Unterstützte Kommunikation in der Sprachtherapie - Hildegard Kaiser-Mantel - E-Book

Unterstützte Kommunikation in der Sprachtherapie E-Book

Hildegard Kaiser-Mantel

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Beschreibung

Kinder und Jugendliche, bei denen die Lautsprache noch nicht oder nur unzureichend ausgebildet ist, benötigen unterstützende, alternative oder ergänzende Kommunikationsmittel. Kompaktes Grundlagenwissen und konkrete Hinweise führen in das Methodenrepertoire der Unterstützten Kommunikation ein und erleichtern die praktische Umsetzung. Unterschiedliche Kommunikationsformen, Diagnostik und individuell kombinierbare Therapieverfahren werden ebenso behandelt wie die Einbeziehung des Umfelds und die Praxisausstattung. Für die 2. Auflage wurde das Buch auf den aktuellen Stand gebracht. Digitale Medien am Beispiel tabletbasierter Kommunikationsmittel und die Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation im Bereich der Mehrsprachigkeit werden beschrieben. Zusatzmaterial gibt es zum Download. Die Reihe "Praxis der Sprachtherapie und Sprachheilpädagogik" wird herausgegeben von Prof. Dr. Manfred Grohnfeldt.

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Praxis der Sprachtherapie und Sprachheilpädagogik

Band 9

Herausgegeben von Prof. Dr. Manfred Grohnfeldt,

Ludwig-Maximilians-Universität, München

Hildegard Kaiser-Mantel ist akademische Sprachtherapeutin mit eigener Praxis in Großhesselohe bei München.

Hinweis

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03202-0 (Print)

ISBN 978-3-497-61738-8 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61739-5 (EPUB)

2. Auflage

© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seinerInhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Reihenkonzeption Umschlag: Oliver Linke, Hohenschäftlarn

Cover unter Verwendung eines Fotos von © Nailia Schwarz  – fotolia.com

Satz: ew print & medien service GmbH, Würzburg

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorwort

I Grundlagen

1 Unterstützte Kommunikation

1.1 Begriffsklärung

1.2 Grundlegende Prinzipien

1.3 Ziel- und Zielgruppenbestimmung

2 Schnittstelle: Sprachtherapie und Unterstützte Kommunikation

II Bausteine der Unterstützten Kommunikation in der sprach-therapeutischen Arbeit mit Kindern

3 Kommunikationsformen

3.1 Körpereigene Kommunikationsformen

3.2 Körperfremde und hilfsmittelgestützte Kommunikationsformen

3.3 Multimodale Kommunikation

4 Diagnostik

4.1 Eine Auswahl diagnostischer Verfahren

4.2 Besonderheiten der Diagnostik sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten von Kindern mit komplexen Erscheinungsbildern

5 Sprachspezifische Verfahren mit multisensoriellem Ansatz

5.1 Assoziationsmethode nach McGinnis

5.2 Therapieverfahren PROMPT

5.3 Verbale Entwicklungsdyspraxie-intensiv-Therapie (VEDiT)

6 Spezifische Verfahren der Unterstützten Kommunikation

6.1 Vokabularauswahl

6.2 Kommunikationsbücher

6.3 Auswahlverfahren (Scanning)

6.4 Bild-Objekt-Austausch-Verfahren

6.5 Einsatz von Schriftsprache

7 Unterstützte Kommunikation und herausforderndes Verhalten

7.1 Begriffsklärung: Herausforderndes Verhalten

7.2 Aufbau basaler Kommunikationsfähigkeiten

7.3 Strukturierung und Visualisierung von Situation und Handlung

7.4 Visuelle Verhaltenspläne

7.5 Handzeichen als Unterstützung zur Verhaltenslenkung

8 Einbeziehung des Umfeldes

8.1 Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen

8.2 Die Sprache der Kommunikationspartner

8.3 Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit

8.4 Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit

9 Multimodale Verknüpfung sprachspezifischer Verfahren und Methoden aus der Unterstützten Kommunikation: Fallbeispiele

9.1 Verspäteter Sprachlernbeginn

9.2 Expressive Sprachentwicklungsstörung mit Schwerpunkt Phonologie

9.3 Expressive Sprachentwicklungsstörung mit Schwerpunkt Syntax-Morphologie

9.4 Rezeptive Sprachentwicklungsstörung

9.5 Kommunikationsstörung bei Autismus-Spektrum-Störung und Mutismus

9.6 Sprachentwicklungsstörung bei ADHS

9.7 Nahezu ausbleibende expressive Sprache bei neurologischen Beeinträchtigungen

9.8 Ausbleibende expressive Sprache bei kognitiven Beeinträchtigungen

9.9 Ausbleibende expressive Sprache bei motorischen Beeinträchtigungen

9.10 Ausbleibende expressive Sprache bei adäquaten rezeptiven, kognitiven und motorischen Fähigkeiten

10 Finanzierung und Praxisausstattung

10.1 Anforderungsprofil einer sprachtherapeutischen Praxis

10.2 Beantragung eines Hilfsmittels

Ausblick

Literatur

Bildnachweis

Sachregister

Verwendung der Icons

Tipp

Fallbeispiel / Beispiel

Informationsquellen print und online

Praxis- oder Arbeitsmaterial

Zusatzmaterial auf http://www.reinhardt-verlag.de

Vorwort

Unterstützte Kommunikation findet immer mehr an Bedeutung im Handlungsfeld der Sprachtherapie. Unterstützte Kommunikation ist nicht mehr Notnagel, sondern fester Bestandteil in der Sprachtherapie.

