Unter der roten Sonne Australiens - Rosalind Miles - E-Book
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Unter der roten Sonne Australiens E-Book

Rosalind Miles

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Beschreibung

Kann er der Versuchung widerstehen? Der dramatische Liebesroman »Unter der roten Sonne Australiens« von Rosalind Miles jetzt als eBook bei dotbooks. Endlich kann er zurückkehren in das Land des roten Himmels und der endlosen Weiten: In einer kleinen Gemeinde an der Küste Australiens will der Priester Robert Maitland in die Fußstapfen seines Vaters treten … und endlich die Schatten hinter sich lassen, die über seiner Vergangenheit liegen. Hier begegnet er einer jungen Frau, die unter einem schweren Schicksal leidet – und kann schon bald die Gefühle nicht mehr leugnen, die er für Ally hegt. Aber selbst, wenn er für diese Liebe alles aufs Spiel setzt, was ihm wichtig ist: Haben die beiden wirklich eine Chance, glücklich zu werden? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Schicksalsroman »Unter der roten Sonne Australiens« von Rosalind Miles wird Fans des Klassikers »Die Dornenvögel« und der Bestsellerautorin Danielle Steele begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 581

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Über dieses Buch:

Endlich kann er zurückkehren in das Land des roten Himmels und der endlosen Weiten: In einer kleinen Gemeinde an der Küste Australiens will der Priester Robert Maitland in die Fußstapfen seines Vaters treten … und endlich die Schatten hinter sich lassen, die über seiner Vergangenheit liegen. Hier begegnet er einer jungen Frau, die unter einem schweren Schicksal leidet – und kann schon bald die Gefühle nicht mehr leugnen, die er für Ally hegt. Aber selbst, wenn er für diese Liebe alles aufs Spiel setzt, was ihm wichtig ist: Haben die beiden wirklich eine Chance, glücklich zu werden?

Über die Autorin:

Rosalind Miles wurde in Warwickshire geboren und studierte in Oxford, Birmingham und Leicester. Sie ist eine preisgekrönte Schriftstellerin, Journalistin, Kritikerin und Rundfunksprecherin, deren Werke in der ganzen Welt erschienen sind. Unter anderem gewann sie den Network Award für herausragende Leistungen im Schreiben für Frauen. Ihre historischen Romane wurden international gefeiert, insbesondere »Elisabeth, Königin von England«, in der sie das Leben und die Zeit der Tudor-Königin nachzeichnet. Ihr juristisches und soziales Engagement hat sie vom Buckingham Palace bis ins Weiße Haus geführt.

Rosalind Miles veröffentlichte bei dotbooks ihre Romanbiographie »Elisabeth, Königin von England«, ihre historischen Romane der Guinevere-Saga »Die Herrin von Camelot« und »Die Königin des Sommerlandes« und ihre dramatischen Australienromane »Unter der roten Sonne Australiens« sowie die beiden Bände der großen Eden-Saga »Im Schatten des Akazienbaums« und »Im Land der Silbereichen«.

Die Website der Autorin: rosalind.net

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eBook-Neuausgabe Juni 2023

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1991 unter dem Originaltitel »Prodigal Sins«. Die deutsche Erstausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Und besiege die Sünde« bei Lübbe.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1991 Southern Star Group Pty Limited

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1992 für die deutsche Übersetzung by Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/kwest, Lev Kropotov, Alesikka, trabantos

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-680-1

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Rosalind Miles

Unter der roten Sonne Australiens

Roman

Aus dem Englischen von Ursula Walther

dotbooks.

Prolog

Australien 1965

Der junge Mann lief nackt, wie Gott ihn erschaffen hatte, über den Strand. Die ersten Strahlen der Morgensonne hüllten seinen geschmeidigen Körper in feuriges Licht, vergoldeten sein helles Haar und wärmten seine Haut mit dem Versprechen auf den ersten heißen Tag des Jahres. Er vergaß alles, als er durch den kühlen Sand rannte, und warf sich mit einem Schrei des Triumphs in die Brandung, die donnernd dem Strand zurollte – mit Brechern, hoch wie ein Haus. Furchtlos, wie nur jemand sein konnte, der in seiner Kindheit Stunden und Tage im Wasser verbracht hatte, schwamm er mit kräftigen Stößen durch die turmhohen Wellen auf den glitzernden Horizont zu.

»Robert! Rob! Warte auf mich, verdammt!«

Am Strand bemühte sich sein Freund noch immer, sich auszuziehen, und zerrte ungeduldig an seinen Kleidern.

»Ich gewinne, Everard!« tönte es über die schimmernden Wogen. »Gib zu, daß ich dich geschlagen habe!«

»Wenn du die ganze Nacht durchgearbeitet hättest, würdest du verlieren.« Mit einem verächtlichen Heuler schleuderte Paul Everard das letzte Kleidungsstück von sich und stürzte sich in die Wellen.

Weit draußen tobten die Schwimmer wie Tümmler im Wasser – sie sprangen, tauchten und glitten mit ungebändigter Energie und natürlicher Anmut wieder an die Oberfläche, um auf dem Rücken zu treiben und den farbenprächtigen tropischen Sonnenaufgang zu betrachten. Großer Gott, wie wunderbar Robert sich fühlte! Gab es einen glücklicheren Menschen in ganz Australien? All dies zu haben, und bald ... Er lachte laut bei diesem Gedanken und stieß einen Freudenschrei aus. Plötzlich umklammerte eine kräftige Hand seinen Knöchel.

»Los, Maitland«, prustete Paul und spuckte Wasser. »Jetzt werden wir ja sehen, wer wen schlägt.«

Wie jeder ihrer Wettkämpfe seit ihrer Kindheit endete auch diese Unterwasserschlacht mit einem Unentschieden. Kurze Zeit später lagen sie erschöpft Seite an Seite in freundschaftlichem Schweigen im Sand und genossen den vollkommenen Frieden. In der von Felsen und hohen weißen Klippen abgeschirmten Bucht hätten sie ebensogut die einzigen Lebewesen auf der Welt sein können.

Robert brach das Schweigen. »Gut, jetzt haben wir die Rituale des Frühlings hinter uns gebracht.« Er reckte und streckte seinen Körper wie ein verspieltes Tigerjunges.

»Rituale des Frühlings?« murmelte Paul schläfrig. »Das war es also. Und ich dachte, du hättest nur die Gelegenheit beim Schopf gepackt, deinen alten Kumpel noch einmal zu sehen, bevor er für immer verloren ist – oder, daß du im Adamskostüm tauchen wolltest, ein letztes Mal die natürliche Freiheit genießen, stimmt’s?«

Robert bedachte ihn mit einem boshaften Grinsen. »Du gehörst jetzt zur arbeitenden Bevölkerung und scheinst ja nachts am meisten beschäftigt zu sein. Du kannst nicht mehr richtig Schritt halten, das ist alles. Ich überlasse dir das Feld, alter Freund. Und was die natürliche Freiheit betrifft – die Art, wie du am Samstagabend mit Janice Peasley getanzt hast, war direkt animalisch. Du bist ein richtiger Sexprotz. Denkst du überhaupt jemals an etwas anderes?«

»Hey, ich wollte ihr nur eine schöne Zeit bereiten«, protestierte Paul. »Und soll ich dir was sagen? Nachdem ich den Abend mit ihr verbracht hatte, besaß sie die Frechheit, mir ins Gesicht zu sagen, daß sie die ganze Zeit an dich gedacht hat.«

»An mich?«

Wenn Rob auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, wie gut er tatsächlich aussieht, wäre er mörderisch, dachte Paul nicht zum erstenmal, während er seinen Freund musterte. Er selbst brauchte sich auch nicht zu verstecken, das wußte Paul. Sein langer, kräftiger Körper hatte sich früher entwickelt als der von Robert, und seine dunkle Erscheinung machte Eindruck. Aber nicht immer auf die Besten – nicht auf die, auf die es ankam, dachte er grimmig.

Aber Rob ... er betrachtete unter halbgeschlossenen Lidern Roberts breite Schultern, seine schmalen Hüften, die goldbraune Haut, das feingeschnittene Gesicht unter der dichten hellen Mähne, und verspürte wieder die häßlichen Neidgefühle, gegen die er schon seit der Kinderzeit ankämpfte. Seit damals hatte Rob jedes Mädchenherz für sich gewonnen.

Der einzige Trost, der Paul blieb, war, daß Rob keine Ahnung hatte, wie er auf Frauen wirkte. In der Schule, als ihn die Mädchen wie Motten das Licht umschwirrten und ihre Augen nicht von ihm wenden konnten, hatte Rob keinerlei Notiz davon genommen. Er bemerkte es einfach nicht, daß sie an seinen Lippen hingen und ihn mit Blicken verzehrten – unbeirrbar ging er seinen Weg, ohne sich bewußt zu sein, welche Gelegenheiten er verpaßte.

Paul seufzte. »Ja, an dich«, nahm er das Gespräch wieder auf. »Und sie ist nicht die einzige. Noellene Foley betet dich seit dem Kindergarten an, und Joanne Mackintosh fragt ständig nach dir. Es ist schade, daß du den Kontakt zu ihnen verloren hast, seit du im College bist.«

»Wie kommt es, daß du so viel von ihnen weißt, obwohl du doch tagsüber – und wie gestern auch nachts – in der Mine arbeitest?« fragte Robert lachend.

