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**Nimm dich in Acht vor dem Zorn einer Furie**
Gerade als Euryale sich für ihre Liebe zu Deacon und gegen die Ewigkeit als Furie entschieden hatte, wurde er ihr entrissen und in die Unterwelt entführt. Verbunden mit einem seltsamen roten Lebensfaden, bricht sie mit Callisto und Cecilia auf, um ihren Geliebten zurückzuholen. Dazu muss sie sich nicht nur ihren Tanten, sondern auch ihrer Herrin – der dunkelsten Göttin der Unterwelt – stellen. Doch Euryale ist fest entschlossen, Deacon zu retten. Und die Hölle hat noch nie eine Furie aus Liebe wüten sehen …
Urban Fantasy im viktorianischen London.
//Dies ist der zweite Band der »Goddess of Fury«-Dilogie. Alle Romane der spicy New Adult Fantasy-Serie im Loomlight-Verlag:
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Gerade als Euryale sich für ihre Liebe zu Deacon und gegen die Ewigkeit als Furie entschieden hatte, wurde er ihr entrissen und in die Unterwelt entführt. Verbunden mit einem seltsamen roten Lebensfaden, bricht sie mit Callisto und Cecilia auf, um ihren Geliebten zurückzuholen. Dazu muss sie sich nicht nur ihren Tanten, sondern auch ihrer Herrin – der dunkelsten Göttin der Unterwelt – stellen. Doch Euryale ist fest entschlossen, Deacon zu retten. Und die Hölle hat noch nie eine Furie aus Liebe wüten sehen …
Urban Fantasy im viktorianischen London – Bridgerton meets Greek Mythology.
Das Finale der »Goddess of Fury«-Dilogie
© Privat
Teresa Sporrer hegte schon ihr ganzes Leben lang eine große Leidenschaft für Bücher: zunächst als Leserin, später auch als Bloggerin und mittlerweile ist sie selbst eine erfolgreiche Autorin. Ihre Reihe über verwegene Rockstars spielte sich in die Herzen vieler Leser:innen. Neben witzig-romantischen Lovestorys schreibt sie außerdem Fantasy-Romane über Antihelden wie ruchlose Piraten oder giftige Hexen.
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Viel Spaß beim Lesen!
Teresa Sporrer
Deine Seele so golden
Loomlight
Liebe Leser:innen,
bei Goddess of Fury – Deine Seele so golden handelt es sich um einen fiktiven Fantasyroman, angesiedelt in einem vom viktorianischen London inspirierten Setting.
Ein Glossar für Götter, Monster und Gegenstände findest du am Ende des Buches. Die Content Warnings auf der vorletzten Seite.
Teresa und das Loomlight-Team
Für alle,
die den Kampf niemals aufgeben,
egal wie aussichtslos er erscheint.
Heaven has no rage,
like love to hatred turned,
nor Hell a fury like a woman scorned.
William Congreve, The Mourning Bride
Die halbmenschliche Tochter der griechischen Göttin Circe – Euryale – wurde von den drei Furien Alecto, Megaira und Tisiphone zur Rachegöttin ausgebildet. Ein letzter Auftrag auf ihrem Weg zur Unsterblichkeit führte die junge Halbgöttin ins viktorianische England, wo sie sich als Lady Kalos unter die feine Gesellschaft mischte und so tat, als wäre sie an einem Ehemann interessiert. In Wahrheit suchte sie nach einem Riss des Styx durch den die Essenz des Hades als giftiges Miasma in die Metropole sickerte. Doch je mehr Zeit ohne konkrete Hinweise auf den Riss vergingen, desto mehr gab sich Euryale den zahlreichen Versuchungen der Großstadt hin.
Auf Partys traf sie so gut wie immer auf Lord Deacon Haworth. Ein attraktiver Junggeselle, der trotz seines Titels eine Geschichtsprofessur angestrebt hatte und der Euryales von Wut zerfressenes Herz ganz schön zusetzte.
Bei einer Abendveranstaltung entdeckte Euryale ausgerechnet im Beisein von Deacon eine bluthungrige Chimäre, die aus dem Riss geschlüpft sein musste. Im darauffolgenden Kampf enthüllte der junge Lord, dass er die außergewöhnliche Fähigkeit besaß, Lebensfäden zu sehen.
Die beiden wurden durch die Halbgöttin Callisto, die nicht nur Euryales Schwester mimte, sondern sich als Plejade auch als ihre Wegweiserin verstand, zu Partnern ernannt.
Mit Bravour meisterten sie ihre Probemissionen und befreiten dabei misshandelte Zootiere, darunter eine Löwin. Daraufhin gestand Euryale Deacon, dass sie schon immer mit ihrer göttlichen Herkunft haderte, insbesondere damit, wie ähnlich sie ihrer Mutter in Aussehen und Temperament war. Seit ihrer Kindheit versuchte sie aus dem Schatten ihrer Mutter zu treten und ihren eigenen Platz zwischen Göttern und Monstern zu finden. Nachdem ihre Ziehmütter – die Gorgonen Stheno und Euryale, die Ältere – sie zu den Menschen schickten, um dort ihr Leben zu verbringen, schloss sich Euryale jedoch den Furien an. Ihr Wunsch zu einer Rachegöttin zu werden, verstärkte sich, als ihr ehemaliger Liebhaber Hector sie einsperrte, um sie besser kontrollieren zu können.
Deacon und Euryale gestanden sich ihre Gefühle füreinander ein und die beiden wurden zu einem leidenschaftlichen Liebespaar. Doch ihr Glück erwies sich nur von kurzer Dauer: Auf einer Party, die Euryales beste Freundin Cecilia gab, wurde nicht nur sie als Gastgeberin vermeintlich getötet, sondern auch Deacon schwer verletzt. Cecilia offenbarte sich danach als blutsaugende Lamia und Deacon als mächtiger Halbgott.
Euryale fühlte sich zutiefst verletzt: Sie war fest entschlossen, ihre Unsterblichkeit im Hades bei ihren Tanten für ein Leben mit Deacon in London aufzugeben und er hatte sie im Unklaren über seine wahre Natur gelassen.
Während Euryale sich um ihr schmerzendes Herz kümmerte, wurde die Beziehung zwischen Cecilia und Callisto intensiver.
Callisto sah erneut eine Vision vom Riss und war sich nun sicher, wer – oder besser gesagt, was – ihn erzeugt hatte: Eine Reliquie in der Form einer Schere. Eine Reliquie, die nur einem Halbgott gehören konnte, der von einer Schicksalsgöttin abstammte: Deacon. Es lag auf der Hand, dass der Riss von Deacons Eltern erzeugt worden war. Sein Vater hatte seinen Sohn schon immer als eine Art Experiment betrachtet. Gezeugt mit der mächtigen Schicksalsgöttin Atropos, der Durchtrennerin von Lebensfäden, hatte Earl Haworth Deacons Waffe zuerst dafür benutzt, um unliebsame Verwandtschaft aus dem Weg zu räumen. Später führte das jedoch zu dem Leck im Styx.
Euryale, Callisto und Deacon wollten Earl und Lady Haworth stellen, doch diese hatten kurz zuvor noch Medusa befreit, welche sofort Jagd auf Euryale und ihre Mitstreiter machte. Euryale weigerte sich, gegen die Gorgonin zu kämpfen, da sie die sterbliche Schwester ihrer Ziehmütter war. Als Medusa das erfuhr, opferte sie sich, um Callisto aus ihrer Versteinerung zu befreien.
