Unter Verdacht - Dominik Dr. Reither - E-Book

Unter Verdacht E-Book

Dominik Dr. Reither

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Beschreibung

Massenmörder und Widerstandskämpfer -- sie alle befanden sich im Internment Camp No 6 / dem Internierungs- und Arbeitslager Moosburg. Warum gab es dieses Lager? Wie waren die Lebensbedingungen? Wie wurden die Internierten behandelt und wer war interniert? Zu diesen und weiteren Themen gibt dieses Buch einen kurzen Überblick, basierend auf umfangreichen Originalquellen. Zahlreiche aussagekräftige Bilder vermitteln einen Eindruck über die Situation im Lager. Das vorliegende Buch basiert auf einer ausführlichen Publikation, die vom selben Autor bereits im Jahr 2021 unter dem Titel "Internment Camp No 6 Moosburg" erschienen ist.

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Das Civilian Internment Camp No 6

1. Entstehung und Entwicklung des Internierungslagers Moosburg

2. Der Weg der Internierten ins Lager, Organisation und Verwaltung des Internierungslagers

3. Unterbringung, Ernährung und medizinische Versorgung

4. Tagesablauf, Arbeit und Freizeit

5. Seelsorge

6. Kontakt zur Außenwelt - Post, Besuche und Urlaub

7. Bewachung, Fluchten und Bestrafung von Internierten

8. Entnazifizierung im Lager und politische Bildung

9. Einstellung zum Nationalsozialismus, Stimmung und Gruppenbildung

10. Behandlung der Internierten

11. Wer war interniert?

Resümee

Endnoten

Literaturverzeichnis

Verzeichnis häufig gebrauchter Abkürzungen

Vorwort

Dieses Buch ist eine Zusammenfassung der ausführlichen Publikation „Internment Camp No 6 Moosburg“, Moosburg/Norderstedt 2021. Daher soll hier all denjenigen gedankt werden, die schon zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben:

dem Verein Stalag Moosburg e.V., der die Umsetzung des Buchprojekts maßgeblich unterstützt hat: für die Finanzierung der Archivreise zu den National Archives Washington im Jahr 2019, Kurt Bauer für die Begleitung und die intensive Mitarbeit bei der Recherche in den USA;

den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der National Archives, des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, des Instituts für Zeitgeschichte und des Staatsarchivs Kulmbach für die wertvollen Hinweise bei der Recherche;

den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt Moosburg, ganz besonders dem Stadtarchivar, Herrn Wilhelm Ellböck;

den Mitarbeiterinnen der Stadtbücherei Moosburg für die Hilfe bei der Beschaffung von Literatur;

Herrn Stadtpfarrer Reinhold Föckersperger und den Mitarbeiterinnen im Pfarrbüro für den Zugang zum Pfarrarchiv Moosburg;

Herrn Karl A. Bauer für die Erlaubnis, Bilder aus seinem privaten Bildarchiv verwenden zu dürfen;

Ein besonderes Dankeschön gilt meiner Frau Christine Metterlein-Reither für viele wertvolle Anmerkungen und besonders Günther Strehle für die Beschaffung und Bearbeitung der Bilder, die Buchgestaltung und das gelungene Layout

Einleitung

„Als Thomas am 3. Januar 1947 nach Moosburg kam, besaß er bereits das volle Vertrauen der beiden CIC-Agenten, die ihn bewachten. Sie führten ihn in das schwer bewachte Archiv des Lagers und ließen ihn vor Kästen mit 11.000 Vernehmungsprotokollen allein. 11.000 Mann saßen damals in Moosburg.“1

So schreibt Mario Simmel in seiner Agentengeschichte „Es muss nicht immer Kaviar sein“, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit spielt. Moosburg ist damit einer der Orte der Handlung, neben Lissabon, Paris, Marseille, München und Berlin.

Auch wenn die Handlung und die Personen in Simmels Roman fiktiv sind – das Internierungslager Moosburg hat es tatsächlich gegeben.