»Zeiteinteilung, mein Freund.« Paul lächelte. »Man muß Prioritäten setzen. Die Mine ist nur ein Job. Die Mädchen sind mein ...«

»Deine Erholung in der Horizontalen?« Robert kicherte wie eine Hyäne und wich geschickt dem Hieb aus, der Pauls Wutschrei folgte. »Verdammter Bastard!« zischte Paul. »Ich wußte doch, daß wir dich niemals aufs College hätten schicken dürfen. Mir war sofort klar, daß du ein arroganter Kerl wirst.«

»Ich mußte aufs College, Paul, das weißt du genau.«

Roberts Miene wurde plötzlich ernst, und Paul spürte einen dieser raschen Stimmungsumschwünge, die für Roberts Charakter so typisch waren. »Ja, klar«, lenkte er ungeschickt ein. »Bei dir ist alles anders als bei mir. Ich habe mir nie etwas anderes gewünscht, als in Brightstone zu leben. Und außerdem war ich nie so gescheit wie du.«

»Damit hat das gar nichts zu tun. Du weißt sehr gut, was ich meine. Mein Vater ...« Rob verfiel in brütendes Schweigen und schaute mit einem Ausdruck aufs Meer, den Paul schon von unzähligen Diskussionen über dieses Thema kannte. Im nächsten Moment zuckte Rob mit den Achseln, und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »In diesem Punkt habe ich gewonnen. Und ich verschwinde auch wieder, so schnell ich kann.«

»Du verschwindest wieder?« fragte Paul entgeistert. »Aber du bist doch gerade erst angekommen.« Er verschluckte einen vehementeren Protest: Ich dachte, du wolltest hierbleiben, und alles könnte wie früher sein. Statt dessen schloß er lahm: »Ich habe gedacht, du hättest deinen Abschluß gemacht, und das wär’s dann.« »Das war’s auch«, bestätigte Robert, der sensibel genug war, die Gefühle seines Freundes zu erkennen. »Aber es drängt mich, mehr zu tun und mehr zu sehen, bevor ich für immer zurückkomme.« Fast unmerklich wurde sein Tonfall härter. »Ich bin nur ein paar Wochen hier, und schon habe ich das Gefühl, ersticken zu müssen. Wenn ich noch länger bleibe, werde ich verrückt. Ich muß weg, Paul ... und genau aus denselben Gründen wie damals.«

Paul nickte verständnisvoll und schwieg. Wieder heftete Robert den Blick auf den Horizont, und seine Miene wirkte aggressiv, als er fortfuhr: »Du hast großes Glück mit deinen Eltern, Paul – besonders mit deinem Vater. Ich weiß, daß er sich gefreut hat, als du dich dazu entschlossen hast, wie er in der Mine zu arbeiten. Aber ich bin sicher, er hätte dir keine Steine in den Weg gelegt, wenn du dich für etwas anderes entschieden hättest. Du und Claire ... dein Vater behandelt euch beide gleich, aber für meinen Vater ist Joan die perfekte Tochter, und ich bin das schwarze Schaf – der verlorene Sohn.«

»Joan ist ein prima Mädchen, das mußt du zugeben«, warf Paul ein. Beinahe hätte er gesagt: »ein prima Kerl«, aber er war nicht sicher, ob das ein Kompliment gewesen wäre.

Roberts angespanntes Gesicht wurde weicher. »Ich weiß«, sagte er liebevoll. »Und es ist ja auch nicht ihre Schuld, daß sie Vater so ähnlich ist. Er scheint nie etwas daran auszusetzen zu haben, wenn sie tut, was sie will. Aber ich mußte um alles kämpfen – auch um meine Freiheit. Und dieser Kampf dauert noch an.«

Paul erkannte die Entschlossenheit in den Zügen seines Freundes und bewunderte ihn wegen seiner Stärke. »Was willst du tun?« fragte er vorsichtig.

»Was immer sich gerade ergibt«, lautete die prompte Antwort. »Ich werde einen Job annehmen oder weiter auf die Schule gehen und studieren. Ich würde gern ein großer Forscher werden – aber egal, ich würde alles tun, nur um von hier wegzukommen.«

Ein schmerzliches Erkennen machte sich in Paul breit. »Weg von Brightstone?«

»Weg von Australien.« Paul hatte Robert nie so entschieden erlebt. »Diese Insel mag die größte der Welt sein, aber sie ist nicht groß genug für meinen Vater und mich – wird es nie sein.«

Eine bedeutungsschwere Pause entstand, und Paul suchte nach irgend etwas, das er sagen könnte. »Was wird er tun, wenn er herausfindet, daß du nicht auf das Lehrerseminar gehst, wo er dich angemeldet hat?«

Ein boshaftes Grinsen glitt über Roberts hübsches Gesicht. »Das gibt ein riesiges Donnerwetter!« Er lachte. »Er ist zwar ein Mann Gottes, aber seine Wutausbrüche sind genauso gewaltig wie die eines normalen Sünders.«

Warum nannte er sein Zuhause in letzter Zeit nur noch »Pfarrhaus«? fragte sich Robert, als er die Bucht über den steinigen Pfad verließ und über die Landspitze wanderte. Es ist wirklich Zeit, daß ich gehe, dachte er entschlossen. Die Morgensonne wärmte seine Schultern und seinen Nacken mit ihrer glühenden Liebkosung. Er konnte noch immer die Kraft der Brecher spüren, die er durchschwommen hatte, roch die unermeßliche Frische des Ozeans und schmeckte das Salz auf seinen Lippen. Plötzlich empfand er eine überwältigende Zuversicht, klar und stark. Nichts – weder sein Vater noch sonst irgend etwas – konnte ihn zurückhalten. Sein Leben lag vor ihm, und keine Menschenseele konnte ihm verbieten, wegzugehen.

Als er durch die Hintertür in die Küche kam, lächelte das große schlanke Mädchen, das das Frühstück zubereitete, verständnisvoll. Seine Schwester kannte ihn so gut, daß es keiner Worte bedurfte. Sie las seine Gefühle von seinem Gesicht ab.

Zwischen ihnen bestand mehr als nur eine durchschnittliche geschwisterliche Liebe. Seit Joan ihren kleinen Bruder kurz nach seiner Geburt zum erstenmal gesehen hatte, betete sie ihn an und beschützte ihn. Sie kümmerte sich um seine schulischen Belange und sorgte rührend für sein Wohlergehen.

In ihrer Kindheit hätte man die beiden für Zwillinge halten können, da beide in der äußeren Erscheinung ihrem Vater glichen und das helle Haar und sein nordisches Aussehen geerbt hatten. Mit derselben aufrechten Haltung gingen sie durchs Leben und betrachteten die Welt mit demselben offenen, ehrlichen Blick, ohne sich auch nur im geringsten bewußt zu sein, daß andere Mütter, deren Kinder nicht so hübsch waren, sie mit Bewunderung oder Groll betrachteten.

Obwohl sich mit den Jahren natürliche Unterschiede einstellten, standen sie sich immer noch sehr nahe. Seit ihren ersten Kindertagen zeigte Joan die Eigenschaft, die sich später als zentrales Charakteristikum herausstellen sollte: eine bemerkenswerte Zielstrebigkeit. Nichts und niemand konnte sie davon abbringen, ihren Weg zu verfolgen. Und was immer Joan in die Hand nahm, brachte sie zu Ende, ohne sich beirren zu lassen. Immer ein klares Ziel vor Augen, hatte sie bald ohne die geringsten Schwierigkeiten die Schule hinter sich und absolvierte, da sie in Brightstone bleiben wollte, das örtliche College mit Bravour.

Robert hingegen war von Natur aus beweglicher, was gleichermaßen eine Last wie eine Gnade sein konnte, und verabscheute es, zu etwas gezwungen zu werden oder wenn er sich auf etwas festlegen sollte. Er liebte körperliche Arbeit und den rauhen, wilden Sport im Freien ebenso wie die Ruhe, die in seinem Zimmer herrschte, wenn er lernte oder Musik hörte. Schon früh entwickelte er sich zu einer eifrigen und empfänglichen Persönlichkeit, und das machte seine Stärke aus, war aber auch gleichzeitig ein Handicap. Er sehnte sich nach Herausforderung und Veränderungen. Ohne diese Anreize verkümmerte er wie eine Pflanze, der Licht und Wasser entzogen wurden.

Robert litt unter seinem Vater, einem autoritären Patriarchen mit starren Grundsätzen. »Wenn er nur nicht immer so sicher wäre, im Recht zu sein!« schimpfte Robert, wenn er mit Joan allein war.

»Wenn du selbst nur weniger sicher wärst«, gab Joan zurück.

»Mutter müßte ihm mehr Widerstand entgegensetzen«, beklagte sich Robert.

»Oder du weniger«, versetzte sie.

Wie hatte das alles begonnen? Die Beziehung war nie einfach und unbelastet gewesen. Von vornherein hatten die Eltern, die sowohl streng als auch überängstlich und sehr gottesfürchtig waren, zuviel von ihren beiden Kindern erwartet. Besonders Robert, ihren einzigen Sohn, belasteten sie mit irrationalen Hoffnungen – das war Robert immer schon klargewesen.

Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er sich zum erstenmal mit ihnen überworfen hatte, so früh waren Gegensätzlichkeiten zutage getreten – Differenzen über seine Aktivitäten in der Schule, seine Freunde, seine Geisteshaltung und die Fächer, die ihn in der Schule besonders interessiert hatten. »Philosophie? Warum belegst du nicht Theologie? Und was ist so falsch an unserem hiesigen College?« hatte der alte Herr getobt, gänzlich unbeeindruckt von den Möglichkeiten, die sich seinem Sohn außerhalb der kleinen Minenstadt boten. Er selbst hatte nie Alternativen gehabt und sie auch nie herbeigesehnt. Je mehr Robert erreichte, desto übler nahm ihm der alte Pfarrer seine Erfolge. Ihn erschreckte insgeheim Roberts Wißbegierde und seine starke Persönlichkeit, und er war entschlossen, das, was er als Angriff auf seinen Glauben sah, zu bekämpfen.

Aus diesen Gründen hatte es ständig Meinungsverschiedenheiten gegeben, aus denen allmählich erbitterte Kämpfe wurden, wenn der alte Herr blinden Gehorsam von seinem Sohn forderte und Robert sich ihm konsequent widersetzte. Mrs. Maitland hatte sich den Konflikten entzogen, indem sie sich in Migräneanfälle und nervöse Leiden flüchtete; Joan, die ihren Vater kaum weniger verehrte als ihren Bruder, bemühte sich unablässig, die beiden Kampfhähne zu versöhnen.

An diesem Morgen genügte Robert ein Blick, um zu erkennen, daß im Pfarrhaus Gewitterstimmung herrschte.

»Was ist los?« fragte er.

Joan zuckte mit den Achseln. »Er wollte, daß du ihn zu der Sitzung des Kirchenrats fährst. Aber du warst nicht hier. Jetzt ist er wütend.«

»Aber ich habe ihm doch gestern angeboten, ihn hinzufahren, und er hat mir einen Vortrag gehalten, daß er sehr gut selbst fahren könnte«, schimpfte Robert.

Joan ging nicht auf diese Bemerkung ein. »Mutter macht sich Sorgen um ihn. Sie sagt, daß es ihm heute nacht nicht gutging und er schlecht geschlafen hat.«

»Du meinst, er hat einen dieser Zustände, die er immer abstreitet?«

Wieder achtete Joan nicht auf das, was er sagte. »Er möchte heute abend ausgehen – mit Mutter zur Golden-Years-Gesellschaft. Sie hatte Schwierigkeiten, ihn dazu zu überreden, daß du sie hinbringst. Er hat eine gräßliche Laune heute morgen.«

Robert stöhnte. »Es ist hoffnungslos. Wenn er schon in kleinen Dingen so unvernünftig ist, wie wird er sich dann erst aufführen, wenn ich ihm sage, daß ich von hier weggehe und von jetzt an mein eigenes Leben führe?«

»Diese Hürde wirst du schon nehmen«, meinte Joan. »Sprich heute abend mit ihm – ich würde dir den Rücken stärken. Vielleicht wird’s nicht halb so schlimm, wie du denkst.« Ihr Tonfall änderte sich. »Laß uns über etwas Erfreulicheres sprechen.« Plötzlich benahm sie sich ungezwungener, als sie sich zu Robert Umdrehte. »Gehen wir am Samstagabend mit Paul Everard und seiner Schwester zum Tanzen?«

»Warum nicht?« fragte Robert.

An diesem Nachmittag bereitete sich Robert, so gut er konnte, auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit seinem Vater vor. Aber gegen den rasenden Zorn, der über ihn hereinbrach, als der alte Pfarrer, ohne anzuklopfen, in sein Zimmer stürmte, war er nicht gewappnet.

Reverend Maitland bot einen furchterregenden Anblick, als er sich groß und hager, mit dem Gesicht eines alttestamentarischen Racheengels, vor seinem Sohn aufbaute. »Du ... du!« Er war zu wütend, um Worte zu finden.

Robert hob den Blick von dem Buch, in dem er gelesen hatte, um dem Ansturm hocherhobenen Hauptes zu begegnen. »Ja?« fragte er unerschrocken.

»Du warst heute morgen schwimmen – nackt. Wage nicht, das zu leugnen. Du bist gesehen worden.«

Robert brach in Gelächter aus. »Ist das alles? Ich war mit Paul Everard baden, wie wir es seit unserer Kindheit getan haben.«

»Du bist von einer Lady, einem Mitglied des Kirchenrats, gesehen und erkannt worden, und sie hat eine offizielle Meldung gemacht. Sie war empört und schockiert.«

Robert biß sich auf die Unterlippe. »Dad, wir wollten bestimmt niemanden aufregen ...«

Aber sein Vater wischte den Einwand beiseite. Dem alten Mann war deutlich anzusehen, daß er sich lange Zeit in seine Wut hineingesteigert hatte, und jetzt konnte ihn nichts mehr besänftigen. »Diese Arroganz!« krächzte er. »Als ob Gott das Universum für dich allein erschaffen hätte.«

»Komm schon, Dad.« Wie jedesmal fühlte Robert, daß ihn seine Geduld im Stich ließ und all seine guten Vorsätze mit jedem Wort, das sein Vater aussprach, zerrannen. »Das ist doch keine Todsünde.«

»Nein? Ich behaupte, es ist sehr wohl eine Todsünde.«

Erschrocken registrierte Robert, daß sich sein Vater immer mehr in Wut redete. So harmlos der Zwischenfall auch gewesen sein mochte – offenbar hatte Roberts Badeausflug in dem alten Mann mehr ausgelöst, als sein Sohn je geahnt hätte. Der Alte raste vor Zorn. »Du! Mein Sohn, mein einziger Sohn! Bist wohl stolz auf deine Bildung – aber die Bibel kennst du nicht.«

Robert schoß das Blut ins Gesicht. »Was willst du damit sagen?«

Mit glühenden Augen begann der Alte in einem schreckenerregenden Singsang zu zitieren: »Jeder, der das geringste meiner Gebote mißachtet, wird des Himmelreichs verwiesen ...«

»Gebote? Welches Gebot?«

»Du bist nicht mehr mein Sohn, wenn du nicht einmal erkennst, daß du gegen das vierte Gebot – gegen das Gebot des Gehorsams – verstoßen hast.«

Robert bemühte sich, die Beherrschung nicht zu verlieren. »Ich kenne das vierte Gebot«, erwiderte er ruhig. »Und ich ehre meinen Vater und meine Mutter – ich respektiere euch beide, das weißt du, aber Gehorsam ...«

»Jeder schuldet seinem Vater Gehorsam«, brüllte der alte Mann. »Ein Vater weiß, was das Beste für seine Kinder ist.«

»Solange sie noch Kinder sind, vielleicht.« Robert atmete schwer, aber er war entschlossen, sich durchzusetzen. »Ich bin kein Kind mehr; ich bin einundzwanzig und treffe meine eigenen Entscheidungen. Ich wollte dir sagen, Dad, daß ich das Seminar, für das du mich angemeldet hast, nicht besuchen werde. Ich gehe weg von hier und suche mir eine Arbeit oder ich studiere – ich mache, was immer sich mir bietet, und ich verlasse das Haus, sobald ich kann. Dann bin ich dir nicht mehr im Weg, und du brauchst dich auch nicht mehr über mich aufzuregen.«

In dem darauffolgenden Wortgefecht, das immer heftiger und zorniger wurde, sagte und tat Robert Dinge, die er sein Leben lang bereuen sollte. Seine Schwester und seine zu Tode verängstigte Mutter versuchten erfolglos, den Zorn seines Vaters zu beschwichtigen. Und während des erbitterten Kampfes bemerkte niemand, daß das Gesicht seines Vaters eine unnatürliche tiefrote Färbung angenommen hatte. Mit jedem barschen Wort, das er seinem Sohn entgegenschleuderte, wurde sein Atem heftiger.

Nur Mrs. Maitland schien zu ahnen, was auf sie zukam. »Robert! Robert!« weinte sie. »Du brichst deinem Vater das Herz, siehst du das nicht?«

»O Mutter«, seufzte Robert, »er bricht es sich selbst – und meins dazu.«

Ihre flehenden Bitten bewirkten, was die Tyrannei des alten Mannes niemals vermocht hätte. Robert schluckte seinen Ärger hinunter und versuchte, mit seinem Vater Frieden zu schließen. Betroffen über dessen Zustand – über die Verfassung seiner beiden Eltern –, machte er sich daran, sie zur Golden-Years-Gesellschaft zu fahren.

Aber sein Vater wollte nichts davon wissen. Er ging nicht auf das Friedensangebot ein und verließ, ohne ein weiteres Wort an seinen Sohn zu richten, das Haus. Auf der Landspitze außerhalb von Brightstone erlitt er eine Herzattacke, und der Wagen stürzte über die Klippen ins Meer. Beide, der Reverend und seine Frau, fanden den Tod. Mit diesem Schicksalsschlag mußte – mehr als jeder andere – sein Sohn für den Rest seiner Tage leben.

Teil I

1970

Frühling

Kapitel 1

Es sollte eine lange, beschwerliche Reise werden, und es gab keine andere Möglichkeit, als das öde rote Herz des Kontinents zu durchqueren. Im diffusen Licht der Abenddämmerung schnaubte der Zug aus dem Bahnhof, rumpelte durch die Stadt und die Vororte, bis er die letzten Anzeichen menschlicher Zivilisation hinter sich gelassen und die riesige Ebene erreicht hatte.