Deacon und Euryale stellten seine Eltern vor dem Riss. Earl Haworth hatte in der Zwischenzeit seine Frau tödlich verletzt. Der schwer kranke Mann leistete keinen Widerstand, als Deacon ihm seine Schere entriss und seinen Lebensfaden durchtrennte.
Euryale rief ihre drei Tanten herbei, die für sie den Riss versiegeln sollten, doch sie kamen nicht allein: Ausgerechnet die Unterweltsgöttin Melinoe begleitete sie und wollte den Schuldigen für die Tat bestrafen. Deacon opferte sich und erklärte Euryale, dass Melinoe sie womöglich töten würde. Ihr Lebensfaden hatte nämlich einen bedenklichen Farbton angenommen. Bevor Euryale handeln konnte, hatte Alecto ihn in die Unterwelt gerissen. Erfüllt von Schmerz brach Euryale zusammen, bis sie einen roten Faden bemerkte, der direkt von ihrem Herzen ausging und bei dessen Berührung sie Deacons Nähe fühlte.
Euryale weiß eines: Deacon lebt – und eine wütende Furie kann niemand stoppen.
Nicht einmal die Hölle selbst.
Meinen ersten Geliebten hatte ich in ein Schwein verwandelt.
Meinen zweiten Geliebten würde ich aus den Untiefen des Hades selbst herausholen.
Und es war mir egal, was es mich kosten würde.
Durch meine Weigerung, eine von ihnen zu werden, hatte ich die Gunst meiner Tanten ohnehin bereits verspielt und das Versprechen an meine Ziehmütter gebrochen, eine Unsterbliche zu werden. Für mich gab es kein Zurück mehr. Nur noch den Weg nach vorne, den ich mir im schlimmsten Fall auch mit Gewalt erkämpfen würde. Ein Weg, der mich geradewegs in die Hölle führen würde. Wortwörtlich.
Ich ließ keinerlei Zweifel an diesem Plan an mein Herz heran, als sich die rasende Wut einer Furie mit der hingebungsvollen Liebe einer Halbgöttin in mir vermischte. Zwei Emotionen, welche nicht unterschiedlicher sein konnten und doch stritten die beiden sich in mir gerade um die Vorherrschaft, ehe sie sich auf eine vorübergehende Waffenruhe einigten.
Jahrelang hatte ich mir eingeredet, dass ich als zukünftige Furie nur Wut empfinden dürfte. Wut war die Emotion, die mir auch als Rachegöttin erhalten geblieben wäre. Liebe war den Sterblichen aufgelastet worden. Götter kannten diesen Makel nicht, der die Menschen in ihren Augen so schwach und verletzlich machte.
»Aber ich fühle mich nicht schwach«, raunte ich mit einem Lächeln. »Ganz im Gegenteil.«
Ich sah auf meine Hände hinab, die Deacons Abschiedsbrief immer noch fest umklammert hielten. Die Fingernägel bogen sich ganz leicht zu scharfen Klauen, welche sich perfekt dazu eigneten, Hauptschlagadern herauszureißen oder Augäpfel delikat wie eine Lady aus den Schädeln meiner Opfer zu picken.
Ein Blinzeln – und sie waren wieder rund und menschlich.
Beim Kampf gegen die Gorgonin Medusa hatte ich unbewusst eine Macht entfesselt, die zwei Jahrzehnte in mir geschlummert haben musste. Eine Kraft, welche sich erst gezeigt hatte, als mein Geliebter Deacon in Gefahr schwebte.
Eine Magie, die mich noch enger mit meiner Mutter Circe – die Göttin der Zauberei – verbinden würde.
Ich biss die Zähne so fest aufeinander, dass mein Kiefer laut knirschte. Wenn sie es mir ermöglichten, Deacon aus der Unterwelt zu befreien, dann würde ich auch von den Kräften meiner Mutter Gebrauch machen. Als lebende Sterbliche auf eigene Faust in den Hades hinabzusteigen, bedeutete, gegen die chtonischen Götter aufzubegehren – und eine davon schien mich noch mehr zu verabscheuen, als ich es jemals für möglich gehalten hatte.
»Es ist an der Zeit, den Zwist mit Melinoe ein für alle Mal zu beenden, bevor noch jemand, der mir am Herzen liegt, Schaden nimmt.« Ich knurrte leise. »Sie wird für ihre Taten dreifach bezahlen.«
Die dunkle Magie meines Athame vibrierte zustimmend. Die Klinge lechzte nach Blut oder vielleicht wollte ich meinen eigenen Blutdurst nur der Magie meiner Mutter zuschreiben.
Langsam erhob ich mich von meinem Platz. Meine Beine fühlten sich immer noch leicht wackelig an und deshalb musste ich mich mit den Armen am Schreibpult abstützen. Der Schock und der Schmerz über Deacons Entführung steckten immer noch in meinen Knochen. Mein menschlicher Körper flehte eindringlich nach einer kurzen Rast, aber ich drängte die Müdigkeit zurück.
Mit den Augen folgte ich aufmerksam dem Spiegelbild im Fenster. Meine dunkelbraunen Haare ergossen sich in dichten Locken über meinen Rücken. Mein Kleid war mir perfekt auf den Leib geschnitten und auch wenn ich mich normalerweise nicht daran sattsehen konnte, so waren es andere Dinge, die meine Aufmerksamkeit erregten.
Meine Gesichtszüge wirkten auf einmal viel zarter. So als hätte mein offenes Liebesgeständnis an Deacon nicht nur mein steinernes Furienherz zerschlagen, sondern zugleich auch die harten Linien um meinen Mund gemildert.
Und dann war da noch etwas …
Als Kind hatte der sicherste Ort der Welt für mich zwischen den Schlangenleibern meiner Ziehmütter, den fürchterlichen Gorgonen, gelegen. Die drei berüchtigten Furien hatten mich in einer Höhle trainiert und regelmäßig in die Unterwelt geführt. Ich hatte den Göttern gedient, mit manchen sogar das Bett geteilt und gegen den ein oder anderen gekämpft.
Eigentlich dürfte mich nichts mehr in diesem Leben überraschen, aber der rote Faden, der dort aus meiner Brust ragte, wo mein Herz vor Aufregung laut wummerte, war mir ein Rätsel.
Wenn ich den Faden berührte, dann breitete sich in meinem Herzen das gleiche wärmende Gefühl aus, als wäre Deacon direkt bei mir und würde mir ein Lächeln schenken.
»Es tut mir so leid«, flüsterte ich, obwohl ich mich ganz allein in Deacons Schlafzimmer befand. Ich legte meine Finger an das Band, welches mich mit ihm verband, und hoffte, dass, wenn er mich auch nicht hören konnte, er zumindest in der Lage war, meine Gefühle wahrzunehmen. »Es ist nur meine Schuld, dass du in die Unterwelt verschleppt wurdest.«
Es war allein meine Schuld, denn ich hatte gezögert.
Ich hätte Melinoe oder meine Tanten angreifen und nicht wie ein Feigling dastehen sollen. Aber …
»Wäre ich dann so gestorben?«, fragte ich mich.
Laut Deacon war mein Lebensfaden bedrohlich geschwärzt gewesen, als er sich geopfert hatte. Es lag also nahe, dass entweder eine meiner Tanten oder Melinoe höchstpersönlich mich hatten töten wollen.
Das hölzerne Pult verschwamm vor meinen Augen zu einer braunen Brühe und ich krallte meine scharfen Fingernägel in das Holz, um nicht seitlich vom Stuhl zu kippen.
