Unhaltbare Zustände halten am längsten - Rolf Friedrich Schuett - E-Book

Unhaltbare Zustände halten am längsten E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Beschreibung

Zeitschrift für europäische Moralistik --- Diese Essays, Fragmente und Aphorismen bieten Modelle potenzierter Reflexion zu gesellschaftlichen und kulturellen Fragen, die akuter und drängender sind, als sie gehandelt werden. --- Denkstadien der Korrektur von philosophical correctness : Solche Gedankenexperimente stehen als "Ideenparadiese" und "ganze Milchstraße von Einfällen" in der Tradition der frühromantischen Ironie, deren plebejische Imaginationsfreiheit noch nicht gebändigt wurde durch Platons aristokratische Dialogkunst und Hegels bürgerliche Dialektik. Philosophische Weltweisheit : Liebe zum Witz an der Ur-Sache. --- "Ein Haufen aufs Geratewohl hingeschütteter Dinge ist die schönste Weltordnung." (Heraklit, um 500 v. Chr.) --- Ein Aphorismus ist umso treffender, je disparater die Kontrastwelten sind, die er zur Deckung bringt, und je enger verschmolzen ist, was er spaltet. --- "Die Kürze der chinesischen Bücher : so kurz will ich werden oder bleiben." (Elias Canetti) Inhalt : - Kotz und Motzklotz auf eitlen Protz? - Aufklärung als Idylle - Das Staunen der Welt - Experten oder Demokraten? - Selige Schau oder verfluchtes Ackern? - Was (ver)raten die Ratten in Raten? - Ideen : Platon auf Freuds Philosofa - Der Aphorismus als besondere Spielart der Abduktion (neben Induktion und Deduktion) - Kühne Wildnis, kühles Bildnis Topologische Spielräume der Antitopik - Seltsamer Paradiesvogel. unter komischen Kerosinvögeln - Freinacht, Mainacht, Schreinacht, Weihnacht - Martin Kessel : 'Herrn Brechers Fiasko' (1932) - Aphoristik und mathematische Logistik

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INHALT

Kotz und Motzklotz auf eitlen Protz?

Aufklärung als Idylle

Das Staunen der Welt

Experten oder Demokraten?

Selige Schau oder verfluchtes Ackern?

Was (ver)raten die Ratten in Raten?

Ideen

: Platon auf Freuds Philosofa

Der Aphorismus als besondere Spielart der

Abduktion

(neben Induktion und Deduktion)

Kühne Wildnis, kühles Bildnis -

Topologische Spielräume der Antitopik

Seltsamer Paradiesvogel …

Freinacht, Mainacht, Schreinacht, Weihnacht

Martin Kessel

: „Herrn Brechers Fiasko“

Aphoristik und mathematische Logistik

Für Elke in Liebe und Dankbarkeit

Kotz und Motzklotz auf eitlen Protz?

Ist die kaufkraftdemonstrierende „conspicuous consumption“, die jedem offen zeigt, was sie (sich) leisten kann, wirklich noch typisch für unsere Zeit? Die Erfolgreichen heutzutage verstecken ja sich und ihre Gabe und Habe seit längerem doch lieber, schon aus Angst vor Entführung, Erpressung und anderem potentiell aufrührerischen „Sozialneid“ (wie der schlichte Gerechtigkeitssinn gern diffamiert zu werden pflegt).

Der adlige Revolutionsemigrant Antoine de Rivarol wusste : „Unscheinbarkeit schützt mehr als das Gesetz.“ (übersetzt von Ernst Jünger)

Gegen zeitgeistig verklemmte Tiefstapelei aber ist so etwas wie ein „Lob der prahlsüchtigen Eitelkeit“ längst wieder überfällig. „Nur die Lumpe sind bescheiden, / Der Brave freut sich seiner Tat“, gab auf der Sonnenseite des Lebens der geniebegnadete Goethe in seinem „Geselligen Lied“ sich selber „Rechenschaft“, und der geniale Misanthrop Schopenhauer applaudierte ihm dazu : Dichter und Denker Arm in Arm gegen grassierende falsche Bescheidenheit, diese beste Maske von uneingestehbarer Arroganz, Eitelkeit und Präpotenz, die andere beschämen und sich daran weiden will.

Zeige, was du bist und hast und kannst (und darfst): Eitler Fatzke, Prahlhans, Falstaff, Bramarbas, Angeber, Aufschneider, Dicketuer, Wichtigtuer, Großtuer, Kraftmeier, Möchtegern, Protzer, Strunzer, Pranzer, Rodomonteur!?

