Valentinstag´s Bundle - Susan Perry - E-Book

Valentinstag´s Bundle E-Book

Susan Perry

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Lassen Sie sich am Tag der Liebe von drei unserer schönsten Romane in einem Heft verzaubern. E-Book 1: Wie schön, daß du da bist E-Book 2: Hurra, ich habe geerbt! E-Book 3: Fesselspiele im Wald E-Book 1: Wie schön, daß du da bist E-Book 2: Hurra, ich habe geerbt! E-Book 3: Fesselspiele im Wald

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Inhalt

Wie schön, daß du da bist

Hurra, ich habe geerbt!

Fesselspiele im Wald

Valentinstag´s Bundle – 1–

Valentinstag´s Bundle

Susan Perry Michaela Dornberg Karin Bucha

Wie schön, daß du da bist

Dr. Wolfram Romberg kehrt von seinem kurzen Rundgang durch den Krankenhausgarten zurück. Er hat ein paar Stunden mit größter Konzentration operiert. Lauter Unfälle. Er war danach wie ausgepumpt, müde und abgespannt und mußte erst einmal frische Luft schnappen.

Eine Zigarette rauchend, schlendert er in dieser hellen, wundersamen Ju-ninacht ganz langsam an den süßduftenden Rosenhecken vorbei.

Gerade als er um die Ecke des Hauptgebäudes des Robert-Koch-

Krankenhauses biegt, sieht er die Lichter des Unfallwagens die Auffahrt hinunter verschwinden.

Neue Arbeit für ihn. Er beeilt sich und steigt kopfschüttelnd die Stufen zu dem Eingang mit den Milchglasscheiben empor. Wie verhext ist das heute. Die Menschen scheinen geradezu versessen darauf zu sein, sich die Schädel einzurennen. Die Welt ist schneller geworden, unheimlich schnell, seitdem man auf vier Rädern rollt, aber der Tod ist noch schneller und die Welt nicht schöner dadurch geworden. Dieses unsinnige Rasen, womöglich noch in betrunkenem Zustand!

Er hat die Halle erreicht, und zugleich hört er die Stimme aus dem Lautsprecher: »Doktor Romberg sofort nach OP!«

Mit ein paar Sätzen jagt er die Treppe empor, durchmißt den Korridor mit langen Schritten und verschwindet hinter der Tür mit dem erleuchteten Schild: OP I. Zutritt verboten!

Oberschwester Magda nimmt ihn in Empfang. Während er sich zur Operation fertigmacht, erkundigt er sich: »Unfall?«

»Ja«, erwidert sie, dabei zieht sie ihm die sterilisierten Handschuhe über die schmalen Chirurgenhände. »Sieht ziemlich böse aus. Der Mann ist nicht einmal mehr jung. Vermutlich Schädelbasisbruch.«

»Wer assistiert?« fragt er kurz und blickt dabei hinüber zur Uhr. Sie zeigt zwanzig Minuten nach Mitternacht. Um vierundzwanzig Uhr wechseln die Assistenzärzte.

»Doktor Sanders.« Sie zögert. »Eigentlich müßte Doktor Freytag …«

Im selben Augenblick, da sie ihm die Maske aufsetzen will, wird die Tür aufgerissen. Doktor Freytag taumelt herein, lehnt sich haltsuchend gegen den Türrahmen und starrt auf den Oberarzt.

»Sie müssen ihn retten, Doktor Romberg, ich habe ihn nicht umbringen wollen.« Er wankt und kommt auf Romberg zu, dessen Mund sich verächtlich verzieht. Eine Dunstwolke von Alkohol schlägt ihm entgegen. Das blonde Haar Freytags hängt wirr ins Gesicht, in dieses junge, jetzt blasse und verstörte Gesicht, das irgendwie gezeichnet ist – denkt Romberg – vielleicht vom ausschweifenden Leben? Merkwürdig! Er hat ihn noch nie sympathisch gefunden, diesen jungen Arzt, den Professor Becker ihm so warm ans Herz gelegt hat.

Freytag steuert geradewegs auf Romberg zu. »Sie müssen ihn retten, Doktor, ich habe nämlich –« »Sie sind ja betrunken«, sagt Romberg voll Ekel und gibt der Schwester einen Wink, damit sie ihm den Mundschutz umbindet.

Im nächsten Augenblick ist er mit Oberschwester Magda im Operationssaal verschwunden. Dr. Freytag steht verwirrt und hilflos im Waschraum. Er wankt und setzt sich schnell auf den einzigen Stuhl. Seine Hände fahren nach dem Kopf. Er fühlt etwas Nasses, Klebriges zwischen den Fingern.

Blut! Er starrt darauf nieder und schüttelt sich. Mit einem energischen Ruck erhebt er sich und wankt zum Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Eine ganze Reihe Spiegel sind dort angebracht und ein Becken neben dem anderen. Das blitzt von den Kacheln und vom Chrom der Hähne.

Vor seinem Spiegelbild weicht er zunächst entsetzt zurück, um sein Gesicht dann genau zu betrachten. Es ist ein aufgedunsenes Gesicht mit rotgeränderten Augen. Über der Nase ist eine Wunde, aus der Blut tropft, und das Kinn ist verschrammt.

Er schüttelt sich abermals, dabei fällt sein Blick auf die Uhr. Ein Vorhang scheint vor seinem benebelten Gehirn beiseite geschoben.

Mitternacht vobei!

Lieber Himmel! Er hat seinen

Dienstantritt verpaßt. Er müßte jetzt assistieren. Hubert liegt auf dem Operationstisch.

Sein Schwager Hubert.

Nein! Er hätte es sowieso nicht gekonnt. Seine Hände hätten ihm den Dienst versagt. Er stiert sekundenlang überlegend vor sich hin, dann stürzt er aus dem Raum.

Christiana muß es wissen, seine Schwester Christiana!

*

Dr. Romberg spürt, wie ihm unter der Maske der Schweiß über das Gesicht rinnt. Er hat sich eisern in der Gewalt, und die Ruhe, die von Doktor Sybilla Sanders ausgeht, scheint sich auf ihn zu übertragen.

Totenstille liegt über dem weiten gekachelten Operationsraum, der mit allen Errungenschaften der Neuzeit ausgestattet ist und vor Sauberkeit blitzt.

Knapp fallen Rombergs Befehle in diese Stille. Er braucht nicht viel zu sagen. Doktor Sanders assistiert mit einer geradezu verblüffenden Sicherheit und scheint im voraus zu wissen, was er benötigt. Dabei steht sie auch schon seit Stunden an seiner Seite.

Oberschwester Magda kontrolliert die Herztätigkeit des Verunglückten und überwacht die Narkose.

