Dragon Princess 1: Ozean aus Asche und Rubinen - Teresa Sporrer - E-Book
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Dragon Princess 1: Ozean aus Asche und Rubinen E-Book

Teresa Sporrer

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Beschreibung

Was, wenn die Prinzessin vergeblich darauf wartet, dass der Prinz sie aus dem Turm befreit? Wenn es der Drache ist, der sie rettet? Dann schwört die Prinzessin Rache an denen, die sie eingesperrt haben – ihrer königlichen Familie. Und dafür braucht sie die Hilfe eines ebenso draufgängerischen wie charismatischen Piratenkapitäns ...  Entdecke die märchenhafte Liebesgeschichte von Ruby und Fynn. Lass dich vom Königreich Yevel verzaubern, von Edelsteinen blenden und von Drachen in ungeahnte Höhen tragen. //Dies ist der erste Band von Teresa Sporrers Fantasy-Liebesroman »Dragon Princess«. Alle Bände der Reihe bei Impress: -- Dragon Princess 1: Ozean aus Asche und Rubinen  -- Dragon Princess 2: Inferno aus Staub und Saphiren -- Dragon Princess. Sammelband der märchenhaften Fantasy-Serie// Diese Reihe ist abgeschlossen. 

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Teresa Sporrer

Dragon Princess 1: Ozean aus Asche und Rubinen

Was, wenn die Prinzessin vergeblich darauf wartet, dass der Prinz sie aus dem Turm befreit? Wenn es der Drache ist, der sie rettet? Dann schwört die Prinzessin Rache an denen, die sie eingesperrt haben – ihrer königlichen Familie. Und dafür braucht sie die Hilfe eines ebenso draufgängerischen wie charismatischen Piratenkapitäns …

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Vita

Danksagung

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© privat

Teresa Sporrer hegte schon ihr ganzes Leben lang eine große Leidenschaft für Bücher: zunächst als Leserin, später auch als Bloggerin und mittlerweile ist sie selbst eine erfolgreiche Autorin. Ihre Reihe über verwegene Rockstars spielte sich in die Herzen vieler Leser*innen. Neben witzig-romantischen Lovestorys schreibt sie auch Fantasy-Romane über Antihelden wie chaotische Hexen und ruchlose Piraten.

Für alle,

die nicht auf ihren Prinzen warten,

sondern selbst nach dem Schwert greifen.

Prolog

Es war einmal eine junge wunderschöne Prinzessin.

Wie es im Land Brauch war, sperrte man sie im Jugendalter in einen alten Turm, welcher von einem bösen Drachen bewacht wurde. Dort wartete die Prinzessin auf ihren Prinzen, der sie vor dem Ungeheuer retten und sie zur Frau nehmen würde.

Dort wartete sie.

Und wartete.

Und wartete.

Aber wenn sie nicht gestorben ist, was ist dann mit ihr passiert?

Teil 1Der Rubin und der Seeräuber

Das Königreich Yevel im mittleren Reich ist genau für zwei Dinge bekannt: Edelsteine und Drachen. Edelsteine gibt es in Hülle und Fülle, mehr als das Land je ausgeben könnte. Die Drachen sind allerdings inzwischen nahezu ausgerottet.

In der gleichnamigen Landeshauptstadt, in welcher auch der König mit seiner Familie residiert, bildet man schon seit Jahrhunderten Drachentöter aus. Das Töten von Drachen ist so eng mit der yevelschen Kultur verbunden, dass der König zu verschiedenen Anlässen das Leben einer dieser Kreaturen nehmen muss: Sei es nun vor seiner Krönung, wenn ein männlicher Nachfolger geboren wird oder bei der Brautwerbung, falls das Erstgeborene der Königsfamilie ein Mädchen ist.

Frage: Woher kommen die ganzen Edelsteine? Es gibt da viele furchtbare Vermutungen …

Aus: Das Lexikon zum mittleren Reich, Band 2, M-Z; verfasst von der Historikerin Celica Vanderblod

I.

Ruby

Ruby wusste, dass man Piraten nicht vertrauen durfte. Und genau darum kamen auch nur Piraten für ihren Plan infrage.

Obwohl sie in ihrem Leben noch nie einem echten Piraten begegnet war, hatte sie in ihren alten Büchern viel über diese Seeräuber gelesen und einige sehr wilde und sicher übertriebene Gerüchte von den Stadtbewohnern aufgeschnappt. Sie konnte sich ein gutes Bild von den Männern und Frauen machen, die dieses unehrenhafte Leben bevorzugten. Die meisten von ihnen waren Verbrecher oder andere Ausgestoßene der Gesellschaft. Es waren Menschen, die in ihrem Leben nichts mehr zu verlieren hatten. Und sie waren gierig nach Gold und Silber, Edelsteinen und Juwelen.

Genau das brachte die Piraten nach Yevel, die Stadt, die Ruby ihr Zuhause nennen musste. Yevel war bekannt für seinen Reichtum, insbesondere für seine nie enden wollende Quelle an reinen Edelsteinen: Smaragde, Rubine, Saphire, aber auch Topase, Turmaline, Granate und viele weitere gab es hier. Das unglaubliche Vermögen der Bewohner spiegelte sich auch im Alltäglichsten wider: Schmuck und Gewänder mit bunten Steinen waren ganz normal – selbst bei Bewohnern aus der Mittelschicht. Adelige besaßen nicht selten Essbesteck aus Edelsteinen und Gold. Einmal hatte Ruby sogar ein Zahnstocher-Set aus Saphiren und Smaragden gesehen – und natürlich sofort mitgehen lassen. Nun lag es mit mehreren kleineren Edelsteinen und einem geklauten Dolch auf ihrem Schlafplatz. Für Ruby war es mehr als nur irgendwelches Diebesgut. Es waren ihre kleinen Schätze. Sie würde die Steine nicht weiterverkaufen, da sie ihr ein Gefühl der Geborgenheit vermittelten.

Obwohl sie keinen ihrer kleinen Schätze jemals wieder hergeben würde, hasste Ruby es, stehlen zu müssen. Sie hasste es fast so sehr wie diese verlogenen Piraten.

Aber eins musste Ruby dann doch zugeben: Piraten waren alle frei und darauf war Ruby unglaublich neidisch. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Ruby mehr besessen als die Kleidung, die sie am Leib trug, und die wenigen Habseligkeiten, die sie sich zusammengestohlen hatte. Sie hatte nicht in einer Höhle leben müssen. Sie hatte nicht auf einem kalten Boden mit Fellen geschlafen, sondern in einem richtigen Bett mit Matratze und einer weichen Daunendecke. Aber eines war Ruby schon vorher nie gewesen: frei. Sie war immer schon eingesperrt gewesen, auch wenn man es vielleicht nicht direkt gesehen hatte.

Sie schob die Gedanken an ihr altes Leben schnell beiseite. Wenn ihr Plan gelingen würde, würde sie bald alle Freiheit der Welt haben.

Während Ruby in ihrer Höhle herumlief und die Sachen suchte, die sie brauchte, um möglichst unauffällig in die Stadt zu gehen, folgte ihr aufmerksam ein Augenpaar in der Dunkelheit.

»Ihr wollt Euch wirklich an Piraten wenden?«, fragte ihre treue – und einzige – Freundin Onyx. In ihren hellgrünen Augen spiegelte sich Besorgnis. »Piraten sind nicht gerade für ihre Hilfsbereitschaft bekannt. Eigentlich für das genaue Gegenteil …«

»Ich werde auch nicht an ihre Hilfsbereitschaft appellieren«, erwiderte Ruby. Sie wischte den alten Dolch an ihrer Lederhose ab und steckte ihn sich an ihren breiten Gürtel aus Schlangenleder, welchen sie selber gefertigt hatte. »Sie haben ihre Interessen und ich verfolge meinen eigenen Plan. Die beiden Sachen lassen sich einfach nur gut kombinieren.«

Ruby hatte jahrelang ihren Rachefantasien nachgehangen. Monatelang hatte sie versucht einen Plan zu schmieden, der nicht ihren sicheren Tod in den Händen der Drachentöter bedeutete.