Den ganzen Tag über waren schwere Wolken am Horizont zusammengekrochen, als ob sich der Winter für eine letzte Schlacht gegen den nahenden Frühling rüsten wollte. Jetzt, bei Einbruch der Nacht, huschten blutrote und feurig goldene Schatten über den Himmel, aber sie kündigten keinen Sturm an – in dieser Jahreszeit gab es keine Unwetter. Die letzten Sonnenstrahlen strömten in die Abteile des Zugs, während sich die Reisenden auf die Nacht vorbereiteten. Unaufhaltsam stampfte der Zug der Dunkelheit entgegen.

Die Gruppe, die sich am nächsten Morgen im staubigen Bahnhof versammelte, war sogar für die Verhältnisse von Brightstone klein. Dennoch hatte die große hübsche Frau, die gerade ankam, keine Geduld, allen die Hände zu schütteln. Sie schlenderte auf den Bahnsteig, um allein zu sein. Die Morgenluft duftete süß und frisch, und die Oleanderbüsche neben den Gleisen blühten in üppigem Rot und Gold. Aber Joan hatte keine Augen für die Schönheit der Natur. Die verdammten Wilkes, dachte sie wütend, was zur Hölle haben sie hier zu suchen? Nur weil Wilkes der Besitzer der Mine ist, beherrscht er noch lange nicht die ganze Stadt – weder er noch seine törichte Frau haben Robert jemals zu Gesicht bekommen.

»Ist alles in Ordnung, Joanie?«

Joan drehte sich um und blickte lächelnd in das besorgte Gesicht der kleinen mütterlichen Frau.

»Ja, du brauchst dir keine Gedanken zu machen, Molly.« Ihr Lächeln wurde steif. »Nur ... wir wären auch ganz gut ohne ihn zurechtgekommen.« Mit einer ärgerlichen Kopfbewegung deutete sie auf den dicken, wichtigtuerischen Wilkes, der gerade, seine Frau im Schlepptau, geschäftig auf den Bahnhofsvorsteher zustrebte.

»Robert wird das bestimmt nicht stören«, behauptete Molly fest. »Ein Pfarrer ist nun mal für alle da, daran müßtest du eigentlich gewöhnt sein.«

Ein Pfarrer. Ja. Seltsam, wie sich alles entwickelt hatte – Robert hatte den Beruf seines Vaters ergriffen und übernahm nun sogar seine Pfarrei.

»Und ein bedeutender Mann wie Wilkes«, fügte Molly hinzu, »könnte Robert sehr behilflich sein. Ach, vergiß Wilkes einfach. Die Hauptperson bist du – du bist Roberts einzige Familienangehörige, und er braucht dich.«

Und jeder Mensch könnte stolz sein, eine Schwester wie Joan Maitland zu haben, setzte sie im stillen hinzu. Joan hatte es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt – aber alles tapfer überwunden, sogar die in letzter Minute geplatzte Verlobung. »Blut ist dicker als Wasser«, sagte sie laut. »Er hat nur dich, vergiß das nicht, und du hast Kontakt zu allen anderen.«

Joan nickte heftig. Es ist wahr, dachte sie traurig. »Aber er hat Claire«, bemerkte sie dennoch.

»Ja, Claire.« Molly Everards breites, von harter Arbeit gezeichnetes Gesicht nahm einen sanften Ausdruck an, als sie an ihre Tochter dachte. »Ich hoffe, daß sie bald eine Familie gründen, jetzt, da Robert das Pfarramt übernimmt. Jemand sollte mich zur Großmutter aufrücken lassen, bevor es zu spät ist. Es macht mich ganz krank, daß Paul immer noch herumtändelt. Aber du weißt selbst, daß eine Ehefrau etwas anderes ist als eine Schwester. Robert kann sich glücklich schätzen, daß er euch beide hat, besonders seit ...«

»Ich weiß.« Joan wandte sich ab und gab vor, in der Ferne nach dem Zug Ausschau zu halten. Glücklicherweise überschattete die Krempe ihres Huts ihr Gesicht und verbarg den plötzlichen Ausdruck des Schmerzes in ihren Augen. »Robert war so verzweifelt, als er von hier wegging, und ich kann nicht verstehen, warum er sich ausgerechnet hier niederläßt. Molly, es ist Jahre her ...«

Gleich nach dem Begräbnis, als sie seine Sachen gepackt und ihn zum Zug gebracht hatte, war sie bemüht gewesen, seine Sorgen zu zerstreuen. »Schau nicht zurück, Robert«, hatte sie gesagt. »Du kannst die Zeit nicht zurückschrauben, und dazu besteht auch gar kein Anlaß.« Ihre Stimme und ihre Miene waren hart und ihr Herz schwer wie Granit gewesen. Und jetzt – was fühlte sie jetzt?

»Du machst dir zu viele Gedanken, Joanie – das hast du immer schon getan.« Ein keuchender Husten kündigte die Ankunft von Mollys Mann George an, der zeit seines Lebens in den Kohleminen von Brightstone gearbeitet und einen bleibenden Gesundheitsschaden davongetragen hatte. »Sich unnötige Sorgen zu machen, hat noch nie irgendein Problem gelöst.«

Joan starrte über Georges Schulter dem herbeieilenden Wilkes entgegen.

»Einen schönen guten Morgen, Miss Maitland. Sie kennen sicherlich meine Frau. Guten Morgen, Mrs. Everard, guten Morgen, George.« Selbst in der größten Aufregung hätte der Minenboss niemals vergessen, was er als gutes Benehmen ansah. Er bedachte die kleine Gruppe mit einem gönnerhaften Lächeln. »Ich habe gerade neueste Informationen vom Bahnhofvorsteher erhalten. Der Nachtzug ist pünktlich und wird fahrplanmäßig eintreffen. Jeden Moment können wir Reverend und Mrs. Maitland in Brightstone willkommen heißen.«

Plötzlich herrschte Stille. Joan sah sich um, und ihre wachsende Erregung machte sich mit dem Satz »Wo ist Paul?« Luft.

Geh nicht zurück. Geh nie zurück. O Gott, gilt das immer? Die junge Frau rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her und versuchte ihre aufkommende Angst zu bekämpfen. Geh-nie-zurück. Geh-nie-zurück, ratterten die Räder des Zuges und verhöhnten mit diesem eintönigen Geräusch ihre Gedanken. Ich höre schon Gespenster, dachte sie unmutig. Ich bin zu lange in diesem Zug gewesen. Die stickige Luft in dem Abteil war unerträglich, und riesengroße Fliegen brummten unablässig gegen die staubbedeckte Fensterscheibe. Claire Maitland gab alle Versuche, sich auf ihr Buch zu konzentrieren, auf, legte es beiseite und tastete nach ihrer Handtasche.

Der Mann ihr gegenüber schien, ohne den Kopf zu heben, die Richtung, die ihre Gedanken genommen hatten, zu erahnen.

»Bist du müde, Liebling?«

Claire wandte sich von ihrem Handspiegel ab und lächelte ihren Mann zärtlich an. Wie immer genügte ein Blick auf seine hübschen Züge, um ihr Herz vor Liebe überquellen zu lassen. Sie kannte Robert schon ihr ganzes Leben – seit er mit ihrem großen Bruder in die Schule gegangen war. Und schon als Kind hatte sie ihn bewundert und war wütend geworden, wenn er die Aufmerksamkeit der weiblichen Bevölkerung von Brightstone auf sich gezogen hatte. Um so erstaunter war sie gewesen, daß er, dem die Welt zu Füßen lag, all den schönen Frauen den Rücken gekehrt und sich für sie entschieden hatte.

Claire war zu bescheiden, um zu erkennen, daß ihre porzellanweiße Haut, die großen, gedankenvollen Augen und das dunkle lockige Haar, das ihr herzförmiges Gesicht umrahmte, dem Betrachter länger im Gedächtnis haften blieben, als jede blonde langbeinige Schönheit es vermocht hätte.

Plötzlich sehnte sie sich nach ihm – jede Faser in ihr verzehrte sich nach seiner Berührung, und das Lächeln in seinen Augen verriet ihr, daß seine außergewöhnliche Intuition ihre Gefühle erfaßt hatte. Aufreizend langsam streckte er die Hand aus, um Claire an sich zu ziehen.

Ein schriller Pfiff durchschnitt die prickelnde Stille, die sie umgab. Der Zug zitterte, als sich die Bremsen an die Räder preßten, und wurde widerstrebend langsamer.

»Schon?«

Roberts scharfgeschnittenes Gesicht, dem die erregte Erwartung deutlich anzusehen war, hob sich. Er stand auf und schob das Fenster herunter, und Claire schlüpfte unter seinem Arm hindurch, um ebenfalls hinauszuschauen. In der Ferne konnte sie undeutlich eine Ansammlung von Häusern und Bungalows ausmachen, und dahinter ragten, als ob sie die Stadt beherrschen wollten, schwere Maschinen in den goldenen Morgenhimmel – ein futuristisches Phantasiegebilde von rußgeschwärzten riesigen Rädern, turmhohen Schornsteinen und Förderkränen. Sogar aus dieser Entfernung hörten die Reisenden gedämpftes Rasseln und Stampfen der Förderbänder, was, ihnen verriet, daß die Minenarbeiter wie sie selbst die Nacht schlaflos verbracht hatten. Robert fixierte das Minengelände mit dem neugierigen Blick eines Heimkehrers.

