Unplayed Love - Teresa Sporrer - E-Book

Unplayed Love E-Book

Teresa Sporrer

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Beschreibung

Want to be my Player 2? RomCom meets Gaming 

Heidi Dawson ist Perfektionistin durch und durch. Gerade hat sie die Synchronrolle in der Serie zum Online-Game Legions of Purgatory ergattert, nun taucht sie voll ein in die Welt des Gaming. Um in ihrer Rolle zu glänzen, kontaktiert sie Serenity. Diese ist die bekannteste E-Sportlerin des Spiels und begeistert unter dem Namen "Bunny" ihre Fans. Als Heidi sie kennenlernt, ist sie sofort fasziniert, aber auch überrascht von ihren eigenen Gefühlen für die unnahbare Gamerin. Und dann setzt ein gefährlicher Konkurrent auch noch alles daran, ihre Beziehung zu sabotieren ...

Eine humorvolle Romance mit RomCom-Vibes zwischen einer Schauspielerin und einer E-Sportlerin. Grumpy meets Sunshine at its best!

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Heidi ist Perfektionistin durch und durch. Gerade hat sie die Synchronrolle in der Serie zum Online-Game Legions of Purgatory ergattert, nun taucht sie voll ein in die Welt des Gaming. Um in ihrer Rolle zu glänzen, kontaktiert Heidi Serenity. Diese ist die bekannteste E-Sportlerin des Spiels und begeistert unter dem Namen »Bunny« ihre Fans. Als Heidi sie kennenlernt, ist sie sofort fasziniert, aber auch überrascht von ihren eigenen Gefühlen für die unnahbare Gamerin. Und dann setzt ein gefährlicher Konkurrent auch noch alles daran, ihre Beziehung zu sabotieren ...

Die Autorin

© Privat

Teresa Sporrer hegte schon ihr ganzes Leben lang eine große Leidenschaft für Bücher: zunächst als Leserin, später auch als Bloggerin und mittlerweile ist sie selbst eine erfolgreiche Autorin. Ihre Reihe über verwegene Rockstars spielte sich in die Herzen vieler Leser:innen. Neben witzig-romantischen Lovestorys schreibt sie außerdem Fantasy-Romane über Antihelden wie ruchlose Piraten oder giftige Hexen.

Teresa Sporrer auf Instagram: www.instagram.com/teresasporrer/

Teresa Sporrer auf TikTok: www.tiktok.com/teresasporrer/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher und Autor:innen auf:www.thienemann.de

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Viel Spaß beim Lesen!

Teresa Sporrer

Unplayed Love

LOOMLIGHT

Liebe Leser:innen,

auch wenn es sich bei »Unplayed Love« um eine humorvolle & romantische New-Adult-Geschichte handelt, werden darin ernste Themen behandelt. Eine Auflistung der Content Notes findet ihr am Ende des Buches. Wir wünschen euch das bestmögliche Leseerlebnis.

Teresa Sporrer und das Loomlight-Team

Für alle, die schon hören mussten, dass sie nicht genügen: Ihr seid gut genug.

Pilot-Folge

Was für andere Chaos ist, ist für mich Ausdruck von Zuneigung

Heidi Dawson wurde in Großbritannien geboren,

verbrachte aber den Großteil ihres Lebens in Amerika,

wo sie schon in ihrer Kindheit die Herzen vieler Juroren

bei Schönheitswettbewerben gewann.

Sie wurde als Schauspielerin erst berühmt, als sie ihren

After School Lessons Co-Star Julian Collins datete.

Sie spielte für 14 Episoden die Rolle von Juliette van der Velden.

Kurzbiografie auf der After School Lessons-Website

Heidi

Jeder hat so eine Liebesgeschichte schon einmal in einer Serie gesehen oder in einem Buch gelesen, auch wenn er sie selbst noch nie erlebt hat: Kurz bevor der männliche Hauptcharakter seinem weiblichen Gegenstück seine unendliche Liebe gestehen kann, taucht die fiese Ex-Freundin auf und funkt dazwischen.

Warum sie das tut? Wer weiß es schon. Nur im seltensten Fall empfindet sie noch was für ihre ehemalige Flamme. Ist es Lange­weile? Gekränkter Stolz?

Am Ende ist es irrelevant.

Besagte Ex-Freundin ist meistens blond, trägt gerne Kleider und hochhackige Schuhe. Sie ist das krasse Gegenteil der weiblichen Hauptperson. Sie verkörpert den absolute male gaze in einer Geschichte, die sich eigentlich an junge Frauen richtet.

Ja, ich bin besagtes Ex-Miststück.

Also ich würde die Rolles dieses Ex-Miststücks einnehmen, wenn mein Leben ein Buch wäre.

Deshalb lächelte ich nur, als das Vibrieren eine neue Nachricht von der Freundin meines Ex ankündigte.

Und dann noch eine. Und noch eine. Und …

Livia: Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ­Julian seinen Führerschein gemacht hat? Er holt dich ab.

Livia: Wir holen dich ab.

Livia: Seine Zwillingsschwester ist dabei. Erinnerst du dich an Charlotte?

Livia: Also mit »Wir« meine ich Julian, Charlotte und mich. Ich bin natürlich auch dabei.

Ich lächelte und tippte eine Antwort. Das Internet im Flugzeug war maßlos überteuert, aber ohne Zugang zum Netz fühlte ich mich trotz des völlig ausgebuchten Fliegers allein. So als ­wären alle anderen nur Statisten ohne Sprechrollen.

Ich: Man kann sich schwer nicht an Charlotte erinnern.

Es war nicht komisch, mit der Freundin seines Ex-Freundes befreundet zu sein. Es war nicht komisch, dass ich in meiner spärlichen Freizeit spontan einen Flug buchte, um nicht einmal eineinhalb Tage in Manchester zu verbringen, weil Livia mich mit einer kryptischen Nachricht in ihr Zuhause eingeladen hatte.

Je öfter ich mir das sagte, desto mehr glaubte ich auch daran.

Nicht, dass das zwischen mir und Julian jemals wirklich der Rede wert gewesen wäre. Wenn ich mich an unsere wenige Monate andauernde Beziehung erinnerte, dann fühlte sich das meiste wie eine kurze Rückblende an – eine Aneinanderreihung schöner Bilder, um Emotionen zu wecken: Partys in den pompösen Villen in L.A., für die ich mich stundenlang aufgebrezelt und mich verliebt an Julian geschmiegt hatte, obwohl ich gedanklich bereits bei dem nächsten Foto-Shooting oder der neuesten Folge unserer Serie war. Die Posts, die ich über unsere »Liebe« auf Social-Media verfasst hatte, die spontan wirken sollten, mich aber Stunden meines Lebens in puncto Recherche für Zitate und Wortauswahl gekostet hatten. Unsere »Beziehung« war immer nur Schein gewesen. Sie bedeutete nichts.

Nichts für mich.

Erst recht nichts für ihn.

Blöderweise für viele andere.

Ich hatte die Hauptrolle in dem Film One Last Kiss ergattert, welcher ironischerweise auf dem Buch von Livia beruhte und der schon am ersten Wochenende das Dreifache des ­Budgets einspielte. So etwas kam nie vor. So etwas war außergewöhnlich. Phänomenal.

Und dennoch, wenn ich im Internet nach meinem Namen suchte, fand man ihn stets nur mit Zusatz: Heidi Dawson, die Ex-Freundin von Julian Collins.

Niemand nannte Julian Collins den Ex-Freund von Heidi Dawson, obwohl er sich in den letzten Jahren aus dem Filmbusiness zurückgezogen und kaum mehr nennenswerte Rollen angenommen hatte. Er studierte gerade an einer Universität in Westlondon und verbrachte seine freie Zeit bei seiner Freundin Livia.

Ich gab ihm nicht die Schuld daran, dass sie mich als »sein« Anhängsel sahen.

Ich war einzig und allein sauer auf mich. Sauer darüber, dass ich mich an Julian rangemacht hatte, obwohl ich nie verliebt in ihn war. Sonst kannte ich niemanden, der seinem Charme nicht erlegen war.

Aber das war egal!

Beruflich würde ich mich jetzt voll reinknien. Bald würde man mich als Heidi Dawson kennen. Nicht die »Ex von«.

Einfach nur Heidi Dawson, die bekannte Schauspielerin von After School Lessons, One Last Kiss und mein neuestes Projekt Of Gods and Monsters.

»Du sprichst die Hauptrolle in einer neuen Animationsserie über Todesgötter oder was weiß ich schon«, hatte meine Agentin Cemile mir vor ein paar Monaten mitgeteilt und dabei die Augen verdreht. »Mein Sohn hat vor drei Jahren siebenhundert Dollar für das dazugehörige Spiel ausgegeben. Das stottert er immer noch monatlich bei mir ab.«

»Das heißt, ich soll mein Bestes geben?«, hatte ich Cemile mein umwerfendes Lächeln geschenkt.

