. Meine Augen schlossen sich als ich tief die kalte, feuchte Mittagsluft einatmete, deren salzige Note mich noch euphorischer stimmte. Und während ich als einzige Fußgängerin die Fähre verließ und die betonierte Rampe hinaufging, welche ich niemals als Anlegestelle betitelt hätte, war es, als würde ich eine mentale Barriere überwinden. Eine Barriere, deren erstickende Präsenz ich nur zu gern den Rücken zukehrte. Stattdessen hielt ich vor dem hellblau-weißen Schild, welches mich auf der Isle of Cumbrae willkommen hieß.
Entschlossen zog ich mir die Kapuze meiner rosa Regenjacke wieder über den Kopf und rückte den Riemen der schweren Tasche auf meiner langsam schmerzenden Schulter zurecht. Bevor ich den Hinweisen eines weiteren Schildes folgte, welches mir beschrieb, wie ich zu der einzigen Stadt der an der schottischen Westküste liegenden Insel gelangte.
Ich erreichte Millport schneller als erwartet und trotz des eher tristen Sommerwetters staunte ich nicht schlecht über die angenehme Atmosphäre, die die kleine Stadt ausstrahlte. Der Coastal Road folgend – einer betonierten Straße, die die Insel einmal vollständig umrundete – kam ich meinem Ziel langsam näher. Gesäumt von grüner Landschaft, naturbelassenen, felsigen Stränden und rauer See genoss ich meinen Fußmarsch und sog die Ruhe, die diese Insel schon jetzt auf mich ausübte, gierig in mich auf.
Die Landschaft wurde schließlich von einer bebauten Promenade abgelöst, die endlos in einen dunklen Strand überging. Das stetige Grün der schottischen Insel rückte hier etwas in den Hintergrund. Jedoch machten das die vielen bunten Boote, die sanft in dem überschaubaren Hafen schaukelten, wieder wett. Die Küste lag in einem perfekten Bogen und lud regelrecht dazu ein, in eine Regenjacke gehüllt am langen Strand entlangzuspazieren.
Durchgefroren und mit sandigen Schuhen betrat ich endlich das schmale Gebäude, in dem mich eine große, wirklich schöne Frau mit einem professionellen Lächeln und abschätzigen Blick auf meine durchnässte Gestalt willkommen hieß. Mit langen, eleganten Schritten kam sie auf mich zu und sorgte dafür, dass ich mich neben ihrer grauen Hosen-Blazer-Kombi wie eine Aussätzige fühlte, die seit einer Woche ums Überleben kämpfte. Schnell schob ich die Kapuze von meinem Kopf und fuhr mir über meine von Feuchtigkeit und Wind zerzausten Haare, bevor ich ihre Hand ergriff, die sie mir auffordernd entgegenstreckte. Sie presste die Lippen leicht aufeinander, als sie unauffällig-auffällig ihre Hand an ihrem Rock abwischte, da meine anscheinend noch feucht zu sein schien.
Absolut gar nicht unangenehm.
»Ms. Bird, haben Sie gut hergefunden?« Ihr professionelles Lächeln saß wieder an Ort und Stelle, doch wirkte alles andere als beruhigend auf mich.
»Ja, danke«, brachte ich leicht kratzig über meine Lippen, was zum einen an meiner wachsenden Unsicherheit in Gegenwart dieser beeindruckenden selbstbewussten Frau liegen könnte. Oder daran, dass ich mich nicht wirklich daran erinnerte, wann ich das letzte Mal auf meiner Reise hierher überhaupt gesprochen hatte.
»Schön. Ich habe bereits alle benötigten Dokumente bereitgelegt. Das Objekt liegt etwas außerhalb von Millport, zu Fuß sind es nicht mehr als zwanzig Minuten. Aber das ist auf einer Insel mit knapp tausend Einwohnern auch nicht anders zu erwarten.« Während sie sprach, griff sie nach einer Ledermappe auf ihrem Schreibtisch, schob sie in eine edel aussehende, ebenfalls lederne Tasche und öffnete die Eingangstür, um mich gleich wieder hinauszubegleiten. »Können wir?« Obwohl sie es als Frage formulierte, bekam ich den Eindruck, dass ich nicht wirklich eine Wahl hatte. Mit schmerzender Schulter folgte ich ihr schließlich hinaus und stieß erleichtert den Atem aus, als sie auf ihren kleinen Mini zusteuerte, um uns trocken und warm zu meinem zukünftigen Zuhause zu bringen.
Ein unterdrücktes Seufzen entfuhr mir, als ich mich auf den Sitz niederließ und die Wärme der Heizung langsam durch meine nasse Jeans drang. Währenddessen schwärmte Millicent Kingston unentwegt von irgendwelchen Restaurants und Pubs, die angesagt und zu empfehlen waren, doch nahm ich nicht einmal die Hälfte davon so richtig auf.
Kaum hatten wir Millport verlassen, fuhren wir minutenlang durch grüne Landschaft, bevor endlich das kleine Haus in der Ferne erschien, welches ich online besichtigt und quasi schon gekauft hatte. Einsam und alt stand es da, umgeben von grauem Himmel, tosendem Meer, Felsen und Grasbüscheln – sehnsüchtig auf mich wartend. Mein Herzschlag beschleunigte sich vor Aufregung, denn in Wirklichkeit wirkte es noch traumhafter als auf den Fotos, die Millicent mir per E-Mail geschickt hatte.
Einige Meter vom Haus entfernt hielt sie schließlich an und schaltete den Motor aus. »Näher heran können wir nicht. Durch den ständigen Regen besteht die Gefahr, dass ich mich festfahre.« Sie deutete auf den unbefestigten Weg, der knapp zehn Meter zum Haus führte und mehr aus Matsch bestand als aus Wiese. Also stiegen wir aus, woraufhin Millicents Lächeln kurzzeitig einer gewissen – sagen wir, professionellen Gereiztheit wich, während sie aus ihren eleganten Pumps glitt und in neu aussehende Wanderschuhe schlüpfte.
»Immer bestens vorbereitet«, prahlte sie und wies mich an, ihr den matschigen Pfad zum Haus zu folgen. Das Grau der Hausfassade verriet, dass sie einmal weiß gewesen sein musste. Das dunkle Dach, welches zum größten Teil mit Moos bewachsen war, wirkte bereits auf den ersten Blick auch nicht sonderlich vertrauenswürdig auf mich. Die Fenster schienen frisch gereinigt worden zu sein, genauso wie die hölzerne Veranda, die Millicent verdächtig leichtfüßig betrat. Mit einer bedächtigen Drehung wandte sie sich mir zu – das Lächeln saß wie eine Eins – und begann, von der naturbelassenen Umgebung und dem Retrostil des Hauses zu schwärmen.
Mein müder Blick schweifte in Richtung Meer und ich konnte ihr nicht widersprechen. Die idyllische Schönheit ließ all die Makel, die dieses Haus bereits auf den ersten Blick aufwies, in den Hintergrund rücken. Es entsprach nicht meiner Traumhaus-Vorstellung, doch mein Budget war, wie auch die Auswahl, begrenzt gewesen, weshalb ich versuchte, den Unmut über die vielen verschwiegenen Schäden zu ignorieren. Stattdessen folgte ich der adretten Maklerin ins Innere des Hauses. Erleichtert betrachtete ich das Sofa und die Kartons, die ich bereits, mithilfe von Millicent, hierher hatte liefern lassen. Es war nicht viel, aber für den Anfang würde es reichen. Kein Staubkörnchen war auf dem hölzernen Boden und den Fenstersimsen zu entdecken. Auch der harzige Geruch beruhigte meine Unruhe und meine Angst vor dem Ungewissen ein wenig. Millicent begann, von den in die Wand eingebauten Regalen und dem alten Charme der Innenarchitektur zu schwärmen, den man mit der richtigen Einrichtung gut hervorheben können würde. Neben der Treppe, die in die erste Etage führte, befand sich die kleine, noch sehr spartanisch eingerichtete Küche. Dankbar betrachtete ich die winzige Küchenzeile, die aus einer alten Herd-Ofen-Kombination, einer Spüle und einem Kühlschrank bestand und hoffte, dass alle Geräte noch funktionieren würden.
Zum Schluss folgte ich Millicent nach oben und bekam mein kleines Bad mit Badewanne und das angrenzende Schlafzimmer gezeigt, in dem bereits mein Bett bereitstand.
