Unfree Speech - Joshua Wong - E-Book

Unfree Speech E-Book

Joshua Wong

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Beschreibung

Was Malala für die Kinderrechte ist und Greta Thunberg für den Klimaschutz, das ist Joshua Wong für die Demokratie Joshua Wong – das Gesicht der Protestbewegungen in Hongkong – schreibt erstmals selbst darüber, wie er es mit der Supermacht China aufgenommen hat. In seinem Buch, das halb Memoir, halb Manifest ist, appelliert er an alle, sich im Kampf um Freiheit und Demokratie einzubringen. Ob wir in Hongkong leben oder anderswo, seine Botschaft ist klar: Wenn wir als freie Individuen leben wollen, müssen wir gemeinsam für Demokratie und Freiheit kämpfen. Schweigen wir, ist niemand in Sicherheit. Nur wenn wir sprechen, können wir etwas bewirken. Joshua Wong erreichte mit 14 Jahren das Unvorstellbare. Als China drohte, die Bildungspolitik in Hongkong zu ändern und die Erwachsenen schwiegen, veranstaltete er den ersten Studentenprotest in Hongkong gegen das Unterdrückungsregime: und gewann. Seitdem hat sich Joshua verpflichtet, unermüdlich für Demokratie und Menschenrechte zu protestieren. 2014 führte er die Regenschirm-Revolution an und spielt auch bei der aktuellen Protestbewegung eine zentrale Rolle. Hier erzählt er selbst, wie er es mit der Supermacht aufnahm und – und warum wir alle uns im Kampf für die Demokratie einbringen müssen. Mit einem Vorwort von Ai Weiwei

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Seitenzahl: 248

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Joshua Wong (mit Jason Y. Ng)

Unfree Speech

Nur wenn alle ihre Stimme erheben, retten wir die Demokratie

Aus dem Englischen von Irmengard Gabler

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]Ai Weiwei:Eine neue Generation von RebellenVorwort von Chris PattenPrologTeil I Genesis1 Ins Gelobte Land2 Der Große Sprung nach vorn3 Wo sind die Erwachsenen?4 Von Protestierenden zu PolitikernTeil II Briefe aus dem Gefängnis Pik UkBrief aus der Besserungsanstalt Pik UkDie Situation draußen ist prekärer als die hier drinSuche nach Antworten im JugendgefängnisSchlussplädoyers bei meinem Strafverfahren wegen Missachtung des GerichtsBesuch eines AbgeordnetenEs ist eine Weile her, dass ich jemandem die Hand geschüttelt habeEin sechsteiliger Widerstandsplan1. Die Tatsachen im Gerichtssaal beim Namen nennen2. Gemeinsam sind wir stark3. Unseren Fuß in der Tür zum Legislativrat behalten4. Bewahrt euren Glauben an die gewaltlosen Proteste5. Rückendeckung für die Inhaftierten6. Seid bereit, den Druck zu erhöhenAngetreten! Der Erste Offizier ist hierEin Teenager gegen die GesellschaftMein erster MarschBriefe aus tiefstem HerzenIch zähle die TageEin offener Brief an die internationale GemeinschaftGenau vor einem Jahr zählte ich Stimmen im LegislativratFade und immer faderEine »ungezogene« RedeDie flexible PolitikerinMein Radio made in ChinaWie viel bezahlen sie dir?Langeweile-KillerSiehst du diese Wolkenkratzer?Misshandlung von HäftlingenHaarpolitik – Teil 1Haarpolitik – Teil 2Ich verliere meinen ZellengenossenVerhör durch die SicherheitsabteilungIch sehe mir Hong Kong Connection anWas der Civic Square mir bedeutetOperation Schwarze BauhinieAn: Mr. Joshua WongJosua und KalebDas Gefängnis als Kunst-HappeningMondkuchenzeitUrteilsverkündung an meinem 21. GeburtstagDie letzten Tage mit den MithäftlingenDer letzte Brief aus dem Pik UkGegenwart GottesBlau gegen gelbDer Weg zur vollwertigen DemokratieDer letzte TagTeil III Die Bedrohung der globalen Demokratie1 Die Proteste gegen das Auslieferungsgesetz2 Ein quadratischer Pflock in einem runden Loch3 Eine Welt, zwei Reiche4 Kanarienvogel in der KohlemineEpilogDanksagungZeitliche Abfolge wichtiger Ereignisse

Für die, die im Kampf um Hongkong

ihre Freiheit verloren haben

Einführung von Ai Weiwei:

Eine neue Generation von Rebellen

Joshua Wong steht für eine neue Generation von Rebellen. Sie wurden in die globalisierte Post-Internet-Ära hineingeboren, sind in den späten neunziger und frühen Nullerjahren aufgewachsen, unter einer modernen Gesellschafts- und Wissensstruktur, die verhältnismäßig demokratisch und frei war. Ihre Weltsicht unterscheidet sich deutlich von jener der etablierten kapitalistischen Kultur, der es in erster Linie um Profit geht.