»Du gibst doch immer alles, Heidi.«

Aus ihrem Mund klang das alles andere als enthusiastisch. Fast schon mitleidig.

Aber … wieso?

Ich schüttelte den Kopf. Ein paar blonde Strähnen befreiten sich dabei aus meinem Pferdeschwanz und ich steckte sie sofort wieder an Ort und Stelle zurück. Der Drang, ein Haarspray aus meinem Handgepäck zu holen und meine Frisur zu fixieren, war groß.

Stattdessen bat ich den Steward lächelnd um ein Glas Wasser. Eine zarte Röte breitete sich auf seinen sommersprossigen Wangen aus, als sich unsere Blicke begegneten.

Er brachte kein Wort über die bebenden Lippen, sondern nickte nur, ehe er davoneilte.

»Danke schön«, zwitscherte ich, als er mit meinem Wasser zurückkam.

Wie ich vor Menschen auftreten musste, hatte ich schon früh gelernt. Ich wusste, was ich sagen und wie ich mich verhalten musste, um sie glücklich zu machen.

Ich folgte akribisch dem Skript in meinem Kopf: Da ein Lächeln, dort ein Zwinkern, hin und wieder ein theatralisches Seufzen.

Ich nahm einen Schluck Wasser, dann bettete ich mich vorsichtig auf das Kopfkissen und schloss die Augen, um etwas Kraft zu tanken. Noch drei Stunden Flugzeit und ich würde meine Freunde wiedersehen.

Dann gab es kein Skript.

Meine Freunde waren nicht da.

Die Menschentraube um mich löste sich allmählich auf, während ich allein zurückblieb: Eltern begrüßten ihre Kinder mit einer langen Umarmung und spazierten davon. Geschäfts­männer liefen zum Ausgang, wo Dutzende von Taxis auf sie ­warteten. Mein Blick verweilte etwas länger als beabsichtigt auf einem verliebten Pärchen, das Händchen haltend zu einem Café schlenderte.

Mein Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an.

Ich ließ mich von der komischen Reaktion meines Körpers nicht beirren, sondern setzte meine Sonnenbrille auf, die genug von meinem Gesicht verbarg, aber nicht gleich »Hey, ich bin Schauspielerin und versuche, nicht aufzufallen« schrie.

Livia hatte mir zum Geburtstag eine dunkelgraue Baseball-Cap mit der Aufschrift »Probably Reading SMUT« geschenkt, die stylisch genug war, um nicht direkt Verdacht zu erregen.

Dennoch zog ich mich hinter eine Säule zurück, um eine neue Nachricht von Livia zu lesen:

Livia: Habe ich dir eigentlich erzählt, dass Julian zwar jetzt einen Führerschein hat, aber ein miserabler Fahrer ist? Außerdem hat er sich Charlottes Auto geliehen, welches sie abgöttisch liebt. Ich weiß nicht, wann und ob ich lebendig ankomme. Und wenn ja, sind die Chancen hoch, dass die Zwillinge sich bis dahin gegenseitig ermordet haben.

Ich: Falls du stirbst, darf ich dann deine Bücher haben?

Livia: NEIN! Als Geist habe ich endlich Zeit, die zu lesen.

Sie hängte mir noch eine Sprachnachricht an.

»… der Wagen schon wieder abgesoffen!«, schrie mir eine weibliche Stimme entgegen. Sie klang nicht nach Livia. »Du hast echt Glück, dass du – wie ich – so hübsch bist, weil Autofahren kannst du schon mal nicht!«

Die zweite Stimme war mir vertrauter: »Halt die Klappe, Charlotte!«

»Halt du die Klappe!«

Livia: Ein Glück, dass wir Einzelkinder sind. Wir sind wirklich bald da. Du bist schon gelandet, oder? Sorryyyy!

Ich: Keine Sorge. Ich warte auf euch.

Es schien mir nicht so, als würden irgendwelche Paparazzi am Flughafen herumlungern und mir auf die Pelle rücken. Aber selbst wenn, hatte ich vorsorglich meine Kommentare vorbereitet: Ich bin nur kurz hier. Danke der Nachfrage.Woran ich gerade arbeite, steht auf Social Media. Danke für das Interesse.

Umspielen würde ich die Worte mit einem Lächeln, das meine Augen nicht erreichte.

Um die Wartezeit zu überbrücken, spazierte ich geradewegs in eine kleine Flughafen-Buchhandlung, die gut gefüllt war mit den neuesten und beliebtesten Romanen. Um ehrlich zu sein: Ich besaß nicht viele Bücher. Zumindest in hap­tischer Form, denn mein Handy und meine drei E-Reader waren voller Bücher und Hörbücher. Schon als Teenager hatte ich es bevorzugt, vor meinen Auftritten Geschichten auf meinem Handy zu lesen. Oder wenn ich mit meiner Mutter in einem Greyhound-Bus saß, um zum nächsten Wettbewerb zu fahren. Wenn ich im besten Fall in einem Hotelzimmer – und im schlechtesten Fall in einem Motel – übernachtete, das alle drei Tage anders aussah und roch.

Einige Geschichten bescherten mir noch heute ein wohliges Gefühl. Damals konnte ich die Bücher nicht mitnehmen, aber zumindest die Geschichten hatten sich wie wärmende Decken um mein Innerstes gelegt.

Ich strich mit meinen Fingern über die Buchcover, bis mir ein sehr bekanntes Gesicht entgegenstrahlte: Ihr langes, blondes Haar fiel in weichen Wellen wie ein goldener Schleier weit über ihre Schultern. Ihre strahlend blauen Augen wurden von dichten schwarzen Wimpern eingerahmt. Ihr ovales Gesicht, zart und wohlgeformt, wurde durch eine niedliche Stupsnase ergänzt.

Es war mein Gesicht.

Für die Filmausgabe von One Last Kiss wurde als Cover eines der Kinoplakate gewählt, das mich im Profil und die Grafik eines verwischten knallpinken Lippenstiftes zeigte.

Ich hatte diese Rolle ergattert, weil ich perfekt für den Job war, und nicht, weil man gehofft hatte, dass es gute Publicity wäre, wenn Julian, der anfangs für die männliche Hauptrolle angedacht war, und ich zusammenarbeiten würden.

Je öfter ich mir das sagte, desto mehr glaubte ich auch daran.

Plötzlich erregte eine hektische Bewegung vor dem Schaufenster meine Aufmerksamkeit.

Eine dunkle Gestalt huschte suchend hin und her.

Die Frau war nicht groß. Und die übergroße dunkle Sweaterjacke, die sie trug und die ihr bis zum Oberschenkel reichte und ihre Finger verdeckte, ließ sie noch kleiner wirken. Während sie sich gehetzt umblickte, flogen ihre wilden dunkel­braunen Locken um ihr mit Sommersprossen gesprenkeltes Gesicht.

Der ganze Text in meinem Gehirn löste sich in Luft auf und ein lauter Schrei befreite sich aus meiner Kehle. Der Kopf der Frau ruckte in meine Richtung.

Ohne mir weitere Gedanken zu machen, rannte ich mit dem Buch aus dem Geschäft.

»Da ist mein Gesicht auf deinem Buch!«, schrie ich durch die gesamte Flughafenhalle. Zu meiner Verteidigung: Der Flug­hafen war sehr belebt und dementsprechend laut. Man würde mich sonst nicht verstehen.

»Und da steht mein Name auf deiner Stirn!«, schrie Livia zurück. Sie schwenkte die Arme in der Luft hin und her.

»Das ist so cool!«

»So cool!«

»Aaaah!«

»Aaaah!«

Ich eilte kreischend auf Livia zu, die die Arme hochwarf und mir schreiend entgegenlief. So viel zum Thema möglichst nicht aufzufallen.

Kurz bevor ich bei Livia ankam, durchbrach ein lautes, schrilles Pfeifen das Getöse der Menge.

»Stehen bleiben! Sie müssen das Buch bezahlen«, brüllte plötzlich eine raue Männerstimme.

Ach ja, da war ja was!

Ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte, stürmte jemand an mir vorbei. Der vertraute Duft seines herben Aftershaves traf mich wie eine Ohrfeige. Ich kannte ihn nur allzu gut.

Er stand mit dem Rücken zu uns und gestikulierte wild mit dem Verkäufer, der mir aufgrund des vermeintlich gestohlenen Buches nachgelaufen war. Der Mann war groß und durchtrainiert, eine imposante Erscheinung, die sämtliche Blicke auf sich zog. Seine breiten Schultern wirkten wie gemeißelt. Mit seiner aufrechten Haltung strahlte er Selbstbewusstsein und Autorität aus.

»Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.«

Julian drehte den Kopf zu uns. Seine grünen Augen schienen die Welt mit unerschütterlicher Gelassenheit zu betrachten.

