Unterrichten an Berufsfachschulen (E-Book) - Claudio Caduff - E-Book

Unterrichten an Berufsfachschulen (E-Book) E-Book

Claudio Caduff

0,0

Beschreibung

Im dualen Berufsbildungssystem verbringen die Lernenden höchstens zwei Tage in der Schule, in der restlichen Zeit arbeiten sie im Betrieb. Das Unterrichten an Berufsfachschulen stellt deshalb besondere Ansprüche – es braucht spezifische pädagogische Konzepte und eine angepasste Didaktik. Unter anderem geht es darum, an die Erfahrungswelt der Lernenden anzuknüpfen, das Lernen als Ausgangspunkt für weitere berufliche Problemlösungen und lebenslanges Lernen zu nutzen, viel Stoff in wenig Zeit unterzubringen und dabei immer den individuellen Voraussetzungen der Lernenden gerecht zu werden. Der erste Band der Trilogie 'Unterrichten an Berufsfachschulen' greift wesentliche Elemente des Unterrichts in Berufsmaturitäts-Bildungsgängen auf und fokussiert diese nach methodisch-didaktischen Gesichtspunkten. Die komplett überarbeitete Neuauflage orientiert sich durchgehend am neuen BM-Rahmenlehrplan 2012. Das Buch kann im Selbststudium erarbeitet werden, an schulhausinternen Weiterbildungen Verwendung finden oder der Vertiefung einzelner Aspekte oder der Begleitung von Studierenden dienen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 223

Veröffentlichungsjahr: 2014

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Diese Publikation erscheint im Rahmen der Lehre und Entwicklung von ­Mitarbeitenden der Abteilung Sekundarstufe II/Berufsbildung der PH Zürich und setzt Schwerpunkte für die ­unterrichtliche Praxis auf der Sekundarstufe II.

Claudio Caduff, Walter Mahler, Daniela Plüss

Unterrichten an Berufsfachschulen

Berufsmaturität

Beiträge von Elisabeth Zillig, Hanspeter Vogt und Beat Deola

ISBN Print: 978-3-0355-0191-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-0203-9

Lektorat: Christoph Gassmann, Zürich

Fotos: Reto Schlatter, Zürich

Gestaltung: pooldesign.ch

2., überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Auflage

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.ch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage

Einleitung

Zum Aufbau des Buches

Teil 1Berufsbildung und ­Berufsmaturität

Seitenblick: Viel Stoff – wenig Zeit: Wege aus der ­Vollständigkeitsfalle

Berufsbildung in der Schweiz

Einführung in die Berufsbildung • Die Berufsmaturität im System der Berufsbildung • Fazit

Zur Geschichte der ­Berufsmaturität(Elisabeth Zillig)

Vorläufer: Die Berufsmittelschulen 1970–1990 • Von der Berufsmittelschule zur Berufsmaturitätsschule 1990–1998 • Die inhaltliche Ausgestaltung der Berufsmaturität und die Anpassungen an die neue Berufsbildungsgesetzgebung 1998–2006 • Die Totalrevision der Berufsmaturitätsverordnung und der neue Rahmenlehrplan 2006–2009 • Die Entwicklung der ­Berufsmaturität in Zahlen • Ausblick

Teil 2Unterrichten in Berufs­maturitäts-­Bildungsgängen

Seitenblick: Herausforderungen des BM-Unterrichts aus der Optik (angehender) ­Gymnasiallehrpersonen

Vom Rahmenlehrplan zu den Lehrplänen für anerkannte Bildungsgänge für die Berufsmaturität

Seitenblick: Zu-Mutung

Die rechtlichen Vorgaben • Der Rahmenlehrplan 2012 (RLP-BM) • Exkurs: Zum schwierigen Umgang mit ­Kompetenzen • Die Notenberechnung und die Promotion • Die Umsetzung des RLP

Unterrichtsgestaltung

Seitenblick: Didaktische Expertise

Das Angebots-Nutzungs-Modell • Lernzielorientierung • Lernprozessorientierung im Unterricht • Veranschaulichung • Ergebnissicherung • Aufgaben • Umgang mit Fehlern

Sinnvoller Einsatz des Computers im Unterricht – ein Exkurs (Hanspeter Vogt)

Prüfen und Bewerten

Seitenblick: Methoden zur Messung der schulischen Leistungen

Pädagogische Diagnostik • Gütekriterien • Prüfungsinhalte • Prüfungen durchführen • Prüfungen bewerten • Neue Prüfungsformen • Gemeinsame Prüfungen?

Interdisziplinäres Arbeiten

Seitenblick: Interdisziplinarität – Mehrwert für die Disziplinen

Richtlinien des RLP-BM 2012 zum interdisziplinären Arbeiten • Zur Umsetzung des interdisziplinären Arbeitens im ­RLP-BM 2012 • Offene Unterrichtsformen und Prozessbegleitung • Schlussbemerkungen

Unsicherheit und Widersprüche im Lehrberuf

Seitenblick: Lehrerrollen und Lehrerethos

Unsicherheit in der Lehrerprofession • Umgang mit ­Unsicherheit und Widersprüchen

Unterrichtskommunikation und Auftrittskompetenz

Der Dialog mit der Klasse • Der Auftritt in der Klasse

Die Berufsmaturität in bewegtem Umfeld

Fazit und Ausblick aus der Sicht eines Schulleiters

(Beat Deola)