Von der Regenschirm-Bewegung 2014 bis hin zu den aktuellen Protesten, die in über hundert Tage des Widerstands mündeten, erleben wir in Hongkong den Aufstieg eines ganz besonderen und brandneuen Rebellentyps. Joshua und seine Zeitgenossen sind die Vorreiter dieses Phänomens. Sie sind rational und prinzipientreu, kristallklar in ihren Zielen und präzise wie Zahlen. Sie fordern nur einen einzigen Wert: die Freiheit. Sie glauben fest daran, dass in jeder Gesellschaft Gerechtigkeit und Demokratie erreicht werden kann, indem man die Freiheiten aller Bürger gewährleistet und deutlich sichtbar für ihre Rechte einsteht.

Diese Generation hat klar begriffen, dass die Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist. Man muss sie erkämpfen, durch konstante Anstrengung. Diese jungen Menschen haben eine große Verantwortung auf sich geladen, und viele leiden jetzt deswegen. Einige haben sogar ihre vielversprechende Zukunft geopfert. Doch diese Aktivisten können und werden ihr Ziel erreichen, weil wir alle wissen, dass Freiheit ohne Mühsal keine wahre Freiheit ist.

Wahre Freiheit definiert sich über harte Arbeit und Entschlossenheit. Joshuas Mitstreiter haben dies am eigenen Leib erfahren. Sie stehen einem autoritären Regime gegenüber – der Manifestation zentralistischer Staatsmacht und der Unterdrückung von Menschenrechten, wie wir sie in China und in anderen Ländern auf der ganzen Welt sehen. Die Übermacht, die dieses Regime darstellt, wertet die Anstrengungen von Joshuas Generation zu einem Heroismus auf, wie man ihn in Mythen findet: der Underdog im Kampf gegen dunkle Mächte. Ich bin zuversichtlich, dass die Bürger Hongkongs und auch all jene, die anderswo für ihre Rechte und Anliegen auf die Straße gehen, das übermächtige Establishment besiegen und die Welt mit der mächtigsten Botschaft neu gestalten werden: Freiheit und Gerechtigkeit für alle.

Joshuas Generation tritt für zwei der kostbarsten Werte ein, die von der Menschheit in Tausenden von Jahren geschaffen wurden: soziale Fairness und Gerechtigkeit, die wichtigsten Eckpfeiler jeder Zivilisation. Im Laufe der Geschichte haben Menschen für die Umsetzung dieser Prinzipien einen hohen Preis bezahlt, mit viel zu vielen Toten, mit Unglück, Verrat und gravierenden Beispielen von Opportunismus.

In der sogenannten freien Welt sehen wir heute diesen Verrat und diesen Opportunismus überall. Im Westen sind sie allgegenwärtig. Joshuas Generation stellt sich dieser Doppelzüngigkeit, Schwäche und Feigheit offen entgegen, denn es gilt, die Kernüberzeugungen der Menschheit zu verteidigen.

Die jungen Leute in Hongkong erkennen in der Opferbereitschaft ein großes gesellschaftliches Ideal, das fast schon religiöse Züge hat. Gemeinsam tragen sie mit ihren Aktionen, ihrem gedanklichen Durchdringen des Konflikts und ihrem Wissen um die schwierige Realität, mit der sie konfrontiert sind, dazu bei, dass die ganze Welt erkennt, was eine wahre Revolution ist. Genau darauf haben wir gewartet, und ich hoffe, dass die Revolution, mit Joshua und seiner Generation an der Spitze, überall auf der Welt wahrgenommen wird.

 

Ai Weiwei

18. Oktober 2019

Vorwort von Chris Patten

Eine Idee lässt sich nicht besiegen, indem man ihre Verfechter ins Gefängnis sperrt – so lautet eine der unverrückbaren Lehren aus der Geschichte. Daran können auch ein paar vermeintliche Eigenheiten der großen Zivilisationen der Welt nichts ändern – einige der bedeutendsten Lektionen über Demokratie, Selbstbestimmung und zivilen Ungehorsam stammen tatsächlich von Asiaten, von Mahatma Gandhi bis Kim Dae-Jung.

Es spricht meiner Ansicht nach auch nicht für ein auf lange Sicht vitales Gemeinwesen, wenn ihre Anführer mit abweichenden Meinungen nicht anders umgehen können, als sie im Keim zu ersticken. Man kann die freie Meinungsäußerung nicht zensieren, indem man Aussagen im Internet unterdrückt, Journalisten ins Gefängnis steckt oder gar versucht, Humor auszumerzen (erwähnen Sie in Peking bloß nicht irgendwelche Charaktere aus Winnie the Pooh, vor allem dann nicht, wenn Sie einen gelben Regenschirm in der Hand halten!). Ebenso wenig kann man die Menschen am Denken hindern, auch wenn man noch so mächtig ist; früher oder später wird das Gute in ihren Gedanken all das Schlechte vertreiben, das autoritäre Führer erzwingen wollen.