Zugegeben, die Idee, Piraten miteinzubeziehen, war ihr erst gestern Abend gekommen, als sie gesehen hatte, wie ihr Schiff an einer abgelegenen Stelle der Küste angelegt hatte – weit weg vom eigentlichen Hafen und dafür in der Nähe des Elendsviertels, in dem sich auch Ruby immer herumtrieb. Herumtreiben musste, verbesserte sie sich grimmig in Gedanken.

Zuerst hatte Ruby gedacht, dass sie ihren Verstand verlieren würde und deswegen Piratenschiffe halluzinierte. Es war Jahre her, dass sie mit einem Menschen geredet hatte, und es wäre deshalb auch nicht verwunderlich, wenn sie langsam durchdrehte.

Es kam nicht sehr selten vor, dass Piraten in die Stadt kamen – aber die meisten machten augenblicklich wieder kehrt, wenn sie die schwer bewaffneten Drachentöter erblickten, die in der Stadt patrouillierten. Erst recht, wenn das Drachenfest bevorstand und nahezu alle Palastwachen ausnahmsweise mit dem Festzug durch die Straßen der Stadt marschierten.

Je näher sie dem Schiff gekommen war, desto sicher war sie sich gewesen, dass sie nicht nur halluzinierte. Die Menschengrüppchen, an denen sie wie ein Schatten vorbeigehuscht war, redeten über das Schiff mit dem schwarz-roten Segel. Dem Anschein nach hatten die Piraten unter ihrem Kapitän schon zweifelhaften Ruhm erlangt: Man erzählte sich, dass sie einmal zwanzig adelige Mädchen in einem fremden Königreich entführt haben sollten. Das bezweifelte Ruby allein aus logistischer Sicht: Was hatten sie mit den Mädchen gemacht? Wo hatten sie sie untergebracht? Ruby glaubte nicht, dass das Schiff mehr als fünfzehn Personen fassen konnte.

Ein anderes Gerücht hatte Ruby schon mehr aufhorchen lassen: Einer der Piraten sollte ein gesuchter Mörder sein, der aus dem Gefängnis ausgebrochen war.

Einbrechen oder ausbrechen war für Ruby ein und dasselbe. Wer gut ausbrechen konnte, der war sicher auch gut im Einbrechen.

Ab diesen Moment war sich Ruby sicher gewesen, dass sie diese Piraten brauchte, um ihren Plan umzusetzen. Denn entweder sie waren dumm oder sie waren furchtlos. Ruby hoffte insgeheim jedoch auf eine Mischung aus beidem.

Schließlich hatte sie ein waghalsiges Unterfangen vor: Sie wollte in den Königspalast von Yevel einbrechen und den einzigen Gegenstand stehlen, der sie von den Fesseln ihrer Vergangenheit lösen konnte.

»Ich will nur in den Palast«, sagte Ruby mit fester Stimme. »Die Piraten können dabei gerne ein paar Kleinigkeiten mit sich nehmen. Solange ich heil rein- und wieder rauskomme, ist mir egal, was sie der Königsfamilie stehlen. Ich denke, dass das ein guter Ansporn für sie ist.«

»Das ist gefährlich, Herrin.«

Bei dem Wort ›Herrin‹ bekam Ruby sofort ein ungutes Gefühl im Bauch. In Onyx hatte Ruby ihre allererste Freundin gefunden und sie wollte, dass sie sich auch als Rubys Freundin fühlte. Wenn dem nicht so war, machte Ruby etwas falsch. »Ich habe es dir schon hundertmal gesagt, Onyx«, sagte sie mit sanfter Stimme zu ihr. »Ich bin und war nie deine Herrin.«

Onyx nickte nur. »Du musst das trotzdem nicht für mich tun«, warf sie daraufhin ein. »Fliehe! Lass dieses Land ein für alle Mal hinter dir. Beginne ein neues Leben weit weg von hier, bevor jemand rausfindet, dass du noch lebst! Was–«

»Ich gehe nicht ohne dich!«, unterbrach Ruby Onyx scharf. »Wir verlassen dieses Land gemeinsam oder gar nicht.«

Onyx wusste, dass sie ohne Ruby verloren war. Wenn Ruby nicht mehr hier wäre, wäre es nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten, bis jemand die Höhle entdeckte und die fast wehrlose Onyx tötete. Sie hatte nicht mehr viel Kraft übrig, um sich zu schützen. Trotzdem wollte Onyx lieber ihr Leben geben, als Ruby in Gefahr zu bringen. Und das alles, obwohl ihr Onyx sie schon mal vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.

Ruby erinnerte sie daran.

»Ich wusste damals aber nicht, ob ich dir damit das Leben retten kann«, gab Onyx zu bedenken. »Du hättest genau so gut sterben können. Es war nichts als Glück.«

»Aber du hast es zumindest versucht. Du hast wenigstens etwas getan, während mich all die anderen sterbend zurückließen.«

»Du bist mir nichts schuldig, He– Ruby.«

»Genau. Ich tue das nicht, weil ich Schuldgefühle habe, sondern weil du meine Freundin bist.«

In Onyx’ Gesicht erschien etwas, das man wohl als müdes Lächeln deuten konnte. Natürlich war sie nicht im Geringsten beruhigt.

Onyx hatte sich schon vor Jahren damit abgefunden, dass sie bald sterben würde, und schien von Tag zu Tag mehr zu schwinden. Sie wirkte noch abgemagerter als Ruby, wobei dies bei Onyx’ Körperbau schwer zu sagen war. Ihren schwindenden Lebensmut erkannte Ruby aber am eindeutigsten in ihren Augen. Manchmal tat es Ruby im Herzen weh, wenn sie sah, wie Onyx litt.

Ruby kannte dieses Gefühl der Hilflosigkeit und der Apathie nur zu gut, da sie selbst einmal geglaubt hatte, sterben zu müssen. Aber dann hatte Onyx sie gerettet. Sie hatte ihr so etwas wie ein Zuhause gegeben, als sie nirgendwo mehr hinkonnte, und sei es nur eine feuchte Höhle in der überall Pilze wucherten. Pilze waren zumindest ein gutes Kopfkissen …

Onyx hatte es verdient, frei zu sein.

Solange Ruby nicht tot war, würde sie die Hoffnung nicht aufgeben.

»Du wirst sehen«, sagte Ruby. »Spätestens morgen Abend wirst du wieder mal etwas anderes sehen als diesen schäbigen dunklen Stein und diesen endlosen Wald. Du wirst endlich wieder etwas anderes essen können als Hase und Eichhörnchen. Und vor allem wirst du endlich wieder den Wind auf deiner Haut spüren können.«

Nach diesen aufmunternden Worten, beeilte Ruby sich beim Zusammenpacken. Sie hatte noch einen langen Marsch vor sich und wenn sie zu spät kam, waren die Piraten vielleicht schon sturzbetrunken und deshalb unbrauchbar.

Ruby zog ihre gestohlenen Stiefel an und den Mantel, den sie sich aus verschiedenen Lederteilen zusammengenäht hatte. Wenigstens eine Fähigkeit aus ihrem früheren Leben hatte sich damit als nützlich erwiesen.

Ruby steckte sich zur Sicherheit auch noch zwei Dolche an den Ledergürtel. Diese hatte sie ausnahmsweise nicht gestohlen. In den Elendsvierteln verging kein Tag, an dem keine blutige Schlägerei stattfand. Ab und zu hatte sie schon Messer und einmal sogar einen Säbel auf dem Boden gefunden. Etwas blutverkrustet, aber immerhin noch gut zu gebrauchen.