Mit einem Seufzen ließ er die Schultern hängen und streckte dem Verkäufer einen zwischen den Fingern gefalteten Pfundschein hin. »Ich komme für die durch Gremlin entstandenen Kosten selbstverständlich auf.«

Livia schnalzte mit der Zunge. »Ich bin unschuldig!«

Ich konnte nur spekulieren, wie der Gremlin-Spitzname zustande gekommen war, aber ich durfte einmal Zeugin davon werden, wie Livia Julian eiskalt in den Bizeps gebissen hatte.

Julian schritt auf seine Freundin zu, sein Blick fest auf sie gerichtet. Seine grünen Augen funkelten im sanften Licht der Halle, als ob Livia allein den Raum mit ihrer Anwesenheit erfüllte. Um sie herum wirbelte das geschäftige Treiben, doch für ihn schien die Zeit stillzustehen, als würde die ganze Welt verblassen und nur sie im Mittelpunkt seines Universums übrig bleiben.

Mein Herz pochte fünf Mal und jeder Schlag schmerzte mehr als der andere.

Julian zog einen Mundwinkel hoch. »Du bist niemals unschuldig mit deinen Gremlin-Pheromonen, die alles ins Chaos stürzen.«

»Oh, und hallo Heidi«, begrüßte mich Julian kühl, als er sich an meine Anwesenheit erinnerte.

Er legte einen Arm um die Schulter seiner Freundin. Oder er versuchte es zumindest, weil Livia Anstalten machte, ihn in den Arm zu beißen.

»Das gehört wohl dir«, sagte ich und reichte ihm das nun bezahlte Buch.

»Meins!« Bevor Julian danach greifen konnte, wurde es mir aus der Hand gerissen. »Ich habe durch die Autofahrt mindestens drei neue graue Haare bekommen«, seufzte Charlotte. »Das habe ich mir verdient.«

Sie hatte wie Julian blondes Haar, grüne Augen und diese scharfen Wangenknochen, die zum Sterben schön waren.

»So schlecht fahre ich nicht, oder Gremlin?«

»Du bist echt hübsch, Julian.«

Er grummelte nur laut und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem hämischen Kichern warf sich Livia an ihn heran.

»Und du hast Livias Buch schon mindestens drei Mal zu Hause rumliegen«, blaffte Julian seine Zwillingsschwester an.

»Aber noch nicht von der Schauspielerin von Carina handsigniert.« Charlotte grinste mich breit an – und hielt mir Buch und einen Stift entgegen. »Darf ich bitten, Heidi?«

Natürlich sagte ich nicht »Nein«.

Julian lotste uns eilig zum Auto, weil ein paar Menschen seinen Namen tuschelten und sogar Fotos von ihm machten.

Ich sagte mir, dass es daran lag, dass er nicht einmal auf die Idee gekommen war, eine Sonnenbrille oder eine Cap zu tragen. Ganz sicher nicht daran, dass er trotz der Pause immer noch viel bekannter war als ich.

Dass er immer noch alle Blicke auf sich zog.

Und nicht ich.

Dabei arbeitete ich so verdammt hart!

Und als würde mich das nicht schon genug quälen …

Julian strich zärtlich mit seinem Zeigefinger über Livias Unterarm. Wie selbstverständlich gingen sie den Weg mit ineinander verschlungenen Fingern.

Ein leises Lächeln huschte über Julians Lippen, als er ihre Hand anhob. Mit einem fast ehrfürchtigen Blick führte er ihre schlanken Finger an seinen Mund, wo seine Lippen sanft ihre Knöchel berührten. Der Moment war zart und voller unausgesprochener Worte. Eine tiefe Zuneigung spiegelte sich in dieser Geste.

Für einen Moment war der Schmerz in meiner Brust so groß, dass mein Lächeln verrutschte.

Zum Glück hatten wir den kleinen silbernen Wagen erreicht und ich konnte kraftlos auf der Rückbank neben Charlotte zusammensinken.

Sie hielt das signierte Buch fest an ihre Brust gedrückt und lächelte so, als hätte ich ihren Tag versüßt.

Ihr Lächeln wirkte ansteckend.

Was Julian an Wärme mir gegenüber fehlte, machte seine Zwillingsschwester mit ihrer offenen Art allemal wett.

»Hast du den langen Flug gut überstanden?«, fragte sie mich und ich nickte kurz. »Ich die Autofahrt hierher nicht. Julian fährt wie ein verwöhnter Schauspieler, der sein ganzes verdammtes Leben herumkutschiert wurde.« Ihre rosaroten Lippen formten ein »O«, dann kräuselten sie sich. »Das erklärt viel.«

Julian knurrte. »Halt die Klappe.«

»Lern du mal einen neuen Text!«, konterte Charlotte und rümpfte die Nase. Sie wandte sich wieder an mich. »Es tut mir leid, dass Julian sich so danebenbenimmt.«

»Und du etwa nicht?«

Sie rutschte nach vorne und drückte ihre Knie gegen die Rückseite des Fahrersitzes.

»Benimm dich nicht wie ein kleines Kind!«

Ich tippte eine Nachricht an Livia auf dem Beifahrersitz:

Ich: Sind die beiden immer so?

Livia schnaubte leise.

Livia: Schlimmer.

Livia: Charlotte liebt ihr Auto – trotzdem hat sie da­rauf bestanden, dass Julian heute fährt, weil sie ihn zur Genüge herumkutschiert hat, als er für ein paar Monate bei ihr gewohnt hat.

Livia: Und ich denke, sie holen viel von den Geschwister-­Streitereien nach, weil sie so lange voneinander getrennt waren. Julian hat fast 15 Jahre ohne Charlotte in Amerika gelebt.

»Oh!«, stieß Charlotte einen entzückten Laut aus und deutete wild zwischen den Vordersitzen hindurch. »Halt mal kurz da vorne an. Die haben so süße handgemachte Cupcakes. Das habe ich auf TikTok gesehen. Ich will auch ein TikTok machen.«

»Leck mich.«

»Weißt du überhaupt, was für ein schlechtes Bild du vor Heidi abgibst?«, klagte Charlotte. »Schlimm genug, dass Livia und ich dich ertragen müssen.«

»Kümmert mich herzlich wenig«, entgegnete er mit einem Tonfall, der vor Gleichgültigkeit nur so triefte.

Obwohl ich tief in meinem Innersten wusste, dass Julian es nicht böse meinte, bohrten sich seine harschen Worte wie eisige Scherben in mein Herz und ich zuckte unwillkürlich leicht zusammen.

Dass die Fahrt zu Livias Wohnung nur wenige Minuten vom Flughafen dauerte, kam mir gelegen.

»Ich wohne hier schon, seit ich mit dem Studium begonnen habe«, erzählte mir Livia und stieg die Stufen des Treppenhauses rückwärts hoch. »Ich will dich nur noch ein letztes Mal warnen, dass es echt wenig Platz gibt. Ich habe niemals gedacht, dass ich mal so viel Besuch auf einmal bekomme. Ist es wirklich okay, dass du mit Charlotte auf der Couch schläfst?«

Ich lächelte sie an. »Natürlich.«

Auch wenn ich jetzt ziemlich bekannt war, ich würde niemals über die ekligen Motelpritschen hinwegkommen. Kein luxuriöses Boxspring- oder weiches Wasserbett konnten die Erinnerungen an das Grauen aus meiner leidgeprüften Wirbelsäule vertreiben.

Alles war besser, als ein benutztes Kondom im Bett zu finden und danach die Nacht auf dem dreckigen Teppich zu verbringen.

»Pa-passt nur auf die Bücher auf«, wies Livia uns an, als sie uns hereinließ. »Und fürs Lesen hast du später noch Zeit, Charlotte.«

Tatsächlich hatte Charlotte neben mir bereits ein Buch in der Hand. »Aber dieses hier kommt erst in drei Monaten raus! Ich wusste nicht, dass du es schon hast!«

Livia führte uns in ein Wohnzimmer, das eine heimelige Atmosphäre ausstrahlte – klein, aber ausgesprochen einladend. Der Raum war so winzig, dass die weiche, flaschengrüne Couch und der schlichte Holztisch ihn fast vollständig ausfüllten. An der längsten Wand türmten sich Bücher in einem beeindruckenden Durcheinander bis fast zur Decke. Erst nach einer Weile fiel mein Blick auf einen schmalen, fast versteckt wirkenden Fern­seher, der zwischen den Romanen beinahe unsichtbar war.

»Julian hat Anfang der Woche meine alten Bücherregale rausgeschmissen, weil sie ausgedient haben«, versuchte Livia zu erklären. »Die neuen Bretter hätten gestern kommen sollen. Blöderweise war ich bis heute früh noch mit Julian in London.« Sie pfefferte eine Sporttasche in die nächste Ecke. Julian war wie von der Bildfläche verschwunden. »A-Also lasst euch nicht von meinen Büchern erschlagen. Ich kann keine Haftung übernehmen.«

In diesem Moment kam Julian mit einer Glasflasche in jeder Hand zurück.

