Unsicherheit - Eva Lermer - E-Book

Unsicherheit E-Book

Eva Lermer

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Beschreibung

Ob Covid-19-Pandemie, Fake Stories oder politische Erdbeben: Der Umgang mit Unsicherheit ist eine wesentliche Herausforderung im menschlichen Alltag. Obwohl viele beunruhigende Ereignisse der Vergangenheit (z. B. Sonnenfinsternis)erklärt werden konnten, verharren wir bei neuen Unsicherheitslagen in unseren alten Denk- und Verhaltensmustern. Diese sind geprägt durch Phänomene wie verzerrte Wahrnehmung oder (Selbst-)Überschätzung. Dieses Buch leistet einen Beitrag zum kompetenten Umgang mit Unsicherheit. Mithilfe von psychologischem Wissen werden Denkprozesse und Interaktionen besser verständlich gemacht, um künftig reflektierter (re-)agieren zu können. Das Buch ist ein Plädoyer für eine neue Aufklärung mit einem Appell an die individuelle Verantwortlichkeit, sich seines Verstandes zu bedienen.

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Seitenzahl: 268

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Für Birgit, Davina, Ava und unsere Eltern

Prof. Dr. Eva Lermer, Psychologin und Soziologin, forscht und lehrt an der Hochschule Augsburg und am Center for Leadership and People Management der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Dr. Matthias Hudecek, Psychologe, forscht und lehrt am Lehrstuhl für Sozial-, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Universität Regensburg und ist Lehrbeauftragter für „Psychologie der Arbeit und Organisation“ an der Universität St. Gallen (Schweiz).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03144-3 (Print)

ISBN 978-3-497-61701-2 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61702-9 (EPUB)

© 2022 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Covermotiv: © Svetlana Lukienko – stock.adobe.com

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Einleitung

Unsicherheit

Kein Zweifel erlaubt

Es geht um das Denken

Ein zweiter Blick

Egal, ich mach es trotzdem – es fühlt sich einfach besser an

Besser Denken geht!

Pandemie

Vertrauen und Gemeinschaftssinn

Gefahr durch Gewohnheit: Theorie der gelernten Sorglosigkeit

Risiko? Kann ich. Nicht!

Politik, Führung und Kontrolle

Vorteile und Gefahren wahrer Narzissten

Automatische Prozesse gegen unangenehme Gedanken

Schlechte Gruppenentscheidungen und 20% Fett

Bedürfnis nach Kontrolle

Digitalisierung, technologischer Fortschritt und künstliche Intelligenz

Smartphones – Fluch und Segen?

Alles überall und zu jeder Zeit

Alles KI oder was?

Mein Freund der Roboter?

Nullzinsen, Kryptowährungen und Inflation

Inflation – ein Gespenst aus vergangenen Zeiten?

Kryptowährungen als neue Form des Geldes?

Unsicherheit für alle?

Fake Numbers, Fake Stories und Fake News

Warum Menschen anfällig für Falschinformationen sind

Von Bullshit zu Fake News

Arbeitswelt 4.0

Agilisierung der Arbeitswelt

Purpose als Last?

Quo vadis Arbeit?

Mehr Unsicherheit wagen: Vorschläge für einen kompetenteren Umgang mit Unsicherheit

Selbst denken und selbst entscheiden

Unsicherheit – ein Preis der Freiheit

Strategien für mehr Unsicherheitskompetenz

Anhang

Literatur

Sachregister

Einleitung

Unsicherheit

Der Begriff Unsicherheit kann unterschiedlich verstanden werden. Wir gehen in diesem Buch von einem Unsicherheitsbegriff aus der Perspektive der Entscheidungstheorie aus. Gemeint sind damit Umweltzustände, für die keine Eintrittswahrscheinlichkeiten bekannt sind 1. Ein Risiko, wie etwa die Wahrscheinlichkeit beim Roulette auf die falsche Zahl zu setzen, kann man kalkulieren. In diesem Fall besonders gut, da diese Umwelt (mathematische Regeln der Wahrscheinlichkeit) stabil und nicht noch von weiteren Faktoren abhängig ist (z. B. Wetter, Aktienkursen, technischem Fortschritt). Mit solchen interaktionsfreien Umwelten haben wir es jedoch in der echten Welt nahezu nie zu tun – außer z. B. im Casino. Alles, was wir in unserer sozialen Umwelt (also sobald andere Menschen mit ins Spiel kommen) tun und erleben, kann durch unzählige Faktoren zumindest theoretisch beeinflusst werden. Wenn wir Aktien kaufen, können wir deren Entwicklung nur vermeintlich näherungsweise prognostizieren; wirklich in Erfahrung können wir deren Verlauf nicht bringen. Dafür ist das Zusammenspiel an beeinflussenden Faktoren zu komplex und unbekannt. Wie schlecht solche Prognosen tatsächlich sind, beschreibt Gerd Gigerenzer 2 eindrücklich u. a. anhand von Prognosen etablierter Banken – die Jahr für Jahr komplett daneben liegen. So verhält es sich mit den meisten Szenarien: Ihre Eintretenswahrscheinlichkeit und oft auch die tatsächlichen Konsequenzen sind ungewiss. Unser Leben ist per se komplex und informationsreich. Globalisierung und Digitalisierung haben unsere Lebenswelt unwiderruflich auf ein Komplexitätslevel gehoben, das es in den meisten Fällen unmöglich macht, Risiken valide zu identifizieren oder gar ein realistisches Gefühl dafür zu entwickeln.