»Es ist Brightstone, wir sind da.«

»Endlich.«

Gleich hinter dem Mineneingang stieg das Gelände sanft bis zur felsigen, kohlehaltigen Landspitze an, die auf der anderen Seite steil zum Meer hin abfiel. Neben den wimmernden Geräuschen der Fördermaschinen war leise, aber unverkennbar das Donnern der Ozeanwellen zu hören, die auf die ungeschützte Küste zurollten. Claire deutete begeistert auf die wilde Schönheit der Landschaft und schmiegte sich an Robert. Er betrachtete ihr süßes Gesicht, das sich ihm vertrauensvoll zuwandte wie die Blüte zur Sonne, und eine Woge der Liebe erfaßte ihn. Sanft beugte er sich zu ihr und verschloß ihren Mund mit einem langen Kuß. »Sieh dir das an, Claire. Schau dort hinaus!« sagte er eindringlich. »Was kann uns hier schon passieren? Wir kehren dorthin zurück, wo wir hingehören, Liebling. Wir sind zu Hause.«

»O Mom! Und Dad!«

»Nicht so stürmisch, Claire, mein Liebes. Ich bin ein alter Mann und kann zu große Aufregungen nicht mehr vertragen.«

Während Claire sich weinend in die Arme von Molly und George Everard warf, schaffte Robert das Gepäck aus dem Zug und stellte es auf dem Bahnsteig ab. Sein Blick suchte Joan.

»Hier bin ich, Robert. Ich stehe direkt hinter dir.«

»Fast wie immer.«

Er schloß Joan in die Arme. Lange standen sie schweigend beieinander. Er war wieder da, und sie brauchten keine Worte, um ihre Empfindungen auszudrücken. Joan schenkte ihrem Bruder ein Lächeln und spürte, daß er genauso mühelos wie sie zu der Vertrautheit ihrer Kindertage zurückfand. Plötzlich löste sich ihre innere Anspannung. Alles wird gut, dachte sie zuversichtlich. Es kann gar nichts schiefgehen, wenn ich auf ihn aufpasse, wie ich es immer getan habe. Es ist ein neuer Anfang, und nichts ist so wie früher.

»Claire!« rief Joan.

»Hallo, Joan.«

Claire schlang liebevoll die Arme um die größere Frau und herzte und küßte sie. »Oh, es ist gut, dich zu sehen. Du hast dich kein bißchen verändert, Joan, aber das weißt du natürlich. Ich kann noch gar nicht glauben, daß wir nach so langer Zeit alle wieder zusammen sind! Aber wo ist er? Wo ist ...«

»Ladies und Gentlemen!«

Mr. Wilkes’ leicht mißbilligende Miene machte deutlich, daß genügend Zeit für Wiedersehensfreude und Gefühlsausbrüche verschwendet worden war. Jetzt standen wichtigere Dinge im Vordergrund. »Ladies und Gentlemen, ein erfreulicher Anlaß hat uns heute hier zusammengeführt, und ...«

Die Menschheit sollte nie erfahren, welche Weisheiten Mr. Wilkes an diesen erfreulichen Anlaß knüpfte, denn ein leises Brummen in der Ferne, das zu einem lauten Röhren anschwoll, übertönte seine Rede. Ein offener blendend metallicblauer Dodge preschte rasant auf den Bahnhof zu, raste verwegen auf den Bahnsteig und hielt mit quietschenden Bremsen direkt vor der erschrockenen Menschenansammlung. Die schrille Hupe, die der Fahrer während der letzten zweihundert Meter betätigt hatte, brachte Mr. Wilkes vollends zum Schweigen, und seine feierliche Ansprache wurde von einer schmetternden Willkommensfanfare niedertrompetet. Als der Wagen leicht schlingernd zum Stehen kam, war Mr. Wilkes mit einer feinen roten Staubschicht bedeckt. Wie ein Tier, das endlich dem Käfig entronnen ist, sprang der Fahrer über die Tür aus dem Auto, ohne sie erst zu öffnen.

»Ihr gemeinen Kerle! Ihr seid zu früh dran, verdammt! Ihr wollt mich wohl aus dem Begrüßungskomitee ausschließen, was?« Schallendes Gelächter erfüllte die Luft, als Claire und Robert dem unerwarteten Neuankömmling um den Hals fielen.

»Da ist er ja«, sagte Joan matt und überwältigt von den verwirrenden Gefühlen, die diese freundschaftliche Szene heraufbeschwor. »Ich wußte, daß er es nicht vergessen hat. Paul ist hier.«

Kapitel 2

Der alte Dodge heulte laut auf, als er in einer riesigen Staubwolke den Bahnhof verließ. Der Fahrer hob die Stimme, um sich über den Motorenlärm hinweg bemerkbar zu machen.

»Ich kann nicht glauben, daß ich euch beinahe verpaßt hätte. Das Teuflische war, daß ich den Zug schon in meilenweiter Entfernung gesehen und sogar den Pfiff gehört habe. Das einzige Problem bestand nur darin, ihn bis zum Bahnhof einzuholen.«

»Wenn du immer noch so fährst wie früher, könntest du den Satan persönlich einholen«, schrie Robert grinsend zurück.

Paul Everard warf seinen Kopf in den Nacken und lachte. Seine kräftige, muskulöse Gestalt und sein dunkles selbstbewußtes Gesicht hätte keinen größeren Kontrast zu Roberts sanftem und elegantem Äußeren bilden können, aber es gab keinen Zweifel daran, daß die beiden noch immer eine starke Freundschaft verband. »Halt dich zurück, Reverend«, lachte Paul. »Schließlich müssen einige von uns arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen – ich komme gerade von der Nachtschicht.« Er boxte Paul spielerisch, aber kräftig auf den Oberarm.

Die beiden Frauen auf dem Rücksitz unterbrachen ihre Unterhaltung und tauschten ein Lächeln aus.

»Das ist typisch für deinen Bruder«, bemerkte Joan scherzhaft. »Er würde sicher auch zu seiner eigenen Beerdigung zu spät kommen.«

Claire lachte. »Er hat sich wohl um keinen Deut gebessert, wie?« Ihre Frage wurde sofort beantwortet, als Paul den Wagen durch eine enge Kurve schlittern ließ, gleichzeitig zwei hübschen Mädchen, die am Straßenrand standen, zuwinkte und nach diesem gefährlichen Manöver noch kräftiger aufs Gaspedal drückte.

»Du kennst mich doch, Schwesterchen«, rief er über die Schulter. »Reiche Autos, schnelle Frauen – hier hat sich nichts verändert.«

»Sag das nicht«, murmelte Robert. »Das kann man nie wissen.«

»Hunter Street, Macquarie Place, Tuggerah Park.« Claire kannte noch alle markanten Stellen, an denen sie vorüberkamen, beim Namen. Die kleine Stadt war geblieben, was sie immer gewesen: eine Ansammlung von niedrigen, staubbedeckten Häusern, eine Handvoll altmodischer Geschäfte, eine Tankstelle und ein ungepflegter Platz, auf dem ein paar alte Palmen in einer Gruppe zusammenstanden. »Alles wie früher.«

»Na ja, ihr wart ja auch nicht lange weg«, erwiderte Paul.

O doch, sehr lange, dachte Joan bekümmert. Laut verbesserte sie: »Einige Jahre.«

»Ich sag’ dir was, alter Freund«, fuhr Paul fröhlich fort, wie immer unempfänglich für emotionale Regungen. »Der Job hier ist genau auf dich zugeschnitten, daran gibt’s keinen Zweifel. Unser Problem war, daß der alte Reverend Patterson hier nur zur Aushilfe jobbte und das Ganze als Ruhesitz betrachtet hat – genau wie seine Frau. Sie war die meiste Zeit krank ...«

»O Paul«, protestierte Claire. »Ich bin sicher, daß er sein Bestes getan hat.«

»Ganz richtig, Schwesterchen«, stimmte Paul in hartem Tonfall zu. »Sein Bestes, um Wilkes und die Minengeschäfte zu unterstützen. Wenn es nützlich gewesen wäre, hätte er Gott angefleht, den Arbeitern eine Achtzehn-Stunden-Schicht für einen Dollar pro Tag zu gönnen.«

»Wilkes?« hakte Robert nach. Seinem scharfen Blick entging nicht, daß Pauls Fröhlichkeit nicht echt war. »War das der Bursche am Bahnhof?«

»Genau«, bestätigte Paul. »Er ist Minenboss geworden, kurz nachdem du hier weggegangen bist. Schade, daß er keine Chance hatte, seine Willkommensansprache zu halten, bevor ich ihm mit dem Dodge die Schau gestohlen habe.«

»Hm, wirklich ein Verlust«, gab Robert zurück. »Trotzdem habe ich das Gefühl, daß ich ihn nicht zum letztenmal gesehen habe. Aber wer weiß? Vielleicht kann er mir nützlich sein, wenn er erwartet, daß ich ihm unter die Arme greife.«

»Du kannst ihn bestimmt für deine Ziele einspannen«, warf Joan voller Überzeugung ein. »Du bist stark genug, um alles zu erreichen, was du dir vorgenommen hast, und alle auf seine Seite zu ziehen.«

»Wenn jeder ein solches Vertrauen in mich setzen würde wie du, Joan«, erwiderte Robert. »Ob ich hier Erfolg habe, liegt in Gottes Hand – und trotzdem werde ich hart arbeiten müssen, um meine Aufgabe in den Griff zu bekommen.«

»Keine falsche Bescheidenheit, Rob. Du magst ja jetzt Reverend sein, aber du hast immer noch eine Familie, die hinter dir steht. Und außerdem willst du doch wohl nicht abstreiten, daß du mit der Gabe der Überzeugungskraft gesegnet bist«, sagte Paul.

