Vegan ist nichts für Weicheier - Martina Fontana - E-Book

Vegan ist nichts für Weicheier E-Book

Martina Fontana

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Beschreibung

Weil Probieren über Studieren geht … Paleo? Vegetarisch? Vegan? Teilzeitfasten? Low-Carb? Oder gar No-Carb? Martina Fontana hat all diese Trends mit Experimentierfreude und Unvoreingenommenheit intensiv getestet. Ehemann und Tochter "durften" (mehr oder weniger begeistert) mitmachen. Die Fragen vor jedem Test lauteten: "Wie sieht es mit der Alltags- und Familientauglichkeit aus? Was sagen Gesundheit und Portemonnaie?" Wochenlang ließ Martina Fontana die jeweilige Ernährungsform in ihre Küche, und nicht selten staunte die ganze Familie über die Gegensätze, die sich auf ihrem Esstisch breit machten: Lebensmittel, die bei einem Trend verpönt waren – z. B. tierisches Eiweiß – wurden bei einem anderen vergöttert. Mit viel Witz präsentiert sie ihre Erlebnisse und gibt dem Leser einen Kompass an die Hand, der durch den modernen Ernährungshype-Dschungel führt. - Amüsanter Selbstversuch mit konkreten Antworten: Was ist eigentlich gesund, bezahlbar und alltagstauglich? - Fundierte Informationen über die wichtigsten Ernährungsformen und gesunde Ernährung

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EPUB

Seitenzahl: 270

Veröffentlichungsjahr: 2017

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www.herbig-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2017 F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Wolfgang Heinzel

Satz und eBook-Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-7766-8266-3

Für Karin und Rudi

Inhalt

Einleitung

TEIL 1: Angerichtet und ausprobiert

Paleo oder Höhlenkost ist nicht lustig!

Low Carb – drei heftige Anti-Pasta-Wochen

No Carb – Kohlenhydratverzicht für Fortgeschrittene

Okay, jetzt mal (wieder) vegetarisch

Vegan!? Wie vegetarisch, nur bekloppter?

Intermittierendes Fasten. Nahrung nach Plan

Teil 2: Ein gesundes Locker-Lecker-Leben

So kann es gelingen

Strategieschraube I: Ziel festlegen

Strategieschraube II: Veränderungswunsch ermessen

Strategieschraube III: Welcher Veränderungstyp sind Sie?

Strategieschraube IV: Gewissensfrage – Bin ich ein Kohlenhydratjunkie?

Strategieschraube V: Grazingtyp oder Esspausenvertreter?

Strategieschraube VI: Bewegungsparameter

Strategieschraube VII: Destruktive Gedankenstrukturen erkennen, eliminieren und erwachsen reagieren

Die drei Ich-Modi

Und nun?

Wie weiter?

Zu guter Letzt

Die »Gut zu wissen«-Kästen im Überblick

Einleitung

Liebe Leserinnen und Leser,

als Ernährungsexpertin hat man es nicht immer leicht. Neulich zum Beispiel: Ich war mit meiner Familie bei einer Hochzeitsfeier. Braut, Bräutigam und die meisten Gäste waren zauberschön anzusehen. Die Sonne strahlte, und alle Anwesenden verfolgten gerührt die Trauungszeremonie. Besser und friedlicher ging es nicht. Dachte ich zumindest. Doch als das Buffet eröffnet wurde, veränderte sich plötzlich die Stimmung – das Publikum schien sich in mehrere Grüppchen aufzuteilen, und ich geriet in eine Art subtilen Stellungskrieg.

Instinktiv brachte ich mich in Sicherheit, blieb aber nah genug am Geschehen, um keinen Schlagabtausch zu verpassen. Und um zur Not auch argumentativ eingreifen zu können, wenn nötig. Aus meiner gesicherten Pole-Position beobachtete ich Unmengen an argwöhnischen Blicken, die erst das Buffet und dann andere Gruppierungen trafen. Dabei war das, was da an Speisen aufgefahren wurde, auf den ersten Blick durchaus beeindruckend, bunt und vielseitig. Aber einigen Gästen wohl nicht multilateral genug. Offensichtlich stellten die Grüppchen verschiedene Ernährungsform-Fraktionen dar, die jeweils zu ihrem Recht bzw. Sättigungsgefühl kommen wollten. Während die Anhänger der Fleischpartei – meist männlich mit auffällig zufriedenem Gesichtsausdruck – lautstark das Buffet lobten und sich begeistert noch eine Extrascheibe Schweinefilet auf den Teller packten, machte die Vegetariergruppe nicht nur eindeutig negative Bemerkungen, sondern auch pikierte Gesichter. Einige von ihnen tippten nervös auf ihren Fitnessarmbändern herum. Vermutlich, um herauszufinden, welche Maßnahmen sie post-Party ergreifen müssten, um zu verhindern, dass sich die wenigen zwar fleischlosen (aber nicht gerade kalorienarm aussehenden) Buffetkomponenten katastrophal auf den Rest ihres Lebens auswirken. Eine weitere Fraktion, überwiegend jüngere Frauen, outete sich als vegan. Sie diskutierten lautstark über dieses fast »rassistische« Buffet und schaufelten sich dabei schmallippig von dem relativ spärlich bemessenen Salatbouquet auf den Teller. Leider waren darauf auch die Rohköstler scharf, denen als Alternative nur die eigentlich als Deko gedachten Möhrchenrosen und Radieschenzapfen blieben. Erstaunlich entspannt wirkten dagegen die älteren Gäste – 50 plus –, die natürlich auch Hunger hatten. Aber anstatt zu diskutieren, schenkten sie den Motzkis ein freundliches Grinsen und nahmen sich vom Buffet das, worauf sie Appetit hatten. Eine ca. 60-Jährige zwinkerte mir zu und flüsterte: »Schlemmertag!« Ich lachte leise auf. Und nickte wissend. Im Augenwinkel registrierte ich, dass sich meine Tochter Nellie offenbar bereits mit einigen anderen Kindern verbündet hatte, um den Desserttisch umwegs- und schonungslos zu entern. Logisch – warum mit Gemüse aufhalten, wenn man Schokopudding und Erdbeeren haben kann? Die Kids flüsterten verschwörerisch miteinander, blickten sich von Zeit zu Zeit prüfend um und verschwanden dann in einen Nebenraum, damit sie ihre Schätze ungestört genießen konnten.

