Urteil der Welten - E.F. v. Hainwald - E-Book

Urteil der Welten E-Book

E.F. v. Hainwald

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Beschreibung

Den Göttern widerspricht man nicht.   Die Bewohner Yggdrasils ehren die alten Götter, allen voran Thor, denn er gab den Menschen nicht nur eine Heimat, sondern versprach ihnen auch Schutz. Doch nicht alle teilen diese Ansicht. Das Zweite Gesicht - die Gabe, Botschaften der Götter zu empfangen - entsendet Jarons Ziehfamilie auf eine gefahrvolle Reise. Während sie sich voller Inbrunst ihrer neuen Aufgabe verschreiben, zweifelt er an dem göttlichen Fingerzeig - stammt dieser doch von Loki, dem Gott der Tücke und Täuschung, Thors wankelmütigem Bruder. Trotz allen Bedenken muss auch Jaron seine Entscheidung treffen und so das Schicksal der neun Welten für alle Ewigkeit in die Schöpfung einbrennen ... Eine mystische Kurzgeschichte, inspiriert von den Sagen & Gestalten der Edda.

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EINS

 

Keiner von ihnen schaute zurück, denn ihre Entschlossenheit würde wanken.

Sarolfs Blick glitt über die Rücken seiner Familie und blieb am Haar seiner Frau hängen. Beinahe konnte er ihren Duft riechen. Ihre dicke, hüftlange Mähne schimmerte wie der feuchte Sand des Flusses Gjöll. Er würde sie wiedersehen – irgendwann, wenn die Jahre seiner Knechtschaft vorüber waren.

Das Klappern ihrer Rüstung wurde mit jedem Schritt, den sie sich von ihm entfernte, leiser. Noch immer blickte Sunja nicht über ihre Schulter. Das würde sie niemals. Seine Gefährtin wusste genau, was auf dem Spiel stand. Außerdem war sie viel zu stolz, um vor ihren Kindern – oder noch schlimmer, ihrer Mutter – Schwäche zu zeigen.

Trotzdem straffte Sarolf unbewusst seine Schultern, um ein respektables Bild abzugeben. Natürlich war sein eigener Anspruch ein wenig lächerlich, denn seine Gefährtin war die stärkste Kriegerin der ganzen Sippe, vermutlich des gesamten Landstrichs. Allerdings konnte er nicht aus seiner Haut. Warum sie den Avancen des kleineren Mannes mit dem wirren, braunen Haar nachgegeben hatte, würde dieser selbst wohl nie ganz verstehen, obwohl Sunja immer wieder betonte, dass sie ihn wegen seiner Stärke im Herzen, nicht in seinen Armen, liebte.

Als ein lautes Pochen an seinem hölzernen Rundschild ertönte, schlich sich ein schiefes Lächeln auf sein Gesicht und ließ die drei Zöpfe an seinem Kinn tanzen. Wer hätte gedacht, dass Sarolf nun auf diese Weise die Gelegenheit bekam, in den Gesang der Barden Einzug zu halten?

Das Pochen wurde zu einem schnellen Hämmern, das seinen gesamten Arm erschütterte. Sarolf senkte sein Kinn und blickte zur Seite. Dunkelgraue Augen starrten ihn fordernd unter buschigen Brauen an. Der kleinere Schwarzalb schnaubte verächtlich, sodass sein zotteliger Bart Wellen warf.

»Rührend. Jeden verschwendeten Moment wirst du nacharbeiten«, murrte er mit rauer Stimme und hob belehrend seinen dicken Zeigefinger. Der Nagel wirkte wie poliertes Eichenholz.

»Drei Jahre. Auf die Stunde genau.« Der Zwerg schloss seine Hand prüfend um Sarolfs Oberarm und drückte zu. »Wenigstens bist du brauchbar.«

»Nicht nur Krieger brauchen starke Glieder. Feldarbeit ist mühsam«, erwiderte Sarolf schroff und entzog seinen Arm aus dem Griff des Albs.

»Mir Einerlei.«

Der Zwerg wandte sich ab und watschelte zu der Eichentür seines Zimmers. Offensichtlich erwartete er, dass Sarolf ihm folgen würde, wie es sich für einen Leibeigenen geziemte.

Und das tat er.