»Fernbeziehungen klingen so anstrengend«, sagte Charlotte und rekelte sich bereits mit einem Buch auf der Couch. »Wann machst du Livia endlich zu einer ehrenhaften Frau, liebes Brüderchen?«

Livia wurde ganz rot im Gesicht.

Ich erwartete einen spitzen Kommentar, aber der Angesprochene presste seine Lippen nur fest aufeinander und drückte seiner Schwester eine kalte Flasche an die Wange, sodass sie leise aufschrie. »Liest du immer noch deinen historischen Schmuddelkram?«

»Spicy und lehrreich«, verteidigte sich Charlotte.

»Lehrreich bei all den historischen Ungereimtheiten?«, höhnte Julian. »Mir reicht es schon, wenn ich eine dieser ›historischen‹ Serien im Fernsehen sehen muss: Die Kleidung ist meist anachronistisch. Die Handlung an den Haaren herbeigezogen. Und wollen wir mal darüber reden, wie viele Geschlechtskrank–«

»Du machst gerade den Vibe kaputt.« Charlotte streckte die Zunge raus. »Du bist so ein Streber!«

Livia und ich wechselten einen schnellen Blick. Ich verstand allmählich, was sie damit meinte, dass die beiden ihre geschwisterlichen Streitereien nachholen mussten.

»Hier.«

Völlig überraschend hielt mir Julian eine kalte Flasche vor die Nase. »Was ist das?«, fragte ich verdattert.

»Truly Hard Selzer mit Limetten-Geschmack. Den hast du doch immer getrunken. Oder etwa nicht?«

»Ja, aber ich – Du hast … Danke.«

Julians Augenbraue wanderte nach oben, aber ich wandte schnell den Blick ab. Auf unseren gemeinsamen Events hatte es sich früher so angefühlt, als würde Julian mich nicht wirklich beachten. Geschweige denn wissen, was ich gerne trank.

Ich hatte mich unsichtbar gefühlt.

»Wie schmeckt das?«, fragte Livia.

Bevor sie einen Schluck nehmen konnte, zog Julian sie zurück. »Vielleicht solltest du den beiden erzählen, warum du sie so heimtückisch in deine Gremlinhöhle gelockt hast.« Ein neckisches Grinsen blitzte um seine Mundwinkel auf und er küsste Livia auf die Wange. »Du hast dich doch so gefreut.«

Charlotte klappte das Buch zu und ich setzte mich zu ihr auf die Couch.

Mit einem Mal wirkte Livia nervös. Sie zupfte an ihrer Jacke herum – beziehungsweise Julians Jacke, ich war mir ziemlich sicher, dass sie ihm gehörte.

»Jeder kommt zusammen für Geburtstage, Weihnachten oder Ho—Ho-Hochzeiten. Und ich dachte mir, dass wir vielleicht auch andere Sachen feiern könnten? Einfach um Dinge zu feiern, die uns glücklich machen?«

Mein Lächeln wurde breiter.

Auch wenn Julian sie Gremlin nannte, Livia war einfach das süßeste Ding, das ich kannte. An ihr wirkte nichts gekünstelt oder gespielt.

Und erst das, was sie schrieb!

Apropos … 

»Ich …« Sie ging zu Julian und drückte seine Hand fest, ehe sie sich zu uns wandte: »Ich habe einen neuen Buchvertrag unterschrieben.«

Livia strahlte über das ganze Gesicht.

»Ich bin aber furchtbar ner-nervö-ös«, gestand Livia uns, was man auch an ihrem Stottern merkte.

Ich sprang auf und schlang beide Arme um sie.

»Ich nehme dich mit«, verkündete ich mit dunkler Stimme und drückte sie fest an mich. »Ich brauche dich in Amerika. Du bist viel zu süß. Ich brauche dich. Ich muss mit dir in jeder Pause kuscheln.«

Julian brummte so unglücklich, als könnte ich Livia einfach mitnehmen. Obwohl … Livia würde sogar in einen größeren Koffer passen.

»Ich will aber auch Livia kuscheln!«, protestierte Charlotte.

»Gibt es bei euch auch etwas zu feiern?«, sagte Livia. »Ich wi-will dieses ganze Get-Together nicht allein über mich machen.«

»Mein Studium läuft gut«, sagte Julian knapp – und es war mir sofort klar, dass da mehr war.

»Auf der Arbeit läuft es auch gut.«

Seine Zwillingsschwester folgte seinem Vorbild.

Damit Livia sich nicht den Kopf zerbrach, mischte ich mich auch ein: »Ich fange bald mit den Aufzeichnungen für die neue Animationsserie Of Gods and Monsters an. Ihr wisst schon, die zu diesem Spiel, das so beliebt ist.«

So beliebt, dass mir der Name entfallen war. Allerdings war ich noch nie jemand gewesen, der sich Gedanken um Videospiele machte. Selbst Handy-Spiele wurden mir ziemlich schnell langweilig.

»Ich kenne es nicht«, sagte Julian, während Livia mir zögerlich zunickte.

»Ich kenn mich mit Computerspielen null aus«, gestand Charlotte. Sie streckte Julian ihre leere Flasche hin. »Ach, sei so gut und bring mir noch was zu trinken, Julian.«

»Warum sollte ich?«

»Ich habe dir ein Dach über den Kopf geboten, als es dir schlecht ging! Und ich habe dich im Mutterleib nicht absorbiert.«

»Wie lange willst du noch darauf herumreiten, dass ich mal ein paar Monate bei dir gewohnt habe?«

Charlotte tätschelte liebevoll seine Hand, dann hauchte sie mit düsterer Stimme: »Für immer.«

»Es geht also um Legions of Purgatory?«, fragte Livia. »Das Spiel gibt es ja schon sehr lange.«

»Ich bin völlig planlos«, gestand ich und lachte leise. »Aber ich habe die Topspielerin kontaktiert und hoffe, dass sie mir mehr davon erzählen kann.«

»Topspielerin?«, echote Charlotte. »Warte! Warte!« Sie schnipste mit den Fingern und presste die Augen fest zusammen, als versuchte sie angestrengt, eine vergrabene Erinnerung zu finden. »Eine Frau, die in einem bekannten Game dominiert …«

»Ja. In Spielkreisen ruft man sie angeblich ›Slayer‹, aber man kennt sie unter …«

»Bunny!«, schrie Charlotte. »Darum klang das Ganze so vertraut.«

»Du kennst sie?«

Charlotte nickte. »Natürlich kenne ich Bunny. Wer kennt Bunny nicht?«

Julian hob eine Hand. Die andere war zu beschäftigt, über Livias Arm zu fahren.

»Sie ist eine Ikone in der queeren Community«, erklärte mir Charlotte. »Frag sie, welche Produkte sie für ihre Haarpflege verwendet. Ich habe noch nie so gepflegtes silbernes Haar gesehen.«

»Wie ist sie so?«

Ich hatte möglichst vermieden, zu viel über sie zu lesen. Ich wollte Bunny ohne Vorurteile begegnen.

Charlotte biss sich auf die Unterlippe. »Ich kann es dir nicht sagen. Es heißt, sie ist sehr … Nun ja …« Sie fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. »Bunny ist …«

»Du machst mir gerade Angst«, sagte ich und mein Lächeln wurde zu einem geraden Strich.

»Sie soll schwierig sein«, brachte es Charlotte schließlich auf den Punkt.

»Wenn du kein konstanter Ja-Sager bist, wird dir das in jeder Branche nachgesagt«, mischte sich Julian ein und erntete ein zustimmendes Nicken seiner Freundin. »Bei Frauen scheint es mir noch schlimmer zu sein.«

»Und sie ist eine Frau, die regelmäßig mit Männern den Boden wischt«, gab Charlotte zu bedenken. »Es gibt neben ihr nur eine Handvoll anderer Spielerinnen. Viele hören sehr früh auf. Aber ich kaufe so gern die Dinge, für die sie Werbung macht!«, berichtete sie aufgeregt. »Die haben meist ein buntes Magical Girl Design. Wie kann man da Nein sagen?«

»Solltest du nicht lieber sparen?«, warf ihr Zwillingsbruder ein.

»Julian, nach dem Drama um deine Schulden solltest du bei dem Thema einfach den Mund halten.«

Um nicht einen weiteren Geschwister-Streit anzuheizen, ergriff ich wieder das Wort – und weil ich noch mehr über Bunny wissen wollte.

»Ich habe ihr vor ein paar Wochen eine Nachricht geschrieben«, erzählte ich Charlotte und Livia. Julian wusste schon länger davon. »Ich dachte, dass ich sie vielleicht einmal kennen­lernen könnte, da sie aus England kommt.«

Wenn ich nicht total danebenlag, besaß sie sogar einen festen Wohnsitz auf der Insel.