»Klein, aber fein«, beendete Millicent den Rundgang. »Ich habe alle nötigen Papiere dabei. Du müsstest nur noch hier und hier unterschreiben.« Sie hielt mir die Ledermappe inklusive Kuli entgegen und ohne irgendwelche Einwände zu erheben, setzte ich meine Unterschrift auf die für mich markierte Linie. Kaum hatte sich die Mine vom Papier gelöst, ließ Millicent die Mappe, mit einem Hundert-Watt-Lächeln, zuschnappen. »Willkommen auf der Isle of Cumbrae. Lass dich von Millport verzaubern, Quinn. Wir sind jetzt quasi Nachbarn.« Sie zwinkerte mir zu und eilte mit schwingender Hüfte die Treppe hinunter. Kurz erläuterte sie mir noch, wo ich den nächsten Super- und Baumarkt finden konnte, bevor sich die alte Holztür hinter ihr schloss und eine angenehme Stille einkehrte. Sofort ließ ich die schwere Tasche auf den Boden fallen und schloss kurz die Lider. Erschöpft sank ich auf das dunkelgrüne Sofa, während sich die ersten Tränen aus meinen Augen lösten, von denen ich nicht sagen konnte, ob es Tränen der Freude oder der Angst waren. Oder ob diese Reaktion meinem Körper einfach nur als Ventil diente, um die Erschöpfung, die Angst und die Ungewissheit, die sich während der Reise in mich geschlichen hatten, zu lindern. Um Platz für etwas Neues zu machen.
Dass ich jetzt hier saß und warum auch immer weinte – es spielte keine Rolle. Ich ließ die Tränen laufen und wischte sie nicht fort. Ich wollte spüren, wie sie warm und salzig über meine Haut liefen, um sie später mit einem Lächeln und kaltem Wasser wegzuwaschen und anschließend mit verquollenen Augen in den Spiegel zu blicken, ohne mir von irgendwem anhören zu müssen, wie schrecklich ich aussah.
Ohne mir sagen zu lassen, ich sei zu emotional.
Ohne mich schwach und klein zu fühlen.
Die erste Nacht in meinem neuen Leben hatte ich mir durchaus anders vorgestellt. Fröstelnd und überhaupt nicht ausgeruht schlug ich die Decke zurück und fuhr mir durch meine Haare, während ich mir einzureden versuchte, dass alles gut werden würde. Aller Anfang war schließlich schwer.
Nachdem ich am Abend mein Bett an die Wand unter das Fenster geschoben hatte, musste ich feststellen, dass weder das Licht noch irgendeine andere Stromquelle funktionierte. Ich hatte zwar den Stromkasten gefunden, doch egal welchen Schalter ich auch betätigte, es blieb dunkel und stromlos. Um mich zu beruhigen, beschloss ich, ein heißes Bad zu nehmen und freute mich darauf, die lange Reise von meinem Körper zu waschen und die Kälte aus meinen steifen Gliedern zu vertreiben. Doch als aus dem Hahn anstelle des ersehnten Wassers eine übelriechende Plörre spritzte, erklärte ich den Tag einfach für beendet. Allerdings hielten mich das ständige Knacken und Knarren der Wände, der tosende Wind und weitere undefinierbare Geräusche davon ab, endgültig zur Ruhe zu kommen. Und als es dann auch noch zu gewittern begann, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Es war eben ein Unterschied, ob man in einer belebten Stadt wie London lebte oder in einem abgelegenen, winzigen, alten Haus, in dem ich ständig befürchtete, dass der nächste Windstoß das Dach mit sich reißen könnte.
Nach Ablenkung suchend begann ich schließlich bei Kerzenschein meine bestellten Sachen auszupacken. Ich begutachtete meine Möbel, verrückte diese und erstellte eine Liste mit Dingen, die das kleine, zugegebenermaßen immer noch etwas angsteinflößende Haus wohnlicher und vor allem gemütlicher machen würden. Außerdem musste ich jemanden finden, der meine braune Plörre in klares Wasser verwandelte, die funktionslose Heizung in eine funktionierende und der dafür sorgte, dass ich mir nicht wie im Mittelalter mit einer Kerze den Weg durch mein Haus erleuchten musste. Obendrein tropfte es jetzt auch noch von der Decke in der Küche, da das Gewitter, wie schon befürchtet, tatsächlich einen Schaden am Dach hinterlassen hatte.
Bevor ich an diesem Morgan nach Millport aufbrach, platzierte ich provisorisch einen Eimer darunter und hoffte, dass dieser bis zu meiner Rückkehr nicht überlaufen würde.
Auf dem Weg in die Stadt versuchte ich, tief durchzuatmen und zu der Euphorie zurückzufinden, die mich auf der Überfahrt von Largs hierher erfasst hatte und die leider, im Augenblick, vollständig verpufft war. Die einzige Hoffnung, dass dieser Tag besser werden könnte, war die Stellenanzeige, die ich in einem alten Schaukasten entdeckt hatte. In der ein Mädchen für alles in einem der wenigen Hotels auf der Insel gesucht wurde – da die meisten Touristen hier ein Ferienhaus buchten oder sogar besaßen. Denn all die Reparaturen in und an meinem Alb-Traumhaus würden eine Menge Geld kosten. Geld, das ich nicht mehr besaß, weshalb mir dieser Job den Hintern retten würde.
Ich nahm mir vor, direkt zu dem Hotel Outsider’s zu gehen, solange der Nieselregen meine Haare nicht vollständig kräuselte und mich wie eine Vogelscheuche aussehen ließ. Allerdings war das leichter gesagt als getan. Erst nach mehrmaligem Befragen einiger Anwohner fand ich endlich mein Ziel in einer verwinkelten Gasse. Niemals hätte ich das Backsteinhaus, an dem sich eine Feuertreppe an der efeubewachsenen Wand nach oben schlängelte, die, ähnlich wie in einem amerikanischen Motel, zu den einzelnen Türen der Zimmer zu führen schien, als Hotel identifiziert. Obwohl es auf den ersten Blick etwas skurril und beängstigend wirkte, hatte das Ambiente der Fassade einen gewissen Charme, welcher mein Interesse weckte. Zwischen den Hauswänden der Gasse spannten Lichterketten, die wie eine Art Dach fungierten und dem Manhattan-Stil des Hotels eine gemütliche und einladende Note verliehen.
Der Stil des skurrilen Hauses setzte sich auch im Inneren fort. Dutzende Perserteppiche aller Art und Größen reihten sich überlappend aneinander und bedeckten den dunklen Holzboden fast vollständig. In jeder Ecke fand man grüne Pflanzen, sei es als Gestrüpp oder von der Decke hängend. Eine Wendeltreppe rechts von der Eingangstür führte in die erste Etage, dessen Stufen ebenfalls mit reichlich Grünzeug dekoriert worden waren. Gegenüber der Eingangstür befand sich die Rezeption. Wenn man diese so betiteln konnte, denn die Theke bestand aus alten, aufeinander gehäuften Koffern, auf denen man eine Holzplatte angebracht hatte.
Durch den rostfarbenen Vorhang dahinter kam eine Frau mit silberblondem, langem Haar und gelangweiltem Gesichtsausdruck, den Blick mit schweren Lidern direkt auf mich gerichtet. Obwohl draußen keine sommerlichen Temperaturen herrschten, trug sie ein kurzärmliges Shirt. Ein imposantes Drachen-Tattoo, das ihren kompletten linken Arm umschlängelte, zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Auch auf ihrem anderen Arm prangten ein oder zwei schwarze Bilder, doch kam ich nicht dazu, diese genauer zu inspizieren, da ihr genervtes »Was?« mich unmerklich zusammenfahren ließ, bevor ich mich selbst aufforderte, direkt in ihr Gesicht zu blicken.
Etwas unbehaglich drückte ich meine Schultern durch und ging, mit bemüht entschlossen wirkenden Schritten und einem ehrlichen Lächeln, auf die Frau mit der eisigen, etwas beängstigenden Aura zu. »Entschuldigen Sie die Störung, ich bin Quinn Bird und habe die Stellenanzeige in dem Schaukasten unten an der Küste gesehen. Ich dachte, ich frage mal nach, ob Sie noch jemanden benötigen?«
Die Frau zog skeptisch ihre Augenbrauen in die Höhe und ich versuchte, mich nicht von ihrem vernichtenden Blick einschüchtern zu lassen. »Die Stellenanzeige ist über ein Jahr alt«, antwortete sie mürrisch und wandte sich einfach von mir ab.
»Also brauchen Sie niemanden mehr, für irgendetwas? Ich mache wirklich alles für Geld«, rief ich ihr hastig und etwas verzweifelt hinterher, bevor sie wieder hinter dem Vorhang verschwinden konnte.
»Wirklich alles?« In ihrer Stimme schwang eine deutlich hörbare Provokation mit, von der ich mich zwar nicht aus der Ruhe bringen lassen würde, durch die ich allerdings die unbedachte Bedeutung meiner Aussage realisierte.