Unsicherheit ist dabei jedoch – wie auch Komplexität – schon immer mit dem menschlichen Leben verbunden. Dementsprechend gehört der Umgang mit Unsicherheit seit jeher zu einer wesentlichen Herausforderung im Alltag. Schon lange vor der modernen Zivilisation, haben Menschen Antworten auf Phänomene gesucht, die ambivalent sind, in denen ihnen Orientierung fehlt oder die ihnen einfach nur Angst machen, weil sie sie sich nicht erklären können. Im Mittelalter etwa muss eine Sonnenfinsternis ein höchst bedrohliches Ereignis gewesen sein, das große Unsicherheit hervorgerufen hat. Auch wenn es längere Zeit einmal nicht geregnet hat oder mit dem Regnen nicht mehr aufhören wollte, gab es hierfür erstmal keine plausible Begründung. Auf der Suche nach Erklärungen entwickelte sich daher beispielsweise der Glaube an übernatürliche Kräfte. Es wurden Opfergaben erbracht, um die wohl zornigen Götter zu besänftigen. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden dank des wissenschaftlichen und damit einhergehend des technischen Fortschritts immer konkretere alternative Erklärungen für derartige Phänomene möglich. Unsicherheiten im Hinblick auf Naturereignisse konnten somit vielfach aufgelöst werden. Eine Sonnenfinsternis muss uns nicht länger beunruhigen oder verängstigen; ebenso wissen wir, dass sich die Erde um die Sonne dreht und keine Scheibe ist. Gleichzeitig sind durch den Fortschritt und damit verbundene gesellschaftliche Veränderungen aber auch zahlreiche neue Unsicherheitskontexte entstanden und bis dato stabile Weltbilder ins Wanken geraten. Dies hat eine besondere Qualität, da v. a. westliche Länder seit einigen Jahrzehnten Prosperität und Frieden gewohnt waren. Ein Wohlstandsniveau, das viel Sicherheit im Alltag vermittelt hat 3. Ausgehend von diesem Status quo fällt es besonders schwer, sich nun daran zu gewöhnen, dass die alten Regeln „Es wird schon nicht so kommen“ und „Im Grunde bleibt alles gleich“ zunehmend nicht mehr gelten. Stattdessen können wir beobachten und live miterleben, dass vor kurzem noch schwer vorstellbare und einschneidende Ereignisse und Entwicklungen wirklich passieren. Hierfür lassen sich zahlreiche Beispiele finden und diese betreffen im Grunde sämtliche Lebensbereiche, wie etwa:

Globale Pandemien wie SARS-CoV-2

Politische „Erdbeben“, z. B. Brexit

Fake News, d. h. frei erfundene Behauptungen, die täuschend echt anmuten

Begleitet und oftmals ermöglicht werden diese Phänomene durch rasanten technologischen Fortschritt sowie die fortschreitende Digitalisierung. Insbesondere die Entwicklungen im Bereich der so genannten künstlichen Intelligenz werden großen Einfluss auf unser Zusammenleben und die Gestaltung von Gesellschaften haben. Auf der einen Seite bestehen große Potenziale (z. B. Fortschritte bei der Bekämpfung von Krankheiten, neue Jobs), auf der anderen Seite steigt in gleichem Maß das „Unsicherheits-Thermometer“. Vielleicht kann man sich in absehbarer Zeit nicht mehr sicher sein, ob man mit einem Menschen oder einer künstlichen Intelligenz spricht, wenn man bei der Hotline eines Kundenservices anruft. Entsprechende Prototypen wie Sophia von Hanson Robotics oder Google Duplex lassen erahnen, wohin die Reise geht. Sophia ist ein humanoider Roboter, der menschliches Verhalten imitiert und bereits in der Lage ist, einfache Konversationen zu führen und Fragen eigenständig zu beantworten. Google Duplex spricht mit einer menschlich klingenden Stimme und kann einfache Aufgaben übernehmen wie sich beispielsweise um die Reservierung in einem Restaurant kümmern. Dabei verwendet die Software gezielt Füllwörter oder macht kurze Sprechpausen, um die Interaktion möglichst echt klingen zu lassen. Dementsprechend ist es auch nicht überraschend, dass Personen bei Testanrufen oftmals nicht unterscheiden konnten, ob sie mit einem Menschen oder einer künstlichen Intelligenz gesprochen haben.