Verzeichnis der Tabellen

Verzeichnis der Abbildungen

Anhang Reader

Vorwort zur zweiten Auflage

Als eine erst seit den 1990er-Jahren bestehende Einrichtung hat sich die Berufsmaturität schnell – man könnte sagen ungestüm – einen Platz in der schweizerischen Bildungslandschaft erobert. Zwischen dem auf der traditionellen beruflichen Grundbildung beruhenden eidgenössischen Fähigkeitszeugnis, der Fachmatur und der gymnasialen Maturität hat sie inzwischen auch in quantitativer Hinsicht eine bedeutsame Stellung. Die Berufsmaturität spielt für die Attraktivität der Berufsbildung eine wichtige Rolle, denn sie eröffnet Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die schulleistungsstark und nicht (oder nicht mehr) «schulmüde» sind, dank zusätzlicher Allgemeinbildung die Pforten zu den Hochschulen.

Auch wenn die Berufsmaturität nicht exklusiver Zubringer zur Fachhochschule ist, so ist sie dennoch für diejenigen, die eine berufliche Grundbildung durchlaufen und ihre Bildung an einer Fachhochschule fortsetzen wollen, das Nadelöhr zur tertiären Bildung. Eine solche als Fachhochschulreife zu benennende Ausrichtung beruht jedoch im Wesentlichen auf der Qualität des Angebotes, das von den Schulen und den Lehrpersonen als zentralen Akteuren zu gewährleisten ist. Kompetente Lernerinnen und Lerner, die im Beruf und in ihrer weiteren Bildungskarriere erfolgreich sein wollen, sind auf motivierte, engagierte und fähige Lehrkräfte angewiesen. Genau an diesen Personenkreis – und diejenigen, die in Ausbildung sind – richtet sich diese Veröffentlichung – die meines Wissens erste und nach wie vor einzige dieser Art.

Lehrpersonen in der Berufsmaturität sollten über das schweizerische Berufsbildungssystem und über die Berufsmaturität in ihrer Entstehung und heutigen Position Bescheid wissen. Darüber hinaus sollten sie sich über die berufspädagogischen Besonderheiten des Unterrichtens an Berufsfachschulen im Klaren sein. Die vorliegende Publikation antwortet präzise auf diese Vorgaben. Sowohl die Grundstruktur des neuen Rahmenlehrplans für die Berufsmaturität und das ihm zugrunde liegende Kompetenzenmodell werden thematisiert als auch die bei knappen zeitlichen Ressourcen erforderliche Lernziel- und Lernprozessorientierung. Dafür werden Beispiele und Strukturierungshilfen geboten, die – so weit für die Berufsbildung vorhanden – auch an der aktuellen Forschung anschliessen. Die Bedeutung von Aufgaben wird ebenso behandelt wie der Umgang mit Fehlern, darüber ­hinaus das Prüfen und Bewerten.

Ein besonderes Augenmerk richten die Autorin und die beiden Autoren auf die Frage des interdisziplinären Arbeitens, das in der Berufsmaturität eine bedeutende Rolle spielt und insgesamt rund 10 Prozent der BM-Lernstunden beansprucht. Nicht nur die Lernenden, sondern insbesondere auch die Lehrpersonen, die solche Arbeiten betreuen, sind hierbei herausge­fordert, indem sie die Themenfindung und die Begleitung des Prozesses ­mitgestalten. Nur dank dem überzeugenden Einsatz der Lernenden und Lehrenden können das interdisziplinäre Arbeiten in den Fächern aller Unterrichtsbereiche (IDAF) und die interdisziplinäre Projektarbeit (IDPA), die gegen Ende der Schulzeit verfasst wird, die ihr zugedachte Rolle tatsächlich spielen, und auch dafür liefert diese Publikation hilfreiche Tipps.

Ein abschliessendes Kapitel befasst sich mit den möglichen Unsicherheiten und Ungewissheiten, die den beruflichen Alltag der Lehrerinnen und Lehrer prägen.

Sowohl vom umfassenden kritisch-reflektierenden Zugriff als auch von der originellen Herangehensweise an die Herausforderungen des Unterrichtens in Bildungsgängen der Berufsmaturität her überzeugt diese Publikation, die als Unterstützung professioneller Arbeit konzipiert ist.

Institut für Erziehungswissenschaft (IfE) der Universität Zürich

Lehrstuhl für Berufsbildung

Prof. Dr. Philipp Gonon

Im Juli 2014

Einleitung

«Berufspädagogik unterscheidet sich von der allgemeinen Pädagogik durch ihre konstitutive Verknüpfung mit Arbeitswelt und beruflicher Praxis.»1

In unserem dualen Berufsbildungssystem verbringen die Lernenden höchstens zwei Tage in der Schule, in der verbleibenden Zeit arbeiten sie im Betrieb. An einer Berufsfachschule zu unterrichten, stellt an die Lehrpersonen deshalb hohe Ansprüche – es braucht spezifische pädagogische Konzepte und eine angepasste Didaktik. Unter anderem gilt es, an die Erfahrungswelt der Berufslernenden anzuknüpfen, Lernen als Ausgangspunkt für berufliche Problemlösungen und lebenslanges Lernen zu gestalten – und bei alldem stets den individuellen Voraussetzungen der Lernenden gerecht zu werden. In Bildungsgängen der Berufsmaturität (BM) liegt eine besondere Herausforderung darin, mit dem Dilemma «Viel Stoff, wenig Zeit» – mit dem jede Lehrperson konfrontiert ist – unter erschwerten Bedingungen zurechtzukommen. Denn es soll in vergleichsweise kurzer Unterrichtszeit und dennoch ohne Substanzverlust eine erweiterte Allgemeinbildung vermittelt bzw. erworben werden – so lautet ja das erklärte Ziel der Berufsmaturität.