»Na ja … fast alles«, schob ich eilig hinterher. Entschlossen und so selbstsicher ich konnte, hob ich mein Kinn, als die Frau sich mir mit betont langsamen Schritten näherte. Sie musterte mich abschätzig. Ihre grauen, mandelförmigen Augen bohrten sich in meine, als würde sie nach etwas in mir suchen. Ungerührt hielt ich ihrer Musterung stand, während ich mich fragte, welche Umstände dazu geführt hatten, dass sie eine so kalte Aura umgab.
»Es ist ein beschissener Job, mit beschissenen Aufgaben und beschissenen Arbeitszeiten.«
»Wird dieser beschissene Job mit beschissenen Aufgaben und beschissenen Arbeitszeiten denn gut bezahlt?« Ich gab mich vollkommen unbeirrt von der Negativität, die sie mir entgegenbrachte.
Immerhin war sie ehrlich, redete ich mir ein und versuchte mit einem gezwungenen Lächeln, ihren zweifelhaften Charme zu verdrängen.
Sie zuckte mit den Schultern. »Die Bezahlung ist angemessen.«
»Gut, ich nehme ihn.« Das erste Mal huschte Unsicherheit über das eher ausdruckslose Gesicht der hellhäutigen Schönheit und eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauen. »Bist du eine Flüchtige?«, schoss es misstrauisch aus ihr heraus, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. »Eine Kriminelle?«
Ich schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln und hob die Schultern. »Nicht wirklich kriminell, aber schon irgendwie flüchtig.«
»Du bist diejenige, die das Gruselhaus von Great Cumbrae gekauft hat!« Mit aufflammender Erkenntnis legte sie ihren Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Meine Schultern sackten herunter und die Unsicherheit, die ich so gut zu verbergen versucht hatte, machte sich langsam in mir breit.
»Gruselhaus? Davon hat Millicent nichts gesagt«, murmelte ich in das schallende Lachen meiner eventuell zukünftigen Chefin hinein und versuchte mit meiner Hand auf dem Bauch, das flaue Gefühl in meinem Magen zu dämpfen, welches sich immer stärker in mir ausbreitete.
»Natürlich hat sie nichts dergleichen gesagt. Millicent hätte dir ihr Erstgeborenes versprochen, damit du dieses Haus kaufst!«
Schluckend bemühte ich mich, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, welches mich gerade von innen aufzufressen schien.
»Hey, Schneewittchen, atme mal tief durch, ja? Ich habe keinen Bock darauf, dass du hier jetzt umkippst.« Eilig kam sie um die Rezeption herum auf mich zu, packte mich am Ellbogen und zog mich zu der kleinen Sitzecke, die man vor der Wendeltreppe aufgestellt hatte. Dann drückte sie mir ein Glas Wasser in die Hand und setzte sich zu mir.
»Da habe ich dir etwas Angst gemacht, was?« Ihre runden Lippen kräuselten sich belustigt, als sie die Beine übereinanderschlug und sich in dem weichen Ohrensessel zurücklehnte. »Es sind bloß blöde Kindergruselgeschichten, die dieses Haus umgibt. Es steht schon mehrere Jahre leer und davor hat ein alter, griesgrämiger Kerl darin gewohnt, der behauptete, seine verstorbene Frau spuke darin herum und wolle ihn zu sich holen. Es geht das Gerücht um, dass er sie aus Missgunst und Eifersucht umgebracht hat, wobei ich glaube, dass der Typ einfach nur in Ruhe gelassen werden wollte und diese Geschichte selbst verbreitet, hat«, erklärte sie mir ungefragt.
Ganz automatisch schnürte sich meine Kehle zu.
»Hey, jetzt kannst du aber wirklich mal wieder Farbe bekommen«, schnauzte mich die Frau an und sorgte dafür, dass meine Überforderung in leichte Wut umschlug.
»Ich will dich mal sehen, wenn dir jemand erzählt, dass es in deinem Haus spukt, in dem es weder fließend Wasser noch Strom gibt!« Sichtlich genervt leerte ich das Glas Wasser mit einem Zug und knallte es auf den kleinen Tisch vor mir. »Und dieses Wasser schmeckt wirklich abgestanden.« Mutiger als sonst funkelte ich die Frau für ein paar Sekunden an.
Gerade, als ich aufstehen und niedergeschlagen das Hotel verlassen wollte, erschien plötzlich ein kleines Schmunzeln auf ihrem Gesicht. »Ich bin übrigens Addi.« Sie erhob sich und steuerte auf die Rezeption zu. »Sei morgen um sechs Uhr hier und wenn du den Tag überstanden hast, reden wir weiter.«
Überrumpelt blinzelte ich Addi sprachlos entgegen, doch davon ließ sie sich nicht beirren. Stattdessen kam sie zu mir zurück und reichte mir eine Visitenkarte.
»Das ist ein Freund von mir. Er führt die einzige Handwerksfirma der Insel. Er kann sich dein Gruselhaus ansehen.«
»Könnten wir uns vielleicht darauf einigen, mein Haus nicht mehr Gruselhaus zu nennen?«, bat ich sie, mit noch immer mulmigem Gefühl, und steckte die Karte in meine Jackentasche.
»Nope. Sei morgen pünktlich!« Mit dieser vernichtenden Antwort verschwand Addi hinter dem Vorhang und ich hatte keine Ahnung, ob das alles hier auf eine geballte Katastrophe hinsteuerte oder ob sich so ein ungeplantes Abenteuer anfühlen musste.
Mit einem letzten Stoß entlockte ich der hübschen Blondine ein lautes Stöhnen und ergoss mich zuckend in ihr. Ihre langen Beine lagen fest um meine Hüfte und als sie noch immer keine Anstalten machte, sich von mir zu lösen, trat ich einen Schritt zurück, um aus ihr herauszugleiten. Mit lustverhangenem Blick blinzelte sie mich an, verzichtete darauf, ihren Rock oder ihr Oberteil zu richten. Stattdessen legte sie mir kichernd eine Hand auf die Brust. Ihre Annäherungsversuche ignorierend, entsorgte ich das Kondom in dem Mülleimer neben dem Klo und säuberte mein bestes Stück mit etwas Toilettenpapier, bevor ich ihn wieder in meiner Hose verstaute. Die Blondine, deren Namen ich mir nicht gemerkt hatte, zog ihren Rock endlich ebenfalls zurecht, bedeckte ihre Brüste und folgte mir aus der engen Kabine.
»Das war gar nicht so schlecht«, gurrte sie fast und ihr Unterton ließ mich erahnen, worauf ihr ›Lobgesang‹ an unseren Quickie hinauslaufen sollte. »Wir sollten das wiederholen.«
Bingo! Es war immer dasselbe.
Sie lehnte sich neben mich gegen den Waschtisch, an dem ich mir die Hände wusch, und wartete erwartungsvoll auf eine Erwiderung meinerseits. Demonstrativ drückte sie ihren Rücken durch, sodass mir ihre Brüste einen perfekten Anblick boten. Doch verflogen sämtliche Reize einer Frau, sobald ich meinen Schwanz einmal in ihr versenkt hatte. Wie eine verdammte Torte, die mir noch vor wenigen Minuten das Wasser im Mund hatte zusammenlaufen lassen. Doch kaum, dass ich sie verschlungen hatte, lag sie mir nur noch wie ein fetter Stein im Magen und verursachte mir Übelkeit.
»Ich habe dir gesagt, du sollst von mir nicht mehr erwarten als schnellen Sex auf dem Klo«, erinnerte ich sie an meine plumpe Warnung, bevor wir auf der Toilette des Pubs verschwunden waren. Nur selten hatte das eine Frau davon abgehalten, sich auf mich einzulassen und noch weniger hinderte es sie daran, sich danach mehr zu erhoffen. Mehr zu wollen. Mehr zu verlangen.
»Ja, aber vielleicht hast du deine Meinung jetzt geändert.« Sie gab nicht auf und wollte ihre Hand auf meinen Arm legen, den ich ihr jedoch schnell entzog.
»Bedaure. Habe ich nicht.« Ich sah sie kurz mit einem ernsten Blick an und erkannte die Spur Enttäuschung in ihrem immer noch leicht geröteten Gesicht. Den Stich, den meine Zurückweisung ihr versetzte. Die Unsicherheit und die Zweifel, die sie in ihr hervorrief.
»Schlecht war es aber nicht«, versuchte ich, mein Gewissen zu beruhigen, indem ich ihr zumindest das Gefühl gab, eine gute Nummer gewesen zu sein.
Toll! Jetzt warst du wenigstens ein respektvolles Arschloch. Glückwunsch zu dieser Entwicklung!
