Unter Wölfen - Elmar Weihsmann - E-Book

Unter Wölfen E-Book

Elmar Weihsmann

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Beschreibung

Die 23jährige Clara Malverde wird als jüngste Kriminalpolizistin Italiens, nach bestandenem Ausbildungskurs, aus Rom in ihre Heimat, den Friaul, versetzt. Eine Bilderbuchkarriere scheint sich anzubahnen. Sie erhält den Auftrag in einem alten ungeklärten Mordfall zu recherchieren, um, sollte es keine neuen Erkenntnisse geben, die Akte schließen zu können. Die unerfahrene Kriminalbeamtin beginnt mit ihren Recherchen. Clara Malverde reist in ihre Heimatstadt Gemona del Friuli, einem kleinen Ort am Rand der Ebene und am Fuß der Alpen und stößt dort auf ein Geflecht aus Intrigen, Korruption, dunklen Geschäften, Verwicklungen bis in den Vatikan und sehr viel unbewältigter Vergangenheit.

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Elmar Weihsmann

Unter Wölfen

Ein Kriminalroman

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Die grässliche Bescherung

2. Der Auftrag

3. La donna della domenica

4. Zeichen

5. Der General

6. Was tun?

7. Ein Fuchs

8. Wein zu Wasser verwandeln

9. Klammheimliche Freude

10. Aus dem Nichts, ins Nichts

11. Kaliber 12 mm

12. Großeinsatz

13. Die Zeit der Helden ist vorbei

14. Wer weiß?

15. Am Abstellgleis

16. Das Dosier

17. Dienstleistungsgesellschaft

18. Der lange Schatten

19. La Grotta

20. Der Maulwurf

21. Aus dem Verkehr

22. Ein gemütlicher österreichischer Kaffeeklatsch

23. Herr General, die Malverde …

Nachwort:

Anhang:

Impressum neobooks

1. Die grässliche Bescherung

Unter Wölfen

Ein Kriminalroman von Elmar Weihsmann

September 2016 (15:01)

4. September 2016 (22:45) – 161 Seiten

Man muss es machen wie die Tiere, die jede Spur vor ihrer Höhle tilgen.

Michel de Montaigne

Für Monika, la flic femme

Inhalt:

Die grässliche Bescherung

Der Auftrag

La donna della domenica

Zeichen

Der General

Was tun?

Ein Fuchs

Wein zu Wasser verwandeln

Klammheimliche Freude

10. Aus dem Nichts, ins Nichts

11. Kaliber 12 mm

12. Großeinsatz

13. Die Zeit der Helden ist vorbei

14. Wer weiß?

15. Am Abstellgleis

16. Das Dosier

17. Dienstleistungsgesellschaft

18. Der lange Schatten

19. La Grotta

20. Der Maulwurf

21. Aus dem Verkehr

22. Ein gemütlicher, österreichischer Kaffeeklatsch

23. Herr General, die Malverde

Nachwort: Unter Wölfen, ein Kriminalroman geschrieben in 4 Tagen. Ein Selbstversuch

Anhang für den deutschen Leser.

1. Die grässliche Bescherung

Im Sommer pflegte der Prälat Buonavia vor dem Frühstück nackt im Klostergarten zu meditieren, doch an diesem 1. Juli Morgen wurden seine frommen Handlungen einmal mehr von seinem ewigen Widersacher Don Mario mit außergewöhnlicher Grässlichkeit unterbrochen, die so infam war, wie sie nur einem von dieser üblen Sorte, wie Don Mario gelingen konnte.

Don Mario lag geköpft und übel zugerichtet im Klostergarten, der nackte, drahtige Körper war von schwerer Folter gezeichnet und kastriert, die Genitalien sollten unauffindbar bleiben, wahrscheinlich waren sie irgendwo an die Schweine verfüttert worden, vielleicht im nahen San Daniele des Friuli, um letztendlich zu feinen Schinken verarbeitet zu werden. Der Kopf aber, der sollte Tage später, dem General der Carabinieri von Venedig via Post ins Büro zugestellt werden, wobei die Frage offen blieb, wie das makabre Parket ungeöffnet die Einlaufstelle passieren konnte.

Eine frevlerische Hand hatte, vermutlich mit dem Blut des Opfers, die Wörter ‚Legion Condor’ auf die Klostermauer geschmiert.