Die geltenden Rahmenlehrpläne (RLP) für Berufsbildungsverantwortliche tragen den besonderen Unterrichtsbedingungen in der Berufsbildung Rechnung. Das lässt sich gut an den zehn Kompetenzen (im RLP in «Standards» gefasst) zeigen, die Gymnasiallehrpersonen – über die üblichen fachlichen und didaktischen Qualifikationen hinaus – erwerben müssen, wenn sie in einem BM-Bildungsgang unterrichten wollen.

Seit dem Jahr 2006 haben angehende Gymnasiallehrpersonen in Zürich – damals am Zürcher Hochschulinstitut für Schulpädagogik und Fachdidaktik (ZHSF), heute am Institut für Erziehungswissenschaften (IfE) der Universität – die Möglichkeit, während der Ausbildung im Rahmen eines Wahlpflichtfaches die erforderlichen Qualifikationen zu erwerben.2 Inzwischen bietet die Pädagogische Hochschule Zürich dieselbe Ausbildung im Rahmen einer «BM-Nachqualifikation» auch für Personen an, die bereits über ein gymnasiales Lehrdiplom verfügen. Gymnasiallehrpersonen, die diese zusätzliche Lehrbefähigung erworben haben, können auch in BM-Bildungsgängen unterrichten.

Aus der Ausbildungspraxis dieser Studiengänge ist das vorliegende Buch entstanden. Es ist das Produkt unserer Erfahrung – nicht nur als Hochschuldozierende, sondern auch als Unterrichtende an Berufsfachschulen und in Berufsmaturitäts-Bildungsgängen und als Mitglieder von Gremien der Berufs- und der gymnasialen Bildung.

Eines der wesentlichen Ziele der Publikation ist es zu zeigen, wie eine erweiterte Allgemeinbildung mit einem knappen Zeitbudget methodisch-didaktisch optimal vermittelt werden kann. Die Arbeitswelt der Berufslernenden ist ein massgebender Ort des Lernens, auf dieser Ressource können wir im Unterricht aufbauen. Dabei lassen sich Potenziale wie Hausaufgaben, Lernplattformen wie Moodle oder Projektarbeiten gezielt einsetzen und nutzen.

Der Inhalt des Buches deckt insbesondere die drei folgenden Standards aus den Rahmenlehrplänen für Berufsbildungsverantwortliche (für BM-Lehrpersonen) ab:3

•Lehrpersonen für Fächer in der Berufsmaturität knüpfen an die Erfahrungswelt der Lernenden an und bringen deren berufliche und persönliche Erfahrungen (situatives und informelles Lernen) in einen theoretischen Zusammenhang. (Standard 6.1)

•Sie organisieren das Lernen als Ausgangspunkt für weitere Problemlösungen in der beruflichen Grundbildung und für lebenslanges Lernen. Sie fördern anhand von exemplarischen Situationen das theoretische Denken. (Standard 6.2)

•Lehrpersonen für Fächer in der Berufsmaturität verstehen es, die Inhalte ihres Lehrfaches mit den berufspädagogischen Handlungskompetenzen so zu verbinden, dass sie der Individualität der Lernenden Rechnung tragen und die Lerninhalte exemplarisch umsetzen. (Standard 7.1)

Das Buch kann im Selbststudium erarbeitet werden – es richtet sich also u.a. an Gymnasiallehrpersonen, die bereits an Berufsfachschulen unterrichten, sich aber noch entsprechend nachqualifizieren müssen. Es kann indessen auch an schulhausinternen Weiterbildungen Verwendung finden oder der Vertiefung einzelner Aspekte oder der Begleitung von Studierenden dienen. Verantwortlichen in den kantonalen Mittelschul- und Berufsbildungsämtern bietet es schliesslich eine reiche Fülle von Informationen.

Zum Aufbau des Buches

Der erste Teil der Publikation beschäftigt sich mit dem schweizerischen Berufsbildungssystem und der Stellung und Bedeutung der Berufsmaturität (BM). Dieser Teil wird durch einen historischen Exkurs zur Entstehung und Etablierung der Berufsmaturität ergänzt. Diesen Text hat Elisabeth Zillig, die ehemalige Vizepräsidentin der Eidgenössischen Berufsmaturitätskommission, beigesteuert.

Im zweiten Teil werden die zentralen Themen behandelt, die für eine erfolgreiche Unterrichtstätigkeit in Bildungsgängen der Berufsmaturität von Belang sind: Lehrpläne, Unterrichtsgestaltung, Prüfen und Bewerten, Interdisziplinarität. Die Auswertung von Hospitationsberichten gleich zu Beginn des zweiten Teils (Seitenblick, S. 44) wirft ein Licht auf die Unterschiede zwischen gymnasialem Unterricht und BM-Unterricht, wahrgenommen von Gymnasiallehrpersonen, die dem Unterricht an Bildungsgängen der Berufsmaturität beigewohnt haben. Daraus lassen sich didaktische Handlungsempfehlungen für den Unterricht beigewohnt haben.