Die Gerissenheit und das Selbstverständnis der Kinder brachten mich erneut zum Schmunzeln. Aber leider schien das Fest für die anderen Gäste herum nicht allzu spaßig zu sein. Ich bemerkte wenige zufriedene, aber viele betrübte Gesichter. Was war schiefgelaufen? Wurde bei der Hochzeitsplanung etwa nicht bedacht, dass das Thema Ernährung heutzutage genauso heikel sein kann wie ein zu enges Brautkleid? Dass Essen längst nicht mehr Wurstbrot, sondern Lifestyle ist? Offenbar nicht.

Fakt ist: Wir haben heutzutage große Ansprüche an unsere Ernährung – sollte sie uns früher vor allem satt machen, muss sie in diesen Zeiten außerdem gesund, fit und vor allem schlank halten (oder [wieder] machen). Und da es offenbar die Ideal-Ernährungsform nicht gibt, entstehen immer neue Trends (oder werden aus verstaubten Kisten wiedergeboren), die zu den ambitionierten Zielen führen sollen.

Immer mehr Menschen essen nicht mehr einfach nur, sondern ernähren sich. Viele fleischfrei, kohlenhydratarm oder überwiegend flüssig; andere fasten die meiste Zeit des Tages, wieder andere essen ausschließlich das, was sich roh verzehren lässt. Manche werden zu Tageslichtvegetariern; etliche essen nur, was (nach streng festgelegten Maßstäben) als »clean« gilt. Einige wenige holen sich ihre Nahrungsmittel sogar prinzipiell nur aus Mülltonnen, um ein Statement gegen Verschwendung abzugeben.

Essen scheint längst zu einer Art Ersatzreligion geworden zu sein; ein Thema, dem man sich intensiv widmen muss, weil die richtige Ernährung nicht nur Gesundheit, sondern auch Schönheit und ein langes Leben verspricht. Mindestens. Denn außerdem kann sie Auswirkungen auf das moralische und ethische Grundverständnis haben, dafür sorgen, dass man sich nicht nur körperlich, sondern auch mental besser fühlt, z.B., weil keine (oder zumindest weniger) Tiere leiden müssen. Wer hingegen einfach nur irgendetwas isst, ist nicht nur ignorant, sondern verspielt womöglich seine Chancen auf ein erfülltes Leben und einen krankheitsarmen Lebensabend, so der einhellige Tenor der mitunter doktrinär-anstrengenden Anhänger der verschiedenen Ernährungstrends.

Aber da hört es mit der Einhelligkeit auch schon auf. Schaut man sich die verschiedenen Trends genauer an, fällt einem schnell auf, dass es konträrer kaum geht. Behaupten z.B. die einen, dass Kohlenhydrate Teufelswerk sind und möglichst nur (tierisches) Eiweiß auf den Teller kommen sollte, bringt eine andere Fraktion argumentativ exakt das Gegenteil. Spannend: Trotz (oder wegen?) dieser offensichtlichen Gegensätzlichkeit halten die jeweiligen Verfechter ihre Variante für die ideale. Und fragt man nach Hintergründen/Fakten/Daten, berufen sich fast alle auf den aktuellen Stand der Wissenschaft. Und die (häufig dogmatischen) Ober-Auskenner führen zu Untermauerung gern zusätzlich Studien an, die bei genauerer Betrachtung leider häufig nicht sehr repräsentativ sind. Oder bemühen Statistiken, die – sagen wir mal – fragwürdig sind. So wird z.B. häufig von Vegetariern und Veganern ins Feld geführt, dass jeder fleischlos lebende Mensch durch seinen Verzicht rund 150 Tieren das Leben retten soll. Eine Zahl, die mir persönlich recht hoch und nur bedingt nachvollziehbar erscheint. Aber als Argument an einem Hochzeitsbuffet kann sie sehr beeindrucken. Zumindest, wenn man sie niemandem an den Kopf haut, der sich gerade den Teller mit Schnitzelröllchen und Hühnerschenkeln vollgepackt hat.

Egal, ob man sich mit dem Ernährungsdasein von Veganern, Vegetariern, Paleo-Anhängern, No-Carblern, Raw-Foodies, Clean-Eatern oder Freeganern (das sind die, die in Mülltonnen herumtauchen) beschäftigt – überall finden sich im Vergleich Widersprüche und Ungereimtheiten. Kein Wunder, dass immer mehr »normal essende« Menschen unsicher durch die Supermärkte laufen, weil sie nicht (mehr) wissen, was sie kaufen und dann auch essen sollen. Die ob der angeblichen Vorzüge nachdenken und nicht selten von ihrem schlechten Gewissen bedrängt werden, mal etwas Neues auszuprobieren oder am besten gleich in die eine oder andere Ernährungsrichtung zu konvertieren. Was dann aber meistens doch nicht passiert, weil die Trend-Auswahl einfach zu groß ist und die jeweiligen Auswirkungen auf die eigene Komfortzone nicht absehbar sind. Trotzdem bleibt bei vielen eine gewisse Neugierde und die Frage: Wie funktioniert der Ernährungstrend xy eigentlich wirklich, wie ergeht es anderen damit, wie sehr belastet er Portemonnaie und Familienleben?