»Ich würde gerne mehr über die Figur wissen, die ich spreche.«

Julian schnaubte – leise.

Aber anklagend.

Ich ignorierte es.

»Ich würde sie gerne kennenlernen. Und da ich gerade sowieso ein paar Tage in England bin, bietet es sich an.«

Vielleicht konnte ich meinen Aufenthalt etwas verlängern, wenn es mich weiterbrachte.

Perfektion.

Mit weniger gab ich mich bei meiner Schauspielleistung nicht zufrieden.

Ich zückte mein Handy, um nachzusehen, ob sie mir vielleicht geschrieben hatte. Es war schon eine Weile her, dass ich sie kontaktiert hatte. Das musste aber nichts bedeuten. Damals war ich bei Livia ähnlich vorgegangen und durch die kürzlich davor bekannt gegebene Beziehung zu Julian, hatte sie meine privaten Nachrichten und Kommentare übersehen.

Charlotte blickte mir über die Schulter, als ich meine Nachrichten durchging. Ich ignorierte vorerst die 23 Reels von Livia und die ganzen Markierungen meiner Fans.

Ich war mir ziemlich sicher, dass ich Bunny geschrieben hatte.

Ich erinnerte mich daran, wie überrascht ich über ihr Aus­sehen war: silbernes Haar, blaue Augen und unzählige bunte Tattoos auf ihrer hellen Porzellanhaut.

Ich nahm einen Schluck Selzer, da meine Kehle auf einmal so trocken war.

»Warte mal«, sagte Julian, aber ich nahm es nur am Rande wahr. Dutzende von Profilbildern rasten an mir vorbei. »Kann es sein, dass sie auch auf Conventions ist? Ich bin in zwei Monaten auf einer eingeladen und da war –«

Livia zückte ihr Handy wie eine Waffe. »Wenn sie so bekannt ist, ist sie sicher lei– Oh, ich hab sie. Ihr Name auf Instagram lautet @serenity_the_slayer.«

»Serenity«, wiederholte ich und irgendetwas regte sich in meinen Erinnerungen.

Serenity …

Was für ein wunderschöner Name!

Meine Finger flogen nur so über den Touchscreen, nur um mir keine Treffer zu liefern. »Ich … Ich finde sie trotzdem nicht.«

Livia hüpfte von der Couch hoch und kniete sich vor mich hin. Sie sah mich mit ihren großen dunklen Augen besorgt an.

»Se-Setz dich«, wies sie mich an.

»Ich sitze doch schon.«

Livia sah mir tief in die Augen, bevor sie mir erklärte: »Du wurdest blockiert.«

Tutorial

Es ist Zeit für ein Due- Kartenspiel für Kinder!

Die Menschheit ist durch Kriege und Seuchen verendet. Nun wandeln die Totengötter auf Erden und kämpfen um die Vorherrschaft auf ihren Gebieten. Einst durch den menschlichen Glauben erschaffen, gilt es nun, in einer Welt zu überleben, in der es zwar keinen endgültigen Tod mehr gibt, aber der Kampf um die einzelnen Areale umso erbitterter ist.

Erstehe auf – in der Welt von Legions of Purgatory!

Kurzbeschreibung des Multiplayer-Online-Battle-Arena-Games Legions of Purgatory (LoP)

Serenity

Die Regeln waren simpel und seit Jahren immer die gleichen: Ein Spiel. 8.000 Lebenspunkte. Ein Deck mit maximal 60 Karten.

Und der Verlierer musste dem Gewinner sofort einen Wunsch erfüllen. Letzterer wurde aber vor Beginn des Duells festgelegt, weil es immer in einer riesigen Diskussion endete.

Warum dachte ich, dass es heute anders verlaufen würde?

»Du musst mir den Rest des Abends mein Essen und die Drinks bezahlen«, sagte ich und lächelte Devon gierig an. »Alle Drinks.«

Die Preise am Flughafen waren wie gewöhnlich exorbitant. Völlig überteuert für das Zeug, das uns serviert wurde, aber man hatte unseren eigentlichen Flug gecancelt und der Ersatzflug war heillos überbucht. Jetzt durften wir weitere vier Stunden irgendwie totschlagen.

Wenn wir es endlich nach London zurückgeschafft hatten, würde ich die nächsten drei Tage durchschlafen.

Inzwischen hatte ich jegliches Gefühl dafür verloren, wie lange wir unterwegs waren.

Bereits die Anreise war eine Aneinanderreihung von Verspätungen, Ausfällen und Pannen gewesen: Der erste Flug ließ geschlagene drei Stunden auf sich warten, gefolgt von einem nicht auffindbaren Umstiegs-Gate und unsere Boarding-Pässe wurden nicht anerkannt. Irgendjemand aus dem Team hatte geweint. Irgendwer aufgrund der Aufregung in einen Mülleimer gekotzt. Und jemand hatte eine Szene gemacht.

Gut, Letzterer war ich.

Mein Ruf war sowieso ruiniert. Oder sollte ich eher sagen, dass ich mir eine besondere Reputation erarbeitet hatte?

Deshalb war mir die wunderbare Ehre zuteilgeworden, den Veranstalter, der uns diese miese Flugverbindung gebucht hatte, am Handy zusammenzuschreien, während Devon und Taye Badeschwämme vom Duty-Free-Shop wie Pompons schwangen und mich anfeuerten. Die beiden waren jedoch bald verstummt, weil Devon als einziges »Adjektiv« mit Anfangsbuchstaben »B« Brüste eingefallen war.

Und trotzdem …

Obwohl mein Team kaputt und gestresst war, die Vorbereitungszeit viel zu kurz, hatten wir das Turnier in Südkorea haushoch gewonnen. Und damit die schwierigste Hürde zur Weltmeisterschaft überwunden.

Mein Koffer war vollgestopft mit Snacks und Skin-Care-Produkten, die die »Hydra« bis Weihnachten zufriedenstellen würde.

Warum fühlte ich mich trotzdem so miserabel?

Normalerweise berauschte mich ein Sieg, dieses Mal fühlte ich mich nur müde und erschöpft.

Ich schob es auf die ganze Fliegerei.

Der Rückflug hatte sich dann überraschend angenehm gestaltet. Leider konnte ich den gecancelten Flug und den überbuchten Ersatz nicht dem Veranstalter in die Schuhe schieben und meinen Frust herausschreien. Letzteren würden hoffentlich eine große Pizza, frisches Tiramisu und ein paar Cocktails lösen, die Devon mit seiner schönen neuen Kreditkarte bezahlen durfte.

Devon zuckte auf meine Aufforderung hin mit den Schultern. »Kein Problem.«

Das hätte mich bereits misstrauisch machen sollen. Zwar war das Preisgeld des Turniers hoch gewesen, aber Devon war gerade in eine neue Wohnung gezogen und lag mir jeden Tag damit in den Ohren, wie hoch die Miete doch sei und dass er auch noch eine neue Vitrine für seine Figuren brauchte.

»Und was willst du?«, fragte ich ihn.

»Ach, nichts Besonderes …«, begann er. Seine Augen wanderten zur Tischplatte. »Darf ich den Rest des Abends dein Handy benutzen?«

»Nein.«

»Aber Buuunnyyy.«

Devon zog meinen Spitznamen in die Länge. Er schob seine Unterlippe vor und seine grauen Augen hinter den Brillengläsern wurden auf einmal so groß wie bei Animefiguren aus den 90ern.

Seine gespielte Mitleidstour hatte mich schon nicht gekümmert, als er noch ein schlaksiger Zwölfjähriger mit Zahnspange war und jetzt erst recht nicht mehr, vierzehn Jahre später, mit einem Devon, der auf die doppelte Masse angewachsen war.

»Warum willst du mein Handy benutzen?«

Blöde Antwort in drei, zwei –

»Erinnerst du dich noch an die Stewardess von unserem Flug von Warschau nach Incheon?«

»Devon …«

»Die mit den roten Haaren und den grünen Augen? Die mit dem kleinen Edelstein auf ihrem rechten Vorderzahn?«

»Devon … Nein.«

In seinen Augen waren buchstäblich Herzchen zu sehen. »Sie heißt Ki-a-ra«, flötete er ihren Namen.

Seine Schwärmerei verriet mir, dass er in Gedanken schon mindestens drei hypothetischen Kindern Namen verpasst hatte, darunter Son Goku und Luffy.

»Sie hat mir ihre Cosplay-Fotos gezeigt, als sie mein Chainsaw-Man-T-Shirt gesehen hat.«

Ich zog eine Augenbraue hoch.

Vage meinte ich mich an das Szenario zu erinnern, aber ich war zu gestresst gewesen, um mich auf etwas anderes als meine Spieltaktiken zu konzentrieren. In meinem Kopf hatte ich Dutzende Szenarien durchgespielt – während Devon wild geflirtet hatte.