Den Abschluss bildet ein Blick auf die Unsicherheiten und Paradoxien, von denen der Lehrberuf generell geprägt ist.

Zu Beginn des ersten Teils und jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel des zweiten Teils werfen wir «Seitenblicke» auf Themen und Fragen der Pädagogik und Didaktik, die unserem spezifischen Zugang, mit der Berufsmaturität im Fokus, noch etwas mehr Tiefe verleihen. Die «Seitenblicke» beziehen sich jeweils auf Fachtexte verschiedener Autoren – Extrakte aus den Originaltexten finden sich im Reader auf der CD-ROM, die diesem Buch beiliegt. Dieser Reader enthält auch offizielle Dokumente des SBFI, etwa die aktuell gültigen Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche, den gültigen Rahmenlehrplan Berufsmaturität (2012), das Berufsbildungsgesetz und die zugehörige Verordnung.

Das vorletzte Kapitel des Buches ist dem Dialog und dem Auftritt der Lehrpersonen im Klassenzimmer gewidmet – Themen, die sich in der Auseinandersetzung der Autorin und der Autoren im Austausch mit den Studierenden ergeben haben. Zum Schluss dieser Neuausgabe wagt Beat Deola, der Leiter der Berufsmaturitätsschule Winterthur, einen Ausblick auf die Zukunft der Berufsmaturität.

Dem modischen Rufen nach ständiger Praxis begegnen wir mit einer weisen Aussage von Martin Lehner: «Manchmal kann es sinnvoll sein, eher theoretisch vorzugehen, etwa wenn die Perspektive erweitert oder der Sachverhalt konsequent hinterfragt werden soll. Manchmal kann es sinnvoll sein, eher praktisch vorzugehen, etwa wenn schnelles Handeln und leicht kommunizierbare Modelle gefragt sind. Die Spannung zwischen den beiden Konzepten kann auf jeden Fall produktiv genutzt werden.»4

Im Grunde gibt es aber aus unserer Sicht nichts Praktischeres als eine gute Theorie.

Claudio Caduff, Walter Mahler, Daniela Plüss   Juli 2014

1Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) (2006): Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche vom 1. Mai 2006 (Stand 1. Juli 2008), S. 4. Online: www.bbt.admin.ch [18.3.2009]. In der aktuellen Fassung der Rahmenlehrpläne ist dieser Passus nicht mehr zu finden.

2Der Ausbildungsgang an der Universität Zürich (IfE) und die «BM-Nachqualifikation» an der PH Zürich umfassen entsprechend den Vorgaben in den Rahmenlehrplänen des Bundes 300 Lernstunden (10 ECTS). In einem vollständigen Studiengang zu 1800 Lernstunden (60 ECTS) kann an der PH Zürich bei entsprechender fachlicher Vorbildung ebenfalls das Lehrdiplom für den Unterricht in der Berufsmaturität erworben werden. Schliesslich können sich Personen, die bereits über ein Lehrdiplom für den hauptberuflichen Unterricht an Berufsfachschulen verfügen (zum Beispiel für Allgemeinbildung oder Berufskunde), an der PH Zürich in einem Ergänzungsstudiengang (300 Lernstunden, 10 ECTS) für den BM-Unterricht qualifizieren.

3Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) (2011): RLP für Berufsbildungsverantwortliche, S. 37 f. und 40 f. Online: www.sbfi.admin.ch➔ Themen ➔ Berufsbildung ➔ Eidgenössische Kommission für Berufsbildungsfragen EKBV ➔ Dokumente [10.3.2014]. Dieses Dokument findet sich auch auf der diesem Buch beiliegenden CD-ROM. Die Grammatikfehler der BBT-Fassung wurden stillschweigend berichtigt.

4Martin Lehner: Viel Stoff, wenig Zeit (Bern4 2013), S. 144.

Teil 1

Be­rufs­bil­dung und ­Be­rufs­ma­tu­ri­tät

Seitenblick

Viel Stoff – wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle

Welche Lehrperson kennt das nicht: Der Lehrstoff ist kaum zu überblicken, die Zeit ist knapp, und am Ende bleibt nichts anderes übrig, als zu sagen: «Tut mir leid, ich habe nicht alles geschafft.»

Nach Ansicht von Martin Lehner, Professor für Didaktik am Technikum Wien, ist aber nicht die Stoffmenge das Problem, sondern der Vollständigkeitsanspruch der Lehrenden. Diese seien nämlich häufig der Ansicht, alles, was sie wüssten, sei wichtig und sie müssten möglichst viel von ihrem Wissen weitergeben. Wer so denkt, sitzt in der Vollständigkeitsfalle, schreibt Lehner. Auswege aus dieser Falle zeigt er in ­seinem Buch «Viel Stoff – wenig Zeit».5

Grundsätzlich rät Lehner den Dozierenden, bei der Auswahl des Lernstoffs nach der Devise «Weniger ist mehr» zu handeln. Die Kunst bestehe im Weglassen. Dazu stehen verschiedene Techniken zur Verfügung, beispielsweise die «Siebe der Reduktion». Die Dozierenden «schütteln» die Lehrinhalte vor dem Vortrag auf bestimmte Zeiteinheiten «herunter», indem sie sich fragen: Mit welchen Inhalten arbeite ich, wenn ich fünfzehn Minuten für deren Vermittlung Zeit habe? Was bringe ich in zwei Stunden unter? Und was in einem zweitägigen Seminar?