Schwester Sieglinde und Schwester Monika machen die üblichen Handreichungen.

»Die Herztätigkeit wird schwä-cher«, fällt Oberschwester Magdas Stimme ein. Romberg wirft einen kurzen Blick auf die Apparatur. Noch ein paar Minuten muß er aushalten, denkt er verzweifelt und arbeitet weiter.

»Der Puls fällt!«

Romberg richtet sich auf und legt die Nadel aus der Hand, mit der er die Wunde sorgsam vernäht hat.

»Fertig!« Romberg tritt einen Schritt zurück. »Machen Sie die Brust frei.«

Doktor Sanders legt geschickt die Tücher zurück, und Romberg beginnt mit seiner Herzmassage. Dabei läßt er den Mann keine Minute aus den Augen. Doktor Sybilla Sanders legt die Verbände an, und zuletzt sind nur eine spitze Nase und der Teil eines wächsernen Gesichtes sichtbar.

Minuten verrinnen. Romberg spürt, wie ihm jetzt der Schweiß auch über den Rücken rinnt. Aber unentwegt massiert er weiter, bis er in dem leblosen Gesicht die ersten sichtbaren Spuren seiner Tätigkeit wahrnimmt.

»Blutgruppe?« erkundigt er sich.

»B!«

»Wir machen noch eine Transfusion«, entscheidet Romberg, und schon bereitet Oberschwester Magda alles vor. Ein Glück – denkt Romberg, während er sich nach frischer Luft und nach einer Zigarette sehnt –, daß man keinen Blutspender mehr braucht, seitdem man gespendetes Blut konserviert hat.

Eine Stunde später wird der Operierte auf die fahrbare Trage gebettet. Dr. Romberg, begleitet von der Ärztin, überwacht noch, wie der Mann in ein Einzelzimmer gelegt wird. Kurz kontrolliert er noch einmal die Verbände, nickt Sybilla Sanders zu und verläßt an ihrer Seite den ruhig gelegenen Raum.

Später stehen sie nebeneinander im Waschraum. Schwester Sieglinde hilft erst dem Oberarzt, dann der Ärztin aus der sterilisierten Kleidung.

»Gott sei Dank«, sagt Romberg und begleitet seine Worte mit einem tiefen Atemzug. Er läßt das Wasser über seine Hände rieseln, immer wieder, und möchte am liebsten sein Gesicht kühlen, das von der Anstrengung schweißüberströmt ist.

Sybilla Sanders wirft dem Oberarzt einen kurzen Seitenblick zu, ehe sie sich wie eingehend der Säuberung ihrer Hände widmet. Wie nebenbei bemerkt sie: »Wissen Sie, daß der Verunglückte der Schwager Doktor Freytags ist?«

Blitzartig sieht Romberg den jungen Arzt in seinem jammervollen Zustand wieder vor sich. Mit einem jähen Ruck wendet er sich der Ärztin zu. »Wie meinen –?«

»Der Verletzte ist der Großindustrielle Hubert Stücker und mit Freytags einziger Schwester Christiana verheiratet«, erklärt sie mit ihrer tiefen Stimme, die an den Klang einer kostbaren Glocke erinnert.

»Sie kennen – ihn?« Romberg ringt sich mühsam die Frage ab. Ihm ist es wie ein Stich ins Herz gefahren.

»Ich habe ihn ein paarmal auf Parties erlebt«, erklärt sie weiter, und ihre dunklen Wimpern flattern erregt dabei. Also stimmt es, was man im Hause munkelt. Der Oberarzt trauert einer unglücklichen Liebe nach, die Christiana Stücker heißt. Warum hat sie sich zu ihren Äußerungen verleiten lassen?

»Was ist er für ein Mensch?« Romberg glaubt, sich wieder in der Gewalt zu haben. Die Ärztin weiß, daß dem nicht so ist, weil sie ihn besser als sich selbst kennt, weil sie ihn liebt, tief – aber hoffnungslos.

»Er scheint mir ein großzügiger, genußsüchtiger Mensch zu sein, der immer in Frauengeschichten verwickelt ist –« Sie stockt. »So erzählt man sich wenigstens.«

Er nimmt das Handtuch von Schwester Sieglinde entgegen. »Sie können gehen, Schwester«, sagt er und als die Tür hinter der weißen Gestalt ins Schloß gezogen wird, fragt er weiter:

»Und wie ist Ihr Urteil – Doktor Sanders?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Nach meinen Beobachtungen stimmt das, was man sich über Hubert Stücker erzählt.«

Romberg tupft mit seinem Taschentuch über das schweißnasse Gesicht.

Er sieht Sybilla Sanders fest an. Ruhig und gelassen ruht ihr Blick auf ihm, ihre klaren bernsteinfarbenen Augen, umrandet von langen seidigen-Wimpern. Eigenartig! Noch nie hat er diese grünlichen Lichter, die mitunter auch goldbraunen Tupfen ähnlich sehen, bemerkt.

Wie sich dieses Auge verändert! Das muß wohl mit ihrer Gemütsverfassung zusammenhängen – sinnt er –, vor allem, wenn sie erregt ist. Warum ist sie jetzt erregt? Sie, die nie aus der Fassung zu bringen ist, deren gleichmäßige Ruhe ihn manchmal sogar zur Verzweiflung bringt.

Aber zuverlässig ist sie und sehr sehr tüchtig! Dabei ist sie doch noch jung, obwohl sie schon ein paar Jahre nebeneinander arbeiten.

Er stutzt! Ist sie wirklich noch so jung, wie er annimmt?

Blödsinn! Auf was für Gedanken er kommt! Brüsk wendet er sich ab. »Machen Sie Schluß, Doktor Sanders.« Jetzt ist seine Stimme nicht mehr so heiser. Jetzt gehorcht sie ihm wieder. »Ich lasse Doktor Müller wecken. Sie haben mehr als Ihre Pflicht getan.«.

Gelassen hängt sie das Handtuch über die Messingstange. »Wenn es Ihnen recht ist, braue ich Ihnen einen starken Kaffee.« Sie bemerkt, daß er abwehren will. »Ich habe auch einen Kaffee nötig.« – Jetzt lächelt sie schwach. »Sie brauchen nicht um meine Nachtruhe besorgt zu sein. Schlafen könnte ich jetzt sowieso nicht. Nun?«

Forschend betrachtet sie ihn, und er nickt.

»Ich nehme dankend an.«

Gemeinsam verlassen sie den Waschraum. Die Erregung schwingt zwischen ihnen weiter, obgleich sich einer vor dem anderen zu verbergen sucht.

*

Aber noch kommt Dr. Romberg nicht zum Kaffeetrinken. Auf dem Gang zum Ärztezimmer läuft Schwester Monika hinter ihnen her.