Ebendiese Fragen gingen (und gehen) auch mir mit jedem neuen Trend durch den Kopf. Aber da ich ein experimentierfreudiger »Wechseltyp« bin, beschloss ich, nicht nur theoretisch über die offenen Fragen zu sinnieren, sondern mich auch praktisch mit den interessantesten Ernährungstrends auseinanderzusetzen. Meine Familie – Ehemann Alex (Beamter, *1967) und Tochter Nellie (Schulkind, *2009) – wurden in die Experimente integriert. So gut es eben ging. Unsere – witzigen, aber manchmal auch ziemlich abstrakten – Erfahrungen habe ich in Tagebuchform festgehalten. Zum Nachlesen für all jene, die vielleicht mit der einen oder anderen Variante sympathisieren und wissen wollen, wie es mit der Alltags- und/oder Familientauglichkeit aussieht. Und den Kosten und Folgen, die der jeweilige Trend verursacht. Aber auch aufgeschrieben für all die, die einfach nur einen Überblick möchten und/oder gute (Gegen-)Argumente für die nächste Diskussion am Buffet gebrauchen können.

Herausgekommen ist ein sehr persönliches Buch, das zusätzlich viele sachliche Informationen und im zweiten Teil erprobte strategische Ansätze für den Weg in eine individuelle Ernährungsform bietet. Aber lesen Sie selbst! Ich wünsche Ihnen viel Freude, gute Erkenntnisse und hoffe, dass Sie Lust bekommen, Ihren ganz persönlichen Ernährungsstyle zu entdecken, mit dem Sie den hoffentlich gesunden Rest Ihres Lebens zufrieden sind.

Ihre Martina Fontana

TEIL 1 Angerichtet und ausprobiert

Mein Paleo-Einkaufszettel

Viel Obst (Äpfel, Birnen, Orangen etc.)

Noch mehr Gemüse (z. B. Tomaten, Paprika, Spinat, Süßkartoffeln)

Rindfleisch, Geflügel Gehacktes (gemischt)

Eier

Frischfisch (Lachs, Hering)

Geräucherter Lachs

Nüsse

Olivenöl

Tahin (Sesammus)

OKTOBER 2015:

Paleo oder Höhlenkost ist nicht lustig!

❚ So funktioniert Paleo

Paleo ist auch als »Steinzeit-Diät« bekannt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Diät im landläufigen Sinn, sondern um eine Form der Ernährungsumstellung, die zu einem gesünderen, weil natürlicheren Essverhalten verhelfen soll. Als Vorbild dient die Ernährung, wie sie unsere Vorfahren, die Höhlenmenschen, während der Altsteinzeit (Paläolithikum, daher der Name) praktiziert haben sollen. Nach Meinung der Befürworter überfordert unsere heutige Ernährung den Organismus; »Ursprüngliches« wird als geeigneter angesehen und deshalb bevorzugt.

❚ Erlaubte Hauptlebensmittel

Fleisch, Fisch, Nüsse, Samen, Eier, Gemüse, Obst (mit einigen Ausnahmen, z.B. Ananas, Banane, Mango)

❚ Eher tabu

Getreide(-produkte), Milch(-produkte), Kartoffeln, Hülsenfrüchte, stark verarbeitete Lebensmittel (Fertigprodukte, Fertiggerichte etc.), Lebensmittel mit Zusätzen wie Geschmacksverstärkern, Farbstoffen, Konservierungsmitteln, alle Industrie-Zuckerarten

❚ Vor meinem Selbstversuch

Gewicht: 61,5kg, Fitness: okay, Gesundheitszustand: gut, Ernährung: relativ kohlenhydratlastig, viele Vollkornprodukte, Teilzeitvegetarierin (vier Tage pro Woche fleischfrei), 1x wöchentlich Fisch, mehr Obst als Gemüse. Täglich ein Stück Kuchen.

❚ Mein Plan

Ich verzichte komplett auf Kohlenhydrate und fast vollständig auf Milchprodukte. Stattdessen erhöhe ich den Fleisch- und Fischanteil deutlich und versuche, auch mehr Eier als bisher zu essen. Zusätzlich soll mehr Gemüse auf den Teller.

Für einen sanften Einstieg plane ich drei Beobachtungstage1 ein.

5. Oktober, Montag: 1. Beobachtungstag

Es geht los! Da Zeit wie immer knapp ist, versuche ich, mich in möglichst kurzer Zeit möglichst schlau über Paleo zu machen. Ich lese viel und erfahre Spannendes, aber es dauert nicht lange, bis mir auffällt, dass das, was einige Verfechter veröffentlichen, bisweilen rigorose bis fanatische Tendenzen aufzeigt. Hm, eine Ernährungsform mit Sektencharakter?

Ich beschließe, mir den Spaß nicht jetzt schon zu verderben, sondern so lange wie möglich bewertungsfrei und offen zu bleiben. Hochmotiviert lese ich weiter. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich diverse Paleo-Bücher, von denen manche einen umfangreichen Rezeptteil bieten. Das ist nicht nur praktisch, sondern auch wichtig, denn heute ist Montag und somit der Tag, an dem ich seit Jahren festlege, was ich an welchem Tag der Woche abends für die Familie kochen werde. Normalerweise stellt das kein großes Problem dar, denn ich habe mir im Laufe der Jahre ein nettes Repertoire an Rezepten zugelegt, aus dem ich immer wieder schöpfen kann. Und all diese Gerichte werden von Mann und Kindern nicht nur akzeptiert, sondern sogar auch gegessen! (Hausfrauen-)Herz, was willst du mehr?!

Aber heute ist alles anders, und ich spüre erneut ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen. Keines der Rezepte spricht mich besonders an – und ich ahne, dass es nicht nur schwierig werden wird, meine sechsjährige Tochter Nellie von meinem neuesten Ernährungsexperiment zu begeistern, sondern auch mich selbst.