Nach der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Stalag VII A am 29.04.1945 und dem Abtransport der Kriegsgefangenen in den folgenden Wochen existierte auf dem Stalag-Gelände vom 08.06.1945 bis zum 01.04.1948 das Civilian Internment Camp No. 6 / Internierungs- und Arbeitslager Moosburg. In diesem Internierungslager für Zivilisten hielten die Amerikaner und ab Herbst 1946 das bayerische Staatsministerium für Sonderaufgaben Personen fest, von denen sie annahmen, dass sie Funktionäre des NS-Regimes oder Kriegsverbrecher waren.

Bei den Internierungslagern handelt es sich um ein wenig bekanntes Element der zahlreichen Entnazifizierungsmaßnahmen. Sie stehen gleichzeitig im Ruf besonders schlechter Lebensbedingungen bis hin zum Vorwurf, dass hier die Amerikaner der Willkür und der Rache der Sieger freien Lauf gelassen hätten. Die Geschichte der Civilian Internment Camps, vor allem die Lebensbedingungen in den Lagern, ist vergleichsweise wenig erforscht, ebenso, welche Personen in den Lagern interniert waren.2

Das Internment Camp No. 6 nimmt im System der Internierungslager eine wichtige Stellung ein. Es war eines der größten und am längsten bestehenden Lager in der amerikanischen Zone. Gleichzeitig war es das erste Lager, das im Herbst 1946 in deutsche Verantwortung übergeben wurde. Das Zusammenspiel der deutschen Verwaltung und der amerikanischen Dienststellen, insbesondere die daraus resultierenden Probleme, zeigten sich daher am Lager Moosburg geradezu exemplarisch.

Daraus ergeben sich Fragen in mehreren Bereichen:

Wer befand sich im Lager? Aus welchen Gründen wurden die Lagerinsassen verhaftet? Wie wurden die Internierten behandelt? Wie waren ihre Lebensbedingungen? Zu wie vielen Todesfällen kam es und was waren die Gründe dafür? Wie verliefen die Entnazifizierung und die politische Bildung? Wie standen die Lagerinsassen zu Internierung und Entnazifizierung und wie bewerteten sie den Nationalsozialismus?

Aus den Akten der Militärregierung und des bayerischen Sonderministeriums für politische Befreiung, den Berichten der US-Militärgeheimdienste, den Erinnerungen von Internierten und aus den umfangreichen Beständen im Stadt- und im Pfarrarchiv Moosburg lassen sich wichtige Erkenntnisse über das Lager Moosburg gewinnen.

Das Civilian Internment Camp No 6

1. Entstehung und Entwicklung des Internierungslagers Moosburg

Das Internierungslager Moosburg bestand vom 08.06.1945 bis zum 01.04.1948. Am 10.10.1946 ging es in deutsche Verwaltung über.

Gründe für die Errichtung des Lagers

Ausgangspunkt für die Errichtung der Internierungslager war die Entnazifizierungspolitik der Amerikaner. Sie hatten neben Demokratisierung und Demilitarisierung die „Denazifizierung“ Deutschlands als Kriegsziel ausgerufen. Den Amerikanern ging es um eine völlige Ausschaltung von Nationalsozialismus und Militarismus. Deswegen sollten Funktionäre des nationalsozialistischen Deutschlands entmachtet und von den führenden Positionen in Staat und Gesellschaft verdrängt werden. Die Entnazifizierung stellte dann auch für die amerikanische Militärregierung einen Grundpfeiler ihrer Besatzungspolitik dar und hatte hier eine deutlich größere Bedeutung als in der britischen oder französischen Zone.3

