0,49 €
In "Väter und Söhne", einem herausragenden Werk von Iwan Sergejewitsch Turgenew, wird der Konflikt zwischen Generationen eindrucksvoll thematisiert. Im Zentrum der Handlung steht der junge nihilistische Protagonist Jewgeni Bazarow, der die Werte seiner Eltern und der älteren Generation in Frage stellt. Turgenews moderner, psychologisch präziser Schreibstil spiegelt die Spannungen der russischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert wider und lädt den Leser dazu ein, über die Pflichten und Ideale der Jugend nachzudenken, während er gleichzeitig die Nostalgie und die Herausforderungen des Alterns thematisiert. Die durchdachte Charakterisierung und der Gesellschaftskritik verleihen dem Roman eine zeitlose Relevanz. Iwan Sergejewitsch Turgenew, als einer der bedeutendsten Schriftsteller des Realismus, hat diese spannende Generationendebatte möglicherweise durch seine eigenen Erfahrungen mit gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen in Russland inspiriert. Geboren in eine wohlhabende Familie, erforschte er das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, was sich in seiner Schriftkunst und seinen komplexen Charakteren widerspiegelt. Seine Reisen nach Westeuropa und die Auseinandersetzung mit den Ideen der Aufklärung prägten seine Perspektiven und flossen direkt in die Erzählung von "Väter und Söhne" ein. Leser, die sich für die tiefen emotionalen und intellektuellen Kämpfe zwischen verschiedenen Generationen interessieren und sich mit den Herausforderungen der modernen Identität auseinandersetzen möchten, werden in "Väter und Söhne" auf fesselnde und erhellende Einsichten stoßen. Dieses Buch bietet nicht nur einen faszinierenden Einblick in die russische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, sondern ermutigt auch zu einem kritischen Nachdenken über die eigenen Werte und Überzeugungen. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Ein junger Mann tritt über die Schwelle eines alten Gutshauses, und mit ihm weht der scharfe Wind einer neuen Zeit durch die stillen Zimmer. In dieser Reibung zwischen Ankunft und Bestand, Aufbruch und Beharrung, entfaltet Väter und Söhne seine anhaltende Spannung. Iwan Sergejewitsch Turgenew verdichtet hier ein gesellschaftliches Beben zu einer familiären Begegnung, die wie ein Seismograph die Risse einer Epoche aufzeichnet. Das Bild ist schlicht, doch sein Nachhall tief: Die private Ordnung gerät ins Wanken, wenn Ideen an die Tür klopfen. Aus diesem Moment wächst ein Roman, der Fragen stellt, ohne einfache Tröstungen zu spenden.
Dass Väter und Söhne als Klassiker gilt, liegt an seiner seltenen Verbindung von Zeitdiagnose und literarischer Formvollendung. Das Buch prägte die Vorstellung von Generationenkonflikten, indem es nicht nur einen historischen Zustand beschreibt, sondern die Strukturen solcher Konflikte freilegt. Über die russische Literatur hinaus inspirierte es Autorinnen und Autoren, Figuren nicht als Thesenfiguren, sondern als lebendige Träger widerstreitender Überzeugungen zu zeichnen. Zugleich wurde der Roman zum Maßstab des realistischen Erzählens: klar, genau, empathisch, doch unbestechlich in der Beobachtung. Klassisch ist er, weil er wiederkehrt, wenn Gesellschaften ihre Fundamente befragen.
Turgenew veröffentlichte den Roman 1862 im Zeitschriftenkontext und noch im selben Jahr in Buchform, in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche im Russischen Reich. Die Reformen der 1860er Jahre, insbesondere die Emanzipation der Leibeigenen, formten den Hintergrund für die Verwerfungen, die der Roman aufgreift. Das Werk löste unmittelbar eine heftige Diskussion aus: Konservative wie Radikale fühlten sich herausgefordert. Nicht zuletzt popularisierte es den Begriff des Nihilismus in der öffentlichen Debatte. Dieser Publikationskontext ist zentral, denn die zeitnahe Resonanz gehört zum literarischen Befund: Turgenew schrieb kein Traktat, sondern eine konzentrierte Erzählung, die die Nervenspannung ihrer Gegenwart einfing.
Im Zentrum steht die Rückkehr eines jungen Studienabgängers auf das väterliche Landgut, begleitet von einem Freund, dessen nüchterne Denkweise und skeptische Haltung verführerisch und provokativ zugleich wirken. Aus der scheinbar beschaulichen Heimkehr wird eine Prüfung: der älteren Generation, die ihr Erbe bewahren will, und der jüngeren, die sich ihrer Ideen erst vergewissern muss. Turgenew zeigt Ankunft und Zusammenleben als Labor der Moderne, in dem alte Formen und neue Begriffe aufeinanderprallen. Der Roman entwirft so eine Ausgangslage, die ohne spektakuläre Mittel elektrisiert, weil sie das Alltägliche in den Brennpunkt des Umbruchs stellt.
Der titelgebende Fokus auf Väter und Söhne weist über Blutsbande hinaus auf Modelle von Autorität und Zugehörigkeit. Was verdanken Kinder ihren Eltern, und was schulden sie der Zukunft, die sie gestalten wollen? Gewohnheiten, Bildungsideale und Lebensentwürfe stehen zur Disposition, sobald die Achtung vor dem Überlieferten mit dem Drang zum Neuen kollidiert. Turgenew lotet diese Spannungen leise und hartnäckig aus. Er zeigt, dass Zuneigung und Differenz sich nicht ausschließen, sondern oft unentwirrbar miteinander verbunden sind. Die familiäre Konstellation wird zur Bühne einer gesellschaftlichen Selbstprüfung, deren Fragen sich nicht in raschen Entscheidungen auflösen lassen.
Besondere Schärfe erhält der Konflikt durch die Figur des jungen Nihilisten, der Autorität misstraut und nur anerkennt, was sich prüfen lässt. Das ältere liberale Ideal von Bildung, Kultur und Maß trifft auf eine Haltung, die Gefühl und Tradition unter Verdacht stellt. Doch Turgenew karikiert nicht; er prüft. Die Reibung produziert Erkenntnis, aber auch Verletzung. Das Buch fragt, was eine Idee wert ist, wenn sie in das konkrete Leben hineinragt. Aus Skepsis wird Ethik, aus Überzeugung eine Bewährungsprobe. Die Debatte bleibt nicht akademisch: Sie zeigt sich im Ton eines Gesprächs, im Blick, in der Art zu handeln oder zu schweigen.
