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Mit dem Turmuhren-Experten auf Glockentour, grenzwertig unterwegs im Grenzgebiet oder auf der Jagd nach der Schwarzmundgrundel – MZ-Reporter begleiten interessante Menschen und erzählen deren besondere Geschichten.
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Seitenzahl: 93
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Frisch überholt zum Stundenschlag
Grenzwertig im Grenzgebiet
Sehen mit einem Stock und den Ohren
Die Geburt Christi von Hand gemacht
Die kostbarste Zutat ist die Zeit
Ayurveda statt „Last Christmas“
Ein kleiner Fisch bereitet große Sorgen
„Bitte nicht den Jäger grüßen“
Auf Tour mit den Reise-Eseln
Die Lust ist die Geschäftsgrundlage
Schwammerljäger und Mykologe
Verborgene Kräfte des Bayerwaldes
Die letzten Hopfenzupfa der Oberpfalz
Überleben in der Natur ist sein Beruf
Uckersdorf, der beste Ort für Wünsche
Aufstehen, paddeln und genießen
Wie Adam und Eva im Paradies
Den Ur-Dinos auf der Spur
Für ihn ist Schneckentempo Pflicht
Die letzten Dorfausschreier
Umzugshelfer für die Ameisen
Impressum
Diese mechanische Uhr aus dem 18. Jahrhundert ist nicht mehr in Betrieb. Inzwischen wird die Turmuhr von Sankt Emmeram per Funk gesteuert. Foto: altrofoto.de
Von Dagmar Unrecht, MZ
Regensburg. Sie kommt schnell in Schwung. Der eiserne Klöppel holt aus und gut 3,5 Tonnen Bronze nehmen Fahrt auf. Wer jetzt im Weg steht, dem könnte das letzte Stündlein schlagen. Die Liebfrauenglocke von #Sankt Emmeram hat einen Durchmesser von 1,80 Meter. Unter ihren mächtigen Schwüngen vibriert das Eichengebälk. Erhard Pritschet holt tief Luft. Die größte Glocke der Basilika läutet das Ende seines Einsatzes im Kirchturm hoch über den Dächern von Regensburg ein. Auch bei Temperaturen um die Null Grad ist dem 49-Jährigen mollig warm. Kein Wunder, denn er ist zuvor quer durch den Glockenstuhl gekraxelt, hat Schrauben festgezogen, Drahtseile überprüft und „überall dort, wo sich was dreht“ ein paar Tropfen Öl verteilt. „Aber nicht zu viel, sonst bleibt der Dreck so richtig kleben“, fügt er hinzu.
Vor 25 Jahren begann Pritschet eine Lehre als Feinmechaniker bei der Regensburger Turmuhrenfabrik Rauscher, damals hatte er gerade sein Maschinenbau-Studium an den Nagel gehängt. „Ich bin durchs Vordiplom gefallen“, erzählt er und ergänzt schmunzelnd: „Lieber war ich in der Stadt unterwegs, als zu lernen.“ Spezialwissen hat er aber in Hülle und Fülle angesammelt, Kniffe von älteren Kollegen abgeschaut. Heute ist er der Experte.
Beim Aufstieg in den Kirchturm von Sankt Emmeram führt der Weg an einem alten Uhrenkasten vorbei. Ein willkommener Anlass, den Werkzeugkasten kurz abzustellen und durchzuschnaufen. Die mechanische Uhr aus dem 18. Jahrhundert ist außer Betrieb. „Sie könnte aber problemlos renoviert werden“, sagt Pritschet und schaut mit Kennerblick auf das verschraubte Gestell aus Schmiedeeisen mit den vielen stumpf gewordenen Zahnrädern. Mechanische Zeitmesser gibt es heute kaum noch, fast alle Turmuhren werden inzwischen elektronisch gesteuert. Der Funkbetrieb hat unter anderem den Vorteil, dass das Läuten in der Nacht ausgestellt werden kann. Das Evangelische Krankenhaus liegt ja direkt gegenüber. Mechanische Turmuhren sind laut Pritschet nicht so staubempfindlich wie funkgesteuerte und sehr robust. „Die überleben uns alle“, ist er überzeugt. Am Handgelenk trägt er dennoch eine Funkuhr. „Ich muss ja die Zeit exakt einstellen.“
Ein Motor, unter einer grauen Abdeckung versteckt, bewegt die Zeiger. Foto: altrofoto.de
Einmal im Jahr wird eine #Turmuhr in der Regel überholt, Pritschet und seine Kollegen kümmern sich um mehr als 40 Exemplare in Regensburg. Drei bis vier sind an einem Tag zu schaffen. „Danach bin ich oft von Kopf bis Fuß mit Schmutz und Taubendreck eingestaubt“, sagt der Mechaniker. Das gehört dazu, genauso wie das Herumklettern in bis zu neun Metern Höhe ohne Sicherung. Wer nicht schwindelfrei ist, hat in diesem Beruf einen schweren Stand. „Ich bin schon als Kind gern in Bäumen herumgekraxelt“, erzählt Pritschet.