Hinzu kamen Sicherheitsbedenken. Die Amerikaner befürchteten, dass ehemalige Funktionsträger des NS-Regimes nationalsozialistische Untergrundorganisationen aufbauen, Anschläge verüben und einen Guerillakrieg beginnen könnten. Dies war nicht völlig fernliegend, hatte doch die nationalsozialistische Führung in den letzten Kriegsmonaten die Bildung von Werwolf-Verbänden propagiert, die hinter der Front Attentate und Sabotageakte verüben sollten. Der häufig fanatische Widerstand deutscher Verbände in aussichtslosen Situationen ohne Rücksicht selbst auf das Leben von Zivilisten bestätigte diese Sorgen. Auch ein Blick auf die Situation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg ließ diese Befürchtungen als nicht unrealistisch erscheinen. Damals hatten entlassene Soldaten aus der „Konkursmasse“ der kaiserlichen Armee Freikorps gebildet, die straff organisiert und mit schweren Waffen wie Panzerwagen und Feldartillerie ausgerüstet waren. Dass fanatisierte Angehörige der SS oder anderer Verbände des nationalsozialistischen Deutschlands ebenfalls im Chaos des Zusammenbruchs in erheblichem Umfang Waffen beiseiteschaffen würden, war nicht ausgeschlossen. Solche militärisch ausgebildete und kampferprobte, leistungsfähige bewaffnete Haufen würden den amerikanischen Truppen gefährlich werden können.4

Tatsächlich kam es bis in den Sommer 1945 immer wieder zu Anschlägen auf die US-Truppen in Bayern und zu Sabotageakten, gab es bewaffnete Gruppen ehemaliger Wehrmachts- und SS-Angehöriger, die die öffentliche Sicherheit gefährdeten.5

„Automatic Arrest“

Deswegen entwaffneten die US-Streitkräfte bei ihrem Vormarsch in Deutschland Militär und Polizei komplett und nahmen die Militärangehörigen in Kriegsgefangenschaft. Zivilisten, die als Funktionsträger des nationalsozialistischen Deutschlands galten, wurden nach den Grundsätzen des „automatic arrest“ in Gewahrsam genommen.

Vom automatic arrest betroffen waren vor allem die Mitarbeiter von Gestapo und SD (=Sicherheitsdienst, Geheimdienst der SS), NSDAP-Funktionäre bis hinab zum Ortsgruppenleiter, alle Offiziere der SS, Führungspersonal von Polizei, SA, HJ, Nationalsozialistischem Kraftfahrerkorps (NSKK), Nationalsozialistischem Fliegerkorps (NSFK), Reichsarbeitsdienst (RAD) und Deutscher Arbeitsfront (DAF), zudem Reichsminister, Staatssekretäre, Länderminister, Leiter der Reichsbehörden oder bestimmter Institutionen wie der Reichsbank, Funktionäre des Reichsnährstandes, die Befehlshaber der Verwaltungen in den besetzten Gebieten, Teile der Ministerialbürokratie, Regierungspräsidenten, Landräte und Bürgermeister von Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern, hohe Richter und Staatsanwälte. Auch Generalstabsoffiziere konnten nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im We–ge des automatic arrest erneut festgenommen werden. Es ging im Rahmen des automatic arrest also nicht um eine Bestrafung wegen individuell begangener Verbrechen, sondern die betroffenen Personen wurden automatisch deswegen verhaftet, weil sie im nationalsozialistischen Staatswesen bestimmte Tätigkeiten ausgeübt oder Positionen innegehabt hatten. Dieses schematische Vorgehen, ohne Rücksicht auf den Einzelfall, erleichterte den US-Truppen die Arbeit, führte aber immer wieder zu Ungerechtigkeiten und Fehlentscheidungen. Vor allem in den ersten Monaten nach Kriegsende gab es mehrere Verhaftungswellen.6

Abb. 1: Stadtplan Moosburg mit Kaserne der Wachen (1) und Internierungslager (2) (Archiv Karl A. Bauer).

In Moosburg kam es im Zuge des automatic arrest ebenfalls zu Verhaftungen. Im August 1945 wurde nach Angaben des „Nachrichtenblatts für Moosburg und Umgebung“ (Ersatz für die Moosburger Zeitung in der Nachkriegszeit) ein Kreisamtsleiter der Deutschen Arbeitsfront in „Schutzhaft“ genommen. Offensichtlich benützte man den Jargon der Nazizeit weiter.7

Abb. 2: Blocktor, Blick auf eine Lagerstraße (Doerfler H. (Hg.), Freiheit).

Planungen der deutschen Opposition

Viele Widerstandsgruppen, von links bis konservativ, entwickelten ebenfalls Konzepte für Internierungen von NS-Funktionären.