Das vorliegende Buch bleibt weiterhin ein Grundlagenwerk und fasst zusammen, was die Sprachtherapie über die Unterstützte Kommunikation wissen sollte. Für die zweite Auflage wurde das Buch auf den aktuellen Stand gebracht. Digitale Medien am Beispiel tabletbasierter Kommunikationsmittel und die Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation im Bereich der Mehrsprachigkeit werden beschrieben.

Zusatzmaterial gibt es im Download. Viele praktische Handlungsmöglichkeiten verdeutlichen das Vorgehen. Der Fokus liegt auf der Arbeit mit jungen Menschen und deren Umfeld.

Im Laufe meiner über 20-jährigen Berufserfahrung in der Sprachtherapie bei Kindern und Jugendlichen habe ich mich schrittweise dem Handlungsfeld der Unterstützten Kommunikation angenähert. Anfangs versorgte ich vorwiegend Kinder mit primären Sprachentwicklungsbeeinträchtigungen. Mit der Zeit kamen dann Kinder mit komplexen Erscheinungsbildern (z. B. genetische Syndrome, Autismus-Spektrum-Störung, körperliche Beeinträchtigung, eingeschränkte Sinneswahrnehmung) dazu, welche eine „andere“ Herangehensweise erforderten. In Fortbildungen eignete ich mir nach und nach spezielle Methoden an, wie z. B. den Einsatz von Gebärden bei Hörbeeinträchtigungen und Trisomie 21, Bild-Objekt-Austausch-Verfahren bei Autismus-Spektrum-Störung und den Einsatz nicht elektronischer und elektronischer Hilfsmittel für Kinder mit ausbleibender expressiver Sprachentwicklung.

Die schrittweise Erweiterung meines Methodenrepertoires mit Prinzipien aus der Unterstützten Kommunikation zeigte, dass die jeweiligen Ansätze nicht nur auf spezielle Personengruppen bzw. Behinderungsarten anwendbar, sondern gut miteinander kombinierbar sind, auf unterschiedliche Erscheinungsbilder übertragen werden können und auch das normale Klientel, also Kinder mit primären Sprachentwicklungsstörungen, von diesen Methoden profitieren. Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten benötigen in der kritischen Phase der Sprachentwicklung ein ausreichendes Angebot an kommunikativen Zeichen. Je komplexer die Behinderung, desto größer ist jedoch die Notwendigkeit, Unterstützte Kommunikation einzusetzen. Inzwischen leite ich viele Fortbildungen zum Thema Unterstützte Kommunikation in der Sprachtherapie.

Zielgruppe dieser Veröffentlichung ist die Berufsgruppe der Sprachtherapeuten, die in niedergelassenen Praxen und / oder pädagogisch-therapeutischen Einrichtungen Kinder mit primären und komplexen sprachlich-kommunikativen Erscheinungsbildern behandelt. Auch Studierenden, interessierten Eltern und pädagogischen Fachkräften soll mit diesem Buch ein Einstieg in die Thematik der Unterstützten Kommunikation geboten werden. Allgemein verständliche theoretische Ausführungen, eine Fülle von praktischen Hinweisen und Fallbeispielen sollen auch dem Laien einen Zugang zu Unterstützter Kommunikation ermöglichen.

Mein Dank gebührt immer noch allen Familien und ihren Kindern, mit denen ich die bunten Bausteine der Unterstützten Kommunikation in meiner sprachtherapeutischen Praxis anwenden darf. Ich danke all meinen Kollegen, die mich über die vielen Jahre in meinem Tun bestärkt haben und ich danke meiner Familie, die einfach immer da ist.

München im Januar 2023, Hildegard Kaiser-Mantel

I Grundlagen

1 Unterstützte Kommunikation

1.1 Begriffsklärung

Definition

Der Begriff Unterstützte Kommunikation steht als deutsche Bezeichnung für das international etablierte Fachgebiet AAC (Alternative and Augmentative Communication). Ziel ist die Verbesserung der kommunikativen Möglichkeiten von Menschen mit schwer verständlicher oder fehlender Lautsprache mittels alternativer und ergänzender Kommunikationsformen (Braun / Orth 2007, 67).

ISAAC

ISAAC (International Society for Augmentative und Alternative Communication) als zentraler, weltweit organisierter Dachverband unterstützt Menschen, welche (noch) nicht oder nur unzureichend über Lautsprache verfügen. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Richtlinien werden Ausbildungsinhalte, Schwerpunkte für Diagnostik und Therapie, sowie Möglichkeiten zur Förderung im sozialen Alltag festgelegt.

Die Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. (GesUK), das UK-Netzwerk im deutschsprachigen Raum, ist institutionelles Mitglied der ISAAC. Inzwischen existieren viele Regionalgruppen der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation in den verschiedenen Bundesländern, Österreich und der Schweiz, die regelmäßig zu Fachtagungen und Fortbildungen einladen. Zielgruppen sind sowohl die verschiedenen Berufsgruppen mit Interesse an Unterstützter Kommunikation als auch Menschen, welche auf Unterstützte Kommunikation angewiesen sind, und deren Angehörige.