Die meisten Rezepte strotzen logischerweise vor Fleisch. Ungünstig für Nellie und mich, denn wir kommen eigentlich prima ohne aus. Nur meinem Mann läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich ihm abends einige Menüfotos zeige. Paleo muss doch auch fleischarm oder vegetarisch gehen, denke ich mir und mache ich mich im Netz auf die Suche nach weiteren Rezepten. Ich werde fündig (z.B. unter www.paleo360.de). Aha, es gibt also eine gewisse Vielfalt, jedoch klingen viele Beschreibungen ziemlich abenteuerlich: Sardinen-Auberginen-Wrap, Süßkartoffel-Zimt-Soufflé … Na, ich weiß nicht. Aber ich wollte ja nicht allzu voreingenommen sein – ich werde schon etwas finden, das wir essen können und auch mögen. Fürs Erste schreibe ich mir fünf Rezepte heraus, die ich ausprobieren werde. Ich bin gespannt und gleichzeitig froh, dass ich mir einige Beobachtungstage gegönnt habe ... Gleich in die Vollen zu gehen, würde mich definitiv überfordern.

7. Oktober, Mittwoch: letzter Beobachtungstag

Die Tabu-Liste zeigt Wirkung. Zumindest bei mir. Ich komme bereits jetzt recht gut ohne Brot, Nudeln, Reis und Kartoffeln aus, allerdings streikt der jüngste Spross der Familie schon in dieser frühen Phase. Verständlich, denn mal ehrlich, was soll ich einer Schulanfängerin, die mit belegten Broten sozialisiert wurde, in die Frühstücksbox packen? Ein gekochtes Ei, geschnittene Salatgurke und sieben Mandeln? Habe ich heute versucht, aber sie war not amused. »Mama, ich hatte ganz doll Hunger!«, rief sie mir entgegen, als ich sie aus dem Hort abholte. »Die anderen hatten alle so leckere Brote dabei, und ich konnte mir nur ein Ei pellen!« Ihr standen Tränen der Entrüstung in den Augen, und mich quälte für den Rest des Tages mein schlechtes Gewissen. Vielleicht sollte ich ihr morgen drei Wiener Würstchen mitgeben? Sind die erlaubt? Steinzeitmenschen hatten sicher keine Würstchen, zumal diese Fleischprodukte zu den relativ stark verarbeiteten Lebensmitteln gehören. Also lese ich erst mal nach und finde heraus: Schinken, Bacon und (Wild-)Salami werden von den Paleo-Experten in verschiedenen Rezepten verwurstet. Seltsam. Mir scheint, auch bei diesem Ernährungsstil gibt es eine Art Freestyle. Oder wie Pippi Langstrumpf singt: Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt!

Gut zu wissen: FLEISCH UND FISCH.

Bei Paleo stellen Fleisch und Fisch die einzigen Eiweiß-Lieferanten dar, denn Milchprodukte und Hülsenfrüchte sind verpönt. Es wird empfohlen, möglichst nur hochwertiges (Bio-)Fleisch von freilebenden Weidetieren zu verzehren, weil konventionell in Massentierhaltung hergestelltes Fleisch hormonell und medikamentös (Antibiotika) belastet ist. Fisch und Meeresfrüchte sollten idealerweise frisch und aus Wildfang sein, denn Tiefkühlware stammt meist aus Fischfarmen.

DGE und WHO warnen seit Jahren vor den gesundheitlichen Gefahren eines hohen Fleischkonsums. Und auch wenn Fisch grundsätzlich gesund und empfehlenswert ist, sollte man bedenken, dass eine solche Ernährungsform sehr zur gnadenlosen Überfischung der Meere beiträgt.

Inwieweit eine stark fleisch- und fischhaltige Ernährung aufgrund der enthaltenen Purine Zivilisationskrankheiten wie Gicht und Rheuma auslösen kann, wird von Paleoanern kaum diskutiert.

8. Oktober, Donnerstag: Jetzt wird’s ernst

Der Morgen beginnt seltsam. Seit heute gibt es nämlich keinen leckeren Cappuccino mehr zum Wachwerden, denn Milchschaum ist tabu. Kaffee steht bei den meisten Paleo-Anhängern eigentlich auch auf dem Index, aber offenbar gibt es zu viele Sympathisanten, die nicht auf ihren Koffeinkick verzichten können oder wollen. Ich gehöre eindeutig dazu. Und ich mag keinen schwarzen Kaffee. Also suche ich einen milchähnlichen Ausweg und entdecke einen Tipp, bei dem sich mein Magen schon beim Lesen umdreht: »Rühren Sie etwas Kokosöl und geklärte Butter in Ihren Kaffee.« Ja, spinnen die denn? Wer trinkt denn so etwas? Fast entschuldigend steht dabei, dass sich dieses Gebräu »Bulletproof« nennt und die Fettverbrennung ankurbeln soll. Ändert nichts, bei mir kurbelt es nur Übelkeit an. So ein »Getränk« werde ich nie und nimmer herunterbringen, keine Chance! Ich spiele kurz mit dem Gedanken, das Experiment abzubrechen, verwerfe ihn jedoch gleich wieder und suche nach halbwegs erträglichen Alternativen: Kaffee doch nur noch rabenschwarz? Bäh, geht echt nicht. Künftig gar keinen Kaffee mehr und in die Teefraktion wechseln? Auch die Idee zündet nicht. Müde und leicht nervös suche ich weiter und stoße in meiner Paleo-Bibel auf einen kleinen, aber feinen Hinweis: »Rühren Sie etwas Schlagsahne in Ihren Kaffee. (…) Kaffee mit Sahne schlägt jeden Latte macchiato um Längen!« Ich danke dem Himmel für diesen Tipp, den ich natürlich sofort ausprobiere und erstaunlich passabel finde. Dass Schlagsahne ein Milchprodukt ist, nehme ich gelassen hin und rede mir ein, dass die Menge im Verhältnis zu meinem bisherigen Milchkonsum lächerlich gering ist – immerhin habe ich bis zu fünf Cappuccinos täglich getrunken, das entspricht erschreckenderweise einem dreiviertel Liter Milch. Seltsam, dass ich das vorher nie ausgerechnet habe. Paleo schürt also mein Bewusstsein und lässt mich Eingefahrenes überdenken. Begeistert genieße ich meine neue Kaffeekreation zu einem Frühstück, das aus einer mit gebratenen Hähnchenbrustwürfeln, Tomatenstücken und Baconstreifen gefüllten Avocado besteht, und sinniere darüber, welche Erkenntnisse und Geschmackserlebnisse mir dieses Experiment wohl noch bescheren wird. Als ich mich wenig später meinem Tagwerk zuwende, muss ich feststellen, dass mein »Caffè con panna« offensichtlich deutlich mehr Koffein enthält als der Standard-Cappuccino. Eigentlich logisch, denn mein wunderbarer Kaffeevollautomat füllt mir nun statt eines Espressos mit aufgeschäumter Milch einen Caffè Crema (200 ml) in meine Lieblingstasse. Dummerweise aber bekommt mir viel Koffein gar nicht gut. Ich beschließe, die starke innerliche Unruhe, mit der ich nun zu kämpfen habe, auszuhalten, bis die Wirkung nachlässt, und alle weiteren Gedanken über meine künftigen Koffeindosen auf später zu verschieben.