Der nächste Gegenstand verursachte ihr schon beim Anblick Bauchschmerzen. Es war eine schwarze Maske, die ihr halbes Gesicht verdeckte. Die Holzmaske hatte zwei lange Hörner und eine Schnauze, aus der spitze Zähne hervorlugten.

Selbst Onyx zuckte zusammen, als sie Ruby in ihrer Verkleidung sah.

Ruby mochte diese Maskerade auch nicht, aber sie gestattete sich nicht, sich unwohl zu fühlen. Sie musste vor diesen Piraten souverän auftreten. Sie hatte vielleicht nur diese eine Chance.

»Ich hasse dieses schreckliche Theater«, murmelte Onyx und wandte den Blick ab.

»Ich auch.«

Onyx meinte damit das heute stattfindende Drachenfest. Das war wohl auch der Grund, warum die Piraten den Mut gefasst hatten, mit dem Schiff in der Stadt anzulegen. Sie war sich sicher, dass sie die Erzählungen über das Spektakel hierhergelockt hatte. Das Fest war weit über die Grenzen des Landes bekannt. Jedes Kind auf dem Kontinent kannte die Feierlichkeiten, welche an dem Tag begangen wurden, an dem der letzte frei lebende Drache in Yevel ausgelöscht wurde. In dem Land, das in den meisten Büchern als Heimatland der Drachen bezeichnet wurde. Aber das war wohl nun endgültig Vergangenheit …

Ruby konnte sich eine Welt, in der die Drachen frei lebten, gar nicht mehr vorstellen. Als sie geboren wurde, waren schon beinahe alle Drachen getötet worden.

Diese Festivitäten hatte nur einen Vorteil: In dieser Zeit war die ganze Stadt in Feierlaune und der König mit seiner Familie nicht in seinem Palast, sondern auf seinem Landsitz etwas abseits der Hauptstadt. Schließlich hatte er den letzten Drachen eigenhändig einen Speer ins Herz gerammt – zumindest, wenn man den Erzählungen Glauben schenkte. Seine Abwesenheit symbolisierte seinen Ausritt, um weitere Drachen zu suchen und zu töten.

Als Kind hatte Ruby dieses Fest geliebt – jetzt hasste sie es wie alles andere an diesem verfluchten Königreich.

»Ich werde dich befreien«, versprach Ruby ihrer treuen Freundin. Sie drückte ihre Stirn sanft an ihre. »Und dann wird dieses verdammte Land brennen. Ich gehe erst, wenn das alles hier nur noch aus Asche und Steinen besteht.«

***

Die Kneipe ›Zum nassen Kiesel‹ machte ihrem Namen in einer Stadt, in der selbst Nachttöpfe mit Edelsteinen verziert waren, alle Ehre: Es war die Absteige schlechthin. Die meisten Stühle und Tische waren bei Schlägereien schon mal beschädigt und danach nur unzureichend repariert worden. Es gab kein einziges unbeschädigtes Möbelstück. Überall waren Holzstücke abgebrochen worden und von den Blutspritzern wollte Ruby gar nicht reden und erst recht nicht vom Gestank: Bier, Schweiß, Erbrochenes, Blut und Tabak. Der Geruch der Leute hatte sich schon längst in das Holz und wahrscheinlich sogar in die Ziegelsteine des Lokals eingebrannt. Lange konnte es Ruby hier nie aushalten. Bei den letzten Besuchen, die meist darauf ausgelegt waren, andere Leute zu bestehlen, war sie keine Stunde geblieben und hätte sie in den letzten Tagen etwas gegessen, dann hätte sie es sicher nach dem Besuch in der Kneipe erbrochen.

Ihre Sinne waren im Vergleich mit anderen Menschen ein bisschen schärfer als die anderer Menschen, aber wie abgestumpft mussten die Leute sein, die täglich mehrere Stunden in der Absteige verbrachten?

Ruby straffte die Schultern.

Das war jetzt egal. Sie musste den Kapitän des Schiffes finden und ihn irgendwie von ihrem waghalsigen Plan überzeugen.

Der ›nasse Kiesel‹ war also ihre erste Anlaufstelle, nachdem das Piratenschiff verwaist auf sie gewirkt hatte.

Sie öffnete die Eingangstür, welche ihr Eintreten mit einem Knarzen ankündigte. Wenigstens fiel sie dieses Mal nicht wieder aus den Angeln wie bei ihrem letzten Besuch …

Das gute am ›Kiesel‹ war, dass niemand Ruby beachtete, als sie eintrat. Hier hatte jeder etwas vor den anderen zu verbergen und jeder wusste, dass es einem das Leben kosten konnte, wenn man mit der Vergangenheit des Einzelnen zu vertraut war.

Sofort strömten die ekelerregenden Gerüche auf Ruby ein. Aber das war nicht so schlimm wie der Anblick, der sich ihr darbot: Viele der Gäste und alle Kellnerinnen trugen Drachenmasken. Die Masken waren mal blau, mal rot, grün, violett oder gelb. Bei manchen lugte eine lange Zunge heraus. Andere hatten seltsame Augen. Die Drachenköpfe waren alle hässlich grotesk.

Ruby fühlte Wut in ihr aufsteigen.

Drachen waren hier nichts anderes als Wesen, über die man sich lustig machte. Schließlich konnten sie einem nichts mehr antun, nun, da vermeintlich alle frei lebenden Exemplare getötet worden waren. Es gab zwar Gerüchte, dass außerhalb von Yevel noch einige Drachen lebten, aber Gerüchte waren nun einmal nur Gerüchte …

Ruby richtete widerwillig ihre Maske, damit sie durch die mit Stoff verhangenen Augenlöcher die Umgebung besser erkennen konnte. Sie war sich sicher, dass sie die Piraten unter den üblichen Gästen gleich erkennen konnte.

Und tatsächlich fiel ihr ein Mann gleich ins Auge. Er war um die vierzig Jahre alt, mit sonnengegerbter Haut und in eine schwarze Kluft gekleidet, die schon mal bessere Tage gesehen hatte. Dazu kam eine schwarze Augenklappe.

Fast hätte Ruby gelacht. Er hätte nicht noch mehr nach Pirat aussehen können.

Er spielte gerade mit einem jungen Mann um einige Goldmünzen Karten. Zahlreiche Krüge Bier ließen darauf vermuten, dass die beiden schon länger miteinander spielten.

Perfekt!, dachte Ruby. Wenn er gerade um Einsatz spielte, musste er ihr zumindest kurz zuhören. Und wenn er durch den Alkohol gute Laune hatte, musste sie ihn vielleicht auch nicht lang beschwatzen.

Zielstrebig steuerte sie die beiden Männer an.

»Se–« Ihre Stimme brach und sie musste sich räuspern. »Seid Ihr der Piratenkapitän?«, fragte sie den älteren Mann aus unnötiger Höflichkeit.

Er neigte den Kopf und sah zu ihr hoch. Er starrte sie mit dem einen Auge nur eine Weile mit gerunzelter Stirn an, bevor er sich kopfschüttelnd wieder dem Spiel zuwandte.

Für einen kurzen Moment war Ruby verunsichert. Er wollte ihr also nicht mal zuhören?

»Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten«, begann sie erneut. »Ich habe gehört, dass Ihre Crew sehr fähig ist.«

»Ach, und was genau hast du über die Piraten gehört?«, fragte der Junge am Tisch.

Ruby funkelte ihn böse an. Er hatte mit dieser ganzen Sache nichts zu tun.