Im Internet ist der Verband unter folgender Adresse zu finden: www.gesellschaft-uk.org

Die Einbeziehung Unterstützter Kommunikation in die sprachtherapeutische Arbeit setzt eine umfassende Definition von „Kommunikation“ und „Sprache“ voraus.

Definition

„Communication is any act by which one person gives to or receives from another information about that person’s needs, desires, perceptions, knowledge, or effective states. Communication may be intentional or unintentional, may involve conventional or unconventional signals, may take linguistic or nonlinguistic forms, and may occur through spoken or other modes“ (American Speech-Language-Hearing Association 1992, 3).

Kommunikation ist ein zwischenmenschlicher Austausch von Informationen, der mit Hilfe verbaler und nonverbaler Zeichen stattfinden kann. Sie liegt im Wesen des Menschen begründet und impliziert nicht zwingend einen absichtsvollen, willentlich gerichteten Vorgang.

kleinste Zeichen sehen

Selbst kleinste Veränderungen im Verhalten und minimale Regungen können vom Kommunikationspartner wahrgenommen werden, um darauf aufbauend eine Gemeinsamkeit zu gestalten. Diese Annahme ist gerade für die Therapie von Kindern mit (noch) wenig entwickelter Lautsprache von großer Bedeutung. Der Therapeut und die Bezugspersonen müssen sich für diese kleinsten Zeichen sensibilisieren.

Definition

„Mit Sprache bezeichnen wir Kommunikationssysteme, die auf festgelegten Symbolen beruhen. Gleich ob es sich dabei um Gebärden, gesprochene bzw. geschriebene Wörter oder andere optische Zeichen handelt, repräsentieren diese Symbole nicht nur Dinge oder Handlungen, sondern ermöglichen auch Beziehungen, zeitliche Ordnungen und Abfolgen darzustellen, kontextunabhängige Mitteilungen zu machen und Fragen zu stellen sowie eigene und fremde Handlungen zu reflektieren. Dazu ist nötig, die besonderen Regeln des spezifischen Sprachsystems zu lernen“ (Wilken 2021, 36).

Sprache ist mehr als Lautsprache

Sprache kann nicht alleine auf Lautsprache reduziert werden, sondern ist ein differenziertes Symbolsystem, mit dem es möglich ist, grammatikalisch vollständige Äußerungen zu bilden, zeitliche und kausale Beziehungen herzustellen und situationsunabhängige Mitteilungen zu machen (Wilken 2002).

Beim Sprechen sind bestimmte motorische und kognitive Fähigkeiten notwendig, für das Kommunizieren nicht. Unterstützte Kommunikation kann als kompensatorisches Element Ausgleich schaffen und den Menschen zur Sprache bringen, wenn ihm motorische und / oder kognitive Voraussetzungen für das Sprechen ganz oder teilweise fehlen.

multimodaler Ansatz

Unterstützte Kommunikation fordert einen multimodalen Ansatz, der möglichst viele Kommunikationsformen miteinander individuell und situativ verknüpft. Es werden demnach „[…] verschiedene Kommunikationsmodi […] gleichzeitig eingesetzt bzw. einzelne und individuell ausgeprägte Modalitäten besonders unterstützt und gefördert“ (Kristen 2005, 35).

Lautsprache ist in keiner Weise ausgeklammert, sondern wird durch die Vielfalt der Methoden aus der Unterstützten Kommunikation erweitert und bereichert.

1.2 Grundlegende Prinzipien

humanistisches Menschenbild

Unterstützte Kommunikation erfordert eine Grundhaltung, die die Individualität mit den jeweiligen Bedürfnissen des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ganz gleich in welcher Funktion sie eingesetzt wird. Als Grundlage dient ein humanistisches Menschenbild. Dieses impliziert eine ressourcenorientierte Denkweise, die Achtung der Menschenwürde und den festen Glauben daran, dass jeder Mensch in der Lage ist, sich zu entwickeln und zu lernen.

Grundsätze der Unterstützten Kommunikation

Daraus ergeben sich zwei Grundsätze für die Ziele sprachlicher und kommunikativer Interventionsmaßnahmen:

■ das Erreichen einer größtmöglichen Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Teilhabe und

■ das Erfüllen des Grundbedürfnisses nach Kommunikation.

Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit (ICF)

Diese Prinzipien entsprechen auch dem Verständnis der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Ein Kind mit Entwicklungsstörung soll möglichst genau beschrieben werden. Dabei sind die besonderen psychosozialen Bedingungen und die Umstände der Lebenssituation zu erfassen. Darauf aufbauend können Perspektiven aufgezeigt werden, die das Planen der erforderlichen und die Entwicklung von unterstützenden Maßnahmen ermöglichen. Das Bereitstellen von geeigneten Interventionsnahmen wie auch das Gestalten einer entwicklungsförderlichen Umwelt haben gleichermaßen positiven Einfluss auf die Funktionstüchtigkeit und die weitere Entwicklung (Hollenweger, Kraus de Camago 2017):

Kernaussagen

Das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung formuliert in seiner Handreichung „Unterstützte Kommunikation (UK) in Unterricht und Schule“ (2022) 10 Kernaussagen (in Anlehnung an Braun / Baunach 2008) aus Theorie und Praxis der Unterstützten Kommunikation:

1. Unterstützte Kommunikation kann zu verstärkter Sprachentwicklung (expressiv und rezeptiv) führen.

2. Unterstützte Kommunikation ersetzt die Lautsprache nicht nur, sondern ergänzt sie.

3. Der Einsatz Unterstützter Kommunikation sollte bei Bedarf lange vor der Einschulung beginnen.

4. Unterstützte Kommunikation kann menschliche Beziehungen unterstützen.

5. Unterstützte Kommunikation mag der Umwelt ungewöhnlich erscheinen, aber Partizipation durch Kommunikation ist ein ungeheurer Vorteil.