»Herr Doktor! Herr Doktor!«

Sie verhalten den Schritt. Keuchend taucht Schwester Monika neben ihnen auf. »Frau Stücker wünscht Sie zu sprechen. Es ist die Frau des Verunglückten.

Unter halbgeschlossenen Augen bemerkt Sybilla, wie er sich verfärbt.

»Am Telefon?«

»Nein, im Wartezimmer Professor Beckers.«

Resignierend hebt Romberg die Achseln. »Ich komme nach, Doktor Sanders«, sagt er mit einem verunglückten Lächeln, und Sybilla setzt ihren Weg allein fort. Er geht zurück. Langsam, sehr langsam setzt er die Füße, fast mechanisch. Die Gedanken überstürzen sich hinter seiner Stirn.

Christiana ist da! Christiana verlangt ihn zu sprechen! Die Frau, die er einmal so heiß geliebt hat und die den anderen nahm, den um so viel älteren Mann mit dem goldenen Hintergrund, und die dabei den damals recht armen Assistenzarzt vergaß.

Liebte? Redet er sich da etwas ein, was gar nicht stimmt? Liebt er sie nicht immer noch?

Er steht vor dem Wartezimmer Professor Beckers. Sein Herz spürt er bis zum Hals herauf klopfen. Mit beiden Händen streicht er sich über das dunkelglänzende Haar.

Als er eintritt und die Tür schnell hinter sich ins Schloß zieht, liegt ein wachsamer Ausdruck über seinen eben noch müden, abgespannten Zügen.

Aus einem der Sessel erhebt sich Christiana Stücker. Eine faszinierende Frau, schmal, hochgewachsen, im schwarzglänzenden, eleganten Seidenkostüm, das ihre rotblonde Schönheit vortrefflich zur Geltung bringt. Rätselhaft sind die grauen Augensterne, die hell und kühl, dann wieder dunkel und leidenschaftlich blitzen können.

»Wolf!« Langsam kommt sie auf ihn zu. Ihr Herz macht ein paar rasche Schläge, und sekundenlang legen sich die schweren Lider über die verräterischen Augen. Sie denkt an den Mann, der irgendwo in diesem unheimlichen Haus in irgendeinem Zimmer liegt. An diesen haltlosen, brutalen Mann, dessen Äußeres ihr schon Abscheu einflößt, und sie kann nicht begreifen, daß sie Wolf, den Mann mit dem schmalen rassigen Gesicht, den Mann der Zuverlässigkeit und Ehrenhaftigkeit, verlassen konnte – nur des Geldes wegen.

»Wolf!« Schluchzen folgt, und noch ehe Romberg ein Wort gesprochen hat, geleitet er die jetzt bitterlich weinende Frau zurück zu dem Sessel.

Sie muß ihn doch sehr lieben denkt er dabei. Es schmerzt ihn, und zugleich verliert sich etwas von der Bitterkeit in ihm zugunsten dieser schönen Frau, die Christiana Stücker heißt.

Damit gewinnt sie in seinen Augen auch etwas von der Achtung zurück, die sie verloren hatte.

»Die Operation ist gut verlaufen, Christiana«, hört sie seine sonore Stimme, und sie hebt das verweinte Gesicht aus ihren Händen. Aus weitgeöffneten Augen starrt sie zu ihm auf. »Wir haben noch eine Bluttransfusion vorgenommen. Willst du zu ihm?«

Sie schüttelt heftig abwehrend den Kopf. »Um Gottes willen! Nein!« Sie schreit ihm das beinahe entgegen.

»Er liegt in tiefer Bewußtlosigkeit«, spricht er verwundert weiter. »Er würde von deiner Anwesenheit auch nichts wahrnehmen. Wenn keine Komplikationen eintreten, hoffe ich, ihn durchzubringen.«

Ihr Gesicht verändert sich blitzschnell. Die Augen glühen vor Leidenschaft und Haß. »Warum ist er nicht tot! Hättest du ihn doch sterben lassen! Er ist ein Ungeheuer! Ich hasse ihn – ich hasse ihn.«

Sie bricht abermals in verzweifeltes Schluchzen aus. Merkwürdig! Rombergs Herz bleibt plötzlich kalt, eiskalt! Auch als sie mit der Geschmeidigkeit einer Katze aus ihrem Sessel gleitet und seine Schultern packt, rührt sich nichts in seinem Innern.

»Warum hast du ihn nicht sterben lassen, Wolf? Er hat den Tod verdient, glaube mir. Es liegt in deiner Hand, eine –«

Er streift ihre Hände von sich, hart umspannt er ihre Handgelenke. »Du bist wahnsinnig, Christiana. Du hast den Kopf verloren.« Ihm ist zumute, als habe er einen Schlag über den Kopf empfangen.

»Ich bin nicht wahnsinnig«, begehrt sie leidenschaftlich auf. »Ganz klar ist es in meinem Kopf, Wolf.« Ihre Stimme klingt süß und unendlich traurig zugleich. »Hilf mir doch, ich bitte dich –«

»Ich bin Arzt.« Seine Augen verengen sich. Jetzt hat er endlich ganz begriffen. Er schiebt sie mit einer verächtlichen Bewegung von sich. »Du weißt nicht, was du sprichst.«

Er tritt weit von ihr zurück, verschränkt die Arme über der Brust.

»Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«

Ihre Augen glitzern. Noch hängen Tränentropfen an den dunklen, gebogenen Wimpern. Sie ist schön und lokkend wie die Sünde – durchzuckt es ihn – und damit scheint auch jedes warme Gefühl für sie in ihm erstorben.

»Wolf.« Sie hebt die Hände zu ihm auf. »Es liegt in deiner Hand, daß Hubert nicht wieder erwacht. Ich bin dann reich, sehr reich und nicht mehr an dieses Ungeheuer gebunden. Wir könnten glücklich werden, so, wie wir es uns früher gewünscht haben.«

Lange, eindringlich ruhen seine hellen Augen auf ihrem leidenschaftlich bewegten Gesicht. Sie ist schlecht! Seltsam, ich habe gemeint, diese Frau unsagbar zu lieben, und Martin, ihren Bruder, habe ich von der ersten Minute an nicht gemocht.

Hatte die Liebe mich so blind gemacht? Ihm graut vor sich und noch mehr vor dieser Frau, die meint, eine Wandlung zu ihren Gunsten festgestellt zu haben.