Ein kleines Andenken für Deacon, wenn er mir darauf wieder Liebesbriefe schrieb.
Beim Gedanken an meinen Liebsten wurde mein Herz etwas leichter. Dennoch konnte ich eine furchtbare Ahnung nicht abstreifen: Denn, wenn Deacon die Wahrheit sprach – und es gab keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen, hätte ich niemals eine Furie werden sollen.
Das wiederum bedeutete, dass man mich die letzten Jahre nur belogen und auf perfide Weise benutzt hatte. All die gebrochenen Knochen, die zerrissenen Bänder und zerquetschten Organe, das viele Blut und die bittere Galle, selbst meine wütenden Tränen schienen auf einmal umsonst gewesen zu sein.
Niemals hätte ich es gewagt, an den Versprechungen meiner Tanten oder meiner Herrin zu zweifeln. Denn das hätte bedeutet, dass es für mich keinen Grund gab, überhaupt zu leben. Und welchen Zweck sollte meine Existenz dann erfüllen?
Zum Glück hatte sich mein Leben seitdem verändert. Jetzt hatte ich Gefährten, für die ich alles tun würde, egal, wie viel Risiken ich dafür in Kauf nehmen musste.
»Ich muss mich von dieser Wut auf meine Herrin nähren«, sagte ich und zog meine Hände vom Tisch zurück. Je mehr Schritte ich tat, desto sicherer fühlte ich mich auf meinen Beinen. »Für Deacon.«
Deacon und ich hatten uns geschworen, aufeinander achtzugeben und während er sein Versprechen gehalten hatte und mein Lebensfaden laut seinen Worten wieder golden erstrahlte, befanden sich sein Körper und Geist in der Unterwelt und erlitten wahrscheinlich Höllenquallen.
Zitternd holte ich Luft.
Ich würde das alles wiedergutmachen.
Doch als Erstes musste ich einen Weg in die Unterwelt finden.
In Deacons Schlafzimmer konnte man sehr gut an der hässlichen, aber teuren Tapete sparen, in die die englischen Lords und Ladys so vernarrt waren, die Wände waren sowieso über und über mit Bücherregalen verstellt. Es musste sich um Hunderte – ja, vielleicht sogar Tausende – Werke handeln, die er selbst mühsam und voller Hingabe zusammengetragen hatte. Es waren hauptsächlich Fachbücher zur griechischen Geografie, Geschichte und Mythologie. Hin und wieder entdeckte ich ein Buch über Architektur oder Wirtschaft, welche ich jedoch geflissentlich ignorierte. Die Unterscheidung zwischen dorischen und ionischen Säulen oder die Veränderung der Viehzucht nach der Revolution von 1821 würden mir bei meiner Mission nicht viel helfen.
Ich streichelte mit meinen Fingern über die Buchrücken, um so etwas wie Deacons Geist herbeizubeschwören. Diese Bücher hatten ihm Trost gespendet, als er nicht wusste, wer oder was er überhaupt war. Man musste kein Orakel oder Hellseher sein, um seine Liebe zum geschriebenen Wort zu spüren – sie war in seinem Zimmer allgegenwärtig. Seine persönliche Note – seine Essenz – steckte in diesen Werken.
Wenn er hier wäre, wüsste er mit Sicherheit augenblicklich, wonach ich suchte. Fast schon konnte ich seine kühlen Lederhandschuhe auf meinem Handrücken fühlen, die mich weisend über die Bücher führten. Ich benötigte kein Buch über den Trojanischen Krieg, keine Niederschrift über die Schlachten der Spartaner gegen die Perser und erst recht keine dicken Lexika über die bedeutendsten Dichter und Denker der Antike.
Doch Deacon war nicht hier.
Stattdessen glänzte sein Ring im Licht der elektrischen Glühbirnen und erinnerte mich daran, dass sein Verlobungsring gleichzeitig ein Abschiedsgeschenk gewesen war.
Ein scharfer Schmerz durchzuckte meinen Oberkörper, aber ich drängte ihn zurück. Wie den Dorn einer Rose schob ich ihn in meinen Brustkorb zurück, bis ich mich so daran gewöhnt hatte, dass ich mich taub und leer fühlte. Dann warf ich mein langes Haar zurück und kicherte hämisch.
Armer Deacon! Er war so intelligent und doch gleichzeitig so naiv. Er wusste, dass Furien unaufhörlich ihrer Beute nachjagten und trotzdem hatte er mich in sein Haus und sogar in sein Bett eingeladen. Er hatte mir einen Ring überreicht, obwohl ihm klar sein musste, dass die einzige Mitgift, die ich in unsere Beziehungen einzubringen vermochte, mein Zorn sein würde.
Meine linke Hand glitt nach vorne an meinen Bauch.
Ich wollte – und konnte – ihm auch keinen Erben schenken, die einzige Aufgabe einer Frau in dieser verrückten Gesellschaft.
Eine rachsüchtige Furie war wahrlich keine angemessene Frau für einen künftigen Earl – und doch wollte Deacon mich. Und nur mich, wie er nicht müde wurde zu betonen.
Oder hatte er gewusst, dass ich ihn selbst bis in die Tiefen der Unterwelt verfolgen würde? Vertraute er darauf, dass ich in den Hades hinabstieg, um ihn aus den Klauen meiner Tanten zu befreien? War es möglich, dass Deacon mich erwartete?
Wusste er … Wusste er eigentlich, wie sehr ich ihn liebte?
Diese Worte hatte ich erst ausgesprochen, nachdem meine Tanten ihn bereits in den Hades gezerrt hatten. Und was bedeutete »Ich liebe dich« schon? Hector und ich hatten diese Worte häufig ausgetauscht. Doch er fürchtete meine halbgöttlichen Kräfte und ich erkannte, dass das, was ich für richtige Liebe – Agape – hielt, womöglich nur impulsiver Eros war.
Ich wünschte, ich hätte mich mit Deacon nie wegen einer Kleinigkeit wie seiner göttlichen Herkunft so kurz vor unserer Trennung zerstritten. Ich hätte ihn als Mensch genau so geliebt wie als Halbgott. Ich konnte ihn als Halbgott genau so lieben wie als Mensch. Er war immerhin noch mein Deacon. Mein Deacon, der Bücher der Gesellschaft der anderen – außer mir – vorzog. Mein Deacon, der sich für mich unerschrocken in jeden Kampf stürzte. Mein Deacon, der mich küsste und liebte, obwohl ich mich als Monster zählte und meine Hände vom Kampf und Krieg gezeichnet waren.
Ich wünschte mir, ich wäre einfühlsamer und hätte seine Heimlichtuerei nicht gleich als Affront gegen mich verstanden.
Während ich immer noch von Hectors Geist verfolgt wurde und deshalb Deacon bewusst oder unbewusst von mir stieß, merkte man Deacon an, dass es in seinem Leben nie jemanden gegeben hatte, dem er sich anvertrauen konnte.
Wenn wir uns nur mehr vertraut hätten, dann wäre es nie so weit gekommen. Dann würden wir jetzt in seinem Bett liegen und über unsere gemeinsame Zukunft reden … doch nun war er fort …
»Nicht ablenken lassen, Euryale«, sagte ich und kniff meine Augen zusammen, als die Bücher vor mir einen Tanz aufführen wollten. »Du brauchst als Erstes ein Buch über die Unterwelt.«
Obwohl ich mit all diesen Erzählungen aufgewachsen war, einige Götter, Monster und sogar eine Handvoll verstorbene Helden kennenlernen durfte, war mir nur weniges im Gedächtnis geblieben.