Johannes Popitz (1884-1945), der von der Gruppe um Graf Stauffenberg als Finanz- und Kultusminister vorgesehen war, forderte, dass NSDAP und Gestapo aufgelöst und Gauleiter, Kreisleiter sowie höhere SS- und Polizeiführer und die Leiter der Propagandaämter festgenommen werden sollten, solange, bis der Zweck der Verhaftung erreicht sei.8

Noch weiter gingen die Überlegungen im Plan „Walküre“ der Widerstandskämpfer des 20. Juli, dem Konzept zur Umsetzung des Staatsstreichs nach der Beseitigung Hitlers. Danach sollten alle Dienststellen der Partei, der SS, der Gestapo und des SD ausgeschaltet und besetzt und Gauleiter, Oberpräsidenten, Reichsstatthalter, Höhere SS- und Polizeiführer, die Leiter der Gestapo-, SS- und SD-Dienststellen, Leiter der Propagandaämter und Kreisleiter automatisch verhaftet werden. Nach Ermessen der Wehrkreisbefehlshaber konnten SS-Führer, Ortsgruppenleiter, Regierungspräsidenten, Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister ebenfalls in Arrest genommen werden. Darüber hinaus waren Festnahmen vorgesehen, soweit sie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit notwendig waren. Von dieser Ermächtigung sollte eher zu viel als zu wenig Gebrauch gemacht werden.9

Im linken Spektrum des deutschen Widerstands plante man umfangreiche Entnazifizierungsmaßnahmen. Die verschiedenen Organisationen der SPD und der ihr nahestehenden Gruppen propagierten großangelegte Entlassungen und Enteignungen all derjenigen, die zu Unrecht Vermögen erworben hatten, sowie die Aburteilung aller, die sich Verbrechen schuldig gemacht hatten, außerdem der NS-Funktionäre und der Angehörigen von Gestapo und SS.10 Am weitesten ging hier die SOPADE (Auslandsorganisation der SPD während des Dritten Reichs): Volkstribunale sollten NS-Funktionäre von den Gauleitern bis hin zu besonders aktiven Ortsgruppenleitern, höhere Beamte von Gestapo und SD sowie alle Personen in Staat, Militär, Wirtschaft und öffentlichem Leben, die dem Nationalsozialismus zur Macht verholfen oder seine Herrschaft oder die Kriegsvorbereitungen gefördert hatten, zum Tode oder lebenslanger Haft verurteilen. „Reinigung und Sicherung erlauben nicht das Weiterleben der Hauptverantwortlichen.“ Volksgerichte sollten zusätzlich Straftaten ahnden und zwar mit Zuchthaus oder Tod. Nach Verbüßung seiner Strafe war ein Verurteilter „als gefährlicher Staats- und Volksschädling“ auf unbestimmte Zeit in ein Arbeitslager einzuweisen. Ebenso sollten alle NS-Funktionäre bis hinunter zum Ortsgruppenleiter, alle Angehörigen von SS, Gestapo und SD auf unbestimmte Zeit in Arbeitslagern interniert werden, da nicht anzunehmen sei, dass sie sich in eine andere Ordnung eingliedern könnten.11

In der KPD wurden neben einer Verhaftung und Bestrafung der Kriegsverbrecher und der Beschlagnahme des Vermögens der Kriegsgewinnler und Kriegsschuldigen die sofortige Verhaftung aller Reichs- und Gauleiter der NSDAP, der Beamten der Gestapo, des SD und aller SS-Offiziere vom Scharführer aufwärts diskutiert.12

Konzepte der deutschen Politik in der Nachkriegszeit

Generell standen in der unmittelbaren Nachkriegszeit die deutschen Politiker einer umfassenden Entnazifizierung zunächst positiv gegenüber. Die Entnazifizierung war ein wichtiges Thema bei den Sitzungen des ersten bayerischen Nachkriegskabinetts unter Fritz Schäffer (1888-1967).13 Im Regierungsprogramm seines Nachfolgers Wilhelm Hoegner (1887-1980, Ministerpräsident 1945-1946, 1954-1957) steht an erster Stelle die Entnazifizierung: „Die neue Staatsregierung ist entschlossen, den Einfluss des Nationalsozialismus im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben, besonders in der Beamtenschaft, vollkommen auszutilgen. […] Wer es vorzog, andere Unschuldige leiden zu lassen, verdient keine Gnade. […] Die nationalsozialistischen Verbrecher sollen zur Rechenschaft gezogen werden […]!“14