Gut zu wissen: MILCH.

Dass Milch und Milchprodukte gar nicht so gesund sind, wie früher gern propagiert wurde, spricht sich langsam herum. Natürlicherweise soll Kuhmilch Kuhbabys versorgen, keine Menschen. Für uns hat die Schöpfung nur eine Milchart und eine Milchphase vorgesehen: die Muttermilch in der Stillzeit. Nach der Stillphase verlieren wir relativ schnell die Fähigkeit, das Enzym Laktase zu produzieren. Dieses wird jedoch benötigt, um Milchzucker aufzuspalten und zu verdauen. Da wir unseren Kindern schon früh und in relativ großen Mengen (Kuh-)Milchprodukte geben, versucht der Organismus dem Herr zu werden, indem er weiterhin Laktase produziert. Dennoch kommt es häufig vor, dass die Laktaseproduktion irgendwann ganz oder teilweise eingestellt wird. Dann leidet der Mensch unter der sogenannten Laktoseintoleranz mit all ihren unangenehmen Folgen.

Außerdem enthält Kuhmilch Casein, das allergische Reaktionen hervorrufen kann, sowie Wachstumshormone, die bei Experten für Unmut sorgen, weil sie im Verdacht stehen, das Wachstum von Krebszellen zu fördern und Akne auszulösen.

Für Paleo-Anhänger ist der Verzehr von Milch- und Milchprodukten nicht steinzeittypisch, da sie erst vor relativ kurzer Zeit (vor ca. 12000 Jahren) in den menschlichen Speiseplan aufgenommen wurden. Wer dennoch nicht auf Milchprodukte verzichten möchte, dem wird empfohlen, den Verzehr auf ein Minimum zu beschränken und ausschließlich auf Erzeugnisse von Kühen aus Weidehaltung (nur Grasfütterung) zurückzugreifen. Alternativ werden Schafs- oder Ziegenmilch(-produkte) empfohlen, da diese deutlich weniger allergieverdächtiges Casein enthalten. Trotzdem: Artfremd bleibt artfremd.

Nachmittags wartet bereits die nächste Überraschung auf mich: Ich bemerke, dass die Paleo-Grundsätze – je nach Quelle und Radikalität des Verfassers – variabel bis flexibel sind. Was ein Experte verpönt, kann dem nächsten durchaus eine Abweichung wert sein. Gut finde ich, dass viele Grundsätze eher Empfehlungen zu sein scheinen. Das entspannt mich und macht mir das Dasein als Paleo-Jünger an der einen oder anderen Stelle durchaus angenehmer.

Diese großzügige Betrachtungsweise ist auch hilfreich, als ich, wieder ziemlich hungrig, nach weiteren Rezepten suche. Je mehr ich finde und je näher ich mir die Zutatenlisten betrachte, umso seltsamer kommt mir diese grundsätzliche »Steinzeit-Ableitung« vor: Hatten unsere (europäischen) Vorfahren tatsächlich Thunfisch, Kokosmilch, Zimt, Curry, Süßkartoffeln, Paranüsse usw. zur Verfügung? Nun, daran dürfte wohl nicht nur ich zweifeln. Brokkoli? Spargel? Gelbe Zucchini? Möglich, aber fraglich. Auberginen gab es vielleicht. Und Pastinaken. Aber die gehen in unserer Familie leider gar nicht. Ich unterbreche meine Suche und vertreibe meinen ewigen Hunger mit zwei Bananen und einer großen Portion selbst gemischtem Studentenfutter. Ich ahne, dass dieses Ernährungsexperiment keine leichte Sache wird. Für mich nicht, und schon gar nicht für den Rest der Familie.

9. Oktober, Freitag: Mittendrin statt nur dabei

Paleo fällt mir nicht nur schwer, sondern macht mich langsam, aber sicher zu einem einsamen Einzelkämpfer. Nellie, die bisher ernährungsmäßig recht neugierig und experimentierfreudig war, ist bereits ausgestiegen. Knall auf Fall. Und endgültig. Weder gutes Zureden noch verrückte Versprechungen halfen (»Wenn du noch ein paar Tage durchhältst, gehen wir ein riesiges Eis essen. Mindestens 10 Kugeln. Und danach Pommes. Ehrenwort!«). Keine Chance. Heute Morgen verweigerte sie mit entschlossener Miene das Frühstücksomelette und kramte aus der hintersten Ecke des Küchenschranks eine angebrochene Packung Knäckebrot, die verdächtig leer aussah. Mein lieber Mann fing meinen fragenden Blick auf und beantwortete ihn mit einem verdächtigen Hüsteln. Verrat! Ich verzichte auf jegliches Getreide, und er isst Knäckebrot? So hatten wir nicht gewettet! Und warum ist das Nutella-Glas, das wir vor Monaten für den Notfall gekauft hatten, fast leer?