Es hatte mich nie interessiert, wie – vor allem wo – Orpheus oder Theseus in die Unterwelt gestiegen waren. Meine Herrin verbot jegliches Wort über Letzteren und meine Tanten fingen nur mit der alten Leier an, wenn sie mit ihren Befehlen unzufrieden waren.
Dazu kam, dass ich den größten Teil meines Lebens in einer gewöhnlichen Höhle verbracht hatte, welche sich am Rande der sterblichen Welt befand. Hin und wieder kamen sogar närrische Sterbliche vorbei und flehten die Furien an, jemanden für sie zu bestrafen.
Wenn wir in die Unterwelt hinabstiegen, geschah das nur auf Befehl unserer Herrin. Sie war in der Lage, überall in Griechenland Eingänge in ihr Reich zu öffnen und auch meine Tanten konnten mühelos zwischen den Welten wandeln.
Aber sie konnte ich nicht um Hilfe bitten. Ich war mir sicher, dass sie mich nach unserer Auseinandersetzung nie wieder sehen wollten. In ihren Augen war ich wohl eine einzige Enttäuschung. Die Furie, die Macht und Unsterblichkeit für Liebe aufgegeben hatte.
Mein ganzes Leben lang würde ich mich an ihre Blicke erinnern, als sie erkannten, dass ich mich nicht ihnen anschließen würde.
Sie konnten nicht lieben, aber dennoch hatte es auf mich gewirkt, als hätte ich ihnen das Herz gebrochen.
Mein Herz war jedenfalls gebrochen.
Als ich mich aus meiner schmerzhaften Grübelei losriss, verharrten meine Finger über einem Werk, welches sich Klassisches Handbuch der griechischen Mythologie nannte. Ich zog es heraus und blätterte darin. Meine Augen huschten über die Götternamen: Aphrodite, Ares, Athena, Bia … Circe.
Eigentlich wollte ich den Namen meiner Mutter schnell überblättern, um zu meiner Herrin zu gelangen, doch etwas ließ mich innehalten.
Euryales Mutter stand dort in Deacons Handschrift. Man konnte es schwer lesen, weil Deacon nur leicht mit dem Bleistift geschrieben hatte, um keins seiner Heiligtümer zu verunstalten.
Meine Lippen formten sich zu einem winzigen Lächeln, welches meine Augen nicht erreichte.
Auch wenn er nicht bei mir war, so konnten wir doch diese Mission gemeinsam meistern.
Ich straffte die Schultern und las. Ich las, obwohl ich am liebsten aus dem Fenster gesprungen wäre.
Diesen Impuls unterdrückend, widmete ich mich Deacons Notizen.
Seine Stimme erklang beim Lesen in meinem Kopf.
Fragen: Welche Magie besitzt Euryale als Tochter der berühmten Zauberin?
»Das weiß ich doch selber nicht«, murmelte ich. »Ich benutze sie nie.«
Welche Verbindung hat Euryale als Tochter Circes zum Riss/der Unterwelt?
»Hm? Wie meint er das denn?«
Meine Mutter besaß keine Verbindung zur Unterwelt.
Oder?
Doch Deacon hatte keine Antwort notiert.
Und was wusste ich schon über meine Mutter? Im Gegensatz zu Callistos Mutter Hecate hatte sie sich noch nie gezeigt. Nicht einmal, als ich sie wirklich gebraucht hätte.
»Es reicht!«
Wut schoss heiß und glühend durch meine Adern. Wie im Wahn zog ich Buch für Buch heraus und warf es auf den Boden. So viele Bücher und für was?
Für nichts.
NICHTS!
Ein dicker Wälzer nach dem anderen wurde so unsanft aus dem Regal befördert, dass sogar der Boden bei jedem Aufprall leicht erbebte.
So viele nichtsnutzige Bücher, an denen Deacon keine Freude mehr haben konnte, weil er nicht mehr hier war. So viele teure Bücher und –
Gerade als ich ein weiteres Lexikon wegwerfen wollte, ergoss sich ein Schwall loser Blätter auf den Boden und verteilte sich dort.
Normalerweise hätte der Anblick von Deacons Unordnung mein Herz erweicht, aber ein Wort stach mir sofort ins Auge: Testament.
Ich ließ mich vorsichtig auf die Knie sinken. Meine Hand zitterte leicht, als ich das Blatt aufhob. Lang war das Schriftstück nicht, aber jedes einzelne Wort bohrte sich wie ein Messerstich in meinen Brustkorb.
Ich vermache mein gesamtes Vermögen meiner Verlobten Lady Euryale Kalos.
Das Stück Papier war von Deacon unterschrieben und sogar schon notariell beglaubigt worden. Er hatte das Ganze vor wenigen Wochen in Auftrag gegeben.
Das Testament schmerzte schlimmer als eine Ohrfeige. Es zeigte mir, dass Deacon keinerlei Vertrauen in mich hatte, dass ich ihn retten könnte.
Meine Wangen brannten und meine Sicht verschwamm durch die Tränen, die sich schon bald einen Weg über meine erhitzte Haut suchten.
Ich war nie als Furie geeignet gewesen.
Vor Deacon und vor allem vor Callisto mochte ich zwar die starke Kreatur der Unterwelt gemimt haben, aber tief in mir wusste ich, dass ich nur eine Blenderin war.
Die Hydra hatte mich in die Knie gezwungen und wer weiß, was passiert wäre, wenn mir beim Chimärenkampf nicht Deacon zur Seite gestanden hätte? Ganz zu schweigen davon, dass ich auch niemals Medusa in die Knie gezwungen hätte. Am Ende hatte sich die Gorgonin für meine Unfähigkeit opfern müssen.
Ich war so abgelenkt von der Tändelei mit Deacon gewesen, dass ich nicht einmal bemerkt hatte, dass sich der Riss in diesem Haus befand.
In meinem Haus.
Ich zerriss das Papier in Dutzende kleine Fetzen und schmiss sie in die Luft.
Aus meiner Kehle befreite sich ein Laut, der eine Mischung aus Schnauben und Schluchzen war. Mich interessierte Deacons Reichtum nicht. Hatte er nie. Ich wollte dieses Haus nicht, wenn ich nicht mit Deacon darin leben konnte. Ich wollte diese Bücher nicht, wenn Deacon mir nicht daraus vorlas.
Ich ertrug dieses falsche Leben mit all den schiefen Blicken und abfälligen Bemerkungen nicht ohne Deacon an meiner Seite.
Ich hatte versagt.
Verzweiflung war eine Emotion, die ich noch nie so stark spüren durfte, wie am heutigen Tag. Sie brannte nicht glühend heiß in meinem Inneren, wie meine Liebe und Wut. Nein, sie legte sich ähnlich den Tentakeln von Scylla um mich, sodass ich ungelenk auf meinen Hintern plumpste.
All meines Tatendrangs beraubt, saß ich inmitten von Deacons Büchern und Schriftstücken am Boden. Meine Tränen trockneten langsam, sodass meine Gesichtshaut selbst beim Schniefen unangenehm spannte.
Meine Tanten würden vor Fremdscham außer sich sein, wenn sie mich in diesem Moment sehen könnten. Das war nun einmal die Macht der Liebe: Sie konnte einen stärker machen – oder einen aller Kraft berauben.