Nur einmal, im vergangenen Jahr, ist ihm beim Kundendienst ein Unfall passiert: Ein morsches Brett wurde für ihn zur Stolperfalle und er stürzte eine Treppe hinunter. Nierenquetschung, Rippenprellung, Gelenkkapselriss. Drei Wochen war er außer Gefecht. Ansonsten hält ihn das Treppauf und Treppab fit, in seiner Freizeit joggt er obendrein. Auch im Urlaub bleibt er in Bewegung, besonders gern in den Bergen. Zuletzt war er zwei Wochen in Butan, Trekking auf 5000 Metern Höhe, ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk zum 50. in diesem Jahr. „Nur auf Klettersteigen fühle ich mich nicht wohl.“ 9.15 Uhr. Ein Seitenhammer, von einem Motor angetrieben, schlägt mit Wucht zu. Hätte die Liebfrauenglocke einen Sprung, würde es jetzt noch mehr in den Ohren dröhnen. „Wie ein alter Blechtopf klingt das dann“, so Pritschet. Anschließend prüft er, ob der Hammer noch fest sitzt oder neu gelagert werden muss. Auch alle Schrauben zieht er nach. „Ich bin Mechaniker, Schlosser, Elektroniker, alles in einem“, sagt er. Nebenbei bekommt er auch einen Eindruck davon, wie unterschiedlich Menschen ticken. Da gibt es Mesner, die ihm bei seiner Arbeit nicht von der Seite weichen, andere lassen ihn einfach gewähren. Sogar die Bitte, die Uhr ein wenig vorzustellen, gab es schon.
Auf einem Kirchturm kann man die Zeit aber auch hinter sich lassen und den Blick über die Stadt genießen. Eine besonders exklusive Aussicht bietet eine Luke mitten im Zifferblatt. Pritschet streckt einen Arm durch das Revisionstürchen hinaus ins Freie und rüttelt an den Zeigern. Bombenfest, zum Glück. Würden sich Teile lösen, könnte das für ahnungslose Passanten auf der Straße böse enden. „Hab’ ich alles schon erlebt“, versichert der Fachmann.
Für die Schrauben braucht man einen großen Gabelschlüssel. Foto: altrofoto.de
Zum Verhängnis ist ihm selbst einmal der Übereifer eines Pfarrers geworden. Der Geistliche im Ruhestand entdeckte die offene Eingangstür zum Kirchturm, vermutete ein Versäumnis und schloss ab. Da saß der Turmuhrenexperte fest. Laut rief er aus dem Glockenstuhl um Hilfe, vergeblich. „Dann hab’ ich halt eine halbe Stunde lang Sturm geläutet“ - und wurde erhört.
Durch eine Luke im Zifferblatt wird geprüft, ob die Zeiger fest sitzen. Foto: altrofoto.de
Der Vietnamesenmarkt direkt hinter der Grenze macht einen trostlosen Eindruck – und die Einkaufstour ist alles andere als angenehm. Foto: Geisenhanslüke
Von Mario Geisenhanslüke, MZ
Furth im Wald. Es ist ein Beutezug – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Jagd nach Klamotten, Zigaretten und Sonnenbrillen. Das Motto hier ist nicht „Nur Original ist legal“ sondern „Geiz ist geil“. Das Jagdgebiet liegt direkt hinter der deutschen Grenze. Allerdings kann hier der Jäger auch schnell zur Beute werden.
Die Ausfahrt aus dem Kreisverkehr endet auf einem improvisierten Parkplatz. Die Straße selbst mündet rund 100 Meter weiter in einem Feldweg. Aber Autos fahren hier ohnehin nicht weiter. Denn rechts und links stehen rund 20 Hütten oder Zelte. Ein kleiner Flohmarkt. Was genau verkauft wird, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Richtig ungemütlich ist die Situation aber aus einem anderen Grund: Der Vietnamesenmarkt hinter der deutsch/tschechischen Grenze bei Furth im Wald ist an diesem Sonntag um kurz vor 12 Uhr wie leergefegt.