»Nicht wahr, Wolf«, bittet sie mit allem ihr zu Gebote stehenden Charme, »du hilfst mir?«

»Natürlich helfe ich dir«, hört er sich mit tonloser Stimme sagen, »aber anders, als du meinst. Ich werde alles, hörst du, alles tun, um das Leben deines Mannes zu erhalten. Das soll meine vornehmste Pflicht sein.«

»Das ist nicht möglich«, keucht sie.

Romberg beachtet sie nicht mehr. Er geht zur Tür, drückt auf den Knopf, und als Schwester Monika erscheint, bittet er: »Begleiten Sie Frau Stücker zum Ausgang.« Und mit einer knappen Verbeugung gegen Christiana setzt er hinzu: »Ihnen wünsche ich eine geruhsame Nacht, gnädige Frau. Sie scheinen Schlaf bitter nötig zu haben.«

Langsam weichen ihre weit geöffneten Augen von dem harten Gesicht des Arztes. Nervös kramt sie in ihrer Tasche, bringt eine goldene Puderdose hervor und pudert mit zitternder Hand über Nase und Wangen.

Wortlos, von Schwester Monika begleitet, verläßt sie das Zimmer. Unbeweglich steht Dr. Romberg und sieht lange und nachdenklich auf die geschlossene Tür. Dann fährt er sich mit einer raschen Bewegung über Stirn und Augen. Er ist ausgepumpt, körperlich und seelisch auf dem Nullpunkt angekommen.

Mit einem Male sehnt er sich nach Doktor Sybilla Sanders’ klaren Augen, nach der reinen Luft, die sie umgibt und die er atmen möchte.

Er läuft förmlich den Weg zurück. Doktor Sanders hat einen reizenden Tisch gedeckt. Nur die Stehlampe wirft ihr warmes, gelbliches Licht in den Raum, dem Sybilla Wärme und Behaglichkeit gegeben hat.

Aufatmend steht er in der Tür. Mit einem Blick übersieht er diesen Raum, dem alle Nüchternheit genommen, und Doktor Sanders, wie sie ihm scheu entgegenlächelt.

»Wie schön, daß Sie da sind«, sagt er mit einer fremden, unsicheren Stimme. Dann sinkt er erschöpft auf den Sessel am Tisch und vergräbt das Gesicht in seinen Händen.

Schwester Monika aber macht sich dumme Gedanken. Wie förmlich der Oberarzt sich von der schönen Frau verabschiedet hat, und sie möchte schwören, daß sie sich geduzt haben. Sie hat nicht gelauscht. Sie hat nur aus Hilfsbereitschaft vor der Tür gewartet, da sie wußte, sie würde die Besucherin zum Ausgang geleiten müssen.

Merkwürdig – sehr merkwürdig – überlegt sie und sieht hinter der schönen Erscheinung her, wie sie die Auffahrt hinabeilt und in einen dunklen Mercedes steigt.

*

Das Haus Hubert Stückers liegt tief in einem großen Garten versteckt an der Bismarckallee.

Die Scheinwerfer des leise brummenden Mercedes bohren sich durch das Dunkel, huschen über hohe Baumgruppen und dichtes Gebüsch. Sekundenlang gleiten sie über das weiß aufleuchtende, flachgestreckte Haus modernster Bauart, mit seinen Terrassen und Blumenfenstern.

Der Wagen hält vor dem Portal. Einige Augenblicke lang bleibt Christiana Stücker reglos hinter dem Steuer sitzen. Sie fürchtet sich, in das große Haus zu gehen, und sie weiß nicht, ob es Furcht vor der Leere ist – oder Furcht vor ihren bohrenden Gedanken. Oder ist es die Gewißheit, eine grenzenlose Niederlage erlitten zu haben? Erlitten von dem Mann, mit dem sie glaubte so leicht fertig werden zu können, weil sie mit seiner blinden Liebe von einst gerechnet hat. Nun ist aus dieser bitteren Enttäuschung Angst geworden.

»Ich muß tatsächlich wahnsinnig geworden sein«, murmelt sie vor sich hin. »Wie konnte ich mich so sehr in seine Hand geben?«

Und dann beginnt sie zu weinen. Es sind Tränen der Wut, der Furcht und der Hilflosigkeit. Es schüttelt sie wie ein Krampf. Sie fängt die Tränen mit ihren Lippen auf, dann läßt sie sie ungehindert laufen.

Und weiter hetzen die Gedanken. Immer im Kreise herum. Bis es in den Schläfen hämmert und der Kopf schmerzt. Zuletzt schält sich die Gewißheit aus dem Knäuel allen Denkens: Wolf wird niemals von seinem Wissen Gebrauch machen und es gegen sie in irgendeiner Form verwenden. Er ist Arzt und wird ihre verwirrten Äußerungen an Folge ihres Schocks beurteilen.

Diese Erkenntnis läßt sie ruhiger werden. Sie schreckt zusammen, als sie Schritte auf dem Kies vernimmt. Im Licht der Scheinwerfer taucht eine vertraute Gestalt auf, in der sie Anton, ihres Mannes Chauffeur, erkennt.

»Sie sind noch wach, Anton?« fragt sie und läßt sich aus dem Wagen helfen.

»Ich habe auf Sie gewartet. Soll ich den Wagen in die Garage fahren, gnädige Frau? Der BMW ist inzwischen auch gekommen. Wollen Sie ihn sich ansehen?« Er druckst und schluckt. »Und – und wie geht es dem Herrn?«

Verstört blickt sie den Sprechenden an, dann hat sie begriffen. »Man kann noch nichts sagen, Anton. Und jetzt bin ich müde, sehr müde. Gute Nacht!«

Anton wartet, bis sie die Stufen bis zur Eingangstür hinangestiegen ist. Er hört schließen. Dann erst schwingt er sich hinter das Steuer und fährt den Wagen hinüber in die Garage.

Im Hintergrund der Halle brennt eine einzige Lampe. Christiana zuckt zusammen, als sich aus einem der tiefen Sessel eine Männergestalt erhebt.

»Martin – du?« Sie preßt die Hand gegen das Herz, das heftig klopft, so sehr ist sie erschrocken.

Sie geht ihm ein paar Schritte entgegen. Im Schein der Lampe erkennt sie sein wirres Haar, die weitaufgerissenen Augen, das Pflaster über der Nase und das verschrammte Kinn. Er kann sich kaum auf den Beinen halten, und Christiana weiß, daß es keine Übermüdung ist, sondern daß er sich sinnlos betrunken hat. Ihre Augen gleiten weiter. Er hat sich die Hausbar neben den Sessel gerollt.

»Ich – ich habe ihn umgebracht.«

Sie starrt ihn an. Sie ist wie gelähmt. Mein Gott! Gibt es Gedankenübertragung? Hat er ihr am Vormittag nicht gesagt, daß er Nachtdienst hat? Nachtdienst im gleichen Krankenhaus, in dem Hubert liegt?