Bis jetzt wusste ich nicht, was das mit mir zu tun haben sollte, außer dass ich als Tante Bunny verhindern musste, dass Devon seinen – jetzt noch – imaginären Kindern Namen verpasste, die nicht so diskret wie meiner waren.

Devon eröffnete mir: »Ich will mir ihr Instagram-Profil genauer ansehen.«

»Das kannst du. Du hast einen Instagram-Account«, erinnerte ich ihn. »Den du sehr häufig nutzt. Jeden Tag schickst du mir süße Katzenvideos, weil ich sonst unausstehlich bin.«

Devons Mundwinkel zuckten kurz nach oben.

»Ich weiß, aber wenn ich mir ihre Story mit meinem Profil ansehe, dann –«

»Nein!«, schrie ich auf, als mir endlich klar wurde, was er von mir wollte. »Hast du denn keinen Fake-Account wie jeder andere?«

»Ich habe die Hoffnung, dass sie vielleicht dir schreibt, weil jeder weiß, dass du meine allerbeste Freundin bist.«

Ich korrigierte mich: Das war keine blöde, sondern eine total bescheuerte Antwort.

»Ich kann es nicht glauben, Devon«, echauffierte ich mich lautstark. »Du bist ein erwachsener Mann von 26 Jahren. Nur weil du wie ich deinen Lebensunterhalt mit Videospielen bestreitest, bedeutet das nicht, dass du geistig für immer zwölf bleiben musst.«

»Ich habe doch genau diese Art von dir gelernt«, verteidigte er sich und fuchtelte mit seinen großen Männerhänden herum. Ich musste mich mehrfach vergewissern, dass da wahrhaft ein Mann vor mir saß und kein kleiner Junge, der eine mysteriöse Pille geschluckt hatte, so wie in dem Anime Detective Conan – nur umgekehrt: erwachsener Körper, Gehirn eines Kindes. »Vor fünf Jahren hast du fast den Bildschirm deines Handys zerdeppert, weil du aus Versehen ein altes Foto von Kaylie Smith geliked hast. Wir wurden daraufhin aus dem Club geworfen, weil du so herumgebrüllt hast.«

Ein Schauern überlief meinen Körper.

Ich erinnerte mich ungern an Kaylie. Ich war unglaublich verliebt in sie gewesen, seit sie an einem sonnigen Frühjahrstag zum ersten Mal einen Schritt in das Elektronikgeschäft gesetzt hat, in dem ich seit meinem 16. Lebensjahr neben der Schule und den Turnieren jobbte.

Beim ersten Mal kam sie zu uns, weil ich den Akku ihres ­Handys austauschen sollte. Beim zweiten oder dritten Mal wusste ich, dass sie kam, um mich zu sehen, weil sie so unnötige Dinge fragte wie, wie man eine SIM-Karte zu eSim umwandelte oder wie man diese ominöse Cloud benutzte. Zwischen all den Erklärungen, die weitere Fragen ihrerseits und Ausführungen meinerseits mit sich brachten, berührte ich flüchtig – und unnötigerweise – ihr Handgelenk mit einem Finger oder meine Schulter stupste ihre an. Jedes Mal erwiderte sie meine Berührung deutlich.

Nach ihrem dritten Besuch ließ sie nicht ihre Telefonnummer auf einem Zettel zurück, sondern gleich ihre Adresse im Studentenwohnheim und darunter eine eindeutige Nachricht. ­Allein die Erinnerung daran brachte meinen Körper heute noch zu einem aufgeregt-euphorischen Summen.

Als ich Kaylie traf, war ich gerade fertig mit der Schule geworden und von all den Möglichkeiten, die sich mir boten, vollkommen überwältigt. Meine Noten – und finanziellen Rück­lagen – hätten mir es erlaubt, fast überall auf der Welt zu studieren, der Inhaber des Computershops bot mir eine Festanstellung an und dann gab es noch die für Frauen mehr als unsichere Zukunft als Profispielerin im E-Sport-Bereich.

Vielleicht war es nicht so übel, weiter im Laden zu arbeiten und vorerst sesshaft zu werden, redete ich mir ein. Ins­geheim träumte ich schon von meiner ersten ernsthaften Beziehung mit Kaylie.

Gut, dass sich meine naiven Träume schnell zerschlugen.

Zwischen Kaylie und mir bestand eine wunderbare Chemie und wir hatten unbeschreiblichen Sex. Für genau eine einzige Nacht.

Ein paar Tage später zeigte mir Devon, dass Kaylie nun einen Studenten aus Leicester datete.

Ich war niemand, der seine Gefühle unter Verschluss halten konnte. Meine Enttäuschung sprudelte in einer Schimpftirade aus mir heraus – und dabei hatte ich dann das verdammte Foto auch noch geliked. Ironischerweise wusste ich gar nicht mehr, was darauf zu sehen war. Die Nachricht, die ich daraufhin von Kaylie bekam, würde ich niemals im Leben vergessen können: Du bist echt süß und aufregend, Bunny, aber ich glaube, du bist doch nicht das, was ich will.

Das erste Mal Verliebtsein vergisst man nie – den ersten Herzschmerz ebenso nicht.

»Das mit Kaylie ist etwas ganz anderes«, sagte ich und fauchte das letzte Wort. »Das ist schon so lange her.«

Devon mischte sein Kartendeck, ohne zu mir aufzusehen. »Aber du gibst zu, dass es immer dumm rüberkommt, wenn man ein altes Foto liked. Wenn ich dein Handy nutze, kann nichts passieren.«

»Ich habe ein Monster erschaffen«, murmelte ich. »Ich hätte dich von anderen Männern sozialisieren lassen sollen, damit du dir über so etwas keine Gedanken machst. Aber du weißt hoffentlich, warum ich trotzdem besser bei Frauen ankomme.«

Das war keine Lüge.

Devon war bei Frauen ausgesprochen begehrt. Mit seiner beeindruckenden Größe zog er automatisch Blicke auf sich, und obwohl er kein Muskelprotz war, hatte unser regelmäßiges Training im Fitnessstudio ihm im Laufe der Jahre einen athletischen, geschmeidigen Körper verliehen, der vor Energie und Vitalität nur so sprühte. Seine schwarzen Haare fügten seiner Ausstrahlung eine gewisse Lässigkeit hinzu. Sie schienen stets ein wenig zerzaust, als wäre er gerade von einem romantischen Abenteuer zurückgekehrt – obwohl es wahrscheinlicher war, dass er nur bis eben geschlafen hatte. Dieser unaufdringliche Mix aus Eleganz und Rebellion machte ihn fast unwiderstehlich.

Ich hatte weitaus mehr Dates und One-Night-Stands als er.

»Weil du als Frau natürlich am besten weißt, was Frauen wollen«, kommentierte Devon mit einem Augenrollen.

»Nein. Weil ich direkt bin«, erklärte ich ihm. »Dieses kalte Schulter zeigen und auf unerreichbar machen hat vielleicht geklappt, als wir noch Teenager waren, doch nicht mehr jetzt, da unsere Frontallappen endlich vollentwickelt sind.« Ich tippte mit dem Finger mehrmals gegen Devons Stirn. »Wobei ich bei dir nicht sicher bin.«

»Aber seit Maryams –«

Der Name erwischte mich wie eine heftige Ohrfeige.

»Erwähn ihren Namen nicht!«, zischte ich.

In Devons Gesichtsausdruck konnte ich den Schock ablesen. Normalerweise fällt es mir nicht schwer, über meine ehema­ligen Liebschaften zu reden, doch das mit Maryam tat von Woche zu Woche mehr weh.

»Ich … Ich möchte nicht über Maryam reden. Nicht jetzt.«

»Bunny …«

Seine Stimme klang besorgt, was den Schmerz in meinem Brustkorb noch verschlimmerte.

»Bitte. Lass es. Ich will kein Mitleid.«

Statt Devon anzusehen, mischte ich die Karten in meiner Hand energisch.

Solange die LoP-Weltmeisterschaft im Raum stand, würde ich nicht daten. Das war letztes Mal schon schrecklich schiefgegangen und ich machte nie zweimal den gleichen Fehler. Dafür stand zu viel auf dem Spiel.

Ich musste gewinnen.

Es ging dabei um so viel mehr als nur um mich.

Ich war dankbar, dass Devon das Thema wechselte und zum eigentlichen zurückkam: »Ist das also ein Ja? Darf ich dein Handy haben?«

»Ja.« Resignierend warf ich beide Arme in die Luft. »Von mir aus. Ich kriege langsam Hunger.« Ich grinste ihn herausfordernd an. »Vergiss nicht: Du musst vorher noch gegen mich gewinnen.«

Devons überhebliches Grinsen verschwand augenblicklich aus seinem Gesicht. Sein Adamsapfel hüpfte hoch. »Scheiße.«

Wir knobelten aus, wer anfangen durfte: Meine Schere schlug sein Papier. Die letzten drei Mal hatte ich Stein gewählt und darum war mir klar gewesen, dass er heute Papier wählen würde.