»Ich bin nur neugierig.« Er lächelte sie breit an. »Ich mag Piratengeschichten.«

Ruby schenkte ihm nur einen kurzen scharfen Blick. Dabei erkannte sie, dass er unter seinem weißen Leinenhemd ein paar Karten versteckt hatte. Wahrscheinlich war der Kerl irgendein adeliger Spross, der es aufregend fand, wenn er sich in einer Gegend rumtrieb, in der man für einen Edelsteinring mal eben von der Seite abgestochen wurde. Das würde zumindest die lange, wulstige Narbe an seinem Hals erklären, die sich bis zu seinem linken Wangenknochen hochzog.

Ruby rümpfte die Nase. »Ich habe einen Auftrag für Sie und Ihre Crew, den Sie sich unbedingt anhören sollten. Es ist ein Angebot, das man nur einmal im Leben bekommt.«

Der Pirat reagierte nicht, stattdessen begann der unhöfliche junge Mann zu lachen. Er schmiss die Karten auf den Tisch.

»Dann lass mal hören, Prinzessin«, sagte er und lehnte sich so lässig in seinem Stuhl zurück, dass Rubys feines Gehör das eindeutige Knacken von Holz vernahm. Erst jetzt bemerkte sie den Schwertgürtel um seine Hüften. »Denn ich bin Kapitän Fynn. Der da ist nur ein zungenloser Priester der Stummen Bruderschaft.«

II.

Fynn

Fynn hatte gerade eine Pechsträhne beim Pokern gehabt, als die aufdringliche Frau aufgetaucht war und seinen letzten verbleibenden Mitspieler abgelenkt hatte. Wer brauchte schon Glück, wenn man wegen der Unachtsamkeit des Gegners mühelos einige Goldmünzen einstreichen konnte?

Fynn wurde allerdings hellhörig, als die Unbekannte von einem Angebot sprach. Normalerweise ließ er sich nicht anheuern, aber die letzten zwei Schiffe, die Fynn mit seiner Mannschaft überfallen hatte, waren beide Nieten gewesen. Sie hatten kaum Gold oder andere Schätze an Bord gehabt. Langsam wurde das Geld knapp und bisher verlief der Aufenthalt in Yevel auch ganz anders als geplant. Fynn und seine Mannschaft hatten sich dafür entschlossen, die Stadt anzusteuern, weil sie für ihren Reichtum bekannt war – und für den Alkoholpegel der Bewohner während des Drachenfestes. Am leichtesten stahl es sich nun mal von Kindern, Alten und Betrunkenen. Fynn besaß gerade noch so viel Ehre, von niemanden zu stehlen, der jünger war als er oder fünfzig Jahre älter. Zudem konnten sich Kinder ziemlich fies an einem klammern und Alte prügelten gerne mal mit einem Stock auf einen Dieb ein. Das wusste er aus Erfahrung. Dann blieben also nur noch diejenigen, die sich ein Bier nach dem anderen reinkippten. Allerdings hatte er bis jetzt nur zwei kleine Saphire und einen fingernagelgroßen Smaragd erbeutet – und gerade eben ein paar Goldstücke. Hoffentlich sah es bei Scada und Nox besser aus. Und hoffentlich gab Eleanore kein Geld aus, sondern nahm sich einfach, was sie wollte. Er hatte ihr schon hundertmal erklärt, dass sie als Piratin mit ihren Fähigkeiten das konnte – aber jedes Mal fuhr sie ihn völlig entrüstet an.

Neugierig musterte er die junge Frau. Ihr Alter war schwer zu schätzen: vielleicht ein oder zwei Jahre jünger oder doch älter? Die Maske, die ihr halbes Gesicht verdeckte, machte eine klare Einschätzung seinerseits ein wenig schwierig. Und vielleicht auch die sieben leeren Bierkrüge, die noch vor ihm auf dem Tisch standen.

Es war wirklich schwer zu sagen. Unter der schwarzen Maske sah er nur grellrot geschminkte Lippen auf heller Haut und langes flammend rotes Haar, das ihr in Wellen über die Schultern bis über die Brust fiel. Ihre Kleidung war total dreckig und an den meisten Stellen schon einmal geflickt worden. Sie trug einen zerschlissenen Ledermantel, Hosen und Handschuhe. An ihrem Gürtel war ein kleiner Beutel befestigt. Wahrscheinlich war sie auch bewaffnet. Er vermutete, dass ihre Stiefel ein gutes und leicht erreichbares Versteck für Dolche waren.

Im Großen und Ganzen sah sie wie eine einfache Straßendiebin aus. Nur der Lippenstift und die offenen Haare verwirrten Fynn. Dadurch fiel sie doch nur noch mehr auf – würde eine Straßendiebin tatsächlich so rumlaufen?

»Du bist Kapitän Fynn?«, fragte sie deutlich verwundert nach.

Unter der Maske runzelte sie bestimmt die Stirn.

»Aye! Ich weiß schon, was du denkst«, lächelte er sie an. »Ich bin viel zu gut aussehend für einen Piraten. Vielen Dank für das Kompliment.«

Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich würde eher jung und unerfahren sagen.«

»Oh, das haben schon viele Frauen vor dir gesagt – und jede war danach angenehm überrascht. Soll ich dich auch von meinen Fähigkeiten überzeugen?«

Sie schüttelte leicht genervt den Kopf. »Schon gut. Ich glaube dir auch so.«

Die Unbekannte musterte ihn erneut.

Fynn gehörte zu der Sorte Piraten, die auf keinen Fall die Körperhygiene vernachlässigten, auch wenn sie wochenlang auf See waren. Er hatte sich vor dem Landgang nicht nur ausgiebig gewaschen, sondern war auch frisch rasiert.

»Du willst mir also ein Angebot machen?« Er ließ den Kopf im Nacken kreisen. Er gehörte eigentlich nicht zu den Menschen, die gerne mit anderen kooperierten. »Lass uns das Ganze doch mal etwas genauer besprechen, meine Schöne.«

Immer noch lächelnd deutete er auf einen leer stehenden Tisch – weit weg von den anderen Gästen. Zwar war sich Fynn sicher, dass die Kneipenbesucher viel zu beschäftigt mit Bier und halb nackten Kellnerinnen waren, und der stumme Bruder konnte ohne Zunge nicht viel weitererzählen, aber man konnte trotzdem nie wissen …

Während die Diebin nur mit den Schultern zuckte, räumte Fynn noch seinen Gewinn ab. Mit einer Armbewegung strich er die Goldmünzen in seinen Beutel ein. »Danke für das interessante Spiel«, bedankte er sich noch bei dem ehemaligen Klosterbruder. »Mögen die ewigen goldenen Götter dich segnen. Oder so in der Art.« Er faltete die Hände und verbeugte sich scherzhaft. Mit Religion konnte Fynn nun einmal nicht viel anfangen. »Amen.«

Als Fynn sich von dem Platz erhob, nahm er aus den Augenwinkeln eine ungewöhnliche Bewegung wahr. Sein eigener Schatten war unförmig und bewegte sich im Schein des Kerzenlichts, auch wenn Fynn still stand. Gut. Jetzt war er nicht mehr allein. Wenn das hier wirklich nur eine Falle war, hatte er zumindest eine Absicherung.

»Geh doch schon mal vor, meine Schöne«, schmeichelte er der Unbekannten weiter. »Ich überlasse dir die Platzwahl.«

Wenn sie misstrauisch war, sprach sie es zumindest nicht aus.

Fynn beobachtete sie bei jedem ihrer Schritte genau. Versuchte herauszufinden, wer sie war, ohne sie direkt zu fragen. Die Fremde war groß gewachsen. Sie war mindestens genau so groß wie er. Das überraschte ihn, da die Frauen auf diesem Kontinent normalerweise viel kleiner und auch nicht so schlank waren. Vielleicht war sie auch gar nicht von hier. Allerdings war ihr Haar zu außergewöhnlich für ein nördlicheres Land und ihr Teint zu hell für einen der südlichen Kontinente.

Sie nahm auf dem Stuhl Platz. Sie bettete ihre gefalteten Hände in ihrem Schoß, wie es Adelige in diesem Land üblicherweise taten. Das musste aber noch nichts heißen.