»Wen?« fragt sie leise, flüsternd.

»Hubert – deinen Mann!«

Da lacht sie auf, grell, hysterisch. Sie kann sich gar nicht wieder fangen, und Martin weicht zurück, läßt sich in einen Sessel fallen.

»Hahaha! Du hast Hubert umgebracht? Er lebt, und Doktor Romberg hat ihn zusammengeflickt. Soeben komme ich aus dem Krankenhaus.« Mit zitternden Händen greift sie zu einer Zigarette und entzündet sie an dem schweren, silbernen Feuerzeug. »Du bist sinnlos betrunken, Martin, sonst würdest du keinen Unsinn reden.«

Doktor Freytag scheint sich wie ein Held vorzukommen, der sich an seiner Tat berauscht. Mit lallender Zunge berichtet er:

»Natürlich habe ich ihn umgebracht. Ich habe doch Huberts Wagen gesteuert. Wir hatten beide zuviel getrunken. Es sollte schnell gehen, denn ich mußte um Mitternacht meinen Dienst im Krankenhaus antreten. Hubert hat mir den Wagen zur Verfügung gestellt. Aber zuvor sollte ich ihn heimfahren.« Er starrt aus glasigen Augen auf seine Schwester, die hochaufgerichtet vor ihm steht. Jetzt scheinen sich seine Gedanken zu verwirren. »Nun – und da – und da geschah es – das Unglück. Der Baum – ich sah ihn immer näher kommen – Hubert – der Schlag muß nicht richtig geschlossen gewesen sein. Hubert lag quer vor dem Baum – kein Leben – nur Blut. Da bin ich geflohen – hinein ins Krankenhaus-Romberg –« Er macht eine fahrige Handbewegung. »Ich habe es ihm gesagt.«

Im Nu steht sie neben ihm, rüttelt ihn an den Schultern. »Was hast du ihm gesagt?« schreit sie ihn an.

»Daß – ich – ihn – umgebracht – habe«, lallt er und greift erneut zum Glas.

Zorn steigt wie eine heiße Welle in ihr empor. Sie schlägt ihm das Glas aus der unsicheren Hand, daß es am Boden zerschellt.

»Du bist verrückt und betrunken.« Verächtlich wendet sie sich von ihm ab und wandert unablässig umher, vor sich hingrübelnd. Schließlich verhält sie vor ihm den Schritt. »Du wirst jetzt dein Zimmer aufsuchen und deinen Rausch ausschlafen.«

»Geht nicht«, erwidert er widerspenstig. »Muß – ins Krankenhaus –«

»In diesem Zustand? Man soll dich wohl gleich einsperren?« höhnt sie. Sie zerrt ihn aus dem Sessel und zwingt ihn, neben ihr die Treppe empor zu gehen. Jetzt ist er willig wie ein Kind. Sie bringt ihn in sein Zimmer, das in der Villa immer für ihn bereitsteht. Er wirft sich aufs Bett und läßt sich gehorsam die Schuhe ausziehen. Keine Minute dauert es, dann ist er eingeschlafen.

Kopfschüttelnd sieht sie auf ihn hinab. Eine furchtbare Nacht. Eine aufregende Nacht und Martin ist darin verstrickt. Romberg hat sie alle in der Hand, sie und auch Martin.

Sie ist auch völlig erschöpft und sucht ihr Zimmer auf. Aber sie legt sich nicht schlafen. Sie setzt sich im Dunkeln an das offene Fenster und grübelt und grübelt.

Irgendwie muß sie die Dinge wieder zurechtbiegen, irgendwie, aber noch ist ihr schleierhaft, auf welche Weise.

*

Schluckweise trinkt Doktor Romberg den Kaffee, den Sybilla Sanders gebraut hat und dessen Aroma den ganzen Raum durchzieht. Er hält die Augen geschlossen und liegt weit im Sessel zurückgelehnt, die Beine vorgestreckt. Jedes Glied entspannt er, und Doktor Sanders unterbricht mit keinem Wort die wohltuende Stille.

Wie schön, daß Sie da sind! Hat er es wirklich gesagt? Oder gaukeln ihr das nur die Phantasie und die eigenen Wünsche vor?

Vor allem das dumme, liebende Herz?

Wie schön, daß Sie da sind! Herrgott! Wie töricht man sich benimmt, und man ist doch kein Backfisch mehr. Aber man ist auch gar nicht richtig jung gewesen. Ein Elternhaus – ohne Mutter mit einem ehrgeizigen Vater, der sie zwar sehr liebt, aber bei dem sie hat hart arbeiten müssen. Die Schule, das Studium und anschließend die Arbeit im Robert-Koch-Krankenhaus. Und darin ihr Schicksal, das Doktor Romberg heißt und der nicht sie, sondern eine andere liebt.

Der kaum Notiz von ihr nimmt, falls sie nicht gemeinsam am Operationstisch stehen. Aber da ist sie für ihn nur eine gut arbeitende Maschine. Kein junges liebendes Weib, das sich nach Zärtlichkeiten sehnt wie jede andere Frau.

Die letzten Stunden haben ihm arg zugesetzt. Sie spürt es mit dem fein ausgebildeten Instinkt der liebenden Frau. Ein liebendes Herz ist wie ein zartbesaitetes Instrument, das auf den leisesten Anschlag reagiert. Etwas hat ihn erschüttert, hat ihn irgendwie gewandelt. Sie sieht es an seiner völligen Erschöpfung. Ihr ist das Herz schwer. Richtig weh tut es ihr. Wie wundervoll mußte es sein, zu ihm gehen zu dürfen, ihm über das dunkle Haar zu streichen, ganz sanft und, behutsam. Kein Wort würde sie sagen, nur wissen sollte er, daß sie da ist, daß sie immer für ihn da ist, selbst wenn er sie nicht bemerkt.

Ihre Augen hängen mit einem verzweifelten Ausdruck an seinen müden, geliebten Zügen. Im gleichen Augenblick hebt er die Lider, und sofort wendet sie den Kopf, beugt ihn tief über die Kanne und sagt gleichmütig:

»Noch eine Tasse, Herr Doktor?«

Er nickt nur, aber er lächelt ein wenig dabei. Er sieht auf ihre Hände, die ihm den braunen Trank in die Tasse gießen. Schöne, schmale, feingliedrige Hände. Chirurgenhände. Merkwürdig! Er war nie recht begeistert von einer Chirurgin. Aber bei ihr ist ihm gar nicht recht zum Bewußtsein gekommen, daß sie eine Frau ist. Sie steht an Können und Zuverlässigkeit einem Manne bestimmt nicht nach. Heute hat er erstmals bemerkt, daß sie wunderschöne klare Augen hat von einer faszinierenden Farbe. Diese Frau wird niemals lügen sinnt er weiter – und empfindet die sie umgebende Stille angenehm.