Wer seine eitlen Gaben und Vorzüge in offener Eitelkeit zeigt, will Neid erregen und sich daran berauschen. Er kann sich seiner Überlegenheit im Sein, Haben und Können oft nicht besser erfreuen als im Spiegel giftig-gelber Missgunst und Scheelsucht von möglichst zahlreich und reichlich Minderbegünstigten. Man(cher) führt seine überlegene Habe, Kennerschaft und Könnerschaft aber auch vor, um von erfolgloseren, unfähigeren oder nur glückloseren Mitbewerbern im gesellschaftlichen Rattenrennen anerkannt, wenn nicht gar gerühmt und bewundert zu werden - um allerdings in aller Regel eher neidzerfressene Antipathien und stolze splendid isolation zu ernten. Eine „Apologie der Großmannssucht“ als massenmediale Waffe im allgegenwärtigen Konkurrenzk(r)ampf aller gegen alle, als guter Karrieretipp also?

Wer von Gnaden der Natur oder seines Ehrgeizes etwas mehr ist und/oder hat und/oder kann, sollte es nicht schamhaft oder furchtsam verhehlen müssen, sondern ungescheut mutig offenlegen und anderen unter die moralingerümpften Nasen reiben können, ohne ressentimentgeladene Sozialsanktionen zu fürchten.

Und wer weniger oder gar nichts ist und kann und hat, hätte besonderen Grund, damit nicht gerade hausieren zu gehen, wenn er nicht zufällig Masochist ist. Wenigstens sollte er fähig sein, den Taugenichts in sich zu verstecken oder sich überzeugend erfolgreich als Hochstapler aufzuführen, der in betrügerischer Absicht höhere Sozialstellung, Berufspositionen und Kontostände vorzutäuschen versteht, um Leichtgläubige darum zu bringen. Ein Hochstapler ist ein Habenichts, der nicht mehr vorzuzeigen hätte als die Begabung, jeden Krösus der Taschen oder Talente durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zu berauben.

(Ein Exhibitionist ist übrigens kein erotischer Hochstapler, der mehr Potenz vorspie(ge)lt, als er beweisen könnte, sondern sich und seinen Opfern seine fehlende Angst beweisen kann, seines Potenzorgans beraubt zu werden.)

Ein Dummkopf, der nur den Mund hält, wirkt selten dumm. Ein Habenichts in Frack und Manieren wirkt selten wie ein Taugenichts. Einen ebenso von Fortuna märchenhaft gesegneten wie entwaffnend offenherzigen Faulpelz, Looser und singenden Tagedieb, dem sein offenkundiges Nichtssein zum schlußendlichen Segen anschlägt, hat Joseph von Eichendorff in seiner spätromantischen Erzählung zu Recht unsterblich gemacht.

Höher allerdings steht vielleicht die Gabe, sein eitles Licht (arg)listig unter den Scheffel zu stellen, um allein dadurch durchblicken zu lassen, welches Übermaß an Überlegenheiten man da verbirgt. Kurzum : Man verhüllt bescheiden seine nicht bescheidenen Vorzüge, um sie allein dadurch desto schlagender offenbaren zu können. Das ist eine etwas höhere Stufe der Lebenskunst, wie sie der spanische Priester Balthasar Gracian 1674 in seinem "Handorakel der Weltklugheit" präsentiert hatte, von Schopenhauer kongenial eingedeutscht. Man lässt seine Stärken durch plakativ zur Schau gestellte Schwächen hindurch eher vieldeutig vorschimmern und erahnen als plump aus dem Sack und den Düpierten vor den Latz knallen. Auch weil diese Stärken dann oft beliebig größer wirken, als sie tatsächlich sein mögen, denn neidvolles Auge wirkt als starkes Vergrößerungsglas. Wer seine Karten sogleich auf den Tisch legt, darf sich nie sicher sein, ob seine Rivalen kein besseres Blatt verdecken und damit bald (über)trumpfen werden.

Halte immer noch Reichtümer zurück in der Hinterhand! Wer immer alles beifallheischend offenlegt, was er ist und auf der Pfanne hat, macht sich berechenbar und kontrollierbar, und genau das ist der Sinn des gesellschaftlichen Moderufs nach ehrlicher Authentizität : Halte nicht hinterm Berg mit dir, mach dich beherrschbar!