Der Grund, warum man im Ausland Joshua Wong und seinen Mitstreitern für ihre Courage, ihre Entschlossenheit und Wortgewandtheit so viel Bewunderung zollt, liegt wohl darin, dass ihr Unterfangen insgesamt so vernünftig ist und so unverkennbar dem menschlichen Streben entspricht, wie es war, ist und immer sein wird. Die kasuistische Behauptung, man könne Joshua und seinen Freunden nur mit der Härte des Gesetzes beikommen, steht denen nicht zu, die schweigend den Blick abwendeten, als vom Geheimdienst der Kommunistischen Partei Chinas Männer aus Hongkong entführt wurden, ohne Rücksicht auf Hongkongs Autonomie und seine Gesetze. Vielleicht ist ja, was andere gesehen haben, überhaupt nie passiert.

Joshua und seine Mitstreiter wissen, dass ich nie Gruppen unterstützt habe, die ihren Kampf für Verantwortung, Demokratie, Redefreiheit und Versammlungsfreiheit, autonome Universitäten und eine kraftvolle, ungehinderte Zivilgesellschaft als Druckmittel missbrauchen, um Hongkongs Unabhängigkeit zu erstreiten. Ich halte dies für eine gefährliche Sackgasse. Doch vernünftige Menschen sollten sich fragen, wie und warum es überhaupt so weit kommen konnte.

Wie hätte der wachsende Einfluss Chinas in Hongkong – der Versuch, die versprochene Autonomie der Gemeinschaft zu unterbinden – den Patriotismus einer gesamten Generation stärken sollen? Natürlich ist das genaue Gegenteil dessen, was damit bezweckt wurde, eingetroffen. Die Konsequenz ist aber nicht etwa, dass die Menschen sich jetzt weniger chinesisch fühlen; sie sind nur umso stolzer, Hongkong-Chinesen zu sein. Es ist schon seltsam, dass der Kommunistischen Partei Chinas etwas gelungen ist, was die britische Kolonialregierung nie zuwege gebracht hat.

Vor kurzem hatte ich zwei beunruhigende Begegnungen. Die erste war mit einer jungen Frau aus Hongkong, die mich unter Tränen fragte, wie sich die Aushöhlung der Freiheit in ihrer geliebten Stadt verhindern ließe. Die zweite war mit einem einflussreichen Banker, der jahrelang in Hongkong gearbeitet hatte, und der sich, wie er sagte, nun zum ersten Mal Sorgen um Hongkongs Zukunft machte.

Ich glaube, dass Joshua Wong und seine Freunde in vielerlei Hinsicht gewissermaßen die Antwort sind auf die Sorgen dieser Hongkonger Bürger. Solange ihr mutiger Geist nicht ausgelöscht wird – und das wird er nicht – bin ich sicher, dass Hongkong ein Symbol für das Potenzial der Menschheit bleibt, aus etwas Kleinem Großes zu schaffen. Und in der Zwischenzeit hoffe ich, dass die Welt genau beobachten wird, inwieweit auf Chinas Wort Verlass ist. Was mich selbst anbelangt – und den meisten anderen geht es wohl ebenso –, so vertraue ich Joshua aus Hongkong weitaus mehr als den kommunistischen Apparatschikis aus Peking oder ihren Fürsprechern in der Stadt und anderswo.

 

Chris Patten

Letzter Gouverneur von Hongkong

Mai 2018

Prolog

Am 17. August 2017, als die Straßen von Hongkong in der sengenden Sonne brüteten und andere Universitätsstudenten ihre Sommerjobs beendeten oder aus den Ferien mit der Familie zurückkehrten, wurde ich für meine Rolle in der Regenschirm-Bewegung, die Schockwellen über die ganze Welt sandte und Hongkongs Geschichte veränderte, zu sechs Monaten Haft verurteilt. Man brachte mich umgehend in die Besserungsanstalt Pik Uk, nur einen kurzen Fußmarsch von meiner alten Schule entfernt. Ich war 20 Jahre alt.

Das Justizministerium hatte den Antrag gestellt, mein Urteil von 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit in eine Haftstrafe zu verwandeln. Dem Antrag wurde stattgegeben. Zum ersten Mal musste in Hongkong jemand ins Gefängnis, weil er gegen das Versammlungsverbot verstoßen hatte. Auf diese Weise war ich einer der ersten politischen Gefangenen der Stadt geworden.

Ich hatte geplant, während der Haft ein Tagebuch zu führen, zum einen, um mir die Zeit zu vertreiben, zum anderen, um die vielen Gespräche und Vorfälle festzuhalten, die ich hinter Gittern erlebte. Vielleicht, so dachte ich, würde ich diese Notizen einmal in ein Buch verwandeln – und hier ist es.

Es besteht aus drei Teilen. Im ersten ist von meinem Werdegang die Rede, wie sich ein 14-jähriger Organisator einer Schülerkampagne zum Gründer einer politischen Partei entwickelte und schließlich zum Gesicht einer Bewegung wurde, die sich gegen den langen Arm des kommunistischen Chinas nach Hongkong und darüber hinaus zur Wehr setzte. Diese Entstehungsgeschichte legt ein turbulentes Jahrzehnt des Protestes offen, der eine sieben Millionen Menschen zählende Bevölkerung aus der politischen Apathie zu reißen vermochte und ihren Sinn für soziale Gerechtigkeit schärfte.