Stilistisch verbindet Turgenew psychologische Delikatesse mit landschaftlicher Klarheit. Seine Prosa beobachtet genau, ohne zu drängen; sie vertraut darauf, dass Gesten, Gegenstände und Räume von selbst Bedeutung gewinnen. Der Realismus dieses Romans ist keine Inventarliste, sondern eine Schule der Aufmerksamkeit. Figuren werden nicht verurteilt, sondern begleitet, sodass ihre Widersprüche sichtbar werden. Gerade diese Zurückhaltung verleiht dem Text seine Kraft: Er zwingt Leserinnen und Leser, die eigenen Urteile zu prüfen. Zudem rahmen Naturbeschreibungen die inneren Bewegungen der Figuren und spiegeln, ohne zu erklären, eine Welt im Übergang.
Die gesellschaftliche Kulisse ist das Russland der Provinzen mit seinen Gütern, Salons und Universitätsstädten. Zwischen landwirtschaftlichem Alltag und städtischen Gesprächskreisen entfaltet sich eine Topografie der Unruhe. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Veränderungen der Zeit setzen Besitzverhältnisse, Lebensstile und Selbstbilder unter Druck. Turgenew zeigt die feinen Mechaniken sozialer Distanz ebenso wie die Beharrlichkeit von Gewohnheiten. In dieser Umgebung wird das Ringen um Begriffe – Freiheit, Nutzen, Fortschritt, Verantwortung – konkret. Die große Geschichte erscheint nicht als Dekor, sondern als leise Macht, die Entscheidungen beugt, Wörter umwertet und Beziehungen neu vermisst.
Die Figurenvielfalt des Romans erzeugt keine Typenrevue, sondern ein Ensemble von Blickwinkeln. Der junge Heimkehrer schwankt zwischen Bewunderung und Abgrenzung, der ältere Vater sucht Fassung in einer Zeit unklarer Regeln, ein Onkel verkörpert eine aristokratische Haltung im Selbstgespräch der Moderne. An der Seite steht der Freund, dessen radikale Nüchternheit zugleich anzieht und isoliert. Diese Konstellation macht sichtbar, wie Ideen an Menschen gebunden sind, mit all ihrer Wärme, ihrem Stolz, ihren Verletzlichkeiten. Turgenew gibt jeder Position Biografie, und gerade deshalb lassen sich die Fronten nicht sauber ziehen.
Die Wirkungsgeschichte des Romans ist außergewöhnlich. In Russland entfachte er eine Debatte, die weit über Literaturrezensionen hinausreichte, weil er einen Begriff und eine Figur prägte, die zum Prüfstein der Gegenwart wurden. Übersetzungen machten das Buch früh international bekannt und sicherten ihm einen Platz im Kanon des europäischen Realismus. Spätere Autorinnen und Autoren fanden in der Genauigkeit seiner Psychologie, der Ausgewogenheit seines Tons und der thematischen Weite ein Vorbild. Dass der Roman Widerspruch provozierte, zementierte seinen Rang: Ein Klassiker ist ein Werk, das Leserinnen und Leser zwingt, sich zu positionieren.
Heute zeigt Väter und Söhne seine Frische in der Art, wie es ideologische Gewissheiten befragt. Die Fragen nach Autorität und Autonomie, nach Nutzen und Sinn, nach Gefühl und Urteil sind keineswegs erledigt. Moderne Konflikte zwischen Generationen, Milieus und Wissensformen finden in Turgenews Szenen eine präzise Resonanz. Wer Technologien, Traditionen oder Werte ordnen will, steht vor ähnlichen Dilemmata wie die Figuren dieses Romans. Seine Zurückhaltung lädt zum Mitdenken ein; seine Genauigkeit schützt vor Vereinfachung. Darin liegt seine Aktualität: Er macht verständlich, warum überzeugte Menschen einander verfehlen – und wie Verständigung dennoch möglich bleibt.
Dieses Buch vereint erzählerische Klarheit, psychologische Tiefe und historische Wachheit zu einem seltenen Gleichgewicht. Es zeigt, wie Ideen leben, wenn sie Beziehungen durchqueren, und wie Biografien sich an Epochenkanten formen. Als Porträt einer Generation und als Studie über Verantwortung, Liebe, Freiheit und Zweifel besitzt Väter und Söhne eine Anziehungskraft, die nicht erlischt. Wer es liest, begegnet keiner These, sondern einer Welt. Darum ist es ein Klassiker: Es verändert, wie wir Konflikte sehen, ohne das Denken für uns zu erledigen. Und es bleibt fesselnd, weil es den Mut hat, die Antworten den Lesenden zu überlassen.
Zu Beginn kehrt Arkadij Kirsanow nach Abschluss seines Studiums auf das Landgut seines Vaters Nikolai Petrowitsch zurück. An seiner Seite ist sein Freund Jewgenij Basarow, ein selbstbewusster Medizinstudent, der sich als Nihilist bezeichnet und Autoritäten wie Kunst, Religion und Tradition demonstrativ verwirft. Die Rückkehr fällt in eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche: Die bäuerliche Ordnung wankt, Reformen zeichnen sich ab, und auch die Familie Kirsanow ringt mit Anpassung. Arkadij bewundert Basarows Klarheit und Radikalität, während sein Onkel Pawel Petrowitsch, ein Vertreter aristokratischer Etikette, die neue Haltung skeptisch beobachtet. So wird der Konflikt zwischen Generationen früh als zentrales Spannungsfeld angelegt.
Auf dem Gut prallen Alltagspraktiken und Ideen scharf aufeinander. Nikolai versucht, die Wirtschaft nach zeitgemäßen Methoden zu führen, ohne Altes ganz aufzugeben. Basarow jedoch misst allem nur Nutzen zu, belächelt Poesie und feinere Umgangsformen und beschäftigt sich lieber mit naturwissenschaftlichen Experimenten. Arkadij folgt seinem Vorbild, doch zwischen Bewunderung und eigenem Gefühl entsteht stiller Abstand. Gespräche über Bauernbefreiung, Eigentum und Zukunftsmodelle wechseln mit Szenen häuslicher Nähe. Die Figuren sind fest im ländlichen Rhythmus verankert, während ihre Überzeugungen in steten Debatten erprobt werden. Dabei schärfen sich Profil und Schlagkraft der Positionen, ohne dass die Handlung den privaten Rahmen verlässt.
Die Spannung zwischen Pawel Petrowitsch und Basarow verdichtet sich zu einem Muster aus ironischen Spitzen, Grundsatzreden und feiner Provokation. Pawel verteidigt Anstand, historische Bildung und persönliche Würde; Basarow kontert mit nüchterner Zwecklogik und skeptischer Analyse. In den stillen Räumen des Herrenhauses, im Garten und bei Tisch beleuchten sie verschiedene Russlands, das vergangene und das kommende. Arkadij gerät zwischen beide Pole: Loyalität zu seinem Freund einerseits, Zuneigung zur Familie andererseits. Auch leise Emotionen im Umfeld des Hauses, inklusive zarter Bindungen und unausgesprochener Erwartungen, verstärken die innere Reibung. Es wird deutlich, dass weltanschauliche Gegensätze bald konkrete Folgen nach sich ziehen könnten.