6. Menschen mit erheblichen Entwicklungsverzögerungen können erfolgreich durch Unterstützte Kommunikation gefördert werden.

7. Interventionsmaßnahmen mit Unterstützter Kommunikation sind voraussetzungslos.

8. Unterstützte Kommunikation wird wissenschaftlich erforscht und in theoretische Bezugsrahmen gestellt.

9. Das Bereitstellen von Kommunikationsmöglichkeiten durch Unterstützte Kommunikation liegt in der Verantwortung eines jeden Kommunikationspartners.

10. Der Erwerb von Kompetenzen im Bereich der Unterstützten Kommunikation braucht Zeit und Intensität. Das gilt für alle am Kommunikationsprozess beteiligten Personen.

1.3Ziel- und Zielgruppenbestimmung

In dem Grundlagenwerk „Praxis der Unterstützten Kommunikation“ von Kristen (2005) heißt es, dass die Maßnahmen im Bereich Unterstützter Kommunikation nicht auf eine homogene Personengruppe zugeschnitten sind. Sie beziehen sich auf Menschen, die aufgrund angeborener oder erworbener Behinderungen die Lautsprache als differenziertes Ausdrucksmittel (noch) nicht oder nur unzureichend zur Verfügung haben. Bei dieser Einteilung scheinen explizit nur Menschen mit Behinderung gemeint zu sein. Spezifische Sprachentwicklungsstörungen und Kommunikationsstörungen (z. B. Mutismus) werden nicht berücksichtigt.

Erweiterung der Zielgruppe

Eine Erweiterung der Zielgruppe für Unterstützte Kommunikation wird vorgeschlagen: Maßnahmen im Bereich der Unterstützten Kommunikation beziehen sich auf Personen, die (noch) nicht oder nur unzureichend über Lautsprache verfügen und im Laufe ihrer Entwicklung für eine bestimmte Zeit auf alternative, unterstützende und / oder ergänzende Kommunikationsmittel zusätzlich zur Lautsprache angewiesen sind.

Merkmale Unterstützter Kommunikation auf der Grundlage einer erweiterten Ziel- und Zielgruppenbestimmung

1.Maßnahmen von Unterstützter Kommunikation sind zeitlich variabel. Sie können von Beginn, im Laufe oder nach Vollendung der Sprachentwicklung vorübergehend oder lebensbegleitend stattfinden.

2.Maßnahmen von Unterstützter Kommunikation können drei unterschiedliche Funktionen haben (von Tetzchner, Martinsen 2013):

–expressive Funktion: Unterstützte Kommunikation dient als expressives und dauerhaftes Ausdrucksmittel für Kinder mit sprechmotorischen Beeinträchtigungen, welche dem Lautspracherwerb entgegenwirken (z. B. Kinder mit infantiler Cerebralparese). Bei diesen Kindern sind die kognitiven Fähigkeiten und das Sprachverständnis nahezu unauffällig entwickelt.

–unterstützende Funktion: Die Methoden der Unterstützten Kommunikation können Kindern beim Erwerb und der aktiven Benutzung der Lautsprache dienen. Liegt eine rezeptive und expressive Sprachentwicklungsstörung vor, können der Therapeut und der Kommunikationspartner die Hilfestellung begleitend zu ihren verbalen Äußerungen anbieten. Dies geschieht meist nur vorübergehend, solange bis die Sprachlernmechanismen aktiviert sind. Kinder, die bereits mit Lautsprache kommunizieren, können die Hilfen zusätzlich zu ihren verbalen Ausdrucksmöglichkeiten verwenden. Dies erweist sich besonders dann als nützlich, wenn die Aussagen durch eine beeinträchtigte Sprech- und Sprachfunktion schwer verständlich sind. Verwendet ein Kind mit einer verbalen Entwicklungsdyspraxie über die Lautsprache hinaus Handzeichen und Symbole, kann es sich auch für Außenstehende klar mitteilen.

–Ersatzsprach-Funktion: Unterstützte Kommunikation dient als dauerhafter Ersatz für fehlende verbale Ausdrucksmöglichkeiten bei Sprach- und Kommunikationsstörungen im Kontext einer Intelligenzminderung und bei Kindern mit einer ausgeprägten Autismus-Spektrum-Störung. Betroffene sind sowohl im Sprachverständnis als auch in der -produktion gleichermaßen stark eingeschränkt. Sie erhalten durch die Unterstützte Kommunikation Verstehenshilfen und Ausdrucksmöglichkeiten.