Eine andere Möglichkeit zur Reduktion der Stoffmenge ist die «Track One»-«Track Two»-Methode zur Erstellung von Lernmaterialien. Als «Track One» gekennzeichnete Passagen im Skript sagen den Studierenden: Das ist besonders wichtig! «Track Two» bedeutet: ergänzender Stoff zum individuellen Lernen.

Wer ganz wenig Zeit für die Vermittlung eines Sachverhaltes hat, kann die «Extremreduktion» wählen – nach Lehner der «didaktische Ironman». Die grosse Herausforderung: komplexe Inhalte auf wenige zentrale Aussagen einzudampfen. Wem das gelingt, der dürfe sich zu Recht Experte auf einem Gebiet nennen.

Schliesslich widmet sich Lehner noch der Hirnforschung. Denn «wie jeder Koch sich mit der Funktion des Magens auskennt, sollte ein Lehrender auch etwas vom Organ des Lehrens, vom Gehirn verstehen» – so Lehners Argument. Jede Lehrperson sollte sich also zum Beispiel darüber im Klaren sein, dass das Arbeitsgedächtnis eine ­begrenzte Kapazität hat und Informationen unterschiedlich verarbeitet werden.

Berufsbildung in der Schweiz

Die Berufsbildung ist in der Schweiz grundsätzlich Sache des Bundes: Er ist es, der die gesetzlichen Bestimmungen erlässt; die Kantone sind vor allem für den Vollzug und die Kontrolle verantwortlich; die Organisationen der Arbeitswelt, die Betriebe und Berufsfachschulen führen in erster Linie aus. Zwei Drittel aller Jugendlichen wählen nach der obligatorischen Schulzeit den Weg der Berufslehre – der dualen Ausbildung. In diesem System wird die Sozialisation der jungen Berufslernenden vom Lehrbetrieb wesentlich mitbestimmt: Dort verbringen sie den grössten Teil ihrer Ausbildungszeit.

Für interessierte und schulisch engagierte Jugendliche besteht seit 1993 die Möglichkeit, eine erweiterte Allgemeinbildung zu erwerben (➔Zur Geschichte der Berufsmaturität). Diese Berufslernenden besuchen an maximal zwei Tagen in der Woche die Berufsfachschule. Für die Bildungsinhalte stehen kleine Zeitgefässe, wenig Lektionen zur Verfügung. Dies bedeutet für die Lehrpersonen: viel Stoff – wenig Zeit. Angesichts dieser Herausforderung wird von den Unterrichtenden differenziertes didaktisches Vorgehen und ein stark ressourcen­orientiertes Denken und Handeln gefordert, möglichst ohne Substanzverlust in den zu vermittelnden Fächern.

Schlüsselbegriffe

Berufsbildung, Berufsbildungsgesetz (BBG), Berufsbildungsverordnung (BBV), Verordnung über die berufliche Grundbildung, Berufsfachschulen (BFS), Berufsmaturität (BM), duale (triale) Ausbildung, Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ), Organisationen der Arbeitswelt (OdA)

Einführung in die Berufsbildung6

Die Berufsbildung ermöglicht den Jugendlichen den Einstieg in die Arbeitswelt und sorgt für Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften. Sie ist arbeitsmarktbezogen und zugleich Teil des gesamtschweizerischen Bildungs­systems. Die Berufsbildung ist im Bildungsgesamtsystem auf der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe angesiedelt. Sie baut auf klar definierten Bildungsangeboten auf und zeichnet sich durch hohe Durchlässigkeit aus: Der Besuch weiterführender Bildungsangebote und Tätigkeitswechsel im Verlauf des Berufslebens sind ohne Umwege möglich.

Die Berufsbildung vermittelt zwei Dritteln der Jugendlichen in der Schweiz zunächst eine solide berufliche Grundlage. Sie ist Basis für lebenslanges Lernen und öffnet eine Vielzahl von Berufsperspektiven. Die Ausbildung in Betrieb und Berufsfachschule («duales System») ist die überwiegende Form der Berufsbildung. Über 200 Lehrberufe stehen zur Wahl. Neben der klassischen Ausbildung in einem Betrieb kann eine berufliche Grundbildung (Berufslehre) auch in einem schulischen Vollzeitangebot, etwa einer Lehrwerkstätte oder einer Handelsmittelschule, absolviert werden.

Die Ausbildungen orientieren sich an tatsächlich nachgefragten Berufsqualifikationen und an den zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätzen. Durch den direkten Bezug zur Arbeitswelt weist die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine der tiefsten Jugendarbeitslosigkeitsquoten auf.

An die berufliche Grundbildung schliesst die höhere Berufsbildung an. Die Bildungsangebote der berufsbildenden Tertiärstufe (Tertiär B)7 vermitteln spezifische Berufsqualifikationen und bereiten auf Kaderfunktionen vor. Die Berufsmaturität (BM) öffnet den direkten Zugang zu den Fachhochschulen (mit Ausnahme der pädagogischen Hochschulen). Umgekehrt ist das Berufsbildungssystem offen für Abgängerinnen und Abgänger von allgemeinbildenden Schulen.

Eine gemeinsame Aufgabe von drei Partnern

Berufsbildung ist eine partnerschaftliche Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt (OdA).

Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) ist als Ausführungsorgan des Bundes zuständig für die strategische Steuerung und Entwicklung der Berufsbildung. Es trägt ein Viertel der Gesamtkosten der öffentlichen Hand und ist u.a. zuständig für die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Gesamtsystems, den Erlass der über 200 Verordnungen über die berufliche Grundbildung und die Anerkennung von Bildungsangeboten der höheren Berufsbildung. Das früher zuständige Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) ist per 1. Januar 2013 im SBFI aufgegangen.

Die Kantone sind für den Vollzug, d.h. für die Umsetzung und Aufsicht über die Berufsbildung zuständig. Die 26 kantonalen Berufsbildungsämter sind die Vollzugsorgane auf kantonaler Ebene. Sie sind zuständig für die Lehraufsicht, die Berufsfachschulen und schulischen Vollzeitangebote sowie für Berufsinformations- und Berufsberatungsstellen und auch für das Lehrstellenmarketing. Ihre Tätigkeiten koordinieren sie im Rahmen der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK), einer Fachkonferenz der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK).

Die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) definieren u.a. Bildungsinhalte, stellen Ausbildungsplätze bereit und entwickeln neue Bildungsangebote. Zu den OdA zählen Berufsverbände, Sozialpartner, andere zuständige Organisationen und Anbieter der Berufsbildung sowie Unternehmen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten Ausbildungsplätze für die berufliche Praxis bereitstellen und so ihren Nachwuchs sichern. Die Beteiligung der Firmen an der Berufsbildung ist freiwillig.

Die Lernorte

Der enge Bezug der beruflichen Grundbildung zur Arbeitswelt zeigt sich durch die drei Lernorte (wobei es neben der hier skizzierten «trialen Berufsbildung» zahlreiche weitere Varianten gibt, z.B. schulisch organisierte Grundbildungen oder Grundbildungen in öffentlichen Lehrwerkstätten; vgl. Wettstein/Gonon/Schmid i.V. [2014]).

•Betrieb: Die klassische berufliche Grundbildung (Lehre) findet in einem Betrieb statt, wo den Lernenden die berufspraktischen Fähigkeiten vermittelt werden. Kleinere Betriebe können sich auch zu einem Lehrbetriebsverbund zusammenschliessen. Solche Verbünde eignen sich für Unternehmungen, die nur über beschränkte personelle Kapazitäten verfügen oder aufgrund ihrer Spezialisierung nur einen Teil der Ausbildung anbieten können.

•Berufsfachschule: Sie vermittelt die schulische Bildung. Diese besteht aus beruflichem und allgemeinbildendem Unterricht. Es gibt mehrere Formen, den Verlauf der beruflichen Grundbildung zu organisieren: klassische Organisationsform mit ein bis zwei Tagen Schule und drei bis vier Tagen Betriebsphase über die ganze Dauer der beruflichen Grundbildung, degressives Schulmodell (zu Beginn mehr Schultage, im Verlauf nimmt der Schulanteil sukzessive ab), Basislehrjahre usw. Zu den Berufsfachschulen zählen auch schulische Vollzeitangebote (Lehrwerkstätten, Handelsmittelschulen usw.).

•Überbetriebliche Kurse: Sie dienen – ergänzend zur Bildung in Betrieb und Berufsfachschule – der Vermittlung und dem Erwerb grundlegender Fertigkeiten. Die überbetrieblichen Kurse finden häufig in brancheneigenen Lernzentren statt.

Die Berufsmaturität im System der Berufsbildung

Vorteile der Berufsmaturität aus der Sicht der Berufsbildung

•Bildungsangebot: Mit der Einführung der Berufsmatura ab 1993 (➔Zur Geschichte der Berufsmaturität) hat die Berufsbildung ihr Angebot inhaltlich umfassend und auf hohem Niveau vervollständigt. Mit dem prüfungsfreien Zutritt zur Hochschulbildung ist die allgemeine Anerkennung der beruflichen Grundbildung gestiegen.

•Praxis und anspruchsvolle Bildung: Mit der Berufsmaturität wird eine ­anspruchsvolle Bildung auf Stufe der beruflichen Grundbildung angeboten, ohne dass der wertvolle Aspekt der Ausbildung in der Praxis verloren geht.

•Brachliegende Potenziale: Die Berufsmaturität kann während der beruf­lichen Grundbildung, aber auch später erworben werden. Mit der Berufsmaturität haben auch «Spätzünder/innen» die Möglichkeit, diese Chance wahrzunehmen.

•Weiterbildung: Je höher das Bildungsniveau, desto höher die Teilnahme an Weiterbildung. Berufsmaturität und Fachhochschule fördern grundsätzlich die Bereitschaft zur Weiterbildung.

•Berufsbildung als Tätigkeitsgebiet: Die Berufsmaturität trägt dazu bei, die Berufsbildung selbst als Tätigkeitsgebiet attraktiv zu machen.

•Verschiedene Organisationsformen: Der Berufsmaturitätsunterricht kann während der beruflichen Grundbildung besucht werden (BM 1) – oder auch nach deren Abschluss (BM 2), dann entweder berufsbegleitend oder im Vollzeitunterricht.

•Eidgenössische Berufsmaturitätsprüfung: Inhaberinnen und Inhaber eines eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses, die keinen anerkannten Bildungsgang absolviert haben, können sich autodidaktisch vorbereiten und die eidgenössische Berufsmaturitätsprüfung ablegen.