Ein Ortswechsel erweitert das Panorama. Arkadij und Basarow lernen in der Nachbarschaft eine junge Witwe, Anna Sergejewna Odinzowa, kennen, deren Ordnungsliebe und geistige Disziplin Basarow zugleich herausfordert und fasziniert. Gesellschaftliche Besuche, Gespräche in kultivierter Atmosphäre und beiläufige Bekanntschaften – darunter Annas jüngere Verwandte Katja – verschieben die Perspektiven. Theorien, die am Schreibtisch klar wirken, treffen auf lebendige Personen mit eigenem Takt. Basarows Selbstgewissheit gerät ins Prüfen, während Arkadij in neuen Kontakten eine ruhigere, weniger polemische Nähe entdeckt. Die Handlung verlagert sich vom Wortgefecht zum feinen Spiel von Blicken, Gesten und Anziehung, ohne dramatische Zuspitzung preiszugeben.
Der Aufenthalt auf Annas Landgut vertieft die inneren Konflikte. In konzentrierten Gesprächen über Langeweile, Pflicht und Freiheitsräume zeigt sich ein Unterschied zwischen gelebter Ordnung und theoretischer Verneinung. Basarow entdeckt an sich Regungen, die seine Doktrin nicht leicht fassen kann, und reagiert mit Distanz und Arbeitseifer. Arkadij dagegen findet zunehmend Sicherheit in stillen, praktischen Schritten und einer Aufmerksamkeit für Menschen statt Thesen. Die Begegnungen bleiben nüchtern, doch die Atmosphäre verdichtet sich: Zwischentöne, Pausen und unausgesprochene Entscheidungen markieren Wendepunkte. Ohne große Gesten entsteht eine stille Prüfung, die künftige Wege vorgibt, ohne ihre genauen Ziele schon offenzulegen.
Die Wege der Figuren trennen sich vorübergehend. Basarow besucht seine Eltern, Vasili und Arina, deren schlichte Wärme und sorgende Aufmerksamkeit den intellektuellen Eigensinn des Sohnes spiegeln und begrenzen. Das Familienbild zeichnet Respekt, Verlegenheit und Zuneigung in gleichen Teilen. Zugleich bleibt die Lage auf dem Kirsanow-Gut gespannt: Prinzipienfragen schlagen in konkrete Handlungen um, und persönliche Empfindlichkeiten verdichten sich zu einer formellen Auseinandersetzung. Arkadij bewegt sich zwischen Loyalitäten und tastet seine Rolle als junger Gutsherr ab. Insgesamt verschiebt sich der Schwerpunkt von Debatte zu Entscheidung, wobei die Erzählung ihre Figuren behutsam an kritische Schwellen heranführt.
Nach den Trennungen folgt eine Phase der Selbstprüfung. Arkadij erwägt, wie Verantwortung, Arbeit und persönliche Bindung ohne große Worte zusammenfinden können. Basarow vertieft sich in ärztliche Praxis und Naturstudien, doch die Grenzen einer rein negativen Position werden sichtbarer: Nicht alles lässt sich auf Nutzen und Zerlegung reduzieren. Unaufdringlich zeichnet der Roman das soziale Umfeld der Reformzeit: Wandel der Besitzverhältnisse, vorsichtige Experimente neuer Landbewirtschaftung, Andeutungen städtischer Einflüsse. Zugleich treten charakterliche Unterschiede klarer hervor. Ideale bleiben wichtig, aber die Personen suchen Formen, in denen sie tragfähig werden – im Alltag, in kleinen Entscheidungen, im Umgang miteinander.
Eine Kette von Ereignissen stellt die bisherigen Gewissheiten auf die Probe. Berufliche Risiken, erneute Begegnungen und die Klärung schwelender Spannungen verlangen rasche, verantwortliche Schritte. Loyalitäten werden benannt, persönliche Grenzen erkannt. Ohne die entscheidenden Wendungen vorwegzunehmen, führt die Handlung ihre Figuren an Punkte, an denen Wahl, Zufall und Charakter zusammenwirken. Beziehungen ordnen sich neu, und manches Wort erhält im Rückblick anderes Gewicht. Dabei bleiben Gestus und Ton zurückhaltend: Keine pathetische Geste überdeckt, dass es um Konsequenz im Konkreten geht. So entsteht eine ruhige, dennoch eindringliche Zuspitzung, die den ideellen Streit auf die Ebene gelebter Erfahrung holt.
Am Ende vermittelt der Roman eine klare Botschaft: Fortschritt und Tradition stehen einander nicht als Schlagworte gegenüber, sondern als Lebensformen, die im Menschen selbst kollidieren und sich versöhnen müssen. Turgenew zeigt, dass Ideen Kraft entfalten, doch erst im Kontakt mit Zuneigung, Verantwortung und Vergänglichkeit verlässlich Maß gewinnen. Generationenwandel erscheint als Reibung, aber auch als Kontinuität, die Spielräume öffnet, ohne Herkunft zu leugnen. Die Figuren finden Wege, die nicht spektakulär, sondern tragfähig sind. So kondensiert Väter und Söhne zu einer Erzählung über Erwachsenwerden, Maßhalten und die leise Arbeit des Herzens in einer Zeit schneller Umbrüche.
Der Roman spielt in den Jahren unmittelbar vor und nach 1861 in der russischen Provinz, vornehmlich auf Landgütern des Adels und in kleineren Kreisstädten Zentralrusslands. Die geografische Kulisse erinnert an Regionen wie Orel, Tula oder Kursk, während St. Petersburg als intellektuelles und administratives Zentrum im Hintergrund präsent bleibt. Die Wege der Figuren führen entlang neu entstehender Verkehrsachsen zwischen Universität, Beamtenwelt und Gutswirtschaft. Die Jahreszeiten, Ackerzyklen und sozialen Rituale der Gutsdörfer prägen das Tempo der Handlung. Diese räumlich-zeitliche Verortung spiegelt ein Russland im Übergang, in dem alte feudale Strukturen auf die Dynamik reformorientierter Politik treffen.
Gesellschaftlich markiert die Zeit eine Spannung zwischen der Lebensform der Gutsbesitzer und dem wachsenden Einfluss urbaner Bildung sowie naturwissenschaftlicher Denkweisen. Serfische Abhängigkeiten bestimmen vielerorts noch den Alltag, zugleich dringen Nachrichten über Reformprojekte bis in die entlegensten Kreise. Universitäten in St. Petersburg und Moskau werden zu Brennpunkten neuer Ideen, die in den Provinzen auf traditionelle Autoritäten stoßen. Die familiären Arrangements der Landadligen, einschließlich Verbindungen mit bäuerlichen Frauen, stehen für komplexe soziale Grenzbereiche. Zugleich verweisen das Anwesen, die Dorfgemeinde und die Kreisverwaltung auf Institutionen, die ab 1861 in eine neue rechtliche Ordnung überführt werden.
Die Bauernbefreiung von 1861 bildet den zentralen historischen Rahmen. Nach dem desaströsen Krimkrieg setzte Alexander II. 1857 ein Geheimkomitee ein und ließ 1858–1859 in den Provinzen Adelskomitees über die Modalitäten beraten. Unter Leitung von Graf Rostovtsev erarbeitete die Redaktionelle Kommission in St. Petersburg die gesetzlichen Grundlagen. Das Manifest vom 19. Februar 1861 (3. März nach gregorianischem Kalender) entließ etwa 22,5 Millionen leibeigene Bauern in die persönliche Freiheit. Der Prozess war kompliziert, regional unterschiedlich und durch Übergangsfristen gekennzeichnet. Im Roman spiegeln die Unsicherheit der Gutsbesitzer und die Erwartungen der Dorfbevölkerung genau diese Übergangslage.
Die Reform sah Landzuteilungen, aber auch langjährige Ablösezahlungen vor: Bauern erhielten Nutzungsrechte und mussten die Grundeigentümer mittels staatlich garantierter Rückzahlungsraten, oft über 49 Jahre bei fixiertem Zinssatz, kompensieren. Die Phase der sogenannten zeitweilig verpflichteten Bauern hielt alte Abgabenformen zum Teil fort. Neu entstanden Dorfgemeinden, Volostversammlungen und die Institution der Friedensvermittler als Schiedsinstanzen. Diese juristisch-ökonomische Architektur veränderte Macht und Alltag auf den Gütern grundlegend. Figuren, die mit Pacht, Rentabilität und Arbeitsorganisation ringen, machen im Roman sichtbar, wie abstrakte Paragraphen in konkrete Spannungen zwischen Adeligen und Bauern übersetzt wurden.
Die unmittelbaren Folgen der Reform waren widersprüchlich. 1861–1863 kam es zu Unruhen, weil Zuteilungen als unzureichend galten und Rechte unklar blieben; Friedensvermittler mussten häufig eingreifen. Die adelige Gutswirtschaft verlor billige Zwangsarbeit, während Bauern in die Schuldenfalle der Ablösen gerieten. Der Handlungshintergrund zeigt Gutsherren, die zwischen liberaler Rhetorik und ökonomischer Realität schwanken, und Bauern, die Erwartungen mit Misstrauen mischen. Auch die informellen Beziehungen zwischen Ständen – etwa adelige Väter mit bäuerlichen Partnerinnen – wirken vor diesem Normenwechsel brisant. Der Roman verknüpft private Entscheidungen mit dem juristischen und sozialen Umbau, den das Jahr 1861 anstieß.
Der Krimkrieg 1853–1856 war ein geopolitischer Schock. Die Niederlage gegen eine Koalition aus Großbritannien, Frankreich, dem Osmanischen Reich und Sardinien, die Belagerung von Sewastopol (1854–1855) und der Frieden von Paris (März 1856), der die Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres erzwang, entlarvten strukturelle Schwächen des Reiches. Logistik, Verwaltung und Armee erschienen reformbedürftig. Dieser militärische Bankrott delegitimierte das System Nikolaus’ I. und bestärkte die Reformbereitschaft Alexanders II. Im Roman hallt dieses Klima wider: Die ältere Generation verteidigt Ordnung und Ehre, doch der junge Skeptizismus speist sich aus dem offensichtlichen Versagen der alten Strukturen.
Die Großen Reformen Alexanders II. rahmen das Jahrzehnt: neben der Bauernbefreiung die Justizreform von 1864 (öffentliche, unabhängige Gerichte, Schwurgerichte), die Einrichtung der Zemstvos 1864 als gewählte lokale Selbstverwaltungen, Militärreformen (etwa allgemeine Wehrpflicht 1874) und schrittweise Lockerungen der Zensur (Statut von 1865). Schon vor ihrer Umsetzung prägten diese Projekte die öffentliche Debatte. Im Roman finden sich Reflexe dieser Reformagenda: Diskussionen über Verwaltung, Recht, Eigentum und gesellschaftliche Verantwortung spiegeln, wie Adelige und Gebildete in den Provinzen die Ankunft neuer Institutionen und Pflichten antizipierten – oft mit gemischten Gefühlen.
Die Entstehung des Nihilismus als jugendliche Weltanschauung der 1860er war eine soziale Tatsache. Der Begriff kursierte seit den 1830ern, wurde aber um 1860 zum Schlagwort für die radikale Ablehnung überlieferter Autoritäten. Naturwissenschaften, materialistische Philosophie und Utilitarismus gewannen an Prestige. Publizisten wie Dmitri Pisarjew (Russkoje Slowo), Nikolai Dobroljubow und Alexander Herzen popularisierten den Vorrang von Vernunft, Nutzen und Fakten. Bazarow verkörpert diesen Typus: ausgebildet in Medizin, verachtet er Standesprivilegien und ästhetisches Schwärmen. Der Roman macht so sichtbar, wie eine neue Wissenskultur die sozialen Hierarchien der Gutswelt infrage stellte.
Universitäten wurden zum Brennpunkt: 1861 kam es in St. Petersburg zu Protesten und Schließungen; Disziplinarstrafen und Exmatrikulationen folgten. 1862 wurden nach den Petersburger Bränden radikale Kreise scharf verfolgt; Nikolai Tschernyschewski wurde 1862 verhaftet. Solche Ereignisse verschränkten studentische Lebenswelten mit Polizei und Zensur. Im Roman erscheinen junge Männer, die zwischen Hörsaal, Labor und Landgut pendeln, als Träger sozialer Sprengkraft. Ihre Skepsis gegenüber Amt und Kirche lässt sich vor dem Hintergrund universitärer Konflikte und repressiver Reaktionen lesen, die die Kluft zwischen Generationen und Milieus vertieften.
Die ideenpolitische Auseinandersetzung zwischen Westlern und Slawophilen der 1840er–1860er bot den Resonanzraum, in dem die Figuren denken. Slawophile wie Alexej Chomjakow und Iwan Kirejewski betonten Gemeinde, Orthodoxie und Eigenweg Russlands; Westler wie Timofei Granowski, Konstantin Kawelin und Alexander Herzen plädierten für Rechtsstaat, Bürgerfreiheiten und europäische Institutionen. Diese Debatten betrafen Staatsform, Eigentum und Moral und reichten in die Salons und Universitäten hinein. Im Roman kollidiert ein aristokratischer Ehrenkodex mit nüchterner Rationalität – ein literarisches Echo realer Konfliktlinien, die den Kurs des Reiches in den Reformjahren mitbestimmten.
Die ökonomische Lage des Adels verschlechterte sich in den 1850ern. Viele Güter waren hoch verschuldet; Erträge hingen vom volatilen Getreideexport ab, während Produktivitätsfortschritte ausblieben. Nach dem Krieg drückten Finanzreformen und Währungsschwankungen, 1860 wurde die Staatsbank gegründet. Mit der Befreiung entfiel die Zwangsarbeit, Pachten und Lohnarbeit mussten organisiert, Rechnungen geführt, Märkte erschlossen werden. Im Roman zeigen Managementversuche, Kreditfragen und familiäre Belastungen die strukturelle Überforderung vieler Gutsbesitzer. Die wirtschaftliche Rationalisierung, die junge Pragmatiker forderten, stand im Kontrast zu Gewohnheit und Statusdenken der älteren Generation.
Infrastruktur und Kommunikation wandelten Alltagsrhythmen. Die Nikolaibahn zwischen St. Petersburg und Moskau eröffnete 1851; bis 1860 entstanden mehrere tausend Kilometer Schienen- und Telegrafenlinien, die Verwaltung, Handel und Nachrichten beschleunigten. Reisen zwischen Hauptstadt und Provinz wurden berechenbarer, Ideen zirkulierten schneller. Im Roman erleichtern Poststrecken, Dampfschiffe und Eisenbahn die Bewegung der Akteure zwischen Universität, Kurorten und Landgütern und verbinden private Biografien mit einem beschleunigten, nationalen Kommunikationsraum. Diese Mobilität trug dazu bei, dass ideologische Gegensätze nicht isoliert blieben, sondern auf den Gütern konkret ausagiert wurden.
Der medizinische Sektor befand sich im Übergang. Cholera-Ausbrüche 1848–1851 belasteten Verwaltung und Ärzte; Krankenhäuser waren häufig überfüllt, Hygienestandards unzureichend. Die klinische Ausbildung wurde ausgebaut, doch antiseptische Verfahren setzten sich erst nach Joseph Listers Arbeiten ab 1867 durch. Infektionen bei Sektionen waren verbreitet. Bazarows Tätigkeit als Arzt in Ausbildung, seine Obduktionen und sein tödlicher Infektionsunfall verweisen auf diese riskante Praxis. Der Roman bindet so den Glauben an Wissenschaft an die realen Grenzen zeitgenössischer Medizin und zeigt, wie soziale Mission und persönliches Scheitern im institutionellen Rahmen kollidierten.
Zensur und Polizei prägten die Öffentlichkeit. Nach den restriktiven Statuten von 1826 und 1828 unterhielt das Regime ein dichtes Überwachungssystem; erst 1865 wurde das Pressegesetz gelockert, blieb aber schwankend. 1852 wurde Turgenjew kurzzeitig verhaftet und auf sein Gut verwiesen, nachdem er einen Nachruf auf Gogol publiziert hatte – ein Signal für die Härte der Zensur. 1862 erschien Väter und Söhne im Russkij Westnik und provozierte heftige Reaktionen, während die Behörden nach Unruhen zugleich gegen radikale Blätter vorgingen. Das Buch steht damit in einem Diskursraum, den staatliche Kontrolle und publizistische Kämpfe strukturieren.
Die Dorfgemeinde, der Mir, regelte Allokation und Verantwortung. Nach 1861 wurden Volostverwaltungen und Friedensgerichte eingerichtet; Gemeindeland blieb vielfach kollektiv, Verpflichtungen gegenüber Fiskus und Gutsherren wurden neu definiert. Umlagen, Feldumlagen und Rotationen strukturierten bäuerliche Ökonomie, die zugleich Steuern und Ablösen tragen musste. Im Roman fungieren Gespräche über Erträge, Arbeitskräfte und Dorfautoritäten als Indikatoren für die Reibung zwischen Gemeindepraxis und modernem Management. Skepsis gegenüber der moralischen Autorität der Gemeinde einerseits und der paternalistischen Rolle des Adels andererseits verweist auf die Suche nach tragfähigen lokalen Ordnungen.
Das Buch wirkt als scharfe Zeitdiagnose, indem es das Autoritätsvakuum der 1860er freilegt. Der aristokratische Ehrenkodex, symbolisiert durch Duell und Etikette, erscheint moralisch verarmt und politisch ineffizient. Zugleich entlarvt die Figur des Nihilisten die Grenzen einer rein destruktiven Vernunft, die soziale Bindungen und menschliche Verletzlichkeit unterschätzt. In den Dialogen über Eigentum, Recht und Gemeinwohl bündelt der Roman die Kernfragen der Reformära: Wer trägt Verantwortung in einer Gesellschaft im Umbau, und auf welcher normativen Grundlage? Indem private Konflikte in öffentliche Fragen überführt werden, wird implizite politische Kritik formuliert.
Besonders die Bauernbefreiung erscheint als ambivalente Errungenschaft: juristisch modern, sozial unvollendet. Der Roman zeigt die Schattenseiten von Ablösen, unklaren Rechten und ökonomischem Druck, ohne in romantische Vergangenheitssehnsucht zu verfallen. Er kritisiert Klassenprivilegien, offenbart patriarchale Verhältnisse und thematisiert die Fragilität lokaler Justiz. Gleichzeitig hinterfragt er die Selbstgewissheit der neuen Generation, die Gesellschaft mit naturwissenschaftlicher Methode allein umbauen zu können. So macht das Werk die großen Probleme seiner Epoche sichtbar: den mühsamen Ausgleich zwischen Freiheit und Ordnung, Recht und Bedürfnis, Stadt und Land – und die politischen Konflikte, die daraus erwachsen.
Iwan Sergejewitsch Turgenew (1818–1883) gilt als einer der prägenden Vertreter des russischen Realismus und als Vermittler zwischen russischer und westeuropäischer Literatur. Sein Werk verbindet psychologische Feinzeichnung mit scharfer sozialer Beobachtung und einer liberalen, westlich orientierten Grundhaltung. Mit Erzählungen, Romanen und Bühnenstücken prägte er die Diskussion über Generationen, Reformen und die Rolle der Intelligenzija im 19. Jahrhundert. Zu seinen meistgelesenen Arbeiten zählen die Aufzeichnungen eines Jägers, die Romane Rudin, Ein Adelsnest, Am Vorabend und Väter und Söhne sowie das Schauspiel Ein Monat auf dem Lande. Seine internationale Vernetzung trug maßgeblich zur europäischen Rezeption russischer Literatur bei.
Turgenew entstammte dem Landadel und erhielt eine klassische Bildung. Er studierte zunächst in Moskau und Sankt Petersburg und setzte seine Ausbildung in den späten 1830er-Jahren an der Universität Berlin fort, wo ihn deutsche Philosophie und Geschichtswissenschaft prägten. Die Begegnung mit dem Kritiker Wissarion Belinski schärfte sein Verständnis der gesellschaftlichen Aufgabe der Literatur. Früh verfasste er Lyrik und Übersetzungen, wandte sich jedoch bald der Prosa zu. Zu den literarischen Einflüssen zählen Puschkin und Gogol sowie westliche Autoren, deren realistische Verfahren er produktiv an russische Stoffe anpasste. Diese intellektuelle Grundierung erklärte seine Position im zeitgenössischen Streit zwischen Westlern und Slawophilen.
Der Durchbruch gelang Turgenew mit den Aufzeichnungen eines Jägers, deren Naturschilderungen und Figurenporträts die Lebenswelt auf dem Land mit ungewöhnlicher Empathie darstellten. Die Sammlung, in den frühen 1850er-Jahren geschlossen rezipiert, beeinflusste die öffentliche Meinung über die Leibeigenschaft und machte ihren Autor weithin bekannt. Zugleich erlebte er Konflikte mit der Zensur; eine öffentlich formulierte Huldigung an Nikolai Gogol führte zu einer zeitweiligen Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit auf dem Familiengut. In dieser Phase entwickelte er seine charakteristische, knappe Prosa und verfasste Texte wie Das Tagebuch eines überflüssigen Menschen sowie das später berühmt gewordene Bühnenstück Ein Monat auf dem Lande.
In den darauffolgenden Jahren veröffentlichte Turgenew eine Reihe von Romanen, die das geistige Klima seiner Epoche einfingen. Rudin beleuchtet die Figur des wortmächtigen, aber tatunsicheren Intellektuellen; Ein Adelsnest entwirft ein prägnantes Bild der Gutswelt; Am Vorabend reflektiert die Erwartung von Veränderung. Väter und Söhne wurde zu seinem meistdiskutierten Werk, nicht zuletzt weil es den Begriff Nihilismus im öffentlichen Diskurs popularisierte und einen Generationskonflikt mustergültig bündelte. Die Romane verbanden psychologische Genauigkeit mit gesellschaftlicher Diagnose und lösten kontroverse Reaktionen aus – von begeisterter Zustimmung bis zu scharfer Kritik aus unterschiedlichen ideologischen Lagern.
Auch in seinen späteren Prosaarbeiten behielt Turgenew den Fokus auf soziale und moralische Spannungen. Die Romane Rauch und Neuland nahmen politische Stimmungen, Emigrationserfahrungen und populistische Strömungen ins Visier, ohne doktrinär zu argumentieren. Im erzählerischen Kurzformat erreichte er besondere Eindringlichkeit: Novellen wie Asja und Erste Liebe zeigen seine Begabung für Andeutung und psychologischen Subtext. Spät entstanden die Prosagedichte, eine Folge knapper, kontemplativer Stücke, die poetische Verdichtung mit Reflexion verbinden. In Essays und Vorträgen – etwa Hamlet und Don Quijote – ordnete er Charaktertypen und kulturelle Haltungen vergleichend, was seine Rolle als Beobachter europäischer Ideenwelt unterstrich.
Turgenew verbrachte lange Zeiträume in Westeuropa, vor allem in Deutschland und Frankreich, wo er in literarischen Kreisen verkehrte und enge künstlerische Freundschaften pflegte. Seine Verbundenheit mit der Sängerin Pauline Viardot ist gut dokumentiert; in ihrem Umfeld fand er ein dauerhaftes Arbeits- und Austauschmilieu. Er stand mit Autorinnen und Autoren wie Gustave Flaubert, Émile Zola, Guy de Maupassant und Henry James in persönlichem Kontakt und vermittelte russische Literatur in Salons und Zeitschriften. Zugleich blieb er innerhalb Russlands präsent, indem er jüngere Schriftsteller unterstützte und Debatten verfolgte. Diese Mittlerrolle prägte sein Selbstverständnis ebenso wie sein internationales Ansehen.
In den späten Jahren litt Turgenew unter gesundheitlichen Problemen, arbeitete jedoch kontinuierlich weiter und sah sein Werk breit übersetzt und diskutiert. Er starb 1883 im französischen Bougival; seine sterblichen Überreste wurden nach Russland überführt und in Sankt Petersburg beigesetzt. Sein Vermächtnis beruht auf der Verbindung von stilistischer Klarheit, moderater Liberalität und einem feinen Gespür für gesellschaftliche Übergänge. Viele seiner Figuren und Begriffe sind in den allgemeinen Diskurs eingegangen, und seine Texte bleiben für die Geschichte des Realismus ebenso wichtig wie für die Gegenwartsliteratur. In Forschung und Unterricht gilt er bis heute als Schlüsselautor des 19. Jahrhunderts.
Inhaltsverzeichnis
»Nun, Peter, siehst du noch nichts?« So fragte – es war am 20. Mai 1859 – auf der Landstraße nach X… in Rußland ein Mann von 45 Jahren, der in einem Paletot und karierten Beinkleidern, barhäuptig und staubbedeckt vor der Tür einer Schenke stand. Der Bediente, an den er diese Frage richtete, war ein junger blonder Mensch mit vollen Backen und kleinen matten Augen, dessen rundes Kinn ein farbloser Flaum bedeckte. –
Alles an diesem Bedienten, von den pomadisierten Haaren und den mit Türkisen geschmückten Ohrringen an bis zu seinen studierten Bewegungen, verriet einen Diener von der neuen Fortschrittsgeneration. Aus Rücksicht für seinen Herrn blickte er herablassend auf die Landstraße und antwortete mit Würde:
»Man sieht absolut nichts!«
»Nichts?« fragte der Herr. –
»Absolut nichts!« wiederholte der Diener. –
Der Herr seufzte und ließ sich auf die Bank nieder. – Während er so mit übergeschlagenen Beinen dasitzt und seine Augen nachdenklich umherschweifen läßt, wollen wir die Gelegenheit benutzen, den Leser mit ihm bekannt zu machen.
Er heißt Nikolaus Petrowitsch Kirsanoff und besitzt fünfzehn Werst von der Schenke ein Gut mit 200 Bauern; dort hat er (wie er sich auszudrücken beliebt, seit er sich der neuen Ordnung gemäß mit ihnen arrangierte) eine »Pachtung« errichtet, die 2000 Dessätinen umfaßt. Sein Vater, einer unserer Generale von 1812[1], ein Mann von wenig Bildung, sogar roh, ein Russe vom reinsten Wasser, aber ohne einen Schatten von Bösartigkeit, war unter dem Harnisch ergraut. Zum Brigadegeneral und später zum Kommandanten einer Division ernannt, bewohnte er die Provinz, wo er mit Rücksicht auf seinen Rang eine ziemlich bedeutende Rolle spielte. Nikolaus Petrowitsch, sein Sohn, war in Südrußland geboren, ebenso dessen älterer Bruder Paul, auf den wir noch zu sprechen kommen. Er war bis zum Alter von 14 Jahren von Hofmeistern erzogen worden, je billiger, desto besser, umgeben von knechtisch willfährigen Adjutanten und anderen Individuen von der Intendanz oder dem Generalstab. Seine Mutter, eine geborene Koliasin, die unter dem väterlichen Dach Agathe geheißen, hatte verheiratet den Namen Agathokleia Kuzminischna angenommen und verleugnete in nichts das Auftreten, welches die Frauen der höheren Offiziere charakterisiert; sie trug prachtvolle Hüte und Hauben, rauschende seidene Roben, trat in der Kirche immer zuerst vor, um das Kreuz zu küssen, sprach viel und sehr laut, reichte alle Morgen ihren Kindern die Hand zum Kuß und gab ihnen jeden Abend ihren Segen; mit einem Wort – sie war die große Dame der Provinzialhauptstadt. Obwohl Nikolaus Petrowitsch für eine Memme galt, so wurde er doch als der Sohn eines Generals gleich seinem Bruder Paul zum Militärdienst bestimmt, allein am selben Tage, an dem er zum Regiment einrücken sollte, brach er ein Bein und hinkte von da an sein Leben lang, nachdem er zwei Monate im Bett zugebracht hatte. Somit gezwungen, auf die Wahl der Soldatenkarriere für seinen Sohn zu verzichten, blieb dem Vater nur übrig, ihn in den Zivildienst zu bringen; er führte ihn nach zurückgelegtem achtzehnten Jahr nach Petersburg, um dort in die Universität einzutreten. Paul erhielt im nämlichen Jahr den Offiziersrang in einem Garderegiment. Die beiden jungen Leute nahmen eine gemeinschaftliche Wohnung und lebten dort unter der keineswegs strengen Überwachung eines Oheims von mütterlicher Seite, eines höheren Beamten. Ihr Vater war wieder zu seiner Division und seiner Frau zurückgekehrt. Von fernher sandte er seinen Söhnen ganze Stöße grauen Papiers zu, bedeckt mit einer Schrift, welche die geübte Hand eines Regimentsschreibers verriet. Am Ende jedes Briefes las man aber in einem sorgfältig ausgezirkelten Namenszug die Worte: »Peter Kirsanoff, Generalmajor«. Im Jahre 1835 verließ Nikolaus Petrowitsch die Universität mit dem Titel eines Kandidaten, und in demselben Jahre übersiedelte der General, der nach einer unvorhergesehenen Inspektion in den Ruhestand versetzt worden war, mit seiner Frau dauernd nach Petersburg. Er hatte sich nahe dem Taurischen Garten ein Haus gemietet und war im Englischen Klub zugelassen worden, als ihn plötzlich ein Schlaganfall seiner Familie entriß. Agathokleia Kuzminischna folgte ihm bald nach; sie konnte sich in das zurückgezogene Leben, das sie in der Hauptstadt nun zu führen hatte, nicht finden. Der Verdruß, sozusagen sich nun selbst in den Ruhestand versetzt zu sehen, führte sie rasch dem Grabe zu. Was Nikolaus Petrowitsch anbelangt, so hatte er sich noch bei Lebzeiten seiner Eltern und zu ihrem großen Bedauern in die Tochter des Hauseigentümers, eines Subalternbeamten, bei dem er wohnte, verliebt. Sie war eine junge Person von angenehmen Gesichtszügen und einem nicht ungebildeten Geist; sie las in den »Revuen« die ernsthaftesten Artikel der »wissenschaftlichen Abteilung«. Bald nach beendeter Trauerzeit wurde die Hochzeit gefeiert, und der glückliche Nikolaus Petrowitsch zog sich, nachdem er die ihm durch väterliche Protektion verschaffte Stelle im Ministerium der Domänen quittiert hatte, mit seiner Mascha in ein Landhaus nahe dem Wasserbau- und Forstinstitut zurück; später mietete er sich in der Stadt eine kleine hübsche Wohnung mit einem etwas kalten Salon und einer wohlgehaltenen Treppe; endlich zog er sich ganz aufs Land zurück, wo ihn seine Frau bald mit einem Sohn beschenkte. Die beiden Gatten führten ein ruhiges und glückliches Leben; sie verließen sich fast nie, spielten vierhändig auf dem Piano und sangen Duette. Die Frau trieb Blumenzucht und überwachte den Geflügelhof; der Mann beschäftigte sich mit der Landwirtschaft und ging von Zeit zu Zeit auf die Jagd. Arkadius, ihr Sohn, wuchs heran und lebte in gleicher Weise und Heiterkeit. So gingen zehn Jahre wie ein Traum dahin. Allein 1847 starb Madame Kirsanoff, ein unerwarteter Schlag, der ihren Mann so schwer traf, daß seine Haare in wenig Wochen ergrauten. Er wollte sich eben anschicken, zu seiner Zerstreuung ins Ausland zu reisen, als das Jahr 1848 das Reisen unmöglich machte. Gezwungen, auf sein Landgut zurückzukehren, brachte er dort einige Zeit in vollkommener Untätigkeit zu, dann aber legte er Hand daran, Verbesserungen in seiner Verwaltung einzuführen. Zu Anfang des Jahres 1855 führte er Arkad nach Petersburg auf die Universität und blieb dort drei Winter bei ihm, fast ohne das Haus zu verlassen und in stetem Verkehr mit den jungen Kameraden seines Sohnes. Während des Winters 1858 hatte er ihn nicht gesehen, und wir begegnen dem Vater jetzt im Monat Mai des folgenden Jahres mit bereits ganz weiß gewordenem Kopf, etwas gedunsen und gebückter Haltung. Er erwartet seinen Sohn, der jetzt eben die Universität mit dem Titel Kandidat verließ, ganz so wie er selbst es seinerzeit getan.
Der Bediente, mit dem er soeben gesprochen hatte, war mittlerweile aus Takt, vielleicht auch weil er nicht gerade unter den Augen seines Herrn bleiben wollte, ins Hoftor getreten und schickte sich an, seine Pfeife anzuzünden. Kirsanoff senkte das Haupt und heftete die Augen auf die wurmstichigen Stufen der Treppe; ein großes, scheckiges junges Huhn mit langen gelben Beinen ging dort stark tapsend auf und ab; eine ganz mit Asche gepuderte Katze betrachtete es nicht allzu freundschaftlich von der Höhe des Geländers, auf dem sie kauerte. Die Sonne brannte; aus der dunkeln Stube, die den Eingang zur Herberge bildete, drang der Geruch von frischgebackenem Roggenbrot. Kirsanoff überließ sich seinen Träumereien. Mein Sohn … Kandidat … Arkascha … diese Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Er gedachte seiner Frau: »Sie hat uns zu früh verlassen,« murmelte er traurig vor sich hin. In diesem Augenblicke ließ sich eine große Taube auf die Straße nieder und lief schnell einer Wasserlache bei einem Brunnen zu; Kirsanoff beobachtete sie, sein Ohr aber vernahm schon in der Ferne das Geräusch eines Wagens. – Das könnte wohl der Herr Sohn sein, meinte der Bediente, der plötzlich vom Stalltor hervorkam.
Kirsanoff stand hastig auf und sah die Landstraße hinab. Es währte nicht lange, so erschien ein mit drei Pferden bespannter Tarantaß. Bald auch gewahrte Kirsanoff den Rand einer Studentenmütze und darunter die teuren Züge eines bekannten Gesichts …
»Arkascha! Arkascha!« rief Kirsanoff und begann mit emporgehobenen Händen zu laufen. Einige Augenblicke später hafteten seine Lippen auf der bartlosen, sonnverbrannten und staubigen Wange des jungen Kandidaten.
Inhaltsverzeichnis
»Erlaube mir, mich abzuklopfen, Papa,« sagte Arkad mit vor Ermüdung etwas heiserer, aber wohlklingender Stimme, freudig die väterlichen Liebkosungen erwidernd, »ich bedecke dich ja mit Staub.«
»Tut nichts, tut nichts,« erwiderte Kirsanoff mit gerührtem Lächeln, gleichzeitig jedoch versuchte er den Mantelkragen seines Sohnes und seinen eigenen Paletot abzustäuben. »Laß dich nur ansehen, laß dich nur ansehen!« setzte er hinzu und trat einige Schritte zurück. Dann lief er schnell der Schenke zu und rief: »Allons! kommt her, Pferde heraus, geschwind, geschwind!«
Kirsanoff schien viel bewegter zu sein als sein Sohn; es war eine eigene Unruhe an ihm und er schien fast außer Fassung. Arkad trat ihm in den Weg.
»Erlaube mir,« sagte er, »dir meinen Freund Bazaroff vorzustellen, von dem ich dir in meinen Briefen oft gesprochen habe. Er will die Liebenswürdigkeit haben, einige Zeit bei uns auf dem Lande zuzubringen.«
Kirsanoff kehrte sich schnell um und schritt auf einen jungen Mann zu, der soeben vom Tarantaß herabgestiegen war, eingehüllt in einen mit Schnüren besetzten langen Kaban; er schüttelte ihm kräftig die rote breite Hand, die dieser nicht allzu eifrig dargeboten hatte.
»Ihr Besuch freut mich sehr,« sagte er zu ihm. »Erlauben Sie mir, Sie um Ihren und Ihres Herrn Vaters Namen zu bitten.«
»Eugen Wassilieff,« antwortete Bazaroff langsam mit gehobener Stimme, und indem er den Kragen seines Kaban zurückschlug, ließ er Kirsanoff sein Antlitz vollkommen sehen. Er hatte ein langes mageres Gesicht mit offener Stirn, eine oben breite, nach der Spitze zu feiner werdende Nase, große grünliche Augen und lang herabhängende sandfarbige Favoris; ein ruhiges Lächeln lag auf seinen Lippen; seine ganze Physiognomie drückte Intelligenz und Selbstvertrauen aus.
»Ich hoffe, mein lieber Eugen Wassiliewitsch,« erwiderte Kirsanoff, »daß Sie sich bei uns nicht langweilen werden.«
Bazaroffs Lippen öffneten sich ein wenig, allein er antwortete nichts und begnügte sich damit, seine Mütze zu lüften. Trotz seines dichten Haarwuchses von tiefem Kastanienbraun ließen sich leicht die mächtigen Erhöhungen seines breiten Schädels wahrnehmen.
»Arkad,« fragte plötzlich Kirsanoff, zu seinem Sohn gewendet, »soll man gleich anspannen oder wollt ihr euch vorher ein wenig ausruhen?«
»Wir wollen uns zu Hause ausruhen, Papa, laß anspannen.«
»Sogleich, sogleich,« erwiderte Kirsanoff lebhaft. »He! Peter, hörst du? Allons! mach, daß wir aufs schnellste fortkommen!«
Peter, der in seiner Eigenschaft als perfekter Bedienter sich darauf beschränkt hatte, von ferne zu grüßen, statt seinem Herrn die Hand zu küssen, verschwand von neuem hinter der Stalltüre.
»Ich bin in der Kalesche gekommen,« sagte Kirsanoff zögernd zu seinem Sohn, »aber es gibt Pferde für deinen Tarantaß …«
Während er so mit Arkad sprach, trank dieser frisches Wasser, das ihm die Wirtin in einem zinnernen Krug gebracht, und Bazaroff, der sich soeben seine Pfeife angezündet hatte, trat zu dem mit dem Ausspannen der Pferde beschäftigten Kutscher.
»Ich bin nun in Verlegenheit,« sagte Kirsanoff, »meine Kalesche ist nur zweisitzig. Wie machen wirs?«
»Er fährt im Tarantaß,« erwiderte Arkad halblaut, »kümmere dich nicht um ihn, ich bitte dich, er ist ein vortrefflicher Junge und macht keine Umstände, du wirst es sehen.«
Kirsanoffs Kutscher fuhr mit der Kalesche vor.
»Lustig, spute dich, du alte Haareule!« rief Bazaroff seinem Postillion zu.
»Hast du’s gehört, Mituka?« rief ein anderer Postillion, der mit den Händen in den Hintertaschen seines Tulups einige Schritt entfernt stand; »der Herr hat dich eine Haareule genannt, der hat recht.«
Mituka begnügte sich, statt aller Antwort den Kopf zu schütteln, daß seine Mütze wackelte, und nahm seinem mit Schaum bedeckten Sattelpferd die Zügel ab.
»Geschwind, geschwind, helft ein wenig, ihr Bursche!« rief Kirsanoff, »ihr sollt ein gutes Trinkgeld haben.«
Einige Minuten später waren die Pferde angespannt. Nikolaus Petrowitsch bestieg mit seinem Sohn die Kalesche, Peter schwang sich auf den Bock. Bazaroff sprang in den Tarantaß, drückte seinen Kopf in ein Lederkissen, und die beiden Gefährte fuhren in raschem Trabe davon.