Gut zu wissen: GETREIDE.

Getreide wird vom Menschen seit ca. 10000 Jahren verarbeitet und gegessen. Alle Getreidesorten enthalten viele Kohlenhydrate und damit viel Energie, die (zu) schnell in den Blutkreislauf gelangt. Deshalb werden sie nicht nur von Paleo-Experten an den Pranger gestellt. Da die meisten Getreideprodukte jedoch sehr schmackhaft sind, werden sie gern und häufig verzehrt. Im Übermaß konsumiert, sorgt das Zuviel an »schneller Energie« jedoch dafür, dass vermehrt Fett eingelagert und Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Vorschub geleistet wird. Seit Längerem steht das Klebereiweiß des Getreides, das Gluten, im Verdacht, immer mehr Menschen gesundheitliche Probleme zu bereiten. »Glutensensitivität« (Überempfindlichkeit) oder »Glutenintoleranz« (Unverträglichkeit) werden vermehrt diagnostiziert. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen enthalten Getreidekörner außerdem Gifte, die sie eigentlich vor Fressfeinden schützen sollen. Hierzu zählen Lektine, eine Proteinart, die sich an die menschliche Darmschleimhaut andocken und dort schwerwiegende Probleme verursachen kann. Ebenfalls kritisch bewertet werden Phytate, die die unangenehme Eigenschaft haben sollen, essenzielle Nährstoffe wie Zink, Magnesium und Kalzium an sich zu binden und damit dem Körper die Aufnahme dieser wichtigen Mineralien zu erschweren. Pikanterweise kommen diese in besonders hoher Dosis in den gemeinhin als besonders gesund geltenden Vollkornprodukten vor. Und je mehr Phytate enthalten sind, umso schwieriger sollen auch die Vitamin-D-Aufnahme und die Versorgung mit Vitamin A, C und B12 sein.

In der Paleo-Lehre wird vehement vom Verzehr sämtlicher Getreidearten (inklusive Reis und Mais) und aller Pseudo-Getreide wie Quinoa, Buchweizen und Amaranth abgeraten.

Offensichtlich fehlen meiner Familie die regelmäßigen Brotrationen. Ich vermisse eigentlich nur den selbst gebackenen Kuchen, von dem wir uns normalerweise fast täglich nachmittags ein Stück schmecken lassen. Der fällt nun aus verschiedenen Gründen und allerschwersten Herzens weg: zu viel Getreide, zu viel Zucker, die falschen Fette. Mit den süßen Alternativen, die mein Paleo-Kochbuch hergibt, habe ich mich aus ästhetischen Gründen noch nicht beschäftigt. Soll heißen: Die Fotos der Endergebnisse sprechen mich so gar nicht an. Aber das kommt vielleicht noch, wenn ich erst mal lange genug entwöhnt bin …

Abendbrot ohne Brot ist auch so ein Problem. Dennoch habe ich den Eindruck, dass mein Mann die fleischlastigen Abendessen der letzten Tage durchaus genossen hat: Hühnerkeulen mit Ratatouille*2, italienische Fleischklößchen auf Gemüsespaghetti*, Spinatcurry mit Kürbis* oder mit Hackfleisch gefüllte Zwiebeln* gehörten zu den Gerichten, mit denen auch ich mich anfreunden konnte. Nellies Urteil war allerdings jedes Mal ungeschminkt und gnadenlos: »Warum gibt es keine Kartoffeln dazu? Oder wenigstens Reis?« Dabei findet sie Reis eigentlich total langweilig. Für die Gemüsespaghetti, die ich tapfer und ausdauernd als Pasta-Alternative gehobelt hatte, fand sie keine Worte. Sie probierte und ließ die Zucchinifäden quasi im selben Moment angewidert aus dem Mund fallen. Da blieb kein Raum für mütterliche Fehlinterpretationen.

Zurück an den Frühstückstisch. Das Kind isst sich also an drei Knäckebrotscheiben mit Nutella satt, während ich zwei Scheiben Vollkorntoast aus dem Tiefkühler nehme, um ihr daraus ein Sandwich mit Kräuterfrischkäse und Salatgurke für die Schule zuzubereiten. Nun gut, ihre Verweigerung hat auch einen Vorteil: Sie darf sich als Brot essende Aufmüpfige »opfern« und die noch im Kühlschrank verloren vor sich hin träumenden Wurst- und Käsevarianten aufessen. Dann muss wenigstens nichts weggeworfen werden.

Dieser Gedanke erinnert mich daran, dass ich unbedingt die finanzielle Seite unseres Experiments beleuchten muss. Das (sinnvollerweise) empfohlene Biofleisch hat nämlich einen extremen Nachteil: Mal abgesehen davon, dass auch diese Tiere vermutlich nicht totgestreichelt wurden, ist es einfach teuer! Hin und wieder gekauft und gegessen, ist eine solche Ausgabe durchaus vertretbar, aber die Mengen, die ich alleine in den letzten sechs Tagen gekauft und verarbeitet habe, schlagen ordentlich zu (Haushalts-)Buche. Das Geld, das wir im Gegenzug bei Milchprodukten und Brot eingespart haben, steht dazu leider in keinem Verhältnis.

Während ich die Toastscheiben mit Gurke belege, rechne ich im Kopf überschlagweise aus, was uns der Spaß schon gekostet hat. Mein Mann lenkt mich ab, indem er jene Diskussion mit mir anfängt, die ich schon seit Tagen befürchte: Ob ich denn wirklich glaube, dass es gut ist, ganz auf Getreide und Milchprodukte zu verzichten? Und dass er sein Leben als Teilzeit-Vegetarier eigentlich ganz okay fand. Und wie lange ich denn noch gedenke, »Mammuts« zubereiten zu wollen. O je, er schwächelt also ebenfalls, das ist nicht zu überhören. »Nun«, antworte ich und versuche, möglichst versöhnlich zu klingen, »mir fällt die Umstellung auch nicht gerade leicht, aber fürs Aufgeben ist es doch noch etwas zu früh, finde ich. Was hältst du davon, wenn ich uns morgen ein Paleo-Brot backe?« Dass ich dafür erst noch in den Bioladen muss, um teures Leinsamenmehl und Tahin (für Nichtauskenner: Sesammus) zu kaufen, lasse ich sicherheitshalber unerwähnt. Denn wenn mein Mann ebenfalls anfängt zu rechnen, ist das Paleo-Experiment passé.

12. Oktober, Montag: Sind Herausforderungen nicht da, um gemeistert zu werden?

Das Brot ist gebacken und schmeckt gar nicht so schlecht – zumindest solange es noch lauwarm ist. Leider mache nur ich diese Erfahrung, denn als Mann und Tochter sich zum Abendessen einfinden, ist der Laib längst erkaltet und hat seine Konsistenz von »recht locker« in »extrem gummimäßig« geändert. Ich ahne, dass dieses Brot in keinster Weise dazu beitragen wird, den bröckelnden Durchhaltewillen meines Mannes zu festigen, im Gegenteil. Ich kaue tapfer an meiner Scheibe Gummibrot, die ich mit geräuchertem Bio-Lachs belegt habe, und gebe mir alle Mühe, ihn zu besänftigen, indem ich die Platte mit den Gemüseschnitzen zu ihm hinüberschiebe. Der Erfolg ist, wie nicht anders zu erwarten, mäßig. Es ist nicht nur das Brot, das ihn so missmutig stimmt, sondern auch die sehr eingeschränkte Auswahl an Belag für die Gummischnitten: mittelleckere Avocadocreme, Tomatenscheiben und Rührei – mehr geben meine Zeit, Fantasie und Paleo-Rezeptsammlung leider nicht her. Keine guten Voraussetzungen, um die Abendessen der nächsten Tage zu besprechen. Ich beschließe, seine Meinung zu meinen Vorschlägen bis zum Ende des Experiments nicht mehr abzufragen und ihm stattdessen vollendete Tatsachen respektive gefüllte Teller zu präsentieren.

Gut zu wissen: SCHLECHTE FETTE, GUTE FETTE.

In der Paleo-Ernährungslehre erfährt der Makronährstoff Fett eine Renaissance. Ist er in vielen Ernährungsformen und Diäten eher verpönt, darf der Paleo-Jünger in Fett schwelgen. Aber natürlich nicht undifferenziert.

Unbestrittene und allgemeingültige Fett-Fakten: Fettsäuren sind lebensnotwendig. Man unterscheidet zwischen gesättigten, einfach ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fetten. Die meisten Fettsäuren kann der menschliche Körper selbst herstellen, jedoch nicht alle.

Gesättigte Fettsäuren, die lange als böse Cholesterinerhöher, Dickmacher und Mitverursacher von diversen Zivilisationskrankheiten galten, werden teilweise rehabilitiert. Alle gesättigten Fettsäuren, die natürlichen und tierischen Ursprungs sind (Fleisch, Milchprodukte), gelten – nicht nur bei Paleo – jetzt eher als gesundheitsförderlich. Besonders kaltgepresstes Kokosöl hat in der Paleo-Küche einen Ruf als Wunderfett, weil es hitzebeständig und gut haltbar ist. Den Eigengeschmack muss man allerdings mögen.

Immer noch werden (ganz und teilweise) hydrogenisierte Fettsäuren abgelehnt. Diese auch unter der Bezeichnung »Transfette« bekannten Fettsäuren werden chemisch erzeugt und von der Lebensmittelindustrie besonders gern eingesetzt, um Backwaren, Fertigprodukte, Fast- und Convenience-Food besser verarbeitbar und haltbarer zu machen. Urteil: Ungesund, bei übermäßigem Verzehr sogar schädlich.

Anders die ungesättigten Fettsäuren, sie sind für den Körper wichtig. Zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren zählen Omega-3 und Omega-6. Beide sind essenziell, das heißt, sie können vom Körper nicht selbst hergestellt und müssen daher über die Nahrung zugeführt werden. Beide gelten nach Expertenmeinung als gesund, wobei die Omega-6-Fettsäuren neuerdings jedoch eher als Entzündungsauslöser und Verursacher von chronischen Krankheiten gelten. Unglücklicherweise liegt der Anteil Omega-6 zu Omega-3 in unserer modernen Ernährung bei ca. 20:1. Hauptgrund hierfür ist der überaus hohe Anteil an Keimölen (Sonnenblumen, Distel, Raps etc.) – nicht nur in der Privatküche sehr beliebt, sondern auch von der Lebensmittelindustrie gerne für Fertiggerichte und andere abgepackte (Back-)Waren verwendet. Da Tiere häufig mit Soja, Mais und sonstigem Getreide gemästet werden, findet sich Omega-6 auch verstärkt im Fett des Schlachtviehs.

Paleo-Experten gehen davon aus, dass unsere Steinzeit-Vorfahren Omega-3- und Omega-6-Fette etwa zu gleichen Teilen gegessen haben. Für unsere moderne Ernährung wird empfohlen, höchstens viermal so viele Omega-6- wie Omega-3-Fettsäuren zu verzehren. Relativ viel Omega-3 steckt in fettem Fisch (Lachs, Makrele, Sardelle, Hering, Sardine – wild gefangen), Eigelb, weniger in Rindfleisch aus Weidehaltung. Bei den Ölen gilt Olivenöl als besonders günstig, weil das Verhältnis Omega-6 zu Omega-3 bei nur 8:1 liegt (Sonnenblumenöl 120:1).

Später sitzen wir vor dem Fernseher und knabbern hingebungsvoll einige Nüsse. Leider gehören unsere Favoriten offensichtlich nicht zu denen, die man laut Paleo bevorzugt essen sollte. Ich liebe Paranüsse und muss erfahren, dass die viel zu viele (ungesunde) Omega-6-Fette enthalten. Mehr als zwei pro Tag sollte man davon deshalb nicht essen. Ich bin schockiert und gleichzeitig deprimiert ob dieser homöopathischen Menge. Noch schlimmer trifft es meinen Mann, der besonders gern Erdnüsse knabbert, am liebsten gesalzen, aber zur Not auch ungewürzt und ungeröstet. Super gesund, dachte er bisher, aber nein, denn: Erdnüsse sind gar keine Nüsse, sondern Hülsenfrüchte, und die sind bei Paleo bekanntermaßen tabu. Zudem – wie sollte es auch anders sein – strotzen Erdnüsse nur so vor Omega-6-Fettsäuren. Frust macht sich auf dem Sofa breit.

14. Oktober, Mittwoch: Aufgeben ist keine Option, solange es Hackfleisch gibt

Es ist Tag neun des Experiments angebrochen, und ich kann es nicht anders beschreiben: Ich fühle mich mangelernährt. Nicht im wissenschaftlichen Sinn, denn mein Gemüse- und Obstverzehr ist rekordverdächtig. Nein, mir mangelt es eindeutig an Lebensmitteln und Gerichten, die meinem Geschmack entsprechen, auf die ich mich freue, die meinen Appetit anregen. Stattdessen bin ich dauerhungrig. Dieser Umstand hat durchaus einen positiven Effekt: Ich bin putzmunter, fast aufgedreht und habe das Gefühl, dass meine Sinne extrem geschärft sind. Kein Wunder, denn ich sehe mich ja ständig nach Nahrhaftem und Schmackhaftem um, das mich sättigen soll. Jetzt ist mir endlich klar, was mich mit den Steinzeitmenschen verbindet – der ewige Hunger und die Suche nach Nahrung! Ich hätte nie gedacht, dass Lebensmittel meinen Alltag so dominieren könnten.

Hunger hin oder her, das Leben muss weitergehen. Heute bin ich mit einer Freundin in unserem Lieblingsrestaurant verabredet. Wir treffen uns dort regelmäßig, weil es so leckere (und preiswerte) Mittagsangebote gibt. Leider steht aber ausgerechnet heute absolut nichts Paleo-Konformes auf der Mittagskarte. Ich könnte ein ganzes Schwein, äh Mammut vertilgen, wenn ich Fleisch noch mögen würde. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, worauf ich gehofft hatte, aber IRGENDETWAS, das schmeckt und mein wackelndes Experiment nicht noch mehr gefährdet, wäre schon toll … Also weiche ich auf die Hauptkarte aus und finde: nichts. Süßkartoffeln, die einzig akzeptierte Kartoffel, gibt es hier natürlich nicht. Das Angebot ist vielfältig, aber eben doch sehr kohlenhydratlastig. Sechs verschiedene Nudelgerichte springen mir ins Auge. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, und ich fühle mich leicht schwindelig. Sollte ich nicht doch eine klitzekleine Pastavariante bestellen? Nein! Ich reiße mich mental am Riemen und bestelle schnell, bevor ich es mir anders überlegen kann, hausgemachte Buletten. Denn die schmecken hier erfahrungsgemäß richtig gut. Ich bin recht stolz auf meine Willenskraft, merke aber, dass ich mich auf sehr dünnem Eis bewege. Mir ist nämlich herzlich egal, ob die Buletten mit Semmelbröseln oder Mandelmehl zubereitet wurden, dafür bin ich einfach zu hungrig! Und der Hunger vernebelt mein Hirn. Auch über die zusätzlich bestellte Gemüsebeilage denke ich nur kurz nach: Okay, ist großzügig bemessen und schmeckt lecker. Mehr nicht. Ich bin froh, dass mir Buletten noch nicht ganz zum Hals raushängen. Ein Glück, dass es meiner Tochter genauso geht. Besten Gewissens lasse ich ihr zwei besonders schöne Exemplare fürs Abendessen einpacken. Meinem Mann bringe ich nichts mit, denn er ist heute Abend zum Skat verabredet. Was und welche Mengen er dort schlemmen wird, möchte ich lieber nicht wissen. Futterneid macht so schrecklich unentspannt.

Gut zu wissen: STÄRKE, ZUCKER UND GEMÜSE.

Die meisten Menschen essen extrem kohlenhydratreich (= stärkelastig), wobei die meisten Kohlenhydrate in Form von Getreide(-produkten) aufgenommen werden. In der Paleo-Ernährungslehre ist die Kohlenhydrataufnahme äußerst beschränkt. Da alle Getreidesorten und auch Zucker untersagt sind, wird empfohlen, den Stärkebedarf hauptsächlich über Gemüse zu stillen. Das hat den Vorteil, dass der Körper viele Nähr- und Ballaststoffe bekommt. Weitere akzeptierte Stärkequellen der Paleo-Anhänger sind Süßkartoffeln, Kochbananen und geschälter Reis, weil diese Lebensmittel sogenannte sichere Stärke enthalten. Diese Stärke soll in der Regel besser vertragen werden; die für viele Menschen unangenehmen Begleiterscheinungen, die »normales« Getreide und auch Zucker nach sich ziehen, entstünden nicht oder seien deutlich abgemildert. Wer als Paleoaner nicht auf Gesüßtes verzichten kann oder möchte, dem wird Imkerhonig empfohlen.

17. Oktober, Samstag: Durchhalten mit Hilfsmitteln