Ohne auf eine Erwiderung zu warten, verließ ich die Toilette und schob mich durch die Menschenmenge zielstrebig Richtung Ausgang. Ich wusste nicht, wie spät es war, wie viel Bier ich getrunken hatte und wo sich die Leute aufhielten, mit denen ich hergekommen war, bevor ich mich mit der Blondine aufs Klo verzogen hatte. Aber eigentlich interessierte mich das auch relativ wenig.
Ich hatte keine Lust, von angetrunkenen Typen für eine schnelle Nummer beglückwünscht zu werden, während sie mir stolz auf die Schulter klopften. Wollte ihr ekelhaftes Gegröle und die Mutmaßungen darüber, wie sehr ich die Welt der nächsten Frau erschüttern würde, nicht hören. Denn so wie ich mich jetzt fühlte, verspürte ich weder Genugtuung noch Erleichterung und schon gar keine Befriedigung darüber.
Mein Verhältnis zu Frauen, auf romantischer wie auch sexueller Basis, war zwiegespalten. Mir gefiel es, von ihnen angehimmelt zu werden und gleichzeitig kotzte es mich an. Ich sah es als eine Herausforderung, ihnen zu schmeicheln und damit am Ende erfolgreich zu sein, aber fühlte mich zu gleichen Teilen schlecht dabei. Ich musste nicht einmal wirklich charmant sein, auch wenn ich das vermutlich hinbekommen würde. Und trotzdem verhielt ich mich kalt und abweisend. Allerdings senkte das meine Erfolgsquote keinesfalls, denn Frauen standen darauf. Auf den griesgrämigen Badboy, den sie um den Finger wickelten, in der Hoffnung, am Ende den süßesten, widerlichsten Charmeur aus ihm herauskitzeln zu können. Zumindest in der Theorie.
In der Praxis funktionierte diese Nummer nur selten. Denn das erhoffte Ergebnis blieb aus, sie gingen enttäuscht und mit einem Haufen Fragen und Zweifeln nach Hause. Das, was ihnen blieb, war ein weiteres Arschloch auf ihrer Liste der Arschlöcher.
Frauen waren so verdammt naiv und leichtgläubig. Jede glaubte, einen einsamen, mürrischen Wolf ändern zu können. Doch was sie nie kapieren würden, war, dass manch einsamer Wolf einfach einsam bleiben wollte. Sie mussten verstehen, dass ein Mann sich nicht gleich in sie verliebte, nur weil sie ihn zwischen ihre Beine ließen. Ganz im Gegenteil. Sie mussten begreifen, dass ihr Glück und ihre Existenz nicht von einem Traumprinzen abhingen. Denn ihre sogenannten Traumprinzen existierten nur in ihren hübschen Köpfen. In ihrer Vorstellung. Einer Vorstellung, der kein Mann je gerecht werden würde. Und enttäuschte Erwartungen bedeuteten Stress und Schmerz, weshalb ich gar nicht versuchte, auch nur eine davon zu erfüllen. Ich würde für sie ein kurzes Erlebnis sein, ein schnelles Vergnügen, ein kleines Hochgefühl. Um den restlichen Kram konnte sich dann ein anderer Trottel mit mehr Feingefühl kümmern. Ich war raus. Doch bei dem, was ich möglicherweise für all die Frauen symbolisierte, hatte es bisher keine geschafft, in meinem Kopf zu bleiben. Ich konnte mich nicht einmal mehr an das Gesicht der Blonden von vorhin erinnern.
Vielleicht sollte ich das ›respektvoll‹ vor Arschloch doch wieder streichen.Es bereitete mir kein Hochgefühl. Blieb nicht als besonderes Erlebnis in meinem Gedächtnis. Erfüllte in keiner Weise meine Vorstellung von Vergnügen. Und trotzdem machte ich weiter. Versuchte es bei der Nächsten. Zog die gleiche Nummer ab wie zuvor. Nur um nicht einsam und depressiv zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und mir eingestehen zu müssen, was für beschissene Komplexe in mir ruhten. Komplexe, die ich mit jedem weiteren Fick verdrängte. Indem ich mir mit jeder weiteren Nummer vorgaukelte, ich würde ein ausgelassenes Single-Dasein führen, ohne Gefahr zu laufen, jemals verletzt zu werden.
Mit einer Stunde Verspätung erschien ich im Büro, in dem Gibson und Finley bereits ungeduldig auf mich warteten. Ich versuchte, Gibsons besorgte Miene zu ignorieren, mit der er meine dicken Augenringe begutachtete, während er gleichzeitig missbilligend seine buschigen Brauen in die Höhe zog.
Mit einem gemurmelten »Morgen« quittierte ich seinen indirekt tadelnden Blick, bevor ich mich hinter meinen Schreibtisch sinken ließ und mich kommentarlos durch die anstehenden Aufträge klickte. Akira, das einzige weibliche Wesen, mit dem ich mein Bett teilte, schüttelte ihr vom Nieselregen nasses Fell und rollte sich zu einem weißen Knäuel auf ihrem Kissen neben meinem Arbeitsplatz zusammen.
»Da hat eine Frau angerufen, die möchte, dass wir uns ihr Haus ansehen. Kein fließendes Wasser, Dachschäden und Strom gibt es wohl auch nicht«, klärte mich Gibson kurz auf und stellte mir eine Tasse duftenden Kaffee vor die Nase, nach der ich dankbar nickend griff.
»Wir sind voll«, antwortete ich und deutete auf die lange Auftragsliste auf meinem Bildschirm.
»Sie klang ehrlich verzweifelt und ich dachte …«
»Wir sind voll!«, wiederholte ich und sah Gibson warnend an. Er war ein viel zu gutherziger Mensch, der am liebsten von morgens bis abends durchgearbeitet hätte, um all den Leuten auf dieser Insel zu helfen. Doch das war nicht möglich und auch absolut nicht notwendig. Wäre er der Chef, wozu er definitiv imstande wäre, würde er vermutlich in diesen Büroräumen leben und nie wieder nach Hause fahren. Ein Grund, weshalb ihm seine Frau den Chefposten auch verbot und gerade so akzeptierte, dass er als mein leitender Elektriker fungierte.
»Aber vielleicht sollte Gibson erwähnen, dass es sich um das Gruselhaus von Cambrae handelt«, mischte sich Finley ein und zuckte spielerisch mit seinen blonden Augenbrauen. Er war jung und noch grün hinter den Ohren, aber er arbeitete verdammt gut und fleißig, weshalb er ebenfalls eine leitende Position in der Firma innehatte und mir in seinem Bereich enorm viel Arbeit abnahm. Außerdem besaß er den Charme, den man benötigte, um andere mit unaufdringlichen, logischen Argumenten von etwas zu überzeugen. Leider sprang auch ich auf sein verdammtes Talent an, denn sofort machte sein Kommentar den von mir bereits abgelehnten Auftrag wesentlich interessanter.
»Welcher Idiot würde denn so eine Bruchbude kaufen?« Misstrauisch nippte ich an meinem heißen Kaffee und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass er mich am Haken hatte.
»Vielleicht eine Jungfrau in Nöten?« Finley grinste schelmisch zu mir herüber und ließ seine Brauen abermals in die Höhe schnellen.
»Du könntest es herausfinden, indem du dir den Schaden dort wenigstens ansiehst«, überging Gibson Finleys Kommentar. »Außerdem hat ihr Auftrag Priorität, finde ich. Wie soll jemand ohne Wasser, Strom und beschädigtem Dach so weit draußen leben? Da kann das eine oder andere Ferienhaus, um die es in den meisten anderen Aufträgen geht, wirklich ein oder zwei Tage warten.«
Typisch Gibson. Er entschied nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit Herz und Bauch.
Auch wenn es mir vollkommen gleichgültig war, wer auf welchem Schaden saß, drängte sich mir trotzdem die Neugierde auf, welche Idiotin Millicent da überzeugt hatte, das Gruselhaus von Great Cambrae zu kaufen. »Wie du meinst. Dann fahren wir zuerst dorthin.«
»Also eigentlich hat sie gesagt, dass sie erst spätabends kann, da sie arbeitet und nicht genau weiß, wann sie nach Hause kommt.«
Mit deutlich wahrnehmbarer Gereiztheit ließ ich meinen leitenden Elektriker wissen, wie sehr ich mich gerade zusammennahm, diesen Auftrag aus Trotz direkt wieder ans Ende auf unserer Liste zu setzen. Erst bettelte er, dass wir ihre Anfrage priorisierten, und dann hatte diese Lady auch noch Ansprüche, wann wir bei ihr erscheinen sollten. Sie konnte von Glück sagen, dass meine Neugierde geweckt worden war, weshalb ich ihren Auftrag für den heutigen Tag auf die Liste setzte, bevor wir uns aufteilten, um uns an die Arbeit zu machen.