Die eiligst gerufenen Carabinieri riegelten sofort den Tatort großräumig ab und nahmen die Personalien der Klosterbewohner auf, von denen nur der Prälat als untadelig gelten konnte, unter den verbliebenen Brüdern, waren zwei seit längerem gesuchte Mafiosi, die sofort dingfest gemacht wurden und drei Brüder, die wegen Finanz- und Steuervergehen in der Vergangenheit die Justiz beschäftigt hatten und die vorsorglich auch festgenommen und im örtlichen Carabinierikommando bis zur Einvernahme sicher verwahrt wurden. Da half auch der energische Protest des Prälaten Buonavia nicht.

„Sie verstehen Herr Prälat, bei so einem schweren Kapitalverbrechen, kann das Gesetz keine Ausnahmen vorsehen“, argumentierte der Leutnant, der nicht als Kirchgänger im Ort bekannt war, und Dienst ist Dienst und Religion ist Religion und Italien ist ein laizistischer Staat, da können die Carabinieri eben nichts machen.

Das ist einer aus dem Norden, dachte der Prälat, einer, der seine Prinzipien statt die katholischen Lehre hat, einer aus dem Süden hätte es nicht gewagt einem Prälat zu widersprechen.

Erst gegen Mittag schalteten die örtlichen Carabinieri von Gemona del Friuli die Mordkommission in Udine ein, die, nachdem sie die ersten Polizeifotos von der blutigen Aufschrift gesehen hatten, umgehende die politische Polizei in Triest zu den Ermittlungen heranzog, was aber nicht hieß, dass sofort Kriminalbeamte nach Gemona del Firuli kamen, es dauerte bis zum sehr späten Nachmittag, also, bis nach der Siesta, als endlich der Kommissar Sollier von der Mordkommission, samt Assistenten, übrigens gleichzeitig mit einem Rechtsanwalt und einem kirchlichen Vertreter des Bischofs eintrafen.

Mittler Weile hatte die drückende Sommerhitze dem Leichnam des unglücklichen Don Marios schwer zugesetzt und nur mäßig war es den Carabinieri gelungen, die sterblichen Überreste mit etlichen Kübeln Industrieeis zu kühlen, damit der Verwesungsgeruch etwas erträglicher blieb, so war es auch kein Wunder, dass, der Kommissar gleich nach seiner Ankunft und einem flüchtigen Blick auf die grauenhaft zugerichtete Leiche, den Abtransport des Opfers ins örtliche Leichenschauhaus anordnete, was für allgemeine Erleichterung sorgte.

Die Verhöre dauerten bis spät in den Abend hinein und wurden nur für die Dauer der Abendmesse unterbrochen, deren Teilnahme die Würdenträger durchsetzen konnten. Nach der Vespa konzentrierten sich die Befragungen auf die zweifelhafte Vergangenheit der drei verhafteten Brüder, sowie der beiden, im Kloster untergetauchten, Mafiosi, von deren kriminellen Untrieben weder der Prälat noch die Vertreter des Bischofs angeblich etwas wussten.

Besonders die Beamten der Digos versuchten mit ausgesuchter Hartnäckigkeit die politische Vergangenheit des Opfers zu durchleuchten, ohne Erfolg.

Gut, Don Mario galt als schwierig, ein Querulant, der übelsten Sorte, eigenwillig, einer der sich über alle Anordnungen des Bischofs hinwegsetzte, finanziell auf großen Fuß lebte, auch, wenn sein Äußeres asketisch wirkte. Es gab üble Gerüchte, die auch nach Jahren nicht verstummen wollten und manchmal auch Übergriffe, in den letzten zwanzige Jahren war es immer wieder zu tätlichen Angriffen von Unbekannten auf Don Mario gekommen, von denen keine einziger den Carabinieri angezeigt wurde.

Die Digos versteifte sich in ihre Ermittlung auf die blutgetränkte Aufschrift ‚Legion Condor’, die einen eindeutigen Bezug zum spanischen Bürgerkrieg und zur ultra rechten Szene herstellte, aber niemand im Ort wusste, ob Don Mario je die MSI gewählt hatte, der Bürgermeister von Gemona del Friuli hätte den Verblichenen eher dem Zentrum, als der Rechten zugerechnet, aber Parteibuch hatte der ungeliebte Don Mario natürlich keines, außerdem wisse er, der Bürgermeister nicht, wer im Ort mit der extremen Rechten sympathisiere.