Langsam kehren seine Kräfte zu-rück und damit auch das klare Denken.

»Danke«, sagt er und nimmt die Tasse aus ihrer Hand. »Der Kaffee tut gut. Sie verstehen, ihn zuzubereiten. »Er blickt auf seine Uhr am Handgelenk. »Man müßte noch einmal nach dem Patienten auf Zimmer 22 sehen. Wollen Sie mich begleiten? Oder soll ich Doktor Müller wecken lassen?« Seine Stirn legt sich in Falten. Ärgerlich stößt er hervor: »Dieser Freytag, kommt total betrunken zum Dienst. Man müßte es eigentlich dem Professor melden, wenn man nicht einen so fatalen Geschmack auf der Zunge hätte. Er ist nun einmal Beckers Protektionskind. Was meinen Sie, Doktor Sanders?«

Sie steht schon auf den Beinen. »Ich fühle mich wieder ganz frisch, Herr Doktor, und begleite Sie gern. Und wegen Freytag?«

Er trinkt hastig seine Tasse leer und öffnet vor ihr die Tür. Gemeinsam gehen sie den Gang entlang. »Wegen Freytag würde ich auch nichts unternehmen. Er ist jung«, entschuldigt sie ihn. »Er hat Glück, daß Becker zum Ärztekongreß in Paris ist. Ich glaube, das würde selbst er nicht durchgehen lassen«, setzt sie mit feinem Lächeln hinzu.

»Ich werde ihm den Kopf gehörig waschen und es dabei bewenden lassen«, entschließt er sich. »Es ist an sich eine unangenehme Angelegenheit und dürfte bei einem pflichtbewußten Arzt nicht vorkommen. Aber…« von der Seite her wirft er ihr einen kurzen Blick zu: »Sie haben ihn glänzend vertreten.«

Ihre plötzlich glühenden Wangen sieht er nicht mehr, denn er hat schon die Klinke der Tür zum Zimmer 22 in der Hand.

»Kommen Sie«, fordert er sie leise auf, und behutsam treten sie ein.

Schwester Sieglinde erhebt sich von ihrem Stuhl am Bett des Kranken. Sie hat das Nachtlicht gegen das Bett hin noch abgeschirmt, so daß den Operierten kein Schein trifft.

»Alles in Ordnung«, flüstert die Schwester, und Romberg nickt. Er nimmt des Kranken Hand, fühlt den Puls und macht ein zufriedenes Gesicht. Er winkt Sybilla Sanders zu sich und läßt sie ebenfalls den Puls fühlen.

»Gut!« sagt sie. Romberg flüstert Schwester Sieglinde zu, daß sie weiterhin Wache halten soll, und dann verlassen die beiden Ärzte das Zimmer.

Sie kehren ins Ärztezimmer zurück und nehmen ihre Plätze wieder ein.

»Wollen Sie sich nicht ein paar Stunden hinlegen?« wendet sich Sybilla an den Arzt. »Mir scheint, wir bekommen Ruhe für den Rest der Nacht.«

»War eine tolle Nacht«, nimmt er das Gespräch auf und reicht ihr sein Zigarettenetui. »Sechs Unfälle, die reinste Kettenreaktion. Kann sein, der letzte war der Schluß. Aber müde bin ich jetzt nicht mehr. Das macht der starke Kaffee. Doch wenn Sie sich zurückziehen wollen?«

»Bestimmt nicht!« Sie schüttelt dazu noch heftig den Kopf, um ihre Worte zu unterstreichen, und errötet dann. War das nicht zu spontan? Muß er ihr nicht von der Stirn ablesen, daß sie diese Stunde des Alleinseins mit ihm, die so selten und deshalb überaus kostbar für sie ist, mit vollem Herzen genießt?

Aber er merkt nichts davon. Er

hat selbst das Bedürfnis nach Un-

terhaltung. Er fürchtet sich vor dem

Alleinsein, weil dann die Gedan-

ken über ihn herfallen wie wilde

Tiere. Und alle würden sie in einer Richtung, zu Christiana Stücker, laufen.

Christiana! Mein Gott! Sie ist maßlos in ihrer Liebe und maßlos in ihrem Haß!

Mit einer geistesabwesenden Gebärde streicht er sich über die Stirn. Er will nicht mehr an die schöne, verführerische Frau denken. Er will nicht! Er will nicht!

Sybilla liest wie in einem aufgeschlagegen Buch in seinen Zügen. Er kämpft gegen etwas. Aber sie weiß nicht gegen was. Seine hellen Augen ruhen vorübergehend forschend auf ihr. Sie wird unter diesen zwingenden Augen verwirrt. Um ihre Verlegenheit zu verbergen, erhebt sie sich, zieht die Vorhänge auseinander und öffnet weit die Fensterflügel.

Es dämmert bereits ein neuer Tag. Wundersame Düfte steigen aus dem Garten ins Zimmer. Ein Frühlingsgruß! Liebliches Vogelgezwitscher erhebt sich. Irgendwo schluchzt eine Nachtigall. Sie lauschen beide angestrengt. Sybillas sonst so strenge Züge werden weich, sehnsuchtsvoll. Aber der Mann, von dem sie nur ein niedriger Tisch trennt, sieht das nicht.

Weitab sind seine Gedanken! Aber es sind keine guten Gedanken. Seine Züge sind hart und die Lippen zusammengepreßt.

Das Telefon schlägt an. Sybilla erhebt sich und geht zu dem Schreibtisch, der nahe beim Fenster steht, und hebt ab.

»Doktor Romberg? Ja, ich sage Bescheid.« Sie hängt den Hörer in die Gabel und wendet sich Romberg zu.

»Da ist jemand von der Polizei, der Sie zu sprechen wünscht. Ich glaube, es handelt sich um den Fall Stücker«, erklärt sie.

»Mich wünscht man zu sprechen?« erkundigt er sich erstaunt.

»Den diensttuenden Arzt«, gibt sie zurück. Da erhebt er sich. Er fühlt Bedauern. Hier war es so ruhig, so friedlich. Zögernd nur geht er zur Tür. Von dorther sagt er:

»Legen Sie sich zur Ruhe, Doktor Sanders. Ich werde Doktor Müller Bescheid sagen lassen.«

Wenn ich Ruhe finden könnte, denkt sie wehmütig und starrt auf die geschlossene Tür, hinter der seine hohe Gestalt verschwunden ist. Sehr zerstreut beginnt sie den Tisch abzuräumen. Zum zweiten Male betritt Dr. Romberg in dieser aufregenden Nacht, die scheinbar gar kein Ende nehmen will, das Wartezimmer Professor Beckers.