Letzteres traf auf mich vollkommen zu. Apathisch hockte ich auf dem Boden und starrte blicklos auf die Briefe um mich herum.
Meine Augen verweilten etwas zu lang auf den harschen Worten, die mir regelrecht ins Gesicht sprangen. Es handelte sich um einen Briefwechsel zwischen Deacon und dem Notar, der ihm dringend davon abriet, eine Frau – in den Worten des Nachlassverwalters: irgendein dahergelaufenes Weibsstück mit zweifelhaftem Ruf – in seinem Testament als Erbin zu bestimmen.
Deacon antwortete stets höflich, aber auch abweisend kurz: Euryale hat alles verdient, was ich ihr geben kann.
Ich will, dass es meiner Verlobten an nichts mangelt.
Ihr Glück ist das höchste Gut.
»Du irrst dich, Deacon«, wisperte ich. »Dein Glück hätte dir nach all den harten Jahren mehr gebührt. Dir hätte es an nichts mangeln sollen.«
Ich schob die Blätter zu einem Haufen zusammen, da bemerkte ich etwas. Meine Finger strichen über ein kleines schwarzes Lederbüchlein. Es war so unscheinbar, dass es sofort meine Neugier weckte.
Die Seiten waren leicht gewellt durch all die Tinte, weil jemand jede einzelne Seite mit Worten und Skizzen gefüllt hatte.
Jemand?
Seine Handschrift war unleserlich und auch wenn Deacon unglaublich intelligent war, aus ihm würde nie ein Künstler werden. Er hatte absolut kein Gespür für Proportionen, wie mir eine glupschäugige Chimäre aufzeigte.
Doch Deacons schlechte Malereien rückten mehr und mehr in den Hintergrund, je weiter ich blätterte. Dieses Buch hielt all das fest, was er in den letzten Wochen über uns Halbgötter in Erfahrung gebracht hatte.
Auf einer der letzten Seiten hatte er seine Theorien zum Riss aufgeschrieben:
Der Riss des Hades scheint mir semipermanent zu sein. Denn: Warum kamen so wenige Monster daraus? Wenn meine Eltern nicht in London verweilten, gab es keine Angriffe.
Das war mir bis jetzt nicht aufgefallen …
Meine letzte Mission habe ich ja wirklich gewissenhaft erfüllt, dachte ich sarkastisch.
Wenn Atropos meine Schere dazu dient, Leben zu beenden und man ihren eigentlichen Nutzen zweckentfremdet hat, dann ergibt es durchaus Sinn, das bis jetzt nur wenige Monster entkommen sind, denn der Riss muss mehr schlecht als recht eingerissen worden sein. Dazu nehme ich an, dass man den Riss immer wieder von Neuem öffnen muss. Angenommen, unsere Welt besteht wie in den Mythen aus vielen einzelnen Fäden, die zu einem Teppich der Wirklichkeit gewoben sind, dann zerstört jeder Schnitt mehr von dem Stoff. Mit jedem Mal wird das Monster, das daraus entschlüpft, mächtiger.
Frage: Wo würde mein Vater diesen Riss öffnen? Der Ort muss abgelegen sein, allerdings nicht zu weit von London entfernt. Niemand sollte zufällig darüberstolpern, aber da Vater krank ist, kann dieser Ort auch nicht weit weg von unserem Stadthaus entfernt sein. Es muss sich also um eine Stelle handeln, die nur mein Vater betreten kann.
Ich stöhnte. »Der Keller, Deacon. Alles deutet auf einen Keller hin.«
Zudem gehe ich stark davon aus, dass mein Vater niemals die Absicht hatte, die Monster freizulassen. Ihm ging es um etwas anderes: Den Tod auszutricksen.
Nachdem er meinen Onkel und höchstwahrscheinlich auch meinen Großvater getötet hatte, verhielt mein Vater sich wie ein Monster. Euryale meinte, dass die Magie von Reliquien Menschen ohne göttliches Blut verändere und das machte ihn zu einem noch schrecklicheren Menschen – bis ich seinen Lebensfaden aus einem dunklen Impuls heraus beschädigte. Vielleicht konnte er durch die exzessive Verwendung der Schere sehen, dass seine Zeit sich dem Ende zuneigte, und er versuchte alles, um dem Tod zu entkommen.
Das sind selbstverständlich nur Vermutungen und ich erhebe keinen Anspruch darauf, dass sie die Wirklichkeit abbilden.
Die Motive meines Vaters interessieren mich nicht. Es ist ironisch, dass ausgerechnet sein selbstsüchtiges Handeln mich zu Euryale geführt hat.
Ich würde alles wieder genauso durchleiden, wenn es bedeutet, dass ich so zumindest einige wertvolle Tage mit ihr habe.
Euryale ist all den Schmerz wert.
Mit brennenden Wangen klappte ich Deacons Notizbuch zu. Mein Herz trommelte wild in meiner Brust und dazu gesellte sich dieses aufgeregte Gefühl in meinem Bauch, welches sich wie das Winden Dutzender Schlangen auf meiner nackten Haut anfühlte. Ich hatte Schlangen in meinem Bauch.
Darum tat es umso mehr weh, als mir wieder bewusst wurde, dass ich alleine war. Dass niemand da war, der diese schmerzvolle Stille mit mir teilte.
»Durch das Buch fühlt es sich fast so an, als würde er mit mir reden«, murmelte ich und schlug es auf der ersten Seite auf.
Liebste Euryale, stand dort zu meiner großen Überraschung, wenn dir meine Notizen in die Hände fallen, dann bedeutet das, dass mir etwas zugestoßen ist oder du zu neugierig bist. Letzteres würde ich begrüßen, aber Tragödien sind dort, wo wir herkommen, weit verbreitet.
Ich gehe stark davon aus, dass es mit der Verfärbung deines Lebensfadens zu tun hat, den ich mit großer Sorge beobachte.
Wenn du diese Notizen liest, dann habe ich es geschafft und du bist in Sicherheit vor dem, was dein Leben bedroht.
Mit diesem Notizbuch will ich dir hilfreich zur Seite stehen, egal, wo dein weiterer Weg dich hinführen will. Es ist dein Weg, aber wenn du es willst, dann lass ihn zu unserem Weg werden.
Ich weiß, dass sich unsere Wege wieder kreuzen, wenn wir es beide wollen.
Ich glaube an dich, Euryale.
In ewiger Liebe
Deacon
Nachdem ich Deacons persönliche Nachricht gelesen hatte, blinzelte ich die Worte lange an. Ich wartete darauf, dass sie sich veränderten. Ich erwartete, dass ich mir das alles eingebildet hatte.
Ich war … verwirrt, um es milde auszudrücken.
Wenn Deacon an mich glaubte, warum existierte dann dieses Testament? Dieses Schriftstück, das deutlich signalisierte, dass Deacon alle Hoffnung aufgegeben hatte.
Warum hatte er mir den Verlobungsring dann nicht persönlich an den Finger gesteckt? Warum hatte er mir einen Abschiedsbrief geschrieben?
Ich sollte nicht länger über Deacons Beweggründe nachgrübeln, sondern mich einfach in die Hölle begeben und ihm all diese Fragen persönlich stellen.
Nur eines wollte ich kurz vorher noch machen: Ich drückte das Buch fest an mich.
Der Ring, den mir Deacon überlassen hatte, war zwar wunderschön anzusehen, aber er war nur ein Stück Metall. Dieses Buch roch wie Deacon. Der Ledereinband erinnerte mich an seine Handschuhe, an seine Hände, die mich liebkosten.