Ich sagte, dass ich anfangen wollte, setzte eine Monsterkarte verdeckt und spielte dann eine Zauberkarte ebenfalls umgedreht. Devon würde denken, dass es eine Fallenkarte wäre und mich vorerst nicht angreifen.

Wenn Devon mich in den nächsten zwei Zügen nicht angriff, hatte ich gewonnen. Die Monster- und Fallenkarten auf meiner Hand waren zu gut.

Ich gewann etwas schneller, als mir lieb war, man nannte mich nicht umsonst »Slayer«: Ich war die unbarmherzige Schlächterin der Spielewelt. Mehr gefürchtet als geliebt – aber das war schon in Ordnung.

Devon war derjenige von uns, der wusste, wie er die Menge um den kleinen Finger wickelte, und sogar einen verlorenen Kampf als Erfolg vermarkten konnte.

Er steckte bereits seit seiner Jugend eine Niederlage nach der nächsten gegen mich ein. Selbstverständlich gewann er hin und wieder, aber seine Siege standen in keiner Relation zu meinen.

Devon musste 15 und ich 13 gewesen sein, als er zu mir meinte, dass ich einfach besser war und er das akzeptierte. Er spielte gerne gegen mich oder mit mir. Da wusste ich, dass ich meinen besten Freund gefunden hatte.

Seine dunkle Stimme drang an mein Ohr. »Was?«, fragte ich.

»Du bist dran.«

Ich legte eine weitere Karte aufs Spielfeld und führte eine Flippbeschwörung durch, indem ich meine Monsterkarte umdrehte. Devon, der überhaupt kein Pokerface besaß, brummte unzufrieden. »Fuck.«

Nicht nur, dass er eine Menge Lebenspunkte durch den Effekt der Karte einbüßte, nein, er würde auch zwei Runden kein Monster von seiner Hand beschwören können. Da ich seine Karten in- und auswendig kannte, wusste ich, dass er darauf gesetzt hatte, spätestens in der dritten Runde ein mächtiges Monster zu spielen.

»Devon«, ermahnte ich ihn, was er nur mit einem Stöhnen quittierte. »Fuck«, wiederholte er mit tieferer Stimme. »Fuuuuck.«

Wir ergänzten uns perfekt: Während er außerhalb der Spiele gelassen blieb und mich auf den Boden der Tatsachen zurückholen konnte, war ich bei Spielen in meinen Kopf so weit zurückgezogen, dass ich mich vollkommen unter Kontrolle hielt.

»Willst du darüber reden?«, sagte Devon, nachdem er sich gefasst hatte und seinen Zug gemacht hatte.

Eine Mutter mit ihrem Sohn spazierte an unserem Tisch vorbei. »Warum spielen die Erwachsenen da ein Kinderkartenspiel?«, fragte er. Die Mutter gab keine Antwort, sondern zog ihn mit gesenktem Kopf nur schnell weiter, so als würde Devon und mein Einfluss dafür sorgen, dass er später mit 30 noch zu Hause hockte und ein Polster im Anime-Girl-Form zur Freundin haben würde.

»Über was reden?«, fragte ich. »Deine drohende Niederlage? Gerne.«

»Du weißt, was ich wirklich meine.«

Seine ruhige Stimme legte sich wie eine Decke wärmend um mich. Das vermochte nur Devon als mein bester und ältester Freund zu vollbringen: dass ich mich vollständig öffnete.

All meine Gedanken kamen in letzter Zeit auf einen einzigen immer und immer wieder zurück: »Die Weltmeisterschaft ist zum Greifen nahe.«

»Ja.« Devon legte zwei Karten hin. »Und wir haben so hart dafür trainiert, Bunny. Vor allem du.«

»Haben wir letztes Mal auch.«

»Das letzte Mal lag außerhalb deiner Kontrolle.«

»Ich bin die Teamführerin«, erinnerte ich Devon scharf. »So etwas sollte nicht außerhalb meiner Kontrolle liegen. Ihr verlasst euch auf mich.«

»Und bis jetzt hast du immer alles nur Menschenmögliche für uns getan, Bunny.« Devon lehnte sich lässig im Stuhl zurück. »Als es Stellan letztes Jahr vor einem Turnier so schlecht ging, bist du in eine Apotheke gestürmt und hast ein Vermögen für Medikamente ausgegeben.«

»Na ja, wir waren in Berlin und ich bin die Einzige in der Gruppe, die Deutsch kann.«

»Und nicht zu vergessen, als Taye Probleme mit diesen aufdringlichen Kerlen in Sydney hatte.«

Ich winkte ab. »Fragile Männeregos zu zerstören, hält mich jung. Wer braucht schon noch Jungfernblut?«

»Was ich sagen will«, Devon schnalzte mit der Zunge, »du gibst immer dein Bestes, Bunny.«

»Aber was, wenn das Beste einfach nicht gut genug ist?« Mein Ton wurde von Wort zu Wort schärfer. »Wenn es so weitergeht, dauert es noch Jahre, bis ein gemischtes Team an der Weltmeisterschaft teilnimmt. Geschweige denn ein reines Frauenteam.«

Mitten in meiner hitzigen Diskussion mit Devon begann mein Handy stark zu vibrieren und langsam über den Tisch zu wandern. Der Bildschirm wurde hell und zeigte ein altes – sprich: nicht digitales – Foto von einem jungen Mann mit dunklen Haaren und stechend blauen Augen. Auf seinem Schoß hockte ein kleines blondes Mädchen mit Zahnlücke in einem ­Pokémon-T-Shirt.

DAD stand in großen Lettern auf dem Bildschirm.

Ich biss die Zähne so fest aufeinander, bis mein Kiefer knirschte. Ausgerechnet jetzt!

»Geh ran«, sagte Devon und lächelte mich sanft an. »Dein Dad macht sich sonst nur unnötig Sorgen.«

Während er das sagte, hatte ich mich schon halb erhoben, um mir eine ruhige Ecke zu suchen. Ich neigte beim Telefonieren dazu, gerne mal laut zu werden. Devon war es gewohnt. Die anderen Menschen, die um uns herum saßen, nicht.

»Wehe du schaust dir meine Karten an«, warnte ich Devon und legte mein Blatt ab. »Du hast ohnehin schon verloren.«

Er machte eine Handbewegung, die ich als »Ja, ja, red nur« deutete.

Noch bevor ich mich an einem verwaisten Gate hinsetzen konnte, nahm ich den Anruf entgegen: »Hi Dad. Alles in Ordnung bei dir?«

Mein Dad und ich waren uns sehr ähnlich: Wir beide hassten es, wenn sich jemand Sorgen um uns machte. Wir wollten niemandem zur Last fallen, besonders nicht denjenigen, die uns am meisten am Herzen lagen.

Deshalb ignorierte er meine Frage. »Wie geht es dir, Serenity?«

Ich war es so gewohnt, dass mein Vater, Devon, meine Teamkollegen und andere Personen in meinem persönlichen Umkreis mich stets Bunny riefen und ich auf Turnieren als Slayer vorgestellt wurde, dass mein Geburtsname manchmal seltsam ungewohnt in meinen Ohren klang.

Und noch eines: Mein Dad verwendete meinen richtigen Namen nur, wenn er entweder angepisst war oder sich Sorgen um mich machte.

Hoffentlich war er wegen irgendeiner Kleinigkeit sauer. Vielleicht hatte ich vergessen, ihm ein Spiel zu besorgen. Ich bekam die meisten Games durch meine zahlreichen Kontakte in der Branche viel billiger.

»Gut«, sagte ich schnell. »Ich bin noch nicht zu Hause, wenn du das meinst. Ich sitze mit Devon auf einem Flughafen in Österreich fest. Die anderen aus dem Team haben schon einen Flieger früher bekommen. Aber wir vertreiben uns die Zeit mit Kartenspielen. Also ich spiele und Devon verliert.«

Das sollte ihn beruhigen. Alles war gut. Bestens.

Jetzt konnte er mich daran erinnern, welches Spiel er von mir haben wollte.

Sein brummiges Lachen, so warm und vertraut, hallte in meinen Ohren wider und löste eine unsichtbare Spannung in mir. Es war, als würde seine Stimme mich umarmen und alle Anspannung mit einem sanften Schwung fortfegen.