»Hast du heute viele Häuser repariert, Onkel Cole?«
Mahnend beäugte ich Hunter, auf dessen Gesicht sich ein schelmisches Grinsen ausbreitete. »Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass du mich nicht Onkel nennen sollst.«
Der kleine Junge kicherte und wackelte aufgeregt mit den Beinen, während er seinen Blick auf die vorbeifliegenden Lichter der Stadt richtete. Ich hielt vor dem Outsider’s und noch bevor ich den Motor abstellen konnte, sprang Hunter aus dem Wagen und hüpfte auf den von Lichterketten beleuchteten Eingang zu. Schnellen Schrittes folgte ich ihm, seine kleine Tasche in den Händen, die er ständig irgendwo liegen ließ. »Mummy«, kreischte er fröhlich und sprang in Addis Arme, die ihn mit einem matten Grinsen auffing und ihr Gesicht in seinen blonden Locken vergrub.
»Hattie hat mit mir Muffins gebacken und Käsemakkaroni gekocht und ich habe so viel gegessen, bis mir schlecht war, aber diesmal habe ich mich nicht übergeben und dann haben wir …«, quasselte der kleine Wirbelwind hastig drauflos, um seiner Mutter alles von seinem Tag zu berichten, während sich ein geduldiges Lächeln auf ihren Mund legte. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange, den er mit einer angewiderten Miene quittierte. »Ughaa.«
Kichernd ließ sie Hunter herunter, der sofort hinter dem Vorhang verschwand, um sich vermutlich sein Gesicht zu waschen.
»Da wechselt man ihm jahrelang die vollgeschissenen Windeln und das ist der Dank dafür«, seufzte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
»Warte ab, bis er in die Pubertät kommt.«
»Toll, Cole. Danke!« Sofort wurde ihre Miene wehmütig.
»Harten Tag gehabt?« Eigentlich musste ich sie nicht wirklich fragen, denn seit einem Jahr war jeder Tag hart für sie.
Sie presste kurz die Lippen aufeinander und zuckte dann mit verkniffenem Gesichtsausdruck die Schultern. »Danke, dass du ihn bei deiner Mum abgeholt hast. Ich hätte es heute einfach nicht pünktlich geschafft. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe eine neue Mitarbeiterin.«
Überrascht zog ich meine Augenbraue in die Höhe. »Wer ist denn so verrückt, für dich zu arbeiten?«
»Die gleiche Person, die das Gruselhaus von Cumbrae gekauft hat und als ihr neues Zuhause bezeichnet.«
»Eigentlich schreit das geradezu nach Psychopathin«, brummte ich und versuchte, mir die Person vorzustellen, die in eine abgelegene Bruchbude auf einer winzigen Insel zog, die nicht wirklich viel zu bieten hatte. Um dort einen Job in einem heruntergekommenen und vor allem von Menschen gemiedenen Hotel anzunehmen, das von der mürrischsten und verhasstesten Bewohnerin Millports geführt wurde.
»Ich weiß nicht, irgendwie mag ich sie«, gab Addi kleinlaut zu, schüttelte mit dem Kopf, nickte und zuckte mit den Schultern.
»Dann muss sie die schlimmste Psychopathin sein, die Isle of Cambrae seit langem beherbergt hat.« Grinsend wich ich einem Schlüsselbund aus, den Addi mir zielsicher an den Kopf warf.
»Ich habe ihr deine Karte gegeben. Sie hat weder Strom noch …«
»Ja, ja, ja. Aber ich habe jetzt Feierabend. Ich sehe es mir morgen an.« Ich wandte mich mit zum Abschied erhobener Hand der Tür zu, hielt aber dann bei Addis ernstem Blick doch noch einmal inne. »Was?«, stieß ich seufzend aus.
»Ich gebe dir ein Bier aus, wenn du jetzt noch hinfährst.«
Überrascht sah ich die ernste, oft schlecht gelaunte Frau an, deren graue Augen jetzt durchdringend auf meinem Gesicht ruhten. Adelaide Bell war kein schlechter Mensch. Eigentlich war sie warmherzig, witzig und sehr loyal, doch hatte sich das Leben dazwischen gedrängt, welches sie kalt und distanziert hatte werden lassen. Es war selten, dass sie jemanden um einen Gefallen bat, der jemand anderem zugutekam. Verdammt selten sogar.
»Diese Psychopathin scheint dich ganz schön beeindruckt zu haben«, entgegnete ich. Das sorgte dafür, dass sie sich gegen die selbst gebaute Rezeption lehnte und erneut mit den Schultern zuckte. »Gleich und gleich gesellt sich gern.«
In ihrem Gesicht lag keine Weichheit, nur kalte, undurchdringliche Stärke. Aber ich glaubte auch, den Hauch von etwas Neuem erkennen zu können.
Summend versuchte ich, meine Nerven zu beruhigen, während ich in der unteren Etage ein Dutzend Kerzen anzündete, um die Dunkelheit zu vertreiben und dem Haus wenigstens etwas Wärme zu verleihen. Physische wie auch psychische. Um in gemütlichere Kleidung zu schlüpfen, huschte ich mit einer brennenden Kerze die Treppe nach oben, um mich umzuziehen. Dann machte ich es mir in Leggings, warmen Wollsocken und Kapuzenpullover auf dem Sofa gemütlich und verzehrte meine nur noch lauwarme Pizza.
Ein langer Tag lag hinter mir. Addi hatte mich keineswegs geschont. Und obwohl die Müdigkeit mich übermannte, jeder Muskel schmerzte, nachdem ich sämtliche Räume des Outsider’s blitzeblank geschrubbt, alle Teppiche im Haus gesaugt, die Bäder entkalkt, eine Waschmaschine nach der anderen angeworfen und anschließend die Betten in den fünf Zimmern frisch bezogen hatte, wohnte eine wohlige Glückseligkeit in mir. Das Gefühl der körperlichen Betätigung, die einem selbst zugutekam und aus eigenem Antrieb geschah, konnte man nicht mit dem zwanghaften Alltag, den ich zuvor geführt hatte, vergleichen. Ein Alltag, der mich ermüdet hatte.
Es hatte mich angespornt, Addi beweisen zu wollen, wie viel ich bereit war zu geben, damit sie erkannte, dass ich weder zimperlich noch unfähig war. Zudem erschien mir die brutale Ehrlichkeit, die sie mir bei jeder Gelegenheit um die Ohren feuerte, keinesfalls als herabwürdigend. Da sie mir zu jeder Zeit damit vermittelte, wo ich aktuell bei ihr stand und was sie dachte. Ich empfand es als eine angenehmere Alternative zu dem aufgesetzten, erzwungenen Umgang, mit dem ich mich bisher umgeben hatte.
Unter Argusaugen hatte ich sämtlichen Schmutz des Outsider’s entfernt, bei dem es sich allerdings nicht um Alltagsdreck gehandelt hatte. Ganz offensichtlich war dort schon länger nicht mehr geputzt worden und warf die Frage auf: wieso? Außerdem war mir aufgefallen, dass nicht eins der Zimmer belegt war und den ganzen Tag über kein einziger Gast das Hotel auch nur betreten hatte.
Morgen würden wir uns die Küche vornehmen. Vielleicht beunruhigte mich der drohende Unterton in Addis Stimme ein klein wenig, der eher wie eine Warnung geklungen hatte und nicht wie ein harmloser Auftrag.
Trotz der kräftezehrenden, anstrengenden Arbeit belohnte Addi mich zum Abschied mit der Andeutung eines Lächelns, bevor sie mir verkündete, sich durchaus eine Festanstellung vorstellen zu können, wenn ich dies noch immer wollte.
Ihre Vorwarnung, dass es sich um einen Scheißjob handelte, war nicht untertrieben gewesen und trotzdem wusste ich, dass ich den Vertrag mit Vergnügen unterschreiben würde. Nicht nur, weil ich das Geld dringend benötigte, sondern weil es etwas war, das ich mir selbst erarbeitet hatte. Und weil es mir freistand, zu tun und zu lassen, was ich wollte.
Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte ich mich zurück und biss in ein Stück meiner bereits kalten Margherita. Dass ein Neustart nicht einfach sein würde, war mir bereits zu Beginn meiner Reise bewusst gewesen. Angst, Gewissensbisse und Zweifel hatten mich begleitet. Doch während der Überfahrt von Largs hier her, hatte ich mir vorgenommen, diese negativen Gefühle hinter mir zu lassen und im Hier und Jetzt zu leben. Auch wenn mein neues Zuhause bei jedem Windstoß bebte und ich mich nachts fürchtete, weil mich unerklärliche Geräusche vom Schlafen abhielten und Szenarien in meinem Kopf hervorriefen, die in jedem schlechten Horrorfilm Platz gefunden hätten. Auch wenn ich fror und keine Ahnung hatte, wie meine Reise weitergehen sollte und ob es sich vielleicht als Fehler entpuppen würde, wenn ich diesen Job in einem offensichtlich wenig lukrativen Hotel, mit einer mies gelaunten Besitzerin, annahm. All das schob ich beiseite, denn am Ende handelte es sich dabei um meine Fehler. Meine Entscheidungen, die in die Hose gehen könnten. Mein Leben, das mit jedem Misserfolg wachsen würde. Doch solange ich die Möglichkeit hatte, es wachsen zu lassen, würde ich jeden einzelnen Fehltritt mit einem Lächeln hinnehmen und es beim nächsten Mal einfach besser machen. Niemand würde mir ein Misslingen unter die Nase reiben und mir erklären, wie falsch ich lag. Ich würde mir nicht ständig anhören müssen, dass das alles nur zu meinem Besten war, während es sich nicht wie das Beste anfühlte. Niemand würde sich in mein Leben einmischen, ohne mich zu fragen, ob ich das überhaupt wollte. Niemand würde mein Leben in eine Richtung lenken, welche mich immer weiter von dem Kurs abbringen würde, den ich gehen wollte.
Es klang so einfach und doch war es die schwerste Entscheidung meines Lebens. Eine Entscheidung, die ich nicht bereute. Im Gegenteil, es fühlte sich unfassbar gut an, Kapitänin seines eigenen Schiffes zu sein.
Und wenn diese neu gewonnene Freiheit für mich im Augenblick bedeutete, frierend und im Halbdunkeln kalte Pizza zu essen, dann würde ich das mit erhobenem Haupt akzeptieren. Irgendwann würde eine Zeit kommen, in der ich an diese Szene zurückdachte, mit dem neu gewonnenen Bewusstsein, dass das Leben seine Höhen und Tiefen hatte. Und dass es in Ordnung war, allein und ganz unten zu sein, solange man sein Schicksal in den eigenen Händen hielt und sein Ziel nicht aus den Augen verlor.
Ein lautes Knacken und Rumsen sowie ein darauffolgender fluchender, eindeutig männlicher Ausruf, ließen mich zusammenzucken, bevor ich wie von einer Tarantel gestochen aufsprang. Den Ärger darüber, dass dabei meine Pizza auf dem Boden landete, verschob ich auf einen späteren Zeitpunkt, denn jede Faser meiner Aufmerksamkeit fokussierte sich auf diesen Jemand, der sich anscheinend auf meiner Veranda befand.
Jemand, den ich weder eingeladen noch erwartet hatte.
Mein Puls schoss in die Höhe und ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mich aus meiner panischen Starre befreien konnte. So leise und hastig wie möglich rannte ich in die kleine Küche. Mein erster Instinkt drängte mich dazu, aus dem Fenster zu klettern und abzuhauen.
Aber was dann?
Szenario eins wäre, dass ich dem ungebetenen Gast direkt in die Arme lief.
Szenario zwei war auch nicht besser, denn es zeigte, wie ich im Dunkeln davonrannte. Dann endete es. Wohin sollte ich mitten in der Nacht gehen und wie hoch stand meine Chance, zu entkommen? Meine mittelmäßigen Rechenkünste bestätigten mir, dass sie etwas über null lag, weshalb ich tief durchatmete, und versuchte, mich zu sammeln – bemüht, logisch zu denken.
Erneut krachte es vor der Tür und mein Herzrasen setzte wieder ein.
Okay, ich sollte schneller denken, egal ob logisch oder nicht!
Verzweifelt durchforstete ich meine Küchenschränke und entschied mich für eine alte fettige, gusseiserne Pfanne, die jedem perversen Eindringling zumindest ordentliche Kopfschmerzen bereiten würde. Sie kam so etwas wie einer Waffe am nächsten.
Mit der Pfanne bewaffnet, schlich ich zurück ins Wohnzimmer und drängte mich direkt neben die Tür an die Wand. Meine Hände fühlten sich eiskalt an und zitterten vor Adrenalin und Panik. Mein Atem kam mir viel zu laut vor, während ich versuchte, weitere Geräusche von draußen auszumachen. Gleichzeitig mischte sich eine Spur Wut in meine Angst. Wut darüber, dass ich es gerade geschafft hatte, meine aufwühlenden Gefühle in etwas Positives zu verwandeln und dann irgendein perverser Volltrottel auftauchte, um mir das wieder kaputtzumachen. Ich hatte Männer so satt!
Meine Hände klammerten sich noch fester um den Griff der Pfanne und mein ganzer Körper spannte sich an, während mein Herz viel zu schnell in meiner Brust donnerte. Der Schein einer Taschenlampe fiel durch die provisorisch an den Fenstern angebrachten Laken, und bewegte sich. Jemand fluchte erneut und grummelte etwas vor sich hin, woraufhin ich mich fragte, ob ein Einbrecher wirklich so viel Lärm machen würde. Mein noch logisch denkender Teil des Gehirns verneinte diese Frage, während der hysterische, panisch im Kreis rennende Teil der Meinung war, dass es sich auch um einen Amateur-Einbrecher handeln könnte. Schließlich fing jeder mal klein an.
Ich hoffte noch, dass, egal um welche Version von Vollidiot es sich da draußen handelte, dieser Jemand schnell verschwinden würde. Dass er feststellte, dass es bei mir nichts zu holen gab oder begriff, dass das ewig leerstehende Haus nun bewohnt war. Doch meine Hoffnung verpuffte, als es plötzlich an der Tür klopfte.
Okay, ein Einbrecher mit Manieren? Eher unrealistisch.
Überfordert atmete ich ein paarmal tief ein und aus, zählte gedanklich bis drei und riss dann die alte Holztür auf. Gleichzeitig holte ich schwungvoll aus und ließ die Bratpfanne mit einem lauten, die Nacht durchdringenden Schrei auf den Unbekannten niedersausen. Doch dieser reagierte schneller als erwartet und stoppte meinen Arm, bevor die Pfanne auf seinen Schädel treffen konnte.
Wie gelähmt blickte ich in wütend funkelnde Augen. Ein von einer Taschenlampe erhelltes, intensives Eisblau grub sich in meine, während mir mein Atem stoßweise entwich, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Ein paar Sekunden lang starrten wir uns wortlos an, bis ich ihm grimmig meinen Arm entzog und die Pfanne, wie eine Waffe zur Verteidigung, zwischen uns positionierte. »Verschwinde!«, stieß ich mutiger aus, als ich mich fühlte, und hoffte, dass er das Zittern meiner Hände nicht bemerkte. Doch anstatt schreiend davonzulaufen, runzelte er nur die Stirn und ich glaubte sogar, eine Spur Belustigung in seinem Gesicht zu erkennen.
»Okay, Miss, aber dann bleiben Sie weiterhin ohne Strom, Heizung und Wasser.« Gleichgültig zuckte er mit den Schultern und wandte sich zum Gehen um. »Ach, und jemand sollte sich um Ihre Veranda kümmern.« Mit abfälligem Ausdruck deutete er auf das Loch zwischen uns und schlenderte dann die Treppen hinunter.
Was für ein arroganter Mistkerl, schoss es mir durch den Kopf, während mein Gehirn noch versuchte, die Situation zusammenzufassen, um meinen in Alarmbereitschaft versetzten Körper ein wenig zu beruhigen, da anscheinend keinerlei Gefahr bestand. Doch würde ich nicht kopflos und naiv glauben, dass jemand, der am späten Abend hier auftauchte, mir etwas Gutes wollte. Auch wenn diese Charaktereigenschaft schwer auf mir lastete und mich zu erdrücken versuchte.
»Warte!« Langsam ließ ich die Pfanne sinken, während der Typ auf der Treppe innehielt und mich sichtlich gereizt über seine Schulter hinweg anblickte. »Du kannst nicht einfach so im Stockdunklen hier auftauchen, meine Veranda zerstören und davon ausgehen, dass ich dich mit einem freundlichen Lächeln und Kuchen empfange.«
»Oh, Verzeihung. Mir war nicht bewusst, dass man dort, wo Ihr herkommt, es bevorzugt, sich gegenseitig einen mit der Bratpfanne über zuhauen.« Er verbeugte sich mit einem süffisanten Ausdruck und gab der Wut in mir neuen Zündstoff.
»Ich hoffe, deine Arbeit ist besser als deine Witze«, warf ich ihm an den Kopf und ließ die Bratpfanne hinter meinen Rücken verschwinden.
Genervt den Atem ausstoßend, lehnte er sich gegen das Geländer und musterte mich mit der mürrischsten Miene, die er hätte aufsetzen können. »Also, was ist jetzt? Soll ich mich nun um den Schaden kümmern oder kommt als Nächstes das Bügeleisen zum Einsatz?«
Zornerfüllt und leicht beschämt verdrehte ich die Augen und gestattete ihm, mit der Bratpfanne auf die Tür deutend, hereinzukommen. Er ließ seinen übellaunigen Blick kurz durch das von Kerzenschein beleuchtete Zimmer schweifen, betrachtete die spärliche Einrichtung und die Pizza auf dem Boden.
»Ich bin erst gestern angekommen«, versuchte ich, mich zu verteidigen. Die Pizza kommentierte ich nicht.
»Mir egal. Wo ist der Sicherungskasten?«
Ich führte ihn in die Küche, wo er, wie ich am Abend zuvor, den Hauptschalter umlegte und natürlich nichts geschah.
»So weit war ich schon«, murrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust, denn dieser Kerl hielt uns Frauen offensichtlich für eine unterbelichtete Spezies. Er warf mir einen unbeeindruckten Blick zu, schnappte sich seinen Werkzeugkasten und richtete sich auf.
»Ich gebe Gibson, unserem Elektriker der Firma, Bescheid, dass er sich morgen darum kümmern soll. Heute kann ich da nichts mehr machen.«
Schnaubend nickte ich.
Wäre auch zu schön gewesen, wenigstens etwas Licht zu haben.
»Und das Dach?« Ich deutete auf die Decke, von der es glücklicherweise mittlerweile nicht mehr tropfte. Der Handwerker folgte meinem Fingerzeig und betrachtete den provisorischen Eimer unter dem Schaden.
»Kann ich auch nur bei Tageslicht beurteilen«, brummte er und schob sich an mir vorbei.
»Toll! Da hat sich der nächtliche Besuch richtig gelohnt«, kommentierte ich vorwurfsvoll, obwohl jeder andere Mensch neun Uhr abends nicht als Nacht bezeichnet hätte.
Der Typ atmete tief durch und ich wusste, dass ich den Bogen überspannt hatte, schließlich hatte er vermutlich schon Feierabend und war trotzdem hergekommen, um sich den Schaden anzusehen. »Hören Sie, Miss! Wenn man sich blauäugig so einen Schrotthaufen andrehen lässt, sollte man sich auf den ein oder anderen Schaden einstellen und auch damit rechnen, dass da niemand kommt, der mit dem Zauberstab wedelt und damit alles wieder instand setzt. Ich sehe mir jetzt noch die Heizung an, aber nur, wenn Sie Ihr vorlautes Mundwerk halten, verstanden?«
Es war mehr als offensichtlich, wie viel Mühe es ihn kostete, nicht vollständig aus seiner Haut zu fahren. Und vielleicht hätte ich mir den letzten Kommentar sparen können, schließlich versuchte er wenigstens, mir zu helfen. Aber sein abwertender Tonfall, sein überhebliches Auftreten und unsensibles Verhalten mir gegenüber, sorgte dafür, dass mein ohnehin schon extrem angespannter Geduldsfaden riss. »Danke, ich verzichte.«
»Wie bitte?« Perplex hielt er mitten in seiner Bewegung inne und seine verächtlich verzogenen Augen folgten mir, während ich auf die Tür zu marschierte und meine Hand auf die Klinke legte.
»Oh, Verzeihung wenn ich mich unmissverständlich ausgedrückt habe. Was ich eigentlich sagen wollte, war: Hau ab!«
Ein ungläubiges Schnauben ausstoßend, schüttelte er den Kopf, während er mir mit donnernden Schritten folgte. »Ich führe die einzige Handwerksfirma auf dieser Insel. Ohne mich sind Sie aufgeschmissen.«
»Ich bin lieber aufgeschmissen als mir von einem aufgeblasenen Handwerker-Macho den Mund verbieten zu lassen!« Mit diesem Abschlussplädoyer öffnete ich ihm die Tür, woraufhin er mit fest aufeinandergepresstem Kiefer wortlos in der Dunkelheit verschwand.
Angestachelt von der Wut in meinem Bauch, gemischt mit einem Hauch von Verzweiflung, schrubbte ich die fettverschmierten Fliesen in der Küche des Outsider’s. Mit so viel Kraft, dass mir bereits die Hände wehtaten. Ich war mit einem Hochgefühl schlafen gegangen und ganz unten der Enthusiasmus-Leiter aufgewacht. Denn die große und verdammt wichtige Frage des Tages lautete: Was zur Hölle machte ich jetzt? Ohne Strom, Wasser und Heizung und ohne Firma, die sich darum kümmert?
Es hatte sich richtig angefühlt, den aufgeblasenen Handwerker-Macho-Arsch rauszuwerfen und die Feministin in mir feierte mich immer noch dafür, aber es war auch eine unüberlegte Kurzschlussreaktion gewesen. Eine Kurzschlussreaktion, die meinen Neustart zum Stillstand gebracht hatte.
»Wow, Schneewittchen! Du musst dich nicht mehr so bemühen. Ich habe den Vertrag schon ausgedruckt auf meinem Schreibtisch liegen. Und zieh dir gefälligst Handschuhe an, oder willst du dir die Hände mit dem Scheißzeug verätzen?« Addi warf mir gelbe Gummihandschuhe zu, die ich dankbar überzog, da meine Haut durch die Mischung an Putzmitteln, die ich seit zwei Tagen verwendete, tatsächlich brannte.
»Ich mache das nicht, um dich zu beeindrucken, sondern um meinen Kopf freizubekommen.«
»Okay. Dabei hätte ich gedacht, dass du bessere Laune hast, nachdem Cole in deinem Gruselhaus für Strom, Wasser und all das gesorgt hat.«
Ich lachte hämisch und schrubbte noch fester an einer Fliese, auf der sich besonders hartnäckige Flecken befanden.
»Hat er doch, oder?«, hakte sie jetzt etwas zaghafter nach und zog sich auf die Küchenanrichte.
»Nein, Addi! Hat er nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, ein Arsch zu sein«, zischte ich und wischte mir einen Schweißtropfen von der Stirn.
»Au Backe!«
Schwer atmend und irgendwie ernüchtert ließ ich mich auf den Boden sinken und lehnte den Kopf gegen den Ofen, den ich mir definitiv als Nächstes vornehmen würde. »Tut mir leid. Du hast gesagt, er sei ein Freund. Ich wollte ihn nicht beleidigen, aber er ist so aufgeblasen und herablassend durch mein Haus stolziert und hat mich irgendwie auf dem falschen Fuß erwischt. Und wegen meines plötzlich erwachten Stolzes werde ich jetzt zusehen müssen, wie ich die ganzen Schäden an meinem Haus selbst repariere.«
Addis ausdruckslose Miene wurde etwas weicher, als sie von der Anrichte sprang und sich neben mir auf den Boden sinken ließ. »Cole ist ein aufgeblasener Macho, der kein wirkliches Fingerspitzengefühl Frauen gegenüber besitzt. Freund hin oder her«, verteidigte sie mich und entlockte mir ein dankbares Lächeln. »Aber leider führt er auch die einzige Handwerksfirma auf der Insel und wenn man es sich mit ihm einmal verscherzt hat, ist man am Arsch.«
Niedergeschlagen sanken meine Schultern eine Etage tiefer. »Ich dachte, du wolltest mich aufmuntern?«
»Du solltest dir merken, dass du aus meinem Mund immer nur die reine, dreckige Wahrheit hören wirst, Schneewittchen. Aber auch den ein oder anderen rettenden Tipp. Und der erste rettende Tipp, den ich dir geben kann, ist, dass du dich vielleicht einfach bei ihm entschuldigen solltest.«
Entsetzt fuhr ich zu ihr herum. »Mit Sicherheit nicht! Dann würde ich ihn in seinem Verhalten bestärken und zudem der kompletten Frauenwelt in den Rücken fallen.«
Ein Grinsen erschien auf Addis Gesicht. »Ich mag und verstehe deine Einstellung, Schneewittchen. Aber du kommst aus der Sache wirklich nicht anders heraus. Cole ist stur und vor allem stolz. Und falls es deine Meinung von ihm vielleicht ein wenig beeinflusst, ist er kein grundlegend schlechter Kerl. Er irrt einfach noch ein bisschen durch das Labyrinth, welches sich Leben schimpft, und versucht dabei möglichst draufgängerisch zu wirken.« Mit weicherem Ausdruck umspielte ein verständnisvolles Lächeln ihre Lippen. Als sie jedoch bemerkte, dass ich sie musterte, verschwand es schnell wieder und ihre Miene wich einer kühleren – kontrollierten. »Ich wähle meine Freunde mit Bedacht und ich kann dir offen und ehrlich sagen, dass Cole kein schlechter Kerl ist. Er ist kein Traumprinz und ein Arsch gegenüber Menschen, die er nicht kennt, aber er würde alles für seine Familie und seine Freunde tun.« Sie richtete sich auf und wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab. »Und jetzt kannst du dir überlegen, was du tust, während du weiter schrubbst. Schließlich bezahle ich dich nicht fürs Jammern.«
Auf dem Rückweg eines nahegelegenen Cafés, in dem es laut Addi die besten Sandwiches Millports geben sollte, setzte ein leichter Nieselregen ein. Obwohl der Wind ihn mir kalt ins Gesicht wehte und ich die Kapuze meiner Regenjacke festhalten musste, verharrte ich einen Augenblick auf dem Pfad oberhalb des Strandes. Mit geschlossenen Augen legte ich den Kopf leicht in den Nacken und ließ den Regen meine blasse Haut benetzen, während ich gierig die salzige Luft in mich einsog. Ein belebendes und berauschendes Gefühl umhüllte mich, wie der kühle Windhauch, der die Wellen des Meeres an den naturbelassenen Strand spülte. Obwohl der Sommer kurz bevorstand, lagen Regen und angsteinflößende Gewitter in der Luft. Und auch wenn ich mich darauf bereits eingestellt hatte, hoffte ich, dass die Sonne sich mit der Zeit doch noch durch das satte Grau der Wolkendecke kämpfen würde.
Ein schriller Pfiff holte mich in die Realität zurück und als ich die Augen wieder öffnete, beschnüffelte ein weißer Schäferhund schwanzwedelnd die Tüte mit den Sandwiches, die in meiner Hand baumelte.
»Hallo, du.« Zaghaft hielt ich dem Hund meine Finger entgegen, die er zunächst vorsichtig beäugte, bevor er seine feuchte Nase gegen meine Handfläche drückte. Lächelnd vergrub ich meine Finger in dem feuchten Fell des Tieres, während dieses ungerührt versuchte, seine Schnauze in die Öffnung der Tüte zu stecken.
»Akira, lass das!«, rief jemand vom Strand aus, woraufhin die Hündin kurz mit den Ohren wackelte und die Warnung schließlich doch ignorierte. »Akira!« Die Forderung hallte jetzt deutlich strenger zu uns und kurz glaubte ich, eine Art Schnaufen von der Hündin zu vernehmen, was mich zum Schmunzeln brachte. Trotzdem ließ die Hündin widerwillig von meiner Tüte ab und lief auf ihren Besitzer zu, der sich beim Näherkommen als der Handwerker-Macho-Arsch entpuppte, woraufhin ich Akiras genervtes Schnaufen imitierte.
»An deinem Umgang mit Frauen musst du wohl noch etwas arbeiten«, gab ich bissig von mir, als er wenige Schritte von mir entfernt mit seinem Blick begann, seine Hündin zu tadeln, die daraufhin reumütig den Kopf senkte. Kurz sah er auf und blinzelte mir zornig aus seinen hellen Augen entgegen. Etwas in Akiras Richtung murmelnd, ignorierte er meine Bemerkung und stampfte unbeeindruckt den Strand hinunter.
Und damit stand es endgültig fest. Mit Sicherheit würde ich mich niemals bei diesem ignoranten Vollarsch entschuldigen! Vollkommen ausgeschlossen!
»Meine Güte, mussten die den Salat für die Sandwiches erst noch anbauen, oder warum hat das so lange gedauert?« Genervt entwendete Addi mir die Tüte, um ihr Essen herauszuholen.
»Vielen Dank, Quinn, dass du uns trotz des miesen Wetters etwas zu essen besorgt hast. Sehr nett von dir«, schlug ich ihr eine Alternative vor und schälte mich aus meiner nassen Regenjacke, bevor ich mich zu ihr an die Sitzgruppe setzte.
»Au Backe. Hast du in deinem Glassarg schlecht geschlafen, Schneewittchen?« Einen großen Bissen von ihrem Sandwich nehmend, wartete sie kauend auf meine Antwort, während ich seufzend in mich zusammensank.
»Ich bekomme kein Auge zu. Mein Körper ist müde und ich falle auch in eine Art Schlaf, aber mein Unterbewusstsein ist die ganze Zeit in Alarmbereitschaft. Bei jedem knacksendem oder winselndem Geräusch schrecke ich auf und kann nicht einmal auf die Schnelle ein Licht anmachen. Außerdem ist es nachts eiskalt und egal, wie viele Schichten ich trage oder wie viele Decken ich über mich lege, es wird einfach nicht wärmer. Und noch dazu glaube ich, dass ich so langsam anfange, zu stinken.«
»Soll ich noch einmal mit Cole sprechen?«
Bei meinem Versuch, die Zwiebeln von meinem Sandwich zu pulen, hielt ich entsetzt inne und schüttelte vehement mit dem Kopf. »Auf keinen Fall! Das würde ihm nur zugutekommen. Erst schmeiße ich ihn raus und dann schicke ich meine Chefin vor, damit sie für mich um Gnade bettelt. Nur über meine Leiche.«
»Könnte nicht mehr lange dauern. Sobald der Winter einbricht, bist du am Arsch«, schleuderte sie mir mit nüchternem Tonfall vor die Füße.
»Mann, Addi, was soll ich denn machen?« Krampfhaft schluckte ich die aufkommenden Tränen hinunter. Meine vollkommen ausweglose Situation zerrte an meinen Nerven und machte mir meinen Neustart schwerer als erwartet.
»Okay.« Addi leckte sich die Mayo von den Fingern und lehnte sich mit vollem Bauch zurück. »Was hat dich hergebracht, Schneewittchen?« Ihr durchdringender Blick ruhte aufmerksam auf mir und gab mir das Gefühl, nicht nur eine schnelle, oberflächliche Antwort hören zu wollen.
Doch der Umstand, dass ich sie gerade mal zwei Tage kannte und abgesehen von ihrem Job absolut überhaupt nichts über meine Chefin wusste, ließ mich zögern, ihr meine Vergangenheit einfach so zu offenbaren.
Eine Vergangenheit, die ich hinter mir lassen und über die ich eigentlich nicht länger nachdenken wollte, dessen Spuren mich aber gleichzeitig noch immer begleiteten. Eine Vergangenheit, die weder eine besondere Tragik noch Spannung enthielt und mich doch gezeichnet hatte.
»Der Wunsch nach Freiheit«, wagte ich mich vorsichtig hervor, da ich nicht einschätzen konnte, ob Addi mich wirklich verstehen oder schlussendlich nur das kleine, naive Mädchen in mir sehen würde, zu dem man mich erzogen hatte.
»Und was lässt dich glauben, dass du sie ausgerechnet auf einer kleinen Insel Schottlands finden wirst? Hier in Millport?«
Ich zuckte mit den Schultern, streifte die Schuhe von den Füßen und zog die Beine an mich. »Ehrlich gesagt, war es Zufall, dass ich hier gelandet bin. Innerhalb von drei Tagen habe ich ein kleines, bezahlbares Haus auf einer Insel mit überschaubarer Bevölkerung gefunden. Weit genug entfernt von meinem kleinen Käfig, aber nicht so weit, dass ich mich fremd fühlen würde. Es war mir egal, wo ich landete. Und es mag dumm und unbedacht klingen, sich ohne großes Vermögen auf einer Insel niederzulassen und mit dem wenigen Geld, das ich noch besitze, ein sagenumwobenes Gruselhaus zu kaufen, aber ich hatte nun mal keine andere Wahl. Und ich bereue es auch nicht. Selbst wenn ich jetzt vor dir sitze und jammere, keine Ahnung habe, wie es weitergehen soll, werde ich nicht aufgeben. Ich werde hierbleiben und um mein selbstgewähltes Zuhause kämpfen und mir von niemandem sagen lassen, was ich zu tun und oder zu lassen habe. Weder von einem Handwerker-Macho-Arsch, noch von dem beschissenen Wetter hier! Ich werde einen Weg finden und am Ende kann ich sagen, dass ich es allein geschafft habe. Ohne jemandem dankbar sein zu müssen, ohne mein eigenes Können oder Durchhaltevermögen kleinreden zu lassen. Ohne Reue. Es soll einmal in meinem Leben nur um mich und meine Bedürfnisse gehen.