3.Maßnahmen von Unterstützter Kommunikation berücksichtigen Stufen der kommunikativ-pragmatischen Entwicklung (Weid-Goldschmidt 2013). Die Einteilung in vier kommunikative Kompetenzstufen hilft Interaktionssituationen förderlich zu gestalten.

–Stufe 1:Hierzu zählen Menschen mit schwersten (Mehrfach-)Behinderungen. Nach Fröhlich / Simon (2008) sind dies Menschen, die nahezu in allen „alltäglichen Verrichtungen“ auf die Hilfe anderer angewiesen sind und dabei ihre Bedürfnisse oft nicht adäquat äußern können. Verschiedene Sinnesmodalitäten sind betroffen, so dass ein gegenseitiger Austausch prä-intentional und nicht-symbolisch, vorwiegend über körpereigene Kommunikationsmittel (→Kap. 3.1) möglich ist.

–Stufe 2: Diese Gruppe verfügt über intentionale, aber weitestgehend prä-symbolische kommunikative Kompetenzen mit eingeschränktem Sprachverständnis. Beispiele hierfür sind schwere Intelligenzminderung oder eine ausgeprägte Form des Rett-Syndroms. Im Dialog kann das vorhandene Situationsverständnis genutzt werden. Der Einsatz von Handzeichen von Seiten der Kommunikationspartner kann Verstehensleistungen fördern.

–Stufe 3: Menschen mit verbal-symbolischen kommunikativen Kompetenzen mit deutlicher Beeinträchtigung des Sprachgebrauchs können dieser Gruppe zugeordnet werden (z. B. weniger ausgeprägte Intelligenzminderung, Lernstörungen). Meist ist ein Ja-Nein-Konzept entwickelt, und die Sprachverständnisleistungen gehen eindeutig über den situativen Kontext hinaus.

–Stufe 4: Einschränkungen im motorischen Bereich bedingen Beeinträchtigungen im Gebrauch der Lautsprache (z. B. Cerebralparese, verbale Entwicklungsdyspraxie). Gerade kognitive, kommunikative und rezeptive Fähigkeiten sind nahezu unauffällig entwickelt. Diese Menschen können ihrem Alter entsprechend kommunizieren und sich mit geeigneten Hilfen nonverbal und verbal ausdrücken.

4.Maßnahmen von Unterstützter Kommunikation verfolgen verschiedene Interventionsschwerpunkte:

– Förderung der kommunikativen und sprachlichen Ausdrucksformen,

– Förderung des Sprachverständnisses,

– Regulierung von Verhalten,

– Vermittlung von Weltwissen und Lerninhalten.

Unterstützte Kommunikation – Hilfsmittel für alle

Durch die Zielgruppenerweiterung wird Unterstützte Kommunikation ein Hilfsmittel für alle. Genauso wie es für den Einsatz von Unterstützter Kommunikation keine Mindestvoraussetzung für einen schwer sprach- und kommunikationsbeeinträchtigten Menschen (Braun / Kristen 2003) geben darf, so darf es auch keine Ausschlusskriterien für den bereits primär verbal kommunizierenden Menschen mit Störungen auf der Ebene der Lautsprache geben.

breites Spektrum

Das breite Spektrum an Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation ist ein großer Gewinn für alle Menschen mit rezeptiven und / oder expressiven Beeinträchtigungen von Sprache und Kommunikation sowie deren soziales Umfeld.

Reduziert man die Unterstützte Kommunikation auf den Einsatz von Talkern und Kommunikationsmappen, schöpft man ihre vielfältigen Möglichkeiten nicht aus. Der Einsatz von Unterstützter Kommunikation wird zu einer unersetzlichen und sehr Erfolg versprechenden Grundlage für jegliches sprach- und kommunikationstherapeutische Handeln. Vermehrte Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich der Unterstützten Kommunikation sind weiterhin erforderlich.

2 Schnittstelle: Sprachtherapie und Unterstützte Kommunikation

Unterstützte Kommunikation ist angekommen

Die Unterstützte Kommunikation gewinnt im Handlungsfeld der Sprachtherapie in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Das Dilemma der unsinnigen Fragestellung „Sprachtherapie oder Unterstützte Kommunikation“ hat sich aufgelöst: Sprachtherapie und Unterstützte Kommunikation werden nicht mehr als zwei voneinander getrennte Bereiche angesehen. Unterstützte Kommunikation gilt damit nicht mehr als „Notnagel“ in der Sprachtherapie, welche nur greift, wenn Lautsprache nicht funktioniert.