Schließlich hatte Sunja ihren Geliebten rechtmäßig für den Kreisel eingetauscht.

 

 

Ihre Finger umklammerten das kunstvolle Ding, dessen Funktion keiner von ihnen kannte. Nicht einmal der griesgrämige Zwerg wusste, was genau er da gefertigt hatte. Ein Traum hatte ihm den Bauplan offenbart, manchmal lenkten höhere Mächte die Hände der Sterblichen sehr genau. Für Sunja fühlte es sich an, als hätte sie sich ihr eigenes Herz aus dem Leib gerissen und dem Dunkelalb mit aufklaffendem Brustkorb dargeboten.

Doch den Göttern widersprach man nicht. Falls man doch den Mut dazu aufbrachte, war der Preis meist noch höher als das, was sie von einem forderten.

Erst nachdem sie gemeinsam mit ihren Verwandten die Schenke verlassen hatte, traute Sunja sich, die Hand zu heben und den Kreisel genauer zu betrachten. Das faustgroße Kunstwerk war genau, wie es ihr beschrieben worden war.

Rund, aber ein wenig schief in seiner Achse. Fest, jedoch mit einem Gefühl, als würde man ein Ei berühren, dessen Innendruck die Schale aufzubrechen drohte. Außerdem übersät mit zahllosen Runen, von denen sie nur wenige kannte. Es waren seltsame Abarten der magischen Symbole, die jedem mehr oder minder vertraut waren.

Ihr jüngstes Kind hatte den Kreisel detailreich in virtuoser Sprache beschrieben – mit seinen gerade mal zwei Sommern sollte ihm das eigentlich keinesfalls möglich sein. Doch das zweite Gesicht – die Gabe, fern jeder Zeit zu schauen oder mit den Göttern zu sprechen – war schon jetzt ein loderndes Inferno in seinem Selbst.

»Die Fantastereien eines Kleinkindes haben Sarolf aus unserer Sippe gerissen.« Jarons tiefe Stimme zog Sunja aus ihren Gedanken. »Und das, obwohl bald das Frühjahr die Blätter aus den Ästen treibt und die Menge an anstehender Arbeit kaum zu bewältigen ist.«

Nicht mit einem Wort sprach ihr Ziehsohn über das Leid im Herzen, das der Verlust ihres Gefährten mit sich brachte. Pragmatisch zählte er die Aufgaben an den Fingern ab, welche die Sippe nun anders verteilen musste. Zwischendurch fuhr er immer wieder aufgewühlt durch sein bronzefarbenes Haar, das an den Seiten raspelkurz gehalten war.

Sunja war dankbar über seine gespielte Kaltherzigkeit, denn es vermochte ihre Maske aus Stärke aufrecht zu erhalten. Obwohl Jaron nicht von ihrem Blut war, sondern ein angenommenes Kind, spürte er genau, was in den anderen vor sich ging. Sarolf war der Vater, den er vorher niemals hatte.

»Genug.« Die rauchige Stimme Aphras war wie immer leise, fast nur ein Hauchen. Dennoch vermochte sie es, alle anderen zum Verstummen zu bringen. »Dein Glauben mag ein anderer sein, aber ich dulde keinerlei Zweifel auf unserem Pfad. Er ist bereits beschwerlich genug.«

Das kleine Großmütterchen mit den zwei dicken, stahlgrauen Zöpfen wirkte gebrechlich. Ihre dünnen, faltigen Fingerchen zitterten immerzu, selbst im Hochsommer. Mit ihren unzähligen Lagen Stoff am Leib wirkte sie rundlich und träge. Nur der kunstvoll bestickte Saum der groben Kleidung offenbarte, dass sie mehr als nur eine wunderliche Alte war. Aphra war die Angetraute des Jarls und ihrer aller Großmutter.

»Selbst von meinen Göttern würde ich solch eine Aufgabe nicht ohne Widerworte entgegennehmen«, fuhr Jaron unbeirrt fort. Seine dunklen Augen funkelten rauflustig – seine Art mit dem Verlust umzugehen, war Streit um nichts zu suchen. »Vater gegen ein sinnloses Ding eintauschen, es mit Leben füllen und in die Berge gehen, nur weil ein Rabe im Traum eines Kleinkindes wirres Zeug daherplappert, während es in die Laken nässt.«

Sein schlanker Körper spannte sich an wie die Sehne eines Bogens, als seine Stiefgeschwister ihm einen bösen Blick zuwarfen.