Don Mario wurde aufgebart und bestattet und nach einiger Zeit redete niemand mehr im Ort von der schrecklichen Bescherung am 1. Juli, als der Pfarrer von San Giacomo umgebracht worden war, ein Mord, der selbstverständlich nicht aufgeklärt werden konnte.

Gleich nach dem Begräbnis seines Widersachers zog der Prälat Buonavia nach Udine und zwei Jahre später nach Venedig, man sollte in Gemona del Friuli nie wieder etwas vom Prälaten Buonavia, noch von sonst einem Würdenträger eines vergleichbaren Titels, hören.

Die Mafiosi wurden an das Gericht in Reggio di Calabria ausgeliefert, das sie zu langjährigen Haftstrafen verurteilte, man hat auch nie wieder in Gemona del Friuli von ihnen gehört.

Die wegen ihre Finanz- und Steuerdelikte amtsbekannten Brüder wurden noch im Lauf der Vorerhebungen auf freien Fuß gesetzt und traten angeblich in ein Kloster in der Toskana ein, man hat nie wieder von ihnen im Friaul gehört.

Nachdem sich keine neuen Brüder für den Mönchsdienst in Gemona del Friuli fanden, wurde das Kloster ein, zwei Jahre nach der frevlerischen Tat geschlossen und nicht wieder eröffnet, auch für die kleine Kirche von San Giacomo fand sich bei dem Personalmangel in der katholischen Kirche kein Ersatz für den ermordeten Priester und so wurde die kleine Gemeinde ohne großen Aufsehens der Stadtpfarre von Gemona angeschlossen.

Nur der Carabinierileutnant hatte Pech. Zum Jahreswechsel wurde er zwar auf eigenen Wunsch in die Marken versetzt, wo er zunächst ein ruhiges Kommando führte, bis er eines Tages von einer Autobombe aus dem Leben gerissen wurde. Aber nur noch wenige erinnerten sich in Gemona del Friuli an ihn, als die Todesnachricht in den Medien verbreitet wurde.

Der Mantel des Schweigens legte sich über die mysteriöse Geschichte, mit der sowieso niemand im Ort etwas zu tun haben wollte, bis zu dem verhängnisvollen Tag zehn Jahre später, als eines der schönsten Mädchen der Stadt im fernen Rom mit Auszeichnung die notwendigen Prüfungen bestand und als jüngste Kriminalbeamtin Italiens ausgemustert und nach Triest versetzt wurde, weil der Friaul eine ruhige Gegend wäre, sehr geeignet um bei der Polizei voranzukommen, eigentlich das ideale Sprungbrett für eine gute Karriere, die, wenn man sich zu arrangieren verstand sehr steil nach oben führen konnte.

2. Der Auftrag

Vor dem Kommissar Sollier war die junge Kollegin zum Dienst angetreten. Clara Malverde, 23 Jahre, gebürtig aus Gemona del Friuli, mit allem ausgestatte, was man von einer jungen Italienerin zu erwarten hatte, und für den Job, den er ihr übertrug die idealen Voraussetzungen mitbrachte, niemand würde diese gewitzte Paparina für eine ernsthafte Ermittlerin der Kriminalpolizei halten.

Ihr Auftrag war sich unauffällig und diskret noch einmal im Mordfall umzuhören, das hieß genau hinzuhören, was der Volksmund nach all den Jahren über den unselig verstorbenen Don Mario zu sagen pflegte, um nach einigen Berichten der jungen Kollegin an den Kommissar zu entscheiden, ob man die Akte des ungeklärten Mordfalles endgültig schließen konnte.

Die junge Kollegin stimmte sofort zu und sie bekam vom Kommissar ihre Dienstmarke und ein paar Handschellen. Er ließ sie aus drei Waffetypen, verschiedener Kaliber eine Dienstwaffe aussuchen und sie entschied sich ausgerechnet mit dem Argument, dass sie lieber immer eine Kugel mehr als die anderen im Magazin haben wollte, für eine flinke Beretta.

Das gefiel dem Kommissar nicht.

Für so einen einfachen Job hätte eine 22er Stupsnase genügt, die kläffte und biss. Eine Beretta war eine mannstoppende Kanone.