Unterstützte Kommunikation – geringe Attraktivität

Und dennoch – die konkrete Anwendung der Methoden und Materialien der Unterstützten Kommunikation findet weiterhin wenig Attraktivität im Handlungsfeld der Sprachtherapie. So besteht immer noch eine gewisse Zurückhaltung. Die Gründe hierfür von Dupius (2005) und Cumley (2006) sind zwar nicht mehr auf allen Ebenen aktuell, sie weisen jedoch auf wichtige Aspekte hin:

Unterstützte Kommunikation – Gründe für zögerlichen Einsatz

■ fehlendes Wissen bzgl. der vielfältigen Möglichkeiten durch den Einsatz Unterstützter Kommunikation,

■ Bedenken von Bezugspersonen und / oder pädagogisch-therapeutischen Fachkräften, dass bei Einsatz von Methoden aus der Unterstützten Kommunikation das Kind gar nicht anfange zu sprechen – bzw. wieder ganz zu sprechen aufhöre,

■ zu wenige Sprachtherapeuten mit einer Weiterbildung auf dem Gebiet der Unterstützten Kommunikation,

■ zu wenig spezifische Ausbildungsinhalte in Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten aus dem Bereich der Unterstützten Kommunikation,

■ Technikscheue auf Seiten der Sprachtherapeuten, da Unterstützte Kommunikation auch in Verbindung mit elektronischen Hilfsmitteln steht,

■ mangelnde Argumentationsgrundlage für die Elternberatung, bei der Unterstützte Kommunikation als Teil des Interventionsplanes überzeugend dargestellt werden muss,

■ fehlende Ausstattung der niedergelassenen Praxen mit Materialien aus der Unterstützten Kommunikation,

■ fehlendes Wissen der Ärzte darüber, dass sich ein Sprachtherapeut nicht nur mit Lautsprache beschäftigt, und daher keine Überweisung an den Sprachtherapeuten vorschlägt,

■ unzureichender Bekanntheitsgrad der Arbeitsgebiete der Sprachtherapeuten bei potenziellen Nutzern der Unterstützten Kommunikation und deren Angehörigen,

■ organisatorische und verwaltungstechnische Barrieren.

Forderung nach Rahmenbedingungen

Noch ist die Unterstützte Kommunikation kein verpflichtender Inhalt im Ausbildungscurriculum und Studium, jedoch gibt es immer mehr Angebote für Zusatzqualifikationen und Weiterbildungen in Unterstützter Kommunikation, damit im Rahmen der Sprachtherapie alle unterstützten Kommunikationsformen angewendet werden können. Neben der Vermittlung von spezifischem Wissen bzgl. Unterstützter Kommunikation ist eine angemessene Vergütung für die zeit- und materialaufwendige Diagnostik und Therapie mit Methoden der Unterstützten Kommunikation eine weitere wichtige Bedingung, um ihren Einsatz attraktiver zu gestalten. Hierfür sind eigene Abrechnungspositionen für Diagnostik und Therapie mit Methoden der Unterstützten Kommunikation sowie Leistungspositionen für interdisziplinäre Austauschmöglichkeiten und Gutachtenerstellung notwendig (Giel/Liehs 2020).

Definition von Sprachtherapie

Die Unterstützte Kommunikation stimmt mit den Grundannahmen und Zielen der Sprachtherapie und Sprachheilpädagogik überein. Dies widerspiegelt sich in folgender Definition von Maihack (2004):

Definition

Er sieht Sprachtherapie als „eine auf der Grundlage differenzierter diagnostischer Verfahren und vorhandenem spezifischen Fachwissen inszenierte Sprach-, Sprech- und Vermittlungssituation zwischen einem Experten für Sprache, Sprechen, Stimme, Schlucken und Hören (und deren pathogenen und kommunikativen Störungen) sowie einem Klienten / Patienten. Diese Kommunikationssituation wird geplant und gestaltet unter Anwendung möglichst evaluierter Therapiemethoden, sprach-, sprech-, stimm-, schluck-, hörstörungsspezifisch und unter Beachtung inter- und intrapersoneller Gegebenheiten des sprachauffälligen oder von Sprachauffälligkeiten bedrohten Menschen unter Einbeziehung seiner primären Kommunikationspartner. Ziel dieser individuumsbezogenen Arbeit […] ist Habilitation, Rehabilitation, Integration, sowie Partizipation am sozialen und kulturellen Leben des vorübergehend oder dauerhaft sprachbeeinträchtigten Menschen.“

Vielschichtigkeit sprachtherapeutischen Handelns

Die Ansicht, dass sprachtherapeutisches Handeln lediglich aus sprechanbahnenden Techniken besteht, ist überholt. Die Arbeitsfelder der Sprachtherapie sind vielschichtig. Es bestehen zahlreiche Parallelen zum Handlungsfeld und der Zielsetzung der Unterstützten Kommunikation. Sprachtherapie geht über die Arbeit am Individuum hinaus – sie bezieht das gesamte soziale Umfeld mit ein (Giel / Liehs 2010).

Sprachtherapie und Unterstützte Kommunikation profitieren voneinander. Sie bauen aufeinander auf und ergänzen sich.

Die Sprachtherapie benötigt das differenzierte Wissen der Unterstützten Kommunikation, um den Menschen mit (noch) keiner bzw. unzureichender Lautsprache die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Die Unterstützte Kommunikation schafft wichtige Voraussetzungen für den Sprach- und Kommunikationserwerb sowie für die Individualentwicklung des Kindes. Die Unterstützte Kommunikation benötigt das differenzierte Wissen der Sprachtherapie über Spracherwerbsmechanismen, denn nur auf der Basis eines fundierten Verständnisses des Spracherwerbs werden Grobziele in kleinste Teilschritte zerlegt und systematisch aufeinander abgestimmt.

Mit Hilfe der Unterstützten Kommunikation, die die Sprachtherapie auf die wichtige Bedeutung der kommunikativen Vorläuferfunktionen hinweist, kann die sprachtherapeutische Fachkraft viel früher auf kommunikative Unterstützungsangebote zugreifen.