Sogar die Internierten zeigten zumindest teilweise Verständnis. So fragte sich ein Internierter hinsichtlich des automatic arrest: „Aber kann man unseren Feinden verdenken, wenn sie uns mißtrauen?“15

„Security Threats“

Außerdem internierten die Amerikaner Personen, die sie als Sicherheitsrisiko für die US-Truppen einschätzten, als „Gefahr für die Sicherheit“ („security threat“). Der Begriff „Gefahr für die Sicherheit“ war nur vage definiert. Er umfasste diejenigen Personen, die weder unter die Kategorien des automatic arrest fielen noch im Verdacht standen, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Die Amerikaner nahmen vielmehr an, dass sie auf irgendeine Weise den amerikanischen Truppen gefährlich werden konnten. In der Regel entschieden die US-Befehlshaber vor Ort, wer als Sicherheitsrisiko galt, wobei sie einen weiten Ermessensspielraum hatten. So kam es teilweise zu drastischen Maßnahmen. In einem Ort, in dem gerüchteweise ein Angriff von Werwolf-Verbänden bevorstehen sollte, verhafteten die amerikanischen Truppen zum Beispiel 19 Einwohner, um die Bevölkerung vor antiamerikanischen Protesten zu warnen. Als „security threats“ konnten aber auch Künstler, Ärzte oder Freiberufler gelten, wenn von ihnen irgendwelche Aktivitäten gegen die Besatzungsmacht zu erwarten waren.16

Kriegsverbrecher

Die Amerikaner versuchten zudem, Kriegsverbrecher festzusetzen. Als Kriegsverbrecher galten alle, die gegen internationales Kriegsrecht oder Kriegsbräuche nach dem Völkerrecht verstoßen hatten. Kriegsverbrechen konnten nach dem Verständnis der Amerikaner nicht nur von Angehörigen der Streitkräfte, sondern auch von Zivilisten begangen werden. Dies traf zum Beispiel auf die Ermordung abgeschossener alliierter Flieger durch Zivilisten zu. Unter diese Kategorie fielen aber auch Personen, die in den KZs Gefangene misshandelt oder getötet hatten.17

Auf der Schwarzen Liste

Schließlich verhafteten die Amerikaner noch in geringem Umfang Personen, die auf einer nicht näher definierten „Schwarzen Liste“ standen. Es handelte sich um Personen, die unter keine der vorgenannten Gruppen fielen, aber dennoch festgehalten werden sollten.18

Unterbringung der Internierten in Lagern

Die Zahl der Verhafteten war groß. Ab Mai/Juni 1945 wurden in der amerikanischen Besatzungszone durchschnittlich 700 Personen pro Tag festgenommen. Im September 1945 befanden sich 80.000 Menschen in Gewahrsam, Ende 1945 sogar 117.000.19

Eine Unterbringung in regulären Gefängnissen kam nicht in Frage, da deren Kapazitäten für Straftäter benötigt wurden. Die Amerikaner brachten die Internierten deswegen in ehemalige Konzentrationslager (zum Beispiel Dachau, hier wurden viele der mutmaßlichen Kriegsverbrecher festgehalten), Kasernen (wie Garmisch-Partenkirchen) oder frühere Kriegsgefangenenlager wie in Moosburg. Im November 1945 existierten in Bayern die Lager Garmisch-Partenkirchen, Dachau, Moosburg, Natternberg, Plattling, Straubing, Hersbruck, Stephanskirchen und Altenstadt. Anfang 1946 gab es in der amerikanischen Besatzungszone elf Internierungslager.20

Das Lager unter amerikanischer Verwaltung: „Civilian Internment Camp No. 6“

Die ersten Internierten kamen am 08.06.1945 im Internierungslager Moosburg an.21 Damit gehörte das Internment Camp No. 6 wie Natternberg (No. 5) oder Garmisch-Partenkirchen (No. 8) zu den ersten Lagern in Bayern.22