Es kann davon ausgegangen werden, dass derartige Technologien nicht nur Einfluss auf unsere alltägliche Kommunikation nehmen, sondern auch unsere Arbeitswelt nachhaltig beeinflussen werden. In Zukunft braucht es – zumindest technologisch betrachtet – keine Kassiererinnen und Kassierer mehr im Supermarkt. Ebenso können U-Bahn-Fahrerinnen und Fahrer oder etwa ein erheblicher Anteil von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern in Versicherungen durch künstliche Intelligenz und Algorithmen ersetzt werden. Für die betroffenen Berufsgruppen und ebenfalls für manche Nutzergruppen dieser Dienstleistungen (z. B. ältere Menschen) wird dies mit großer Unsicherheit einhergehen. Ob sich diese Entwicklungen durchweg positiv auf unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben auswirken, darf dabei durchaus bezweifelt werden. Man denke hierbei beispielsweise an die Fälle, in denen Algorithmen falsche Entscheidungen treffen, indem bestimmte Personengruppen aufgrund von Verzerrungen systematisch benachteiligt werden (mehr dazu beim Unsicherheitskontext Digitalisierung).

Darüber hinaus hat eine wahre Flut an kontinuierlichen Reizen eingesetzt, der wir Menschen nahezu pausenlos ausgesetzt sind. Beginnend mit den Massenmedien Radio und Fernsehen hat die dauerhafte „Beschallung“ mit Informationen und Botschaften durch Social Media und Messenger-Angeboten einen neuen Höhepunkt erreicht. Dabei ist auch in diesem Bereich davon auszugehen, dass das Pensum zukünftig noch weiter steigen wird. Durch Technologien wie Augmented Reality, also eine um digitale Elemente angereicherte Realität, könnte die Zahl der Reize, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, nochmals deutlich ansteigen. Denn vielleicht tragen wir schon in absehbarer Zeit „intelligente“ Brillen, die uns fortlaufend mit Informationen über unsere Umwelt – aber wahrscheinlich auch mit Werbung oder ähnlichen Botschaften – versorgen. Bieten derartige Technologien auf der einen Seite gewisse Potenziale (z. B. für Menschen mit beeinträchtigter Sinneswahrnehmung), wird auf der anderen Seite die wahrgenommene Unsicherheit in unserem Alltag weiter ansteigen.

Vor dem Hintergrund dieser zahlreichen Unsicherheitskontexte und -treiber stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten zum Umgang mit Unsicherheit bestehen. Zum Thema Umgang mit Risiko und Unsicherheit unterscheidet Zinn 4 drei Arten von Strategien. Zunächst einmal gibt es die nicht-rationalen Strategien. Hierunter fallen beispielsweise der Glaube oder die Hoffnung. Um bei dem Beispiel der damaligen Sonnenfinsternis zu bleiben: Diese wurde lange als böses Omen für ein nahendes Unheil erachtet und Hilfe im Gebet, verbunden mit der Hoffnung auf Gnade, gesucht. Diese Strategie ist heute ebenso aktuell. Zahlreiche psychologische Studien zeigen hierzu, dass Glaube und Hoffnung viele positive Effekte haben. Glaube gibt Gläubigen Sicherheit und Hoffnung. Beides trägt dazu bei, negative Effekte, die mit Unsicherheit einhergehen, wie etwa Angst oder das Gefühl der Orientierungslosigkeit, zu reduzieren.

Ein konkretes Studienbeispiel aus der Psychologie zum Einfluss von religiösem Glauben stammt von den Wissenschaftlern Joseph Bardeen und Jesse Michel 5. Sie untersuchten den Zusammenhang der drei Variablen Intoleranz für Unsicherheit, depressive Symptome und Religiosität. Mit Intoleranz für Unsicherheit wird die Eigenschaft beschrieben, wie gut bzw. schlecht eine Person den Zustand von Unsicherheit aushält, also als wie belastend sie eine unsichere Zukunft empfindet. Menschen mit hoher Intoleranz für Unsicherheit wählen z. B. lieber ein negatives sicheres Ereignis als ein unsicheres 6. Die Forscher fanden eine positive Beziehung zwischen Intoleranz für Unsicherheit und depressiven Symptomen. Das heißt: Personen, die Unsicherheit schlecht aushalten, hatten mehr depressive Symptome als die, die einen besseren Umgang mit Unsicherheit haben. Dieser Zusammenhang war jedoch schwächer bei religiösen Personen. Hier konnte gezeigt werden, dass der Glaube einen puffernden Effekt hat. Bardeen und Michel 5 nehmen an, dass Religiosität als Selbstregulierungsmechanismus dienen kann. Konkret vermuten sie, dass religiöse Menschen über mehr präskriptive Normen (Annahme, welches Verhalten als richtig erachtet wird) verfügen, die für Struktur und Ordnung sorgen.