»Keine Zweifel mehr«, versprach ich mir – und Deacon.
Ich erhob mich vom Boden, nur um das Ausmaß meiner Verzweiflung in Form von auf dem Boden herumliegenden Büchern vorgeführt zu kriegen.
»Deacon wird schimpfen, wenn er zurückkommt und das hier vorfindet«, sagte ich und stellte ein Buch nach dem anderen wieder ins Regal. »Die Ecken der Bücher waren schon vorher angeschlagen, falls Deacon mich das fragt. Hm. Vielleicht sollte ich mich im Ernstfall entkleiden, um ihn abzulenken.«
Ich bückte mich gerade nach dem Lexikon, als mir noch etwas auffiel. Zuerst hatte ich es übersehen, weil mir der Geduldsfaden nicht nur gerissen, sondern regelrecht explodiert war. Deacon hatte das letzte Wort des Lexikon-Eintrages mehrfach eingekreist:
Circe (Κίρκη): Die Zauberin Circe war die Tochter des Sonnengottes Helios und der Okeanide Perse. Circe war bekannt für ihre Fähigkeit, mithilfe von Zaubersprüchen und Kräutern Menschen in Tiere zu verwandeln. Berühmtestes Beispiel ist die Odyssee von Homer, in der sie die Männer des Seefahrers in Schweine verwandelte.
Sie lebte auf der mythischen Insel Aiaia.
»Sie lebt auf der Insel Aiaia«, wiederholte ich mit bebenden Lippen.
Aiaia.
Die Insel meiner Mutter.
Die Insel, die ihren Namen von den Schreien der im Tartaros gequälten Seelen erhalten hatte.
Ein Tor zur Unterwelt befand sich genau dort.
Das war mein einziger Hoffnungsschimmer. Ohne den Riss existierte in England kein Zugang zur Unterwelt. Die Schere der Schicksalsgöttin Atropos – Deacons Reliquie – hatten meine Tanten mit ihrem eigentlichen Besitzer in den Hades gebracht. Einerseits war dies positiv zu bewerten, da dadurch kein weiterer Mensch von der Magie des Gegenstandes beeinflusst werden konnte, aber so blieb mir als nächster Schritt nur der Weg zurück in meine Heimat.
»Gut. Dann brauche ich nur noch eine Schiffsfahrt nach Aiaia zu organisieren.« Ich stemmte die Arme in die Hüfte. »Auf eine Insel, die laut den Atlanten in Deacons Sammlung nicht einmal existiert.«
Doch auch wenn ich mich nicht daran zu erinnern vermochte, eines war gewiss: Ich musste auf dieser sagenumwobenen Insel von Circe geboren worden sein. Die schroffen Klippen und der Duft von salziger Gischt schienen tief in meinem Inneren widerzuhallen, als gehörten sie untrennbar zu meiner Seele. Nur weil kein Sterblicher es gewagt hatte, ihren Boden seit unzähligen Jahrhunderten zu betreten, bedeutete das noch lange nicht, dass Aiaia in den Nebeln der Zeit verloren war. Nein, ich fühlte es – sie existierte, mit all ihrer unheimlichen Pracht und den uralten Geheimnissen, die sie hütete.
»Ich sollte umgehend Callisto informieren.«
Ich schaffte gerade noch zwei Schritte zur Tür, ehe meine Sicht verschwamm und alles um mich herum schwarz wurde.
Schlangen waren Kaltblüter.
Das musste ich bereits als Kind lernen, da die Gorgonen Euryale die Ältere und Stheno als Schlangenkreaturen ebenfalls in diese Kategorie fielen. Sie passten sich der Umgebungstemperatur an, während ich so sehr fror, dass meine Zähne unentwegt klapperten und meine Lippen blau wie Matis wurden.
Als sie das reichlich spät bemerkten, nahmen sie mich zum Schlafen in ihre Mitte. Kalt war mir weiterhin, aber das Gefühl ihrer Klauen, die über meine Haare strichen, und wie ihre Schwanzspitzen sich um meine Fußknöchel wanden, war wundervoll.
Es kümmerte mich nicht, ob mein Gegenüber warme Haut oder die Kälte eines Steines besaß, mir war nur wichtig, wie diese Person mich in den Armen hielt.
In den letzten Wochen hatte ich mich an Deacons Nähe in meinem Bett gewöhnt. An seinen herben Geruch nach Leder und Leim. Sein warmer Körper dicht an meinem. Wie er mich hielt, als wäre ich so wertvoll wie das Goldene Vlies. Oder sogar noch kostbarer.
Beinahe konnte ich spüren, wie er seine großen Hände um meine Taille legte, um mich im Halbschlaf näher an sich heranzuziehen.
Ich kicherte leise, als er anfing, meinen Hals mit trägen Küssen zu bedecken. Doch lange dauerte es nicht, bis das Feuer in meinem Bach anschwoll, ich meine Finger in seinem Haar vergrub und meine Beine zwischen seine schob, um ihm noch näher zu sein. Ich musste Deacon einfach spüren, weil … Weil …
Warum rechtfertigte ich mich?
Ich legte eine Hand an seine Wange und zog ihn zu einem langen Kuss heran. Deacon wirkte kurz überrumpelt, bevor er den Kuss voller Leidenschaft und Verlangen erwiderte.
Auf einmal befreite sich ein komischer Laut aus meiner Kehle und mir wurde klamm ums Herz. Die Erinnerungen holten mich ein.
Der Riss. Meine Tanten.
Deacons Entführung.
Das hier war nicht die Wirklichkeit.
Doch er fühlte sich so wirklich an. Sogar sein Herz klopfte im Gleichtakt mit meinem.
Deacon schien im selben Moment Ähnliches zu bemerken.
»Euryale?«, fragte er. Seine goldenen Augen weiteten sich. »Bist du das?«
Im Gegensatz zu ihm konnte ich nicht einmal ein Wort formulieren.
Das hier musste doch ein Traum sein!
Bevor Deacon und ich unsere Liaison begonnen hatten, hatte ich auch oft von ihm geträumt. Beispielsweise, dass wir uns auf einem Ball begegneten, er mich in einen leeren Gang zog und an die Wand drückte. Meist wachte ich auf, ehe wir uns dem körperlichen Vergnügen hingaben, und ich musste mir dann selbst Erleichterung verschaffen.
»Euryale!«
Seine Stimme veränderte sich, wurde heller, während seine Augen sich verdunkelten. Seine Haare wuchsen.
»Euryale! Geht es dir gut?«
»Deacon?«, murmelte ich und spürte einen kalten Stich im Herzen. Sein Duft und seine Wärme verschwanden, ebenso wie unser Herzschlag.
Natürlich hatte es sich nur um einen Traum gehandelt.
Vor meinen Augen formten sich die scharfen Gesichtszüge einer jungen Frau mit dunklen Augen. Ihr Herz schlug sehr langsam, fast schon träge, als würde es vor jedem Pumpen überlegen, ob es nicht doch lieber den Dienst versagte.
»Hach, Euryale.« Zwei Arme umschlossen mich und zogen mich in eine feste Umarmung. »Er ist fort.«
Sie roch nach Belladonna und Rose, darunter lag der süßliche Geruch des Todes.
Callisto.
»Was ist passiert?«, fragte ich verwirrt.
Das Letzte, an das ich mich vor dem seltsamen Traum erinnern konnte, war, dass ich mich durch Deacons Bücher gewühlt hatte.