Im zweiten Teil erzähle ich Geschichten und Anekdoten aus meinem Sommer hinter Gittern. Abend für Abend, sobald ich in meine Zelle zurückgekehrt war, setzte ich mich auf mein hartes Bett und brachte im schwachen Licht Tinte zu Papier. Ich wollte meine Ansichten zum Zustand der politischen Bewegungen in Hongkong mitteilen, zur Richtung, die sie einschlagen, und wie sie unsere Zukunft gestalten sollten. Ich wollte zudem das Wesentliche des Gefängnislebens einfangen, von meinen Dialogen mit dem Gefängnispersonal bis hin zur gemeinsamen Zeit mit anderen Insassen, in der wir uns im Fernsehen die Nachrichten ansahen und Geschichten von Übergriffen auf Häftlinge austauschten. Diese Erfahrung brachte mich anderen inhaftierten Aktivisten wie Martin Luther King jr. und Liu Xiaobo näher denn je – Giganten, die mir in meinen düstersten Stunden Inspiration waren und geistigen Beistand gaben.

Das Buch endet mit einem dringenden Appell an alle Menschen auf dieser Welt, ihre demokratischen Rechte zu verteidigen. Jüngste Vorkommnisse, von den Äußerungen des US-Basketballverbands NBA in den sozialen Medien bis hin zu Apples Sperrung einer App in Hongkong, mit der sich Polizeibewegungen verfolgen ließen, haben gezeigt, dass die Aushöhlung von Freiheit, die Hongkong heimgesucht hat, bereits Auswirkungen auf die restliche Welt hat. Wenn multinationale Konzerne, internationale Regierungen und gewöhnliche Bürger Hongkong keine Beachtung schenken und unsere Geschichte nicht als ein frühes Warnsignal betrachten, wird man die Beschneidung bürgerlicher Freiheiten bald überall im selben Maße erleben wie die Menschen in Hongkong es seit zwei Jahrzehnten Tag für Tag auf unseren Straßen erdulden und bekämpfen.

 

Mit Unfree Speech – meinem ersten Buch, das sich an ein internationales Publikum richtet – werden die Leser einen jungen Mann in der Entwicklung kennenlernen, sowohl im Denken wie auch in seiner Lebenserfahrung. Das Buch zeigt aber auch eine Stadt im Wandel, von einer britischen Kolonie zu einer Sonderverwaltungszone unter kommunistischer Herrschaft, von einem Dschungel aus Beton, Glas und Stahl zu einem urbanen Schlachtfeld voller Gasmasken und Regenschirme, von einem herausragenden Finanzzentrum zu einer leuchtenden Bastion der Freiheit und des Widerstands angesichts einer globalen Bedrohung. Diese Veränderungen haben mehr denn je meinen Entschluss gestärkt, für ein besseres Hongkong zu kämpfen – ein Anliegen, das meine Adoleszenz bestimmt hat und weiterhin den Menschen formt, der ich bin.

Im Pik Uk begann jeder Tag mit demselben Morgenmarsch: Jeder Insasse musste antreten, marschieren, stillstehen, dann um 90 Grad drehen, zu den Wachleuten aufblicken und, einer nach dem anderen, seine Anwesenheit kundtun. Jeden Tag hörte ich mich aus vollem Hals dieselben Worte brüllen: »Guten Morgen, Sir! Ich, Joshua Wong, Häftling Nummer 4030XX, wurde wegen illegaler Versammlung zu sechs Monaten Gefängnishaft verurteilt. Danke, Sir!«

Ich bin Joshua Wong. Meine Gefängnisnummer lautet 4030XX. Und dies ist meine Geschichte.

Teil IGenesis

»Niemand soll dich wegen deiner Jugend geringschätzen. Sei den Gläubigen ein Vorbild, in deinen Worten, in deinem Lebenswandel, in der Liebe, im Glauben, in der Lauterkeit.«

Erster Brief an Timotheus, 4,12.

1Ins Gelobte Land

Der Aufstieg der Neuen Hongkonger

Ich bin 1996 geboren, im Jahr der Feuerratte, neun Monate bevor Hongkong an die Regierung Chinas zurückgegeben wurde.

Dem chinesischen Horoskop zufolge, das einen 60-Jahre-Zyklus umspannt, ist die Feuerratte abenteuerlustig, rebellisch und geschwätzig. Obwohl ich als Christ weder an westliche noch an östliche Astrologie glaube, treffen diese Persönlichkeitsvoraussagen ziemlich genau den Nagel auf den Kopf – vor allem, was meine Redseligkeit angeht.

»Als Joshua noch ein Baby war, machte er sogar mit dem Fläschchen im Mund alle möglichen Geräusche, als würde er eine Rede halten.« Mit diesen Worten stellt meine Mutter mich immer noch neuen Mitgliedern unserer Kirchengemeinde vor. Ich selbst habe nicht die leiseste Erinnerung an mich als Baby, aber ihre Beschreibung ist absolut überzeugend, und ich glaube ihr aufs Wort.

