Goddess of Fury 1: Dein Herz so steinern - Teresa Sporrer - E-Book

Goddess of Fury 1: Dein Herz so steinern E-Book

Teresa Sporrer

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Beschreibung

Die Ewigkeit des Hades vor Augen

Angeblich sucht Euryale in London nur einen Ehemann. In Wahrheit ist sie die Tochter einer Göttin.
Styx – der Fluss der Unterwelt – ist durchlässig geworden und gefährdet die Welt der Sterblichen. Nun ist es an Euryale, das Leck zu versiegeln. Es soll ihr letzter Auftrag sein. Erfüllt sie ihn, wird aus ihr eine Furie. Ausgerechnet Deacon, angehender Geschichtsprofessor und Euryales größter Kritiker, ist ihre einzige Hoffnung. Denn er kann die Lebensfäden der Menschen sehen. Gemeinsam stürzen sie sich in die Londoner Gesellschaft und plötzlich muss Euryale sich fragen, ob ein Leben im Hades den Preis ihrer Liebe wirklich wert ist …

Urban Fantasy im viktorianischen London. Mit Epic Tension, Enemies to Lovers und einer Menge Banter. Perfekt für Fans von griechischer Mythologie und Autorinnen wie Danielle Jensen und Jennifer Armentrout.


//Dies ist der erste Band der »Goddess of Fury«-Dilogie. Alle Romane der spicy New Adult Fantasy-Serie von Teresa Sporrer im Loomlight-Verlag: 

  • Goddess of Fury 1: Dein Herz so steinern
  • Goddess of Fury 2: Deine Seele so golden 

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Das Buch

Angeblich sucht Euryale in London nur einen Ehemann. In Wahrheit ist sie die Tochter einer Göttin.

Styx – der Fluss der Unterwelt – ist durchlässig geworden und gefährdet die Welt der Sterblichen. Nun ist es an Euryale, das Leck zu versiegeln. Es soll ihr letzter Auftrag sein. Erfüllt sie ihn, wird aus ihr eine Furie. Ausgerechnet Deacon, angehender Geschichtsprofessor und Euryales größter Kritiker, ist ihre einzige Hoffnung. Denn er kann die Lebensfäden der Menschen sehen. Gemeinsam stürzen sie sich in die Londoner Gesellschaft und plötzlich muss Euryale sich fragen, ob ein Leben im Hades den Preis ihrer Liebe wirklich wert ist …

Urban Fantasy im viktorianischen London – Bridgerton meets Greek Mythology.

Band 1 der »Goddess of Fury«-Dilogie

Die Autorin

© Privat

Teresa Sporrer hegte schon ihr ganzes Leben lang eine große Leidenschaft für Bücher: zunächst als Leserin, später auch als Bloggerin und mittlerweile ist sie selbst eine erfolgreiche Autorin. Ihre Reihe über verwegene Rockstars spielte sich in die Herzen vieler Leser:innen. Neben witzig-romantischen Lovestorys schreibt sie außerdem Fantasy-Romane über Antihelden wie ruchlose Piraten oder giftige Hexen.

Teresa Sporrer auf Instagram: www.instagram.com/teresasporrer/

Teresa Sporrer auf TikTok: www.tiktok.com/teresasporrer/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

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Viel Spaß beim Lesen!

Teresa Sporrer

Goddess of Fury

Dein Herz so steinern

Loomlight

Liebe Leser:innen,

bei Goddess of Fury – Dein Herz so steinern handelt es sich um einen fiktiven Fantasyroman, angesiedelt in einem vom viktorianischen London inspirierten Setting.

Ein Glossar für Götter, Monster und Gegenstände findest du am Ende des Buches. Die Content Warnings auf der vorletzten Seite.

Teresa und das Loomlight-Team

Für alle,

die den Mut haben,

zu lieben.

Bluttriefend beieinander, hoch erhoben,

An Wuchs und Haltung Weibern gleich, so standen

Die höllischen drei Furien stracks dort oben.

Giftgrüne Hydern ihre Gürtel banden,

Als Haupthaar Nattern sich den Unholdinnen

Und Vipern um die Schläfen dräuend wanden.

Die Göttliche Komödie – Dante Alighieri

PrologDie Reise unserer Heldin beginnt …

Als ich von oben bis unten klitschnass und mit drei abgeschlagenen Köpfen einer Hydra in der Höhle meiner Tanten erschien, erhellten sich sofort ihre alterslosen Gesichter.

Ihr begeistertes Gekreische hallte von den nackten Steinwänden wider und bohrte sich wie Eiszapfen in meinen Gehörgang.

Von ihrem Platz auf einer hohen Klippe segelte sofort meine jüngste Tante Tisi mit ihren ledrigen Fledermausschwingen herab. Sie landete nur eine Handbreit von mir entfernt, ihr kühler Atem streifte mich kurz an der Wange und augenblicklich überzog eine Gänsehaut meinen ganzen Körper. »Nur drei Köpfe?«, fragte sie mit weitaus weniger Freude und packte einen davon mit ihren Klauen.

»Es gibt nicht viele Abkömmlinge der Hydra. Ich wollte noch etwas für andere Abenteurer übrig lassen.«

Sie schnaubte und verdrehte die Augen, ehe sie den abgeschlagenen Kopf einer ihrer Schwestern zuwarf. »Als gäbe es heutzutage noch Abenteurer.«

Unter Schmerzen, die ich auf keinen Fall offen vor den Tanten zeigen wollte, steuerte ich mit den restlichen Köpfen und meinem Schwert einen bequem aussehenden flachen Stein an. Zu meinen Füßen stoben die Aberhunderten von Haustierschlangen meiner Ziehfamilie in alle Richtungen davon. Normalerweise waren sie – trotz Giftzähnen – anschmiegsame kleine Biester, aber sie spürten, dass ich mit aller Macht versuchte, die Blessuren, die mir mein letzter Auftrag beschert hatte, zu verbergen.

Wenn ich mich heilte, würde das den dreien sofort auffallen.

Bevor ich mich setzen konnte, hatte sich schon meine andere Tante an mich herangeschlichen.

»Die großen Helden wie Herakles, Orion und Odysseus sind lange von uns gegangen, mein liebstes Kind.« Tante Meggy, wie ich die mittlere Schwester liebevoll nannte, legte mir ihre kraftvollen Arme um den Brustkorb und drückte mich an ihren muskulösen Körper, der mich um zwei ganze Köpfe überragte. Ihre langen Krallen glänzten dunkel wie frisch vergossenes Blut, ein scharfer Kontrast zu meinem weißen Kleid. »Es gibt nur noch Monster wie uns.«

Monster wie uns.

Es war nicht mein gebrochenes Schlüsselbein und der Druck darauf, der mir im Moment den Atem raubte, sondern die Bedeutung ihrer nur so dahingesagten Worte.

Auch wenn ich im Gegensatz zu den drei Schwestern wie ein normaler Mensch aussehen mochte, so war mein Äußeres und meine Mortalität das Einzige, was mich mit den Sterblichen verband. Auf Letzteres hätte ich auch gut und gerne verzichten können, aber das war die längste Zeit mein Problem gewesen …

Ich sehnte mich regelrecht danach, mehr wie meine Tanten zu sein und weniger wie die Menschen, die instinktiv wussten, dass ich nicht zu ihnen gehörte. Menschen hassten das, was ich war, weil sie sich vor uns fürchteten. Diese Furcht kompensierten sie mit Wut und Hass, weshalb schon so viele, die wie ich waren, ihr Leben auf grauslichste Art lassen mussten: aufgespießt, enthauptet, bei lebendigem Leibe verbrannt …

Seltsamerweise traf dieses Schicksal meistens nur uns Frauen, während die dummen Menschen den Männern unvergessliche Oden und Epen widmeten.