Im Übrigen gelten natürlich die Gesetze des vogelfreien Arbeitsmarktes. Selbst der Philosoph bietet heute seinen geschminkten Geist feil wie die Hure ihren Schmuckleib. Auch Bücher (wie dies) zeigen sich nur so gut verkäuflich, wie ihr Autor käuflich ist. Wo die Tulpenblüte ihren Stempel emporreckt, der Prachtpfau sein Balzrad schlägt, prostituiert auch das menschliche Arbeitstier seine fruchtbare (Über-)Zeugungskraft, Erfahrungen und auch nimmermüde Be(tt)triebsbereitschaft an Meistbietende, so marktschreierisch es nur kann : Aus der Liebesverbindung von Konzernherren und notgezüchtigten Sklavenheeren sollen reichliche, schönste und profitabelste Produktkinder hervorgehen.

Mein Neid lobt dich mehr als meine Bewunderung.

Mancher wird um sein Glück beneidet.

ist aber nur glücklich, weil er beneidet wird.

Ein Kunstgenuss beneidet den Könner

und genießt die Qual, die es ihn kostet.

Neider und Hasser ersetzen beste Selbsterkenntnis.

Neid – gesunder Konkurrenzeifer.

Wärst du nicht besser, würdest du mich beneiden um das, was ich besser bin.

Gut kann nur ein Besitz und Können sein,

um die dich niemand beneidet.

Beneide jeden Reichen und Geistreichen, aber nur um das, was keiner mit seinem Reichtum anfängt.

Neidlos wird vor allem, wer sich überlegen dünkt.

Du liebst deine Neider und hasst, wen du beneidest.

Schadenfreude gilt als einziges Heilmittel gegen Neid, und Neid auf Beneidenswertes schuf Recht und Gesetz.

Man bereichert sich an deinem Sozialneid.

Wer der Jugend ihr Wissen neidet,

missgönnt auch Greisen ihr Können.

Beneide jeden eher um das Schlimme, das er nicht ist und kann, als um das Schöne, das er ist und kann.

Es gibt sogar Eifersucht auf Betrogene, und groß ist, wen man selbst um seine Fehler und Mängel, Schwächen und Schulden beneidet.

Dem Mächtigen neidet man Schandtaten,

die er begehen kann, nicht die Wohltaten,

die er vollbringen könnte.

Liebe an deinen Feinden ihren Hass und Neid

auf dich und dein Können!

Der Neid ist das einzige Lob, das dem Beneideten mehr schmeichelt als dem Neider.

Prahlerisch zeigen, was man ist und hat und kann,

ist unmoralisch und peinlich, sagen die Habenichtse, Kümmerlinge und Nichtskönner: "Der hat es wohl nötig!'

Thomas Mann kokettierte gekonnt mit seiner kritikempfindlichen Eitelkeit. Warum auch nicht? Seine Bescheidenheit durfte sich und sein Werk loben, da es ihn lobte.

Kunst ist ein Versuch, sich gegen die Gleichgültigkeit des Universums als wesentlich hervorzutun - meinte Sartre.

Aufklärung als Idylle (eidyllion : Bildchen)

„Heile Welt“ der geruhsamen Unschuld ohne Plackerei, Mühsal und Kriege, heiter erotisch verspielte Menschen in bukolischen Landschaften noch ohne Landwirtschaft, nur Schäfer und Fischer, Pflanzensammler und Viehhirten vor dem in der biblischen „Genesiserzählung“ erinnerten „Sündenfall“ (der aus dem Paradiesgarten ins gottverfluchte Ackern vertrieb), im langsamen Wechsel der zyklischen Tages- und Jahreszeiten, nomadische Wildbeuter in familiären Sippen, die einander noch bequem wechseln und aus dem Weideweg gehen konnten, eine später "sozialüberholte" Stammeswelt, die es schon einmal jahrhunderttausendelang gab bis zur neolithischen Revolution der betriebsam beschleunigten, dichtbevölkerten Sesshaftigkeit von infektanfälligen "Produzenten" mit Vorratshaltung. Die historische Anamnese wird nun als Sozialutopie in aktionistische Zukunft projiziert, wo die technische Naturbeherrschungswut uns zur zweiten Natur geworden ist.

Poesien und Lyrikgesänge im Schalmeienwettstreit, ewiger Sonntag ohne Langeweile, eine naturunmit