Als ich sieben Jahre alt war, wurde bei mir Legasthenie diagnostiziert, eine Schreib- und Leseschwäche. Meine Eltern hatten die Anzeichen schon früh bemerkt, als ich mit den einfachsten chinesischen Schriftzeichen Schwierigkeiten hatte. Simple Wörter, die Vorschulkinder in wenigen Tagen lernten, wie »groß« () und »sehr« (), sahen für mich völlig gleich aus. Ich machte bis weit in meine Teenagerjahre hinein bei Hausaufgaben und Prüfungen immer dieselben Fehler.

Das Reden aber war von meiner Lernschwäche nicht beeinträchtigt. Durch selbstbewusstes Sprechen konnte ich meine Schwächen ausgleichen. Das Mikrophon liebte mich, und ich liebte es noch mehr. Als Kind erzählte ich in Kirchengruppen gern Witze und stellte Fragen, die selbst größere Kinder sich nicht zu stellen trauten. Ich bombardierte den Pastor und die Kirchenältesten mit Fragen wie: »Wenn Gott so voller Gnade und Sanftmut ist, warum lässt Er dann zu, dass arme Leute in Hongkong in Käfighäusern wohnen?« oder »Wir spenden der Kirche jeden Monat Geld, wohin geht dieses Geld?«

Wenn meine Eltern mit mir nach Japan und Taiwan reisten, schnappte ich mir das Megaphon des Touristenführers und erzählte den Leuten, was ich im Internet gefunden hatte über die Sehenswürdigkeiten vor Ort und über mögliche Ausflüge, sprang dabei von einem Thema zum nächsten, als wäre es das Natürlichste auf der ganzen Welt. Die Zuhörer klatschten mir Beifall.

Mit meiner Revolverschnauze und der angeborenen Wissbegier erntete ich Lob und Schmunzeln, wohin ich auch kam. Dank meiner geringen Körpergröße und den Pausbacken galt mein Verhalten, das anderenfalls vielleicht als nervig oder anmaßend empfunden worden wäre, als »niedlich«, »drollig« oder »altklug«. Während manche Lehrer und Eltern sich wünschten, dieser kleine Besserwisser würde gelegentlich den Mund halten, waren sie normalerweise in der Minderheit, und in der Schule und der Kirche waren alle ganz vernarrt in mich. »Ihr Junge ist etwas Besonderes. Aus dem wird eines Tages ein großartiger Anwalt!«, sagten die Kirchgänger zu meinem Vater.

Im Westen sehen die Menschen in einem altklugen Kind vielleicht einen aufstrebenden Politiker oder Menschenrechtsaktivisten, in Hongkong dagegen – einer der kapitalistischsten Gegenden der Welt – würde man solche Berufsziele dem ärgsten Feind nicht wünschen. Hier ist eine lukrative Karriere als Jurist, Mediziner oder Finanzexperte aus Sicht der Eltern der Inbegriff des Erfolges. Aber meine Eltern denken anders und haben mich auch anders erzogen.

Meine Eltern sind beide fromme Christen. Mein Vater war in der IT-Branche tätig, bevor er sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen ließ, um sich auf Kirchenangelegenheiten und Gemeindearbeit zu konzentrieren. Meine Mutter arbeitet in einem lokalen Familienberatungszentrum. Sie haben 1989 geheiratet, nur Wochen nachdem die chinesische Regierung Panzer auf den Platz des Himmlischen Friedens geschickt hatte, um dort die demonstrierenden Studenten niederzuschießen. Meine Mutter und mein Vater kamen überein, ihre Hochzeitsfeier abzusagen, und schickten handgeschriebene Zettel an Freunde und Verwandte mit einer einfachen Botschaft: »Unser Land steckt in der Krise, die Neuvermählten legen keinen Wert auf Förmlichkeiten.« In einer Kultur, in der ein kostspieliges Hochzeitsbankett ein ebenso wichtiger Übergangsritus ist wie die Hochzeit selbst, war ihre Entscheidung ebenso mutig wie nobel.

Mein chinesischer Name, Chi-fung, ist von der Bibel inspiriert. Die Schriftzeichen bedeuten »etwas Scharfes«, ein Bezug auf Psalm 45,6, in dem es heißt: »Deine Pfeile sind scharf, dir unterliegen die Völker, die Feinde des Königs verlieren den Mut.« Meine Eltern wollten gewiss nicht, dass ich mit Pfeilen auf jemanden schieße, sondern dass ich die Wahrheit ausspreche und sie führe wie ein Schwert, um Lügen und Unrecht zu durchbohren.

Abgesehen von meiner ungewöhnlichen Gesprächigkeit war ich ein recht durchschnittliches Kind. Mein bester Freund in der Grundschule war Joseph. Er war größer als ich, sah besser aus und bekam bessere Noten. Er hätte auch mit den beliebten Kindern abhängen können, aber uns verband die Angewohnheit, gerne zu schwatzen, auch während des Unterrichts, obwohl wir sieben Stühle voneinander entfernt saßen. In der zweiten Klasse (im Alter von sechs bis sieben Jahren) war unser Lehrer Mr. Szeto dermaßen genervt von unserem permanenten Schwätzen, dass er den Leiter der Schule bat, uns im darauffolgenden Schuljahr in unterschiedliche Klassen zu setzen. Doch das funktionierte nicht.