Auch für Hoffnung finden sich viele Studienbeispiele, die den positiven Einfluss auf Unsicherheit belegen. So kann Hoffnung im Falle einer sehr schweren oder unheilbaren Krankheit für die betroffenen Personen ein geeignetes Mittel sein, die Situation besser ertragen zu können. Tatsächlich konnten Forschungsergebnisse in diesem Zusammenhang nachweisen, dass Menschen, die an einer chronischen oder tödlichen Krankheit leiden, durch Hoffnung besser mit ihrer Lebenssituation umgehen können oder weiter nach Möglichkeiten suchen, wie sie diese verbessern können 4.

Als weitere Möglichkeit zum Umgang mit Unsicherheit stehen rationale Strategien zur Verfügung. Hierbei erfolgt beispielsweise eine bewusste Abwägung von Pro- und Contra-Argumenten zu einem Sachverhalt nach vorab definierten Kriterien. Entscheidend ist, dass diese Kriterien tatsächlich im Vorfeld eindeutig definiert werden und bei der Suche nach neuen Informationen darauf geachtet wird, dass diese nicht verzerrt stattfindet. Denn auch bei vermeintlich rationalen Handlungen besteht die Gefahr, dass beispielsweise die Suche von neuen Informationen systematisch in die Richtung einer bereits bestehenden Meinung oder Tendenz verzerrt wird – sog. Bestätigungsfehler oder confirmation bias; hierzu später mehr. Dann ist eine vermeintlich rationale Strategie keineswegs mehr „echt rational“, sondern wird vielmehr durch unbewusste kognitive Verzerrungen – sog. Biases – verfälscht. Ein weiterer Prototyp für das rationale Vorgehen stellt zudem das wissenschaftliche Vorgehen dar. Hierbei wird systematisch nach etablierten methodischen Standards die Erklärung oder Lösung eines Problems angestrebt. Durch eine möglichst hohe Standardisierung, ein transparentes Vorgehen sowie den Anspruch der Reproduzierbarkeit soll eine bestmögliche Annäherung an die Realität unter Ausschluss von möglichen Biases stattfinden.

Schließlich gibt es ein Zwischending zwischen rationalen und nicht-rationalen Strategien. In diesem Fall vertraut man auf die Einschätzung anderer Menschen, lässt sich von Emotionen leiten oder folgt der eigenen Intuition. Sozialpsychologische Studienergebnisse zeigen, dass, wenn wir nicht wissen, wie wir uns in einer Situation verhalten sollen, wir unser Verhalten an dem anderer orientieren – getreu dem Motto: „When in doubt follow the crowd“. Hierzu findet sich unter dem Stichwort Normen ein großer Forschungsbereich innerhalb der Sozialpsychologie, u. a. zu

der Annahme, welches Verhalten von anderen als richtig erachtet wird, z. B. man soll nicht lügen.

der Annahme der Mitglieder einer Gruppe, welches Verhalten von den meisten gezeigt wird, z. B. wenn das alle machen, wird es richtig sein.

Allen Strategien ist gemein, dass durch sie Komplexität und damit einhergehend die Unsicherheit in einer bestimmten Situation reduziert werden soll. Auch wenn es keine Garantie auf Erfolg gibt, haben grundsätzlich alle Strategien in Abhängigkeit des jeweiligen Kontextes das Potenzial, eine Lösungsmöglichkeit darzustellen.

Möglicherweise als Folge und zugleich Symptom unserer gegenwärtig schnelllebigen Zeit lässt sich beobachten, dass insbesondere einfache Lösungen zum Umgang mit Unsicherheit präferiert werden, auch dann wenn es bessere Alternativen geben würde. Diese würden jedoch ein höheres Maß an Auseinandersetzung, Zeit und Energie erfordern. Aus psychologischer Perspektive ist es nicht verwunderlich, dass wir uns gerne für den leichteren Weg entscheiden. Denn wir neigen grundsätzlich eher dazu, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen –wir bevorzugen also kurzfristig angenehm vor langfristig sinnvoll. Dazu kommt, dass eine aktive Reflexion anstrengend ist und die Gefahr birgt, unangenehm zu sein. Viele Menschen möchten daher ihre Annahmen nicht anzweifeln und sind auch eher irritiert, wenn andere dies doch tun: Dinge hinterfragen und kritisch denken.