»Du hast beim Spiel betrogen«, sagte sie zu ihm, als er sich ihr gegenüber hinsetzte.

»Aye, natürlich habe ich das«, sagte Fynn. »Ich habe diese Art von Kartenspiel noch nie zuvor gespielt. Da musste ich doch ein paar Karten zinken. Sonst hätte ich haushoch verloren.«

»Ändert nichts daran, dass du betrogen hast.«

»Solange es meinen Mitspielern nicht auffällt, ist es für mich kein Betrug, sondern zeugt nur von meinem Talent.«

Die Unbekannte verschränkte die Arme vor der Brust. Warum trug sie an so einen warmen Sommertag nur Handschuhe?

»Willst du mir nicht mal deinen Namen verraten, Prinzessin?«

»Ruby«, sagte sie mit kalter Stimme. »Und nenne mich nicht immer Prinzessin.«

»Soll ich dich stattdessen ›kleine Diebin‹ nennen?«

»Ich bin keine Diebin«, stritt sie sofort ab.

Er sah sie nur mit einem wissenden Lächeln an.

»Nicht in erster Linie. Ich stehle nur, wenn ich es wirklich tun muss«, gab sie kleinlaut zu. »Ich bin nicht so wie du.«

»Zum Glück. Die Welt braucht nicht noch mehr von mir.«

Fynn kam es so vor, als würde Ruby nur selten mit Menschen interagieren. Sie wusste nicht so recht, was sie mit ihren Händen tun, und erst recht nicht, was sie zu ihm sagen sollte. Sie hatte aber Glück, dass Fynn nur zu gerne redete.

»Ich darf mich jetzt auch noch mal förmlich vorstellen. Mein Name ist Fynn. Ich bin der Kapitän des Blutenden Adlers. Seeräuber. Charmeur. Menschenkenner.«

Ruby schwieg immer noch. Sie schien alles andere als begeistert von Fynns Auftreten zu sein.

Was hatte sie denn erwartet, als sie die Kneipe aufgesucht hatte? Einen Piraten, der einen Papageien auf der Schulter spazieren trug und mit einem blutbefleckten Säbel rumwedelte, während er im Takt mit dem Holzbein stampfte? Er kannte keinen anderen Piratenkapitän, der Ruby angehört hätte. Die meisten gingen alles andere als klug und bedacht vor. Hauptsache, sie verschossen viel Schießpulver und landeten ziemlich bald auf dem Schafott. Ihr kopfloses Verhalten führte dazu, dass sie selber den Kopf verloren.

Fynn war da anders. Er wäre mit seinen einundzwanzig Jahren kein Kapitän, wenn er nicht über eine gute Menschenkenntnis verfügt hätte. Er hatte sich die perfekte Crew zusammengestellt. Jedes seiner Crew-Mitglieder war wie ein kleines Zahnrädchen. Jedes Rädchen passte perfekt zu den anderen. Nur so konnte eine Mannschaft funktionieren, ohne dass gemeutert wurde oder die Crew-Mitglieder nur für ihre eigenen Ziele kämpften.

Bevor die beiden weiterreden konnten, tauchte eine Kellnerin auf. Sie trug eine schillernd blaue Drachenmaske und ein knappes Kleid aus braunem Schlangenleder. Es war so eng, dass Fynn fürchtete, dass es bei zu viel Bewegung platzen würde. Nicht, dass ihn das gestört hätte …

»Darf ich dir was bringen, mein Hübscher?«, fragte sie, ohne Ruby zu beachten. Stattdessen ließ sie ihre Hand über Fynns Schulter gleiten.

»Hallo, meine Schönheit«, flirtete er zurück. »Kannst du uns bitte zwei Krüge Bier und etwas von dem süßen Apfelkuchen der Hausherrin servieren? Ich habe nur Lobeshymnen darauf gehört.«

»Ich habe keinen Hunger«, knurrte Ruby ablehnend.

Doch Fynn ließ sich nicht so leicht von seiner Masche abbringen. »Bring uns doch gleich einen ganzen Kuchen«, beorderte er augenzwinkernd und drückte der Kellnerin zwei Silbermünzen in die Hand.

Ruby murmelte etwas Unverständliches.

Kaum war die Kellnerin wieder da, stürzte sich die junge Frau nach kurzem Zögern mit beiden Händen auf den Kuchen. Sie beachtete Fynn gar nicht mehr, sondern stopfte sich den süßen Teig gierig in den Mund.

Sie war eindeutig keine Adelige. Keiner mit blauem Blut würde beim Essen solch fast schon obszöne Geräusche von sich geben – egal wie sehr sie unter Hunger litt.

Da sie so unglaublich hungrig war, verstärkte Fynns Überlegung, dass sie doch nur eine gewöhnliche Diebin war, die sich mit diversen Einbrüchen über Wasser halten musste. Sie war mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch eine Waise, die nichts und niemanden hatte.

Nachdem sie den Kuchen verschlungen hatte, trank sie auch noch das Bier in einem Zug aus. Erst dann merkte sie, dass Fynn sie die ganze Zeit über schweigend beobachtet hatte.

Ruby war merkbar peinlich berührt. »Ich … ich …«

»Kein Problem«, meinte er nur. »Ich weiß, wie es ist zu hungern. Aber nun lass mal von deinem Angebot hören«, sagte Fynn und nippte nur leicht an seinem Bier. »Ich bin schon sehr gespannt.«

Ruby sagte geradeheraus: »Ich will in den Palast einbrechen.«

Fynn lachte über Rubys Scherz, bis er merkte, dass sich ihre Lippen keinen Millimeter verzogen hatten. Sie meinte das tatsächlich ernst.

»Und du denkst, dass ich da mitmachen soll? Warum? Ich hänge zufällig sehr an meinem Leben. Solange ich in diesem Land keine Straftat begehe, können sie mich nicht einmal dafür einbuchten, dass ich ein Pirat bin.«

»Im Palast gibt es sehr viele Edelsteine und–«

Fynn unterbrach sie harsch: »Was nutzen mir Edelsteine, wenn ich tot bin? Ich meine: Ja, mein Sarg würde damit hübsch aussehen, aber das wäre es dann schon.«

»Warum denkst du, dass du dabei sterben wirst? Ich habe gehört, dass jemand aus deiner Mannschaft schon mal aus einem Gefängnis ausgebrochen ist. Einbrechen ist doch viel leichter, oder?«

Damit meinte sie bestimmt Scada. Und tatsächlich wäre Scada auch sofort mit dabei, in den Palast einzubrechen, aber er würde dabei auch eigensinnig und zerstörerisch vorgehen. Er war das Zahnrädchen seiner Mannschaft, das sich manchmal etwas verkeilte. Aber Fynn arbeitete daran.

»Im Palast gibt es etwas, dass ich dringend brauche«, gestand Ruby Fynn unaufgefordert.

Schade, dass er durch die Maske ihre Gesichtszüge nicht richtig deuten konnte: Log sie? Meinte sie es ernst? War das alles nur eine Falle?

Aber was sollte es ihr schon großartig einbringen, wenn sie Fynn hereinlegte? Sein Kopfgeld von ungefähr einhundert Goldmünzen war in Yevel kaum etwas wert. Die Stadtwache war nur an Drachen interessiert.

»Ist es wertvoll?«, fragte er.

»Für mich ja, für die anderen nicht.« Ihre Finger schlossen sich so fest um den Bierkrug, dass ihre Fingerknöchel spitz hervortraten. »Die Königsfamilie hat mir vor langer Zeit etwas gestohlen. Es ist an der Zeit, es mir zurückzuholen.«

Oh, dachte Fynn. Vielleicht war Ruby früher doch eine Adelige gewesen. Ihre abwertende Haltung hatte ihn also nicht zu Unrecht an Eleanore erinnert.