Die kleine Gesellschaft verfiel in nachdenkliches Schweigen, als der Wagen den Stadtrand erreichte, das düstere Minengelände umrundete und auf der Küstenstraße der Morgensonne entgegenfuhr. Claire beugte sich aufgeregt vor, als sie die Anhöhe hinauffuhren. »Da ist es!«

Im grellen Sonnenlicht war die Silhouette einer Kirche erkennbar – klein, aber so schön und wohlproportioniert, daß sie imposanter wirkte, als sie eigentlich war. Daneben stand ein altes Backsteinhaus mit Erkerfenstern und einem tiefgezogenen Dach mit steilem Giebel, das die Veranda an der Längsseite gegen die brennende Sonne Australiens abschirmte. Hinter der Kirche befand sich ein kleiner gepflegter Friedhof. Paul hatte den Wagen die letzten Meter beschleunigt und brachte ihn schlingernd neben den dichten Büschen, die die steinerne Außentreppe des Pfarrhauses flankierten, zum Stehen.

»Meine Lieben, die Residenz der Maitlands.«

Robert stieg benommen aus dem Auto. Claire blieb wie gebannt auf dem Rücksitz sitzen. »O Robert«, flüsterte sie. »Es ist so hübsch, wie es immer gewesen ist.«

»Und ein schönes Stück sauberer und ordentlicher obendrein«, rief Paul vom Heck des Wagens, wo er energisch mit den Koffern herumhantierte. »Das alles hier ist außen wie innen total auf den Kopf gestellt worden.«

Claire ging zu Robert, der – überwältigt von Emotionen – die schimmernden frischen Farbanstriche betrachtete. »Ist es nicht wundervoll, Liebling? Wem haben wir das zu verdanken?«

Paul lachte. »Wem wohl?«

Roberts Blick fiel auf Joan, die mit einem alten, reichverzierten Schlüssel in der Hand die Treppe zur Veranda hinaufstieg. Der Duft blühender Kreuzdornbüsche, die an der von der Sonne erwärmten Steinmauer wuchsen, war schwer wie alter Wein. Die leuchtenden Glasscheiben in der Haustür schienen ihrem neuen Besitzer – Robert – zuzuzwinkern. Mit einem triumphierenden Lächeln öffnete Joan die Tür für ihn.

»Wie hast du das nur alles zuwege gebracht?« fragte er erstaunt.

Paul, schwerbeladen mit Koffern und Taschen, ging an ihnen vorbei in die kühle, nach Sandelholz duftende Halle. »So, wie sie alles anpackt. Sag nur nicht, du hast vergessen, daß Joan ein Organisationstalent ist und alle Leute zu den unmöglichsten Dingen überreden kann.«

Joan warf Paul einen raschen Blick zu, und ihr Gesicht wurde heiß bei dem unerwarteten Lob. »Es war gar nicht so schlimm«, sagte sie mit einem Achselzucken. »Die Farbe hat man mir geschenkt, und den Rest haben freiwillige Helfer vollbracht. Paul hat auch Hand angelegt.«

»Hab’ ich’s nicht gesagt?« Paul ignorierte wieder einmal die emotionsgeladene Atmosphäre und schenkte Joan sein oft geprobtes charmantes Lächeln. »Ein Organisationstalent. Das Mädchen ist ein richtiger Profi, sie hat alle Männer im Umkreis von mehreren Meilen in Trab gehalten.« Er stellte das Gepäck am Fuß der Treppe ab und drehte sich zur Haustür um, wo Robert noch immer stand und den Anblick seines Heims auf sich wirken ließ. »Ich bin nur froh, daß sie deine Schwester ist und nicht meine«, flüsterte er seinem Freund zu, als er an ihm vorbeiging. »Zu tüchtig für mich. Ich mag Frauen, die nicht ganz so klug sind, lieber.«

»Robert?« ertönte Joans Stimme aus dem Haus. Robert holte tief Luft und ergriff Claires Hand. Eine Flut von überwältigenden Gefühlen erfaßte ihn. Er hob seine Frau auf die Arme und trug sie über die Schwelle. »Willkommen in unserem ersten eigenen Heim«, sagte er leise. »Willkommen zu Hause.«

Innen erwartete Robert eine Überraschung nach der anderen.

»Der alte Eßtisch ... die Stühle ... alles ist wie früher«, rief er erstaunt aus und durchquerte aufgeregt die Halle, um den nächsten Raum zu betreten. »Vaters Arbeitszimmer! Genau wie immer«, murmelte er. »Und all die Bücher.« In dem großen Erker befand sich ein antiker Schreibtisch, auf dem Familienfotos und eine große alte Schreibmaschine standen. Daneben lagen Papier, Kugelschreiber und Bleistifte sowie eine Bibel und das Buch der Psalmen bereit.

»Das ist jetzt dein Arbeitszimmer, Robert.«

Er hatte nicht bemerkt, daß Joan in das Zimmer gekommen war.

»Ich dachte, daß du alles verkauft hast«, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Dads Bücher und seine Schreibmaschine habe ich behalten und auch einige von den anderen Sachen. Als ich erfuhr, daß du nach Hause kommst, bin ich überall herumgelaufen und habe so viele Möbel wie möglich zurückgekauft. Das meiste habe ich wiederbekommen – die Leute waren froh, helfen zu können.« Sie machte eine Pause und beobachtete ihn eingehend. »Sie wünschen dir alle viel Glück, Robert.«

»Ich weiß.«

»Du kannst alle Hilfe brauchen, die man dir anbietet. Du mußt praktisch bei Null anfangen, und außerdem steht das Jubiläum bevor.«

»Das Jubiläum? O ja, Claires Mutter hat uns davon geschrieben ...«

»Brightstone hat hundertsten Geburtstag. Alle sind so stolz darauf, und sie wollen ein großes Fest inszenieren. Sie planen eine Art Gedenkfeier, ein Kirchenfest und eine historische Ausstellung in der Stadtbücherei ... und sie hoffen, daß wir den ganzen Trubel organisieren.«

Robert lachte. »Halt die Luft an, Joan, und laß mich wenigstens erst mal meinen Talar auspacken.«

»Joan!« rief Claire erfreut aus dem Oberstock. »Du bist wirklich ein unmögliches Mädchen. Du hast ja schon unsere ganzen Schrankkoffer, die wir vorausgeschickt haben, ausgepackt und mir kein bißchen Arbeit übriggelassen. Und mit dem Garten hast du dich auch beschäftigt.«

»Ich hoffe, du hast nichts dagegen.« Joan wandte sich wieder der Halle zu. »Du kannst ja alles wieder umräumen, wenn du dich endgültig einrichtest.« Joan nahm einen Koffer und stieg die Treppe hinauf.

Robert verharrte noch einen Moment reglos, dann ging er zum Fenster und öffnete es. Eine kühle Meeresbrise strömte ins Zimmer und hieß ihn willkommen. Er atmete einige Male tief durch und genoß die Frische, als Paul in der Tür auftauchte.

»Na, alter Freund, wie fühlst du dich? Was hat dich eigentlich dazu bewogen, nach Hause zu kommen – hattest du Heimweh, oder war es Claire?«

»Claire?« Roberts Erstaunen sagte Paul, wie sehr sein Schwager auf Claires bedingungslose Liebe vertraute und daß er sich gar nicht vorstellen konnte, ihre Sehnsüchte könnten anderen Zielen gelten als seinen eigenen. »Wenn Claire je Heimweh gehabt hat, dann hat sie nie darüber gesprochen.« Er machte eine Pause und suchte nach den richtigen Worten. »Nein, wir sind zurückgekommen, weil wir für diese Aufgabe ausgesucht ... und hierhergeschickt wurden.«

»Ja.« Paul lachte herzlich. »Der Himmel hat euch geschickt, alter Freund. Nicht nur das gibt Wilkes und einigen seiner Kumpane zu denken. Aber egal – es ist verdammt gut, dich wieder hier zu haben.« Er drehte sich zur Tür. »Ich schaffe lieber das restliche Gepäck ins Haus, sonst lynchen mich die Mädchen noch.«

Der Himmel hat uns geschickt ... wir sind von Gott gesandt.

Robert dachte an die schicksalhafte Unterhaltung zurück, die sein ganzes Leben verändert hatte. »Sie haben ganze Arbeit geleistet, Robert.« Die volltönende Stimme des Erzbischofs hallte noch immer in Roberts Gedächtnis wider. »Ein Pfarramt in einer Großstadt ist für den Anfang keine leichte Aufgabe. Seit wann sind Sie hier? Seit einem Jahr? Seit achtzehn Monaten? Wahrscheinlich denken Sie schon darüber nach, wo Sie als nächstes arbeiten werden.«

Roberts Gedanken kreisten um nichts anderes, seit er erfahren hatte, daß seine Amtszeit in diesem Sprengel zu Ende ging. Aber er kannte die Arbeitsweise der Kirchenmänner zu gut, um darauf zu hoffen, daß sich die eigenen Wünsche erfüllten.