Kein Zweifel erlaubt

Es scheint fast so, als würde der aktuelle Zeitgeist, also die derzeitig vorherrschende Denkhaltung und -weise, einen wissenschaftlichen Zugang zum Alltagsdenken nicht wirklich zulassen. Gemeint ist damit Folgendes: Erkenntnisgewinn in der Wissenschaft geschieht im Popperschen Sinne durch Falsifikation. Das heißt, es wird so lange eine Theorie für richtig erachtet, bis sie widerlegt oder zumindest adjustiert wurde aufgrund neuer Erkenntnisse, die ein besseres Modell oder eine neue Theoriebildung ermöglichen.

Der Philosoph Karl Popper revolutionierte 1934 die Wissenschaftstheorie mit seinem Werk „Logik der Forschung“. Mit dem von ihm entwickelten Kritischen Rationalismus bricht er mit der üblichen Vorstellung, dass Theorien bewiesen werden müssen. Popper geht davon aus, dass Annahmen nicht verifiziert, sondern im Gegenteil falsifiziert werden müssen 7.

BEISPIEL

Ein klassisches Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben in Ihrem Leben bisher nur weiße Schwäne gesehen. Aufgrund dieser Erfahrungsbasis nehmen Sie an: „Alle Schwäne sind weiß“. Diese Annahme bezieht sich jetzt nicht nur auf Ihre bisherigen Erfahrungen, sondern auch auf Ihre zukünftigen Erwartungen. Denn, da Sie ja annehmen, dass alle Schwäne weiß sind – das ist jetzt Ihre Theorie – wird es Ihrer Meinung nach wohl so sein, dass, wenn Sie in Zukunft einen Schwan sehen, auch dieser weiß sein wird. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass irgendwo auf der Welt eine andere Person schon mal einen schwarzen Schwan gesehen hat. Schwarze Schwäne gibt es übrigens tatsächlich, den sog. Schwarzschwan oder auch Trauerschwan. Die ursprüngliche Heimat dieses fast völlig schwarzen Tieres ist Australien. Jedoch finden sich diese Tiere heute auch in anderen Teilen der Welt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie so einen Schwarzschwan sehen, ist also grundsätzlich gegeben. Dann wäre Ihre „Alle Schwäne sind weiß“-Theorie widerlegt.

„Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen“ 8.

Wenn wir immer nur versuchen, unsere Theorien als wahr zu beweisen, ist das lediglich Konservierung dessen, was wir für wahr halten. Dieses Bedürfnis ist allerdings ganz menschlich. Wir wollen davon ausgehen, dass wir die Welt so verstehen, wie sie ist. Dass wir da schon richtig liegen und uns auf „unser Gefühl“ verlassen können 3. Wir haben also eine angeborene, natürliche Tendenz zum sogenannten Bestätigungsfehler. Gemeint ist damit, dass wir besonders offen für Argumente sind, die unser Bild von der Welt bestätigen: zum Beispiel sagt uns Person X, sie habe gerade gelesen, dass wieder einmal gezeigt werden konnte, dass die Erde eine Kugel sei. Werden wir allerdings mit anderen Argumenten konfrontiert, zweifeln wir meist nicht an erster Stelle an unseren Theorien, sondern mehr an dem neuen Argument (das nicht zu unserer Theorie passt) oder der Quelle, von der das Argument stammt: Dann sagt uns zum Beispiel Person Y, er habe eben gehört, die Wissenschaft sei sich einig, die Erde sei doch eine Scheibe.

„Wahrheitskonservierung“ verhindert kritisches Denken und damit Fortschritt. Dennoch ist dieses Bedürfnis nach „bei seiner Meinung bleiben“ in der Gesellschaft an vielen Stellen auszumachen. Das passt nun überhaupt nicht in unsere aktuelle Zeit, denn gerade mit dem immer schneller voranschreitenden Fortschritt müssten auch das Wissen und damit auch Diskurse regelmäßig angepasst werden. Aber eigentlich ist genau dieses Phänomen eine Konsequenz all der Entwicklungen und Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontieren müssen.