Wie schnell sich das Lager füllte, zeigt die Tatsache, dass bei der Registrierung der Internierten bereits am 23.06.1945 die Nummer 7.120 vergeben wurde und am 26.06.1945, also nur drei Tage später, schon die Nummer 7.558 erreicht war.23

Generell spiegeln die Belegungszahlen die Entwicklung der Internierungspraxis, insbesondere des automatic arrest, wider. Mitte Dezember 1945 war das Lager mit rund 9.700 Internierten im Alter von 16-80 Jahren belegt. Bis Sommer 1946 befanden sich zudem 300-400 Frauen im Camp, die man dann an andere Orte verlegte. In den ersten Monaten des Jahres 1946 hatte das Civilian Internment Camp No. 6 den Höchststand seiner Belegung erreicht. Nach Schätzung des katholischen Stadtpfarrers, der dort als Seelsorger tätig war, lebten zu diesem Zeitpunkt rund 12.000 Internierte im Lager. Moosburg gehörte damit zu den größeren Camps in der amerikanischen Besatzungszone, das größte, Darmstadt, hatte bis zu 28.000 Insassen. 24

Zu ersten Entlassungen war es schon im Sommer/Herbst 1945 gekommen. Im September 1945 wurden aus dem Lager Moosburg 700-1.000 Insassen entlassen, die als „security threats“ verhaftet worden waren, die die Amerikaner jetzt aber nicht mehr als gefährlich einschätzten.25 Im November 1945 wurden Ausschüsse eingesetzt, die die Freilassung von Internierten prüfen sollten. Da es schwierig war, geeignetes Personal für diese Ausschüsse zu finden, ging deren Arbeit nur schleppend voran. Trotzdem kamen so bis September 1946 bayernweit 17.000 Internierte frei.26

Im Sommer 1946, vor der Übergabe des Lagers an die deutschen Behörden, verlegten die Amerikaner mutmaßliche Kriegsgefangene oder Personen, die sie als Zeugen in Kriegsverbrecherprozessen benötigten, nach Dachau. Hier wurden in der Folge entsprechende Verfahren durchgeführt.27 Ende 1946 waren im Lager daher nur mehr rund 7.000 Personen interniert.28

Übergabe des Lagers an die deutschen Behörden

1945 hatten die Amerikaner die Entnazifizierung noch weitgehend selbst durchgeführt. Im März 1946 erließ Bayern, wie die anderen Länder der amerikanischen Besatzungszone, nach Aufforderung durch die Amerikaner ein Entnazifizierungsgesetz, das auf Richtlinien der US-Militärregierung beruhte. Die Entnazifizierung ging nun in deutsche Hände über, die Amerikaner behielten sich aber Aufsichts- und Kontrollbefugnisse vor. Dies bedeutete, dass zwar nach außen hin deutsche Dienststellen als Verantwortliche erschienen, die Letztentscheidungsbefugnis verblieb jedoch bei der US-Militärregierung.29

Abb. 3: Rede des Generalmajors Horace L. McBride zur Übergabe des Lagers in deutsche Verwaltung (National Archives Washington).

Abb. 4: Unterzeichnung des Übergabevertrags, v.l. Brigadegeneral Walter J. Muller, Sonderminister Dr. Anton Pfeiffer, Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (National Archives Washington).

Deswegen übergaben die Amerikaner die Internierungslager in ihrer Besatzungszone an deutsche Behörden. Das erste Camp, das übertragen wurde, war das Internment Camp No. 6. In einer Zeremonie am 10.10.1946 in Moosburg übergaben General Mc Bride als Vertreter der zuständigen 3. US-Armee und General Muller als Vertreter der US-Militärregierung das Lager an Sonderminister Pfeiffer. Beide Amerikaner betonten in ihren Ansprachen, dass nun die Zeit gekommen sei, nicht mehr nach den Kriterien des automatic arrest vorzugehen, sondern im Rahmen der Entnazifizierung individuelle Schuld festzustellen. Die Durchführung der Entnazifizierung durch deutsche Behörden wurde dabei als eine Art Bewährungsprobe gesehen. Dadurch könnten die deutschen Stellen beweisen, dass sie in der Lage seien, einen demokratischen Staat aufzubauen.30