Auftrag von Sprachtherapie und Unterstützter Kommunikation

Auftrag der Sprachtherapie und Unterstützten Kommunikation ist es, den Menschen zur Sprache zu bringen. Gemeinsam mit dem (noch) nicht oder kaum über Lautsprache verfügenden Kind müssen Wege in die Sprache und aus der Sprachlosigkeit gefunden werden. Sprachliche Kompetenz im weiten Sinne impliziert die Summe verbaler und nonverbaler Funktionen. Motsch spricht bereits 1996 von der Entwicklung der Sprachübungsbehandlung zur Kommunikationstherapie innerhalb des Handlungsfeldes der Sprachtherapie. Auch Grohnfeldt (2007, 308) betont, dass parallel zum lautsprachlichen Angebot „die Veränderung der kommunikativen Situation“ eine wichtige Zielsetzung der Sprachtherapie ist.

Gemeinsamkeit: Sprachtherapie, Sprachheilpädagogik, Unterstützte Kommunikation

Abbildung 1 verdeutlicht die Gemeinsamkeiten der drei Bereiche Sprachtherapie, Sprachheilpädagogik und Unterstützte Kommunikation, benennt die Bezugsdisziplinen und weist auf den interdisziplinären Charakter der Arbeit am sprach- und kommunikationsbeeinträchtigten Kind hin.

Abb. 1: Überschneidungen der Bereiche Sprachtherapie, Sprachheilpädagogik und Unterstützte Kommunikation hinsichtlich Bezugswissenschaften, Handlungsfeldern und Aufgabenbereichen (in Anlehnung an Renner 2004, 105 f.; Grohnfeldt 2007, 308 f.)

II Bausteine der Unterstützten Kommunikation in der sprachtherapeutischen Arbeit mit Kindern

3 Kommunikationsformen

Überblick über Kommunikationsformen

Die Formen Unterstützter Kommunikation lassen sich in zwei Kategorien aufteilen:

■ körpereigene Kommunikationsformen, die vom Benutzer selbst produziert werden (Abb. 2),

■ Kommunikationsformen, die auf Hilfsmittel von außen angewiesen sind (Abb. 3).

Abb. 2: Körpereigene Kommunikationsformen

Abb. 3: Körperfremde und hilfsmittelgestützte Kommunikationsformen

3.1 Körpereigene Kommunikationsformen

Spektrum der körpereigenen Kommunikationsformen

Zu den körpereigenen Kommunikationsformen gehören alle Ausdrucksformen, die ausschließlich mit Hilfe des eigenen Körpers willkürlich und unwillkürlich vollzogen werden. Hierzu zählen:

■ Atemrhythmus,

■ vegetative Zeichen, wie Hautveränderung, Aussenden von Geruchsstoffen, Temperaturveränderungen,

■ Vokalisierungen, wie Schreien, Lautieren,

■ Körperspannung und Körperhaltung,

■ Gestik und Mimik,

■ zielgerichtete, unwillkürliche Bewegungen,

■ stereotypes Verhalten.

bedeutungstragende Ausdrucksform

Eine Bewegung, ein Handzeichen oder eine Gebärde kann für jeden Menschen eine bedeutungstragende Ausdrucksform darstellen. Oftmals ist es z. B. die Haltung des Körpers, die Auskunft über den wirklichen Inhalt der Mitteilung gibt.

intuitiver Einsatz

Mimik und Gestik in individueller Ausprägung werden intuitiv eingesetzt und von den jeweiligen Gesprächspartnern oft nur unbewusst wahrgenommen. Sie begleiten in der Regel eine lautsprachliche Aussage. Der Einsatz körpereigener Kommunikationsformen ist demnach keine Methode, die speziell von Menschen mit Behinderungen genutzt wird. Im Gegenteil: Der Einsatz nonverbaler Kommunikationsformen ist ein Bestandteil der natürlichen Kommunikation aller Menschen.

Basale Stimulation, basale Kommunikation

Zunächst sollen ganzheitliche und heilpädagogische Behandlungskonzepte, wie die Basale Stimulation (Fröhlich / Simon 2008) und Basale Kommunikation (Mall 2008), überblicksmäßig beschrieben werden. Diese Ansätze liefern aufgrund ihrer basalen, grundlegenden und voraussetzungslosen Ausdrucksvarianten viele Möglichkeiten im Umgang mit Kindern mit komplexen Erscheinungsbildern.

Körpereigene Kommunikationsformen erhalten als Reaktionen dann Signalcharakter, wenn der nicht beeinträchtigte Partner diese Verhaltensweisen als ganzheitlich, kommunikativ und sinnhaftig wahrnimmt und interpretiert (Abb. 4).

Definition

Basale Stimulation versteht sich als pädagogisches Konzept und nicht als therapeutische Technik. Im Vordergrund steht der Aufbau einer gemeinsamen Beziehung und das wechselseitige sich Einlassen der Kommunikationspartner aufeinander mittels der körperlichen Begegnung durch die Anregung primärer Körper- und Bewegungserfahrungen mit einfachsten Mitteln (Fröhlich / Simon 2008).