Der Kommissar wollte einen Spitzel auf die heikle Sache ansetzen und kein Flintenweib in eine Gegend schicken, die sowieso nicht für Verfolgungsjagden und Schießereien bekannt war.

Aber die junge Kollegin war aus dem Friaul, sie sprach als einzige im Carabinierikommando von Gemona del Friuli Furlan und ihrer Personalakte nach auch Deutsch und Slowenisch und so wie sie aussah war die Malverde der ideale Lockvogel, der sich diskret, aber konsequent, an so manche Strauchdiebe, notstandgeplagte Papagalli und steht’s schwer betrunkene Touristen heran manchen konnte, um sie rein präventiv aus dem Verkehr zu ziehen, bevor sie noch mehr Unfug anrichten konnten.

Außerdem wäre sie die einzige Einheimische auf dem Posten, den ein, in Ungnade und Unehren, gefallener Carabinierigeneral aus Genua kommandierte, ein Polizeirevier, das ob des Personalmangels und der geringen Verbrechensrate notorisch unterbesetzt war.

Außer dem galaxienweit überqualifizierten Chef, rissen dort drei Beamte aus dem Süden den Dienst nach Vorschrift herunter, es wäre also vom polizeilichen Kalkül durchaus ein Gewinn eine Einheimische dort hinaufzuschicken und wenn so eine noch dazu gut aussah, würde selbst in so einem Hühnerstall wie dem Carabinierikommando von Gemona del Friuli endlich etwas vorangehen.

„Fragen, Signorina?“

„Werde ich wieder Uniform tragen?“

„Sie sind den Carabinieri von Gemona zugeteilt und erledigen die kriminalpolizeilichen Aufgaben, es ist anzunehmen, dass dort nicht gerade viel los ist, je nach Notwendigkeit werden Sie die Carabinieri bei anderen Amtshandlungen unterstützen. Die Diensteinteilung obliegt dem örtlichen Kommando.“

„Ich nehme an, dass ich alleine an dem Fall arbeiten werde?“

„Davon ist auszugehen. Sie sollen sich umhören. Indizien sammeln. Unauffällig bleiben. Hinhören, ob und wenn ja, welche Gerüchte es über den Mord an Don Mario gibt.“

„Wie lange werde ich in Gemona bleiben?“

„Drei Monate sind für die Untersuchung veranschlagt. Fragen?“

„Wann geht es für mich los?“

„Der Dienst ist sofort anzutreten.“

3. La donna della domenica

Die Malverde packte ihre Koffer, nur die beiden Uniformen hingen frisch gestärkt und gebügelt in einem undurchsichtigen Kleidersack, niemand würde wissen, dass sie ein Mitglied der italienischen Polizei war, als sie die Kaserne verließ und als Zivilistin auf den Strassen Triests verschwand.

Die Malverde fuhr nicht sofort in den Norden. Sie mietete ein Schließfach am Bahnhof und verstaute dort ihr Gepäck, dann kehrte sie ins Zentrum zurück. Sie genehmigte sich noch ein Mittagessen am Hafen, sie saß länger als üblich auf der Piazza dell’Unità d’Italia und sah auf das Meer hinaus, das sie die nächsten drei Monate nur noch an ihren freien Tagen, wenn überhaupt sehen würde, sie las den neuen L’Espresso und gönnte sich noch ein Buch von Fruttero und Lucentini.

Zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus der Provinz las sie wieder einen Roman.

Zum ersten Mal seit fünf Jahren musste sie nicht an Gesetzestexte, Vorschriften, Berichte denken.

Zum ersten Mal hatte sie kein schlechtes Gewissen, dass sie ihre Zeit mit Belanglosigkeiten vergeuden würde, die ihrer Karriere im Weg stehen könnten.

Sehr zufrieden las die Malverde das ganze erste Kapitel aus ‚La donna della domenica’, und stand mit dem guten Gefühl vom Tisch auf, dass auch sie so eine war, wie in dem Roman der Firma, wie eine dieser schönen Frauen aus Turin, eine Sonntagsfrau aus dem italienischen Norden.

Gegen sechzehn Uhr erreichte die Malverde den Bahnhof, Zeit genug um noch einen Espresso in der Cafeteria zu trinken und ein Panino für die Reise zu kaufen, dann holte sie ihr Gepäck aus dem Schließfach und fand einen freien Platz in der vorderen Hälfte des Regionalzugs nach Gemona del Friuli.

Einen Moment zögerte sie, ob sie den L’Espresso oder das Buch lesen sollte, doch die Versuchung war einfach zu groß, wer wird schon einer Sonntagsfrau widerstehen?

Die Malverde zweifellos nicht.

4. Zeichen

Der Regionalzug gondelte nach Norden. Schneller wäre sie natürlich gewesen, wenn sie den Zug nach Udine genommen und dort in den IC nach Österreich umgestiegen wäre, der als letzte Station vor der Grenze in Ciusaforte hielt, aber dort hätte sie jemand abholen müssen, was ihr Vater sicher gemacht hätte.

Wie sah das denn aus, wenn sie vom Papa zur Polizei gebracht wurde? Sie wäre sofort bei ihren Kollegen unten durch und das wollte sie absolut nicht, sie war definitiv nicht mehr das kleine Mädchen der Familie Malverde.

Daher nahm sie die zwei Stunden Zugreise gerne in Kauf. Die Carabinieri wusste Bescheid und würde sie am Bahnhof von Gemona erwarten.

Normaler Weise wäre so eine ruhige Zugfahrt der richtige Zeitpunkt um in Ruhe zu lesen, doch sie schaffte während der gesamten Strecke nicht einmal drei Seiten aus dem zweiten Kapitel der ‚Sonntagsfrau’.

Zunächst wurde sie von einem jungen, schlaksigen Kerl gestört, der eher unfreiwillig komisch, als wirklich ernsthaft versuchte, die Malverde in breiten kalabresischen Dialekt aufzureißen.

Er riet ihr, besser ihm Gesellschaft zu leisten, als diesen schmalzigen Schmöker zu lesen, der dem kitschigen Cover zu schließen nichts taugen konnte. Wenn sie schon Krokodilstränen vergießen wollte, dann sollte sie doch bitte fernsehen, dort lief ja nur noch der romantische Schmarren, auf den die Weiber stünden, oder, wenn ihr TV-Gerät der Gerichtsvollzieher abgeholt hatte, dann könnte sie von ihm aus auch ins Kino gehen und sich einen dieser stinklangweiligen indischen Schinken anschauen, oder falls sie vom Tuten und Blasen keine Ahnung hätte, sich ihm anvertrauen.

Nicht einmal ignorieren, dachte die Malverde, die mit der Versuchung spielte dem Kalabresen ihre Polizeimarke unter die Nase zu halten, aber sie unterstand sich.

Der Kerl schimpfte sie eine frigide Fregatte und stieg in Udine aus, hier würde er sich im nächsten Puff eine echte Mieze leisten, das wäre effizienter als so einer langweiligen Kuh den Hof zu machen, wie der Kalabrese lautstark verkündete.

Weg war er, vorerst zumindest.

Danach sorgten zwei Bälger für Unruhe, die ihr ein überforderter Familienvater kurzfristig anvertraute, weil er alle Hände voll zu tun hatte, seiner Ehefrau den Kopf zu waschen, die ihm gerade wieder einmal Ehebruch vorwarf und mit Scheidung drohte.

„Nur ganz kurz. Bitte. Ich verspreche, ich regle das mit Maria. Bitte kümmern sie sich um die beiden Kleine“, sprachs und stritt die nächsten fünfundvierzig Minuten mit seiner besseren Hälfte auf dem Durchgang zwischen den Abteilen herum.

Die beiden Geschwister, ein Junge und ein Mädchen, sorgten für Wirbel, aber die Malverde hatte das Autoritäre der Polizei und so gelang es ihr spielend mit ein paar Taschenspielertricks und ein wenig Bauchreden, das sie in einem Anfall von Schwäche während eines kurzen, aber intensiven Schauspielkurses in Rom gelernt hatte, die beiden Kinder in Staunen zu versetzen, was natürlich sofort wirkte und für heilige Ruhe, aber auch für größte Beunruhigung der Eltern sorgte, als sie, nach dem beide ganz kräftig Luft abgelassen hatten, ihre, wie verwandelten Kinder, abholten.

„Was ist denn mit den beiden passiert? Was haben Sie nur mit ihnen gemacht?“

„Das sind nicht mein Matteo und meine Carla!“

„Sie werden die Kinder doch nicht verhext haben?“