Ein Mann in Zivil von kräftigem Körperbau, dessen Haltung ihm irgendwie bekannt vorkommt, hebt sich bei seinem Eintritt vom Fenster ab.

»Kommissar Reimund« stellt sich der Besucher vor und lacht im nächsten Augenblick freudig überrascht auf. »Wolfram, Menschenskind. Hier steckst du?«

Die beiden Männer, die einst die Schulbank zusammen drückten, um sich später je nach Veranlagung ihrem weiteren Studium zu widmen, schütteln sich herzlich die Hand.

»Wie geht es, Julian? Bitte, setz dich.« Romberg ist wirklich angenehm überrascht, den Jugendfreund wiederzusehen. »Zigarette gefällig? Kognak kann ich dir leider nicht anbieten, den könnten wir höchstens in meiner Junggesellenwohnung trinken .«

»Danke, danke«, wehrt Reimund ab. »Ich bin im Dienst. Seit wann arbeitest du hier, Wolfram?«

Sie haben sich niedergelassen und ihre Zigaretten entzündet.

Nachdenklich sieht Romberg dem aufsteigenden Rauch nach.

»Seit einer Reihe von Jahren, Julian. Und du?«

»Wie du weißt, habe ich die Polizeilaufbahn eingeschlagen.«

»– stimmt«, unterbricht Romberg ihn lachend. »Wir nannten dich schon auf der Penne den ›Detektiv‹. Du hast es also schon bis zum Kommissar gebracht?«

»Und du scheinst auch Karriere gemacht zu haben«, bemerkt Reimund stirnrunzelnd.

Eine Viertelstunde geben sie sich ganz den Erinnerungen hin, und oftmals klingt herzhaftes Männerlachen auf.

Dann wird Reimund ernst und fragt sachlich: »Du hast den Großindustriellen Hubert Stücker auf deiner Station liegen? Kannst du mir einige Auskünfte geben?«

Sofort ist Romberg hellwach, ja seine Züge verändern sich schlagartig, werden ernst und gesammelt.

»Schwerer Fall. Schädelbasisbruch«, gibt er zur Antwort.

Reimund wirft einen raschen Blick auf Romberg, dann blickt er auf sein Notizbuch. »Er war betrunken?«

»Das weiß ich nicht«, entgegnet Romberg schnell und wahrheitsgemäß. »Du weißt, wie das bei so schweren Operationen ist. Da muß alles schnell gehen. Man hatte alles vorbereitet, als ich den Operationssaal betrat. Mich interessierte nur die Wunde.«

»Verstehe ich.« Reimund denkt einige Augenblicke nach. »Aber vielleicht kannst du dich erkundigen?«

»Das wollte ich dir eben vorschlagen. Frau Doktor Sanders hat mir assistiert und alles vorbereitet. Sie weiß das ganz sicher. Moment, ich rufe sie herbei –«, er unterbricht sich, »das heißt, wenn ich sie noch im Hause finde. Ihr Dienst ist beendet.«

»Versuche es bitte.«

Romberg tritt an den Hausapparat heran und wählt eine Nummer. Er wartet. Als sich niemand meldet, legt er den Hörer auf.

»Ist nicht mehr im Hause, Julian, tut mir leid.«

»Dann vielleicht morgen, Wolfram.« Der Kommissar erhebt sich. »Komische Sache, dieser Unfall. Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, daß sich der Mann in Gesellschaft befunden hat. Ich kann mich auch irren.« Er hebt ratlos die Schultern. »Na, mal weitersehen. Bis morgen, Wolfram.«

Er reicht Romberg die Hand. Sie fühlt sich eiskalt an. Auch die Farbe hat er gewechselt. Reimund betrachtet den Arzt besorgt.

»Du scheinst mir übermüdet, alter Junge.« Er lacht leise, unterdrückt und unbefangen auf. »So ein Nachtdienst hat es meist in sich. Kenne ich. Also, Wolfram, gute Nacht.«

Romberg begleitet den sympathischen Kriminalbeamten bis zum Ausgang. Er steht noch unter der überdachten Auffahrt, als die kräftige Gestalt Reimunds längst verschwunden ist.

Blitzartig werden ihm die Zusammenhänge klar.

Dr. Freytag war in Stückers Wagen. Deshalb seine Beschuldigung: »Ich habe ihn umgebracht.« Vielleicht hat er selbst am Steuer gesessen? Betrunken war er auch! Er sieht das jammervolle Bild Freytags wie eine Vision vor sich. Die blutende Wunde über der Nase, das wirre Haar, das todblasse Gesicht, die glasigen Augen.

Er wird einfach nicht fertig mit den Stückers.

Der Name verfolgt ihn heute förmlich.

Mein Gott! Freytag ist erledigt, wenn das bekannt wird. Was wird der Professor dazu sagen?

Tiefbekümmert sucht er sein Zimmer auf, das ihm für die Zeit des Nachtdienstes zur Verfügung steht. Es ist leer. Nur die kleine Lampe brennt noch. Der Kaffeetisch ist abgeräumt. Und etwas von dem Duft der Ärztin, dezent und angenehm, liegt noch in der Luft.

Wie zerschlagen läßt er sich nieder.

Was soll er tun? In seine Hand ist es gegeben, Freytag zu schonen. Bilder ziehen an ihm vorüber. Er denkt an die liebevoll besorgte Mutter Freytags, die sich das Studium des Sohnes buchstäblich vom Munde abgespart hat, bis Christiana die glänzende Partie machte. Es ist alles getan worden, damit Martin Freytag Medizin studieren konnte. Vielleicht hat Christiana sogar des Bruders wegen den reichen Stücker geheiratet?

Daß Freytag betrunken und verspätet zum Nachtdienst erschienen ist, ist eine interne Angelegenheit des Krankenhauses, die notfalls nicht einmal der Professor zu erfahren braucht. Daß er aber, so wie er im Augenblick die Sache übersehen kann, bei dem Unfall Stückers dabei war und sich der Verantwortung durch Flucht entzogen hat, das kann Martin Freytag Kopf und Kragen kosten. In diesem Falle wäre er als Arzt erledigt.

Aber – ist es auch so?

Romberg findet keine Ruhe. Er springt auf und beginnt eine ruhelose Wanderung. Hin und her überlegt er, und immer wieder kommt er zu dem einen Gedanken zurück:

Ich muß mir Gewißheit verschaffen! Ich muß wissen, was los ist!

Doktor Romberg sucht Zimmer 22 auf, gibt der wachenden Schwester einen Wink und nimmt deren Platz ein.