Joseph und ich waren unzertrennlich. Nach der Schule trafen wir uns entweder bei mir oder bei ihm zu Hause, um Videospiele zu spielen und Manga-Comics zu tauschen. Mein erster Kinofilm war Batman: The Dark Knight, ein Hollywood-Blockbuster, der teilweise in Hongkong spielte – und ich sah ihn mit Joseph.

Wir hatten noch etwas gemein. Unsere Klasse war die erste, deren Schüler nach der Rückgabe geboren waren. Wir sind die Generation, die während des wichtigsten politischen Ereignisses in Hongkongs Geschichte das Licht der Welt erblickte. Am 1. Juli 1997, nach 156 Jahren unter britischer Herrschaft, legte Hongkong seine koloniale Vergangenheit ab und kehrte zum Kommunistischen China zurück. Die Rückgabe hätte ein Grund zum Feiern sein sollen – eine Wiedervereinigung zwischen Mutter und Kind und eine Gelegenheit für die lokale Wirtschaftselite, den aufstrebenden Markt auf dem Festland anzuzapfen –, doch für die meisten Hongkonger Bürger war sie das nicht. Viele unserer Verwandten und Freunde hatten Hongkong schon Jahre vor diesem schicksalhaften Datum verlassen, aus Angst vor der kommunistischen Herrschaft. Als ich auf die Welt kam, war fast eine halbe Million Bürger in die USA, Großbritannien, Kanada, Australien oder Neuseeland ausgewandert. Für sie war der Kommunismus gleichbedeutend mit den Unruhen infolge des »Großen Sprungs nach vorn« – einer gescheiterten wirtschaftlichen Kampagne zwischen 1958 und 1962 zur Industrialisierung Chinas, die mit dem Hungertod von ungefähr 30 Millionen Bauern endete – und den politischen Unruhen nach der Kulturrevolution. Letztere war eine soziopolitische Kampagne zwischen 1966 und 1976, angeführt von dem Vorsitzenden Mao Zedong, um kapitalistische Tendenzen und politische Gegner auszumerzen. Das kommunistische Regime war der Grund, warum sie und ihre Eltern nach Hongkong geflüchtet waren; der Gedanke, nun an diese »Diebe und Mörder« – wie meine Großmutter es ausdrückte – zurückgegeben zu werden, vor denen sie geflüchtet waren, war furchterregend und unvorstellbar.

Ich kannte das alles nur vom Hörensagen. Für jemanden, der unter der chinesischen Herrschaft aufgewachsen ist, waren die Berichte darüber allenfalls Geschichten und Großstadtlegenden. Die einzige Fahne, die ich auf öffentlichen Plätzen und vor Regierungsgebäuden hatte wehen sehen, war die chinesische mit den fünf Sternen. Abgesehen von den Doppeldeckerbussen im Stile Londons oder den englisch klingenden Straßennamen wie Hennessy, Harcourt und Connaught, habe ich keinerlei Erinnerung an das koloniale Hongkong und fühle mich der britischen Regierung auch nicht verbunden. Obwohl viele Schulen vor Ort, auch die meine, den Unterricht weiterhin auf Englisch abhalten, lernen die Schüler, mit Stolz auf die vielen wirtschaftlichen Errungenschaften im modernen China zu blicken, nicht zuletzt auf die Art und Weise, wie die Kommunistische Partei Hunderte Millionen Menschen aus dem Elend geführt hat. In der Schule haben wir gelernt, das Grundgesetz, Hongkongs Mini-Verfassung und ein Dokument, das China und Großbritannien vor der Übergabe ausgehandelt haben, beginne mit der Erklärung, dass »die Sonderverwaltungszone Hongkong ein unveräußerlicher Teil der Volksrepublik China« sei. China sei unser Mutterland und habe innerhalb der sogenannten »Ein-Land, zwei Systeme«-Doktrin wie ein gütiger Elternteil stets nur unser Bestes im Sinn.

Die Doktrin wurde in der Chinesisch-britischen gemeinsamen Erklärung zu Hongkong festgehalten, einem internationalen Vertrag, den Großbritannien und China 1984 unterzeichneten. »Ein Land, zwei Systeme« war das geistige Kind von Regierungschef Deng Xiaoping, der eine Lösung brauchte, um während der Rückgabegespräche den Abfluss von Talent und Wohlstand aus Hongkong einzudämmen. Deng wollte flüchtenden Bürgern gewährleisten, dass die Stadt nach ihrer Wiedervereinigung mit Festlandchina ihre eigenständigen wirtschaftlichen und politischen Systeme nicht verlieren würde. Unter chinesischer Herrschaft, so sein Versprechen, würden »Pferde weiterhin laufen und Tänzer weiterhin tanzen«.