»Du willst doch keine Abenteurerin sein wie diese närrischen Männer, oder?«, bohrte Tante Meggy nach, als könnte sie meine Gedanken lesen und drückte mich fester an sich. So fest, dass ich fürchtete, sie würde mir noch eine Rippe brechen. »Sie alle waren durchtriebene Kreaturen, geblendet von Stolz und Gier. Sie taten alles für Ruhm und Macht. Muss ich dir in Erinnerung rufen, was Perseus verbrochen hat? Das kannst du doch nicht vergessen haben!«

»Nein«, ächzte ich mit kaum Luft in den Lungen. Nicht einmal ein Hieb vom Schwanz der Hydra war so mächtig wie Meggys rasiermesserscharfe Zunge.

Zwar hatten meine Tanten mich aufgenommen, um mein Training zu überwachen, aufgewachsen war ich an einem anderen Ort. Nicht bei meiner leiblichen Mutter, sondern bei zwei wunderbaren Frauen, die man aufgrund ihres Aussehens Monster schimpfte. Vor langer Zeit waren sie mal zu dritt gewesen, bis einer jener Abenteurer die Jüngste und einzig Sterbliche der Schwestern getötet hatte. Und die Menschen hatten ihn für diese Tat als Held gepriesen. Pah! Held! Dass ich nicht lache!

Er hatte es nicht einmal allein bewerkstelligt. Zwei Götter und eine Gruppe wohlgesonnener Nymphen hatten ihn mit allerlei wunderbaren Gaben beschenkt, dass er sie auslöschen konnte.

Helden waren alle gleich …

»Ich will wie ihr sein«, sagte ich und versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken.

Ich wollte so sein wie meine drei Tanten.

Mächtig.

Unsterblich.

Über dieses menschliche Leben erhaben.

Ich wollte niemand sein, den man jagen und verbrennen konnte.

Ich wollte eine Jägerin sein.

»Natürlich willst du das, meine Kleine«, sagte Tante Meggy und wiegte mich wie einen Säugling sanft hin und her. In ihren Augen war ich auch nicht mehr als ein Kleinkind, denn während sie mit ihren Schwestern schon Jahrtausende auf der Welt wandelte, hatte ich gerade mein zwanzigstes Jahr auf der Erde verlebt.

»Lass sie los«, kommandierte die älteste Tante. Ihre Fledermausflügel streiften meinen unbedeckten Hals, als sie den Griff ihrer Schwester lockerte, damit ich ihr direkt vor die Füße stolpern konnte. Sie nahm mir sofort das Schwert und die anderen Köpfe aus den Händen. Hatte sie bemerkt, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte? War ich blass im Gesicht? War die Wunde auf meinen Bauch aufgebrochen und sickerte nun Blut durch meinen Chiton?

»Gab es irgendwelche Probleme?«, befragte mich Tante Alecs und musterte das Schwert akribisch. Angeekelt verzog ich das Gesicht, als sie das Blut der Hydra mit ihrer geteilten Zunge von dem Metall leckte. »Außer, dass du unsere Anweisung, uns die Köpfe der Hydra zu bringen, anders ausgelegt hast. Eigentlich wollten wir alle Köpfe, aber das muss ich dir nicht sagen. Du hast es dir leicht gemacht.«

Als meine Tante das ansprach, blitzten die Bilder der letzten Stunden vor meinem inneren Auge auf: Tagelang hatte ich nach der Kreatur gesucht, hatte nach verendetem Vieh und zerstörtem Land Aussicht gehalten, bis ich nahe einer abgelegenen Moorlandschaft auf eine Fährte gestoßen war. Anders als ein bestimmter Held wollte ich diese Hydra in ihrem Schlupfwinkel überfallen, damit ich unbemerkt von den Menschen mein Werk vollenden konnte. Und dies war der Fehler gewesen, der mir beinahe den Hals gekostet hätte. Kaum hatte ich die versteckte Höhle der Hydra betreten, hatte mich das Mistvieh von hinten überrascht. Bevor ich mit meinem Schwert ausholen oder nach meinem Athame greifen konnte, hatte es mich mit ihrem Schwanz am Knöchel gepackt und mit voller Kraft gegen eine Höhlenwand geschleudert.

Als sie mich für bewegungsunfähig hielt und sich gerade meinen Schädel aufschlagen wollte, hatte ich ihr blitzschnell mein Athame ins Auge gerammt. Der Schmerz hatte das Monster kurz ablenken können, sodass ich endlich die Oberhand in der blutigen Auseinandersetzung zurückgewinnen konnte. Allerdings war etwas Gift durch eine offene Wunde in meinen Körper gelangt und mir war davon schwindelig und übel geworden. Keine gute Voraussetzung für einen gerechten Kampf, nichtsdestotrotz hatte ich es taumelnd und schwitzend geschafft, drei Köpfe abzuschlagen und die blutenden Wunden mit magischem Feuer zu versengen, sodass sie nicht nachwachsen konnten. Danach war mir nichts anderes übrig geblieben, als wie ein Feigling vor der Schlange zu fliehen und mich in Sicherheit zu bringen, bis Schwindel und der Schmerz gebrochener Knochen nachließen und ich wieder klar denken konnte.

Drei Köpfe.

Nicht mehr als drei Köpfe hatte ich von dem Mistvieh ergattern können, weil es mich sonst eiskalt umgebracht hätte.

Am Ende war ich dann doch sterblicher, als es mir lieb war.

Sterblich und schwächer als die so von mir verachteten Helden der Geschichte. Selbst Herakles hatte eine Hydra erledigen können und dieser besaß nicht die vererbten Fähigkeiten meiner Mutter.

Ich konnte von Glück sprechen, dass das Blut meiner Mutter stark in mir war und ich selbst ohne Magie sehr schnell heilte. Auch wenn ich das gebrochene Schlüsselbein, die angeknacksten Rippen und die zerschmetterte Kniescheibe immer noch bei jedem Atemzug spürte.

»Die Hydra hat mich vergiftet«, gestand ich meinen Tanten dann schlussendlich doch. »Dadurch konnte sie mir entkommen.«

Normalen Menschen war es fast unmöglich, meine Tanten zu belügen, aber da ich, schon seit ich sechs war, bei ihnen lebte, konnte ich meinen Puls und Atmung so kontrollieren, dass Lügen wie die Wahrheit klangen.

»Du bist immun gegen fast alle Gifte«, warf Tante Alecs ein. Die geteilten Pupillen lagen aufmerksam auf mir. »Dafür haben wir gesorgt.«

Mit einem Schaudern erinnerte ich mich an ihre Methode, mich gegen beinah jedes Gift zu wappnen: die stetig größeren Dosen Gift, die sie mir bereits als Kind verabreicht hatten, von denen ich mich regelmäßig übergeben musste oder gar bewusstlos wurde.

Für meine Tanten war Gnade ein Fremdwort. Stattdessen diskutierten sie jedes Mal lautstark darüber, wie Prometheus Menschen als solch fragile Wesen erschaffen konnte, während ich in einem schier nie endenden Albtraum zwischen Leben und Tod gefangen war, mein Körper abwechselnd von Fieberkrämpfen und Schüttelfrost heimgesucht wurde.

»Dennoch kann bestimmtes Gift Nebenwirkungen herbeiführen. Nur weil ich daran nicht sterbe, bedeutet das nicht, dass es mich nicht schwächt«, erinnerte ich die drei. »Ich wollte noch die restlichen Köpfe einsacken, aber das Monstrum ist geflüchtet.«

Was die Wahrheit war, wenn man das Monstrum in diesem Fall mit mir gleichsetzte.

Mit einem koketten Lächeln auf den spröden Lippen ließ ich mich auf den Stein plumpsen. Der Schmerz explodierte hinter meinen Augen und nur mit Mühe konnte ich mich bei Bewusstsein halten. »Wenn ihr die restlichen Köpfe wollt, muss ich es erneut aufspüren«, sagte ich kühl. »Das wird jedoch wieder einige Tage in Anspruch nehmen und es hat sich so angehört, als wäre der nächste Auftrag dringend.«

Immer noch lächelnd verschränkte ich die Arme vor der Brust. Mein ganzer Körper schrie nach einem Heilzauber – oder zumindest einem warmen Bad.

»Dann los«, meinte Tante Meggy und bohrte mir auffordernd den Griff des Schwertes in die Brust. »Bringe uns die übrigen sechs Köpfe.«

Mit einem Schlag wich das Blut aus meinem Gesicht und meine Finger begannen zu zittern. Ich konnte das nicht noch einmal tun. Ich konnte nicht noch einmal fünf Tage durch halb Griechenland wandern, in jede Höhle kriechen und hoffen, dass der Dung, in dem meine nackten Füße versanken, von einer menschenfressenden Wasserschlange stammte.

»Na, jetzt hab dich nicht so!« Tante Tisi entriss ihrer Schwester das Schwert und schleuderte es achtlos gegen die Höhlenwand, wo es wie eine Nadel in einem Nadelkissen einfach stecken blieb. »Du hast den Auftrag auch wirklich schwammig formuliert, meine Liebe. Unsere kleine Kriegerin hat uns drei Köpfe gebracht und die Hydra ist vor ihr geflohen. Das reicht doch vollkommen aus. Was würde uns auch eine tote Hydra nutzen? Das war doch alles nur eine Prüfung.«

Bei der Erwähnung der Prüfung horchte ich auf. Mein Herz begann schneller zu schlagen und die Angst und die Schmerzen waren auf einmal wie weggewischt. Mein göttliches Blut summte euphorisch in meinen Adern.

Schon seit meine drei Tanten auf einer Bewährungsprüfung für meine nächste Aufgabe bestanden haben, wusste ich, dass dies mein letzter Auftrag dieser Art sein würde. Mir wurde heiß, wenn ich daran dachte, dass ich bald für immer eine der Ihren sein würde.

»Na gut«, lenkte Tante Meggy ein. »Da magst du wohl recht haben. Hol Feuerholz und mach einen Eintopf damit«, befahl sie ihrer stillen Schwester, die sie daraufhin nur erbost anfauchte. »Heute Abend feiern wir, dass unsere Kleine den letzten Auftrag ihres sterblichen Lebens antreten wird.«

Letzter Auftrag, hallte es in meinem Kopf wider. Mein letzter Auftrag!

Das war das, was ich wollte.

Jahrelang hatte ich auf diese Worte aus dem Mund meiner strengen Tante gewartet.

Die Aufregung ließ mich jeden Schmerz vergessen, als ich aufsprang und mich vor meinen Tanten in den Dreck kniete.

»Ich dan–«

Mit einer Handbewegung schnitt mir Tante Alecs die Worte ab. »Dein Dank ist hier fehl am Platz«, stellte sie mit kalter Stimme klar. »Das ist deine letzte Aufgabe als Anwärterin. Das bedeutet auch, dass sie schwieriger ist als alles andere, was du bis jetzt tun musstest. Dein Versagen könnte ernsthafte Konsequenzen mit sich bringen.«

Eifrig nickte ich. »Das ist mir durchaus bewusst.«

Meine Tante legte ihre Stirn in tiefe Falten. »Für meinen Geschmack strahlst du mir dafür etwas zu sehr. Das ist kein Spaß. Ganz im Gegenteil, das ist –«

»Eine Aufgabe, wie geschaffen für unsere Kleine«, unterbrach Meggy ihre Schwester. »Das wolltest du doch sagen, oder irre ich mich da?«

Zischend erwachten die dunkelvioletten Schlangenhaare von Alecs zum Leben. Aufgebracht schnappten die Köpfe der Reptilien in die Richtung der mittleren Schwester.

Diese zeigte sich von dem giftigen Speichel, der in ihre Richtung flog, mehr als unbeeindruckt. »Spar dir die ganzen Belehrungen und erkläre ihr einfach, was sie tun muss. Hab etwas mehr Vertrauen in unsere kleine Kriegerin!«

Tatsächlich brachte diese Aufforderung Alecs’ mich kurz zum Zögern.

Bis auf meinen kleinen Fauxpas mit der Hydra hatte ich meine Tanten noch nie enttäuscht: Ich war im Kaukasusgebirge zu Prometheus’ letztem Ruheort hochgeklettert, um für meine Tanten nachzusehen, ob dort oben noch irgendwelche Besitztümer des Titanen lagen. Die Sinnhaftigkeit dieser Aufgabe hatte ich nie infrage gestellt. Ich tat, was man von mir erwartete.

»Nun gut.« Tante Alecs faltete die klauenbehafteten Hände vor der Brust. »Hör mir gut zu: Du wirst morgen früh mit einem Passagierschiff weit hoch nach England reisen.«

Es war nicht das erste Mal, dass mich ein Auftrag aus meiner Heimat führte, aber noch nie hatte ich einen Schritt über das Meer gesetzt. Was mich wohl für eine Aufgabe erwartete? Was sollte ich auf einer Insel, die die Götter meiner Heimat nicht einmal aufsuchen konnten?

Tante Tisi raunte mir ins Ohr: »Meinen herzlichen Glückwunsch: Ab heute bist du eine vornehme Lady der englischen Gesellschaft, meine allerliebste Euryale.«

1. KapitelUnsere Heldin ist auf Abwege geraten

Ein halbes Jahr später …

Ich erwachte in einem mir unbekannten Raum.

Schon bevor ich die Augen aufschlug, drangen mir fremde Gerüche in die Nase, die mich vorwarnten, dass ich mich nicht in Callistos Anwesen befand. In ihrem Haus roch es stets nach Lilien, Stechapfel und Tollkirsche, sosehr sie auch den Geruch der zwei Giftpflanzen mit teurem importiertem Parfüm aus Frankreich zu übertünchen versuchte. Dieser Raum beherbergte ein zartes, aber dennoch intensives Odeur nach verbranntem Holz.

Mein Körper lag auf einer weichen Matratze und eine teure Daunendecke hüllte mich wärmend ein.

Keine direkte Gefahr.

Ohne jegliche Hast öffnete ich meine Augen.

Innerhalb weniger Wimpernschläge erfasste ich meine Lage: Ich befand mich in einem riesigen Bett mit Baldachin aus burgunderrotem Brokatstoff, welches in einem noch viel opulenterem Schlafzimmer stand: Die dunkle Einrichtung wirkte massiv und war stilvoll mit reichlich Blattgold verziert. Die eindrucksvollen Ornamente waren handgefertigt in das dunkle Holz gekerbt.

Zugegeben, dieses Zimmer ähnelte meinem vorübergehenden Reich sehr und ich fragte mich zum wiederholten Male, warum jeder diese albernen Porzellanfiguren sammelte. Die Figuren in meinem Schlafzimmer waren noch viel unheimlicher, sodass ich ihre Köpfe zur Wand gedreht hatte.

Mir fehlten in diesem Raum auch die Schwerter und Äxte, die ich an der Wand angebracht und womit ich Callisto beinahe in die Ohnmacht getrieben hatte. Stattdessen hingen dort jetzt die schrecklichsten Tapeten: hellblaue Pfaue auf hellrotem Hintergrund? Pfui!

Selbst der blinde Seher Teiresias hätte eine passendere Farbkombination gewählt!

Oh, und diese große Hand an meiner Hüfte schien auch nicht zu mir zu gehören.

Langsam erinnerte ich mich auch wieder an die Geschehnisse der letzten Nacht: Nach viel zu viel Absinth war ich nach der gestrigen Mumienparty irgendeinem Lord in sein opulentes Anwesen gefolgt und den Rest der Geschichte erzählte das zerknüllte Kleid auf dem Boden und der warme nackte Körper, der sich für meinen Geschmack etwas zu eng an meinen schmiegte.

Dem gleichmäßigen Atem nach schlief mein Bettgenosse noch, weshalb ich beschloss, ihn etwas länger in Morpheus’ Reich zu belassen.

Es war ein Leichtes, unbemerkt aus dem Bett zu schlüpfen. Jemand wie ich, der sich schon an einem Zentauren und Zyklopen vorbeigeschummelt hatte, schaffte es doch locker an einem alkoholisierten Menschen vorbei!

Während ich mein viel zu langes, viel zu enges und viel zu teures Kleid und all diese unnötigen Accessoires in Gestalt von Handschuhen und Fächer aufsammelte, welche mehr als Verkleidung fungierten, rügte ich mich in Gedanken selbst.

Das war kein Ausrutscher. Das war bei Weitem nicht zum ersten Mal passiert – und wie ich mich kannte, würde es nicht das letzte Mal bleiben.

Nur hatte ich mir geschworen, in Zukunft noch etwas vorsichtiger zu sein, weil Callisto mir unentwegt in den Ohren lag, dass anständige Frauen so etwas nicht tun würden.

Aber ich war nun einmal keine anständige Frau.

Allerdings musste ich momentan die anständige Tochter aus gutem Hause spielen, weshalb ich mich auch wieder in das burgunderrote Kleid zwängte, obwohl ich am liebsten nackt aus dem Raum marschiert wäre und mich für die nächsten Stunden in eine Badewanne gelegt hätte.

Als ich mich herabbeugte, um meine Schuhe aufzusammeln, hätte ich beinahe laut aufgestöhnt: Irgendwie hatte ich es in der gestrigen romantischen Rangelei wohl fertiggebracht, den ganzen Inhalt meines Ridiküls auf den Boden auszuleeren. Schnell steckte ich Kamm und Spiegel zurück an ihren Platz, bevor meine Hand viel zu lange auf meinem Athame verharrte.

Mein Magen verkrampfte sich. War ich dieses Mal vielleicht doch zu waghalsig gewesen? Hatte mein namenloses Abenteuer das Messer bemerkt?

Wenn ich eines in den letzten Wochen gelernt hatte, dann, dass englische Männer Schnappatmung bekamen, wenn Frauen einen anderen spitzen Gegenstand in der Hand hielten als eine Nähnadel.

Ich wollte gerade in meine Schnürstiefel schlüpfen, als ich unerfreuliche Geräusche vernahm. Zwei aufgeregte Frauenstimmen steuerten direkt dieses Zimmer an.

»… hat wohl eine Frau mitgebracht …«

»… ein Freudenmädchen? Dass er sich so etwas traut!«

»Danach sah sie zwar nicht aus …«

Im gleichen Moment, als an der Tür geklopft wurde, warf ich mich rücklings aus dem Fenster. Die Angestellten mussten wohl noch die Spitze meines nackten Fußes erblickt haben, denn sie kreischten erschrocken auf.

Noch bevor die zwei Hausmädchen die Köpfe aus dem Fenster recken konnten, hatte ich mich schon geschickt hinter einem Erker versteckt und linste zu den Frauen hinauf. Nicht auszudenken, welchen Wirbel sie erst veranstalten würden, wenn sie mich erwischt hätten!

»War … War das etwa ein Geist?«, kreischte eine der Frauen, die kaum älter als ich sein konnte. Beide trugen langweilige dunkelblaue Dienstmädchenuniformen, die ihre weiße Haut und blonden Haare betonten. Bei den weißen Häubchen musste ich mir immer noch ein Lachen verkneifen. Ich konnte fast das Gegacker meiner Tanten hören.

»Du meinst … Doch nicht etwa die Graue Frau von Black-thorn Hall!«

Die zweite Hausangestellte nickte mit erbleichtem Gesicht, als sie düster erzählte: »Im Jahre 1694 nach Rechnung unseres Herren und Erlösers«, um die Situation noch dramatischer zu machen, bekreuzigte sie sich, »lebte hier Hausherr Black-thorn mit seiner Frau. Diese betrog den Adeligen mit einem einfachen Diener, worauf Lord Blackthorn seine Frau angeblich bei lebendigem Leib einmauerte.«

Nun bekam ich auch ein mulmiges Gefühl im Bauch. Geister waren realer, als so mancher Mensch es sich vorstellen mochte. Ich hatte auf Geheiß meiner Tanten schon den ein oder anderen Poltergeist ausgetrieben und war dabei nicht selten ganz schön zugerichtet worden.

»Was soll dieses nervige Geschrei am Morgen?«

Die männliche Stimme war mein Zeichen, die zwei restlichen Stockwerke zu Boden zu hüpfen und mich hinter der Statue einer Nymphe zu verstecken.

»Halt das mal, Cousinchen«, meinte ich zu der Stein-figur und hängte ihr mein Ridikül um, während ich in meine Schuhe schlüpfte. Danach fischte ich Kamm und Spiegel heraus, um die verräterischen Anzeichen der gestrigen Nacht zu beseitigen.

Den unerlässlich bohrenden Blick der Steinnymphe spürte ich die ganze Zeit über, während ich mein dickes gelocktes schwarzes Haar mit einem zarten Elfenbeinkamm zu bändigen versuchte.

»Ich weiß, was du jetzt sagen willst«, plauderte ich nett mit der Figur der Nymphe. »Du willst sagen: Du bettelst ja förmlich darum, dass du erwischt wirst.«

Wenn mir dieser Auftrag misslang, dann würde ich vielleicht erst in einem oder zwei Jahrzehnten wieder die Möglichkeit bekommen, mich als würdig zu beweisen.

»Wenn Callisto nicht absolut unzuverlässig wäre«, brummte ich missmutig. »Was soll ich auch die ganze Zeit tun? Sticken? Ich bitte dich. Ich bin eine Schwertmeisterin! Oh, oder soll ich Schach spielen? Warum macht es noch mal Spaß, so kleine Figuren herumzuschieben? Lesen? Ja, mit wem soll ich mich über das Gelesene unterhalten? Mit Deacon?« Ich lachte laut auf. »Partys und Sex sind das Einzige, was mir hier Spaß bringt.«

Die Nymphe blieb stumm.

»Ich frage mich ja, ob eine der Gorgonen dich in Stein verwandelt hat oder ob du wirklich nur eine gewöhnliche Statue bist.« Ich legte den Kopf schief und musterte sie in der Hoffnung, einen verräterischen Riss zu erkennen. »Du musst wissen, ich kenne die beiden sehr, sehr gut.«

Bevor mein Herz noch schwerer durch Heimweh – oder ich wirklich noch von einem Angestellten des Hauses erwischt – wurde, kletterte ich an einer der Hecken hoch und sprang sprichwörtlich in das städtische Leben zurück.

2. KapitelDie mutige Heldin und ihre treue Freundin

Schneller als mir lieb war, ließ ich die zumindest teils von Grün durchzogene Vorstadt Londons hinter mir. Der Himmel der Metropole begrüßte mich gewohnt grau, was mich dazu brachte, die strahlendblauen Morgen in Griechenland zu vermissen. Beinahe konnte ich die wärmenden Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht fühlen, weshalb ich lächelnd das Haupt hob. Die Ernüchterung folgte zugleich, als eine Kutsche mich fast über den Haufen fuhr. Im letzten Moment konnte ich rettend zur Straßenseite springen.

»Pass doch auf, dummes Weibsstück!«, wurde ich sofort von dem freundlichen Kutscher angepöbelt.

Durch diesen Vorfall kehrte ich wieder in die triste Wirklichkeit zurück: Ich befand mich immer noch in London und auf den morgendlichen Straßen herrschte bereits reges Treiben. Die Arbeiter verließen ihre Häuser, um ihrer Beschäftigung in den Fabriken nachzugehen. Die gehobenere Schicht lag noch im Bett und wurde erst jetzt von ihren Angestellten geweckt.

Völlig unbeeindruckt von dem Starren der Menschen marschierte ich die Straßen entlang. Der Geruch nach Pferd, Kohle und Rauch vertrieb auch noch die letzten Erinnerungen an meine sonnengeküsste Heimat.

Ich wedelte den ekelhaften Gestank mit meinem Fächer weg.

Wie lange war ich schon hier im grauen, tristen, stinkenden London? Sechs Monate? Und wie lange würden mich meine Tanten hier noch versauern lassen, wenn nicht bald etwas geschah? Callisto war als Orakel genauso unbrauchbar wie die menschlichen Prophetinnen von Apollo, vielleicht sogar noch schlimmer, weil sie andauernd an mir herummäkelte.

Da ich nicht den Wunsch hegte, besagtem Orakel nach meiner Liebesnacht zu begegnen, führte mich mein Weg gleich zu einem anderen Anwesen in der Nähe.

Galt es als unhöflich, wenn ich schon so früh am Morgen vor der Tür stand? War das etwas, das diese »anständigen Damen« nach deren Bild Callisto mich formen wollte, taten?

Nein, sagte ich mir. Im Gegensatz zu Callisto wusste Cecilia meine Anwesenheit zu würdigen und Cecilia war sehr wohl eine anständige Dame. Ihr guter Ruf würde auf mich abfärben.

Zögernd hob ich den Metallring des Löwenkopfs hoch. »Du erinnerst mich an den stolzen nemeischen Löwen. Du bist einfach wunderschön«, flüsterte ich dem eisernen Antlitz zu, bevor ich den Griff mehrmals gegen das Holz der Tür schlug.

Etwas zu stark, denn eine ordentliche Delle blieb zurück.

Ich trat einen Schritt zurück und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. »Ich bin nur eine schwache menschliche Frau. Diese Tür war schon beschädigt, als ich hier eintraf.«

Einige Minuten vergingen, ehe ein Mann mit schütterem grauem Haar mir öffnete. Der Butler trug einen schwarzen Frack und weiße Handschuhe.

Er schien überrascht über mein Auftauchen zu sein, denn eine Augenbraue wanderte steil nach oben. »Sie wünschen?«

»Guten Morgen«, sagte ich und knickste. Menschen mochten es, wenn man vor ihnen knickste. »Mein Name ist Euryale Kalos. Ich bin eine gute Freundin von Cecilia. Ist sie zufällig schon wach?«

»Sind Sie wirklich eine Freundin der jungen Herrin?«, kam prompt die misstrauische Gegenfrage. »Wo steht Ihre Kutsche?«

»Ich bin zu Fuß gegangen.«

»Ohne Begleitung?« Der Butler japste wie vom Schlag getroffen. »Eine Frau Ihres Standes?«

Was sollte mir schon auf den Straßen von London passieren? Mir tat jeder Straßendieb leid, der an mich geriet. »Gnade« war ein Wort, dass weder meine Tanten noch ich kannten.

»Ein bisschen Lustwandeln am frühen Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.«

Ich versuchte, sein Herz mit einem hellen Kichern zu erweichen, wenn ich schon nicht mein Athame zücken und es ihm an den Hals halten konnte. Diese Überzeugungstaktik hatte ich schon einmal ausprobiert und seitdem ergriff einer von diesen wohlhabenden Snobs der Londoner Gesellschaft, die mich als heiratsfähig betrachteten, immer sofort die Flucht, wenn er mich sah. Sein Name war mir leider entfallen …

»Mister Martin, wer ist denn da an der Tür?«

Mein Herz schlug schneller, als ich Cecilias glockenhelle Stimme hörte. Auch wenn sie etwas schwächer als sonst klang, verzog sich mein Mund zu einem ehrlichen Lächeln. Wenigstens ein Lichtblick an diesem grauen Morgen!

»Euryale?«

Kurz darauf tauchte schon ihre zierliche Gestalt in einem hellblauen Kleid auf, als wollte sie mich an den strahlenden Himmel in meiner Heimat erinnern.

»Mi-Miss Bailey. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich … Sie sieht nicht aus wie …«

Auf einmal klang der Butler ziemlich kleinlaut, ja fast schon verängstigt, obwohl Cecilia keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.

Man musste sie sich doch nur einmal ansehen! Sie war mehr als einen Kopf kleiner als ich, schmächtig und ihre Porzellanhaut ließ sie zerbrechlich wie eine Puppe wirken.

»Kommen Sie doch herein, Lady Kalos.« Der Butler wich vor seiner Herrin zurück, als sie nach meinen Händen griff und mich ins Innere des Gebäudes zog. »Sie frieren bestimmt!«

Kälte machte mir nicht viel aus, aber ihre höfliche Einladung wollte ich selbstverständlich nicht ausschlagen.

Zum ersten Mal sah ich das Anwesen von Cecilias verreisten Eltern von innen und mir kam es so vor, als wäre es mindestens so prunkvoll wie Callistos Domizil. Während mich meine Freundin durch die riesige Eingangshalle ins Innere führte, bewunderte ich die hohen Decken mit den aufwendigen Verzierungen. Ich wusste immer noch nicht, ob ich sie für wunderschön oder für unnötigen Firlefanz halten sollte. Die Sonne kämpfte sich inzwischen durch die grauen Wolken hindurch, sodass Strahlen gefärbt von den riesigen Buntglasfenstern ins Innere des Hauses fielen.

»Hach. Muss die Sonne heute rauskommen?«, murmelte Cecilia, bevor sie sich an mich wandte. »Darf ich dir Tee anbieten? Entschuldige, dass ich dich vorhin so förmlich angesprochen habe. Mister Martin ist … ist alt.«

Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern führte mich geradewegs in das Teezimmer, wo eine weitere Hausangestellte mit diesem albernen weißen Häubchen auf uns wartete.

»Würdest du unserem Gast auch Tee servieren?«, fragte sie die Frau, die mindestens schon um die dreißig sein musste.

Ihre Lippen zitterten, während ihr Blick lange an mir hängen blieb. Da ich heute keine Schlacht geschlagen hatte, konnte es unmöglich an Blutspritzern in meinem Gesicht liegen.

»N-Natürlich, Miss. Alles, was sie verlangen.«

Nickend verschwand die Frau.

»Es tut mir leid, wenn Mister Martin unhöflich war«, sagte meine Freundin. Seufzend ließ sie sich auf einem Mahagoni-Stuhl nieder und bedeutete mir, es ihr gleichzutun. »Manchmal kommt es mir so vor, als hätten die Angestellten Angst vor mir«, erklärte Cecilia und seufzte erneut. »Weshalb sie all meinen Gästen mit Misstrauen begegnen.«

»Du irrst«, versicherte ich ihr. »Warum sollte man vor dir Angst haben? Du bist der freundlichste Mensch in ganz England.«

Endlich hatte ich Zeit, sie näher zu betrachten und … In meinen Eingeweiden breitete sich ein seltsames, kaltes Gefühl aus.

Cecilia war normalerweise der personifizierte Sonnenschein, aber gerade war sie blass und leblos. Die blauen Augen wirkten dunkel wie eine Mondfinsternis auf mich.

»Du siehst …«

»Schrecklich aus?«, vollendete sie meinen Satz.

Als sie erneut lächelte, fürchtete ich, dass ihre spröden Lippen aufplatzen würden.

»Nein …«

»Ach, du bist eine schlechte Lügnerin, Riri.«

Nun, dem mochte ich widersprechen.

»Mir geht es gut«, beruhigte sie mich, beugte sich zu mir herüber und drückte aufmunternd meine Hände. »Du bist wahrlich eine gute Freundin. Dich plagen diese schlimmen Sorgen wegen deiner Eltern, oder irre ich mich da? Wenn ich so direkt sein darf.«

»Meine Eltern?«

»Weil du beide erst vor Kurzem verloren hast und deshalb bei deiner Schwester leben musst. Du vermisst sie trotzdem sehr.«

»Genau.«

Euryale Kalos war eine Waise, die beide Elternteile bei einem schrecklichen Kutschunfall verloren hatte und deshalb etwas verspätet in die Londoner Gesellschaft eingeführt wurde. Sie lebte bei ihrer verwitweten Schwester Callisto.

»Morgens ist mir meistens übel. Das legt sich spätestens, wenn die Nacht anbricht. Ich bin wohl kein Frühaufsteher. Doch die Nächte sind viel zu wertvoll, um sie zu verschwenden.«

Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. »So kann man es auch formulieren, wenn man keinen Ball der Saison auslässt.«

Sie warf die Hände in die Luft. »Ich liebe nun mal das Tanzen! Ich fühle mich so lebendig dabei!«

Meine Sorge um ihren Gesundheitszustand schwand, als sie sich in ihrem Stuhl hin und her wiegte und das blonde Haar nach hinten warf.

Aber Menschen waren nun einmal zerbrechlich.

Zerbrechlich und unwissend.

Zurzeit machten sie Dämpfe und Sternenkonstellationen für eine grässliche Krankheit verantwortlich, welcher man mit frischem Wasser und etwas mehr Sauberkeit sehr gut entgegenwirken konnte. Es wirkte aber nicht so, als würde Cecilia an dieser Seuche leiden, die Menschen innerhalb eines Tages dahinraffen konnte.

In diesem Moment kam die Angestellte mit heißem Wasser und frischer Milch zurück. Sie platzierte eine fast schon lächerlich winzige Keramiktasse mit Rosenornamenten vor mich und goss schweigend Tee ein.

Sogleich füllte sich der Raum mit einem herrlich würzigen Aroma.

»Nun erzähl!«, wandte sich meine Freundin wieder an mich. »Was machst du denn schon so früh auf den Straßen? Und das ganz allein! Hast du denn keine Angst, was die Leute von dir denken?«

»Die Leute denken viel, wenn sie nichts wissen«, entgegnete ich. »Aber um auf die Frage zurückzukommen: Callisto ist wieder einmal nicht zum Aushalten«, erklärte ich ihr und nippte an dem dampfenden Getränk.

Hmm. Diesen würzigen Schwarztee mit Milch würde ich in Griechenland vermissen. Diesen Tee und andere Sachen …

»Was hat sie nun schon wieder getan?«, fragte Cecilia und schob mir einen Teller köstlich aussehender Scones mit Marmelade und Butter über den Tisch zu. »Iss, wenn du willst. Ich muss dich nur vorwarnen, dass sie von gestern sind. Und Agnes? Würdest du die Vorhänge zuziehen? Das Sonnenlicht verschlimmert meine Kopfschmerzen. Danach kannst du gehen. Ich möchte ungestört mit meiner lieben Freundin plaudern.«

Das Dienstmädchen zog die schweren Vorhänge schwungvoll zu, wobei etwas mit einem leisen Geräusch auf dem Boden neben meinem Stuhl landete. Dort lag ein einfacher Rosenkranz, wie ich ihn schon zuhauf gesehen hatte. Nichts ahnend hob ich ihn auf und Agnes riss ihn mir förmlich aus der Hand. In ihrem Gesicht spiegelten sich in wenigen Augenblicken viele Emotionen wider: Ärger, Besorgnis, … Angst?

Cecilia beobachtete das Schauspiel mit dunklen Augen.

»Scones?«, wiederholte sie und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Geschehnisse am Tisch.

»Vielen Dank.«

Der Geschmack überraschte meine Geschmacksknospen so sehr, dass der Vorfall mit Agnes sofort in Vergessenheit geriet.

»Ambrosia!«, rief ich aus und schob mir gleich zwei von den weichen Köstlichkeiten in den Mund. »Die Speise der Götter.«

»Du hast da was.«

Ihre Finger waren kalt, als sie meine Wange berührte und etwas von der Marmelade wegwischte.

»Wift du wifklif keine? So guuut!«

»Ich habe keinen Hunger«, lehnte Cecilia ab. »Ich esse lieber warme Mahlzeiten.«

Es war sicher unhöflich, wenn ich das Essen verschwendete, also verleibte ich mir – anständige junge Dame, die ich war – einen Scone nach dem anderen schmatzend ein.

Wenigstens brauchte man hierfür kein lästiges Besteck. Ich mochte scharfe spitze Gegenstände wie jede Kriegerin, aber warum man Hunderte Gabeln benötigte, wenn man auch alles mit einem Messer aufspießen konnte, erschloss sich mir nach wie vor nicht.

»Was wolltest du mir jetzt über unsere liebe Callisto erzählen?«, fragte Cecilia. »Geht … Entschuldige die Frage, aber geht es ihr gut?«

»Sehr gut sogar!«

Ich erzählte, wie Callisto mir gestern vorgeschlagen hatte, meine angestaute Energie in hässliche Stickarbeiten zu stecken.

»Hast du schon mal einen so kleinen Faden durch ein schmales Nadelöhr gezwängt? Dafür habe ich nun wirklich keine Nerven. Weißt du, wie man den Gordischen Knoten gelöst hat? Man hat ihn mit einem Schwert durchtrennt. So löst man Probleme richtig.«

Cecilia lachte laut auf. »Deine Vergleiche sind immer so ungewöhnlich!«

Ich grummelte laut.

»Hast du es schon einmal mit Stricken versucht?«

»Was ist Stricken?«, fragte ich neugierig.

»Beim Stricken benutzt du zwei lange Nadeln als Werkzeuge.«

»Könnte man mit denen jemandem ein Auge ausstechen?«

»Ja.«

»Sicher?«

»Ziemlich sicher.«

»Mhm. Das hört sich besser als Sticken an.«

»Versuch es doch mal.«

Ehe ich michs versah, war es schon weit nach Mittag.

»Ich sollte so langsam aufbrechen«, sagte ich mit Blick auf die große Standuhr. »Irgendwann muss ich ja schließlich zu Callisto.«

Cecilia konnte nicht wissen, dass der Streit noch viel länger zurücklag und ich die Nacht nicht in meinem Zuhause verbracht hatte.

»Nimm doch noch ein paar Scones mit!«

»Aber du hast noch gar nichts gegessen.«

»Ich habe keinen Appetit, das wäre nur Verschwendung.«

Da ich das süße Gebäck nicht schlecht werden lassen wollte, griff ich natürlich zu und stopfte ein paar in mein Ridikül. Für was trug man denn sonst so ein furchtbar hinderliches Teil mit sich herum?

»Wir sehen uns dann heute Abend auf dem Ball im Stewart Anwesen, nehme ich an.«

»Auf dem Ball?«, wiederholte ich nahezu ungläubig. Die letzten Stunden schienen meiner Freundin noch mehr ihrer Farbe geraubt zu haben, sodass ihre Haut nun aschfahl erschien.

»Dir geht es doch nicht gut! Wäre es nicht besser, wenn du für die nächsten Tage das Bett hütest?«

»Bis dahin werde ich mich erholt haben.« Cecilia faltete die Hände im Schoß und reckte ihr Kinn in die Höhe. Ihr Körper erschien geschwächt, aber in ihren blauen Augen brannte ein helles Feuer. »Vertrau mir.«

3. KapitelUnsere Heldin muss ihre Aufgabe finden

In meinem vorläufigen Zuhause angekommen, wurde ich sofort überschwänglich von der Hausherrin Callisto persönlich begrüßt.

Mit ausdruckslosen Augen blickte sie vom ersten Stock auf mich herab, als ich durch die großen Flügeltüren trat.

Kein Wunder, dass man uns auf den ersten Blick für Schwestern hielt: Wir beide besaßen den gleichen »verpönten« sonnengeküssten Hautton. Ihr schwarzes Haar war lockig und ebenfalls schwer zu bändigen. Kleine Löckchen kringelten sich aus ihren Haarkämmen.

Dennoch gab es bedeutende Unterschiede: Obwohl sie nur vier Jahre älter war, ließen ihre steife Haltung und der strenge Haarknoten sie mindestens zehn Jahre älter erscheinen.

Sie stand genau in der Mitte der Brüstung und ich fragte mich, wie lange sie dort schon wartete, um mir eine Standpauke zu halten. Das lange Ausharren hatte sie sich sicher in ihrer Kindheit bei den Plejaden abgeschaut.

»Guten Morgen, liebes Schwesterchen«, begrüßte ich sie unter dem Deckmantel der Lüge, die mir ein Leben in England ermöglichte.

»Wo warst du?« Callistos Stimme klang dunkel. »Und was heißt hier ›Guten Morgen‹? Es ist fast Teezeit!«

Ich wollte an ihr vorbei in mein Zimmer in der zweiten Etage huschen, aber meine »Schwester« verstellte mir blitzschnell den Weg.

»Bei wem warst du, Euryale?«

»Ich habe es dir schon einmal gesagt: Jemand wie du hat mir nichts zu sagen«, brummte ich, als ich mich dieser übertriebenen Kleidung mit den viel zu vielen Schichten entledigte. Wenn sie mich nicht in mein Zimmer ließ, würde ich mich eben gleich hier auszuziehen. Mehrere Unterröcke, meine Handschuhe und Hut landeten auf den Treppen. »Ich werde ein langes Bad nehmen und mich dann für den Ball am Abend zurechtmachen. Störe mich dabei nicht.«

»Caroline«, rief Callisto über meine Schulter. »Lass Euryale ein Bad ein.«

»Das kann ich gerade noch selbst.«

Normalerweise endeten unsere Meinungsverschiedenheiten an dieser Stelle, doch heute griff Callisto nach meinem Arm und hielt mich fest. So fest, dass es wehtat.

»Du scheinst es vergessen zu haben, aber du bist auch nur ein Mensch, Euryale. Egal, welches Blut sonst noch in deinen Adern fließt. Und Menschen haben sich an gewisse Regeln und Konventionen zu halten. Du kannst nicht herumlaufen und so tun, als seist du Aphrodite höchstpersönlich.«

»Wie du siehst, tue ich es.«

»Und wie lange denkst du, dass das gut geht?«

Trotzig reckte ich das Kinn in die Höhe. »So lange ich es will.«

Mit einer Spur Resignation schüttelte Callisto den Kopf. »Du bist nicht unantastbar, auch wenn du stärker als ein Mensch bist. Das magische Blut in deinen Adern kann dich nicht vor allem beschützen. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Frauen wie du noch bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«

»Frauen wie wir«, verbesserte ich sie. »Du kannst nicht leugnen, wer oder was du bist, Callisto.«

Traurigkeit schlich sich in die dunklen Augen der anderen Halbgöttin. »Das … Das weiß i-ich selbst.«

Ein eisiger Schauer kroch mir direkt in Mark und Bein, als Callistos Stimme brach. Ohne Zweifel befand ich mich bei dieser Angelegenheit im Recht. Dennoch …

Der trauernde Ton schwang lediglich kurz mit. Mit einem Wimpernschlag glätteten sich die Falten um ihren Mund. »Wenn du nicht aufhörst, werde ich deinen drei Tanten erzählen, was du treibst«, drohte sie mir mit purer Gleichgültigkeit. »Du bist nicht zum Vergnügen hier.«

»Ach ja? Dann sag mir doch endlich, was ich machen soll. Seit sechs Monaten hältst du mich hier auf Abruf fest und bis auf ein paar alte Steinnymphen und dekorativen nemeischen Löwen an Türen ist mir noch nichts aufgefallen, was nur im Geringsten mit dem Hades zu tun hat. Ich bin nicht zu deiner Unterhaltung da.«

Das brachte das aufschneiderische Orakel endlich zum Schweigen.

»Ich darf dann ins Bad, ja?«

»Nein.«

»Waru–«

»Deine Tanten wollen mit dir reden. Sie erwarten dich in den Flammen«, ließ mich Callisto wissen. »Ich habe ihnen erzählt, dass du gerade einen Rundgang durch die Stadt machst und alle möglichen Anomalitäten überprüfst.«

Ich biss mir auf die Wange, bis ich mein Blut in meinem Mund schmeckte. »Danke«, würgte ich hervor.

Mein Gegenüber verzog keine Miene. »Zieh dir etwas über und begib dich zum Kamin, außer du willst nackt vor deinen Tanten auftreten. Mir soll es gleich sein.«

Auch wenn ich mich innerlich dagegen sträubte, streifte ich mir mein Unterkleid über und marschierte in mein Schlafzimmer.

Der große Kamin war bereits von einem Zimmermädchen angeheizt worden. Das Knistern des Holzes erfüllte den Raum.

Ich tat noch einen langen Atemzug, bevor ich vor das Feuer trat.

Dort in den Flammen blickten mir drei Fratzen entgegen, die man mit Müh und Not meinen Tanten zuordnen konnte.

»Es freut mich, dass ihr euch nach meinem Wohlbefinden erkundigt«, sagte ich und kniete mich vor sie. »Meine Verspätung tut mir leid. Ich befand mich gerade auf Pa–«

Tante Alecs ließ mich den Satz nicht beenden: Gibt es neue Entwicklungen?

»Nein«, erzählte ich den Flammenfratzen und schüttelte den Kopf. »Callistos Weissagung ist immer noch nicht eingetroffen. Ich kann leider keine Neuigkeiten überbringen.«

Pah! Wie lange soll Euryale noch in diesem nassen Loch festsitzen?!, regte sich Tante Meggy lautstark auf. Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir sie besser hierbehalten.«

Das war die Gelegenheit!

»Vielleicht liegt Callisto mit ihrer Einschätzung falsch«, warf ich ein. »Vielleicht war es nur ein Traum. Eine Halluzination. Ihre menschlichen Emotionen sind sehr stark ausgeprägt.«

Selbst Tante Tisi zweifelte an Callistos Macht: Nun, jemand der von den Plejaden großgezogen wurde und meint, Weissagungen über die Unterwelt treffen zu können, läuft unweigerlich Gefahr, großspurig zu sein.

Auch ihr geistiger Zustand lässt zu wünschen übrig, ergänzte Meggy. Sie hätte sich niemals in einen zerbrechlichen Menschen verlieben dürfen. Natürlich fühlt sie sich jetzt allein. Vielleicht will sie zu den Plejaden zurück.

GENUG. Eine Flamme stob aus dem Kamin heraus und versengte eine meine Haarspitzen, als Tante Alecs ein Machtwort sprach. Ich vertraue der Weissagung von Callisto. Das Orakel von Delphi wäre in Anbetracht ihrer Weissagungen vor Neid ganz grün geworden. Du bleibst dort, bis deine Aufgabe erledigt ist.