Warum wählen Jugendliche eine Berufslehre mit ­Berufsmaturität?

Junge Menschen wählen aus ganz unterschiedlichen Gründen den anspruchsvollen Ausbildungsweg einer Berufslehre mit gleichzeitiger oder anschlies­sender Berufsmaturität:

•Fachhochschulstudium: Das Berufsmaturitätszeugnis in Kombination mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis berechtigt zum prüfungsfreien Eintritt in eine Fachhochschule. Die berufliche Grundbildung stellt dadurch – derzeit v.a. noch für junge Männer – eine praxisorientierte Alternative zum Gymnasium dar.

•Berufschancen und materielle Vorteile: Mit der Berufsmaturität steigen die Chancen im Berufsleben generell, und es werden anspruchsvolle, interessante berufliche Tätigkeiten in höheren Positionen erreichbar. Damit sind auch materielle Vorteile verbunden.

•Passerelle Berufsmaturität – universitäre Hochschulen: Wer eine Berufsmaturität absolviert hat, kann anschliessend eine Ergänzungsprüfung («Passerelle») ablegen, bei der die lokale Landessprache, die zweite Landessprache oder Englisch, Mathematik, Naturwissenschaften (Biologie, Chemie und Physik) sowie Geistes- und Sozialwissenschaften (Geschichte und Geografie) geprüft werden. Die Passerelle-Prüfung öffnet den Zugang zu sämtlichen schweizerischen Universitäten inkl. ETH und zu allen Studienrichtungen.8 Zugang zu ausländischen Hochschulen verschafft sie nur dort, wo diese freiwillig das Zeugnis zur bestandenen Ergänzungsprüfung anerkennen.

Mit einem BM-Abschluss kann übrigens in vielen Kantonen auch die gymnasiale Matura in einem verkürzten Ausbildungsgang erworben ­werden.

•Andere Hochschulstudiengänge: Neben den Studiengängen an Fachhochschulen, die auf der beruflichen Grundbildung aufbauen, sind unter gewissen Bedingungen auch andere Studienrichtungen erreichbar.

Zusammen mit einer Ergänzungsprüfung (Äquivalenznachweis zur Fach­maturität für das Berufsfeld Pädagogik) berechtigt der Berufsmaturitätsausweis auch zum Studium an einer pädagogischen Hochschule.

Fazit

Die Berufsmaturität (BM) ist ein moderner und eigenständiger Bildungsabschluss, der die Vorteile einer praxisorientierten Ausbildung der beruflichen Grundbildung mit einer breiten Allgemeinbildung kombiniert. Die BM fördert wichtige Kompetenzen wie Selbst-, Sozial- und Methodenkom­petenz. Die BM hat aber nicht nur einen eigenständigen Bildungswert, sie gewährleistet auch den Zugang zu den Fachhochschulen und öffnet über eine Ergänzungsprüfung sogar den Weg an die Universitäten oder an die ETH.

Damit die Lernenden die anspruchsvollen Ziele der Berufsmaturität erreichen können, müssen BM-Lehrpersonen jederzeit imstande sein, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden, zwischen Gründlichkeit und Vollständigkeit abzuwägen. Nur dank wohlüberlegter didaktischer Reduktion kann es gelingen, den verlangten Stoff in einer derart begrenzten Unterrichtszeit erfolgreich zu vermitteln und fruchtbare Lernsituationen zu gestalten.

Literatur

Bauder, Tibor/Osterwalder, Fritz (Hrsg.) (2008): 75 Jahre eidgenössisches Berufsbildungsgesetz. Politische, pädagogische, ökonomische Perspektiven. Bern: hep.

Lehner, Martin (2013): Viel Stoff – wenig Zeit. Wege aus der Vollständigkeitsfalle (4. Auflage). Bern: Haupt.

Maurer, Markus/Gonon, Philipp (2013): Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz. Bestandesaufnahme und Perspektiven. Bern: hep.

Wettstein, Emil/Gonon, Philipp (2009): Berufsbildung in der Schweiz. Bern: hep.Eine Neubearbeitung dieses Buches mit Evi Schmid als Ko-Autorin erscheint im Herbst 2014 bei hep.

Links

www.berufsbildung.ch: Web-Portal zur Berufsbildung. Dort findet sich auch ein Merkblatt zur Berufsmaturität.

www.lex.dbk.ch: Lexikon der Berufsbildung, publiziert von der Deutschschweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz.

www.sbfi.admin.ch➔ Themen ➔ Berufsbildung ➔ Dokumente ➔ Berufsbildung in der Schweiz 2013 – Fakten und Zahlen.

Elisabeth Zillig9

Zur Geschichte der Berufsmaturität

Vorläufer: Die Berufsmittelschulen 1970–1990

Ende der 1960er-Jahre entstanden im gewerblich-industriellen Bereich die ersten Berufsmittelschulen. Sie hatten das Ziel, Lernenden einer dualen Berufslehre eine erweiterte Allgemeinbildung zu vermitteln.

Die erste Berufsmittelschule wurde 1968 in Aarau gegründet und der dortigen Gewerbeschule angegliedert. 1970 erliess das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA, danach Bundesamt für Berufsbildung und Technologie, BBT, und heute Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, SBFI) die «Wegleitung für die Errichtung und die Organisation von Berufsmittelschulen und deren Subventionierung durch den Bund». Im selben Jahr entstand eine Berufsmittelschule in Lausanne. 1972 und 1973 folgten Gründungen in Bern und Zürich.