Dengs Strategie ging auf. »Ein Land, zwei Systeme« ermöglichte es Hongkong, sich geschmeidig aus einer Kronkolonie zu einer Sonderverwaltungszone zu entwickeln. Für die meisten Menschen erwies sich die Rückgabe als viel Geschrei um nichts. Am 30. Juni 1997, Schlag zwölf, starrten 7 Millionen Hongkonger gebannt in ihre Fernsehgeräte, um Chris Patten, den letzten Gouverneur der Kolonie, zum letzten Mal aus dem Gouverneursgebäude treten zu sehen. Als Patten in Begleitung von Prinz Charles die Königliche Yacht Britannia bestieg, stieß jedermann einen Seufzer der Erleichterung aus, dass sich trotz der pompösen Inszenierung in Hongkong fast nichts verändert hatte. Viele Menschen glaubten, dass diejenigen, die in ihrer Angst aus der Stadt geflüchtet waren, überreagiert und Chinas guten Willen unterschätzt hatten.

Meine erste Begegnung mit »ein Land, zwei Systeme« war persönlicher als internationale Verträge und konstitutionelle Rahmenbedingungen. Als ich fünf Jahre alt war, unternahm ich mit meinen Eltern einen kurzen Ausflug nach Guangzhou, die Hauptstadt der Provinz Guangdong, zu der auch Hongkong gehört. Es war 2001, das Jahr, in dem China der Welthandelsorganisation beigetreten war und sein wirtschaftlicher Aufschwung begonnen hatte.

Damals war Guangzhou im Vergleich zu Hongkong noch ein Provinznest. Die Internetversorgung war lückenhaft, ein Großteil der Webseiten blockiert. Obwohl die Menschen in Guangzhou kantonesisch sprachen wie wir, verhielten sie sich anders – in Hongkong hockt oder spuckt niemand in den Straßen; wir stehen Schlange und warten, bis wir an der Reihe sind, bevor wir mit Verkäufern oder Bedienungen sprechen. Nicht so in China.

Noch dazu fuhren die Autos auf der falschen Straßenseite, und man bezahlte seine Einkäufe mit kleinen zerfledderten Banknoten namens Renminbi. Straßenschilder und Speisekarten wiesen vereinfachte chinesische Schriftzeichen auf, die vertraut aussahen, sich aber doch von den traditionellen unterschieden, die wir in Hongkong benutzten. Sogar Coca Cola schmeckte anders, weil das Wasser, das man dafür benutzte, einen komischen Nachgeschmack hatte. »In Hongkong gefällt es mir besser«, dachte ich damals.

Von der Generation meiner Eltern zu der meinen sind die Kinder in Hongkong mit Anime aus Japan aufgewachsen. Japan, das bei weitem fortschrittlichste Wirtschaftssystem in Asien, galt in Hongkong schon lange als richtunggebende Kultur – alles, was man für cool hielt, kam aus Japan. Ich bin ein absoluter Fan einer Sci-Fi-Serie namens Gundam, Japans Antwort auf die Marvel- und DC-Filme. Viele meiner Lieblingscomics – zum Beispiel Mobile Suit Gundam OO, Gundam Seed und Iron-Blooded Orphans – haben ähnliche Plots: Sie erzählen alle die Geschichte eines jungen Waisen, der sich seinen Platz in der Welt sucht, während er von einer Pflegefamilie in die nächste kommt.

Das wiederkehrende Thema »Pflegekinder« in meinen Samstagmorgen-Cartoons erinnert mich an meine Stadt. In vielerlei Hinsicht ist Hongkong wie ein Pflegekind, das von einer weißen Familie aufgezogen und ohne seine Zustimmung an seine biologischen chinesischen Eltern zurückgegeben wurde. Mutter und Sohn haben sehr wenig gemeinsam, von der Sprache über die Gebräuche bis hin zu der Art und Weise, wie sie ihre Regierung betrachten. Je mehr das Kind gezwungen wird, seiner lange verschollenen Mutter Zuneigung und Dankbarkeit entgegenzubringen, desto größer sein Widerstand. Es fühlt sich verloren, verlassen und einsam. Die Devise »Ein Land, zwei Systeme« mag die ehemalige Kronkolonie 1997 durch ihre sanfte Übergangsphase in die chinesische Obhut navigiert haben, trägt aber wenig dazu bei, seine wachsende Identitätskrise aufzufangen. Hongkong ist eine Stadt, die nicht mehr britisch ist und nicht chinesisch sein will, und deren Bedürfnis nach einer eigenen Identität von Jahr zu Jahr größer wird.

So lässt sich in etwa die Gefühlslage meiner Generation zusammenfassen; es ist die erste, die zwar nach der Rückgabe an China aufgewachsen ist, aber noch bevor der Einfluss des chinesischen Regimes spürbar wurde. Die widersprüchlichen Gefühle meiner Generation für unser angebliches Mutterland motivieren uns, nach Wegen zu suchen, die emotionale Leere zu füllen. Wir wollen uns einen Platz in der Welt erkämpfen und eine eigene Identität entwickeln, nach unseren Vorstellungen. Immer mehr bauen wir auf unsere Popkultur, unsere Sprache, unsere Ernährung und einzigartige Lebensart als Fundamente unseres Selbstbildes. Die Bemühungen, pittoreske Viertel zu erhalten, lokale Produkte zu unterstützen und das Kantonesische vor seiner Verdrängung durch Mandarin-Chinesisch zu bewahren, entwickeln sich nach und nach zu Leitmotiven eines Jugendkreuzzuges.