»Was ist los?«, traute ich mich endlich, ihn direkt zu fragen. Meine Finger prickelten. »Ist etwas passiert?«

»Nein. Nein. Keine Sorge. Es geht uns allen gut. Ich habe dir nur noch nicht zu deinem Sieg im Turnier gratuliert. Du warst einfach grandios!«

Automatisch formten sich meine Lippen zu einem Lächeln. »Du hast es dir angesehen?«

Früher war mein Vater bei jedem Kartenspiel oder Game-Turnier anwesend gewesen, aber damals war ich auch noch nicht volljährig und es hatte nur uns zwei gegeben. Oder drei, wenn man Devon mitzählte, den mein Dad praktisch adoptiert hatte.

»Natürlich, mein Mädchen.« Sein Lächeln war hörbar. »Ich würde mir doch nie ein Spiel von dir entgehen lassen. Adrian wollte es sich mit mir ansehen, doch er ist schon in den Vorrunden eingeschlafen. Das Finale haben wir aber alle gesehen.«

Auf einmal klopfte mein Herz wie wild in meiner Brust.

»Und was sagst du?«

Meine Stimme war leise wie ein Flüstern.

»In der zweiten Runde hast du etwas gepatzt, allerdings lag das auch daran, dass Taye abgelenkt schien.«

Ich erzählte ihm nicht, dass sie die letzten Tage nur mit Codein arbeiten konnte, weil sie unter schrecklichen Bauchkrämpfen litt. Bei Wettbewerben, die zum Großteil von Männern organisiert und durchgeführt wurden, stieß so etwas ohnehin nur auf taube Ohren.

»Aber Bunny, der Finalkampf.« Meinem Vater fehlten die Worte. »Das war atemberaubend. Du hast das fast allein geschafft.«

»Ich weiß!«, schrie ich auf. »Macaria ist einfach mein Glücksbringer. Wenn sie mein Champion ist, verliere ich nie.«

»Damit müsst ihr die Qualifizierung für die Weltmeisterschaft in Europa doch in der Tasche haben.«

Ich atmete so scharf ein, als hätte mein Vater den Finger direkt in eine entzündete Wunde gelegt.

»Ah. Das ist es also, was dich beschäftigt«, murmelte er. »Devon meinte auch, dass du in den letzten Tagen angespannt wirkst.«

Dieser kleine …

Es war eine Sache, mich persönlich darauf anzusprechen, aber etwas ganz anderes, meinem Dad davon zu erzählen. Team­angelegenheiten sollten im Team bleiben.

»Können wir das Thema wechseln?«, fragte ich leicht knurrend. »Ich würde die nächsten Tage gerne an etwas anderes als an Legions of Purgatory denken.«

»Gibt es vielleicht eine nette junge Frau, die du mir und ­Fayna bald mal vorstellen willst?«

Von einem schrecklichen Thema gerieten wir gleich ins nächste.

»Da-haad«, stöhnte ich lang gezogen. »Es gibt momentan Wichtigeres.«

»Also nein?«

»Nein.«

»Schade.«

Ich warf einen Blick in Devons Richtung. »Devon hat sich vielleicht jemanden angelacht.«

»Wenn er es nicht wieder versaut«, sagten mein Dad und ich gleichzeitig.

Ich musste leise lachen.

»Pass auf dich auf, Bunny, und melde dich, wenn du wieder zu Hause bist.«

»Ich«, begann ich, schüttelte dann aber nur den Kopf. »Mach ich. Bye, Dad.«

»Tschüss, meine Kleine.«

Mit einem nagenden Gefühl, das sich wie ein unsichtbarer Knoten in meiner Magengrube festgesetzt hatte, kehrte ich zu Devon zurück.

Dieser saß immer noch am Tisch, die Hände nun vor der Brust verschränkt. Sein Blatt lag offen auf der Platte.

Er sah mich nicht an – sondern starrte nur stur geradeaus. »Ich habe keinen Bock mehr.«

»Du hast dir meine Karten also angeschaut«, schmunzelte ich.

»Du hast neue Karten.«

»Jep. Ich habe mein Deck angepasst.«

»Kann ich mit meinen Karten überhaupt gegen dich gewinnen?«

»Natürlich, aber es würde sich sehr schwierig gestalten.«

»Warum musst du so verdammt gut in allem sein?«, regte sich Devon auf. »Wie kann es sein, dass ich …«

Während Devon sich lautstark über sein Pech beklagte, winkte ich einen Kellner herbei und orderte eine große Pizza Hawaii mit extra Mais, Paprika und Champignons, einen Beilagensalat, dazu Cola Light und den Spezialcocktail des Hauses. Ich musste ja nicht dafür bezahlen.

»Ich will nur ein Wasser«, murrte Devon den Kellner an.

»Hast du wirklich gedacht, dass du gewinnst?«, fragte ich meinen besten Freund.

Devon schob seine Unterlippe schmollend vor. »Vielleicht.«

»Ich verliere praktisch nie«, erinnerte ich ihn. »Und dennoch …« Ich schob mein Handy über den Tisch. »Ich liebe es, dass du nie aufgibst. Also mach, was du nicht lassen kannst.«

Er strahlte über das ganze Gesicht. »Danke!«

»Wenn du eins deiner zukünftigen Kinder Half Life 3 nennst, breche ich dir den Arm«, drohte ich ihm mit kühler Stimme.

»Aber das wäre so cool, Bunny!«

Der Kellner brachte uns Besteck, weshalb ich meine Drohung mit dem Messer unterstreichen konnte. Ich fuhr mir damit über die Kehle. »Vergiss es.«

»Dein Dad hat dich auch nach einer Anime-Figur benannt.« Er schob das Kinn vor und deutete zuerst auf mein T-Shirt. »Magical Girl in Training« stand neben einem pinken Zauberstab. Dann auf meine silberweißen Haare. »Und sei ehrlich: Du liebst es.«

»Weil nicht jeder bei Serenity oder Bunny gleich an Sailor Moon denkt.« Ich schluckte schwer. Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich die Worte hervorbrachte. »Und das liegt daran, dass mein Dad nicht nur mein Vater, sondern auch der beste Mensch der ganzen Welt ist.«

Mein Herz klopfte schneller. Seine unermüdliche Liebe und sein strahlendes Lächeln breiteten sich wie ein sanfter Schleier über meine Gedanken aus.

Weil er gelächelt und mich in den Arm genommen hatte, als ich ihm mit laut schlagendem Herzen und trockener Kehle erzählte, dass ich auf Frauen stehe.

Weil er mich unterstützt hatte, als ich ihm erklärt hatte, dass ich eine Karriere als E-Sportlerin anstreben werde.

Weil ich wusste, dass mein Dad immer für mich da sein würde.

»Kennst du eine Heidi Dawson?«, fragte mich Devon ganz unvermittelt.

Ein seltsames Prickeln überlief meinen Körper. »Ist das eine Fangfrage, ob ich mich an die Namen meiner letzten One-Night-Stands erinnere?«

Der Nachname klang zwar amerikanisch. Der Vorname eindeutig deutsch.

Meine Mutter stammte aus Deutschland, ich war mit meinem Dad vor über vierzehn Jahren aufgrund seines Jobs wieder in seine Heimat nach England zurückgezogen. Seitdem verschlug es mich höchstens für ein LoP-Turnier nach Deutschland.

»Neee«, sagte Devon lang gezogen. »Sie hat dir eine Nachricht geschrieben. Also ja, vielleicht ist sie ein One-Night-Stand.« Er führte das Handy näher an sein Gesicht heran. »Sie sieht ganz schön heiß aus.«

»Wühlst du jetzt also schon in meinen Nachrichten herum?«

Vor Devon gab es nichts zu verbergen: Er hat alle kleinen und großen Meilensteine meines Lebens miterlebt oder ich habe sie ihm bis ins allerkleinste Detail beschrieben, ob er es hören wollte oder nicht. Zum Beispiel mein erstes Mal mit Sarah Parker in der 9. Klasse. Oder die Sache mit Kaylie. Nicoletta. Maryam.

Mir verging mit einem Mal die Lust aufs Essen.

»Ich kann nichts dafür!«, sagte er. »Du hast dort über 99 unbeantwortete Nachrichten!«

Ich zuckte mit den Schultern. »Mich kümmert mein Social-Media nun mal herzlich wenig. Wenn es keine Katzenvideos sind, dann will ich es nicht sehen.«

Devon hielt mir mein Handy vors Gesicht, damit ich die mysteriöse Nachricht überfliegen konnte. Dort stand irgendetwas mit einem persönlichen Treffen und der Verfilmung von Legions of Purgatory, die längst kein Geheimnis mehr war. Uns Top-Spielern wurde bereits nahegelegt, die Werbetrommel zu rühren, um einen Hype für die Animationsserie zu erzeugen.

Garniert wurde die Nachricht mit ein paar Emojis, die absolut unpassend waren. Das Ganze klang so schlimm nach Scam, dass ich nur zwei Wörter an Devon richtete: »Blockier sie.«

Danach bestellte ich noch einen Cocktail – und dachte nicht mehr an Heidi Dawson.