»Nein, nicht ernsthaft, Sir«, erwiderte er deshalb und holte tief Luft. »Ich war hier sehr glücklich.«

Der Erzbischof lachte leise. »Ich denke, ich habe einen Platz für Sie gefunden, an dem Sie und Ihre charmante kleine Frau noch viel glücklicher sein werden. Ich fürchte, in Ihrer neuen Kirchengemeinde hat sich in den letzten Jahren nicht viel getan, da dort nur ein Aushilfspfarrer tätig war, aber ich bin überzeugt, daß Sie rasch alles in den Griff bekommen. Es handelt sich um eine kleine Minenstadt an der Küste im Norden von Sydney. Die Gemeinde hat nur zwei- oder dreitausend Seelen, die Landschaft ist wild, aber wunderschön – und die Gegend ist reif für den richtigen Mann. Na, dämmert’s Ihnen langsam?«

Robert brachte kein Wort heraus.

Die Stimme des Erzbischofs war unbewegt. »Es ist eine gute Veränderung, Robert. Sie sind gut für Brightstone, und Brightstone wird gut für Sie sein. Tun Sie Ihr Bestes.«

»Brightstone? Wir ziehen nach Brightstone?« Claires Gesicht leuchtete vor Freude, und Robert wandte sich ab, bevor er sagte: »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, Claire.«

»Ob du ... Wovon redest du überhaupt?«

Er drehte sich zu ihr und nahm ihre Hände in die seinen. »Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, daß ich in die Fußstapfen meines Vaters treten kann. Ich werde nie auch nur ein halb so guter Pfarrer sein wie er. Das wäre nicht so schlimm, wenn wir irgendwo anders hinkämen.«

»Du meinst in irgendeiner gesicherten Position in der Kirchenhierarchie?« Claire liebte ihren Mann von ganzem Herzen, aber sie war auch nicht blind für seine Schwächen. Sie wußte, wie sehr ihm daran gelegen war, daß seine Bemühungen bemerkt und seine Leistungen geschätzt wurden.

Robert errötete, und seine Miene drückte Enthusiasmus aus. »Es ist keine Sünde, Ehrgeiz zu haben, Claire. Du weißt, wozu ich fähig bin. Aber Brightstone ... wenn es irgendein anderer Ort wäre ...«

Claire sah ihn mit dem ruhigen, klaren Blick an, der stets sein Herz berührte. »Ich weiß, daß du dich immer noch schuldig fühlst für das, was damals passiert ist, Robert.«

Wie so oft kannte er ihre Meinung zu dieser Sache, bevor sie sich selbst ganz sicher war, und sein Gesicht glühte vor Erregung, als er sich mit der neuen Idee vertraut machte.

»So denkst du also ... ja ... vielleicht werden wir nach Brightstone geschickt, um die alten Gespenster ein für allemal zu begraben.«

Gespenster ... All die armen Seelen, die im Tod noch rastlos waren, mußten Ruhe finden, davon war er überzeugt. In dem Haus, das für ihn immer noch das Haus seines Vaters war, stützte Robert den Kopf auf die Hände und überließ sich seinen Gedanken. Neben ihm auf dem Schreibtisch lag die alte Bibel, die sein Vater ein Leben lang benutzt hatte und die deshalb schon ganz abgegriffen aussah. Er nahm sie in die Hand und schlug wahllos eine Seite auf. »Wenn du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchen wirst, daß du hältst und tust alle seine Gebote, so wird dich der Herr, dein Gott, segnen und dir und den Deinen Frieden schenken«, las er.

Frieden. Ja. Der von Gott gewährte Frieden besänftigte alle Herzen und Gemüter ...

»Robert!«

O Gott, schenke uns Frieden ...

»Robert?«

Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen ...

»Bist du da, Liebling?«

Für alles gab es die richtige Zeit ... für Tränen und für Lachen, für Trauer und für Freude ...

»Robert!« Claire strahlte vor Glück, als sie ins Zimmer kam. »Joan hat für uns einen Imbiß vorbereitet, Liebling – ein wundervolles Mahl. Kommst du?«

Kapitel 3

»Großer Gott, es ist schön, wieder zu Hause zu sein.«

»Wie recht du hast, Rob.«

Hand in Hand wanderten Claire und Robert durch den Garten des Pfarrhauses. Joan hatte sie aus der Küche gescheucht, nachdem Paul sich erboten hatte, beim Abwasch zu helfen.

»Es ist wie der Garten Eden – das Paradies«, setzte Claire begeistert hinzu.

Robert drückte ihre Hand. »Nur schade, daß wir keine Gelegenheit haben, Adam und Eva zu spielen«, flüsterte er bedauernd in ihr Ohr. Claire folgte langsam Roberts Blick, als er mit dem Kopf hinter sie auf Joan deutete, die über den Rasen auf sie zukam. Ihr Gesichtsausdruck wirkte angespannt, als ob sie etwas Wichtiges zur Sprache bringen wollte.

»Schon gut, Joanie«, rief Robert neckend. »Ich bin nicht wirklich faul, ich mach’ mir schon Gedanken über Brightons Jubiläumsfeier. Wenn ich nur noch diesen Nachmittag frei habe, verspreche ich, in Zukunft meine Pflichten ohne weitere Ausflüchte zu erfüllen.«

Joan lachte leise. »Das sind wunderbare Neuigkeiten.« Obwohl sie keine Mühe hatte, sich Roberts Stimmung anzupassen, gelang es ihr doch nicht ganz, seinen leichtfertigen Ton nachzuahmen. »Ich fürchte nämlich, daß dein Aufgabengebiet so ziemlich alles – angefangen vom sonntäglichen Gottesdienst bis zur Organisation des Erntedankfestes – umfaßt.«

»Hm«, machte Robert nachdenklich. »Klingt, als ob ich zuerst einmal einen neuen Kirchenrat aufbauen müßte.«

»Genau das hat Dad auch getan«, erwiderte Joan fest, und Robert registrierte deutlich den strengen Unterton der großen Schwester.

Er lächelte. »Also gut, nachdem ich schon seinen Schreibtisch und seine persönlichen Sachen übernommen habe ...«

»Und das gerade noch rechtzeitig, sagt Joan«, warf Claire ein. »Robert, wenn wir nicht zurückgekommen wären, hätten die Bücher und all die anderen Dinge vermodern müssen.«

Robert sah seine Schwester fragend an. Ihre Miene wirkte hart und verbittert. »Ich habe die Sachen in Kartons verpackt und in einer Scheune aufbewahrt, hinter dem Haus, in dem ich wohne. Sie wurde seit Jahren nicht benutzt. Es ist sehr feucht dort, und es gibt Ungeziefer – aber es war der einzige Platz, den ich finden konnte. Das Haus – ihr kennt es vielleicht, es ist direkt hinter der alten Apotheke – ist in der Nähe der Bücherei, und etwas Besseres kann ich mir von meinem Gehalt als Bibliothekarin nicht leisten.«

Robert tauschte einen Blick mit Claire.

»Es war bestimmt nicht leicht für dich, so zu leben, Kleines«, sagte er sanft. »Wir ... wir waren sehr traurig, als wir hörten, daß deine Beziehung zu Phil kaputtgegangen ist.«

»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Er hat mich nie wirklich geliebt – er dachte nur, daß er es tut.« Geistesabwesend pflückte sie eine Margerite und zupfte die weißen Blütenblätter ab. »Wir waren so lange zusammen – kannst du dich noch daran erinnern, wie Mutter in ihrer ruhigen Art versucht hat, die Dinge voranzutreiben? Ich glaube, es hätte ihr gefallen, einen Apotheker zum Schwiegersohn zu bekommen. Armer alter Phil – er fühlte sich gezwungen, nett zu mir zu sein, besonders nach dem Tod von Mom und Dad. Aber ich wußte die ganze Zeit, daß ich ihn nicht heiraten kann. Er war einfach nicht ... er paßte nicht zu mir.« Sie straffte ihre Schultern. »Sieht so aus, als ob ich dazu bestimmt wäre, mein Leben allein zu verbringen, bis der Richtige kommt.«

»Nicht notwendigerweise«, sagte Robert herzlich und warf Claire wieder einen Blick zu. »Wir haben schon darüber gesprochen, Joanie, und wir möchten, daß du hierher ziehst – ins Pfarrhaus – und bei uns lebst.«

Eine dunkle Röte überzog Joans Gesicht. »Meint ihr das ernst?«

»Natürlich.«

Claire spürte, daß Joan einen innerlichen Kampf ausfocht und Mühe hatte, ihren angeborenen Stolz zu unterdrücken.