Es geht um das Denken

Ein während der COVID-19-Pandemie aktueller Diskurs zum Thema „Zweifel an der eigenen Meinung“ wurde wiederholt ausgelöst durch den wachsenden Erkenntnisstand hinsichtlich der Virusverbreitung. Hier war regelmäßig zu verzeichnen, dass ein neuer Kenntnisgewinn zu einer neuen Haltung führt und Verhaltensregeln geändert werden. Anders Indset, ein norwegischer Philosoph, bringt diesen Gedanken in seinem Buch „Das infizierte Denken“ mit folgendem Satz auf den Punkt:

„Am Ende geht es eben nicht um das Gedachte oder Gesagte, sondern um das Denken an sich.“9

Es ist wichtig, dass wir unsere Meinung reflektieren und hierzu auch neue Argumente grundsätzlich zulassen. Jedoch gewinnt man häufig den Eindruck, derartiges Denken bleibt leider viel zu oft aus. Daniel Kahneman hat die Unterscheidung zwischen dem schnellen (unbewussten, intuitiven) Denken und dem langsamen (bewussten, rationalen) Denken sehr bekannt gemacht 10. Er hat anhand von verschiedenen Studien gezeigt, dass der Mensch lieber schnell und automatisch denkt und eher ungern den anstrengenden und langsameren kognitiven Motor anwirft. Ein Beispiel, das gleichermaßen eindrücklich und einfach erklärt, was damit gemeint ist – angelehnt an die erste Frage aus dem Cognitive Reflection Test von Shane Frederick 11:

BEISPIEL

Eine Maske und eine Flasche Desinfektionsmittel kosten insgesamt 15,00 Euro. Die Maske kostet 10,00 Euro mehr als das Desinfektionsmittel.

Wie viel kostet das Desinfektionsmittel?

Die meisten Menschen antworten hier spontan mittels ihres schnellen Denkens: 5,00 Euro. Das ist jedoch falsch. Denn dann würde die Maske 15,00 Euro kosten und die Summe läge bei 20,00 Euro. Meist merken wir so einen Fehler aber auch gar nicht und leben weiter mit unserem schnellen Denken und diesen Entscheidungen.

Jetzt, nachdem wir aber erfahren haben, dass unsere Antwort, die wir für richtig hielten, falsch war, interessiert es uns vielleicht doch: Was ist denn dann die richtige Lösung? Hierzu müssen wir unser langsameres (bewusstes) Denken aktivieren. Hier kann die Lösung nur sein: Das Desinfektionsmittel kostet 2,50 Euro. Damit kostet die Maske (da sie ja 10,00 Euro mehr kostet) 12,50 Euro. Die Summe ergibt 15,00 Euro. Dieses Beispiel vermag, so eindrücklich es vielfach ist, jedoch nur im Ansatz die Relevanz der Verwendung unserer Denksysteme in unserem Alltag vermitteln. Die Forschung zeigt, dass wir in nahezu allen Lebensbereichen unserer Tendenz zum schnellen Denken nachgeben UND – was die Sache noch problematischer macht – kaum eine Motivation vorhanden ist, unsere spontanen Antworten und Gedanken zu hinterfragen. Genau hier sehen wir eines der größten Probleme in Kombination mit den neuen Unsicherheiten in unserer Lebenswelt.

Als Beispiel sei hier auf die neuen technologischen und Social-Media-Entwicklungen verwiesen (auch hierzu später mehr, sowohl beim Unsicherheitskontext Digitalisierung als auch Fake News). Noch nie zuvor war es so leicht, sich mit unterschiedlichen Perspektiven auf Politik und andere Lebensbereiche und -ergebnisse auseinanderzusetzen wie heute. Das hat sehr viele Vorteile, z. B. besteht so (theoretisch) die Möglichkeit, sich ein umfassenderes Bild einer Sache zu machen. Allerdings hat unsere Informationsgesellschaft mindestens zwei Herausforderungen:

AHohe Komplexität: Durch die zahlreichen und nicht nachvollziehbaren Abhängigkeiten ist es trotz und gerade durch die vielen Informationen nicht möglich, sich ein objektives Bild zu machen. Wir müssen uns zunehmend daran gewöhnen, dass es nicht mehr die eine gültige Wahrheit gibt, sondern es zum gleichen Sachverhalt gleichermaßen richtige, aber widersprüchliche Informationen geben kann.

BQualitätsstandards und -sicherung der Informationen: Da jede und jeder partizipieren kann, gleichzeitig aber kaum Kontrollinstanzen existieren (Stichwort Fake News), ist vielfach nicht mehr auszumachen, wer welchen Inhalt aus welchem Anlass und mit welcher Intention verbreitet.