»Ich war schon öfter im Palast«, versuchte Ruby ihn zu locken. »Der Gegenstand wird auch nicht besonders bewacht. Ich bin nur nicht geübt mit Schwertern und habe Angst, dass mich die Wache erwischt. Es ist ein zu großes Risiko, alleine einzubrechen. Ich brauche einen …« Sie zögerte. »Einen Beschützer.«

»Und darum soll der dumme Pirat mit?«, mutmaßte Fynn. »Denn der dumme Pirat springt gleich, wenn man ihn mit Juwelen lockt. Es ist doch egal, wenn der dumme Pirat mit dem Schwert geköpft wird. Hauptsache, mir passiert nichts.«

Sein Gegenüber blieb reglos.

Ruby war verzweifelt. Keine Frage. Aber warum war sie gleichzeitig so naiv zu glauben, dass er, den sie noch keine dreißig Minuten kannte, ihr helfen würde?

Er war kein Prinz.

Er war ein Pirat.

»Bist du schon mal in einen Palast eingebrochen?«, fragte ihn Ruby.

»Ja, schon zwei- oder dreimal«, erinnerte er sich. »Einmal war ich sturzbetrunken, also könnte es auch sein, dass ich den Palast mit einem teuren Bordell verwechselt habe. Reichlich Samt und Glitzer weisen beide Gebäude auf.«

»Dann–«

»Hör mir zu, Kleine.« Fynn beugte sich vor. Er versuchte ihr in die Augen zu sehen, aber schwarzer Stoff verdeckte diese. Er konnte ihre Umrisse nur ungefähr erahnen. »Yevel ist mit den anderen Städten nicht zu vergleichen. Yevel ist das reichste Land der Welt. Reichtum bedeutet Macht. Alle Wachen sind ausgebildete Drachentöter und absolut königstreu. Es ist so gut wie unmöglich, sie zu bestechen. Ich kann in der Stadt tun, was ich will. Wenn ich mich jedoch an dem Besitz der Königsfamilie vergehe, dann rollt mein Kopf.«

Sie verzog keine Miene. »Aber falls wir keiner der Wachen begegnen, wird das doch alles hinfällig.«

»Falls«, betonte Fynn. »Das ist sehr unwahrscheinlich.«

Ruby öffnete den Beutel an ihrem Gürtel und legte drei Goldmünzen vor Fynn hin. »Das wäre der Vorschuss.«

»Oh, dann kann ich mir den Mahagoni-Sarg mit purpurnem Samt leisten. Blöd, dass die Palastwachen meine Leiche irgendwo verscharren werden, nachdem sie mir meinen geliebten Kopf von den Schultern geschlagen haben.«

Ruby stand auf. »Überleg es dir«, sagte sie leise, als sie an ihm vorbeiging. »Kurz vor Sonnenaufgang am Palast.«

»Und dein Geld?«, fragte Fynn.

Aber als er sich umdrehte, war Ruby schon verschwunden. Als wäre sie überhaupt niemals in der Taverne gewesen.

»Was für eine seltsame Frau«, murmelte der Pirat vor sich hin. Er ließ eine der Münzen zwischen seinen Fingern hin und her gleiten. »Was gibt ihr nur das Selbstvertrauen …« Er stockte, als er eine der Münzen genauer betrachtete. Auf seinen Lippen bildete sich ein erkennendes Lächeln.

»Zeig dich, Nox«, befahl Fynn. »Du schleichst doch schon die ganze Zeit um mich rum.«

Wie aus dem Nichts tauchte Nox aus dem Schatten seines Kapitäns auf. Der stumme junge Mann war einer der ersten Personen, die Fynn angeheuert hatte. Meistens hielt er sich im Hintergrund auf. Wortwörtlich. Fynn kannte Nox schon fünf Jahre lang und selbst er wurde manchmal von ihm unabsichtlich überrascht.

Das war sehr komisch, sagte Nox in der Gebärdensprache, die Fynn eigens für ihn entwickelt hatte.

»Natürlich, natürlich«, plapperte er geistesabwesend vor sich hin. »Aber sie hat mich schon ein wenig überzeugt.«

Nox’ hellgraue Augen weiteten sich. Was? In den Palast einzubrechen ist gefährlich.

»Wir sind Piraten. Alles, was wir machen, ist gefährlich. Es gibt aber einen guten Grund, warum ich so bereitwillig bin.« Er zeigte Nox eine der Goldmünzen, die Ruby ihm gegeben hatte. »Ich glaube, dass ich sie gerne anheuern würde. Sie hat mir mein eigenes Geld aus der Tasche gestohlen, ohne dass ich es bemerkt habe.«

Was?

»An der Münze ist eine Brandspur, siehst du das?« Nox beugte sich vor. »Anissa hat sie bei ihrem letzten Experiment doch versengt.«

Nox staunte.

»Geh zurück zum Schiff«, befahl Fynn. »Teile Anissa mit, was ich vorhabe. Die Zwillinge und Scada sollen sich bereithalten. Schimpfe Eleanore aus, wenn sie schon wieder zu viel gekauft hat.«

Nox nickte gehorsam.

Fynn lächelte zuversichtlich. »Heute Nacht sorge ich dafür, dass die Mannschaft des Blutenden Adlers noch bekannter wir–« Er wollte die Goldmünzen zurück in seinen Beutel stecken. »Warte …« Er tastete an seiner Hose herum. Wo war …? Das war doch nicht wahr …

Was denn?

Fynn wusste nicht, ob er vor Begeisterung lachen oder vor Wut schäumen sollte, weil er sich hatte austricksen lassen.

»Das Mädel hat mir auch noch die Edelsteine geklaut.«

***

Fynn musste sich darauf vorbereiten, in den Palast einzubrechen. Er marschierte also aus der Taverne geradewegs in das nächste Bordell. Zum Glück standen auch hier ein paar hilfreiche Mitarbeiterinnen in knapper Kleidung vor dem Etablissement, sodass der Pirat auch ohne Kenntnisse der Stadt sofort sein Ziel fand.

»Hallo-o!«, flötete Fynn beim Betreten und schepperte ordentlich mit seinem Sack mit ergaunertem Gold.

Sofort hatte er mehr Frauen, als er Finger an beiden Händen hatte, um sich geschart.

»Solch ein schöner junger Mann!«

»Bist du ein Händler?«

»… zu attraktiv für diese dreckige Gegend …«

»Weg da!« Ein zorniger Schrei. »Der gehört mir!«

»Meine Damen!« Eine etwas ältere Frau zwängte sich durch die Gruppe und versuchte die Gruppe zu beruhigen. Sonst liefen die einzelnen Frauen Gefahr, sich um Fynn zu prügeln. Das wäre bei Weitem nicht das erste Mal gewesen … »Benehmt euch anständig«, erinnerte sie ihre Angestellten. »Wir wollen doch nicht, dass sich unser Gast unwohl fühlt.«

»Hallo!«, begrüßte er die großbusige Hausdame und versuchte ihr höflichst nicht auf das enorme Dekolleté zu starren. Bei den alten Göttern, sie war doch so alt wie seine Mutter!

»Wie kann man dich denn glücklich stellen, mein Junge?«, fragte sie mit einem großen Lächeln auf den grellrot geschminkten Lippen.

»Ich würde gern all diese wunderbaren Frauen«, ein Raunen ging durch Fynns neueste Verehrerinnen, »auf ein Glas Wein mit mir einladen.«

Stille. Entstanden durch pure Enttäuschung.

Was dachten sie denn? Dass Fynn diese zwei Dutzend Frauen aufs Zimmer nehmen würde? Er gab es ungern zu, aber kein Mann konnte das schaffen.

»Oh, du willst meine Mädchen wohl erst näher kennenlernen«, kommentierte die namenlose Besitzerin des Bordells. »Du kannst dir bei der Wahl deiner Gespielinnen ruhig Zeit lassen.«

Fynn schlenderte zur leeren Bar – und tatsächlich folgten ihm alle Frauen. Wenn seine Crew ihm nur einmal so wortlos gehorchen würde!

Es gab nicht genug Barhocker, sodass ein paar Mädchen stehen mussten. Das war kein Problem, da sie sich an Fynn lehnten und begannen ihn zu betatschen.

Aber eines fiel Fynn nun auf: »Gibt es hier keine Männer?«, fragte er etwas überrascht. Er war es gewohnt, dass es in Bordellen Männer und Frauen gab, die ihre Dienste für Geld anboten.

»Männer?« Die Besitzerin tauchte hinter der Bar auf. Das Bordell wirkte zwar nicht so heruntergekommen wie die Taverne des Elendsviertels, aber dass sie sich mit all den Frauen keinen Ausschank leisten konnte, sprach für sich. »Oh, hast du denn kein Interesse an unseren Mädchen?«

Ein paar der Betroffenen keuchten erneut.

»Ich liebe Frauen!«, grinste Fynn. Er legte den Kopf schief, sodass er weich gepolstert auf einem Paar wohlriechender Brüste lag. »Aber im gleichen Ausmaß schätze ich auch die Gesellschaft von jungen Männern.«

Wie oft hatte er das in Bordellen nun schon erklären müssen? Langsam empfand er das als nervig. Er fragte ja auch nicht, warum die meisten Leute nur ein Geschlecht bevorzugten, wenn man mehr haben konnte.

Die Betreiberin des Bordells versuchte zu lächeln, aber sie wirkte eindeutig angespannt. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass er nun verstimmt war und das Etablissement verlassen würde. Aus diesem Grund legte er eine Goldmünze auf die Theke.

»Ich hätte gerne etwas Wein – für euch auch, meine Damen?« Er neigte den Kopf in der Runde. »Ich darf euch doch so nennen?«

»Natürlich, Meister …«

»Fynn.«

»Meister Fynn!«

Meister Fynn? Er biss sich verzückt auf die Lippe. An so etwas könnte er sich glatt gewöhnen. Ob er so etwas auf dem Schiff einführen könnte?

In ein Glas nach dem anderen wurde Wein eingeschenkt. »Und wie heißt ihr alle?«, fragte Fynn, als er großzügig freien Alkohol verteilte.

»Ivy.«

»Mein Name ist Rose«

»Ich bin Yasmin.«

So ging es eine ganze Zeit lang.

»Was seid Ihr denn von Beruf, Meister Fynn?«, fragte eins der Mädchen neugierig.

»Ich bin ein Pirat.«

»Ein Pirat?«, echote eins der Mädchen.

»Aye.« Er tippte auf das Schwert, das noch in der Scheide steckte. »Ich bin sogar ein Piratenkapitän.«

Er hätte seinen Dreispitz mitnehmen sollen, aber er wollte in Yevel nicht mit dem Aufdruck Pirat in der Stadt herumrennen. Es war ihm ja auch ganz gut gelungen, denn Ruby hatte ihn nicht für einen Piraten gehalten.

»Aber müsstet Ihr dann nicht eine Augenklappe tragen?«

»Ach, müsste ich das?«, schmunzelte Fynn. »Wäre ich dann noch attraktiver?«

»Im Gegenteil!«, schrie eins der leichten Mädchen schon fast.

Eine der Frauen strich sanft über sein Gesicht. »Und Ihr seid so rasiert!«

»Ich achte sehr auf mein Äußeres.«

»Woher kommt diese Narbe?«

Fynn musste sich zusammenreißen nicht zu erschaudern, als eine der Dirnen seine Narbe am Hals berührte. Am Anfang hatte er nicht einmal gespürt, dass ihre Finger die wulstige Narbe streiften.

»Aye. Ratet.«

Fynn war schon bei Glas Nummer drei angelangt, als die Frauen mit Vermutungen um sich warfen, angefangen bei einer eifersüchtigen Geliebten bis zu einer Begegnung mit Untoten.

»Oder eine Auseinandersetzung mit einem anderen Piraten.«

Das war ziemlich nah an der Wahrheit dran, wobei sie nie draufkommen würden, warum genau Fynn halb aufgeschlitzt worden war, und zwar mehrmals. Sein ganzer Körper war mit Narben in allen Längen und Breiten übersät.

Fynn machten seine Narben nichts aus. Jede von ihnen zeigte, dass er nicht nur überlebt hatte, sondern auch, dass er lebte. Dass er zwar gefährliche Dinge unternahm und oft in Bedrängnis kam, aber er konnte sein Leben so leben, wie er es wollte. Niemand – und erst recht nicht seine Herkunft – schränkten ihn ein.

»Und was war es nun?«, fragte eine der Damen mit großen Augen.

»Ich habe nicht gesagt, dass ich euch die Wahrheit verrate, falls jemand richtig rät«, erklärte Fynn. »Es tut mir leid, meine Damen, aber ein paar Geheimnisse braucht man als Pirat.«

Erneut ging ein Raunen durch seine Verehrerinnen.

»Was hat dich eigentlich nach Yevel verschlagen?«

Fynn zuckte mit den Schultern.

Er wollte nicht verraten, dass ein paar seiner Crew-Mitglieder ihn so lange in den Ohren gelegen hatten, bis er zugestimmt hatte, das Land der Juwelen zu besuchen. Fynn war es – bis auf ein paar Ausnahmen – egal, wo er anlegte. Die See war das Wichtigste.

Darum schob er seinen neuesten Plan vor: »Ich breche in den Palast von Yevel ein!«, erzählte Fynn glucksend. Keine Ahnung, welche Trauben hier im mittleren Reich wuchsen, aber der Saft daraus berauschte Fynn anscheinend viel schneller. Nach zwei Gläschen spürte er schon, dass seine Zunge sich verselbstständigte.

Viele Augenpaare starrten ihn fassungslos an.

Bis eine der Damen in schallendes Gelächter ausbrach.

»Ihr seid so witzig!«, sagte eine der Frauen, die sich als Rose vorgestellt hatte. Sie gab ihm einen spielerischen Klaps auf den Arm.

»Ich meine es ernst«, sagte er mit dem für ihn so typischen Grinsen, das noch mehr der Mädchen zum Lachen brachte.

***

Fynn genoss noch ein paar weitere Stunden mit vollmundigem Wein und angeregten Gesprächen im Bordell.

Ab und an kamen ein paar zahlende Kunden vorbei, aber die Mädchen wollten lieber bei Fynn bleiben und seine Geschichten über mörderische Meerjungfrauen und versteckte Schätze lauschen. Gerade erzählte Fynn darüber, wie er Scada aus dem Gefängnis in Estarossa befreit hatte, als ihm klar wurde, dass schon viel Zeit vergangen sein musste.

»Ich muss nun langsam los«, verkündete Fynn. Als seine Füße den Boden berührten, spürte er, wie sein Körper mit dem Alkohol kämpfte.

Ui, ui, ui … Hoffentlich wurde sein Kopf etwas klarer, wenn er den Palast erreicht hatte. Ruby wirkte nämlich nicht besonders verständnisvoll auf ihn.

»Nein!«

»Bleibt doch noch ein wenig!«

»Aber du warst mit keiner auf dem Zimmer!«

»Nein«, bestätigte Fynn. »Ich muss schließlich noch in einen Palast einbrechen.« Kurze Pause. »Wie gelange ich dort überhaupt hin?«

III.

Ruby

Der Palast von Yevel thronte auf einer Erhebung – zu klein, um sie einen Berg zu nennen, aber immer noch groß genug, damit das riesige und prachtvolle Königshaus mit seinen ungewöhnlichen Edelstein-Türmen herausstach.

In den alten Sagen und Erzählungen des Landes hieß es, dass dort vor Jahrhunderten ein Drache in einer Höhle hauste und der erste König von Yevel das Monster aus Rache tötete, nachdem es die junge Königin gefressen hatte. Daraufhin ließ er als Zeichen seines unglaublichen Sieges den Palast errichten. Die einstmals kleine Festung war nach und nach zu einem riesengroßen Anwesen angewachsen. Inzwischen gab es um die zweihundert Zimmer, welche ausschließlich der Königsfamilie zur Verfügung standen. Die Wachen und Bediensteten mussten in der Stadt schlafen und zu Dienstbeginn immer einen langen Fußweg zurücklegen.

Zum Anwesen gehörte auch ein opulenter Garten mit Springbrunnen, in denen Statuen aus Edelsteinen glitzerten, umringt von einem exakt getrimmten Rasen und einer riesigen Hecke. Das hohe Gewächs reichte einmal um das gesamte Anwesen und wurde von einem gusseisernen Tor verbunden. Dort waren normalerweise zwei Wachen positioniert, aber aufgrund des Festes stand dort nur ein einsamer Mann, den man die Erschöpfung des Wachdienstes schon deutlich ansah. Er blickte wehmütig zur Stadt, wo immer noch reges Treiben herrschte. Seine Wächteruniform war dunkelblau wie der Sternenhimmel, bevor er sich ganz verdunkelte. Die Uniform verzichtete auf Firlefanz, nur die Knöpfe der Uniform bestanden aus hellblauen Edelsteinen.

Für Ruby war es ein Leichtes, über die Hecke zu klettern. Wie eine Katze landete sie auf allen vieren. Unter ihren Füßen knirschten die Kieselsteine kaum hörbar.

Das hatte sie geschafft! So weit war sie bisher schon einige Male gekommen. Der schwierige Teil stand ihr noch bevor. Wie sie erwartet hatte, waren keine Wachen unterwegs. Der ganze Garten lag still in der Dunkelheit vor ihr. Sie hörte lediglich das Plätschern der Brunnen.

Es kam selten vor, dass in den Palast eingebrochen wurde. Sie konnte sich nicht erinnern, dass in den letzten fünfzehn Jahren irgendjemand auf die Idee gekommen war, unerlaubt einen Fuß in den Palast zu setzen. Seit die Drachen beinahe ausgerottet worden waren, gingen die Wachen liebend gerne auf Menschen los.

Ruby hatte keine Angst vor den Drachentötern. Aber die Drachentöter sollten lieber Angst vor ihr haben. Nach dem König standen sie ganz oben auf ihrer Racheliste.

Ihr Selbstvertrauen währte allerdings nicht lange. Je näher sie dem Palast kam, desto übler wurde ihr. Sie spürte, wie sich kalter Schweiß auf ihrer Haut bildete. Ihr Herz schlug auf einmal viel zu schnell. Ihre Füße schienen sich zu verselbstständigen und sie immer näher an den Palast heranzutragen. Sie hasste sich für diese Schwäche.

Wenn sie Onyx befreit hatte, würde sie als Erstes den Palast und alle, die sich darin befänden, niederbrennen.

Als sie vor dem Gebäude stand, überkam sie aber ein ganz anderes Lustgefühl. Sie streifte einen Handschuh ab, um die Edelsteine, die die Palastmauern schmückten, mit den Fingern zu berühren. Ihre Krallen kratzten über die glatte Oberfläche der Steine. Ihre Finger strichen über einen besonders schönen Lapislazuli. Der Stein war dunkelblau wie Tinte und von weißen Fädchen durchzogen. Er war einfach wunderschön. Ruby wollte ihn besitzen. Genau wie den grünen Jaspis rechts oben, der sie an den riesigen See in der Nähe ihrer Höhle erinnerte. Bevor das Wasser ins Blaue überging, war es genau so grün wie dieser Edelstein. Oh, und dieser Hämatit! In seinem Spiegelglanz konnte Ruby ihr graues Spiegelbild sehen.

Es war seltsam. Früher war Ruby von Edelsteinen und Juwelen umgeben gewesen und es hatte sie nie richtig interessiert. Jetzt konnte sie sich der Faszination der Steine kaum noch entziehen.

Plötzlich legte sich eine Hand auf Rubys Schulter. Vor Schreck wirbelte sie herum. Ohne nachzudenken, zog sie einen Dolch aus ihrem Stiefel und wollte ihn schon auf ihren Angreifer niedersausen lassen. Doch er wurde ihr aus der Hand geschlagen.

»Obacht!« Der Pirat hatte auf einmal ganz große Augen. »Pass mit dem Zahnstocher auf. Das kann böse enden.«

»Fynn?«

Normalerweise hätte sie den Piraten schon von Weitem gehört, aber die Schönheit der Edelsteine hatte sie abgelenkt.

Eilig zog sie ihren Handschuh wieder an. In der Dunkelheit hatte er nichts gesehen – oder?

»Guten Abend!«, grinste der Pirat dämlich vor sich hin. »Eine schöne Nacht für einen hirnrissigen Einbruch, oder?«

Er legte den Kopf in den Nacken und starrte mit glasigem Blick in den Himmel. Langsam wurde der violett-rote Abendhimmel vom Schwarz der Nacht verzehrt.

»Du hast getrunken«, stellte Ruby leicht verstimmt fest.

Sie hob ihren Dolch auf und steckte ihn wieder weg.

»Aye. Ich habe mir nur etwas Mut angetrunken«, verteidigte sich Fynn. »Glaub mir, sonst würde ich auf der Stelle kehrtmachen und mir eine weitaus angenehmere Abendbeschäftigung suchen.« Er berührte seinen Hals. »Sind eigentlich alle Damen in all euren Freudenhäusern so bissig? Die Fräulein konnten kaum ihre Hände von mir lassen.«

Ruby war angeekelt.

Sie bereute es, dass sie auf die dumme Idee gekommen war, dass sie ausgerechnet diesen Piraten um einen Gefallen gebeten hatte. Während sie ihre Dolche gewetzt und den Palast so gut es ging observiert hatte, hatte er also Frauen begrapscht.

»Wie schön, dass du die Wartezeit so … so sinnvoll überbrückt hast.«

Er grinste selig. »Ja, es war ganz nett – und ich musste noch irgendwo das Gerücht verbreiten, dass ich in den Palast einbreche.«

»Na dann–« Erst jetzt wurden ihr die Worte des Piraten bewusst. »Du hast was?!«

Ruby packte Fynn am Kragen seines Hemdes. Am liebsten hätte sie ihm dieses dümmliche Grinsen mit ihren Krallen aus dem Gesicht gekratzt.

Verhalte dich wie ein Mensch. Du bist ein Mensch.

»Reg dich ab, Prinzesschen«, sagte Fynn leichthin. Er packte sie am Handgelenk. Sie war überrascht, wie leicht er ihren Griff lösen konnte. Er war stärker, als er aussah. »In Bordellen reden die meisten Männer nur Blödsinn. Sie schwingen große Reden, um die anwesenden Damen zu beeindrucken. Niemand hat mir geglaubt, als ich damit geprahlt habe. Aber wenn erst mal durchsickert, dass ein Idiot wirklich versucht hat in den Palast einzubrechen und es dann auch noch geschafft hat …«

Als Ruby auffiel, dass Fynn sie immer noch am Handgelenk festhielt, riss sie sich von ihm los. Die Berührung des Piraten hatte sich durch das Leder gebrannt. Jedoch nicht, weil er besonders fest zugepackt hatte …

Wann hatte sie ein Mensch das letzte Mal eigentlich mit Absicht berührt?

Ruby drehte Fynn den Rücken zu. »Lass uns gehen«, versuchte sie die für sie unangenehme Lage zu überspielen. »Wir vertrödeln hier nur wertvolle Zeit.«