Das Internierungs- und Arbeitslager Moosburg

Ab Anfang 1947 stieß eine weitere, zahlenmäßig kleine Gruppe zu den bisherigen Internierten. Personen, die im Rahmen der Entnazifizierung zu Zwangsarbeit verurteilt worden waren, wurden nun in die Internierungslager, unter anderem in Moosburg, eingeliefert. Die Lager hießen daher nun Internierungs- und Arbeitslager. Die Zahl der Arbeitslagerhäftlinge blieb aber gering. Im April standen bayernweit 1.974 Arbeitslagerhäftlingen 24.777 Internierte gegenüber. Erst nach und nach stieg die Quote der Arbeitslagerhäftlinge an.31

Abb. 5: Lagerzaun (Archiv Karl A. Bauer).

Kritik an Internierung und Entnazifizierung

Im März 1947 waren rund 7.500 Personen, im April 1947 noch etwa 6.800 in Moosburg interniert, im Dezember 1947 schließlich nur noch 1.122.32

Hintergrund für diesen Rückgang war eine Änderung der Entnazifizierungspolitik. Hatten Amerikaner und deutsche Öffentlichkeit 1945 noch ein hartes Vorgehen gegen Funktionäre des Dritten Reiches gefordert, kam es nun auf beiden Seiten zu einem Meinungsumschwung.

Im Zuge des sich entwickelnden Kalten Krieges wurden zunehmend Deutsche als Mitarbeiter gebraucht, selbst wenn sie Anhänger oder Aktivisten des Nationalsozialismus gewesen waren. Endgültiger Wendepunkt war die sowjetische Blockade Westberlins. Die westlichen Alliierten betrachteten Deutschland nicht mehr als Feind, sondern als zu schützenden zukünftigen Partner. Eine konsequente Weiterverfolgung der Entnazifizierung im großen Stil wurde dabei als störend empfunden.33

Inzwischen stellte auch die deutsche Öffentlichkeit die Internierung der „kleinen Nazis“ zunehmend in Frage. Ab 1947 distanzierten sich die politischen Parteien ebenso von der Entnazifizierung, weil sie den Verlust von „kleinen Nazis“ und deren Familienangehörigen fürchteten. Außerdem galt es, möglichst viele aus dem Millionenheer der Mitläufer schnell in die neue Gesellschaftsordnung zu integrieren und zu verhindern, dass, wie nach 1918, Hunderttausende in das Lager der rechten Republikfeinde abdrifteten und ein dauerndes Gefahrenpotential für die neu etablierte demokratische Grundordnung bildeten. Schließlich glaubte man, das Wissen der internierten Fachleute zu benötigen, um die chaotischen Zustände der unmittelbaren Nachkriegszeit zu beheben. Zunehmend wurde in der öffentlichen Diskussion die Frage gestellt, ob es sinnvoll sei, zahlreiche Menschen in teuren Internierungslagern festzuhalten, statt ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Wiederaufbau einzusetzen.34 Ein Besuch des Präsidiums des Bayerischen Landtags am 01.04.1947 im Lager Moosburg führte am 25.04.1947 zu einer intensiven Debatte im Parlament über das weitere Vorgehen im Rahmen der Entnazifizierung, insbesondere gegenüber den Internierten.35

Abb. 6: Neustadt 1961 (Archiv Karl A. Bauer).

Das Ende der Entnazifizierung in der amerikanischen Besatzungszone

Im Laufe des Jahres 1947 drängten die Amerikaner darauf, die Internierungsfrage schnell zu lösen und die Internierten zu entlassen. Rasch wurden nun die Verhaftungs– kategorien gelockert und Entlassungen angeordnet.36 Neben Entlassungen wegen Krankheit, Versehrtenstatus oder hohen Alters gab es 1946 eine Jugend- und 1947 eine Weihnachtsamnestie. Im Zuge der Jugendamnestie kamen diejenigen aus den Lagern frei, die nach dem 01.01.1919 geboren worden waren, die Weihnachtsamnestie führte zur Freilassung all derjenigen, die nur ein geringes Vermögen und Einkommen besessen hatten, soweit es sich nicht um Hauptschuldige oder Belastete handelte. Diese Amnestien betrafen in Bayern rund eine Million Personen.37

Abb. 7: Inneres einer Baracke kurz nach der Lagerauflösung (Archiv Karl A. Bauer).