Mit einem leisen Keuchen schreckte ich auf. Wo war Deacons Notizbuch? Ich brauchte es.
Zum Glück erspähte ich es schnell: Es lag noch auf meinen Röcken. Erleichtert drückte ich es mir an die Brust, aus der auch noch immer das leuchtend rote Band ragte.
»Ich wollte gerade nach dir sehen, als ich dich am Boden liegend aufgefunden habe«, erklärte Callisto. »Womöglich hattest du einen Schwächeanfall.«
»Schwächeanfall!«, zischte ich beleidigt, obwohl sie mit dieser Aussage wohl genau ins Schwarze getroffen hatte.
Mein ach so menschlicher Körper flehte mich um Ruhe und Schlaf an. Mein Kopf pochte. Meine Wangen glühten. Mir war ganz flau im Magen.
Ich wollte aufstehen, mich aus Callistos Umarmung befreien, aber mein Körper gehorchte mir nicht.
»Wie geht es dir?«, fragte Callisto besorgt, so als wäre sie wirklich meine ältere Schwester, die ihre Pflichten als Aufpasserin niemals vernachlässigte.
Sie strich mir eine feuchte Strähne aus dem Gesicht. Hatte ich geschwitzt?
Statt mich zu Wort kommen zu lassen, sagte sie: »Willst du mit der Kutsche nach Hause fahren? Cecilia und ich kümmern uns um den Rest. Wir haben noch gut eine Stunde, bevor die Sonne aufgeht und Cecilia sich schonen muss.«
»Von welchem Rest sprichst du da?«, fragte ich. »Warum ist Cecilia hier?«
Auch wenn meine treue Freundin als blutsaugende Lamia – oder Vampyr, wie man die Untoten hier nannte – Gefallen an Blut und Tod fand, so war sie mit Sicherheit nicht so makaber, sich am Tod von Earl und Lady Haworth zu ergötzen.
Und was Tratschereien anging, bevorzugte sie eher die der skandalösen Art, bei welcher adlige Damen in Vorbereitung auf ihre Vermählung nachts in Gärten oder Salons pikante Geheimnisse austauschten.
»Ich habe eine Krähe nach Cecilia geschickt, weil sie sehr viel Erfahrung mit dem Verschwinden von Leichen besitzt«, erzählte mir Callisto. »In diesem Moment versucht sie den Hausangestellten einzureden, dass Deacons gesamte Familie inklusive ihm bei einem schrecklichen Brand ums Leben gekommen ist.«
Mein Kopf schoss hoch. »Was? Warum denn gleich so eine abstruse Geschichte?«
»Damit niemand die Leichen näher untersucht natürlich!« Callisto warf die Arme in die Luft. »Denkst du nicht, dass sich der Leichenbeschauer sonst fragt, warum Earl Haworths Leichnam keine Verletzungen aufweist, während die Lady des Hauses eindeutig erstochen wurde. Dann kommen noch die fehlenden Überreste von Deacon hinzu und –«
Bevor sie ihren beängstigend genauen Plan weiter ausführen konnte, sprang ich auf die Beine. Mein Körper wollte immer noch protestieren, aber ich musste verhindern, dass Cecilia Deacons Leben auslöschte.
Wir werden hierhin zurückkehren.
»Deacon lebt!«, rief ich aus. »Cecilia!«
Meine Freundin stand in der spärlich beleuchteten Eingangshalle des Herrenhauses, den Rücken zu mir. Sämtliche Hausangestellten wurden von ihrer Macht in den Bann gezogen. Ohne zu blinzeln, starrten sie die Lamia an.
Statt die Stufen hinunterzueilen, schlüpfte ich aus den Schuhen und rutschte über das Treppengeländer.
»Hör damit auf!«
»Riri?«
Cecilia drehte sich zu mir um, und ich flog regelrecht in ihre Arme, während sie keinen Schritt nach hinten wich. Cecilia verbarg nicht mehr, wie kräftig sie als Lamia war. Körperlich wäre ich ihr wohl nur knapp überlegen.
»Das mit Deacon tut mir so unendlich leid«, schniefte sie und streichelte mir über die Haare. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass er tot ist.«
»Deacon lebt«, sagte ich. »Also könntest du die Hausangestellten bitte einfach in ihre Betten schicken? Sag ihnen, dass Deacon wegen dem tragischen und unerwarteten Tod seiner Eltern aufs Land gefahren ist. Wenn er wiederkommt, muss er doch in sein Zuhause und in die Universität zurück.«
Cecilias Umarmung löste sich. Ihre blauen Augen fixierten jemanden hinter mir.
Callisto trat an mich heran. »Ich weiß, dass du ihn geliebt hast, jedoch können Menschen in der Unterwelt nicht überleben.«
»Du vergisst, er ist ein Halbgott«, wandte ich ein. »Ich selbst war schon des Öfteren im Hades. Es ist kein schöner Ort für Sterbliche, aber er trägt seine Reliquie. Niemand wird es wagen, ihm ein Haar zu krümmen.«
Deacon stammte nicht von irgendeiner niederen Gottheit ab, sondern von Atropos höchstpersönlich. Er war kein Halbgott der Unterwelt – als Sohn einer Moira über dem ganzen Götterreigen. Nicht einmal der Göttervater Zeus konnte sich über das Schicksal, das die Moira ihm webten, hinwegsetzen.
»Ich will dir deine Hoffnungen nicht nehmen, Euryale.« Callisto seufzte schwer und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die drei Furien unerbittliche Jägerinnen sind. Wenn sie einen Auftrag haben, dann führen sie ihn aus. Die Konsequenzen sind ihnen egal.«
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Ich weiß«, zischte ich. »Ich kenne die drei schließlich am besten.«
Meine drei Tanten waren die inkarnierte Rache. Wut. Zerstörung.
Noch nie hatten sie von einem ihrer Opfer abgelassen und Deacon hatte sich vor ihnen schuldig für das Ungleichgewicht zwischen dem Diesseits und dem Jenseits bekannt. Ob ihnen aufgefallen war, dass er sie angelogen hatte?
Die drei waren zwar nicht dumm, allerdings äußerst pflichtbewusst. Nur durch den immerwährenden Vergeltungswunsch von Menschen und Göttern konnten sie ihre körperliche Form so leicht beibehalten.
Womöglich quälten sie ihn, während ich mit Callisto und Cecilia unnötige Zeit fürs Plaudern verschwendete.
Ich deutete auf den leuchtend roten Faden in meiner Brust. »Da ist wohl der größte Beweis für Deacons Unversehrtheit.«
»Du besitzt wirklich einen eindrucksvollen Busen«, lächelte Cecilia scheu. »Ich bin ein bisschen neidisch.«
Callisto schnaubte und verschränkte die Arme vor ihrem Brustkorb. Warum war sie nun beleidigt?
»Seht ihr ihn nicht?«, fragte ich die beiden Frauen.
Callisto hob nur eine Augenbraue. »Wen sollen wir sehen?«
»Den Faden.«
»Mein natürlicher Feind: schlechtes Nähwerk.« Cecilia schnalzte mit der Zunge. »Lass mich mal sehen. Und bitte nenn mir den Namen des Geschäftes, damit ich dort niemals einkaufe.«
»Nein! Ihr versteht das falsch.« Ich legte meine Finger auf das rote Band, welches sich nach wie vor warm anfühlte. »Hier. Das ist ein Faden, der mich mit Deacon verbindet. Ich spüre ihn.«
Cecilia blinzelte mehrmals verdutzt.
»Du meinst, du siehst einen Faden, ähnlich wie Deacon es konnte?«
Ich nickte.
»Unsere Lebensfäden siehst du nicht?«
Ich schüttelte den Kopf.
Von Deacon wusste ich, dass Callistos eigener Faden golden sein musste. Für jedes Wesen aus ihrer untoten Dienerschar besaß sie einen in schwarz, der sich um ihre Finger wickelte, wie bei einem Puppenspieler.
Da Cecilias Leben schon vor über einem Jahr durch den lebensstehlenden Biss eines anderen Vampyrs verwirkt worden war, sollte ich einen schwarzen Faden sehen.
Aber ich sah gar nichts.
»So eine Fähigkeit entwickelt sich nicht von einem Tag auf den anderen«, sagte Callisto kühl. »Circe ist eine mächtige Göttin, dennoch bin ich sicher, dass so etwas nicht aus ihrem Repertoire stammt.«
»Ich«, begann ich aufbrausend, stoppte dann aber zugleich.
Callistos ständige Einwände brachten mein Blut zum Brodeln, nicht nur, weil ich Widerworte zutiefst verabscheute, sondern weil ich ihre Zweifel nur allzu gut nachvollziehen konnte. In den letzten Stunden hatte ich das alles selber durchlitten.
Wenn sie mir schon nicht glaubte, dass ein ominöser Faden meine Seele mit der von Deacon verband, dann würde ich Callisto etwas anderes zeigen.
»Ich bin jetzt auch eine Furie!«, verkündete ich ihnen und reckte den Kopf. »Ich kann fliegen und habe Klauen.«
Ich sprang in die Luft – und landet wieder auf beiden Füßen.
Wo waren denn nun die Flügel, die mir im Kampf gegen Medusa gewachsen waren? Diese waren keine Einbildung.
»Ich … Ich bilde mir das alles nicht ein!«, platzte es aus mir heraus.
Cecilia rückte näher an ihre Liebste heran, während sie langsam nickte. Derweilen blieb Callistos Miene unbeeindruckt.
»Ich bin nicht verrückt.« Nun klang ich verzweifelt. »Ich bilde mir das nicht ein. Ich weiß, dass Deacon lebt, und ich muss zu ihm. Ich will ihm sagen, dass ich ihn liebe und den Rest meines Lebens mit ihm verbringen will.« Ich hob meine Hand und präsentierte den beiden meinen Ring. »Ich will uns.«
Auf diese Enthüllung kreischte Cecilia laut, umarmte mich und hob mich dabei sogar vom Boden. »Herzlichen Glückwunsch! Das … Das darf ich doch sagen? War das unangemessen?«
»Ein Abstieg in die Hölle ist sehr riskant«, warf Callisto mit gerunzelter Stirn erneut ein. »Kaum ein Held aus den Sagen hat den Gang in den Hades unbeschadet überstanden.«
»Ich bin weder ein Mann, noch habe ich die Absicht eine Heldin zu sein. Ich bin eine Furie und ich will meinen Geliebten zurück.«
Mit einem schweren Seufzen ließ Callisto die Schultern hängen. »Nun denn. Das will gut durchdacht sein. Cecilia? Meine Liebe, würde es dir etwas ausmachen, wenn du die Hausangestellten der Haworths aus ihrer Hypnose löst? Ich denke, es ist eine exzellente Idee, ihnen einzureden, dass Deacon um seine Eltern trauert und deswegen einige Tage nicht in London weilt.«
»Ich werde eine wahrlich tragische Geschichte spinnen«, sagte Cecilia und zwinkerte Callisto zu. »Ich weiß genau, was die Lords und Ladys hören wollen.«
In diesem Moment brach Callistos gleichgültige Maske. Sie lächelte sanft, zog Cecilia an sich heran und küsste sie auf den Mund.
Ich musste den Blick abwenden, da mein Herz sich augenblicklich mit Neid und Sehnsucht füllte.
Bald, beschwor ich Deacon durch den Faden in meiner Brust erneut. Das rote Band summte zufrieden auf meinen Fingerspitzen. Ein angenehmes Prickeln lief mein Rückgrat hinab. Ich weiß, dass Callisto und ich beim letzten Auftrag mehr schlecht als recht zusammengearbeitet haben, aber das ist jetzt ande–«
»Einen Moment!«, rief ich aus, als mir Callistos Worte klar wurden. »Du glaubst mir also doch?«
Meine Verwunderung schien auch Callisto zu verwundern. »Natürlich.«
»Wozu dann die vielen Fragen?!«
»Ist es jetzt nicht mehr erlaubt, Fragen zu stellen?«
Mein Knurren vermischte sich mit einem lauten Stöhnen. Lange verstimmt blieb ich nicht, mein verräterischer Körper fiel dieses Mal nicht ihn Ohnmacht, sondern der anderen Halbgöttin in die Arme.
Meine Stimme war ganz dünn, als ich gegen ihren Hals ein leises Dankeschön hauchte: »Ich … danke dir.«
»Es gibt keinen Grund, mir zu danken. Ich kenne dich einfach nur sehr gut, Euryale. Ich weiß, dass du es trotz aller Bedenken tun wirst. Statt dir die Idee also auszureden, werde ich dich so gut ich kann unterstützen.«
»Wir müssen nach Aiaia.«
Zu meiner großen Überraschung nickte Callisto zustimmend. »Die Insel der Circe bietet einen perfekten Zugang zur Unterwelt. Nur … Willst du dort wirklich hin? Vielleicht lebt Circe momentan dort in einer menschlichen Gestalt.«
Daran hatte ich auch schon gedacht.
»Es geht hier nicht um mich, sondern um Deacon.«
Ich würde alles für ihn tun, auch wenn das bedeutete, mich meiner unliebsamen Herkunft zu stellen. Es war mir bewusst, dass es unschön werden würde, weil ich meine Wurzeln seit meiner Geburt verleugnet hatte.
Was würde das mit mir machen?
Welche schützenden Mauern würde das Stein für Stein niederreißen? Welche alten Wunden mussten dafür wieder zu bluten beginnen?
»Die Prinzessin von Aiaia wird heimkehren«, murmelte Callisto.
Dieser Satz allein brachte mein Herz in Aufruhr. Es war ein seltsames Gefühl, ähnlich wie ein Sehnen, doch das war verrückt. Ich kannte diese Insel nicht. Ich besaß keine Erinnerungen an meinen Geburtsort.
»Nur, wie soll ich das bewerkstelligen?«, fragte ich. »Wir beide wissen, dass es im besten Fall Wochen dauert, bis uns ein Schiff über das Mittelmeer bringt. So lange kann ich Deacon nicht den Furien überlassen.«
Callisto lächelte. »Ich kenne vielleicht eine andere Möglichkeit.«
Bereits am nächsten Tag brachen wir im Schutz der Nacht zu Callistos ominöser »anderer Möglichkeit« auf. Beim Einsteigen drückte sie dem Kutscher einen kleinen Beutel mit Münzen in die Hand und sagte mit Nachdruck: »Sie schweigen wie ein Grab über diesen Ausritt. Haben wir uns verstanden?«
Natürlich nickte der Kutscher artig. Seit Callisto die Kräfte ihrer Mutter benutzte, fühlte es sich so an, als wäre sie der personifizierte Sensenmann – und wer wollte es sich schon mit einem Todesengel verscherzen?
»Wie fühlst du dich?«, fragte Callisto, nachdem wir gut zehn Minuten in völliger Stille verbracht hatten.