Nur die Standbesitzer sitzen oder stehen vor ihren Ständen. Ein kalter Wind bläst, der Sonne und blauen Himmel schnell vergessen macht. Und die Meute hat Witterung aufgenommen. Wie ein Rudel hungriger Löwen der Antilope folgen die Blicke der Händler dem einzigen potenziellen Kunden. Denn ein deutsches Kennzeichen bedeutet hier meist Umsatz. Kaum in Rufweite des ersten Standes winkt schon ein älterer Herr mit den Händen. Deutsch spricht er nicht. Dafür aber der junge Mann neben ihm – möglicherweise sein Sohn. „Was suchen du, was suchen du?“, fragt er. Die Antwort spielt keine Rolle. Er preist sowieso alles an, was er zu bieten hat. Dabei wären Antworten auf ein paar Fragen viel besser. „Wie laufen die Geschäfte? Schon viel verkauft heute?“ Der misstrauische Blick ist Antwort genug. „Parfüm, Taschen?“ Schnell wird klar. Ohne Einwurf von Münzen dreht sich das Gespräch weiter im Kreis. Ein etwas vorsichtiger Blick in Richtung der Gürtel und schon wird er aktiv. Voller Elan kramt er Gürtel um Gürtel aus einer dunklen Ecke. „La Martina, Lacoste, Armani.“ Die Marken hat er drauf. Als zwei gefunden sind, geht das Feilschen los. 20 Euro für beide hätte er gerne. 10, 19, 12, 18. Nach der Drohung doch nichts zu kaufen, wechseln am Ende die beiden Gürtel für 15 Euro den Besitzer – und etwas gesprächiger wird er auch. „Die Geschäfte laufen gut. Jeden Tag genug Kunden“, sagt er. Seinen Namen will er nicht verraten und auch nicht fotografiert werden.
Am Nachmittag wird es auf den Märkten etwas voller. Foto: Geisenhanslüke
Sogenannte „Vietnamesenmärkte“ finden sich vielerorts in der Tschechischen Republik – meist kurz hinter den deutschen Staatsgrenzen. „Sie können dort fast alles kaufen“, sagt Michael Lochner, Pressesprecher vom Hauptzollamt in Regensburg. Aber obwohl nach dem Schengener Übereinkommen auch an der tschechischen Grenze seit dem 21. Dezember 2007 keine Personenkontrollen mehr stattfinden, gibt es für deutsche Einkäufer doch einiges zu beachten: Für etwaige Stichprobenkontrollen müssen Deutsche weiterhin einen Ausweis bei sich tragen. Außerdem gibt es für die meisten Waren weiterhin Beschränkungen. Ein Hilfsmittel ist die App „Zoll und Reise“. Ein paar Klicks verraten beispielsweise, dass nur maximal 800 Zigaretten für den privaten Gebrauch aus Tschechien mit nach Deutschland gebracht werden dürfen.
Die meisten Textilien hier sind gefälscht. Die aufgerufenen Preisen machen das mehr als deutlich. Illegal sind der Kauf und die Mitnahme nach Deutschland aber nicht, wie ein Blick in die App verrät. Lediglich bei Anhaltspunkten für gewerbliches Handeln werde der Zoll tätig, heißt es dort. Allerdings gebe es immer mehr Unternehmen, die einen „Antrag auf Grenzbeschlagnahme“ stellen, sagt Lochner. Dann werden von diesen Marken auch gefälschte Einzelartikel beschlagnahmt und auf Kosten des Unternehmens vernichtet. Auch eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Markenrecht kann die Folge sein.
Neben dem Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie oder die Einfuhr illegaler Waren beschäftigt Zoll und Polizei aber ein ganz anderes Thema: „Crystal Speed“heißt die mittlerweile nicht mehr unbekannte Droge. Sie ist wird vorrangig in Drogenküchen in Westböhmen gekocht (meist wird unter anderem Toilettenreiniger beigemischt) und verheißt Kontaktfreudigkeit sowie Ausdauer – und zerstört den Konsumenten binnen kurzem sowohl psychisch als auch physisch. Aber auch wer nur einkaufen will, sollte auf der Hut sein. Von kleinen Tütchen mit dem Pulver, die in DVD-Boxen lagen, bishin zu Magnetboxen, die unter deutsche Autos geklebt und später wieder entfernt wurden, hat Michael Lochner schon alles gesehen.
Fotografieren lassen wollen sich die Händler und auch die Besucher meist lieber nicht. Foto: Geisenhanslüke
Zurück in Deutschland. Martina Attenberger arbeitet im „Gasthof Postgarten“. Sie fährt rund alle vier Wochen über die Grenze, „um sich die Nägel machen zu lassen.“ Dort sei es um die Hälfte günstiger und die Nägel hielten bei ihrem Zweitjob in einem Discounter auch länger. Nur einkaufen will sie auf dem Markt nicht. „Die sind mir viel zu aufdringlich“, sagt sie.