In der zweiten Jahreshälfte 1948 endeten schließlich die meisten Entnazifizierungsverfahren. In Folge dieser Entwicklungen sanken die Zahlen der Internierten in den bayerischen Lagern rapide. Ende Juni 1948 befanden sich dort insgesamt nur mehr 1.457 Häftlinge. Die Lager waren damit lediglich noch zu etwa 10% ausgelastet.38

Im März 1949 schloss das Sonderministerium mit Nürnberg-Langwasser das letzte bayerische Arbeitslager und verlegte die Häftlinge in das Landgerichtsgefängnis Eichstätt. Die letzten Arbeitslagerhäftlinge wurden im Juli 1952 entlassen.39

Das Ende des Internierungs- und Arbeitslagers Moosburg

Aufgrund dieser Entwicklungen war auch im Lager Moosburg von August 1947 bis März 1948 die Belegung drastisch zurückgegangen: Zunächst noch moderat von 6.111 am 15.08.1947 auf 5.082 am 15.10.1947. Sodann sanken die Belegungszahlen deutlich, nämlich auf 2.525 am 15.11.1947 und auf 1.047 am 14.12.1947. In der Folge gingen sie dann noch weiter zurück, über 935 am 16.01.1948 auf schließlich 591 am 15.03.1948.40

Abb. 8: Lager kurz nach der Auflösung (Archiv Karl A. Bauer).

Da die Zahl der Internierten massiv gesunken war und man gleichzeitig Raum für entlassene deutsche Kriegs– gefangene, Flüchtlinge und Vertriebene brauchte, gab es bereits 1947 Pläne, das Lager Moosburg aufzulösen. Im November 1947 begann man, Mobiliar und Ausrüstungsgegenstände aus dem Lager abzutransportieren und Baracken abzubauen. Ab Frühjahr 1948 fing das Sonder– ministerium an, Internierungslager zu schließen, als erstes Moosburg. Zum 01.04.1948 wurde das Lager als eigenständige Einheit aufgelöst, es war ab dann eine Außenstelle des Lagers München. Die meisten Internierten verlegte man an andere Orte. Lediglich ein Arbeitskommando, das Aufräumungsarbeiten durchführte, verblieb in Moosburg. In den kommenden Wochen verließen die letzten Internierten das Lager. Nachdem Gerätschaften, Bekleidung und Verbrauchsmittel abtransportiert worden waren, ging das Lagergelände aus dem Verantwortungsbereich des Sonderministeriums in den des Landesamtes für Vermögensverwaltung über.41

Viele Baracken waren, fast zehn Jahre nach ihrer Errichtung, mehr oder weniger baufällig. Zusätzlich zum Abtransport von Material durch das Sonderministerium kam es noch zu Plünderungen. Das Lager befand sich daher in einem schlechten Zustand. Was mit dem Areal passieren sollte, war lange Zeit unklar.42

Am 12.05.1948 wurde das eigentliche Lagergelände (unteres Lager) zur Besiedelung durch Flüchtlinge und Heimatvertriebene freigegeben. Ab Juni siedelten sich hier die ersten Betriebe an. Die Kasernen der Wachmannschaft (oberes Lager) wurden am 10.06.1948 freigegeben. Nun bezogen Flüchtlinge und Vertriebene die Gebäude. Aus den beiden Geländeteilen entwickelte sich in den fünfziger Jahren ein neuer Stadtteil, die Moosburger Neustadt.43

2. Der Weg der Internierten ins Lager, Organisation und Verwaltung des Internierungslagers

Bei der Verwaltung der Lager verfolgten Amerikaner und Deutsche unterschiedliche Konzepte. Während die Amerikaner auf eine starke Selbstverwaltung der Internierten setzten, drängten die deutschen Behörden nach der Übernahme der Lager diese Strukturen deutlich zurück.

Die Verhaftung der Internierten