Mein Haupt war gesenkt. Ich sagte mir selbst, dass es daran lag, dass ich nicht noch mehr meiner Locken opfern wollte, doch das Zittern meiner Finger verriet mich.

»Ich … Ab–« Der Einwurf lag mir schon auf der Zunge, aber dann lenkte ich im letzten Moment doch ein. »Selbstverständlich. Verlasst euch auf mich.«

Und wie lautet diese Aufgabe?, forderte Meggy von mir zu erfahren. Erinnere dich, mein Kind. Nicht, dass du es in den letzten Monaten vergessen hast.

Ich biss mir auf die Lippen, weil ich mir vor diesen jahrtausendealten Gestalten mal wieder wie ein kleines Kind vorkam.

»Finde den Riss im Hades und bestrafe den Übeltäter, wie ihr es mich gelehrt habt.« Ich hob meinen Kopf und sah in ihre Gesichter. Gelbe Augen, schlitzförmige Pupillen und Schlangenhaar. »Nur dann werde ich endlich eine Furie wie ihr.«

4. KapitelDie Heldin braucht doch keine Aufpasserin!

Als meine Kutsche im Halbdunkeln an der Themse vorbeiratterte, musste ich unwillkürlich an den Styx denken. Die beiden Flüsse hatten nichts gemein: Der Fluss der Stadt war eine stinkende Kloake voller Unrat, während der Styx sich fast schon erhaben wie die Göttin, die er einst war, durch die Unterwelt schlängelte. Nur Charon, der Fährmann der Toten, konnte den Fluss mit seiner Barke befahren und die frisch Verstorbenen sicher in den Hades geleiten. Wohingegen sich auf der Themse Schiffe aus aller Herren Länder tummelten, um Menschen, Tiere und Kostbarkeiten in die Metropole zu bringen.

Wie mich – eine Furie in Ausbildung – vor sechs Monaten, die eigentlich herausfinden sollte, warum der Fluss der Toten ausgerechnet auf dieser verregneten Insel in das Reich der Lebenden blutete und alles vergiftete.

Falls Callisto wirklich eine Vision empfangen hatte, fiel mir als Grund dafür nur die Gier mancher Engländer nach exotischen Schätzen wie verfluchten Mumien aus Ägypten ein. Womöglich forderte die nun ihren Tribut. Menschen sollten nicht mit Dingen spielen, denen sie nicht gewachsen waren. Sie eiferten zu sehr den Göttern nach, die sie vor so vielen Jahrhunderten verraten hatten.

»Die ehemalige Anwärterin der Plejaden, Callisto, hatte eine besorgniserregende Vision«, klang mir Tante Alectos schrille Stimme immer noch in den Ohren. »Der Styx ist ausgerechnet in England durchlässig geworden – außerhalb unseres Gebiets!«

»Wie konnte das geschehen?«

Meine Tante hatte desinteressiert mit den Schultern gezuckt. »Das ist ohne Belang. Wir interessieren uns nicht für die Gründe. Wir bestrafen nur.«

Dann war eine Stimme aus den Tiefen der Unterwelt ertönt, süß wie Blütenhonig und gleichzeitig kalt wie der Hauch der Toten: »Du findest doch den Schuldigen für mich, mein liebstes Kind?«

Ein Schauer überlief meinen ganzen Körper bei der Erinnerung. »Nun liegt es an mir, diese Dinge zu richten«, murmelte ich und ließ meinen Kopf gegen das kühle Glas des Kutschenfensters sinken. »Ich werde bestrafen wie eine richtige Furie.«

»Wie bitte?«

Die Stimme brachte mich dazu aufzusehen. Beinahe hätte ich vergessen, dass ich nicht allein zum Ball reiste.

Eine ältere Dame betrachtete mich mit geschürzten Lippen.

Mrs Balfour war nun schon die vierte Gouvernante, die Callisto mir aufdrängte.

»Du bist nun einmal eine junge, unverheiratete Frau«, hatte sie mir zugezischt, als ich mich über das neue Anhängsel beschweren wollte. »Wenn du dich unauffällig in der feinen Gesellschaft bewegen willst, brauchst du sie.«

Ich nahm an, dass Callisto nur verhindern wollte, dass ich die Nacht wieder in dem Bett eines »Gentleman« verbrachte und mein Verhalten auf sie zurückfiel.

»Nichts«, sagte ich und wedelte mit meinem Fächer den Gestank des Flusses fort. »Brauchen wir noch lange?«

»Sicherlich einige Minuten. Das Anwesen liegt weit außerhalb der Stadt. Die Heimfahrt wird eine Qual.« Sie seufzte schwer. »Allerdings sind es die Bälle der Stewarts wert. Das wird eine unvergessliche Nacht, Euryale. Vertrau mir.«

»Wenn Sie das sagen.«

»Nun.« Ein selbstbewusstes Lächeln schlich sich in ihr Gesicht und sie reckte das Kinn. »Sie wissen ja, dass ich reichlich Erfahrung gesammelt habe.«

Die Gouvernante war eine Dame in ihren späten Vierzigern, die sehr früh geheiratet und ihren Mann kurz darauf an eine Krankheit verloren hatte. Das hatte sie mir zumindest bei der einseitigen Vorstellung erzählt. Ihr blieb zwar eine eigene Familie verwehrt, dafür rühmte sie sich, von ihren gut einem halben Dutzend Schützlingen bis jetzt jede innerhalb kürzester Zeit an den Mann gebracht zu haben.

»Bei einigen war es sogar eine Liebesheirat«, brüstete sie sich wie ein stolzer Pfau. »Wäre doch gelacht, wenn ich nicht auch eine gute Partie für Sie finden kann.«

»Sie werden sehen, die Zeit vergeht wie im Flug«, sagte Mrs Balfour, die auf einmal ganz erpicht darauf war, sich mit mir zu unterhalten. »Ihre Schwester erzählte mir, dass sie viele Bewunderer haben.«

»Das stimmt.«

An Liebhabern mangelte es mir tatsächlich nicht.

»Mal ganz unter uns: Wollen Sie einem der Herren denn näherkommen?«

»Kann ich nicht alle haben?«

»Wie bitte?«

»Es ist eine Qual, nur einen zu wählen«, tönte ich wehleidig herum. »Muss ich mich denn entscheiden?«

Mein Gegenüber blinzelte. »Natürlich müssen Sie das. »Ich … Eine …«

Mit einer Handbewegung klappte ich den Fächer zusammen und tippte an mein Kinn. »Aber ein Mann darf mehrere Frauen haben?«

»Was? Nein! Natürlich nicht!«

»Warum gibt es dann Freudenhäuser?«, fragte ich mit einem herausfordernden Grinsen, während die Anstandsdame um Fassung rang. »Oder zwielichtige Herrenclubs? Oder hat mich das nicht zu interessieren?«

»Eine Dame wie Sie muss sich doch über so etwas keine Gedanken machen«, versuchte sie mir ihre schwachen Argumente zu unterbreiten. »Wenn Sie erst mal einen Mann gefunden und mit ihm eine Familie gegründet haben, dann –«

»Dann habe ich meinen Zweck ohnehin erfüllt?«

Obwohl ich die ersten zwei Jahrzehnte meines Lebens fast ausschließlich mit nichtmenschlichen Kreaturen verbracht hatte, war es ein Leichtes gewesen, herauszufinden, was man in dieser ach-so-feinen Gesellschaft von Frauen verlangte.

Jede Faser meines Seins sträubte sich gegen diese Zwänge.

Ich war dankbar, dass ich »Euryale Kalos« nur spielte.

Mit einem Ruck kam die Kutsche zum Stehen. Die Pferde wieherten laut.