Stundenlang verharrt er, tief in Gedanken versunken.

*

Auch Christiana Stücker hat in dieser Nacht keinen Schlaf bekommen. Gegen morgen erhebt sie sich aus ihrer unnatürlichen Starre, nimmt ein erfrischendes Bad und hüllt sich in einen leichten, langfließenden Morgenrock.

Dann geht sie, was sie selten tut, in die Küche und bestelIt sich starken Kaffee.

Das Mädchen deckt ihr in ihrem Zimmer am Fenster den Tisch, aber Christiana nimmt nur schluckweise den Kaffee zu sich.

Sie wartet und wartet und weiß nicht auf was. Manchmal steht sie auch auf und geht ein paarmal im Zimmer umher. Aber es treibt sie wieder zurück an ihren Fensterplatz.

Und dann weiß sie plötzlich, auf was sie gewartet hat. Sie sieht einen hochgewachsenen Mann im hellgrauen Anzug die Auffahrt heraufkommen. Ganz langsam geht er und sieht sich aufmerksam in dem parkähnlichen Garten um. Über die Fassade des modernen Wohnhauses geht sein Blick, und dann verschwindet er unter dem überdachten Eingang.

Christiana steht mitten im Zimmer, die Hand auf das Herz gepreßt, als ihr Doktor Romberg gemeldet wird.

»Ich lasse bitten.«

Romberg folgt dem Mädchen auf dem Fuße. Er wartet, bis hinter ihm die Tür ins Schloß fällt, dann geht er Christiana entgegen.

»Guten Morgen, gnädige Frau.«

»Wolfram – du?« Sie beginnt zu zittern. Sein Gesicht trägt einen unheilverkündenden Ausdruck. »Was gibt es? Ist – etwas mit meinem Mann?«

Warum zittert sie? durchzuckt es ihn. Sorgt sie sich um ihren Mann? Ist doch noch etwas von Gefühl in ihr, dem Manne gegenüber, der sie aus Armut, Not und Entbehrung geholt hat?

»Ihrem Gatten geht es den Verhältnissen entsprechend gut. Ich werde ihn im Laufe des Vormittags noch einmal röntgen müssen. Dann werden wir weiter sehen. Mein Besuch gilt Ihrem Bruder.« Seine Stimme klingt ruhig und sachlich. »Ich vermute ihn bei Ihnen. Das stimmt doch?«

»Willst du nicht Platz nehmen, bitte!« Sie weist auf den Sessel ihr gegenüber. »Ich werde meinem Bruder Bescheid sagen lassen.«

»Moment!« Er hält sie am Arm zurück. »Bitte, zeigen Sie mir den Weg zu ihm. Meine Zeit ist kurz bemessen.«

Sie sieht ihn groß und anklagend an. Mit stoischer Ruhe bleibt er beim »Sie« und einmal –?

Sie holt tief Atem. Es klingt wie unterdrücktes Schluchzen. Sie hat sich aber ganz fest in der Hand.

»Bitte!« fordert sie ihn tonlos auf und geht ihm voran, über den breiten, teppichbelegten Korridor, an dessen Ende sie eine Tür öffnet. Sie wendet sich Romberg zu. »Ich darf doch bei der Unterredung dabei sein?«

Er überlegt kurz. »Was ich mit Ihrem Bruder zu sprechen habe, geht eigentlich nur uns beide etwas an. Aber, wenn Sie es wünschen.«

»Ja – ich bitte darum«, fällt sie ihm rasch ins Wort, und sie treten ein.

Romberg bleibt nahe der Tür stehen. Noch liegt ein Dunst von Alkohol im Zimmer. Christiana wirft rasch die Gardinen zur Seite und öffnet die Fenster. Sonne und frische Luft dringen ein, und Romberg kann die Einrichtung des Zimmers erkennen. Es ist ein sehr luxuriös ausgestatteter Raum. Glänzende Mahagonimöbel, dicke echte Teppiche. Eine breite Couch, seidebezogen wie die Sesselgruppe. Ein Schreibtisch, schräg ins Zimmer gestellt, mit allerlei Papieren bedeckt.

So wohnt ein Assistenzarzt mit einem dürftigen Gehalt? Und das alles durch die Güte des Mannes, der schwerverletzt in seinem Krankenhaus liegt.

Sein Mund verzieht sich verächtlich, als er bemerkt, wie sich Christiana viel Mühe gibt, ihren Bruder wach zu bekommen.

Endlich richtet er sich auf, blickt verstört um sich. Sie rüttelt ihn an den Schultern vollends wach.

»Martin, mein Gott, hörst du denn nicht? Doktor Romberg ist da und will mit dir sprechen.«

»Wie – bitte –?« Mit beiden Händen fährt er sich durch das wirre Haar, und da entdeckt er die reglose Gestalt nahe der Tür. Im Nu ist er hellwach. »Hol mir den Bademantel«, raunt er Christia-na zu, und diese fliegt beinahe davon, kehrt sofort zurück und wirft den Mantel auf sein Bett.

»Augenblick«, murmelt Freytag.

Romberg durchmißt das Zimmer und stellt sich an das geöffnete Fenster, ihm somit Zeit lassend, sich etwas zu erfrischen.

»Wollen Sie nicht doch Platz nehmen?« hört er Christiana leise sagen. Sie hat jetzt auch eine Mauer gegen ihn aufgerichtet. Sie fühlt, von ihm kommt Unheil. Sie muß wachsam sein, sehr wachsam. Noch weiß sie nicht, um was es geht.

Langsam, zögernd läßt Romberg sich nieder, und da kehrt Martin aus dem Bad zurück. Er ist bleich. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Er blickt verstört von seiner Schwester zu Romberg. Manchmal gleitet sein Blick ab und sucht seinen Schreibtisch. Aber der Weg dorthin ist ihm versperrt.

»Ich hatte heute nacht noch interessanten Besuch, Freytag«, beginnt Romberg ruhig und sachlich. »Kommissar Reimund von der Kriminalabteilung war bei mir.«

»Nein –!« Christiana hat es beinahe geschrien.

Romberg überhört ihren Einwurf. Er neigt sich etwas vor. »Man vermutet, daß Ihr Schwager nicht allein im Wagen gesessen hat, Freytag. Es käme Fahrerflucht in Frage, zumindest aber hätte ein Arzt, der sein Begleiter war, pflichtvergessen gehandelt. Er wäre erledigt. Wollen Sie nicht die Wahrheit sagen, Freytag?«

Freytag spürt, wie ihm die Knie weich werden. Er wirft einen hilfeflehenden Blick nach seiner Schwester, und diese hat sofort begriffen. Sie greift ein.