Definition

Mit der Basalen Kommunikation erweitert Mall (2008) das Konzept von Fröhlich / Simon und stellt den Aspekt der Kommunikation in den Vordergrund. Alle körperlichen Verhaltensweisen werden von Mall grundsätzlich als Ausdrucksverhalten verstanden, auf das wiederum mit passendem körperlichem Verhalten sinnlich wahrnehmbar geantwortet werden soll.

Abb. 4: Der Kreislauf primärer Kommunikation (Mall 2008, 39)

Kommunikation als Begegnungsgestaltung

Kommunikation als Begegnungsgestaltung bietet viele Ansatzpunkte für die Arbeit mit Kindern mit komplexen Erscheinungsbildern, da hier zunächst das kindliche Tun als Ausgangsbasis für Kommunikation gesehen wird, und sich das Angebot des Kommunikationspartners sehr feinfühlig darauf bezieht. Ziel ist es, auch nur kleinste Signale des Kindes abzuwarten und wahrzunehmen. Der Kommunikationspartner reagiert darauf angemessen, er greift die sichtbaren Zeichen auf, spiegelt und variiert diese.

Weiterbildung Basale Stimulation

Die beschriebenen Ansätze sind wertvoll und wichtig, aber auch umfangreich, so dass der interessierte Leser auf entsprechende Literatur und vor allem Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten hingewiesen werden soll. Eine qualifizierte Ausbildung ist Voraussetzung dafür, ein hohes Maß an Toleranz, Kontinuität und Geduld zu entwickeln, damit Reaktionen abgewartet und Zustimmung bzw. Ablehnungen von Angeboten erkannt werden können.

Fröhlich, A., Simon, A. (2008): Gemeinsamkeiten entdecken. Mit schwerbehinderten Kindern kommunizieren. Verlag selbstbestimmtes Lernen, Düsseldorf

Bienstein, C., Fröhlich, A. (2010): Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen. Huber, Bern

Mall, W. (2008): Kommunikation mit schwer geistig behinderten Menschen. 6. A. Edition Schindele, Heidelberg

 

Hilfreiche Verbände, welche auch Weiterbildungen zum Thema Basale Stimulation und Basale Kommunikation anbieten, sind:.

Stiftung Leben pur: www.stiftung-leben-pur.de

Internationaler Förderverein Basaler Stimulation e. V.: www.basale-stimulation.de

Konzept von Winfried Mall:

www.basale-kommunikation.ch/bk_konzept.html

Handzeichen

Handzeichen sind ein wichtiger Bestandteil der nonverbalen, körpereigenen Kommunikationsformen und haben sich im Bereich der Unterstützten Kommunikation fest etabliert.

Definitionen

Gesten sind alle Bewegungen des Körpers, die das Gespräch spontan begleiten. Hände und Arme bewegen sich beim Sprechen, aber auch Kopfbewegungen wie Nicken und Kopfschütteln gehören zur Gestik und stellen gleichsam die „Begleitmusik“ beim Sprechen dar. Gesten sind ganzheitlich, transportieren Bedeutung, sind in ihrer Bedeutung kontextgebunden und somit auf das Hier und Jetzt angewiesen (www.gesellschaft-uk.org/ueber-uk/lexikon-der-uk.html, 05.01.2023).

Gebärden sind Bewegungen des Körpers, vorwiegend ausgeführt mit den Händen, denen eine feste sprachliche Bedeutung zugeordnet ist. Diese konventionellen, nach linguistischen Regeln gebildeten körpereigenen Zeichen repräsentieren Laute, Buchstaben, Wörter und ganze Phrasen (www.gesellschaft-uk.org/ueber-uk/lexikon-der-uk.html, 05.01.2023).

Manualsysteme sind künstlich geschaffene Handzeichensysteme, um Laut- oder Schriftsprache auf Laut- bzw. Buchstabenebene zu visualisieren (www.gesellschaft-uk.org/ueber-uk/lexikon-der-uk.html, 05.01.2023).

Handzeichen als übergeordneter Begriff

Im Folgenden wird der Terminus Handzeichen als übergeordneter Begriff verwendet, um der Geste, den Gebärden und den Manualsystemen eine gleichwertige Bedeutung zuzuschreiben.

Der Einsatz von Handzeichen kann unterstützend, ergänzend und anbahnend den Lautspracherwerb auf allen linguistischen Ebenen fördern (Appelbaum 2016). Die Übergänge zwischen den Funktionsbereichen sind fließend, und erst mit dem Gebrauch der Handzeichen wird sich die unterschiedliche Funktion entwickeln.

Visuelle Handzeichen

Gebärdensprachsysteme

Folgende Gebärdensprachsysteme existieren in Deutschland (Appelbaum 2016):

1.Deutsche Gebärdensprache (DGS): Die DGS als sog. Muttersprache der Gehörlosen stellt ein eigenständiges, linguistisches System dar. Sie entspricht grammatikalisch nicht dem Aufbau und der Satzstruktur der Lautsprache im Deutschen, da durchschnittlich zwei Informationen pro Zeichen ausgedrückt werden. Die Kommunikationsgeschwindigkeit ist der der Lautsprache sehr ähnlich. Durch Hand- und Mundbewegungen nahezu ohne Stimmeinsatz und entsprechender Mimik entsteht ein Gesamteindruck.

Beispiele für Gebärdensammlungen der DGS: