Unfair Trade - Iris Schöninger - E-Book

Unfair Trade E-Book

Iris Schöninger

0,0

Beschreibung

Wir produzieren Nahrungsmittel, um sie zu verfeuern. Wir subventionieren heimische Massenbetriebe und zerstören damit lokale Märkte in Entwicklungsländern. Wir werfen ein Drittel aller Nahrungsmittel in den Müll, noch bevor sie überhaupt auf dem Teller gelandet sind. Wir fördern Bodenspekulationen, Landgrabbing und den Ausverkauf der ärmsten Länder. Wir konsumieren nach unsrem persönlichen Wohlbefinden - und bedenken nicht, dass unser Verhalten die Hälfte der Welt in Armut und Hunger zwingt. Iris Schöninger und Klaus von Grebmer zeigen eindringlich, wohin unser paradoxes Wirtschaften und Handeln führt. Mit scharfem Blick, zahlreichen Belegen und erschütternden Vor-Ort-Berichten machen sie uns bewusst, dass die Hungerproblematik keineswegs weit entfernt ist, sondern direkt bei uns beginnt, auf unseren eigenen Tellern.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 58

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Iris Schöninger, Klaus von Grebmer

UNFAIR TRADE

Wie wir für unseren Wohlstand die halbe Welt verhungern lassen

Campus Verlag Frankfurt/New York

Inhalt

Vorwort von Wolfgang Jamann

Auf dem Land entscheidet sich unsere Zukunft

Der Kampf um knappe Ressourcen wird härter

Jeder Siebte geht hungrig zu Bett

Gesichter des Mangels und Überflusses

Essenspreise explodieren

Biosprit macht hungrig

Klimawandel lässt Ernten sinken

Kapital sucht Anlagemöglichkeiten

Hungerursachen und Lösungsansätze

Politik blockiert Hungerbekämpfung

Kleinbauern sind die Stiefkinder

Reiche verschwenden Ressourcen

Das Ziel: standortgerechte Landwirtschaft

Jetzt die Weichen stellen

Potenziale auf dem Land sind nicht ausgereizt

Gesunde Kinder haben gut ausgebildete Mütter

Fair handeln und Spekulation beenden

Forschungsergebnisse gehören allen

Das Recht auf Nahrung gilt weltweit

Geld und Taten statt leerer Worte

Engagement als »Sprachrohr« und »Wachhund«

Wir haben die Wahl

Handeln statt hoffen

Über das Buch

Über die Autoren

Impressum

Vorwort von Wolfgang Jamann

Als junger Entwicklungshelfer war ich an einem Ernährungssicherungsprojekt im Südsudan beteiligt. In einem kargen Landstrich in der Provinz Bar-el-Ghazal wurden Halbnomaden mit verbesserten Anbautechniken für Hirse und Gemüse vertraut gemacht. Die Vielfalt der heimischen Verpflegung wuchs, die Ernte überbrückte die klassischen Hungermonate, selbst das Vieh arbeitete mit: Ochsenpflüge brachten als Innovationsmotoren sprunghafte Produktionsgewinne – und die Frauen konnten sich statt der Feldarbeit dem Wohl der Kinder und der Familie widmen.

Auf meine begeisterte Frage, wie es denn hier in 25 Jahren aussehen würde (wobei ich schon blühende Landschaften vor dem inneren Auge hatte) antwortete mir unser kenianischer Agrarexperte nüchtern: »In 25 Jahren ist hier alles Wüste«.

Es hat nicht einmal 25 Jahre gedauert. Bereits wenige Jahre später fiel der Südsudan in eine furchtbare Hungersnot – ein Jahr der Dürre und der Frontwechsel eines lokalen Kriegsherrn reichten aus, um Elend, Flucht und Massensterben zu verursachen. Und auch meine eigene Begeisterung für die Allmacht der Entwicklungszusammenarbeit bekam heftige Kratzer.

Globale Megatrends wie der Klimawandel, das Bevölkerungswachstum und der Hunger nach Ressourcen sind schon lange keine abstrakten Größen mehr. Die Verknappung von Land, Wasser und Rohstoffen scheint kaum mehr umkehrbar. Gleichzeitig strebt ein immer größerer Teil der Menschheit nach dem Lebensstil, den ihr die westliche Welt vorgemacht hat. Die logischen Folgen scheinen Konkurrenz und Kampf zu sein, und in einem solchen Kampf wird es auf Dauer keine Gewinner geben – denn der Verlust von fruchtbarem Land ist unumkehrbar, genau wie Trinkwasser nicht unbegrenzt verfügbar ist und es keine unendlichen Reserven an mineralischen und fossilen Rohstoffen gibt.

40 Jahre nach dem Erscheinen des Buches »Die Grenzen des Wachstums« und im Jahre des Rio-Erdgipfels 2012 muss eine neue Nachhaltigkeitsdebatte geführt werden. Es kann nicht mehr nur darauf ankommen, die Befriedigung der heutigen Bedürfnisse auch für die künftigen Generationen zu sichern. Bereits jetzt ist es notwendig, sich die desaströsen Folgen unseres Lebensstils für fast ein Drittel der Menschheit vor Augen zu führen. Eine Milliarde Menschen hungert, obwohl noch genug Nahrungsmittel für alle produziert werden. 900 Millionen Menschen haben kein sauberes Wasser und zwei Milliarden fehlt der Zugang zu sicherer Hygiene. Dies sind schon lange keine moralischen Anklagen mehr, sondern ein lauter Ruf nach Veränderung.

Dieses Buch soll einen Beitrag leisten – es soll aufrütteln, aber auch zeigen, dass es möglich ist, eine gerechte Weltordnung für alle zu schaffen.

Auf dem Land entscheidet sich unsere Zukunft

»Unser Land ist heute eine Wüste. Sie haben uns alle Flüsse genommen. Als wir noch Kinder waren, gab es hier viele Quellen. Überall sprudelte Wasser und wir badeten darin. Jetzt leiten sie das ganze Wasser um«, empört sich eine alte Massai-Frau im Süden der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Denn ehe der mächtige Kilimandscharo heute Flüsse und Bäche speisen kann, wird sein Wasser bereits in einer unterirdischen Pipeline in Richtung Hauptstadt geleitet. Es fließt unter anderem in ein gigantisches Rosenprojekt der kenianischen Regierung.

»Wir exportieren täglich 135 000 Rosen, das macht 45 bis 47 Millionen Rosen im Jahr«, erklärt stolz Vijay Kurnar, Geschäftsführer der Blumenfarm. Die meisten dieser Rosen gehen nach Holland, ein weiterer Teil nach Deutschland und England. Kenia exportiert jährlich 80 000 Tonnen Blumen. Fünf Liter Wasser braucht man, um eine Rose zu produzieren. Gleichzeitig haben 40 Prozent der Kenianer keinen Zugang zu Trinkwasser. So auch diese Massai, ursprünglich halbnomadische Hirtenvölker mit großen Herden. »Ohne Wasser gibt es kein Leben. Unsere Tiere sterben. Wie sollen sie ohne Wasser überleben? Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Pipeline anzuzapfen«, sagt ein Dorfbewohner.1

Die Massai leben deshalb in ständigem Konflikt mit der Polizei. Ihre Felder können sie schon lange nicht mehr bewässern, um Nahrungsmittel anzubauen. Nicht nur hier, sondern auch anderswo verschärft sich der Kampf um natürliche Ressourcen. Die Kontrolle über Land-, Wasser- und Energievorräte wird immer lukrativer, deshalb sichern sich private Investoren und Staaten fruchtbares Ackerland in Entwicklungsländern: für den Anbau und Export von Nahrungs- und Futtermitteln, für Pflanzen zur Weiterverarbeitung als Biosprit oder Industriefasern und für Luxusartikel wie diese Rosen. Für den Anbau von Nahrungsmitteln weltweit wird aktuell nur noch knapp die Hälfte allen fruchtbaren Landes genutzt.

Ohne Wasser wächst keine Pflanze. Rund um den Globus werden 70 von 100 Litern in der Landwirtschaft genutzt, in wasserarmen Ländern sogar 90 Prozent.2 Aber auch fruchtbarer Boden wird immer knapper. Standen 1960 noch 0,44 Hektar Ackerland weltweit pro Person zur Verfügung, war es im Jahr 2000 nur noch die Hälfte. 2050 sind es nach Schätzungen der UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation gerade noch 0,15 Hektar.

Szenenwechsel. In der abgelegenen Bergregion Ratanakiri in Kambodscha wird seit drei Jahren in großem Stil Urwald abgeholzt, um Kautschukplantagen anlegen zu können. Rund 3 000 Hektar Land verpachtet der Staat pro Jahr neu an ausländische Investoren. Gleichzeitig werden vor allem ethnische Minderheiten – mit Gewalt oder unfairen Methoden - von ihrem Land vertrieben. Weil sie weder lesen noch schreiben können, verloren viele Dorfbewohner in Dal Veal Leng und Ka Nat Thum über Nacht ihre Felder. Der Dorfchef hatte sie zur Abgabe ihres Fingerabdrucks gezwungen und dafür Medizin und Kleidung versprochen. Am nächsten Morgen waren die Orte von Zäunen umgeben und ein Großteil ihres Ackerlands für die nächsten 70 Jahre an einen vietnamesischen Investor übergegangen.3

Weltweit steigt der Bedarf an Agrarrohstoffen. Das heizt auch die Spekulation an, Land für Anbauflächen wird immer begehrter. Staatlich festgesetzte Beimischquoten für Biosprit verschärfen diesen Trend entscheidend. So ist es gerade mal ein Jahr her, dass mit Einführung von E10 eine heftige Diskussion unter Autofahrern in Deutschland entbrannte. Seine Beimischung ist der EU-Klimarichtlinie aus dem Jahr 2009 geschuldet. Jedes Mitgliedsland soll bis 2020 zehn Prozent der notwendigen Energie im Straßenverkehr aus erneuerbaren Quellen bestreiten und damit verbunden den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren. (Als Folge erhöhte Deutschland vor allem die Beimischung von Bioethanol und führte den Kraftstoff E10 ein.) Das Ziel der Industrieländer, fossile durch erneuerbare Energien zu ersetzen, ist freilich ein gutes. Doch zu einem großen Teil werden diese erneuerbaren Energien durch Monokulturen und Massenproduktion gewonnen. Diese beispiellose Verbrannte-Erde-Politik, die im Zuge der »Vermaisung« unserer Felder ausgeräumte, der Erosion ausgelieferte Landschaften erzeugt, um Tanks statt Teller zu füllen, darf so nicht weitergehen.