»Dennoch bist du hier«, erwiderte Aphra milde und ließ damit seinen Zorn ins Leere fließen. »Loki mag wankelmütig sein, damit ist er jedoch den Menschen näher als so manch hoher Ase. Die Botschaft war klar. Keines der uns abverlangten Opfer ist überraschend, jedes einzelne wurde aufgezählt. Keinem von uns fällt das leicht.«

Jaron schwieg daraufhin, schob trotzig das stoppelige Kinn nach vorn und mahlte mit den Zähnen.

Nur zu gern wäre Aphra bei ihrem Mann geblieben und hätte sich wie bisher um die Belange der Sippe gekümmert. Doch die Vision hatte klargestellt, dass ihre Anwesenheit unabdingbar war. Selbst wenn sie an Loki zweifeln sollte, so würde sie es niemals an ihrem Jarl und Mann tun. Er hatte sie klaren Befehls fortgeschickt, um ihren Enkeln beizustehen. Groß war sein Herz.

Sie ballte ihre rechte Hand zu einer Faust, streckte den kleinen Finger aus und zeichnete beiläufig eine Kenaz in die Luft. Die Feuerrune flammte kurz auf und Wärme flutete Aphras Glieder.

Zum Glück kam die Botschaft nicht im Hochwinter, dachte sie, während sie ihre Hände unter die Stofflagen stopfte. Am Tage muss ich lediglich mich warmhalten.

Schweigend trotteten die fünf zu ihrem Pferdekarren. Die Zugtiere waren noch immer angespannt, das Geschäft war der einzige Grund für ihre Anwesenheit gewesen. Keiner von ihnen verspürte den Wunsch, trotz der kribbelnden Kälte in jenem Gasthaus zu bleiben, in dem sie ihr Familienmitglied in die Knechtschaft verkauft hatten.

»Warum hat Loki niemand anderen erwählt? Warum ausgerechnet wir?«, fragte Lavea ihre Großmutter schließlich. »Keiner von uns ist ein großartiger Krieger, selbst wenn wir uns zu verteidigen wissen. Von Mutter mal abgesehen.« Sie schob den langen Speer auf ihrem Rücken zurecht, der hinter ihren um den Kopf geflochtenen, nussbraunem Haar in den Himmel wies. »Wäre es nicht besser gewesen, eine Gemeinde um Thor auf den Weg zu bringen? Oder gar Wesen, die sich um Odins Macht scharen?« Lavea richtete ihre azurblauen Augen auf Jaron und zuckte mit ihren unbedeckten Schultern. »Nun, zumindest einer davon begleitet uns.«

Ihr Bruder Henryk quittierte jeden Satz mit einer anderen Grimasse. Was sein Herz bewegte, konnte man stets unverstellt in seinem Gesicht ablesen. Vor allem der Teil mit den fehlenden Kampffertigkeiten ließ ihn energisch nicken. Obwohl er geradezu ein Hüne von einem Kerl war – mit Schultern so breit wie eine Tür und einem stattlichen Oberkörper in Form einer Algiz-Rune – war er womöglich der friedliebendste Mensch der neun Welten. Seine großen Hände vermochten es, Möbel oder gar ganze Hütten in Kunstwerke zu verwandeln, nicht jedoch, eine Klinge zu führen.

»Loki wird seine Gründe haben. Wir hatten dieses Gespräch bereits.« Sunja schnitt Henryk mit einer harschen Handbewegung das Wort ab, noch während er Luft holte. Das Licht ließ ihre gepanzerten Unterarme strahlen und gab der Geste etwas Endgültiges. »Wir alle sind nun hier und folgen dem Pfad, den die Götter für uns erwählt haben. Selbst wenn es ein Scherz Lokis ist, so pflegt er seine Spielzeuge gut zu entlohnen, wenn sie sein Gemüt erheitern. Und unser Dorf hat nach diesem harten Winter, mit all seinen Verlusten, ein bisschen göttliche Hilfe mehr als bitternötig.«

Aphra nickte zustimmend. Ihre Tochter war eben das Kind eines Jarls. Sie wusste, dass das Gemeinwohl oft schwerer wog, als das Glück eines Einzelnen.