Ein zweiter Blick

Ein zweiter Blick auf eine Sache kann unsere Einstellung oft stark verändern. Ein sehr gutes Beispiel hierfür stammt von einem ehemaligen Kollegen. Stellen Sie sich folgende Situation vor:

BEISPIEL

Ein Zauberer kommt zu Ihnen und schlägt Ihnen folgenden Deal vor: „Hey, ich bin der Zauberer und werde ab nun für den Rest Deines Lebens einmal im Jahr zu Dir kommen und wir spielen ein Spiel. Hier ist ein Swimming-Pool. Auf diesem schwimmen 20.000 blaue Bälle. Obwohl nicht ganz, einer ist rot. Ich komme nun einmal im Jahr zu Dir und bitte Dich, mit geschlossenen Augen einen dieser Bälle aus dem Pool zu fischen. Erwischst Du einen blauen Ball passiert nichts und ich komme nächstes Jahr wieder. Erwischst Du jedoch den einen roten muss ich Dich verzaubern und Du hörst sofort auf zu existieren. Für wieviel Geld würdest Du dieses Spiel mit mir spielen?“ fragt der Zauberer und erwartet nun eine Antwort.

Würden Sie dieses Spiel spielen und wenn ja, für wie viel Geld? Dieses Szenario haben wir mit einigen Studierenden in verschiedenen Vorlesungen durchgesprochen und es ist interessant, wie sich hier die Antworten unterscheiden. Ohne hier einen Anspruch auf Repräsentativität oder gar Generalisierbarkeit der Rückmeldungen erheben zu wollen, war doch auffällig, dass Frauen häufig antworteten: „Für gar kein Geld – ich würde dieses Spiel einfach nicht spielen.“ Männer hingegen nannten oft bereits einen vergleichsweise eher niedrigeren Betrag wie etwa „ab 60.000 Euro“. Drei Aspekte sind hier besonders spannend:

1. Warum entscheiden sich Menschen für einen niedrigeren Betrag, wenn sie doch in keiner Konkurrenzsituation sind und frei wären, jeden auch deutlich höheren Betrag zu nennen? Die Frage war ja nur: „Für wieviel Geld würdest Du dieses Spiel mit mir spielen?“.

2. Hier zeigt sich, was zahlreiche Studienergebnisse belegen: Frauen und Männer reagieren auf risikohafte Situationen unterschiedlich 12.

3. Was ändert sich, wenn wir die Geschichte anders erzählen bzw. auf einen anderen Kontext beziehen?

Diese Geschichte ist natürlich sehr weit hergeholt, lässt sich aber dennoch schnell auf den Alltag übertragen. Denn die Auflösung steckt in der Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit 1:20.000 ist in etwa das Risiko eines jeden Einzelnen in Deutschland binnen eines Jahres im Straßenverkehr ums Leben zu kommen 13. Daran nehmen wir freiwillig teil – wir können uns auch schlecht entziehen. Dieses Risiko aber fühlt sich ganz anders an. Natürlich kann man hier schnell und zu Recht argumentieren, dass die Szenarien nicht identisch sind. Schließlich sind allein die Kontrollmöglichkeiten verschieden. Trotzdem zeigt dieses Beispiel gut, welchen Unterschied es machen kann, wie eine Geschichte erzählt wird – oder wenn wir einen zweiten Blick darauf werfen, also den gleichen Sachverhalt (1:20.000) aus einer anderen Perspektive betrachten.

Egal, ich mach es trotzdem – es fühlt sich einfach besser an

Dass allein ein zweiter Blick, oder sogar das Wissen darum, dass man falsch liegt, nicht zwangsläufig dazu beiträgt bessere Entscheidungen zu treffen, ist menschlich. Daniel Walco und Jane Rise 14, Verhaltenswissenschaftler und Verhaltenswissenschaftlerin von der University of Chicago, haben untersucht, wie stark das Bedürfnis sein kann, bei der ersten Entscheidung zu bleiben, auch wenn wir erfahren, dass diese falsch war. Sie nennen dieses Phänomen Acquiescing (übersetzt in etwa: dulden/hinnehmen). Wir haben dieses Phänomen am sogenannten Ratio-Bias-Paradigma untersucht.

Der Ratio Bias beschreibt die menschliche Tendenz, ein Ereignis mit geringer Wahrscheinlichkeit als wahrscheinlicher zu bewerten, wenn das Ereignis in einem Verhältnis mit großen Zahlen dargestellt wird, als in einem Verhältnis mit kleinen Zahlen, obwohl die Wahrscheinlichkeiten gleich sind 15.

BEISPIEL

Um einen Preis zu gewinnen, müssen Sie eine rote Kugel aus einer Box ziehen, in die Sie aber nicht hineinschauen können. Sie dürfen nur einmal ziehen. Für welche Box entscheiden Sie sich?