»Ich könnte mich hier nützlich machen.«

»Das brauchst du nicht.«

»Ich könnte deine Schreibarbeiten übernehmen, das habe ich für Dad auch immer getan. Ich bin die einzige, die mit dieser alten Schreibmaschine umgehen kann.«

Claire legte ihre Hand auf Joans Arm. »Du hast schon so viel für uns getan und alles so hübsch für unsere Ankunft vorbereitet.«

Joan war nicht umzustimmen. »Du wirst sehr viel zu tun haben, Robert ... Und Claire ist bestimmt sehr beschäftigt, wenn sie wieder Unterricht gibt.«

Robert umfaßte ihre Schultern und schüttelte sie sanft. »Also sind wir uns einig?«

Joans blasses Gesicht leuchtete vor Erregung. »Es ist das einzige Zuhause, das ich je hatte!« rief sie aus. »Das einzige, das ich haben will. Das werde ich euch nie vergessen.« Plötzlich wurde ihr bewußt, wieviel sie von sich preisgab, und in der nächsten Sekunde benahm sie sich wieder ganz wie die ältere Schwester. »Und mit der richtigen Unterstützung machen wir aus dir noch einen Bischof, mein Lieber, stimmt’s, Claire?«

Robert lachte. »Einen Erzbischof, bitte sehr, Schwesterherz, sonst muß ich glauben, daß du nicht mehr so viel Energie hast wie früher. Und ich bitte darum, daß das rasch geschieht – nächstes Jahr würde mir ausgezeichnet passen.«

»Hey, ihr da draußen!« rief Paul von der Veranda aus. »Habt ihr vor, eine Gartenparty zu feiern, oder sollen wir Claire zu Mom und Dad bringen, bevor sie eine Vermißtenanzeige aufgeben?«

»Wie geht es ihm, Mom?«

Mit einem raschen Kopfschütteln und einem warnenden Blick versuchte Molly, ihre Tochter zum Schweigen zu bringen, aber es war zu spät, und George reagierte prompt.

»Ich bin nicht taub, was auch sonst immer mit mir nicht in Ordnung sein mag«, keuchte er aufgebracht, als er Paul und Robert durch die kleine Minenarbeiterhütte zum Hinterhof führte. Erschrocken lief Claire ihrem Vater nach und nahm seinen Arm. »Ich mach’ mir doch nur Sorgen um dich, Dad.«

»Das brauchst du nicht.« George tätschelte ihre Hand. »Schau dir meinen Garten an. Ich schaff’s noch immer, ihn täglich zu wässern, und die Katze verjag’ ich auch immer wieder, was, Moll? Keine Angst, Kleines, das ist nicht der letzte Frühling, den ich erlebe.«

Mollys gramerfüllte Miene machte deutlich, daß sie in diesem Punkt keinen Spaß verstand. »Das ist ungefähr alles, was er noch tun kann«, sagte sie leise zu Claire.

Aber George war nicht zu bremsen. »Setzt euch, Jungs, ich freu’ mich, daß ihr da seid. Könnte für dich die letzte Ruhepause für lange Zeit sein, Robert. Man hat mir erzählt, daß in St. Jude’s eine Menge Arbeit auf dich wartet. Die Gemeinde hat kein Geld, und die Kirche ist auch nicht gerade überlaufen – du hast kaum Kundschaft.«

Robert lächelte. »Hast du irgendeine Idee, was ich gegen diesen Mißstand tun könnte, George? Du könntest allen anderen mit gutem Beispiel vorangehen und in die Kirche gehen, findest du nicht?«

Georges Lachen klang erbärmlich, und er rang nach Luft. »Zwecklos, mich darum zu bitten, Junge. Du bekommst mich nur in der Kiefernholzkiste in deinen Laden.«

Robert schüttelte den Kopf. »Keine guten Aussichten für mich. Ich brauche jemanden, der mir freche Antworten gibt.«

George brach in schallendes Gelächter aus, das in einem Hustenanfall endete. »Dann kann ich dir nur einen empfehlen – meinen sündigen Sohn. Wenn jemand Gottes Beistand braucht, dann er.«

»Wer? Ich?« Ein Lächeln breitete sich auf Pauls Gesicht aus, als er auf das Spiel einging. »Du meinst, ich muß gerettet werden, weil ich die Frauen mag? Du bist ja nur neidisch, Dad. Aber egal, ich denke, daß du’s viel nötiger hast. Du bist ein alter Taugenichts, aber ich stehe erst am Anfang.«

»Ganz recht, mein Sohn.« George kicherte. »So oder so, ich komme schon noch dran. Alle gehen gern zu einer Beerdigung – dann hast du eine volle Kirche, Reverend.«

»Ja, das ist wahr«, sagte Paul ernst. »Dafür gab’s in der letzten Zeit genügend Beispiele.«

»Was meinst du damit?« Robert erfaßte intuitiv, daß die beiden Männer beunruhigt waren.

»Die Minenarbeiter kommen ums Leben«, erklärte Paul kurz angebunden.

»Sie kommen ums Leben? Wie? Nicht ...«

»Nein, sie sterben nicht an Lungenkrankheiten.« Paul warf seinem Vater einen vorsichtigen Blick zu. »Es passieren fatale – vermeidbare – Unfälle. In den letzten sechs Monaten waren es zwei.«

Robert erschrak. »Das ist ja furchtbar – ein schrecklicher Verlust. Aber mit modernen Sicherheitsvorkehrungen ...«

»Oh, wir werden einiges ändern, verlaß dich drauf«, sagte Paul mit einer Härte und Entschlossenheit, die Robert nicht an ihm kannte.

»Ich bin überzeugt, daß du das tust, mein Sohn.« George war auch nachdenklich und ernst geworden. »Für mich ist es zu spät. Aber für dich wünsche ich mir was Besseres, Paul. Allmächtiger Gott.« In seinem Ärger vergaß George ganz, daß Robert bei ihnen saß. »Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal meinen Sohn dazu überreden würde, der Mine den Rücken zu kehren. Aber wenn sich die Bedingungen für dich und die Männer nicht ändern, mußt du weg. Wilkes und seine Kumpane sind es nicht wert, daß man für sie sein Leben läßt.«

Claire sah ihren Vater besorgt an. »Es geht ihm schlechter, als ich dachte – viel schlechter als beim letztenmal«, flüsterte sie ihrer Mutter zu, und Molly gab ihr ein Zeichen, sie in die Küche zu begleiten.

»Was hast du denn erwartet?« fragte sie Claire mit steinernem Gesicht. »Keiner der anderen alten Minenarbeiter ist besser dran, das müßtest du eigentlich wissen. Zeig ihm nur nicht, wie große Sorgen du dir machst. Er ist fest entschlossen, den Rest seines Lebens zu genießen.«

George fühlte sich in Roberts und Pauls Gesellschaft ausgesprochen wohl, und es ging ihm so gut wie schon seit Jahren nicht mehr. »Ja, hier gibt’s große Probleme«, sagte er. »Es ist wirklich ernst: das Management gegen die Arbeiter und die Mine gegen den Rest der Stadt. Aber Paul ist einer von denen, die was ändern wollen, und wenn jemand etwas erreichen kann, dann er. Ist jetzt ein großer Mann, weißt du, Gewerkschaftsführer für die ganze Region.«

Robert drehte sich erfreut Paul zu. »Davon hast du uns ja noch gar nichts erzählt.«

Paul wehrte mit einer Geste Roberts Glückwünsche ab.

»Tu nicht so, als ob das gar nichts wäre, mein Sohn.« George wollte den Ruhm seines Sohnes auskosten. »Es war gar nicht so leicht, Wilkes’ Pläne zu durchkreuzen und gleichzeitig den alten Burschen Calder von dem Posten zu vertreiben.«

»Wilkes?« Ich höre diesen Namen heute reichlich oft, dachte Robert.

»Ja, ich hab’ dir schon von ihm erzählt«, sagte Paul grimmig. »Er ist der neue Mann an der Spitze und hat nichts anderes im Kopf als diesen neumodischen Klimbim über ›effiziente Ökonomie‹. Er setzt seine Ideen auf Biegen und Brechen durch – natürlich nur, um Ruhm und Ehre einzuheimsen. Bestimmt ist er dem Tode nah, weil er dich noch nicht richtig zu Gesicht bekommen hat, alter Freund – er kann es nämlich kaum erwarten, Gott auf die Seite der Bosse zu ziehen.«

»Und wer ist Calder?« Robert hatte das sichere Gefühl, daß er mit diesen Männern in Zukunft noch viel zu tun haben würde, wenn er sich um die Probleme in der Mine kümmerte.

»Calder?« Auf Pauls Gesicht machte sich ein angewiderter Ausdruck breit. »Calder ist hinterlistiger als eine Schlange. War viele Jahre Gewerkschaftsführer und ist mehr als nur korrupt. Während seiner Zeit bei der Gewerkschaft hat er kräftig dem Management in die Hände gearbeitet und gleichzeitig seine eigenen Schäfchen ins trockene gebracht. Wilkes und er sind für die katastrophalen Zustände verantwortlich. Er gehört kaltgemacht, und wenn sich niemand für diesen Job findet, könnte ich mich glatt freiwillig dafür zur Verfügung stellen.«

Wann hatte Paul diesen brutalen Zug angenommen? dachte Robert erschreckt. So hatte er den Freund nie kennengelernt.

»Ja.« George beugte sich vor und fuchtelte mit den Fäusten durch die Luft, während er nach Atem rang. »Für Sicherheitsvorkehrungen haben sie kein Geld. Die Kumpel arbeiten in alten ungesicherten Schächten und müssen tiefer und tiefer hinunter.«