Mit diesen Angeboten sollte die Attraktivität der Berufslehre gesteigert und der Zustrom zu den Gymnasien vermindert werden. Bei einer Quote von kaum mehr als drei Prozent war allerdings der Anteil der Lernenden, die eine Berufsmittelschule besuchten, bis zum Jahre 1991 gering.

Obwohl ab 1983 eine eidgenössische Verordnung über «die Organisation, Zulassungsbedingungen, die Promotion und die Abschlussprüfung der Berufsmittelschule» existierte, waren die Inhalte und Niveaus der Angebote von Schule zu Schule sehr unterschiedlich. So variierten die Lektionenzahlen zwischen 600 und 1100. Eine generelle Übertrittsberechtigung in die höheren Berufs- und Fachschulen gab es nicht. Die Verordnung sah je einen Fächerkanon für gewerblich-industrielle und für kaufmännische Berufs­mittelschulen vor.

Von der Berufsmittelschule zur Berufsmaturitätsschule 1990–1998

Nicht zuletzt aufgrund der OECD-Expertise «Bildungspolitik in der Schweiz» aus dem Jahre 1990 begann man auch in der Schweiz, die internationale Kompatibilität unseres Bildungswesens zu hinterfragen. So wurde von Ingenieurschulen die Forderung erhoben, die höheren technischen Lehranstalten (HTL) zu Fachhochschulen aufzuwerten. Gleichzeitig wurde die Anhebung des Niveaus der Berufsmittelschulen und damit verbunden die generelle Zutrittsberechtigung zu den Ingenieurschulen (HTL) und den höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen (HWV) verlangt. Diese Entwicklung wurde vom BIGA und von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) unterstützt.

Im Jahre 1993 wurde die Berufsmittelschulverordnung revidiert, dabei wurde auch der Begriff Berufsmaturität offizialisiert. Artikel 14a dieser Verordnung besagte:

Mit Zustimmung des Bundesamtes können Berufsmittelschulen auf eine Berufsmaturität vorbereiten. Diese besteht aus der abgeschlossenen Berufslehre und der erweiterten Allgemeinbildung im Sinne der nachfolgenden Bestimmungen. Sie bescheinigt, dass der Inhaber fähig ist, die Ausbildung an einer höheren Fachschule fortzusetzen.

Es wurden vier Berufsmaturitäten unterschieden:

•die technische,

•die kaufmännische,

•die gestalterische,

•die gewerbliche.

Erst drei Jahre nach Inkraftsetzung dieser Verordnung wurde 1995 das erste Fachhochschulgesetz erlassen. In dieses Regelwerk wurde für Inhaberinnen und Inhaber einer Berufsmaturität die prüfungsfreie Zulassung zum Fachhochschulstudium auf Bachelorstufe als Grundsatz aufgenommen. Prüfungsfrei zugelassen wurden auch Absolventinnen und Absolventen einer gymnasialen Maturität mit mindestens einjähriger, berufsqualifizierender Arbeitswelterfahrung in einem der Studienrichtung verwandten Beruf.

Die Berufsmittelschulverordnung (BMV) aus dem Jahre 1993 liess weiterhin unterschiedliche Ausformungen der Berufsmaturität zu. Das vermochte auf die Dauer nicht zu befriedigen; so wurde vermehrt geltend gemacht, dass der prüfungsfreie Zugang zu den mittlerweile neu geschaffenen Fachhochschulen ein einheitliches Niveau erfordere. 1998 wurde die Berufsmittelschulverordnung durch die Verordnung über die Berufsmaturität (Berufsmaturitätsverordnung, BMV) abgelöst. Diese legte Mindestanforderungen fest – u.a. zur Ausbildungsdauer, zu Lektionenzahlen und den Anforderungen an die BM-Lehrpersonen. Die Aufgaben der im Jahre 1994 eingesetzten Eidgenössischen Berufsmaturitätskommission (EBMK) wurden genauer umschrieben.

Die inhaltliche Ausgestaltung der Berufsmaturität und die Anpassungen an die neue Berufsbildungsgesetzgebung 1998–2006

Die Berufsmaturitätsverordnung von 1998 sah für alle Richtungen und sämtliche Fächer Rahmenlehrpläne vor. Diese wurden in Zusammenarbeit mit Dozierenden der Fachhochschulen und der Berufsmaturitätsschulen sowie Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern erarbeitet. Im Jahre 2001 wurden die Rahmenlehrpläne für die technische, gestalterische und gewerbliche Richtung in Kraft gesetzt. Später folgten diejenigen für die kaufmännische und die naturwissenschaftliche Richtung. Im Jahre 2005 wurde als letzter der Rahmenlehrplan für die gesundheitliche und soziale Richtung erlassen.

Ausgangspunkt für die neuen Rahmenlehrpläne der technischen, gestalterischen und gewerblichen Richtung waren die entsprechenden Lehrpläne aus den 1990er-Jahren. Die kaufmännische Berufsmittelschule hatte seit 1994 ein eigenes Konzept.

Mit den Rahmenlehrplänen sollten ein möglichst grosser tronc commun geschaffen und ein Maximum an Gemeinsamkeiten festgelegt werden. Es sollten auch Anschlussmöglichkeiten für diejenigen Berufe gewährleistet werden, die ab 2003 neu dem Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) unterstellt waren.