Box A hat 100 Kugeln: 90 blaue und 10 rote

→ 10% Wahrscheinlichkeit, eine rote Kugel zu erwischen

Box B hat 10 Kugeln: 9 blaue und 1 rote

→ 10% Wahrscheinlichkeit, eine rote Kugel zu erwischen

Studien hierzu zeigen, dass viele Menschen die Tendenz zu Box A haben, also lieber in die Box greifen, die mehr Kugeln hat, obwohl die Wahrscheinlichkeiten für den Erfolg, eine rote Kugel zu erwischen, in beiden Boxen identisch ist (jeweils 10%). Wirklich gute Erklärungen hat die Forschung für den Ratio Bias bisher noch nicht. Nun haben Walco und Rise untersucht, wie es sich verhält, wenn die Wahrscheinlichkeiten nicht gleich sind und Box A eindeutig die schlechtere Wahl ist:

BEISPIEL

Box A hat 100 Kugeln: 90 blaue und 10 rote

→ 10% Wahrscheinlichkeit, die rote Kugel zu erwischen

Box B hat 9 Kugeln: 8 blaue und 1 rote

→ 11% Wahrscheinlichkeit, die rote Kugel zu erwischen

Obwohl hier sogar die Erfolgswahrscheinlichkeiten mit angegeben waren, entschieden sich noch immer 11% der befragten Personen für Box A, also die offensichtlich schlechtere Wahl. Wir haben diese Studien wiederholt und versucht, diesem Phänomen ebenfalls auf die Spur zu kommen. Die Antworten der Menschen auf unsere Rückfragen, warum sie sich dennoch für diese Box entschieden haben, war oftmals: „Es fühlt sich einfach besser an“.

Aus psychologischer Perspektive ist dieses irrationale Verhalten nicht verwunderlich. Die Forschungsliteratur ist voll von Studien, die belegen, dass der Mensch keineswegs immer rational logisch handelt. Vielmehr ist das gezeigte Verhalten eine Konsequenz des Zusammenspiels verschiedener Aspekte, vor allem intuitiver, affektiver Treiber, z. B. Vorstellbarkeit, Emotion, Bedeutung, etc.. Für unseren Umgang mit Unsicherheit ist dieser Aspekt hoch relevant. Wenn uns Orientierung fehlt, um eine Situation oder ein Ereignis besser einschätzen zu können, greifen wir automatisch auf unsere Intuition, unser Bauchgefühl, als Ratgeber zurück. Hier kann es nun durchaus hilfreich sein, zu wissen, dass wir damit nicht immer richtig liegen.

Besser Denken geht!

Wir möchten mit diesem Buch einen Beitrag zum kompetenteren Umgang mit Unsicherheit leisten. Das heißt für uns: mit Hilfe von psychologischem Wissen Prozesse und Interaktionen besser zu verstehen und in Bezug auf verschiedene Entwicklungen reflektierter (re-)agieren zu können. Auf diese Weise können wir Unsicherheit nicht nur besser verstehen, sondern auch Herausforderungen erfolgreicher bewältigen. Unser Leitmotiv hierbei ist geprägt von: Humanismus, Demokratie, Aufklärung und kritischer Prüfung im Popperschen Sinne.

Zunächst stellen wir Ihnen verschiedene Unsicherheitskontexte vor, die aus unserer Sicht mit zu unseren größten Herausforderungen gehören und einen wesentlichen Einfluss auf unsere Lebenswelt und unser Sicherheitsempfinden haben. Mit Hilfe psychologischer Theorien und empirischen Studienergebnisse versuchen wir zu erklären und zu beschreiben, welche Effekte entweder zu diesen Phänomenen geführt haben (z. B. politische „Erdbeben“) oder welche Konsequenzen neue Entwicklungen (z. B. Digitalisierung, künstliche Intelligenz) auf unsere Entscheidungen und unser Vertrauen in die Welt haben können.

Anschließend machen wir verschiedene Vorschläge für einen kompetenteren Umgang mit den Herausforderungen, die durch verschiedene Unsicherheitskontexte entstehen. Hierzu ist es zunächst wichtig zu verstehen, dass jede und jeder von uns eine Entscheidung treffen muss – die Entscheidung, selbst zu denken. Gleichzeitig plädieren wir dafür, dass wir uns sowohl als Individuen als auch auf gesellschaftlicher Ebene trauen, mehr Unsicherheit zu wagen und zu akzeptieren, dass Unsicherheit zum menschlichen Leben dazugehört. Denn Unsicherheit mag zwar unangenehm sein, aber ist eben auch ein Preis für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das Ziel dieses Buchs liegt nun aber keineswegs darin, Ängste zu schüren. Ganz im Gegenteil wir plädieren für eine neue Aufklärung. Dieses Buch ist ein Appell an die individuelle Verantwortlichkeit eines Jeden – zu denken.