Als ich zehn Jahre alt war, machten massive Proteste gegen die Zerstörung des Star Ferry Pier und des Queen’s Pier, zweier beliebter und historisch bedeutender Sehenswürdigkeiten in Hongkong, Schlagzeilen. Bei den Demonstrationen ging es um weit mehr als um den Widerstand gegen eine rücksichtslose Stadtentwicklung und Gentrifizierung: Es ging um die Verteidigung unserer jungen Identität. Dieser wütende Widerstand war jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Das Erwachen des neuen Hongkongers hatte eben erst begonnen.

 

Doch mein politisches Erwachen wurde zunächst auf Eis gelegt, als ich zwölf wurde. Seit ich mein letztes Jahr in der Grundschule angetreten hatte, zählte für mich und meine Klassenkameraden nur noch eines: die Zulassung zu einer anständigen Sekundarschule. Hier in Hongkong haben wir ein Sprichwort: »Die Sekundarschule bestimmt dein Schicksal.« Das ist keine Übertreibung. Das lokale Bildungssystem ist gnadenlos, und die Schule, die wir besuchen, hat die Macht, unsere Zukunft zu bestimmen: Sie entscheidet, auf welcher Universität wir studieren können, welches Fach wir wählen, was für einen Job wir nach dem Abschluss des Studiums ergattern, wie viel Geld wir verdienen, mit wem wir ausgehen können und wen wir heiraten, und letztendlich auch, wie viel Respekt uns die Gesellschaft entgegenbringt. Aus diesem Grund nehmen sogenannte »Helikoptereltern« eine Menge auf sich, um »Portfolios« für ihre Kinder zu erstellen, damit sie für die Schulen einen höheren Marktwert bekommen. Die Beherrschung mehrerer Musikinstrumente und exotischer Fremdsprachen sind eher die Regel als die Ausnahme.

Ich war nicht sonderlich optimistisch. Ohne einen umwerfenden Lebenslauf und mit einem Zeugnis, das von Legasthenie in Mitleidenschaft gezogen war, wusste ich, dass es nicht leicht werden würde. Aber ich würde nicht aufgeben. Wenn Moses 40 Jahre durch die Wüste wandern konnte, bevor Josua die Aufgabe zu Ende brachte und sein Volk in das Land der Verheißung führte, was war dann für die Feuerratte schon ein wenig Büffelei?

Im Chinesischen haben wir ein beliebtes Sprichwort: »Mit Fleiß lassen sich alle Unzulänglichkeiten wettmachen.« In diesem Jahr legte ich meine Videospiele und Mangas beiseite und erhielt jede Woche zusätzlich zwanzig Stunden Privatunterricht. Dabei strengte ich mich besonders in meinen schwächsten Fächern an – Chinesisch und Englisch –, die üblicherweise meinen Notendurchschnitt drückten. Dank meiner harten Arbeit lag ich schließlich 0,1 Punkte über dem erforderlichen Mindestnotendurchschnitt, um es in meiner Schule auf die Liste der »Prädikatsschüler« zu schaffen. Dank meiner freimütigen Anfragen waren sowohl der Schulleiter als auch mein Klassenlehrer bereit, in Empfehlungsschreiben nicht meine tatsächlichen Leistungen anzupreisen, sondern mein »Potenzial zu Höchstleistungen«.

In der Finalrunde für die Sekundarschule fragte man mich in der Zulassungsstelle: »Wenn einer deiner Freunde dir sagen würde, er sei von anderen schikaniert worden, was würdest du tun, Joshua?« Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich, als hätte man mir die Frage schon hundertmal gestellt: »Ich würde meinen Freund mit in die Kirche nehmen, damit Gott sich seiner annehme. Das würde ich vielleicht auch mit den Schikanierern machen. Gott hat für jeden einen Plan.« Der Beamte lächelte, und ich lächelte zurück. Und ehe ich mich versah, erhielt ich einen Brief, in dem stand, dass ich als Nachrücker in das United Christian College aufgenommen worden sei. Die Schule war meine erste Wahl.

2Der Große Sprung nach vorn

Scholarism und die nationale Erziehung

Die Sekundarschule war erfrischend. Anstatt wie in den sechs Jahren Grundschule wie Kinder behandelt zu werden, waren wir jetzt junge Erwachsene, durften in den Klassen unsere Meinung äußern und nach der Schule eigenen Aktivitäten nachgehen. Überdies wurde im Lehrplan weniger auf Auswendiglernen und Abspeichern gesetzt als auf analytisches, kritisches Denken, und so war meine Legasthenie kein so großer Nachteil mehr wie früher.